Romanze

[96] Romanze, ein kurzes episches Gedicht, das ein einfaches, aber Phantasie und Gefühl unmittelbar und lebhaft packendes und erregendes Geschehen in knappen Strichen zur Darstellung bringt. Von der Ballade, die einen ähnlichen Charakter besitzt, unterscheidet sich die R. im wesentlichen nur dadurch, daß sie, vor allem in südlichen Ländern ausgebildet, heiterer und farbenprächtiger ist, während die vorzugsweise dem Norden angehörige Ballade das Düstere, Ernste, Geheimnisvolle in Natur und Menschenseele bevorzugt; doch haben sich diese historisch begründeten Unterschiede schon seit langer Zeit mehr und mehr verwischt. Der Name R. kommt von romance, romanzo, womit man in den romanischen Ländern sowohl die Volkssprache (im Gegensatz zum Lateinischen) als das in dieser Gedichtete bezeichnete. Die spanische R. ist ein episches Volkslied mit nationaler Färbung, das seinen Gegenstand möglichst objektiv, mit naiver Einfachheit behandelt. Die ältesten spanischen Romanzen befangen Begebenheiten aus dem wirklichen nationalen Leben und werden daher historische Romanzen genannt. Als später die Heldensagen der Nachbarvölker jenseit der Pyrenäen zu den Spaniern drangen, entstanden die sogen. Ritterromanzen, denen die maurischen oder moresken Romanzen, die verliebte Abenteuer und galante Feste im maurischen Kostüm schilderten, folgten. Waren schon diese letztern mehr Produkte der Kunstdichtung als solche der Volkspoesie, so gehörten die Schäferromanzen der erstern ausschließlich an. Die Deutschen haben nicht nur viele spanische Romanzen übersetzt, sondern auch diese Dichtgattung in ihre Poesie eingebürgert. Die berühmtesten deutschen Romanzendichter sind: Goethe, Uhland, Chamisso, Heine u.a. Die Franzosen gebrauchen das Wort Romance für eine rein lyrische Gattung von Liebesliedern, während die volksmäßig-epischen Lieder der altfranzösischen Literatur Lais (s. Lai) heißen. Die Engländer nennen Romances größere Rittergedichte und Romane, während sie ihre epischen Volkslieder als Balladen (ballads) zu bezeichnen pflegen. Über die Sammlungen von Romanzen vgl. Romancero. Die beste Studie über Romanzenpoesie ist Milá y Fontanals »De la poesia heroico-popular castellana« (Barcelona 1874). Vgl. ferner: F. Wolf, Über die Romanzenpoesie der Spanier (in den »Studien zur Geschichte der spanischen und portugiesischen Nationalliteratur«, Berl. 1859). – In der Musik bezeichnet R. nicht nur die Komposition eines der Gattung der R. angehörigen Gedichts für eine Stimme mit Begleitung, auch wohl für Chor, sondern ist, wie die Bezeichnung Ballade, auch für Instrumentalstücke übertragen worden, ohne genauere Bestimmungen der Form.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 96.
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