[328] Idomeneo Re di Creta

Ernsthafte Oper in drei Akten.

[328] Diese Oper macht den Uebergang aus seiner frühern in die klassische Epoche. Er schrieb sie 1781 für den Fasching in München. Den damaligen Aufenthalt in dieser Stadt rechnete er unter die vergnügtesten Tage seines Lebens, und erinnerte sich immer mit Freuden des süßen Umgangs mit vielen verdienstvollen Männern.[329]

Ohnstreitig ist diese Oper eines seiner vollendetsten Meisterwerke. Der schöne Plan des Stücks erweiterte seinen Wirkungskreis, und gab ihm Gelegenheit, dieses schöne vollendete Ganze zu schaffen.

Der Stil ist heroisch, erhaben, und in allen herrscht eine Wärme der Empfindungen, eine Gedankenfülle, die sich nur von der Jugendkraft eines Genies, wie Mozart, erwarten ließ. Alles ist hier vollendet, die Rezitative alle mit voller Begleitung ausgearbeitet, und die Karaktere mit Bestimmtheit gemahlt, mit frischen und warmen Farben kolorirt. Jedes einzelne Stück ist hier, abgerechnet seine vorzügliche selbstbeständige Schönheit, der Theil eines vortreflichen Ganzen.

Die schönsten Karaktere sind Illo, Idamante und Arbace. Leidenschaftlich[330] wild ist jener der Elektra. Ich zweifle, ob irgend in einem Werke Mozarts sich ein größerer Reichthum und in so schöner Ordnung häuft, wie in dieser Oper. Und wie viel Grazie verbindet sich mit der heroischen Pathos, welche Abwechselung! Zu wie verschiedenen Mahlereien giebt der an Stoff so reichhaltige Plan nicht Gelegenheit! Eifersucht, väterliche Zärtlichkeit, Edelmuth des Sohnes, duldende Liebe, Seestürme, Opfer, Orakelsprüche, Einschiffen der Flotte, Gefechte, Flucht vor dem Ungeheuer, Priesteraufzüge, religiöse Feierlichkeiten, alles in der regelmäßigsten Abwechselung!

Schade daß der Aufwand, den dieses Prachtstück erfordert, seiner Aufführung so oft im Wege steht. In Cassel wurde es vom Freiherrn von Apell, ins Deutsche[331] übersetzt, mit vielem Pomp gegeben; sonst macht es sich sehr selten.

Die prächtige Ouverture aus D dur, ganz in demselben heroischen Stil, wie die Oper geschrieben, mahlt Krieg und Sturm. Wild bewegen sich die Tonmassen durch einander, große Erwartungen nährend, auffordernd zum Streit in die donnernde Schlacht, zum Kampfe mit den im Sturme braußenden Elementen. Sie macht nur einen Satz ohne vorhergehendes Adagio und eilt mit Riesenschritten, wie Wetterwolken vom Sturme getrieben, daher.

Die Oper selbst beginnt mit einer einzelnen Szene. Ein Rezitativ der Ilia geht der ausdrucksvollen Arie: »Padre Parenti« (g moll) voran. Welche süße Schwermuth und wie viel Wahrheit liegt[332] bei den Worten: »grecia caggion tu sei« in dem Uebergange insB dur!

Indem ich mich begnüge, mit Uebergehung vieles Vortreflichen nur auf einige vorzügliche Stellen aufmerksam zu machen, bemerke ich besonders das erste Final mit den Chören der Argonauten. Welcher Tumult! welch ein kriegerischer Lärmen! Wie drängen sich die Instrumente an einander! welche Beweglichkeit in den Saiteninstrumenten! Die Wirkung des schnellern Zeitmaßes gegen das Ende ist außerordentlich.

Und nun der Anfang des zweiten Akts mit der sanft schmeichelnden Arie des Arbace: »Zefiretti lusingheri etc.« (E dur).

Das große Quartett in demselben Akte aus Es dur, ist vielleicht das schönste[333] seiner Gattung aller Zeiten und Meisters. Die Thesen seiner Harmonien sind unergründlich; sein Stil der erhabenste, und die Oekonomie der Stimmenvertheilung das Resultat des reifsten Nachdenkens, seine Verwebung beinahe unerforschlich.

Der Chor der Schiffer: »Placido e il mare andiamo tutti ci rasicura« (6/8 E dur) Solo, nach welchem er wiederholt, ist der reinste Abdruck der ruhigsten, heitersten Seele; man scheint die blaue Spiegelfläche des stillen, wellenlosen Meeres vor sich zu sehen, mit dem Boot über ihre Fluthen zu gleiten1. Bemerkbar macht sich besonders die Stelle am Schlusse: »Su su partiam or or« Welches Hingleiten, welch sanftes Wallen.[334] Die Klarinetten mit den Fagotten koloriren dieses heitre Gemählde vorzüglich.

Wie verschieden von diesem ist der tumultuirende Schlußchor des zweiten Finals: (6/8 G moll) »corriamo fuggiamo ce mostro.« Schöner konnte die allgemeine Bestürzung ohnmöglich ausgedruckt, die Verwirrung nicht treffender fugirten Chore und in der sonderbaren, ungewöhnlichen Takart. Das Ineinandergreifen, Abfällen, Einsetzen und Nachahmen der Stimmen unter- und miteinander reißt zum Erstaunen hin, und wie allgewaltig ergreift es seine Hörer! Man wird mit dem Tonstrome fortgerissen, fühlt sein ganzes Selbst in ängstlicher Eile vorwärts getrieben, und schöpft, wie von einer großen Angst befreit, erst mit dem Fallen der Gardine[335] beim Schlusse dieses furchtbaren Chöres, wieder Odem ...

Der dritte Akt ist nicht minder reichhaltig an Schönheiten und interessanten Situationen, vorzüglich die Szene mit Idomeneo und dem Oberpriester, die Auftritte im Tempel etc. Der Orakelspruch Neptuns lößt endlich den Knoden. Der Schlußchor ist eines der erhabensten und feierlichsten, und – was auch die größten Komponisten bei ihren Schlußchören vergessen – die Oper bleibt sich bis zur letzten Note gleich kein verrücktes Tempo, keine üppig auswachsende Melodie vernichtet hier die erhabenen Eindrücke; edle, anständige Freude, Jauchzen des Volks beschließt das heroische Stück.

Fußnoten

1 Sein Eindruck war bei mir so lebhaft, daß so oft ich bei heiterm Himmel eine Wasserfahrt machte, ich auch jedesmal unwillkührlich seine Melodie sang.

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803.
Lizenz:
Kategorien: