55. Der Girscher Brunnen.

[93] Vor dem Schlosse zu Girsch zieht die Arloner Landstraße über einen Brunnen, an welchem der h. Willibrord die ersten Christen der Umgegend getauft und die Fallsüchtigen von ihrem Übel geheilt haben soll. Da die Fallsüchtigen sich bei ihren Krankheitsanfällen oft wie Irrsinnige gebärden, und die Unglücklichen sich zu Zeiten des h. Willibrord stets um diesen Brunnen scharten und dem bloßen Anschauer ihre schreckliche Krankheit mitteilten, so soll daher die Sage kommen, daß man irrsinnig wurde, wenn man in diesen Brunnen schaute. Das Volk sagt noch heute von einem Menschen, welchen es als verrückt bezeichnen will: »Er hat in den Girscher Brunnen geschaut!«36

Der fünf Meter tiefe Brunnen zählt an die fünf Fuß im Durchmesser und ist von unten bis obenan ganz aus Quadersteinen, die miteinander durch eiserne Klammern verbunden sind, gebaut. Neben dem Brunnen stand ein alter, ungefähr drei Meter hoher Eichenstamm, der sich oben gabelförmig teilte. In dieser Gabel lag ein Hebebaum, an dessen Ende sich eine Kette befand, und womit man die gefüllten Eimer emporzog. In dem Brunnen stand das Wasser stets fünf Fuß hoch. Hebebaum und Kette waren in der Folge durch einen Wellbaum mit Winde ersetzt worden.

36

Vgl. E. Tandel, 235. – J.J. Menard, 266.

Quelle:
Warker, N.: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg. Arlon: Willems, 1889/90, S. 93.
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