Die Zauberflöte.

[245] Ich habe ihr unter Mozarts Kunstwerken die erste Stelle eingeräumt, weil dieses Meisterwerk – wenn seine Beurtheilung auf das Ganze gerichtet wird – nicht nur alle übrigen dieses Meisters, sondern auch gewiß alle andre berühmten Opern weit hinter sich zurück läßt.

Ich übergehe den allgemeinen Beifall, den sie als die höchste Tendenz dramatischer Musik erndten mußte. – Mozarts Opern gefielen alle; aber welche[246] wurde wohl allgemeiner, als diese? Wenn man Aeneas in Lazium, Idomeneo, die Mädchen aus Flandern, kaum dem Namen nach kennt, so wurde die Zauberflöte allenthalben aufgeführt, nachgesungen, und unter den mannigfaltigsten Gestalten aufgeführt, um sie ja für jeden Ort anwendbar zu machen. Man zog die größere Partitur in eine kleinere zusammen, wo Hörner und Trompeten blos mit einander wechselten, und von zwei Personen besetzt werden konnten, wo statt zweier Flöten, Hoboen, Bassons und Klarinetten, nur eine derselben nöthig war. Für manche Orte war diese Besetzung noch zu groß und man arrangirte sie zu 8 Instrumenten; Noch mehr: man führte sie mit zwei Violinen, Bratsche und Baß auf; sie erschien in Quartetten, in Quintetten, in Duetten für Flöte und Geige. Mehr als sechs verschiedene Klavierauszüge schaften musikliebenden[247] Individuen namenloses Vergnügen; ja auch für bloße Klavierspieler, denen Natur die Gabe des Gesanges versagt hatte, machte man sie brauchbar. Man zog sie in vierhändige Sonaten aus; auch als einfache Klaviersonate mit Begleitung einer Violine oder Flöte gab sie wenigstens eine süße Reminiszens. Auf den Redouten und Tanzböden ertönte Papageno bald als Walzer, bald als Angloise. Liebende benutzten die feierlichen Chöre, in Harmoniepiecen ausgezogen, zu Ständchen; auf den Jahrmärkten erschallte der Vogelfänger aus der Drehorgel von der Tambourine begleitet. – Wenn freilich dieses alles nur Verstümmelungen des großen Meisterwerks sind, so beweisen sie doch den allgemeinen Beifall des Publikums; und noch lange wird dieses Tonstück das deutsche musikalische Publikum beschäftigen, unterhalten und kultiviren,[248] wenn dieses in der That das richtige Gefühl und den feinen Geschmack besitzt, den man bei ihm voraussetzen sollte, weil – dieses Meisterwerk so allgemein gefallen hat. –

In der Zauberflöte sind alle ästhetischen Aufgaben der Tonkunst gelöst. Wenn es zur innern Schönheit eines dramatischen Tonstücks – eigentlich jedes Kunstprodukts, das einer ästhetischen Beurtheilung fähig ist – gehört, daß absolute Vollkommenheit – Sittlichkeit – die Hauptbedingung des Wohlgefallens ist, wenn Harmonie im Gange der Handlung, reines Gefühl, ruhige, innige Freude am Ziele des Gebildeten Sinn erfreut: so ist die Zauberflöte gewiß der vorzüglichste Gegenstand des Wohlgefallens für den mit ächtem Kunstsinn begabten Kenner.[249]

In diesem Werke herrscht durchaus ein Hauptgefühl jenes ruhigen, aber ununterbrochenen Hinstrebens an das Ziel, und ruhige Freude bei Erreichung desselben. – Ein äußerst moralisches Gefühl – die Sittlichkeit selbst, so weit sie sich in einem Gefühle abspiegeln kann.

Dieses Hauptgefühl ist durch die Ausdrücke von Ergebung in Widerwärtigkeiten, des ruhigen aber kraftvollen und unablässigen Kampfes mit Widerwärtigkeiten, unnachahmlich schön kolorirt, und mit andern Gefühlen, wie z.B. dem des Ausbruchs wilder Freude, und unzweckmäßigen Ringens, mit Schilderung unedler Lust und verbotener Wünsche aufs vollkommenste kontrastirt. Dabei aber sind alle die verwandten und zur Hebung des Hauptgefühls[250] dienenden Gefühle bei aller Lebhaftigkeit und Richtigkeit der Darstellung, doch immer so gezeichnet, daß sie gleichsam im Schatten stehen, während sich jenes im vollen Lichte heraushebt, daß sie also nie den Haupteindruck im Zuhörer verlöschen, sondern immer nur auf die Hauptsache hindeuten, und eine Sehnsucht nach dieser vermehren.

Deshalb ist dieses Meisterwerk vollkommen geeigenschaftet, einen Beleg zu den Regeln der Kritik abzugeben. Denn die Erfindung oder Idee dieser Oper ist – man sage dagegen was man will – unverbesserlich. Das Gefühl, dessen Schilderung das Thema des Ganzen ausmacht, ist sittlich im hohen Grade, ist etwas sehr Vollkommenes, und ist auch in einer sehr vollkommenen Darstellung ausgeführt worden. Das Stück erfüllt[251] also die Forderungen der moralischen Urtheilskraft und der vergleichenden Vernunft. Für Annehmlichkeit und Reiz des Ohrs ist durch Abwechslung jeder Art gesorgt. Die äußere Schönheit des Ganzen aber besteht zum Theil eben darin, worin die Annehmlichkeit liegt, zum Theil wird sie durch die immer wachsende Theilnahme und die immer bestimmtere und hervorstechendere Zeichnung des Hauptgefühls bezweckt.

Was im Ganzen dem Künstler so wohl gelungen ist, hat er auch im Einzelnen erreicht. Die kleinern Stücke behaupten, so wie die größern, eine Einheit der Darstellung, die zur Bewunderung hinreißt. Noch mehr. Man kann in Beurtheilung dieser Stücke nie übersehen, daß sie nur Theile eines Ganzen sind; so geschickt deuten sie beständig auf die Hauptsache[252] hin, so richtig ist die Schattirung der einzelnen Parthien in jene des Ganzen verwebt. Man nehme eine Arie, ein Chor heraus, wo man will; es hat einen edeln, ruhigen Charakter, die Farbe, die es trägt, ist eine gemilderte Farbe, und die Freude, die es athmet, ist der stillen ruhigen Freude des Weisen verwandt.

Allerdings mehr oder weniger, wie es der Zweck erforderte, denn die untergeordneten Personen durften nicht so edel empfinden, als die Hauptpersonen; allein der Ausbruch des Gefühls ist selbst bei den erstern gleichsam durch die Verbindung, in welcher sie stehen, geadelt, und der Schauspieler, der den Monostatos oder Papageno spielt, muß ein sehr gewöhnlicher Mensch seyn, wenn er durch seyn Spiel der Rolle das Schickliche und Anständige[253] nimmt, welches der Tonkünstler, freilich nur mit einem leisen Hauche, über dieselbe zu verbreiten wußte.

So viel im Allgemeinen. Was die Charaktere betrifft, so sind sie gleich gut gewählt und behandelt. Zoroaster der König und Oberpriester – ein Greis ehrwürdig und weise, gut und streng, sanft und erhaben; sein Charakter ist sehr bestimmt. Grau geworden in den Lehren der Mystik bleibt er sich immer gleich; kein Ausbruch heftiger Leidenschaft entweiht die Zeichnung des Charakters des stillen, ruhigen, erhabenen Weisen. Mozart bearbeitete seinen Charakter äußerst richtig. Die Tonarten die er ihm anwies athmen Ruhe und Sanftheit, f, e, und mit den Chören das erhabene Es. Giebt es wohl zum Bezeichnen der stillen sanften Ruhe eine schönere Tonart als f? eine schmeichelndere[254] als e? – In diesen heiligen Hallen etc. – Die Tempos sind feierlich erhaben, sanft und voller Würde. Man nehme das Gebet: »O Isis und Osiris etc.« im Anfange des zweiten Akts, welche Inbrunst, welche edle Einfalt in Melodie und Ausdruck! Wie schön hebt sich sein Charakter in dem Terzett: »Soll ich dich Theure nicht mehr sehn?« vor den beängsteten Liebenden hervor! – Das Akkompagnement der Saiteninstrumente in abgebrochnen Noten mahlt die innere Unruhe aller drei Sänger. Tamino, unvermögend, feine Angst zu verbergen, fängt in gedrängten Noten, ähnlich jenen des Akkompagnements, an: »Soll ich dich Theure nicht mehr sehn?« Die Melodie steigt mit der Angst seines Herzens aufwärts, und Sarastro tröstet, einlenkend in seinem Charakter-Ton f, – das Stück geht aus B – »Ihr werdet froh euch[255] wiedersehn« – Demohngeachtet verräth das noch immer abgebrochene Akkompagnement die innere Unruhe des Weisen über den ungewissen Ausgang der bevorstehenden Probe; – sein Trost ist mehr wohlgemeint als gründlich, und soll nur den Augenblick der Trennung erleichtern, welches sich auch in der Folge und dem Schlusse entwickelt. – Die besänftigende Arie: »In diesen heiligen Hallen etc.« hat so wie edle Einfalt, so viel namenlose Sanftmuth, und ihre Deklamazion ist so richtig, und dem Karakter des erhabenen Weisen so anrassend, daß sie nicht schöner gegeben werden könnte. Die einfach Begleitung, das leidenschaftliche, ruhige Zeitmaas, die heitere Beruhigung einflößende Tonart, E dur, alles mahlt uns den ruhigen Greis durch Weisheit und Erfahrung von allen Leidenschaften geheilt, den väterlich Nachfichtigen, den[256] Bemitleidenden, Lehrenden, Bessernden. »Nicht strafen, nur bedauern, ist der Geweihten Pflicht.« Er nimmt an der Wuth des boshaften Weibes, selbst da sie ihrer Tochter den Dolch zu seinem Morde vertraut, keinen Antheil, sieht mit gleichgültigem Bedauern auf ihre machtlose Wuth herab, sein Herz schlägt nur für Menschenliebe – die wahre Weisheit – Wie schön mahlt uns dieses Mozart in der Stelle derselben Arie: »Den Müden reichen wir den Stab etc.« oder »Man reicht sich traulich hier die Hand, und hat die Nachsucht nie gekannt.« Bei dieser Lehre wird das Herz des alten silberlockigen Greises wärmer – die Melodie steigt aufwärts, die Noten werden kürzer, nicht gedehnt, wie im Anfange; Note auf Sylbe, und die zunehmende Bewegung der Violinen verkündigen die wärmern Pulse für Menschenwerth, die[257] auch im Herzen des Greises nicht erstorben sind. Und seines Karakters eingedenk, schließt die Arie doch so traulich sanft, als sie begann, als wollte der weise Mann die Wärme seines Herzens nicht laut werden lassen, und sein halbverhaltenes Feuer läßt uns nur die warmen Gefühle seines Herzens unter dem Priesterrocke – errathen, die er schnell verbirgt, so bald er merkt, daß sie dem Herzen überwallen. Welche ruhige, aber desto innigere, leidenschaftlose Freude webt und lebt in dem Rezitativ, am Ende, wo die Königin der Nacht mit ihrem schwarzen Plane und ihrer Rotte unter Getöse in ihr finstres Reich zurückgestürtzt, alles Ungemach verschwunden, alle Prüfungen glücklich überstanden sind! – Der Orkan der Instrumente schweigt; die Dissonanzen lösen sich; der wilde Chor verstummt, alles lößt sich in feierliche Stille. Die[258] Glücklichen sind am Ziele ihrer Prüfungen. – Traulich faßt sie der weise Mann bei den Händen: »Es fliehen die Feinde, nun herrschet in Ruh. Es geben die Götter den Segen dazu.« Und nun der sanfte, aber innige Chor – die Herzlichkeit der Theilnahme der Eingeweihten! – Hier ist kein wilder Uebergang, keine tändelndes Rondo, kein Gassenhauer, kein kindischer Alltagsschluß. – Nein! die ruhige Freude des Weisen, innig liebender, erprobter, tugendhafter, guter Menschen ist am Ziele! – Sie sehen die Belohnung ihrer Tugend; der Weise hat seinen schönen Zweck erreicht, der tugendhafte Jüngling seiner Wünsche Gegenstand errungen; die Weisen sehen einen würdigen Nachfolger ihres erhabenen Zoroasters, und alles ist froh; eine allgemeine Heiterkeit verbreitet sich über alle, und alles Gewühl ist, in die höchste Reinheit des[259] Herzens aufgelößt. – Eine Freudenthräne im Auge, ein Druck der Hand und der kurze aber Inhaltschwere einstimmige Wunsch: »Ihr liebt euch – seyd glücklich und froh« – öffnet alle Herzen. – Die Orkane sind vorüber, die Donner verhallt, zerrissen die finstern Wolken, und die heitre Abendsonne lächelt am blauen Himmel im Thränen beperlten Hayne! –

Jünger der Tonkunst! wenn du die Partition dieses Meisterwerks bis zu diesem sanftrührenden, erhabenen Schlusse durchstudirt hast: und diese stille Freude, diese Reinheit der Empfindungen, diese schöne Auflösung schwellt dein Herz nicht mit sympathetischer Wärme, entlockt deinem Auge keine süße Thräne – dann verzage auf immer! Nie wirst du der Weihe würdig werden, Herzen sanft zu rühren; denn dir versagte die Freudengeberin[260] Natur, den Nachhall der sanften Anklänge ihrer höchsten allmächtigsten Magie! –

An der Hand des großen Weisen, wallt ein schuldloses Mädchen, entrissen ihrer bösen Mutter, zum Glück. – Pamina. Wer verkennt hier den Meister in der Zeichnung ihres Karakters? Welche Sanftheit, welche Unschuld verbreitet sich über das schöne Gebild! Und wie wußte der Künstler ihren Karakter durchzuführen, wie nach allen so mannigfaltigen Verhältnissen zu motiviren, ohne dem geliebten Bilde auch nur eine einzige Grazie zu entziehen! Man nehme das schöne Duo: »Wer zärtlich liebt, kann nicht betrügen.« Welche Unschuld, welche Einfachheit! Welch argloses Anschmiegen der Melodie! Instrumente und Singstimme halten gleichen Schritt! – Die[261] Schuldlose empfindet, wie sie spricht. Wort und Gefühl haben nur einerlei Gang. Schöner noch mahlt sich die Unschuld, wo sie mit Papageno entfliehen will. – Sie fühlt den strafbaren Schritt, den sie gegen Sarastros Gebot vorhat, aber Liebe treibt sie vorwärts. Furcht, Hoffnung und Freude durchstürmen ihr Herz, in der Pieçe: »Schnelle Füße etc.« Das Abgebrochene des Akkompagnements, das Stakkato der Geigen, das öftere Unterbrechen des Gesanges durch kurze Violinsätze, und das Drängen am Ende: »Nur geschwinde, nur geschwinde« alles deutet auf Angst und Verwirrung eines schuldlosen Mädchens, das diesen Schritt zum ersten Male wagt. – In der Folge sieht man deutlich, daß ihr schuldloses Herz mehr vor ihrer Uebertretung, als vor der Gewalt des Monostatos zittert; denn auch da, wo Papageno's Glockenspiel die Peiniger verscheucht[262] hatte, verräth sich ihre Angst noch in der Melodie und die schwankende Bewegung zwischen Furcht, Hoffnung, Angst und Freude, ist in der Begleitung meisterhaft dargestellt, die ein völlig unbestimmtes Gefühl karakterisirt, und einigermaßen dem Texte zu widersprechen scheint. Ich meine die Stelle: »Könnte jeder brave Mann etc.« – Pamina möchte sich freuen über ihre unvermuthete Befreiung durch das magische Glockenspiel; aber der Gesang ihrer Freude ist nicht jener der süßen Beruhigung, er wird in seinem Gange von innerer Furcht unterbrochen. Um dieses ganz zu fühlen, deklamire man sich die Stelle nach den Noten, und überblicke zu gleicher Zeit die Begleitung der Instrumente. Schön zeichnet sich ihr fester Karakter und der ihr eingeflößte Wahrheitssinn, vor den ängstlich verlegenen Alltagsmenschen, Papageno,[263] in der Stelle auf Papageno's: »Sarastro kömmt, o weh! was werden wir nun sagen?« Die Bewegung in der Musik, das ängstliche Rücken des Pulses in den punktirten Noten, und, nun darauf Pamina's: »Die Wahrheit« wie mit einem Male die Melodie sanft gleichfließend wird, und die Begleitung der Instrumente in lang gezogenen Noten fest steht! – Welcher Wahrheitssinn, welche Festigkeit! Wie schön kontrastirt hier das gebildete Mädchen mit ihrem Wahrheitssinn gegen den gewöhnlichen unerzogenen Papageno, der ganz im Karakter Leuten seiner Art, seine Zuflucht zum Lügen nehmen, und sich mit Pamina auf eine Ausrede besinnen will: »Was werden wir nun sagen?« und welche edle Zurückweisung liegt in Pamina's Worten: »Die Wahrheit.«[264]

Pamina's Charakter ist mehr leidend behandelt und eben diese Passivität schöner Weiblichkeit ist es, die uns so sehr für sie interessirt. Mozart wollte uns ein sanftes Mädchen mahlen, und hat sein Gemählde treflich vollendet. Einer Menge Klippen, die ihm der Dichter in den Weg stellte, ist er glücklich ausgewichen. Was wäre aus Pamina's Karakter unter den Händen eines minder denkenden, eines oberflächlich fühlenden Komponisten geworden? Da hätte es Gelegenheit zu Bravour-Arien, Rondo's, Kavatinen, gegeben – hier wäre der Platz zu manchem italienischen Gemeinsatze: che faro? che risolvo? dove andro in tantorore? ... und Konsorten gewesen – und gleichwohl läßt ihr Mozart kein einziges dergleichen singen – nicht einmal eine gewöhnliche Szene, die sonst der prima donna gehört, und das soll doch Pamina seyn. –[265] Ihr Gesang ist sanft fließend und mehr unter Noten gelegte Deklamazion. Der fein fühlende Mozart wollte uns ein wohlgezogenes Frauenzimmer geben, die ihre Empfindungen nicht durch leidenschaftliche Ausbrüche entweiht, aber eben desto inniger fühlt, je minder Schwatzens von ihren Empfindungen sie macht, und das ist es eben, was uns desto mehr für sie interessirt; diese halbverhaltene, und halbverrathene Liebesunruhe, dieser innere Schmerz, diese sanfte Rührung schließt uns an die Leidende, die wir bewundern und an ihrem Schicksale desto innigern Antheil nehmen, weil sie mit Ergebung duldet. Was rührt' den moralischen Menschen mehr als stummes Dulden? Und was schmelzt die Herzen sicherer, als eine unterdrückte Thräne? – Wer übertreibt, sagt nichts, und alle die lärmenden Bravourarien, mit ihren Windsbräuten, faugen, quiken, brausen[266] und toben von Instrumentalbegleitung, beleidigen das reinere Gehör, übertäuben den Text und machen nicht selten die leidende Königin zum tobenden Fischerweibe. Ein einziges Rezitativ in Mozarts Pamina sagt mehr, unendlich mehr, als der überladene Wust von hundert Bravourarien jener italienischen Marktschreier, die Mozart endlich aus Thaliens Heiligthume verjagte. –

Pamina leidet, freut sich am Ziele, ja Schwermuth und Wahnsinn bemeistert sich ihrer, – und Mozart vergißt in keiner der mannigfaltigen Situazionen, daß ein gebildetes Mädchen, eine Prinzessin, alles dieses betrifft, die so gut wie andere Erdgebohrne leidet, aber ihren Kummer zu verbergen, wenigstens mit Anstand zu tragen weis. In der Szene des Wahnsinns, ohnstreitig der gefährlichsten Klippe[267] für den Tonsetzer, welche auch vielleicht jeder mehr ästhetische Dichter, als Schikaneder, ganz aus dem Charakter Pamina's weggelassen hätte, zeigt sich Mozart in seiner ganzen Größe. – Hier: »O Dolch, du bist mein Bräutigam!« hätte der Wahnsinn alle Schranken in einer Bravourarie durchbrechen können – wahrscheinlich wollte auch Schikaneder seinem schaulustigen Publikum in dieser Szene ein Spektakel geben, wollte eine Rasende sehen lassen, die die Luft mit ihren Affekten zersezt – und Mozart gab uns eine süße Schwärmerin, die wir auch mit ihrem kränkelnden Verstande lieben und bedauern. – Man vergleiche Pamina's Karakter mit dem der Königin der Nacht, oder dem der Elektra im Idomeneo. – Kurz, Pamina's Karakter ist das schönste musikalische Bild des reinsten Ideals weiblicher Grazie, sanfter Empfindungen[268] und ungetrübter Unschuld. Sie ist für jeder Tonsetzer das vollkommenste Muster schöner Weiblichkeit. – Tamino, ihr Geliebter, ein Jüngling mit allen Männertugenden und Männerschwächen, der sich durch die Sirenenstimme eines listigen Weibes zu Mord und Entführung bereden läßt, und eben so schnell durch die Weisheit der Priester, die ihm das Ziel seines Ringens immer in einer gewissen Entfernung zeigen, ins rechte Geleis geleitet wird. Thatkraft, fester Wille für das Gute liegt in seiner Seele, aber ohne Plan, ohne Richtung. Erst als er in die Lehre der Priester kömmt, wird sein Karakter entwickelt und erhält seine feste Norm. Welche Sanftheit – doch von jener Pamina's und Zoroasters ganz verschieden – ist über den Jüngling verbreitet! Welche Anmuth mit männlicher Kraft gepaart! Die Arie: »Dies Bildniß ist[269] bezaubernd schön!« Wie richtig empfunden! Der Anfang; wie aphoristisch. Das Bild sehen, und in die Worte ausbrechen: »Dies Bildniß ist bezaubernd schön!« ohne Ritornell, blos einige karakteristische Akkorde, die nur dem Sänger den Ton angeben, und die Erschütterung der Seele beim Anblick des reizenden Bildes ausdrücken, und die Worte selbst, ganz auf Art des Rezitativs behandelt, bloße Noten der Deklamazion untergelegt – wenn der erste Ausbruch der Bewunderung vorüber ist, und die Gefühle der Liebe allmählig in einander verschmelzen – von der Stelle: »ich fühls« und das fortarbeiten der Seele durch alle Nuanzirungen, bis zu der Frage: Soll die Empfindung Liebe seyn? Wie schön versteht er nicht die abwechselnden Empfindungen zu mahlen! Und endlich der Uebergang zur völligen Gewißheit: »Pamina wird auf ewig[270] dein.« Der Strom der Empfindungen wird reisender; die Pulse gedrängter, die Musik eilt in gedrängten Noten vor- und aufwärts, man bemerkt den Stufengang der Empfindungen, und wie die Seele zu jener schwindelnden Höhe des höchsten Erdenglücks exaltirt wird. Der Uebergang vom Adagio bis zum gedrängten Allegro ist so richtig gedacht; das Schwindeln und Schwärmen in dem erstem so schön vorbereitet, die motivirten Gefühle so schön durch alle Nuanzen durchgeführt, daß der Zuhörer seinen Empfindungen von einer Stufe zur andern folgen kann. Diese Arie ist ein Beweiß von der äußersten Delikatesse des Gefühls; von der Richtigkeit, von der Bestimmtheit seiner Empfindungen. Jeder andere Künstler hätte vielleicht eine Arie über den gewöhnlichen Leisten daraus gemacht; es wäre ein Allegro mit einigen Läufern, stolperndennichtssagenden[271] Passagen geworden. Aber Mozart giebt uns reines Gefühl, ohne Ueberladung, nur richtig angelegt und folglich richtig ausgeführt. – Diese Arie ist ein klassisches Modell, woran junge Tonsetzer den motiven Stufengang der Empfindungen studiren können, den unsre neuern Donauweibchen-Kompilatoren, Jungfrauenschreiber und Genossen nicht zu kennen scheinen, die uns wahre musikalische Popanze für Karaktere aufhängen.

Die sternflammende Königin – ein leidenschaftliches, ränkevolles Weib, Rachsucht in ihrer finstern Seele – wie verschieden von dem Karakter ihrer schuldlosen Pamina! – Wer verkennt gleich in der ersten Arie die listige Verführerin, die erst Schrecken, dann Seufzer und Thränen, und endlich die dringendste Aufforderunng mit schmeichelnden Versprechungen[272] anwendet, den unerfahrnen Jüngling für ihren Plan zu interessiren. – Das Ritornell mit seinen majestätisch aufsteigenden Noten feierlich in die Höhe wogend, mahlt ihr Aufsteigen von dem unterirdischen Reiche und bereuet etwas Großes vor. Tamino wird gespannt – und nun das Sirenenrezitativ: »O! zittre nicht, mein lieber Sohn, du bist unschuldig, weise, fromm.« Jetzt hat sie ihn gewonnen und fällt in die klagende Melodie ein, begleitet von dem schwermüthigen Fagotte. Wie mahlerisch beredt ist ihre Erzählung des Raubes ihrer Tochter, wie lebhaft die Unterbrechung: »Ach helft!« um dem Zuhörer neue Spannung zu geben. Und nun wieder der Rückfall in die Erzählung unisono mit dem Fagotte: »War alles, was sie sprach.« – Jetzt hat sie den Prinzen auf dem Punkte, wohin sie ihn haben wollte; jetzt wird sie[273] dringender; sie stürmt mit aller Macht der Beredsamkeit auf ihn ein, verspricht ihm den Besitz der reizenden Pamina, und verschwindet unter einem tobenden, prächtigen Orkan aller Instrumente, die, nachdem sie in der Begleitung einzelner Stellen, jedes besonders, ihre Beredsamkeit aufgeboten haben, jetzt mit vereinten Kräften hereinstürmen und den betäubten Jüngling zum festen Entschlusse fortzureißen suchen. Die Arie im zweiten Akte: »Es sterbe der Tyrann von deinen Händen« oder nach der ältern Ausgabe: »Der Höllen Rache kocht in meinem Herzen!« C moll, ist die grellste Schilderung der höchsten Wuth eines von Mordlust heisen Weibes. Alles kocht, alles siedet, tobt und schäumt; die Geigen, Bässe; die Blaßinstrumente, alles bläßt und tobt durch einander; die Rednerin selbst scheint sich im Gefühl ihrer Rache zu verwirren,[274] die Wuth läßt ihr keine Zeit, die Worte auszusprechen. Dieses giebt der Tonsetzer, indem er die Noten gleich anfangs verkürzt: »Der Höllen Ra- (und nun geschwinder) che kocht in meinem Herzen.« Hier schöpft sie Odem zu neuen Lavaströmen ihrer Wuth. – Kein Punkt, kein Seckzehntheil steht hier vergebens, und selbst die hohen Läufer bezeichnen das Wühlende, Zitternde ihrer Rache bebenden Seele. Die Pralltriller und Doppelschläge thun hier eine allmächtige Wirkung, und dann der schnelle, kurzabgebrochene Schluß, von einem Sturme der Instrumente begleitet. – Sie versinkt, die Erde scheint unter dem Hörer mit zu versinken. – Hier ist die Bravourarie im eigentlichsten Sinne an ihrem rechten Platze.

Monostatos ist ganz der niedrige feile Sklav; sein untergeordneter Karakter[275] ist im Geschmacke seiner Nazion bearbeitet, was sich in dem Liedchen: »Alles fühlt der Liebe Freuden etc.« auffallend zeigt, indem es von der übrigen Musik dieser Oper gänzlich abweicht. Die Melodie und die hohe Begleitung, die fließende Tonart C, alles karakterisirt den Mohren, der, so feig er im ersten Akte erscheint, in groben, bäuerisch imponirenden, unmelodischen Noten der Königin vorschreibt, die sich seiner Hülfe bedienen muß: »Doch Fürstin! halte Wort, erfülle! dein Kind muß meine Gattin seyn.«

Papageno ist ein ganz gewöhnlicher Alltagsmensch, und Mozart komponirte seine Liederchen so, daß sie jedermann nachsingt, tändelnd, leicht, aber nichts desto weniger wahr und gefühlvoll. Er zeichnet uns einen einfachen Natursohn, nicht einen Possenreißer, wie ihn uns die mehrsten[276] Schauspieler gegeben haben. Nirgends findet sich in der Musik eine Spur, die auf Arlekinade hindeutete; sangbare Melodie und der – wie das bei Naturmenschen gewöhnlich ist – sich schärfer markirende Ausbruch der Freude, zeigt eben keinen Hanswurst an, wozu man ihn fast allgemein herabgewürdigt hat; und wie gesagt, der Schauspieler muß ein sehr gewöhnlicher Mensch, oder besoldeter Possenreißer seyn, wenn er durch sein Spiel der Rolle das Schickliche und Anständige nimmt, welches der Komponist, freilich nur mit einem leisen Hauche, über dieselbe verbreitete.

So viel über die einzelnen Karaktere. Nun einiges über die Anlage des Ganzen. Wiederholungen zu vermeiden, werde ich mich in Bezug auf die einzelnen Karaktere, so kurz als möglich fassen.[277] In der feierlichen Ouverture – gewiß die erhabenste aller Simphonien, die je komponirt wurden – aus der erhabenen Tonart Es, ist der Eindruck, den das Ganze hervorbringt, gleich im ersten Adagio, mit wenigen, aber kraftvollen Akkorden angekündigt, und in der darauf folgenden Fuge bestimmter auseinander gesetzt. Die Instrumente sind in einem beständigen Ringen nach einem Vereinigungspunkte, und die Akkorde im mittlern Adagio, dieselben, die man in der Folge als Ruf der Priester wieder erkennt, scheinen eine Aufforderung zu neuem Kampfe, bis zum feurigen Schlusse. In der Oper selbst hat sich Mozart übertroffen, und wenn er, seinem Geständnisse nach, Idomeneo für das schönste seiner Werke hielt, so können wir ihm hierin nicht beipflichten. Die Umstände, unter welchen er Idomeneo schrieb, waren seiner Reminiszenz vielleicht[278] die angenehmste Lebensperiode, und gewöhnlich überträgt man seine Empfindungen auf das Produkt derselben, das ihnen nicht immer gleicht. Genau betrachtet, konnte auch Mozart unter jenen Umständen keine Zauberflöte setzen. Er war Liebhaber und feuriger Liebhaber, komponirte die Oper, um gefallen zu wollen; ersteres führt zu Zerstreuungen, letzteres verleitet zu Wagstücken, beide der Kunst gleich nachtheilig. Wahr ist es: Idomeneo hat mehr auffallende Stellen, er ergreift, reißt hin, und das wollte ja Mozart eben, wie ich bei dieser Oper umständlicher erzählen werde, und wovon uns gleich der abgebrochene, hereinbrausende Anfang der Ouverture überzeugt. Braußt Idomeneo wie ein Strom daher, so fließt die Zauberflöte gleich einem angenehmen Bache, in dem sich ruhig der blaue Himmel und das Bild der Sonne spiegelt. Gleicht[279] Idomeneo einer kräftig aufgeschoffenen Blüthe, so trägt die Zauberflöte das Bild der gereiften Frucht. Mozart mußte erst seine vorigen Opern komponiren, theuer eine Zauberflöte zu setzen im Stande war; alle seine frühern Werke scheinen nur Vorbereitungen zu jenem Meisterwerke und Titus sagt uns ziemlich laut: mein Vater hat sich bei der Zauberflöte erschöpft. Das Genie bringt erst seine üppigen Produkte, mit allen seinen Auswüchsen und Schönheiten, aber nur anhaltendes Studium bringt das Kunstwerk hervor. Ein vergleichender Blick auf die frühern Werke unsres Meisters, sagt uns deutlich: Sie sind, mehr oder minder, Erzeugnisse des Genies; als der überlegenden Kunst; aber die Zauberflöte ist das Werk gereifter Erfahrung, das Resultat lang vorbereiteten Studiums, ein reines Kunstprodukt. Die Ordnung der Szenen[280] und ihrer Tonarten ist regelmäßig und kein greller Abfall beleidigt das Gehör. Von der Ouverture aus Es, geht die erste Nummer in den verwandten Mollton C und schließt wieder in Es; sie scheint also mit der Ouverture ein Ganzes zu machen. Ich übergehe die mancherlei Schönheiten, die sich beim aufmerksamen Lesen der Partitur dem denkenden Künstler darbieten, weil mich dieses ins Unendliche führen würde, da sich bei wiederholtem Lesen immer neue Schönheiten darbieten. Mozart schrieb keine Note vergebens, und seine Oekonomie der Instrumenten beweißt, wie vertraut er mit den Klängen war, die er zu seinen Zaubereien so benutzte, wie sie vor ihm keiner anzuwenden verstand.

Im Marsche zu Anfange des zweiten Abschnittes, so wie in dem Gebete: »O,[281] Isis und Osiris!« und demselben Priesterchore im Anfange des dritten Akts ausD dur, herrscht der schönste gereinigte Kirchenstil, und Glucks und Händels Chöre bleiben weit hinter ihnen an edler Einfalt, Anmuth und – Bestimmtheit des Karakters zurück. Die Feuerprobe mit ihrem Chorale ist unstreitig das non plus ultra dramatischer Darstellung. Die ersten erschütternden Töne zwischen schauerlichen Pausen drücken das Zusammenschaudern des Prinzen beim ersten Anblicke der kämpfenden Elemente, und die einzelnen klagenden Zwischensätze der Flöten und Hoboen mit Begleitung des Bassons, das Gefühl der Ohnmacht, die anwandelnde Schwäche, die unmittelbare Begleiterin des Schreckens – unnachahmlich schön aus. Die rauhen, geharnischten Männer singen in langen, von der Begleitung ganz unabhängigen Noten, ihren[282] Choral: »Der, welcher wandelt diese Straße etc.« während die Bewegung der Geigen, und die haltenden Noten der Blaßinstrumente, die Unruhe der Elemente und wogende Angst des Prinzen vortreflich ausdrücken. Die Schreckensmänner scheinen in ihrem Gesange von der Angst ihres Novizen keine Notiz zu nehmen, und singen ihren Choral ruhig fort, aber mit Festigkeit. –

Ich empfehle dem Künstler, der diese Oper studiren will, daß er sich ganz in die Lage eines jeden Karakters denke, und sich die Stellen selbst vordeklamire. Er wird finden, daß sie nicht wahrer und richtiger gegeben werden können, als sie uns Mozart gab. Mit einem Male ist das Studium dieses Meisterwerks noch lange nicht vollendet, und jede neue Lesung bringt neue Ausbeute. –

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 245-283.
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