Nymphenburg

[95] Ist der Ort, wo sich des Sommers der Churfürst gemeiniglich aufhält. Es ist ein prächtiges Lustschloß, drey Meilen von München. Die besten Hofmusici sind hier mit, weil seine Churfürstl. Durchlauchten alle Abende Concert hat.

Zu München hatte ich das Vergnügen, bey meiner Ankunft den Herrn Naumann, berühmten Kapellmeister des Churfürsten von Sachsen, anzutreffen. Er hat in Italien studirt, und war itzt dahin auf dem Wege, um eine Oper für Neapolis und eine andre für Venedig zu komponiren. Er that mir den Gefallen, des Mittwochmorgens bey mir vorzufahren und mich mit nach Nymphenburg zu nehmen, wo ich von Signor Guadagni zum Mittagsessen gebeten war. Auf dem Wege erhielt ich von Herrn Naumann eine Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der Musik in Sachsen, wo er eben her kam. Zu Nymphenburg ging er zur Probe der Oper Talestri, von der verwittweten Churfürstinn von Sachsen, welche nächstens bey Hofe aufgeführt werden sollte, und worin Signor Guadagni eine Parthie bekommen hatte. Hier fand ich den Concertmeister, Herrn Kröner, Signori Rauzzini und Panzachi, welche alle mit Herrn Naumann und wir bey Guadagni assen.

Die Gärten bey diesem Lustschlosse werden für die schönsten in ganz Deutschland gehalten, und sind auch wirklich so schön, als sie durch eine unzählige[96] Menge von Fontainen, Canälen, Wasserfällen, Alleen, Buschwerken, in gerader Linie gepflanzten Bäumen und Wäldchens, wo »ein Wipfel dem andern grüßt« nach der wahren französischen Einrichtung, werden können.

Zu Nymphenburg ist eine schöne Porcelanfablik, welche es, nach der Meinung der Bayern, der Meißnischen gleich thut.

Als ich hier anlangte, sagte mir Herr Guadagni, daß er von mir und von meinem Vorhaben mit der verwittweten Churfürstinn von Sachsen, und dem regierenden Churfürsten selbst gesprechen, und alles so in die Wege gerichtet habe, daß ich noch des Vormittags der Prinzessinn, und hernach dem regierenden Herrn, und dem übrigen churfürstlichen Hausepräsentirt werden sollte. Um halb zwey Uhr kam also ein Page, und sagte uns an, daß wir bey der Prinzessinn vorgelassen werden könnten. Herr Guadagni führte mich durch eine lange Reihe von sehr prächtigen Gemächern nach einem Vorzimmer, wo wir nur sehr kurze Zeit warteten, ehe die Churfürstinn in den Audienzsaal trat, wo man uns hinein rufte, und ich sehr gnädig empfangen ward.

Ich hatte mich nach der Etiquette bey dieser Ceremonie erkundigt: es bestund darin, daß ich das linke Kniee zu beugen hätte wenn ich zum Handkusse gelassen würde. Nachdem dies geschehen, fing Ihro Hoheit an, sich auf die aller herablassendste und ungezwungendste Art in ein Gespräch einzulassen. Sie hatte die Gnade von meinem[97] Unternehmen sehr vortheilhaft zu sprechen, und hinzu zu fügen: »es wäre nicht allein eine Ehre für die Musik, sondern auch für mich selbst, weil sie glaubte, ich sey der einzige unter den neuern Geschichtsschreibern, der für nöthig gehalten, zu reisen, um die Nachrichten bey den Quellen zu suchen, ohne mich mit Berichten von andern, oder von Hörensagen zu begnügen.« Dieses grosse Kompliment, und die gnädige und angenehme Art, womit es gesagt wurde, benahm mir allen Zwang. Sie war eben aus Italien zurück gekommen, woselbst sie, wie sie sagte, »durch die grosse Beschwerlichkeit der Reise und das Lautsprechen, welches bey den dortigen Conversazioni gebräuchlich ist, fast gänzlich ihre Stimme verloren hätte, welche schon vorher durch viele Wochenbette, und durch verschiedene schwere Krankheiten ziemlich geschwächt worden.«

Guadagni hatte mir gesagt, daß Ihro Hoheit ziemlich gut Englisch spräche, und es vollkommen verstünde. Ich wagte es also nach einiger Weile, Sie zu bitten, in meiner Muttersprache mit mir zu reden, welcher Ihro Hoheit, wie mir gesagt worden, die Ehre er zeigt hätten, sie zu studiren. Sie geruhete mir meine Bitte zu gewähren, und sprach eine kurze Zeit ein sehr verständliches Englisch; sagte aber dabey, Sie habe es von einem Irrländer gelernt, der Ihr eine fehlerhafte Aussprache beygebracht. Dieses und die seltne Gelegenheit zur Uebung, machten es ihr unmöglich richtig zu sprechen; fügte aber hinzu,[98] es ginge kein Tag vorbey, da sie nicht Englisch läse und schriebe, und daß sie viel Vergnügen beym Lesen unsrer Schriftsteller empfände.

Ich sagte darauf, ich hätte schon in England ein grosses Werk gesehen, worin beydes, Poesie und Musik von Ihro Hoheit wäre, nemlich Ihre Oper Talestri, in welchem Sie die Künste vereinigt hätte, die so lange getrennt gewesen. Dieses brachte ein musikalisches Gespräch auf die Bahn, wornach mich verlangte, und während welchem sie sagte, es wäre ihr unmöglich, müssig zu seyn; ihr Gemüth müßte Beschäftigungen haben, und seitdem sie keine wichtigern Sachen mehr zu verhandeln gehabt, habe sie sich mit Ernst den Künsten ergeben. Sie fragte mich darauf um meine Meinung von Guadagni, in Vergleichung mit verschiedenen grossen italiänischen Sängern: er konnte nicht hören was gesprochen wurde. Sie sagte, Guadagni sänge sowohl mit vieler Kunst, als mit Gefühl, und besässe das grosse Geheimniß Fehler zu verstecken.

Sie sagte mir, sie wolle ihren Bruder, den Churfürsten zu bereden suchen, daß er heute Abend auf derViola di Gamba spielte, mit dem Beyfügen, daß er für eine Person, die keine Profession von der Musik macht, recht gut spielte; aber in England hätten wir an Herrn Abel einen grossen Gambisten, mit dem müßte ich ihn nicht vergleichen, und setzte hinzu: Nous autres, wir blossen Liebhaber können nicht erwarten, es den Meistern gleich zu thun; denn hätten wir auch[99] eben so viel Genie, so fehlts uns an Uebung und Erfahrung. Nach diesen und einigen andern Gesprächen, hatte ich, als ich mich zurück begab, abermals die Ehre zum Handkusse gelassen zu werden.

Nachdem ich bey Guadagni gegessen, führte man mich in den grossen Saal, worin der Churfürst mit seiner Familie und dem Hofe noch an der Mittagstafel saß. Es ist einer der schönsten Speisesäle, die ich jemals gesehen habe. Es war mir sehr lieb, Herrn de Visme mit bey Tafel zu finden. Er war so gütig gewesen, mit dem Churfürsten und der Churfürstinn von mir zu sprechen; dieses und das, was Guadagni bereits gethan hatte, machte mirs desto leichter, vorzukommen; so daß, als der Churfürst sich vom Tische erhob, die Churfürstinn seine Schwester mir als einen Abkömmling vom sächsischen Geschlecht begegnete. Denn sobald sie gewahr geworden, daß ich im Saale wäre, nannte sie mich Ihrem Bruder und führte ihn zu mir her. Hier hatte ich die Ehre, seine Hand zu küssen, und daß er ein Paar Worte zu mir sagte. Darauf ward ich der Churfürstinn und der Markgräfinn von Baaden vorgestellt, und hernach kehrte ich wieder zum Churfürsten und seiner Schwester, der verwittweten Churfürstinn, mit denen beyden ich eine lange Unterredung halte.

Der Churfürst ist ein sehr gnädiger und schöner Herr, trägt sich sehr ungezwungen, und ist von Wuchs weder zu fett noch zu mager, zu lang oder zu klein, wofern mich nicht seine Herablassung zu[100] sehr geblendet hat, um einen Fehl in seiner Person zu bemerken. Er sagte zu seiner Schwester, er setze zum voraus, ich spräche kein Deutsch, sie also, welche Englisch redete, müßte meine Dollmetscherinn seyn. Sie sagte aber, es bedürfe einer so langsamen Methode nicht, weil ich sowohl Französisch als Italiänisch sprechen könnte, worauf Sr. Hoheit anfing Französisch mit mir zu reden. Er sagte mir, ich habe eine sehr ungewöhnliche Reise unternommen, und fragte mich, ob ich mit den Materialen zufrieden wäre, die ich bisher gefunden hätte? Dies gab mir Gelegenheit, ihm zu sagen, daß ich, wie es sehr wahr war, in Ansehung sol her Bücher, die zu meinem Zwecke dienten, und in Ansehung alter Musikalien noch nichts angetroffen hätte, das mit Sr. Hoheit Bibliothek in Vergleichung käme; und daß ich Ursache hätte, nach dem Ruhme der Virtuosen und Komponisten in seinem Dienste, auch in Ansehung der neuern praktischen Musik vieles Vergnügen zu erwarten. Einige davon werden Sie diesen Abend hören, sagte die verwittwete Churfürstinn, und ich hoffe, mein Bruder wird auch spielen, denn ob er gleich kein Professor ist, so spielt er doch zuweilen recht gut. Der Churfürst rächte sich, und sagte mir, seine Schwester sey beydes ein Komponist und eine Sängerinn.

Weil eben einige wilde Thiere vor das Thor des Pallasts geführt wurden, welche zu sehen die ganze Versammlung herbey lief, so bekam unsre Unterredung voritzt dadurch ein Ende.[101]

Heute war es ein ganz musikalischer Tag, denn selbst als wir des Nachmittags die Gärten und Gebäude besahen, sangen Guadagni und Rauzzini zum öftern, besonders im Bade, welches ein vortrefliches Zimmer zur Musik war. Hier gingen sie nach und nach alle tartinischen Experimente durch, um den dritten Ton hervor zu bringen.

Um acht Uhr versammlete sich die Kapelle des Churfürsten zu seinem Privatconcerte. Die regierende Churfürstinn und die Hofdamen spielten im Musikzimmer Karten. Das Concert ward mit zwo Sinfonien von Schwindl geöfnet. Herr Kröner, welcher die Violinen dirigirt, ist mehr ein kühner und starker Anführer eines Orchesters als ein Solospieler. Signor Panzachi sang die erste Arie. Er hat eine gute Tenorstimme, einen gefälligen Vortrag und viele Fertigkeit der Kehle; man sagt auch, daß er vortreflich agiren soll.

Nach dieser Arie sang die verwittwete Churfürstinn von Sachsen eine ganze Scene aus ihrer eignen OperTalestri; der Churfürst spielte mit Kröner die Violine, und Naumann accompagnirte dabey auf dem Flügel. Sie sang in einem wirklich seinen Style; ihre Stimme ist sehr schwach, aber sie zwingt sie niemals, und bleibt immer rein im Tone. Das Recitativ, welches mit Accompagnement war, trug sie in der Manier der grossen Sänger von alten und bessern Zeiten vor. Sie hat lange von Porpora gelernt, der lange in ihres Schwiegervaters, des Königs[102] von Pohlen Diensten gestanden, und zu Dresden sich aufgehalten hat. Dieses Recitativ war eben so schön geschrieben, als es schön vorgetragen ward. Die Arie war ein Andante, reich an Harmonie, einigermassen in der Art der besten händelschen Opernarien von der Zeit. Es waren hier zwar nur wenige Violinen, aber sie waren demungeachtet zu stark für die Stimme; ein Fehler, worüber alle hiesige Sänger klagen.

Nächst diesem spielte der Churfürst eins von den Trios von Schwindl auf der Gambe, vortreflich. Herrn Abel ausgenommen, habe ich keinen so schönen Gambisten gehört. Er hat eine sichre und sehr fertige Hand, sein Geschmack und Vortrag sind zum bewundern, und selten wird man einen Liebhaber antreffen, der so sicher im Tackte ist, als er.

Rauzzini hatte sich sehr verbindlicher Weise dem Churfürsten in den Weg geworfen, damit er ihn zum Singen auffodern möchte, und ich ihn zu hören bekäme weil ich mein Verlangen bezeigt hatte, daß ich ihn gerne von Instrumenten begleitet hören möchte. Denn ob er gleich erster Sänger des Winters in der grossen Oper ist; so singt er doch des Sommers in den Concerten niemals, wenn es nicht ausdrücklich verlangt wird. Er legte eine Arie von seiner eignen Komposition auf und sang sie vortreflich; darauf sang Guadagni eine pathetische Arie von Traetta, mit der ihm gewöhnlichen Anmuth und Ausdruck, aber[103] mit mehr Stimme, als er hatte, da er in England war.

Das Concert beschloß mit einem andern Stücke, das der Churfürst mit noch mehr Geschmack und Ausdruck, besonders im Adagio spielte, als das Erste. Ich konnte es nicht nach Würden loben; es würde noch immer vortreflich gespielt geheissen haben, wäre er auch kein grosser Prinz, sondern ein Musikus von Profession gewesen. Ich konnte Sr. Hoheit nur sagen, daß ich eben so voller Bewundrung wäre, als ob ich niemals vorher davon gehört hätte, daß er ein so starker Musikus sey.

Nach dem Concert ward bey Hofe in eben dem Saale und eben so öffentlich des Abends gespeiset, als des Mittags geschehen war. Ich ging mit Guadagni und den übrigen vornehmsten von der Musik hin, bey Tafel meine Cour zu machen. Der Churfürst geruhete ziemlich viel mit Guadagni, über meine künftige Geschichte der Musik zu sprechen, welches mich so dreist machte, ihn zu ersuchen, er möchte Sr. Hoheit bitten, mich mit einem Stücke von seiner Komposition zu beehren, weil ich von allen hiesigen musikalischen Personen gehört hätte, daß er einige vortrefliche Sachen für die Kirche, besonders ein Strabat mater gesetzt habe. Mir ward mit der Bedingung eine Litaney versprochen, daß ich solche nicht sollte drucken lassen; allein Guadagni ermüdete den Churfürsten fast, um das Stabat mater, weil solches, wie er sagte, das beste von seinen musikalischen[104] Arbeiten wäre; und ich erhielt auch die gnädige Zusage hiervon noch vor meiner Abreise.11

Die Kammerjunker, welche die Aufwartung hatten, boten uns Erfrischungen an, und der Churfürst hatte die Gnade Guadagni zu fragen, ob er dem Engländer und seiner übrigen Gesellschaft, (womit er Panzachi, Rauzzini und Naumann meinte,) auch ein Abendessen gäbe? Er antwortete ihm, er würde uns ein Stück Kas' und Brodt und ein Glas Wein vorsetzen. »Hier«, rief der Churfürst, und leerte zwey Schüsseln mit Geflügel auf einen Teller, »senden Sie das nach ihrem Zimmer.« Sr. Hoheit Befehl ward ohne Widerspruch gehorcht. Nachdem wir gegessen, kehrte ich nach München zurück, von Herzen vergnügt mit den Begebenheiten des Tages.

11

Beyde Kompositionen wurden, nachdem ich München verlassen, für mich abgeschrieben, und dem Herrn de Visme zugestellt, durch dessen gütige Vorsorge solche hernach in London zu meinen Händen gekommen sind.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 95-105.
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