IV.

Karakteristik seiner Melodien.

[169] Mozarts Melodien haben außer dem Reize der Neuheit noch den wesentlichen Vorzug einer außerordentlichen Sangbarkeit. Keine Uebertreibung, keine Ueberladung stört ihren süßen Zauber. Hierin erwarb er sich vorzüglichen Ruhm. Die Leichtigkeit seines Gesanges, die ganz der Natur abgeborgte Tonfolge, die unser Gehör an ihrem sanften Rosenbande durch die Labyrinthe der harmonischen Konstruktion leitet, verdient des Aesthetikers ganzen[170] Beifall. Der Gang seiner Melodien ist äußerst einfach, blos deklamirte Empfindung. Die Singstimme spricht, während die begleitenden Instrumente die innern Gefühle prononziren. Kein Tonsezzer ist freier vom Fehler überladener Melodie, als Mozart. Die Melodie wird bei ihm blos der Herold des Orchesters.

Mozart wußte, daß stumme (gesanglose) Musik immer nur unbestimmte Gefühle mahlen kann. Das Geräusch eines Donnerwetters kann ohne Text eben so gut für das Getümmel einer Schlacht gehalten werden, wenn der erläuternde Text unsre Empfindungen nicht auf den richtigen Standpunkt führt, und eine zu ausdrucksvolle Melodie wird im Gegensatze gemeiniglich nichtssagend. Nichts schadet der prononzirenden Melodie mehr, als Ueberladung, sowie im Gegentheile nichts[171] fähiger ist, unsrer Seele den höchsten Stimmungsgrad zur erhabenen Pathos zu geben, als einfach fließender Gesang: und hierin liegt auch die Ursache, warum Choralmelodien so sehr unser Herz erheben, und das Gefühl der Andacht im verhältnißmäßigen Grade vermehren, je älter sie sind. Wir finden bei den Alten, wo das Herz die Melodien machte, die herzlichste, edelste Simplizität, welche allein im Stande ist, den Empfindungen den höchsten Schwung zu geben. Daher der ewige Beifall der altrömischen Chorale, vorzüglich der Hymnen der Katholiken, (wenn sie richtig gesungen werden) und die zunehmende Kälte gegen mehr mit durchgehenden Noten ausgemahlte Chorale aus neuern Zeiten.

Man lerne die Behandlung der erhabensten Einfachheit der Melodien in den[172] Chören der Zauberflöte: »o Isis« – in dem Marsche und der Feuerprobe, wo er blos seinen Text unter die Noten des alten Chorals »O Gott vom Himmel sieh darein!« legt.

Diese natürliche Tonfolge in allen seinen Melodien, diese Reinheit des Gesangs, die sich so leicht unsern Empfindungen anzuschmiegen weis, und unbemerkt sich unsrer ganzen Seele bemeistert, ist es, was ihm ewigen Beifall erwirbt, ist das Band der Anmuth, das er geschickt um die kraftvolle Base der Harmonie zu winden verstand.

Mit richtigem Geschmacke führte er den Gesang seiner anspruchslosen Mutter, Natur, zurück. Er war der erste, der es wagte, dem italienischen Singsang zu trotzen, alle unnützen karakterlosen[173] Gurgeleien, Schnörkel und Passagen zu verbannen. Daher ist sein Gesang überall einfach, natürlich, kraftvoll, ein reiner Ausdruck der Empfindung.

Hierin lag auch hauptsächlich die Ursache der Abneigung der italienischen Sänger gegen seine Werke; eine noch stärkere war die Mühe, die es ihrer Unwissenheit kostete, seine Gesänge einzustudiren. Bisweilen, besonders in seinen frühern Werken, wo er noch um die Gunst des Publikums buhlen und seinen Vorurtheilen opfern mußte, hat er zwar von diesem Grundsatze eine Ausnahme gemacht, aber man merkt es ihm auch jedesmal an, wie ungern er dieser Gewohnheit fröhnte, und wie sehr er verstand, auch sie zu veredeln. Ich beziehe dieses vorzüglich auf die sogenannte Szene in der Oper, wo die Prima Donna sich besonders in Trillern und Läufern[174] dem Publikum bemerkbar macht, was schon bei italienischen Opern an der Tagsordnung ist und in die Deutschen Singspiele übergetragen wurde. Mozart war bei dergleichen Arbeiten nicht Herr seiner Arbeiten. Er mußte gegen die Sänger gefällig sein, wenn er nicht wollte, daß man ihm das ganze Werk verderbe.

Auch der Direkteur bestellte dergleichen, um das einmal daran gewöhnte Publikum zu befriedigen, das in Wien, wie in Italien, auf die Szene der Prima Donna den alleinigen Augenmerk richtet. So schrieb er die zwei schweren Arien voller Läufer und schweren kunstreichen Stellen in der Zauberflöte für seine Schwägerin Hoffer, welche als Prima Donna in der Rolle der sternflammenden Königin glänzte. Einer ähnlichen Gelegenheit verdankt die Szene im Idomeneo: qual mi[175] conturba i sensi etc. ihr Daseyn. Das Duett in der Zauberflöte: »wer zärtlich liebt, kann nicht betrügen.« (Bei Männern welche Liebe fühlen) mußte er mehr als sechsmal umarbeiten, ehe es Schikanedern recht war. Ich könnte noch eine Menge Beispiele dieser Art anführen. Man müßte immer die Sänger kennen, für welche, und die Umstände, unter welchen Mozart schrieb, um ein genaues Urtheil über seine dramatischen Werke zu fällen. Dann würde der ungenügsame Kritiker oft vergeben müssen, wo er gierig die Gelegenheit erhascht, einen Fehler – wenn es erst einer ist – zu rügen.

Mozart war bei seinen Arbeiten so gut, wie jeder andre durch Verhältnisse gebunden, und mußte sich, gleich unserm guten Vater Hiller, als er die Jagd komponirte,[176] nach den Kehlen seiner Zauberflötensänger genieren. Daher findet man auch, daß er in den Opern, die er nicht für Wien oder München schrieb, weit frei er gearbeitet hat, als in jenen. Selbst jene Szenen wußte seine Meisterhand so schön zu bearbeiten, daß sie kein auffallendes Einzelne im Ganzen ausmachten, sondern sich diesem, wohlverarbeitet, anschmiegten. Eine Szene liegt freilich fast in jeder Oper, zwei in mehrern, wie in der Zauberflöte, im Don Juan und Idomeneo, und dennoch glaubt man, sie gehören zum Ganzen, weil er nicht, wie die Italiener, einem, sondern allen Sängern Gelegenheit giebt, sich zu zeigen. Im Don Juan ist die eigentliche Szene im dreizehnten Auftritte des zweiten Akts (No 10.) für Donna Anna, und wahrlich die Sängerin kann sich darin zeigen! Auch erregte ihr Vortrag den Neid der Sängerin der Elnire,[177] für welche Mozart späterhin noch eine besondre komponiren mußte, die im ersten Akte zwischen dem sechsten und siebenten Auftritte eingelegt wird, sich in den geschriebenen Partituren nicht, und in der splendid gedruckten (bei Breitkopf und Härtel) im Anhange findet. In quali eccess o Numi! fängt das Rezitativ an, und die Arie: Mi tradi quell' alma ingrata.

Man fühlt, daß er in diesen Szenen etwas besonderes sagen wollte, gleichwohl sind sie mit dem Ganzen so vortreflich verweht, daß sie immer nur Folge des Vorhergehenden scheinen. Man nehme dagegen, wie die Szenen bei Paesiello und Dittersdorf von der ganzen übrigen Oper abstechen. Die einzige Szene ist dort alles und gegen sie oftmals die ganze Oper nichts. Am lebhaftesten fühlt[178] man dieses im Hieronymus Knicker. Wie grell hebt sich Rosinens: »Himmel! wie trüben sich meine Sinnen!« und das dazu gehörige Rondo: »Hoffnung, Labsal meiner Seele« vor den übrigen heraus und wie sticht es mit dem gleich darauf folgenden Sala ma mi lecca ab. Es scheint, als hätte Dittersdorf die ganze Oper blos um der Szene willen komponirt.

Vernachläßigung der Annehmlichkeit ist bei der Melodie desto unverzeihlicher, wenn ein Tonstück zur Begleitung einer Singstimme verfertigt ist, und es fällt dem geübtesten Sänger wie dem ungeübtesten Hörer gleich schwer, große Sprünze in Tönen und ungewöhnlichen Intervallen zu singen, als zu hören. Die menschliche Stimme scheint von Natur eingerichtet, den Komponisten zu lehren, was dem Ohre angenehm sey, oder nicht. Und[179] wer sang der Natur getreuer nach, als unser Mozart? Wer goß die Melodien schöner durch die Harmonien als er? Welches Anschmiegen, welche Innigkeit mit Stimme und Akkompagnement!

Als schöner Künstler darf sich der Tonsetzer nicht mit bloßer Hervorbringung der Gefühle begnügen, sondern er bringe sie auf eine solche Art hervor, daß die Erregung derselben alle Gemüthskräfte des Menschen schön beschäftige. Seine Art, Gefühle zu erwecken, sei schön. Gesetzt er wählte auch eine nicht ganz willkommene Art von Gefühlen, z.B. die Schwermuth, Verzweiflung; so wird der Zuhörer, ungeachtet des Unangenehmen, welches dieses Gefühl hat, sich von dem Tonkünstler doch gern in dasselbe versetzen lassen, denn unter der Weisheit des Künstlers wird selbst das Unangenehme ein Gegenstand[180] des Wohlgefallens. Die Form des Kunstwerks, unter welcher es vor der Seele erscheint, vergütet alles, was in dem Gegenstande vielleicht mißfällig wäre; nur die Unvollkommenheit des Gegenstandes kann sie nicht ersetzen. Denn um in ein gewisses Gefühl versetzt zu werden, bedarf es nicht eben der Tonkunst. Die Nachricht vom Absterben eines geliebten Freundes, ein empfindlicher Verlust am Vermögen, und hundert andre traurige Begebenheiten machen uns wehmüthig. Allein, diese Gefühle sind nicht zugleich schön; und es ist schon ein beträchtlicher Unterschied zwischen einem angenehmen aber nicht schönen; ein noch größerer aber zwischen einem unangenehmen aber schönen Gefühle.

Man nehme eine Schreckensszene aus Mozarts Werken, wo man will, heraus,[181] und prüfe, ob sie unästhetisch ist. Selbst die Gefühle der Raserei wußte er ästhetisch zu schildern. Der Tonkünstler, als schöner Künstler muß also die Gefühle nicht nur schön schildern, sondern seine Darstellung muß auch überhaupt alle erforderlichen Momente des Wohlgefallens in sich vereinigen. Selbst die Darstellung minder angenehmer Situationen muß in der Musik ästhetisch modifizirt werden, daß der Hörer, nebst der Empfindung, die ihm geboten wird, zugleich das ästhetische Wohlgefallen in sich nicht vermisse, mit einer Art von Wollust selbst an den Schilderungen des Schmerzens hange, den Ausbruch des Zorns empfinde, ohne doch wirklich darüber empört zu werden. Wir sehen Donna Anna im wilden wahnsinnigen Schmerze von der Leiche ihres Vaters zu dem Octavio eilen, ihn zur Rache auffordern, hören die Ausbrüche ihrer wilden[182] Leidenschaft und – hören sie, von Mozart geschildert, gern. Elektra rast und wir versagen dem Künstler den gerechten Beifall seiner ästhetischen Darstellung einer so unästhetischen Leidenschaft nicht. Konstanze klagt; wir fühlen, wie sich unsre Brust mit der ihrigen erhebt und trinken mit süßem Schmerze die addischen Töne ihrer Wehmuth. Der Wüstling Don Juan bramarbasirt, und wir können ihm in Mozarts Melodien nicht gram sein. – So weis der schöne Künstler auch das minder Schöne mit dem Gewande des Schicklichen und der Grazie zu überhüllen. Er versteht unsre Gefühle zu bestechen, indem er der eigentlichen Empfindung die uneigentliche unterlegt.

Was ich von der Melodie seiner Singstimmen sagte, bezieht sich eben so wohl auf die seiner Quartetten, Klavierstücke,[183] und aller übrigen textlosen Piecen. Allenthalben weht der reinste Odem der Natur, überall ihre sanften gleichschwebenden Töne! Welche schöne vertheile Himmelsmelodien in seinen Quartetten, welche Sangbarkeit in allen seinen Tonstücken! Aber dennoch findet man, daß dramatische Tonkunst Mozarts eigentlicher Beruf war.

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 169-184.
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