Vorbericht.

[3] Ich übergebe hiermit dem Publikum die vor etwa einem Jahre angekündigte Ausgabe des MOZARTISCHEN REQUIEM, über dessen verspätetes Erscheinen ich mich in meiner letzten desfallsigen öffentlichen Anzeige vom 28. d.M. ausgesprochen habe.

Vor allem finde ich für nöthig, hier nochmals anzuzeigen, wie und wann ich in den Besitz der bei dieser Ausgabe benutzten Urkunden gekommen, und wie und wodurch ich zur jetzigen Bekanntmachung derselben veranlasst worden bin.

Im November des Jahres 1800 fand ich, um von dem MOZARTISCHEN REQUIEM einen, der Originalpartitur höchst getreuen Klavierauszug für meine Verlagshandlung (Firma Johann André) zu veranstalten, mich veranlasst, bei der Frau Witwe MOZART, von welcher ich ein Jahr vorher den gesammten in ihren Händen befindlichen Nachlass MOZART'scher Originalmanuscripte gekauft hatte, anzufragen, ob sie mir nicht auch vom REQUIEM das MOZART'sche Originalmanuscript verschaffen könne.

Ich erhielt darauf von ihr die nachstehend unter Nr. 1. abgedruckte Antwort1. (Als Erläuterung der, in den ersten Zeilen derselben vorkommenden Ausdrücke:


»mit meiner Copie oder mit Breitkopf's Ausgabe«


[3] erwähne ich nur, dass das besagte Exemplar, welches die Frau Witwe mit dem in Herrn Dr. Sortschens Händen befindlichen Manuscripten hatte conferiren lassen, ein gedrucktes Exemplar der Br. und Härtel'schen Ausgabe war, welches Exemplar die Frau Witwe in diesem Briefe ihre Copie oder Breitkopf'sche Ausgabe nennt.) Die wirkliche Zusendung der in diesem Briefe [4] genannten Gegenständen erfolgte erst mit dem späteren Briefe vom 26. Januar 1801, dessen betreffende Stelle nachstehend unter Nr. 2.2 abgedruckt ist.


Das Übersandte bestand, wie erwähnt:


1) in einem gedruckten Br. und Härtel'schen Exemplar der Partitur des Requiem, in welchem, nach der vom Herrn Stadler vorgenommenen Vergleichung und Angabe mittelst der Buchstaben M und S überall angezeigt worden war, was von Mozart und was vonSüssmayr herrührte; wobei ich bemerke, dass diejenigen Stellen, welche mit M oder mit S und durch darauf beziehliche Einzäunungen und Klammern mit Bleifelder bezeichnet waren, vom Herrn Stadler selbst also angegeben, die (im gedruckten Exemplar ganz fehlende) Genaralbassbezifferung aber von ebendemselben mit Rothstift beigeschrieben war (Bei des, sowohl die Bleistiftbuchstaben und Klammern, als auch die Rothstiftbezifferung, waren demnächst – ohne Zweifel, um sie vor dem Verwischen zu sichern und Alles besser in's Auge fallen zu machen – mit rother Farbe sorgfältig überfahren worden, wobei jedoch, an manchen Stellen, sowohl die Bleistift – als Rothstiftzeichnung noch jetzt durchschimmert), wie dies Alles an diesem noch jetzt in meinen Händen befindlichen Exemplare deutlich zu sehen ist.

Ausser den vorstehend erwähnten Anzeichnungen ist noch weiter besonders erwähnenswerth, dass, auf der Rückseite des Umschlagetitelbogens, von der Hand des Herrn von Nissen die Notiz geschrieben steht:


»Hostias, Sanctus, Benedictus, Agnus dei bis auf die Wiederholungen, von S.3«


2) in dem Originale des MOZART'schen Entwurfs in Partitur, von pag. 11 bis 32, enthaltend die 5 Nummern »Dies irae« (Nr. 2), »Tuba mirum« (Nr. 3), »Rex tremendae« (Nr. 4), »Recordare« (Nr. 5), und »Confutatis« (Nr. 6). Ich habe damals zwar die erwähnten Manuscripte mit den Stadler'schen Anzeichnungen im conferirten Exemplare verglichen, bedaure übrigens [5] jetzo in der That, dass ich jene Manuscripte demnächst zurückgesendet, ohne ein förmliches Fac- simile davon zurückbehalten zu haben.

Ich veranstaltete jedoch nunmehr den beabsichtigten Klavierauszug, ohne übrigens von den, durch diese Veranlassung in meine Hände gekommen, mir nur unter dem Siegel des Geheimnisses anvertraut gewesenen Nachrichten über die Ächtheit und Unächtheit dieses Werkes selbst, öffentlichen Gebrauch zu machen, welche Data vielmehr seitdem über 1/4 Jahrhundert lang in meiner Bibliothek aufbewahrt blieben.

Auch als, nach Ablauf so langer Zeit, im Jahre 1825 die Frage von dieser Ächtheit oder Unächtheit im 11ten Hefte der Zeitschrift Caecilia zur Sprache gebracht wurde, gedachte ich noch nicht, jene mir von der Frau Witwe anvertraut gewesenen Thatsachen öffentlich bekannt zu machen, und glaubte, auch auf die von Herrn Gottfried Weber an mich gerichtete Anfrage, demselben die erbetene Mittheilung verweigern zu müssen, wie mein, auf S. 287 des 16ten Heftes derCaecilia abgedruckter Brief beweist.

Bald darauf erhielt ich aber von der Frau WitweMozart, verehelichten Frau Staatsräthin v. Nissen, den nachstehend unter Nr. 3.4 abgedruckten Brief, worin sie selbst mich auffordert, zur Schlichtung der aufgeworfenen Streitfrage, das vor 25 Jahren von ihr erhaltene conferirte Exemplar nunmehr im Stich herauszugeben.

Eine Bestätigung des Inhaltes dieses sowohl, als auch der früheren Schreiben, enthält das weitere unter der Nr. 4.5 abgedruckte Schreiben des Herrn Staatsrathes v. Nissen.

[6] Dieser bisher erzählte und beurkundete Hergang enthält meine Legitimation zur gegenwärtigen Herausgabe. Diese Ausgabe ist nichts anderes als ein höchst genauer Abdruck des vorstehend mehrerwähnten, vom Herrn Stadler mit der Generalbass-Bezifferung bereicherten, mit den Buchstaben M. und S. bezeichneten, übrigens auch noch an mehreren Stellen nach dem Originalmanuscript berichtigten und conferirten Exemplars, und sind in diesem Abdrucke die Buchstaben M. und S., auf möglichst leicht in die Augen fallende Weise, genau mit abgedruckt.

Ich habe übrigens, bevor ich die Ausgabe abdrucken liess, auch noch meinen Sohn Carl beauftragt, bei Gelegenheit seiner, im vorigen Spätjahre gemachten Reise nach Wien, diejenigen Manuscripte, welche Herr Stadler, seinen neuerlichsten Versicherungen zufolge, von dem Requiem besitzt, bei demselben einzusehen und mit den mir von der Frau Witwe mitgetheilten Nachweisungen aufs genaueste nochmals zu vergleichen. Die wenigen Abweichungen zwischen dem vor 25 Jahren conferirten Exemplare und dem meinem Sohne jetzt vorgezeigten Manuscripte finden sich durch besondere Bezeichnungen auf der 32., 33. und 34., ferner 66., sodann 86., 87., 88. und 89sten Seite gegenwärtiger Ausgabe ebenfalls angezeigt; und auf diese Weise besitzt diese meine Ausgabe also auch noch das weitere Verdienst, zugleich dasjenige anzudeuten, was in neuester Zeit Herr Stadler als nähere Angaben bekannt gemacht hat.

[7] Soviel im Allgemeinen. – Ausserdem habe ich über einzelne Stellen und Nummern nur Folgendes noch anzumerken.

Was zuerst Nr. 1 (Nämlich »Requiem« sammt »Kyrie«) betrifft, so findet man in dieser ganzen Nummer nirgends weder den Buchstaben M., noch S., indem auch in dem conferirten Exemplare diese Buchstaben die ganze Nummer hindurch fehlen, und wohl auch fehlen mussten, sofern der Original-Entwurf dieser Nummer, der Angabe der Frau Witwe im Briefe Nr. 1 zufolge, damals gar nicht in ihren Händen war.

Dass übrigens das Manuscript auch dieser ganzen Nummer, sowie die übrigen Nummern, gleichfalls nur Partitur-Entwurf gewesen, beweisen die Worte des bekannten Süssmayr'schen Briefes:


»Zu dem Requiem sammt Kyrie – Dies irae6 – Domine Jesu Christe – hat M. die vier Singstimmen und den Grundbass sammt der Bezifferung ganz vollendet; zu der Instrumentirung aber nur hin und wieder das Motivum angezeigt. Im Dies irae war sein letzter Vers – qua resurget ex favilla, und seine Arbeit war die nämliche, wie in den ersten Stücken. Von dem Verse an – judicandus homo reus etc., ist das Dies irae, dasSanctus, Benedictus – und Agnus Dei ganz neu von mir verfertigt etc.«


wodurch, in Ansehung dieser Nummer, der Mangel der Buchstaben M. und S. wenigstens einigermassen ersetzt scheint.

Was das »Tuba mirum« (Nr. 3.) betrifft, so ist, auf Pag. 32 der gegenwärtigen Ausgabe, die Fortsetzung der von der Posaune angefangen Solo -Melodie vom Takt 6 bis zum Takt 18 zwar als Fagott-Solo dargestellt, da aber neuerlichst auch Herr Abt Stadler versichert hat, dass dieser Gesang nicht vom Fagott, sondern von der Posaune fortgesetzt werde, und ich mich jetzt auch in der That zu entsinnen glaube, die Sache damals im Manuscripte also befunden, sie aber nur darum nicht nachträglich im conferirten Exemplare berichtigt zu haben, weil es für meinen damaligen Zweck (für den Klavierauszug) ohne Interesse war; so glaube auch ich nunmehr allerdings, dass die, in den bisherigen Ausgaben geschehene, Zutheilung dieser Melodie an den Fagott, irrig sey, und auf einem Versehen beruhe. Ich habe die fragliche Stelle durch die Zeichen einer vor- und rückwärts deutenden Hand ausgezeichnet.

Ferner habe ich in Ansehung dieser Nummer zu berichten, dass die 11 Takte des Fagottes pag. 33, welche ich durch gleiche Zeichen und mit Hinzufügung eines NB. bezeichnet habe, der von meinem Sohne vorgenommenen Vergleichung zufolge, gleichfalls nicht von Mozart sind, und demnach ebenfalls vonSüssmayr herrühren.

[8] Im »Lacrymosa«, (N. 7) des conferirten Exemplars, findet sich nur beim 9. Takte der Buchstabe S. in mehreren Stimmen angezeichnet, und daher ist eben diese Bezeichnung auch in der gegenwärtigen Ausgabe beibehalten. Nach der von meinem Sohne vorgenommenen neuesten Vergleichung aber beginntSüssmayr's Arbeit, was die Instrumentirung anbetrifft, schon mit dem 3. Takte, und nur die beiden ersten Takte der Violinen und Bratschen, sowie die folgenden 6 Takte der Singstimmen, sind von Mozart. Diese neue Berichtigung ist mittelst einer besonderen Klammer und Beisetzung der querstehenden Buchstaben M. und S. angedeutet.

Im Übrigen bleibt es factische Wahrheit, dass Mozart's Entwurf nur bis zum 8. Takte dieses Stückes reichte, und dieser seine unvollständig hinterlassene Arbeit hier geendigt hatte.

Das »Hostias« ist im conferirten Exemplare alsSüssmayr's Arbeit bezeichnet, und dieses ausserdem noch insbesondere durch die oben erwähnte, auf die Rückseite des Umschlagetitelbogens gesetzte Note des Herrn v. Nissen noch weiter bestätigt. Man findet daher in der gegenwärtigen Ausgabe diese Nummer auch in der That, dem conferirten Exemplare conform, mit einem S. bezeichnet. Da mir indessen von meinem verehrten vieljährigen Freunde, Herrn Abbé Stadler, in neuester Zeit versichert worden ist, dass diese Nummer, in ähnlichen Grade wie die vorhergehenden, von Mozart selbst herrühre, und er zu dessen Beweise auch meinem Sohne das in seinen Händen befindliche Manuscript vorgezeigt hat, so habe ich, als Zeichen meines Vertrauens in seine Worte, diejenigen Stellen, welche, seiner jetzigen Angabe zufolge, Mozarten, oder Süssmayrn angehören, ebenfalls durch eine besondere Einfassung und Beisetzung querstehender Buchstaben M. und S. bezeichnet.7

Wenn übrigens die erwähnten beiden Nummern »Domine« und »Hostias« (Nr. 8 und 9) auch in der That von Mozart sein mögen, so kann ich doch nicht anders glauben, als dass diese beiden Stücke, welche dem »Lacrymosa« (Nr. 7), bei dessen 8. Takte Mozart zu arbeiten aufgehört hatte, doch erst nachfolgen, nicht anders seyn mögen, als frühere Compositionen, welche erst nach seinem Tode zur Vervollständigung des, vom »Lacrymosa« an unvollendet hinterlassenen Requiem benutzt worden seyn mögen.

Es scheinen alle vorstehenden Annahmen sich ausserdem auch durch nachstehende Notizen über die Entstehungsgeschichte des Requiem sehr in die Augen fallend zu bestätigen.

Was zuvörderst die auf so verschiedene Weise erzählte, märchenhafte Anekdote von der geheimnissvollen Bestellung des Requiem angeht, so habe ich meinerseits derselben schon gleich Anfangs niemals Glauben schenken können. Dagegen hatte ich vielmehr früherhin darüber folgende Vermuthung gehegt:

[9] Ungefähr um dieselbe Zeit, als die Frau Witwe Mozart mir die erwähnte Partitur zuschickte, hatte ich auch noch ein weiteres Aktenstück erhalten, aus welchem hervorgeht, dass bereits im März 1792, also kurz nach Mozart's Tode, der höchstselige König von Preussen, Friedrich Wilhelm II, bekanntlich ein grosser Kenner und Verehrer der Tonkunst, eine Abschrift des Requiem durch seinen damaligen Gesandten in Wien bezogen, und 450 Kaisergulden = 100 Ducaten dafür bezahlt hatte.

Dies brachte mich auf die Vermuthung, dass aus diesem Hergange das Mährchen von der romanhaften Bestellung des Requiem um 100 Ducaten entstanden seyn könne.

Ich liess indessen das Wahre oder Nichtwahre der ganzen Geschichte, welche auch zwischen der Frau Witwe Mozart und mir ohnehin nicht weiter zur Sprache kam, damals gänzlich auf sich beruhen.

Erst im verflossenen Frühjahre kam mir zufällig die glaublichere Thatgeschichte zur Kenntniss. Ich erfuhr nämlich, bei Gelegenheit meiner damaligen Anwesenheit in Amsterdam, von dem ersten Oboisten an der dortigen Oper, Herrn J. Zawrzel, welcher früher als Musiker in Diensten des Herrn Grafen von Waldseck, damals auf seinem Schlosse zu Stubbach, 3 Stunden von Wienerischneustadt, wohnend, gestanden, dass dieser Herr Graf der anonyme Besteller des Requiem und sein Haushofmeister derjenige war, welcher im Sommer 1790 die Bestellung an Mozart ausrichtete, das geforderte Honorar, (welches übrigens nur in 50 Ducaten bestanden haben soll,) bezahlte, und Mozarten dabei zur Bedingung gemacht, diese Komposition nicht nur möglichst bald zu fördern, sondern sie auch nie herauszugeben.

Nach Mozart's Tode wurde Süssmayr, welcher ein Freund vom Hause war, von der Frau Witwe ersucht, die hinterlassenen Manuscripe, welche sich bekanntlich in einem, nichts weniger als geordneten Zustande vorfanden, durchsehen und ordnen zu helfen. Bei dieser Gelegenheit fand derselbe dann auch die Manuscripte zum Requiem, und auf Süssmayr's Frage: was denn das für ein noch unfertiges Requiem sey? – erinnerte sich die Frau Witwe, dass diese Composition bei ihrem seligen Gatten bestellt und auch schon vorausbezahlt gewesen sey, und bat Süssmayrn, das Werk zu beendigen. Das Nähere ist aus dem nachstehend unter Nr. 5.8 abgedruckten Briefe zu ersehen.

[10] Vorstehende Erzählung bestärkt mich in meiner Vermuthung, dass Mozart, zur kürzern Erledigung des übernommenen Auftrags, den Entwurf einer früher schon angefangenen Composition dieser Art wieder hervorgesucht und zu der befraglichen Arbeit benutzt habe, (wie er ungefähr auf ähnliche Weise auch mit seiner, im Jahre 1783 angefangenen, aber unvollendet gebliebenen grossen Messe aus c-moll gethan, welche er zwei Jahre später zu seiner Cantate: Davide penitente, verwendet hat.)

Ich glaube mich auch nicht zu irren, wenn ich vermuthe, dass die älteren Arbeiten gerade bis zu derjenigen Stelle des »Tuba mirum« (Nr. 3) reichten, wo, im 18. Takte, das Bass-Solo mit dem obligaten Fagott- (Posaunen-) Solo endet.

Denn erst von dieser Stelle, erst von dem hier eintretenden Tenor-Solo: »Mors stupebit« an, glaube ich, jene Zauberklänge zu erkennen, welche Mozart's neuere Compositionen so eigenthümlich charakterisiren, welche ich aber in allem Vorhergehenden, die herrliche Einleitung der Nr. 1 abgerechnet, mehr oder weniger vermisse, indess sie, nicht nur durch den ganzen Verfolg dieser Nummer (3), sondern auch in den folgenden Sätzen, unverkennbar fortklingen, bis in den 8. Takt des »Lacrymosa« (Nr. 7), von wo an dann, mit dem 9. Takte, bekanntlich Süssmayr's Arbeit vollständig anfängt.

Und wenn dann auch die, nach dem ebenerwähnten Endpunkte, weiter folgenden beiden Sätze »Domine« (Nr. 8) und »Hostias« (Nr. 9) wieder vonMozart herrühren; so halte ich doch jedenfalls, durch das vorstehend Gesagte, meine schon [11] oben ausgesprochene Vermuthung für begründet, dass auch diese Nummern wenigstens gewiss nur frühere Arbeiten des säpterhin so erhabenen Meisters seyn können, welche erst nach seinem Tode zur Completirung desRequiem benutzt worden.

Wenn ich übrigens in früheren öffentlichen Äusserungen auch die Meinung ausgesprochen, dass jene erwähnten früheren Compositionen sich gerade noch von früher als 1784 her datiren müssten; so bemerke ich, zur Rechtfertigung auch dieser meiner Ansicht, noch Folgendes:

Mozart hat vom Febr. 1784 an Alles, was er componirte, in einen eigenhändig geschriebenen thematischen Katalog eingetragen, welcher in meiner Verlagshandlung bereits im J. 1805 im Stich erschienen ist, und von welchem soeben eine 2. Auflage erscheint. Dass aber Mozart in diesen Katalog jede seiner damaligen Compositionen auch dann einzutragen pflegte, wenn sie nur erst Partitur-Entwürfe waren, beweist u.a. die dort unter N. 111 aufgeführte Arie, deren Originalmanuscript ich besitze, und welches nichts Anderes ist, als ein blosser Partitur-Entwurf, wie Mozart sie überhaupt für Singcompositionen mit Orchester-Begleitung aufs Papier zu entwerfen pflegte, nämlich so, dass er in seinen Partitur-Entwurf nur die Singstimme, meist auch den Instrumentalbass vollständig, von den übrigen Stimmen aber nur hin und wieder die Motive notirte.

Was endlich die Art und Weise derSüssmayr'schen Ergänzung des Requiem betrifft, so scheint mir die schlichte Art, wie wir solche vorstehend aus dem Munde des Hrn. Zawrzel, der ein genauer Bekannter von Süssmayr war, vernommen, bei weitem glaubwürdiger als diejenige, welche Süssmayr in seinem bekannten Briefe an die Handlung Br. und Härtel angiebt. Denn es ist wohl sehr klar, dassMozart alle unvollendet gelassenen Sätze des Werkes zehnmal schneller selbst ausgeführt haben würde, als sich über deren Ausführung und Ergänzung so weitläufig mit Süssmayr unterhalten zu haben, wie dieser uns glauben machen wollte. Hierin wird mir jeder geübte Tonsetzer aus eigener Erfahrung beipflichten.

Aus allen vorstehenden Mittheilungen wird sich die Streitfrage über die Ächtheit des Mozart'schen Requiem nunmehr wohl ziemlich unzweifelhaft und leicht auch von demjenigen Theile des Publikums beurtheilen lassen, welcher mit der Muse des unsterblichen Tondichters nicht so vertraut geworden ist, um die von Mozart selbst herrührenden Hauptsätze dieser Composition nach dem bekannten ex ungue leonem zu erkennen, und ich habe schliesslich nur noch das Einzige hinzuzusetzen, dass die hier erwähnten Briefe, sowie auch dass mir von der Frau Witwe Mozart mitgetheilten Exemplar, dann ferner auch das Mozart'sche Originalmanuscript seines Tagebuches in welchem die erwähnte Arienskizze als eine Composition vom 17. September 1789 aufgeführt ist, sowie diese eigenhändige Skizze selbst, für Jedermann zur Einsicht in meiner Wohnung offen stehen.


OFFENBACH a/m., den 31. December 1826.


ANT. ANDRÉ.

Fußnoten

1 Nr. 1. Von der Frau Witwe Mozart.


Wien, den 26. Novbr. 1800.


Die Originalpartitur des Requiems ganz zu schaffen, ist mir und Ihnen unmöglich. Der Doctor (Advokat)Sortschen, der hier unter den Tuchlauben wohnt, hat es dem Anonymus zurück geschickt, und nur im Hause des S.A1 habe ich von St.A2 dürfen nachsehen und mit meiner Copie oder mit Breikopf's Ausgabe conferiren dürfen. Davon ist aber nicht nur die Folge, dass mein Exemplar Breitkopf'scher Ausgabe correcter als diese Ausgabe geworden ist, und die übrigen damit durch Meisterhand vorgenommenen Verbesserungen machen, dass mein Exemplar sogar correcter als das Original ist. Ich überlasse Ihnen dieses mein Exemplar für – und Sie können alsdann mit Wahrheit ankündigen, dass ihr Klavierauszug nach einer höchst sorgfältig mit dem (wahren) Original verglichenen und corrigirten Copie gemacht sey. Ich sagte vorhin, dass mein Exemplar besser sey, als das Original: Sie wissen (unter uns), das nicht Alles von MOZART, namentlich viele Mittelstimmen, ist, und werden sich also nicht durch die im Original befindlichen Fehler in seinem Namen scandalisiren. Ich will aber Ihretwegen noch mehr thun. Ich verschaffe ihnen nämlich:Dies irae, Tuba mirum, Rex tremendae, Recordare, Confutatis und Sanctus, und vertraue Ihnen folgendes Geheimnis an: Alles, was dem Dies irae vorhergeht, hat der Anonymus im Original. Von da an hatte MOZART nur Dies irae, Tuba mirum, Rex tremendae, Recordare und Confutatis in allen Hauptstimmen gemacht, und in den Mittelstimmen wenig oder gar nichts; diese wurden von einem Andern gemacht, und, damit nicht zweierlei Handschriften in einander wären, copirte dieser auch MOZART'S Arbeit. Sie wissen also nun bestimmt Alles, was MOZART am REQUIEM gemacht hat; ich habe es oben gesagt, und dazu kömmt noch, was weiter hinten blosse Repetition ist. Das Sanctus, was ich Ihnen verschaffe, ist in der Originalhandschrift dessen, der dieses Stück wie den Rest gemacht hat. Hierzu kömmt noch, dass die Mittelstimmen dieser Sachen, die ich Ihnen verschaffe, anders sind, als in Breitkopf's Ausgabe; so wie sie in dieser sind, sind sie (mit Ausnahme der kleinen Verbesserungen) im Originale des Anonymus. Der Ergänzer muss sie also zwei Mal gemacht haben, und Sie können unter beiden wählen, wenn Sie es für gut finden. Also Sanctus ist ganz vom Ergänzer, aber in den übrigen Sachen nur das, was mit Bleifeder eingezirkelt ist. Sie könnten also sogar mit Wahrheit behaupten, dass Ihr Klavierauszug nach dem Originale selbst von 6 Nummern (es sind in allem nur 12) unmittelbar gemacht ist.


Sehen Sie hier, welche Sachen Sie erhalten:


1) Capriccio, welches ich wieder bekomme.

2) Das corrigirte und conferirte Exemplar des Requiems.

3) Das Originalmanuscript obiger 6 Stücke des Requiems, welche ich zurück erhalte.A3


unterzeichnet: C. Mozart.


2 Nr. 2. Von Ebenderselben.


Wien, den 26. Januar 1801.


Ich schicke Ihnen also hier:

Das Requiem;

Die Capricci, die ich wieder erhalte;

Das Leitgeb'sche Quintett;

Mehrere Stücke des Requiems im Original, von pag. 11 bis p. 32, welches ich zurück erhalte.


unterzeichnet: C. Mozart.


3 Anmerk. Nämlich von Süssmayr.


4 Nr. 3. Von der Frau Staatsräthin Nissen, verwitweten Mozart.


Salzburg, den 1. Januar 1826.


An Ihrer Stelle, lieber Herr André, würde ich, dünkt mich, die erhobene Frage wegen des Requiems zum Theil schlichten: ich würde das Werk mit 2 verschiedenen Typis herausgeben, die eine für die Mozart'sche, die andere für die Syssmayr'sche Handschrift. Dann könnte Niemand bezweifeln, dass das, welches nach seiner Handschrift gegeben würde, von ihm ist.

unterzeichnet: C. Nissen.

p. procura Nissen.


5 Nr. 4. Vom Herrn Staatsrath v. Nissen.


Salzburg, den 16. März. 1826. Von der Seite des Abts,A4 der einst eine so ganz besondere Wichtigkeit in die Bezeichnung legte, einen solchen Eifer dabei auswies, dass sein ganzes damaliges Wesen noch nach einem Vierteljahrhundert meinem, in Sachen und Umständen, die nicht geeignet waren, Eindrücke hinterlassen zu müssen, sehr schwachen Gedächniss lebhaft vor Augen ist, lässt sich nicht denken, dass er ein ungenaues, unvollständiges Exemplar, wie er es, so zu sagen, gethan hat, vidimirt haben könne; ohne die grösste Sorgfalt wäre seine Arbeit mehr als zwecklos, sie wäre zweckwidrig gewesen. Ich sehe (und wer wohl nicht mit mir?) das von ihm bezeichnete Exemplar, ein Exemplar, das von ihm und so ausgestattet, aus seinen Händen unmittelbar in die meinigen, aus meinen Händen unmittelbar in die Ihrigen, gleichsam jungfräulich, überging, für authentisher, also sicher vollständiger und genauer an, als irgend ein anderes, als selbst ein Original, das, 10 Jahre alt, zu Hause und auf Reisen von Vielen durchblättert, wer weiss, ob nicht gar auf Stündchen, und wenn auch etwa nur von einem Zimmer in das nächste, ausgeliehen?, Schicksale gehabt haben kann, immer Zufällen unterworfen gewesen ist, deren Wirklichkeit von den Eigenthümern der früheren zwei und der späteren vier Hände, in denen es übrigens ruhte, vermöge ihrer Ungelehrsamkeit, es sey denn durh in die Augen springende Verstümmelung nicht sichtlich oder gar nicht zu entdecken war, zum öffentlichen Gebrauche war die durch Erfahrung geprüfte Musik in Stimmen vorräthig.

Sie wissen, dass ich Ihnen die vereinigte Urpartitur geliehen habe.

Sie haben dieselbe Schule, wie der Abt Stadler, gemacht: Sie kennen die Mozart'sche Handschrift so vollkommen, wie er, ich darf sagen, noch vollkommener, wenn der Superlativ vollkommen noch einen Comparativ haben kann.

Dass ich mich fortwährend von der Vollständigkeit und Genauigkeit dieses bezeichneten Exemplars überzeugt gehalten habe, beweist die Idee zur Herausgabe, die ich Ihnen vor Kurzem gab, und bei welcher ich nur auf dieses Exemplar Rücksicht nehmen konnte.


unterzeichnet: Nissen.


6 Anmerk. Zur Vermeidung eines möglichen Missverständnisses bemerke ich hier, dass S. die einzelnen Sätze des »Dies irae« hier nicht einzeln aufführt, und dass damit die Nummern 2, 3, 4, 5, 6 und 7 gegenwärtiger Ausgabe gemeint sind, welche zusammen das Dies irae, so wie Süssmayr es nimmt, ausmachen.


7 Anmerk. Wenn, nach diesem »Hostias«, in der gegenwärtigen Ausgabe die Wiederholung des »quam olim« ausgesetzt erscheint, in dem meinem Sohne vorgezeigt gewesenen Manuscripte aber, statt dessen blos die Worte »quam olim da Capo« beigeschrieben sind, so rührt dies daher, weil die gegenwärtige Ausgabe, wie schon erwähnt, ein ganz getreuer Abdruck des conferirten gedruckten Exemplars seyn sollte, in welchem diese Wiederholung vollständig in Noten ausgesetzt ist.


8 Nr. 5. Vom Hrn. J. Zawrzel.


Amsterdam, den 25. Juli. 1826


Werthester Herr André,


Sie wünschen zu wissen, wie sich der Graf Walseck schreibt; da ich niemals von ihm Handzeichnung gesehen habe, selbst an den Musikstücken, die man für seine Composition ausgab, so schrieb ich seinen Namen nach der Aussprache. –

Es war in dem Jahre 1790 im August, als mich der Graf kommen liess. Es war das erstemal nach dem Tode der Gräfin. Ein junger Mensch, der bei dem Grafen als Violoncellist stand, und selbst die Composition verstand, erzählte mir, dass der Graf für die Gräfin selbst ein Requiem componirt und schon weit gefördert habe, und brachte mich in des Grafen Schreibkabinet, das Requiem zu sehen. Ich sah es genau durch, und fand, dass es bis zum »Sanctus«, sehr nett geschrieben, fertig war. Ich wurde aufmerksam auf die Bassett Hörner, und sagte dem Grafen: Instrumente dieser Art könne man in Neustadt nicht bekommen. Seine Antwort war: »wenn er das ganzeRequiem fertig habe, so werde er die Bassett-Hörner von Wien kommen lassen.«

Ich kam im October nach Wien. Sie wissen selbst, dass in dem Zwischenraume Mozart die Zauberflöte und Titus schrieb, auf das ganze Requiem nicht mehr dachte und der Krönung Kaiser Leopolds, sowohl in Frankfurt als in Prag, beiwohnte, wo er eine kurze Zeit darauf krank wurde und starb. Da war eine grosse Verwirrung im Hause. Süssmayr, der Freund vom Hause war, wurde ersucht, die Musik, welche auf einem Haufen durch einander lag, zu ordnen, und da fand sich auch das Requiem. Süssmayr fragte: »was das für ein Requiem sey, das noch nicht fertig sey?« Madame Mozart erinnerte sich, dass ein Herr das Requiem bestellt, soviel als Mozart forderte, vorausbezahlt, von Zeit zu Zeit was fertig sey erhalten, und da er einigemal umsonst gekommen, lange Zeit weggeblieben sey. Nun können sie errathen, warum sich der Herr Graf nach dem Tode Mozart's nicht gemeldet hat; dann wäre der Graf bekannt, und könnte bei seinen Leuten nicht mehr als Compositeur des Requiem gelten etc.


unterzeichnet: Zawrzel.


A1 Sortschen.


A2 Stadler.


A3 Ich bemerke, hierher gehörend, dass die den Mozart'schen Nachlass betreffende Correspondenz schon damals vom Herrn v. Nissen, im Namen der FrauWitwe, seiner nachherigen Gattin, besorgt, und zum Theil auch in ihrem Namen unterzeichnet wurde, und dass der in Stadler'schen Brochüre Seite 15 angeführte Herr v. Nyssen dieselbe Person ist.

A. André.


A4 Stadler.

Quelle:
André, Anton: Beiträge zur Geschichte des Requiems von W. A. Mozart, Offenbach 1829, S. 3-12.
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