Manheim.

[63] Die ersten Töne, die ich hier hörte, war Regimentsmusik. Mein Gasthof lag am Paradeplatze; die Retraite bestund bloß aus Trommeln und Pfeifen, und des Morgens fiel auch nichts vor, das des Hörens verlohnt hätte. Hätte ich Lust gehabt, in prächtigen Worten die Wirkung der Blasinstrumente bey der Regimentsmusik zu beschreiben, so hätte ich nicht nöthig gehabt, aus London zu gehen; denn wir haben jetzt, auf dem St. Jamesplatz und im Park, jeden Morgen ein vortrefliches Chor Hoboisten; und so wie ich bis itzt noch keine Soldaten von besserm Ansehen gefunden hatte, als die unsrigen, so wenig brauchen wir der Musik und den Musikern andrer Orten einen andern Vorzug einzuräumen, als in der Anzahl und der Verschiedenheit der Instrumente. Unsre Kriegsmusik muß jedem, der wie ich ungefehr zwanzig Jahr zurück denken kann, grosse und schnelle Schritte zur Vollkommenheit gethan zu haben scheinen. Denn damals ward bey unsrer Fußgarde keine andre Komposition gebraucht, als der Marsch aus Scipio, und die Feldregimenter wußten von nichts, als ordentlichen Trommeln.

Pracht und Aufwand gehn in dieser kleinen Stadt erstaunlich weit. Der Pallast und die Hofgebäude machen fast die grösseste Hälfte derselben aus; und eine Hälfte der Einwohner, die in Bedienung steht, lebt auf Kosten der andern, welche arm genug zu seyn scheint.[64]

Das Jesuitercollegium, welches der gegenwärtige Churfürst hat bauen lassen, liegt dicht am Pallaste, und hat dreissig Fenster in der Fronte, die Kirche nicht mitgerechnet, welche die prächtigste in der Stadt ist. Die Fronte des Theaters, welches nur einen kleinen Flügel des Pallastes ausmacht, hat gleichfalls dreissig Fenster.

Die Stadt selbst ist reinlicher, schöner und regelmässiger, als ich noch eine gesehen hatte. Ihr Plan ist ein Oval; die Gassen sind wie die zu Lille, von einem Ende zum andern in gerader Linie nach der Schnur gezogen. Sie hat viele grosse Plätze, ungefähr 1548 Häuser, und im Jahr 1766 belief sich die Anzahl der Einwohner auf 24190.

Donnerstag, den 6sten August. Diesen Abend ging ich nach dem hiesigen öffentlichen Theater, woselbst Zemire und Azor, übersetzt ins Deutsche und untergelegt unter die hübsche Musik von Mr. Gretry, aufgeführt ward. Es war die erste dramatische Vorstellung, die ich Deutschland zu hören bekam.

Im Sommer ist der Churfürst mit seinem Hoflager zu Schwetzingen, drey Meilen von Manheim; und diese Zeit über hat eine reisende Schauspielergesellschaft die Erlaubnis, die Bürger zu belustigen. Sie spielte in einer auf dem grossen Marktplatze aufgeschlagenen Bude. Indessen, ob man gleich von Aussen nichts als Bretter zu sehen bekam, so war doch das Theater recht gut beschaffen, und die Scenen und Kleidungen waren nicht ohne Geschmack und gute Wahl.[65]

Ich war neugierig, ein deutsches Schauspiel zu sehn, aber noch neugieriger Deutsche singen zu hören; und ich muß es gestehen, ich erstaunte, als ich fand, daß die deutsche Sprache, Trotz ihrer häufigen Consonanten und Gutturalen, sich besser zur Musik schickt, als die Französische. Das junge Frauenzimmer, welche die Rolle der Zemire machte, hatte zwar keine grosse Stimme, ihre Art zu singen war aber natürlich und gefällig. Sie hatte einen guten Triller, und übertrieb ihre Stimme nicht, dabey hielt sie Ton. Unter den Mannspersonen waren zweene, welche ziemlich gute Stimmen hatten, und deren Portament und Ausdruck auch selbst denen nicht widrig gewesen seyn würde, die lange mit der besten italiänischen Singart vertraut gewesen.

Im Ganzen war ich mit diesem Singen besser zufrieden, als mit allem übrigen, das ich seit meiner Abreise aus England gehört hatte. Die Deutschen sind in der That so weit in der Musik gekommen, und haben so manchen vortreflichen Komponisten unter ihren Landsleuten, daß ich mich wundern muß, warum sie nicht Originalstücke in ihrer eigenen Sprache schreiben, und komponiren; oder, wenn sie ja Übersetzungen haben müssen, warum sie diese Übersetzungen nicht mit neuen Kompositionen versehen?9[66]

Das Orchester hier war lange nicht so gut, als das zu Brüssel, sowohl was die Anzahl, als was die Aufmerksamkeit anbetraf. Denn die besten Instrumentisten des hiesigen Orts waren mit dem Hofe zu Schwetzingen, so, daß die Sänger keine andre Unterstützung hatten, als ihr eignes Verdienst.

Den 7ten August, brachte ich in der öffentlichen Bibliothek zu; welches ein schönes Zimmer ist, worin schöne Bücher stehen, allein nicht sehr alte und wenige Handschriften, weil diese letzten alle in dem Kriege von 1622. durch die Bayern weggenommen und an den Pabst geschenkt sind; in der vatikanischen Bibliothek sind sie unter dem Namen der Heidelberger oder Pfälzer Collection sehr wohl bekannt. So wie die Bibliothek ist, soll sie, wie man sagt, aus vierzig tausend Bänden bestehen. Allein was auch die prächtige Nachricht in den Etrennes Palatines von Manuscripten erzählt und sagt, daß sie in einem besondern Zimmer verwahrt werden: so gestund mir doch Herr Lamey, der Bibliothekar, an den mir Herr Girard zu Brüssel einen Brief mitgegeben hatte, daß die Sammlung erst seit zu kurzer Zeit angefangen wäre, um schon reich an Handschriften zu seyn, und daß sie nur wenige von einiger Wichtigkeit enthielte.

9

Als ich tiefer in Deutschland kam, fand ich, daß Herr Hiller zu Leipzig seine Landsleute mit vielen komischen Opern versorgt hat, in welchen die Musik so natürlich und gefällig ist, daß die Lieblingsarien daraus, wie des D. Arne seine in London, von Leuten von allerley Ständen gesungen werden; und die leichten darunter haben die Ehre, auf den Gassen gesungen zu werden.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 63-67.
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