Deutsche Lieder am Klavier zu singen.

[429] So groß Mozart in Bearbeitung instrumentirter Singstücke war, wo ihm zum Ausdruck der Gefühle jegliches Instrument zu Gebote sind, eben so gut verstand er, auch ohne das Rauschen derselben dem Texte Geist und Leben einzuhauchen. Hieher gehören vorzüglich: das Lied an Chloe. Die alte, bekannte und allbeliebte Abendempfindung. Das Veilchen. Das Bändchen. Der Abschied, und mehrere, welche sich alle in vortreflicher Auswahl in[430] der splendiden Sammlung, seiner Klaviersachen, bei Breitkopf und Härtel erschienen, befinden. In dem mehrmals angeführten Verzeichnisse hat Mozart 22 angegeben. Die Sammlung derselben, so wie sie die rühmlichst bekannte Musikkandlung veranstaltet hat, verdient in Hinsicht der Auswahl dieser kleinern Stücke, die hier um so nöthiger war, da Mozart oft Freunden und Schülern aus Gefälligkeit in der Eile dergleichen hinschrieb was er in der Folge selbst nicht anerkannte; vorzügliche Achtung. Wie oft schrieb Mozart zum Abschiede eines Freundes, einer Freundin, ein Liedchen in ihr Stammbuch!

Auch in diesen kleinen Stücken liegt so viel Ausdruck, Einfachheit, Anmuth und Empfindung, daß man sagen kann, Mozart habe sich schon in diesem Fache unsterblichen Ruhm erworben. Ein Blick[431] auf diese Gesinge beim Klavier entwickelt die Regeln solcher Komposizionen anschaulich.

Ich möchte fast behaupten, es sey leichter ein großes Singstück zu komponiren, wo Instrumentazion und Vertheilung Raum geben sich zu verbreiten, als in ein kleines Klavierstück Geist und Empfindung zu legen, wo durch das Instrument selbst und die Verschränkung des Raums, dieses erschwert wird. Und doch giebt jeder Schüler der etwas klimpern kann, Liederchen am Klavier heraus. Allein, welche Geburten hat man oft zu erwarten? – Hier einige Regeln aus Mozarts kleinern Singkomposizionen abgezogen.

Die Verbindung der Musik mit der Poesie sowohl, als mit andern Künsten, kann gar keinen andern Zweck haben, als[432] Verstärkung des Eindrucks. Dieses heißt nun nicht etwan, den Inhalt eines eigentlichen didaktischen Gedichts deutlicher, anschaulicher vorstellen, denn die Musik trägt nichts zur Deutlichkeit der Erkenntniß bei. Auch bedeutet es nicht, daß man – bei Verbindung der Musik mit dem Drama, oder erzählenden Gedicht – dem Zuhörer eine vollständigere Vorstellung von der angestellten oder erzählten Begebenheit verschaffen wolle, denn auch eine Begebenheit wird durch Töne weder vollständiger noch richtiger, noch schöner dargestellt. Oder wollte man – etwa in einer komponirten Ode – das Gefühl, welches in dieser Ode geschildert wird, durch Musik verstärken und erhöhen? Diese Absicht läßt sich als möglich denken, so vieles auch noch dabei zu erinnern wäre, denn es sind nicht die besten Oden, welche komponirt werden können, und mit Musikbegleitung größere[433] Wirkung thun, als ohne dieselbe. Ja oft schwächt die musikalische Begleitung ihren eigenthümlichen Eindruck, wie das vorzüglich bei Gedichten, die eine philosophische Wahrheit zum Vorwurf haben, der Fall ist. Daher kömmt es, daß die schönsten Gedichte fast durchgängig die undankbarsten Komposizionen haben, weil der Tonsetzer für solche Sachen immer mehr thun will, als er sollte, da der Dichter schon alles gethan hat, und der Musiker mit ihm im gleichen Range wetteifern will, den Dichter dadurch in seiner Bahn hemmt. – Mit einem Worte: weil der Musikus die beschränkenden Grenzen seiner Untergeordneten, blos begleitenden, Kunst nicht kennt – nicht anerkennen will.

Bei einigen Liedern ist eine musikalische Bearbeitung sogar unmöglich. Dies[434] ist besonders der Fall, wenn der Dichter nicht mit dem Tonkünstler theilen will, daß die musikalische Schilderung zu schwach werden muß, welches das unvermeidliche Schicksal der Komposizionen ist, welche über Oden und Gedichte von mächtigem Schwunge gegossen werden. Hierher gehören alle Komposizionen über Schillers Lied an die Freude, Mathissons Kloster und Denis Oden, wo der Bombast der Größe ausdrücken sollenden Musik oft nur einen lächerlichen Eindruck hervorbringt. Der Dichter will hier allein das Feld behaupten, allein rühren, und der Komponist, der sich ihm aufdringt, wird die Folgen seiner Unüberlegtheit zu empfinden haben.

Auch umgekehrt könnte der Fall eintreten, daß sich ein Obendichter an ein Gefühl wagte, welches in der Poesie gar[435] nicht so vollständig und stark dargestellt werden kann, als in der Musik.

Dichter und Komponist müssen sich vereinigen, denn sie sollen beide zugleich – nicht jeder für sich – einen Effekt hervorbringen.

Der Komponist hüte sich also, etwas zu komponiren, von dem ihm sein feiner Kunstsinn sagt, daß es der Dichter nicht für die Komposizion bestimmt habe. Je schwerer, gehaltvoller die Dikzion ist, desto unkomponirbarer wird das Gedicht. Die Musik kann nur allmählig durch eine Folge von Tönen wirken; allein der Dichter, mit seiner sinnvollen Sprache, wirkt mit einem einzigen Worte entscheidend. Der Komponist kann ihm demnach nicht nachfliegen, er macht unmelodische, disharmonische[436] Sprünge, oder die Musik wird frostig, gleichgültig. Eines ist so sehr gefehlt, als das andre.

Nur Gedichte von leichter, fließender Dikzion sind einer guten Komposizion fähig; diese behandle der Tonsetzer, wie Mozart Arbeiten dieser Art behandelte. Das heißt:

Erstens und vorzüglich sehe er auf die möglichst wahre Deklamazion der Singstimme, deklamire sich das Gedicht so lange vor, bis er die treueste Uebereinstimmung derselben mit den Regeln der Kunst und seiner nach diesen gebildeten Empfindung laut und deutlich fühlt.

Dann sehe er zweitens darauf, daß die anzupassende Melodie leicht, einfach, sangbar und fließend werde.[437] Diese vier Haupteigenschaften sind absolut erforderlich, und je einfacher die Melodie ist, desto zuverläßiger ist ihre Wirkung auf das Herz des Zuhörers und Sängers. Man muß diesem letztern die feinern Nuanzen, so zu sagen, seiner eigenen Ausführung, der Sprache seiner Empfindung überlassen, in den Noten bloß die Formel vorschreiben, wie er singen solle. Ueberhaupt, je weniger man hier zu thun scheint, desto mehr thut man. Alle Ueberladungen, Läufer, Sylbenbeugungen, und sonstige musikalische Arabesken sind streng zu vermeiden; sie verunstalten das Wort, auf das sie gelegt werden.

Was drittens die Begleitung betrifft, so sey sie so einfach, der Baß so unbeweglich, aber auch so gründlich und treffend, als möglich. Die Begleitung der rechten Hand ebenfalls einfach und[438] leicht, aber treffend. Hie und da, wenn die Bewegung verstärkt werden soll, den Akkord in geachtelte Triolen zebrochen, ist schon hinreichend.

Der Musiker bedenke beständig, daß er blos begleite, nicht mit dem Dichter in die Wette singe. Ein einziger Akkord, in einem Takte angeschlagen, wirkt entscheidender, bestimmter, reiner, als ein kompletes Donnerwetter von variirten Bässen, Läufern durch alle Oktaven oder Terzen, und Sextengeklimper mit der Melodie, und vom kleinen Finger bis zum Daumen hüpfende Trommelbässe.

Mit den Ritornells und Nachspielen sey man bei dergleichen Komposizionen so karg, als möglich. Ja man lasse sie lieber ganz weg, denn sie wirken hier nichts,[439] verursachen nur eine läppische, bedeutungslose Unterbrechung in der Gedankenfolge des Dichters zwischen den Versen, oft unheilbare Störung im Gange der Gefühle des Hörers. Ein kräftig vorgeschlagener Akkord, eine simple Baßnote, den Ton anzugeben, ist immer der beste Eingang, und verfehlt nie seine Wirkung. Ueberhaupt soll der Komponist beim Akkompagnement nur glauben, was er thue, sey blos die Stimme des Sängers im Tone zu erhalten, und die Pausen seiner Absätze zu füllen. – Man studire Zumsteeg; er ist in diesem Fache mit Mozart klassisch, und bloß seiner edlen Einfachheit verdankt er seinen Beifall. Mit einem Worte: Die höchste Einheit, die edelste Einfalt, ist die höchste Schönheit.

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 429-440.
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