Schwetzingen.

[67] Um einen sehr vortheilhaften Begriff von der Capelle Sr. Churfürstl. Durchl. zu erregen, dürfte ich nur ihre Namenliste hersetzen. Sie besteht aus beynahe hundert Personen, Sängern und Spielern. Ich will gleichwohl nur einige davon nennen, deren Namen bereits in England bekannt sind. Herr Solzbauer ist einer von den Kapellmeistern. Die Herrn Christian Canabich und Carl Toeschi sind die ersten Violinisten oder Concertmeistere. Der Erste führt an in der italiänischen Oper, und der andre in der Französischen und Deutschen. Von diesen drey Meistern hat man verschiedene vortrefliche Sinfonien, wovon einige in England gedruckt sind. Herr J. Bapt. Wendling ist hier der erste Flötenspieler, und unter den Geigern sind noch Johann Toeschi, Trenzel, Fr. und Carl Wendling, und Kramer. Dieser letzte wird für einen der besten Solospieler in ganz Europa gehalten. Ich will indessen wenig von ihm sagen, weil er eben itzt in England ist, und meine Landsleute Gelegenheit haben, selbst von seinen Talenten zu urtheilen. Es sind drey und zwanzig Sänger und Sängerinnen in dieser Capelle, wovon einige vorzüglich gut genannt zu werden verdienen. Besonders Mademoiselle Wendling, Madem. Danzy und Madame Kramer. Signori Roncaglio, Pesarini und Saporosi.

Verschiedene unter denen, die auf der Liste stehen, thun entweder Alters halber keine Dienste[68] mehr, oder sind auch überzählige. Allein die Erstern, wenn sie dem Churfürsten eine Zeitlang gedient haben, und durch Krankheiten ihre Stimme verlieren, oder sonst unbrauchbar werden: so erhalten sie eine artige Pension, welche sie so lange geniessen, als sie zu Manheim bleiben; und selbst noch alsdann, wenn sie sich nach ihrer Heymath oder sonst wohin begeben wollen, wird ihnen die Hälfte ihrer Pension zugestanden.

Mich verlangte sehr, zu meinem Hauptwerke zu kommen, die besten aus dieser Capelle zu hören. Aber in Deutschland kann nichts mit Übereilung geschehen. Festina lente scheint hier ein Leibspruch zu seyn. Vorher gehörte dazu, daß ich den ersten Tag Besuch gab, und den zweyten wieder annahm, auf den dritten war einige Wahrscheinlichkeit aber keine Gewißheit, daß ich die gesuchte Gewogenheit erlangen würde.

Es ist oft wiederhohlt worden, daß Ungeschliffenheit und eine gänzliche Verachtung aller Personen und Sachen, die nicht durchgängig engländisch sind, meinen ehrlichen Landsmann, John Bull, in allen Weltgegenden bezeichnen. Ich bin nicht für unglimpfliche Anmerkungen über ganze Nationen; gleichwohl kömmt einem zuweilen ein einzelner Charakter vor, der einen an dasjenige wieder erinnert, was man über ganze Völker hat sagen hören. Der Französische Abbe', den ich zu Antwerpen antraf, war so ein Mann, den mancher einen wahren Franzosen genannt haben möchte. In der Folge habe ich mit verschiedenen[69] zu thun gehabt, die man wegen ihrer Langsamkeit in Begriffen und Handlungen wahre Deutsche nennen könnte. Wenn ich des Morgens einen Gelehrten, einem Bibliothekar oder einem Musikus den Zweck meiner Reise so deutlich, als möglich, erklärt, und den allgemeinen Plan meines künftigen Werks gezeiget hatte, so wars gewöhnlich, daß eben derselbe Mann des Abends sagt: »die Geschichte der Musik, denke ich, sind Sie willens zu schreiben – hm – ja – die Geschichte der Musik – hm – gut! und worin meinen Sie, daß ich Ihnen behülflich seyn kann?« Hier war ich denn genöthigt, in einem mühseligen Da capo meine Historie noch einmal zu erzählen, und um Beystand zu ersuchen.

Das Reisen ist in diesem Lande eben nicht sehr gewöhnlich, und die Leute scheuen hier, wie in England, einen Fremden, und wünschen ihn los zu werden. In Frankreich und Italien sind die Einwohner gewohnt, die Honneurs zu machen, und machen sie gut. Was meine besondre Nachforschungen hier betraf, welche in der That, mehr ihre, als meine eigne Ehre anging, so fand ich darin nur geringen Beystand. Es hielt schwer zu entdecken, wer mir einigen leisten könnte, und noch schwerer, diejenigen zu finden, welche wollten. Ich wünschte zuweilen, daß ich einen öffentlichen Ausrufer hätte brauchen können, wenn ich in einer deutschen Stadt ankam, um den musikalischen Einwohnern zu sagen, wer ich wäre, und was ich suchte. Denn an solchen Orten, wo ich keinen5[70] Minister von unserm Hofe fand, begab sichs oft, daß ich schon wieder im Begriff stund, abzureisen, ehe dieses bekannt ward.

Sonntag, den 9ten August. Diesen Abend hörte ichla Contadina. inCorte, Opera buffa, auf dem churfürstlichen Theater. Die Musik war von Signor Sacchini, und voller Klarheit, Anmuth und edler Einfalt, welche die Unterscheidungszeichen der Werke dieses Komponisten sind. Die Rollen waren besetzt mit Signor Giorgietto, einem italiänischen Diskantisten dessen Stimme nur schwach, und dessen Geschicklichkeit auch übrigens nicht sehr groß war. Signora Francesca Danzi, ein deutsches Frauenzimmer, deren Stimme und Singart brillant sind; sie hat dabey einen artigen Wuchs, einen guten Triller, und einen Vortrag, der so wahr italiänisch ist, als ob sie ihr ganzes Leben in Italien zugebracht hätte. Kurz, sie ist schon eine sehr angenehme Sängerinn, und verspricht noch weit mehr; denn sie ist jung und diesen Sommer zum Erstenmale aufs Theater gekommen. Signor Zonca, ein italiänischer Tenorist, der vor einigen Jahren in England war; sein höchstes Lob heißt: er ist erträglich; und Signora Allegrante, eine junge Italiänerinn, Schülerinn des Herrn Holzbauer, singt in einer artigen nicht affectirten Manier, und ob sie gleich, ihrer Stimme wegen, nicht nach den ersten Rollen in der Oper wird trachten können, so scheints doch, daß sie die zwoten auf eine anziehende Art füllen wird.[71] Zwischen den Akten wurden zwey Ballette gegeben; eins stellte einen deutschen Jahrmarkt oder Kirmeß vor, und hat mir unter allen, die ich noch gesehn habe, am besten gefallen. Eine der ersten Tänzerinnen ist hier die Tochter des jüngst verstorbenen berühmten Stamitz, von dessen Feuer und Genie sich in grossem Maasse der gegenwärtige Synfonienstyl herschreibt, der so voller grossen Wirkungen, so voller Licht und Schatten ist.

Der Churfürst, die Churfürstinn und die Königl. Prinzessinn von Sachsen hörten die Oper mit an. Das Theater ist zwar nur klein, aber bequem. Die Dekoration und Kleider sinnreich und geschmacksvoll, und an Comparsen und Figuranten war eine grössere Anzahl vorhanden, als ich jemals in der grossen Oper zu Paris oder London gesehen habe. In dem Ballet, die Kirmeß, kamen an hundert Personen zugleich aufs Theater; dennoch ist diese Oper ganz unbeträchtlich, verglichen mit der, welche des Winters zu Manheim in einem der grössesten und splendidesten Theater von Europa gespielt wird, das fünf tausend Personen fassen kann. Diese Opern fangen mit dem 4ten Nov. an, und werden bis zum grunen Donnerstage wöchentlich zweymal gespielt.

Man berichtete mich, daß die blosse Illumination des Manheimer Theaters dem Churfürsten, jede Vorstellung an Wachslichtern über 480. Gulden zu stehen komme, und daß die Kosten, um eine neue Oper auf dieses Theater zu bringen, an 48000 Gulden beliefen. Auf diesem grossen[72] Theater sollte den künftigen Winter eine Oper von der Komposition des Herrn J. Bach aufgeführt werden, dessen Ankunft von London man schon damals, als ich in Manheim war, täglich erwartete.

Ich kann diesen Artikel nicht verlassen, ohne dem Orchester des Churfürsten Gerechtigkeit zu erweisen, welches mit Recht durch ganz Europa so berühmt ist. Ich fand wirklich alles daran, was mich der allgemeine Ruf hatte erwarten lassen. Natürlicher Weise hat ein stark besetztes Orchester grosse Kraft. Die bey jeder Gelegenheit richtige Anwendung dieser Kraft aber muß die Folge einer guten Disciplin seyn. Es sind wirklich mehr Solospieler und gute Komponisten in diesem, als vielleicht in irgend einem Orchester in Europa. Es ist eine Armee von Generälen, gleich geschickt einen Plan zu einer Schlacht zu entwerfen, als darin zu fechten.

Es ist aber nicht allein in der grossen Oper des Churfürsten, daß die Instrumentalmusik so sehr ausgebildet und verfeinert worden ist, sondern in seinen Concerten, woselbst diese ausserordentliche Capelle Platz und Raum genug hat, ihre ganze Macht zu beweisen, und grosse Wirkungen hervorzubringen, ohne durch die Rücksicht verhindert zu werden, sie möchten die grössern und feinern Schönheiten, welche der Vokalmusik besonders eigen sind, verdunkeln. Hier eben wars, wo Stamitz zuerst über die Gränzen der gewöhnlichen Opernouvertüren hinwegschritt, die bis dahin bey dem[73] Theater gleichsam nur als ein Rufer im Dienste standen, um durch ein Aufgeschaut für die auftretenden Sänger Stille und Aufmerksamkeit zu erhalten. Seit der Entdeckung, auf welche Stamitzens Genie zuerst verfiel, sind alle Wirkungen versucht worden, deren eine solche Zusammensezung von inartikulirten Tönen fähig ist. Hier ist der Geburtsort desCrescendo und Diminuendo, und hier war es, wo man bemerkte, daß das Piano, (welches vorher hauptsächlich als ein Echo gebraucht wurde, und gemeiniglich gleich bedeutend genommen wurde,) sowohl als das Forte musikalische Farben sind, die so gut ihre Schattirungen haben, als Roth oder Blau in der Mahlerey.

Unterdessen fand ich doch in dieser Capelle eine Unvollkommenheit, die sie mit allen andern gemein hat, die ich bisher gehört habe, die aber, nach meiner Hofnung, so aufmerksame und geschickte Männer aus dem Wege räumen werden, ich meine, die nicht ganz reine Intonation der Blasinstrumente. Ich weiß, es ist diesen Instrumenten natürlich, sich leicht zu verstimmen. Allein nur etwas Weniges von der Kunst und dem Fleisse, die diese grossen Künstler in Überwindung anderer Arten von Schwierigkeiten bewiesen haben, würde wirklich recht sehr gut angewandt seyn, diesen Sauerteig auszufegen, der alle Harmonie so sehr versäuer und verdirbt. Diesen Abend war es mit den Hoboen und Bassons gar zu merklich; sie[74] stunden schon im Anfang ein wenig hoch, und wurde immer höher, bis zum Ende der Oper.

Eine andre Unvollkommenheit waren meine Ohren, während der ganzen Oper, nicht im Stande an dem Orchester zu entdecken; und die besagte ist allen übrigen Orchestern so gemein, daß diese Anmerkung eben keinen strengen Tadel für das hiesige mit sich führt, und andern Orchestern auch nicht vielen Anlaß zum Triumphiren geben kann.

Der Churfürst, welcher selbst sehr gut die Flöte bläs't, und auch seine Stimme auf dem Violenschell spielt, hat jeden Abend Concert in seinem Pallaste, wenn auf seinem Theater nichts gespielt wird. Wenn das aber ist: so haben nicht allein seine Unterthanen, sondern auch alle Fremden freye Entrée.

Wenn man in Schwetzingen des Sommers aus der Oper kommt, und in den churfürstl. Garten geht, der nach französischer Art ausserordentlich schön ist, so hat man den aufheiterndsten prächtigsten Anblick, den man sich nur denken kann. Die Gegend ist hier flach und nackt, und des halben für die freye und ofne Art, wie man die englischen Gärten anzulegen pflegt nicht so vortheilhaft, als für diejenige, der man bey der Anlage des hiesigen gefolgt ist. Die Orangerie ist grösser, als die zu Versailles, und vielleicht als irgend eine andre in Europa.

Die Anzahl der Personen, welche des Sommers dem Churfürsten nach Schwetzingen folgen, steigt[75] an fünfzehnhundert, welche alle an diesem kleinen Orte auf churfürstliche Kosten wohnen.

Einem jeden, der des Sommers durch die Gassen von Schwetzingen geht, muß es gänzlich von einer Colonie von Musikanten bewohnt zu seyn scheinen, die ihre Profession beständig ausüben; da in einem Hause hört er einen schönen Geiger, dort in einem andern eine Flöte; hier einen vortreflichen Hoboisten, dort einen Basson, eine Clarinet, ein Violonschell, oder ein Concert von allerley Instrumenten zugleich. – Musik scheint Sr. Churfürstl. Durchl. liebster und beständigster Zeitvertreib zu seyn; und die Opern und Concerte, wozu alle seine Unterthanen Zutritt haben, bilden durchs ganze Churfürstenthum den musikalischen Geschmack.

5

S. 69 und 70. Herr Burney sagt zwar, daß er nicht für unglimpfliche Anmerkungen über ganze Nationen sey, macht aber in demselben Athem eine über die Deutsche, als ob er recht wüßte, was ein wahrer Deutscher sey. Und diese Galle schüttet er über uns aus, weil er glaubt, er habe für uns eine Nationalangelegenheit übernommen, (wie er Seite 80 ausdrücklich sagt,) und nun müsse auch ein jeder Musikus schon wissen, wann er ankommen würde, und worin er ihm behülflich seyn könne: Diese Forderung – hm – ja – war – ganz glimpflich zu sprechen – unüberlegt!

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 67-76.
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