III.

Darstellung seiner Art zu setzen im Allgemeinen.

[143] Die unglaubliche Leichtigkeit, die außerordentliche Geschwindigkeit, die beim ersten Anblicke Flüchtigkeit und Uebereilung scheinen könnte; womit Mozart seine Werke niederschrieb, zeigt mehr von einer reif durchdachten Vollendung. Seine rege Einbildungskraft stellte ihm das ganze Werk, wenn es empfangen war, deutlich lebhaft vor. Die große Kenntniß des Satzes erleichterte ihm den Ueberblick der gesammten[144] Harmonie. Man trifft in seinen Konzertpartituren selten auf durchstrichen oder ausgebesserte Stellen.

Wenn er den Text zu einer Singkomposizion bekam, so gieng er lange Zeit damit herum, dachte sich ganz hinein, und erregte die Thätigkeit seiner Fantasie. Am Klavier arbeitete er alsdann die Gedanken vollständig aus, und nun erst setzte er sich zum Schreiben. Während dessen kam er aber nicht ans Klavier. Ich habe schon in seiner Biographie erzählt, daß er, auch in seinen Mannesjahren, halbe Nächte am Klaviere zubrachte; dieß waren eigentlich die Schöpferstunden seiner himmlischen Gesänge. Beim Schlafe der Söhne des Staubes, beim verhallten Lärmen des lauten Tages, in den feierlichen Stunden der schweigenden Nacht, wo kein Gegenstand die Sinne[145] fesselt, entglühte seine Einbildungskraft zur regsten Thätigkeit und entfaltete den ganzen Reichthum der Töne, welchen die Natur ihm verliehen hatte. Hier beschwur der große Zauberer die himmlischen Geister der Harmonie in seinen mächtigen Zauberkreis, war selbst ganz Geist, Empfindung, Wohllaut.

Wer Mozart in seinen Zauberstunden hörte, nur der kannte die Tiefe, den ganzen Umfang seines musikalischen Genies. Frei von jeder Rücksicht durfte da sein Geist sich mit dem kühnsten Fluge in die höchsten Regionen der Kunst schwingen. In jenen Stunden der dichterischen Laune schuf er sich unerschöpflichen Vorrath, woraus er dann mit leichter Hand seine unsterblichen Werke ordnete und bildete.

Schon als Knabe zeigte er diese ausserordentliche Leichtigkeit im Komponiren,[146] womit er in seinen letztern Jahren auch die überraschte, die mit seinen Talenten vertraut waren. Ein sichrer Beweis, daß seine Arbeiten Werke des Genies waren1.

Die Ouverture zum Don Juan ist ein merkwürdiger Beleg, wie schnell er arbeitete.

Die Oper war fertig. Die Sänger lernten bereits an ihren Parthieen; noch fehlte die Ouverture. Man ersuchte Mozart, sie zu vollenden. Schon war alles fertig; übermorgen sollte die Oper aufgeführt werden. Schon war die Generalprobe vorüber. Man redete jetzt ernsthaft[147] mit Mozart, daß die Ouverture vollendet seyn müßte. Heute Mittag werd ich sie schreiben, sagte er. Aber Mozart fuhr am Nachmittag spatziren. Die ängstliche Besorgniß seiner Freunde, die mit jeder Stunde zunahm, schien ihn zu unterhalten; je mehr sie verlegen wären, desto leichtsinniger stellte sich Mozart. Endlich am Abende vor dem Tage der ersten Vorstellung, nachdem er sich satt gescherzt hätte, gieng er, berauscht von Wein und Punsch, gegen Mitternacht auf sein Zimmer, fieng an zu schreiben, war aber so müde, daß er sich aufs Bette legen mußte. Er bat seine Frau, ihn nach einer Stunde zu wecken. Er schlief so sanft, als sie ihn wecken wollte. Sie konnte es nicht über sich gewinnen, ihn zu wecken und ließ ihn noch eine Stunde ruhen. Zwei Uhr mußte sie ihn aber wecken. Sie machte ihm Punsch, setzte[148] sich neben ihn, erzählte, ihn zu ermuntern, allerhand Mährchen vom Blaubart un dergleichen, daß sich Mozart Augenwasser lachte. Jetzt wurde gearbeitet. Aber bei aller Anstrengung nickte er doch zuweilen. – Man schreibt diesem Umstande das Unzusammenhängende zu, und will das Nicken vorzüglich in der Stelle:


Darstellung seiner Art zu setzen im Allgemeinen

bemerken. Und wirklich, wenn man die Stelle hört, so schaudert man unwillkührlich zusammen.

In einigen Stunden vollendete er das bewundernswürdige Meisterstück.

Früh gegen 7 Uhr fanden sich die herstellten Kopisten ein, und hatten Mühe, mit dem Ausschreiben der Stimmen bis zur Vorstellung fertig zu werden. Die Blätter[149] wurden noch naß ins Theater getragen, und das brave Prager Orchester, auf dessen Geschicklichkeit Mozart es schon wagen konnte, führte die Ouverture unprobirt vortreflich aus.

Die Clemenza di Tito fieng er in der Mitte des Augusts 1791 an; in 18. Tagen war sie fertig und stand schon am fünften September auf dem Theater.

Man erinnere sich bei dieser Gelegenheit, wie schnell er zu Rom Allegri's Miserere auffaßte.

Da man seine Komposizionen geizig suchte, so war er nie sicher, daß ihm ein neues Werk selbst während des Komponirens abgestohlen wurde. Er schrieb daher bei seinen Klavierkonzerten gewöhnlich nur eine Zeile für eine Hand auf, und spielte das Uebrige aus dem Gedächtniße[150] dazu. So soll er auch einst ein Klavierkonzert, welches er schon seit geraumer Zeit nicht in Händen gehabt, aus dem Gedächtnisse gespielt haben, da er die Prinzipalstimme in der Eile zu Hause vergaß.

Die allumfassende Größe und der Umfang seines Genies läßt sich nur nach dem so frühen, beispiellos schnellen Gange seiner Entwickelung und der hohen Stufe seiner erstiegenen Vollkommenheit abmessen. Nie hat ein Tonkünstler das weite Gebieth seiner Kunst so ganz umfaßt, in jedem Zweige derselben so geglänzt, als Mozart. Von der Schöpfung einer Oper bis zum einfachen Liede, von der kritischen Erhabenheit einer Simphonie, bis zum leichten Tanzstückchen herab, tragen seine Werke überall den Stempel der reinsten Fantasie, der[151] eindringendsten Empfindung, des feinsten Geschmacks. Ihre Neuheit und Originalität ist der getreuste Abdruck seines Geistes. Dazu denke man noch die unbegreifliche Leichtigkeit, mit welcher er die meisten seiner Werke schuf, und die Vollkommenheit, die er im Klavierspielen erreicht hatte.

Alle diese so seltnen, so mannichfaltigen, innig verwehten Vorzüge bestimmen den Rang, der ihm unter den Genien der Künste gebührt. Unstreitig war er einer der großen, schöpferischen Geister, die in ihrer Kunst Epoche machen, weil sie dieselbe vervollkommnen, oder doch ihren Nachfolgern neue Ansichten und Pfade eröffnen, nach deren Erscheinung aber die Kunst gewöhnlich still steht, oder rückwärts geht.[152]

Seine Werke zeichnen sich vorzüglich durch die Verbindung der höchsten, strengsten Komposizion mit Leichtigkeit und Anmuth, höchste Fülle der Harmonie ohne Ueberladung, Volltönigkeit mit edler Simplizität gepaart, vor den Werken aller andern Tonkünstler aus. Diese schöne ästhetische Vereinigung ist eine Aufgabe bloß für Künstler von Mozartischem Genie. Den Beweis giebt die tägliche Erfahrung. Wie selten trifft man auf Komposizionen, die beiden Forderungen Genüge leisten? Entweder sind es bloß kontrapunktische Kunststücke, die wohl allen Regeln des Satzes zu sagen, aber Wärme, Anmuth, Grazie, die wahren Zaubermittel der Rührung, fehlen ihnen gänzlich. Oder es sind fade Lideleien, italienischer Singsang, kraftlos liebelndes Geklimper, ohne Sinn, ohne Verbindung, kaum vermögend, das[153] Ohr mit ihrem süßen Geklingel im kränkelnden Vorübergehen zu kitzeln. Oder, was soll ich von jenen Pseudo-Imitatoren Mozarts sagen, die gern viele Stimmen auf ihre Partituren schreiben, und Größe und Majestät darin suchen wollen, daß sie alles untereinander quiken, fangen, zischen, quitschern, zwitschern, brausen, sausen, schnurren, trommeln und pauken lassen, wie zum Beispiel – –

Wie anders bei Mozart! Nie sanft verschmilzt in seinen Werken die Regel des Satzes mit der Anmuth sanftem Farbenspiele, mit des Wohllauts lieblichstem Zauber, daß eines nur wegen des andern dazuseyn scheint, und beides zur Hervorbringung des Effectes gleich wirksam ist.

Und doch wie mäßig, wie besonnen ist er im Gebrauche der Süßigkeiten und[154] Gewürze! Er kannte die hohe Forderung der Kunst und Natur. Er schrieb, was sein Genius ihm eingab, was sein richtiger Geschmack wahr fand, unbekümmert, ob es nach dem Geschmacke des Parterres seyn würde, oder nicht, und so bildete er sich selbst das Publikum, so erregte er den reinen Geschmack, so rückte er mit einem Male die ganze Tonkunst Jahrhunderte voraus! –

Ueberzeugt, daß wahre Schönheit nur allein gefällt, gieng sein großer Geist, nicht fröhnend der Mode, kraftvoll eine neue Bahn. –

Der Punkt der schönen Vereinigung der Gründlichkeit des Satzes mit Anmuth ist gewiß die trefliche und vor seiner Zeit unbekannte Art, die Blaßinstrumente zu gebrauchen und[155] wirken zu lassen. Hierin glänzt sein Genie ohne Beispiel und Nebenbuhler. Mit dem feinsten Sinne maß er den Wirkungskreis der Instrumente ab, zeichnete ihnen neue Bahnen vor, gab jedem die vortheilhafteste Rolle, die kraftvolle Masse von Harmonien hervorzubringen, welche die Bewunderung aller Kenner erzwingt und das Muster und Studium der bildenden Tonkünstler bleiben wird.

Daß ich hier von seinen frühern Werken nicht rede, die überhaupt nicht klassisch sind, sondern nur von jenen, worin er seinen großen Geist walten ließ, versteht sich ganz von selbst. Seine frühern Werke, die, wie bei jedem andern Meister, Schülerarbeiten sind, sollte man lieber ihrer Vergessenheit überlassen, denn sie verdunkeln seine größern klassischen[156] Werke. Nicht alles, was Mozart komponirte, ist schön. Oftmals schrieb er etwas hin, das Gelegenheits-Pieçe war, oder wenn man ihn bat, er möchte diesem oder jenem etwas komponiren. Mozart war gefällig, und schlug nicht leicht jemand etwas ab. Er komponirte demnach öfters Sachen, die er selbst nicht ins größre Publikum wünschte. Ich rede also hier blos von seinen letztern Werken, deren Werth anerkannt und bleibend ist.

In allen diesen liegt ein feierlicher Ernst, ein Schwung, der weit über alle Grenzen des Gewöhnlichen hinüberschwebe, eine Haltung und Karakteristik des Ausdrucks, so bestimmt markirt, daß man augenblicklich fühlt, was er sagen will. Er versteht, erstlich über das Ganze einen allgemeinen Karakter zu verbreiten,[157] und dann den Karakter jedes Individuums besonders, aber immer dem allgemeinen Karakter des Ganzen gemäß genau zu bestimmen. Dieses zeigt sich bei seinen Opern vorzüglich.

Der Deklamazion ist er bis zur Allmacht mächtig. Er weis uns alles zu sagen, was er will, und sein Gesang ist die reinste Sprache des Gefühls, ohne musikalische Schnörkelei. Man kann nicht richtiger deklamiren, als er den Text durch untergelegt Noten sangbar machte.

Sein Akkompagnement ist voll, aber nie überladen, keine Note zu viel und jede wesentlich nöthig.

Er scheint ganz auf die höchste Tendenz der Kunst hingearbeitet zu haben. Je erhabener der Gegenstand, desto vollendeter[158] ist seine Komposizion. Niedrigkomisch ist er nie, und wenn er auch tändelt, so verläugnet er doch eine gewisse innere Würde nicht, die ihn, selbst bei den launigsten Stellen, weit über andre Künstler emporhebt. Er scherzt, aber vergißt nie, daß der Scherz nichts von der Würde des Mannes vergeben darf. Nichts desto weniger ist sein Scherz streif. Im Gegentheile, seine launigen Gedanken sind von desto größerer Wirkung, je weniger übertrieben sie sind. Alle italienische Lazzi können höchstens einmal ihre Wirkung hervorbringen, aber in der Folge, bei wiederholtem Vortrag, werden sie abgeschmackt. Mozarts komische Musik hingegen verfehlt, auch nach hundert- und mehrmaligem Anhören nie ihre Wirkung. Und wenn sie auch mit ihrer Fülle die ganze Seele einnimmt, so hinterläßt sie dort eine Sehnsucht, immer mehrere seiner[159] Schönheiten aufzufassen. Die ausgeführten Gedanken bieten wieder ein neues Feld noch zu entwickelnder Ideen dar, und in den vollendeten Perioden liegt der Keim zu tausend andern. Dabei sind seine Gedanken alle konzentrirt, er wiederholt sich nicht wie andre Komponisten. Vor ihm war nichts gewöhnlicher, als daß man die Musikstücke in Hauptsatz, Gegensatz und Wiederholung eintheilte. Mozart gieng seine eigne Bahn. Er machte seine Stücke zu einem Ganzen und nahm nur in das Thema wieder auf, wo ein Wiederkehren die Empfindung des Textes die Identität der Gefühle bezeichnete. Zum Beispiel in der schönen Arie im Don Juan im 2ten Akte, (Sc. X. No. 8) Il mio tesoro intanto. Und bei den Worten: Dite ehe i suoi torti a vendicat io vado. (Sagt ihr, ich werde sie zu rächen gehen.)[160] Und nun wo die erste Empfindung im Texte wiederkehrt, wo Oktavio seine Braut wieder beruhigen will, fällt Mozart sanft aus dem rauschenden Mittelsatze nach zwei Takten vorbereitender Pause, mit dem Texte in die erste Melodie: Il mio tesero intanto.

– oder in der Messe C dur das meisterhafte Credo.

Auch die, vor dem stark im Schwange gehende, beinahe zum Gesetz geheiligte Gewohnheit, immer zwei Takte zu wiederholen, die Vanhall und Dittersdorf besonders an sich haben, und welche die Musik schleppend, langweilig macht, hat Mozart nie befolgt und das Konzentrirte der Gedanken, das immer Vorstrebend das rasche Fortschreiten ohne allen Aufenthalt, das den Hörer in beständiger Spannung[161] erhält, gehört zum Karakteristischen in Mozarts Komposizionen.

Die Folge seiner Harmonien ist gedrängt, und ihre Ausführung eben so wenig gedehnt; daher die beständige Fülle und das rasche Fortschreiten, das den Hörer immer gewaltsam mit sich fortreißt. Die Ziffern entwickeln sich, ohne das Fortschreiten der Harmonie aufzuhalten; vielmehr scheint jede Auflösung immer nicht mehr, als Uebergang und Vorbereitung zu der kommenden Harmonie. Daher das Konzentrirte seiner Gedanken, feine kraftvolle Manier.

Mozart schuf sich das höchste Ideal von der Musik. Bei ihm sollte sie alle mögliche Forderungen leisten. Jedes Instrument mußte seine Stelle ganz ausfüllen, mußte wirken aufs ganze Gebäude,[162] und wären ihm auch nur ein paar Töne anvertraut.

Man weis, welchen Effekt oft ein einziger Halter der Hoboe, ein Trompetenstoß, in seinen Werken hervorbringt. Er nahm den ganzen Kubus von Instrumentisten und Sängern für ein einziges Instrument, alles mußte so zusammentreffen, als wenn es auf einer Orgel von einem einzigen vorgetragen würde, was überhaupt bei jedem gut eingespielten Orchester statt finden muß. – Daher erfordern seine Sachen in der Aufführung den strengsten Takt. Die geringste Nachlässigkeit verdirbt hier alles.

Bei andern Komponisten sind die Blaßinstrumente schon daran gewöhnt, daß sie mit einander einfallen, es braucht also nur einer für alle zu pausiren, oder man[163] horcht schon die Tüttisätze ab, wo man mit der Pauken- und Trompetenkanonade losplatzt, und es ist in vielen Orchestern schon Herkommens, daß nur der erste Trompeter pausirt und der Paukenschläger auf die Sekondtrompete lauert. – Dies alles geht bei Mozart nicht an. Keiner darf sich auf den andern verlassen; ja der Paukenschläger hat seine besondern Sätze, weil Mozart den Effekt jedes einzelnen Anklanges zu genau berechnet hat. Jedes Instrument geht seinen besondern Gang, um desto zweckmäßiger zur Vereinigung zu wirken. Dieses ist eine der vorzüglichsten Ursachen, warum Mozarts Werke in kleinern, ungeübtern oder blos zusammengetretenen Orchestern niemals, oder gewiß sehr mittelmäßig aufgeführt werden. Es war die Ursache, daß man den Don Juan in Florenz nach neun mißlungenen[164] Proben für unausführbar erklärte.

Mozart fordert von seinem Orchester den strengsten Takt, die höchst mögliche Präzision. Schwere, unüberwindlich schwere Stellen hat er gar nicht in seinen Orchesterstücken, keine Ueberladung von Noten, keine Arabesken von halsbrechenden Passagen; seine Gänge sind auf keinem Instrumente schwer. Aber die Präzision, das Zusammentreffen, das sie er fordern, machen demohngeachtet vollwichtig ihrem Manne zu thun. Ein Trompetenstoß kommt oft da, wo man ihn am wenigsten vermuthet; ein Horn fängt an zu brummen; die Blaßinstrumente nehmen plötzlich den Geigen die Passagen ab, während diese akkompagniren; es herrscht eine ewige Reperkussion unter seinen Instrumenten.[165]

Kein Instrument steht bei ihm blos zur Füllung da. Es hat gewiß eine oder die andere Stelle, wo es obligat wird, wäre es auch nur eine einzige Note, die, wenn sie ausbleibt, eine unglaubliche Lücke macht. Man hüte sich demnach ja, ein Instrument nicht zu besetzen, und wenn man nicht alles bestellen kann, führe man die Sachen lieber nicht aus. Auch das Einschieben in andere Stimmen thut hier nicht gut.

Manchem seiner Stücke steht dieser Instrumenteigensinn, auch bei dem besten Orchester, im Wege. Ich will hier nur das Requiem anführen. Mozart läßt hier die Fagotts mit den Bassetthörnern (corno inglese) konzertiren. Dieses Instrument thut hier freilich eine ganz eigne Wirkung, aber man findet es in äusserst wenigen Orchestern besetzt. Man[166] schrieb daher ihre Parthieen auf B Klarinetten in E moll (das Requiem geht aus D moll) Nun denke sich ein jeder, welche hohlen Töne da herauskommen mußten. Die obligate Quartposaune ward auf den Fagott geschrieben und – die berechnete Wirkung blieb aus.

Man erlaube mir hier eine scherzhafte Anekdote. Ein Schulmeister eines ansehnlichen Dorfes in Thüringen, ein übrigens braver und fleißiger Mann, der für seine Kirche aus seinem und aus den benachbarten Dörfern ein ganz artiges Orchester gebildet hatte, mit welchem er im Sommer auf dem, von den nahe wohnenden Städtern besuchten Schenksaale, ganz artige ländliche Konzerte gab, verfiel auf den Gedanken, die Ouverture aus cosi fan tutte aufzuführen. Er kaufte die gestochenen Orchesterstimmen Tags vorher in der[167] Stadt beim Musikhändler und legte sie aufs Geradewohl auf. Geigen, Baß, Trompeten, Pauken, Hörner und ein Paar Flöten kann er besetzen; Hoboes, Klarinetten und Fagotts hat Mozart blos zur Füllung geschrieben und können wegbleiben. Die Stimmen liegen da. Jeder der Spielenden sieht zwar gleich nach den ersten Anfangsakkorden die 8 oder zehn Takte Pausen in seiner Stimme, aber jeder glaubt, der andere werde mit einem Solo die Stelle füllen; denn das Mozart die Leute so vexire und gleich nach den drei ersten Akkorden Klarinetten und Fagotts ganz allein spielen ließ, hatte man sich nicht vermuthet. Mit Trompeten und Pauken ertönt der Anfang in die Ohren der gespannten Zuhörer, aber gleich nach den drei ersten Trompetenstößen, ist wie abgeschnitten alles still. Was ist das? fragt der bestürtzte[168] Orchesterdirektor. Jeder hat Pause und Fagotts und Klarinetten waren nicht da, dieselben auszufüllen. Man packte die Ouverture ganz sachte nach den ersten drei Rissen wieder ein. –

Fußnoten

1 Ich bitte, dieses mit dem zu vergleichen, was ich unter dem Titel Genie Rousseau davon sagen lasse, und den Augenblick der Begeisterung.


Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 169.
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