Brüssel.

[21] Das Theater in dieser Stadt ist eines der feinsten, die ich noch diesseits der Alpen gesehen habe. Es ist nach italiänischer Art gebauet; hat fünf Ranglogen, neunzehn in jedem Range, und in den meisten können sechs Personen neben einander sitzen. Im Parterre sind Bänke, wovon fünf oder sechs zum Behuf der Fremden abgesondert sind, welche sonst Gefahr laufen würden keine gute Plätze zu bekommen, weil die Logen gemeiniglich abonirt sind.

Das Orchester in diesem Theater ist über ganz Europa berühmt. Es sieht gegenwärtig unter der Direktion des Herrn Fitzthumb, einem sehr thätigen und einsichtsvollen Capellmeister, der den Tackt führt, und unermüdet über Zucht und Ordnung hält; und unter dem Herrn Vanmaldere, Bruder von dem Komponisten dieses Namens, dessen Sinfonien in England sehr bekannt sind. Der Herr Vanmaldere führt seit dem Tode seines Bruders mit der Violine an, obgleich das Violonschell eigentlich sein Instrument ist.

Das Stück, welches diesen Abend, den 15ten Jul. 1772. aufgeführt wurde, war Zemire und Azor, eine Art von weinerlichem Lustspiel, von Marmontel, die Musik von Gretry; es ist mit Arien und Tänzen untermischt. Da das Drama französisch ist, so ward es auch nach französischer Weise ausgeführt, und folglich vielen Kritiken unterworfen. Als Opera betrachtet,[22] könnte man folgende Abtheilungen machen: Poesie, Musik, Singen, Agiren, Tanzen, Orchester, Theater, Scenen und Dekorations; und nach der Billigkeit muß ich sagen, daß das Meiste daran gut war; jedoch will ichs Stück vor Stück durchgehen, denn ein Werk, wie dieses in Bausch und Bogen abzufertigen, und zu sagen, es war im Ganzen betrachtet, sehr gut, schlecht oder mittelmässig, wäre eben so ungerecht als geschmacklos. Der Stoff der Poesie ist ein Feenmärchen, welches mit grosser Kunst, Geschmack und Genie in ein anziehendes Drama verwebt, und seines feinen und eleganten Verfassers völlig würdig ist. Wenn es indessen erlaubt wäre1, an der Vollkommenheit einzelner Theile in einem Werke eines so geschickten Schriftstellers zu zweifeln: so könnte man vielleicht sagen, daß einige der Arien, wenn man sie mit Metastasius seinen vergleicht, die in diesem Punkte das Muster der Vollkommenheit sind, zu reich an Worten und Bildern wären, um die nöthige Simplicität zu behalten; es fiel mir auch als eine Unschicklichkeit auf, daß die Tochter eines grossen persischen Kaufmanns mit dem Sclaven ihres Vaters zwey oder drey Duetts zu singen hatte; ferner sind einige Stellen zum Singen gegeben, die in dieser Art von Drama gesprochen werden sollten, besonders der letzte Auftritt im ersten Akt.

Die Musik dieser Oper, ist überhaupt vortreflich; die Sinfonie ist feurig und voll schöner Züge; die Ritornelle und übrigen Instrumentalsätze sind[23] voller neuen Ideen und Bilder. Freylich gränzten hin und wieder die Arien, unter den treuen Beystande des Singens, ein wenig zu nahe an den alten Styl der französischen Musik. Indessen ist die Musik häufiger italiänisch, als französisch; und die Begleitungen sind gut gewählt, zugleich voll und durchsichtig, wenn ich mich eines Ausdrucks bedienen darf, mit dem ich so viel sagen will, daß der Gesang nicht übertäubt, sondern deutlich durch zu hören ist.

Das Singen kann man geradezu mittelmässig nennen: es kamen drey weibliche und drey männliche Stimmen vor, wovon keine einzige gut war; da war niemand der einen Triller hatte, oder Ton halten konnte. In England würde man höchstens davon sagen, es wären hübsche Bänkelsänger.

Mademoiselle Defoix, welche die Zemire machte, hatte Etwas, das einer Fertigkeit der Kehle nahe kam, und dabey ziemlichen Umfang; bey diesen Vorzügen war aber ihr Vortrag wankend und unbestimmt.

Das Agiren war, überhaupt genommen, schön, voller Anstand und Leichtigkeit.

Das Tanzen unter der Kritik.

Das Orchester ward vortreflich angeführt, und die Capelle war, als ein Ganzes betrachtet, zahlreich, geschickt, correkt und aufmerksam: einzeln aber waren die Waldhörner schlecht und verstimmt; und dieses war zu merklich in der Hauptarie des Stücks, da sie in verschiedenen Entfernungen von den Zuhörern das Echo nachzuahmen[24] hätten, welches von den Felsen in einer wilden und wüsten Scene herkommen sollte. Der erste Klarinettist, welcher die Hoboparthie bließ, war zwar recht sehr gut, sein Instrument stund aber den ganzen Abend durch zu hoch, und die Bässe, welche alle an einem Ende des Orchesters gestellt waren, spielten so stark, daß es mehr dem Rollen des Donners, als musikalischen Tönen glich. Vier Contreviolons waren zu viel gegen die übrigen Instrumente. Ein Clavecin hatte man nicht, vielleicht war keins nöthig, weil nur zwey Recitative vorkamen, die noch dazu mit Begleitung waren.

Das Theater hab' ich schon oben beschrieben, und ich habe nur noch hinzu zu fügen, daß es hoch und edel ist; allein, ob es gleich nach einem italiänischen Model gebauet worden, so steht es doch an Grösse den meisten italiänischen Theatern weit nach. Die Scenen und Dekorations, waren reich, gut erfunden, und schön gemahlt.

Den 16ten Julii. Diesen Abend ward nach einer artigen Komödie von Boissy, genannt le mercure gallant, le Huron sehr gut agirt, und armselig gesungen. Indessen war die kleine Defoix welche gestern die Rolle der Zemire machte, hier mehr an ihrer rechten Stelle; weil alle ihre Arien ihren Kräften angemessen waren. Sie ist vielweniger französisch in ihren Manieren, als die übrigen Sänger. Da sie aber keine Musik versteht, und eine Französinn ist: so wird es schwer halten, daß sie gut singen lernt.[25] Die Methode, wie man in diesem Stücke den Marsch spielt, thut eine sehr gute Wirkung, wegen der verständigen Anwendung des Crescendo und Diminuendo. Er ward auf der Hinterbühne, hinter den Scenen, und zwar so leise angefangen, daß man ihn kaum hören konnte; und nachdem sich die Bande nach und nach den Zuhörern genähert hatte, und zum grössesten Grade des Forte gelangt war, zog sie sich eben so langsam wieder zurück, und der Ton verlohr sich unmerklich bis zu dem letzten hörbaren Grade von Piano.

1

S. 23. (Wenn es indessen erlaubt wäre,) u.s.w. Dieses tiefe Kompliment an den Herrn Marmontel wird um desto mehr ins Licht gesetzt, wenn man im dritten Bande bemerkt, daß der Verfasser, bey Gelegenheit da er von Lessngs Emilia Galotti und Weissens Romeo und Julie spricht, nicht einmal an den Huth greift. Aber das sind freylich auch nur Deutsche. Und – deutsch versteht Herr Burney gewiß nicht.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 21-26.
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