Le nozze di Figaro

[336] opera buffa in 4 Akten.

(Komponirt 1786 auf Befehl Kaiser Josephs für die italienische Oper in Wien.)

Damals machte Beaumarchais Lustspiel: Figaro, sein Glück, und war der Klepperhengst aller Theater. Mozart ward vom Kaiser Joseph bestimmt, ihm, in eine italienische Oper umgeschaffen, auch auf Welschlands Bühnen durch seine Musik Zelebrität zu verschaffen.

Es ist bekannt, daß die italienischen Sänger durch vorsetzliche Fehler sich alle ersinnliche[337] Mühe gaben, diese Oper bei ihrer ersten Vorstellung zu stürzen, und daß Mozart nach dem ersten Akte voll Verlegenheit in die Loge des Kaisers kam und ihn darauf aufmerksam machte, der die Sänger durch eine ernste Warnung zu ihrer Pflicht verweisen ließ.

1787 wurde sie von Bondinischen Gesellschaft in Prag auf die Bühne gebracht und gleich bei der ersten Vorstellung mit außerordentlichem Beifall aufgenommen, und den ganzen Winter fast ununterbrochen gespielt. Durch sie half sich Bondini aus seiner damaligen Verlegenheit. Der Enthusiasm, den sie beim Prager Publikum, das überhaupt Mozarts Komposizionen vorzüglich schätzte, anfachte, war bisher ohne Beispiel. Man konnte sie nicht genug hören. Bald ward sie von dem geschickten Klavierspieler Kuharz in einer Klavierauszug[338] gebracht, in blasende Parthien, in Quintetten für Kammermusik, in teutsche Tänze verwandelt. Figaro's Gesänge wiederhollten auf allen Gassen, in Gärten, und der Harfenist bei der Bierbank mußte sein non piu andrai ertönen lassen, wollte er gehört werden. Der Grund dieses allgemeinen Beifalls lag freilich gröstentheils in der Vortreflichkeit des Werkes selbst, aber nur ein Publikum, wie das Prager, welche so vielen Sinn für die Tonkunst, so viele gründliche Kenner besitzt, konnte den Werth dieses Aufwands von Melodie und Harmonie empfinden. Auch gehört hiezu das unvergleichliche Orchester, welches die Ideen Mozarts so genau auszuführen verstand. Auf diese verdienten Männer, wenn schon keine Konzertisten, doch desto bessere Orchestersubjekte, machte die neue Harmonie, der feurige rasche Gang des Gesanges den ersten und tiefsten Eindruck.[339] Der verstorbene, rühmlichst bekannte Orchesterdirektor Strohbach versicherte oft, daß er samt seinem Personale bei der jedesmaligen Vorstellung so sehr in Feuer gerathe, daß er, trotz der mühsamen Arbeit, mit Vergnügen von neuem wieder anfangen würde. Die Bewunderung für den Verfasser dieser bezaubernden Musik ging so weit, daß Graf Johann Thun, ein großer Kenner der Musik, der selbst eine vortrefliche Kapelle unterhielt, ihn nach Prag einlud und ihm Wohnung, Kost und alle Bequemlichkeiten in seinem Hause anbot. Mozart, zu sehr über die Wirkung seiner Musik auf die böhmische Nazion erfreut, begierig, ein Volk mit solch einem Tonsinn kennen zu lernen, ergriff die Gelegenheit mit Freuden. Am Tage seiner Ankunft in Prag (im Februar 1787) wurde Figaro gegeben. Mozart erschien darin. Schnell verbreitete sich der Ruf von seiner Anwesenheit[340] im Parterre; so wie die Ouverture zu Ende ging, applaudirte ihm das gesamte Publikum.

Und wenn man beim Eintritte ins Schauspielhaus nicht wüßte, daß eine Opera buffa gegeben würde, so wüßte man es an der Ouverture hören. Sie karakterisirt das ganze Stück. Der tändelnde Anfang ist überraschend; das Ganze ein Spiel der schönsten, muthwilligsten Laune. Man sieht den verschmitzten Figaro mit seinen Sprüngen und Wendungen darin, ehe sich der Vorhang eröffnet. Alles wirbelt und paukt durch einander; die Gedanken drängen sich und geben das treuste Bild froher Laune.

Dieses Tändeln geschieht aber nicht auf Kosten der Gründlichkeit. Vielmehr wußte Mozart mit dieser Anmuth so viele Kraft zu verbinden, daß Kenner und Liebhaber[341] vollkommen befriedigt werden. Die Finals und Sextetts in dieser Oper sind unnachahmlich und voll tönender Harmonie. Figaro hat besonders den Vorzug, daß die mehrsten Szenen für den Gesang bearbeitet sind, was ihn an Terzetten, Duetten, Quartetten und Sextetten vorzüglich reich macht. Das Genie des Künstlers erhielt dadurch Gelegenheit, sich auszubreiten und dem Ganzen mehr Einheit und Bestimmtheit zu geben.

Gewiß ist diese Oper klassisch, und das schönste Muster komischer Singspiele.

In Ansehung ihrer Anlage, ihres Zusammenhangs, der Ausführung der Karaktere, steht sie dem Don Juan weit vor. Das starke Personale bietet eine Menge verschiedener Karaktere dar, und wie richtig sind sie durchdacht, wie fein behandelt, vom[342] Haupt-Karakter des Figaro bis zum episodischen Hannchen.

Figaro. – Leichtigkeit, Leben, Frohsinn mit Schlauheit gepaart, sind die Hauptzüge, welche sich gleich in der ersten Arie, sowohl durch die Wahl der Takt-als Tonart und Instrumentazion deutlich heraus heben. – Figaro's Parthie hat gewöhnlich Tanzmelodien. – So die Arie: (No. 3) »Si vuol ballare il conte Almaviva,« (Will der Herr Graf ein Tänzchen wohl wagen?) Der Anfangssatz ist 2/4 Takt, die Tonart das sanfte f dur und die Instrumentazion blasend, ohne Saiteninstrumente. Erst im zweiten Abschnitte 2/4


»Man muß im Stillen,

Nach seinem Willen

Menschen zu lenken,

Die Kunst verstehn1
[343]

treten die Geigen kraftvoll ein. Figaro, über seine Schlauheit mit sich selbst zufrieden, fällt nach der ernsten Lehre der vorigen Stanzen in die erste Tanzmelodie mit den Blasinstrumenten, und wiederholt sein: »Will der Herr Graf ein Tänzchen wohl wagen?« Dann die Arie im vierten Akte: »Oeffnet eure Augen, arme betrogne Männer!« Selbst dem Verdruße wußte Mozart den Anstrich von Laune zu geben; der leichte Figaro satirisirt über sich selbst. Wie unendlich verschieden ist seine Eifersucht von jener des Grafen Almaviva! Wie gravitätisch zeigt sich dieser Spanier, z.B. in der Stelle im Terzett: »Geschwind die Thür geöffnet!« (Tempo di menuetto C dur.) Die Geigen fangen in der Tiefe mit Pralltrillern an, und wirbeln sich in demselben Verhältnisse hinauf. Am schönsten ist er im Final des zweiten Akts, und im großen Sextett des dritten, behandelt.[344]

In dem Richter Don Curtio hat Mozart seiner Satire ungezügelten Lauf gelassen. Unwissenheit bläht sich mit der Würde ihres anvertrauten Amtes, und sagt mit feierlichstem Ernst – allgemein anerkannte Abgeschmacktheiten. Man nehme die Arie aus D dur, und man kann sich des Lachens nicht enthalten, mit welcher Gravität, mit welchem Bombast von Instrumenten die Stelle aufgeführt ist: »Sich zu rächen, welche Wollust für den Weisen!« Und dabei sieht es im Akkompagnement so konfus aus, wie im Kopfe des dummstolzen Amtmanns. Menschen solcher Art blähen sich nirgends mehr, als wenn sie Gelegenheit finden, die Würde ihres Amtes, gestützt von ihrer Oberherrschaft, gegen Schwächere zu mißbrauchen, wie der Fall im Final des zweiten Akts ist, wo er als Maschine des Grafen mit diesem auftritt und dummblähend sein Amt verwaltet.[345] Es ist der vorletzte Satz, wo das Final in Es dur modulirt, in welchem Mozart die Gravität dieser erlauchten, wohlweisen Gerichtsperson persiflirt. Die ernste Tonart ist komisch behandelt und die Melodie, ln ungleicher Bewegung fortrückend, gibt ein groteskes Bild lächerlicher Amtswürde.

Basilio's niederträchtiger, kriechender Karakter liefert ein bedeutungsvolles Gegenstück zu dem vorhergehenden. Eben so abgeschmackt wie jener, aber kriechend, geschmeidig, weil er nicht das Ansehen des Erstern hat, macht er den Liebediener von dem Grafen, den Kuppler und verschießt seine Bolzen. Mozarten scheint bei Bearbeitung dieses Karakters irgend ein Musikmeister – ich möchte wohl sagen, der italienische Kapellmeister eines gewißen Hofes – der seine mittelmäßigen Talente[346] mit vollen Backen auszuposaunen versteht und gegen seine Obern sich schamlos der niederträchtigsten Kriecherein erlaubt – ein Kapellmeister Nebel in Islands Bewußtseyn – zum Modell gedient zu haben. In seiner Arie im dritten Akte(B dur) in den Jahren, wo die Stimme der Vernunft vergebens spricht, liegt der ganze Kubus seines Karakters, Feigheit, Schmeichelei und Arroganz. Die abgestoßenen Violin-Noten des Akkompagnements benehmen dem kühnen Gange der Melodie alle Kraft, und scheinen die Worte Lügen zu strafen.

Der Page Cherubino ist eines der schönsten Gemählde in der Gallerie unsres Raphaels. Welches Schmachten, welche Sehnsucht! Und wie verschmelzt der zum Jüngling heranreifende Knabe zwischen Mann und Weib! Seine Melodien führen[347] einen sonderbaren Karakter. Es athmet in ihnen die emporkeimende Kraft des Jünglings, von jungfräulicher Schamhaftigkeit gebunden. Der Knabe fühlt, lernt seine Bestimmung – in der Schule lüsternen Weiber, – kennen, seine Erfahrungen sind seinem Alter vorgerückt, wollüstige Glut hat sein Herz entzündet, und nach kann er sie nicht stillen. Er wünscht der Zeit Flügel, um alles genießen zu können, was er, aus dem bereits Erfahrnen, ahnet. Wie mahlt sich alles dieses in der schmachtenden Arie: »Voi che sapete ch'e cofaeamor,« (Die ihr der Liebe Quaalen kennt.)

Der Karakter der Gräfin, wie schön ist er behandelt! – Betrogne Hoffnungen, Kummer, freudenleere Tage, getrübt von der Eifersucht eines Mannes, der sie mit Liebe täuschte, und – betrog! Wie[348] schön wußte Mozart den Ausbruch dieser Gefühle in dem edeln Karakter zum Theilnehmen erweckenden, erhabenen Dulden zu verwandeln! Wie edel und mit welcher Delikatesse ist diese Parthie behandelt! Zum Beleg mag die unvergleichliche erste Arie des zweiten Akts aus Es dur: »Reich, o reiche mir die Schaale!« dienen. Selbst durch die lärmenden Finals, wenn der Strudel verworrener Gefühle alles mit sich fortreißt, bleibt er sich gleich, durch die ganze Oper gut gehalten; selbst bei der verfänglichen Situazion, wo sie zum Abentheuer willigt, mit welchem die Treue der Männer probirt werden soll, entschließt sie sich nur schwer, und man fühlt, wie viel Ueberwindung ihr dieser Entschluß kostet. Unter allen weiblichen Karakteren, die Mozart zeichnete, ist dieses der vollendetste und edelste.[349]

Susanne, das verschmitzte Kammermädchen, eine Zerline im Umgange mit der Welt, mit ihren Fehlern und Schönheiten bekannter, weiß ihren Mutterwitz besser zu brauchen, und handelt mit mehrerer Umbefangenheit; der Schleier erborgter Unschuld ist durchsichtiger, als bei jener. Das Duett mit Marzelline im ersten Akte (A dur) wo sich die eben so treffend gemahlte Haushälterin mit ihr zankt, und die beiden ein ander ziemlich plebeg – doch aus der Natur solcher Geschöpfe gegriffen – persifliren und mit steigender Galle auslachen, liefert die deutlichste Uebersicht beider Karaktere.

Hannchen ist das weibliche Gegenstück des Cherubino, und wenn schon als Gegenstück in schwächeres Licht gestellt, dennoch verhältnißmäßig ausgeführt. Ihre kleine Ariette, mit welcher der vierte Akt beginnt[350] (F moll) paßt in der Wahl der Tonart des Zeitmaaßes, völlig, zu jener, jungen Mädchen in gewissen Jahren, ehe sie zur Liebe völlig erwachen, karakteristisch eigenen ängstlichen Verdächtlichkeit. Und wie artig wußte Mozart das Suchen an der Erde zu mahlen! (Sie sucht eine Stecknadel) »J'ho perdutto me meschina,« »Ach verlohren meine Nadel!« Die Melodie kriecht nur unmerklich vorwärts, wiederholt sich, faßt die kaum gehörte Notenfigur wieder auf, wie einer, der etwas sucht und immer wieder auf den Platz sieht, den seine Augen kaum verlassen haben, als müsse er es da und nirgend wo anders finden. Nur bei der Stelle, wo ihr einfällt, was der Graf, was ihre Pathe darüber sagen werde, erschrickt sie; die Noten werden geschwinder, die Melodie drängt sich im Verhältniß mit dem Vorhergehenden bei den Worten: »e il Signor!« (und der[351] Herr Graf!) Aber sie findet nicht, was sie sucht, fällt in ihre vorige Trostlosigkeit zurück, und schließt ihre Ariette so traurig, bedächtlich, schleppend, als sie begann.

Ueberhaupt verdient diese Oper wegen der glücklich behandelten Nuanzirung ihrer Karaktere, deren fast jeder sein Seitenstück darin findet, vorzüglich studirt zu werden. Man halte z.B. Don Curtio und Basilio, Susanne und die ältere Marzelline, Cherubin und Hannchen, die Schilderung der Eifersucht des Grafen und Figaro's gegen einander. Welche herrlich nuanzirte Farbengebung im Verhältniß zum Ganzen!

Italienische Komponisten begnügen sich bei ihrer Opera buffa dem leichten plappernden Gesange, ein eben so gehaltloses[352] einzelnes Akkompagnement unterzulegen. Vetrachtet man dagegen die Volltönigkeit der Instrumentazion, den schön geregelten Kontrapunkt, der den Quartetten und Sextetten hier zum Grunde liegt, die unüberzählbare Menge komischer Gedanken und Mahlereien, und dabei die ganz einfache sangbare Melodie, so tändelnd, anschmiegend, so leicht zum Nachsingen – aller Wust italienischer Buffonaden sinkt in sein alles, längst verdientes, Nichts. Hier ist keine Wiederholung, keine ekelhafte Monotonie, womit die Cimarosa's und Trajetta's, Paesiellos und Bertonis langweilen, alles athmet hesperische Fülle und Neuheit; Blüthe drängt sich an Blüthe; wohin man blickt, lacht Jugend und Frühlingsheiterkeit aus dem schönfarbigen Bilde.

Nach dem ersten Klavierauszuge des Herrn Kuharz, erschien einer von Nerfe[353] bei Simmrok in Bonn; welches ohnstreitig der vollständigste und beste ist. Unter den Verdeutschungen kömmt die Freiherrl. von Kniggische; welche auch diesem Auszuge untergelegt ist, dem italienischen Original am nächsten.

Fußnoten

1 Nach Verdeutschung des Freiherrn von Knigge.


Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 354.
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