Wien.

[149] Diese Hauptstadt des Reichs, und Residenz der kayserlichen Familie liegt so weit von England entfernt, ist von Reisebeschreibern so unvollkommen beschrieben, und wird so selten von Engländern[149] besucht, daß ich meinen Lesern eine genaue und umständliche Nachricht von ihren öffentlichen Gebäuden und andern Seltenheiten gegeben haben würde, wenn sie mir nicht häufigen Vorrath zu einem langen Artikel über meinen Hauptgegenstand, Musik, gegeben hätte, dem ein jeder anderer billig nachstehen muß. Gleichwohl will ich ein paar Worte von Wien an und für sich selbst sagen, und hernach zu meinem musikalischen Tagebuche übergehen.

Wenn man von der Wasserseite nach Wien kommt, hat es viel Aehnliches mit Venedig, obgleich lange nicht so viel Wasser zu sehen ist, weil die Donau oberhalb der Stadt sich in drey Arme getheilt hat. Man entdeckt von der Wasserseite auf vierzig bis funfzig Thürme und Thurmspitzen.

Der Mauthhof betrog mich nicht in meiner Erwartung, daß ich hart durchsucht werden würde, besonders über den Artikel der Bücher. Diese hält man hier alle an, um sie noch sorgfältiger durchzulesen, als in der Inquisition zu Bologna, und die meinigen, welche, die musikalischen ausgenommen, aus bloß geographischen und Reisebeschreibungen bestunden, wurden fast vierzehn Tage zurückgehalten, eh' ich solche wiederbekommen konnte; und Se. Excellenz, Lord Viscount Stormont, der Abgesandte unsers Königs am hiesigen Hofe, sagte mir, daß dieses die einzige Sache wäre, worin es nicht in seinem Vermögen stünde, mir zu dienen. Wie ich in die Stadt kam, ward mir gesagt, daß ich weder meinen Mantelsack,[150] noch von allem was darin enthalten, das Geringste wiederbekommen haben würde, wenn man nur ein einziges Buch darin gefunden hätte.

Die Gassen sind so enge, und die Häuser so hoch, daß sie dadurch beydes sehr finster und kothig werden. Da die Häuser aber grössesten Theils von weissen Steinen, von gleichförmiger und zierlicher Bauart sind, in welcher sowohl als in der Musik hier, der italiänische Geschmack hervorsticht: so haben sie etwas Grosses und Prächtiges von Ansehn, und fallen schön in die Augen. Selbst viele von den Häusern, welche an der Erde Kramläden haben, scheinen von oben Palläste zu seyn. In der That scheint die ganze Stadt, mit den Vorstädten, beym ersten Anblick, mehr aus Pallästen, als aus ordentlichen Wohnhäusern zu bestehen. Die Kirchen und Klöster sind grössesten Theils von gothischer Bauart; doch ist das Jesuitercollegium ein grosses neuförmiges und geschmackvolles Gebäude; und die Sophienkirche, die im etwas kleinern nach dem Modell der Peterskirche von Rom gebauet worden, ist eine schöne Nachahmung jenes Originals; so wie die Augustiner von der Capelle zu Laretto copiirt ist.

Dem Kayser steht das Recht zu, fast in allen Häusern in Wien den ersten Stock für seine Hof- und Kriegsbeamte zu nehmen. Dieses Recht ist so sonderbar, als es den Eigenthümern beschwerlich ist. Die Häuser sind so geräumig, daß die meisten von den vornehmsten und zahlreichsten Familien, an einem einzigen Stockwerke genug haben.[151]

Die Einwohner gehn hier nicht, wie an andern Orten, nach den Kaufmannsläden, um Etwas zu kaufen, sondern die Läden kommen zu ihnen. In dem Gasthofe, worin ich abgestiegen, war im buchstäblichen Verstände jeden Tag Jahrmarkt. Die Kaufleute und Krämer scheinen nichts im Hause zu verkaufen, sondern schleppen ihre Waaren von Hause zu Hause, wie die Hausirer. Ein Fremder wird von diesen Schacherleuten halb tod gequält, welche verdorbne, liederliche oder schlecht gemachte Waaren feil bieten. In unserm alten England, es ist wahr, kauft man theuer, wenn man aber die Güte der Waare mit der hiesigen vergleicht, so ists in England spottwohlfeil.

Ich muß anmerken, daß ich nirgends auf dem festen Lande gefunden habe, daß man sich, ohne zu Dingen, auf Treue und Glauben der Krämer verlassen könne, wie bey den meisten in England. Man muß immer erst den Preis ausmachen, ehe man die Waaren zu sich nimmt. In London, wenn man in irgend einem bekannten Laden etwas kauft, darf man selten besorgen, daß man unbillig übersetzt werde, wenn man auch gleich nicht vorher nach dem Preise fragt, wenn mans holen läßt, und die Rechnung auch vielleicht erst ein Jahr nachher bezahlt wird.

Nicht weit von der Stadt ist ein berühmter Spatziergang, genannt der Prater. Es ist ein grosses Gehölz, wodurch ein Fahrweg für die Kutschen gehauen ist. Der Boden ist grün, man hat Schatten von den grössesten Bäumen, die ich in[152] meinem Leben gesehen habe, und an vielen Enden sieht man die Donau. Es ist der Wiener ihr Hyde Park, aber ebener und dunkler, als der zu London.

Das Erstemal, daß ich nach einem Theater ging, ward ich aus Irrthum nach einem deutschen Trauerspiele geführt, obgleich an eben dem Abend eine italiänische Operette auf einer andern Schaubühne aufgeführt ward, wobey der Kayser und seine Schwestern, die Erzherzoginnen zugegen waren. Allein meine Unwissenheit über diesen Umstand, trug dazu bey, meinen Grundsatz des Vorliebnehmens zu bestärken, nach welchen man aus jeder gegenwärtigen Lage Nutzen und Vergnügen zu ziehen sucht, sie sey veranlaßt worden, wodurch sie wolle, ohne sich über den Verlust solcher Vergnügen zu härmen, die man nicht mehr erreichen kann.

Indessen hofte ich, es würde etwas zu singen vorfallen, irrte mich aber gänzlich; es war ein Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing, genannt Emilia Galotti.

Ich sollte glauben, daß das Stück gut vorgestellt worden; es hatte Kraft und Leidenschaften, und bey vielen Reden wurde stark geklatscht. Allein ich war ein so grosser Neuling in der deutschen Declamation, daß ich nur hin und wieder eine Sentenz erschnappen konnte. Indessen kam ich doch hinter den Faden des Stücks, welches in der Cathestrophe viel Aehnliches mit der Virgina hat.[153]

Ein Prinz von Guastalla, vorher in eine Gräfinn, Namens Orsina verliebt, wird ihr ungetreu da er Emilia Galotti, die Tochter eines Edelmanns vom Lande, die mit einem würdigen Grafen verlobt ist, zu sehen bekommt. Er spricht mit dieser Dame in der Messe, an dem Morgen, der zu ihrer Verheyrathung mit dem Grafen bestimmt war.

Princez & rois vont très vite en amour, sagt Mr. de Voltaire. Dieser Prinz hat unter seinen Hofleuten einen Freund und Vertrauten, Namens Marinelli, dessen Charakter noch abscheulicher ist, als Jago, in Shakespears Othello.

Diese Person unternimmt es wirklich, für diesen Herrn zu kuppeln; und nachdem es ihm fehlgeschlagen, den verlobten Grafen zu bereden, sich in einer Gesandtschaft verschicken zu lassen, miethet er einen Banditen, den Wagen anzufallen, in welchem Emilia, ihre Mutter und der Graf nach einem Landguthe fahren, um daselbst die Vermählung zu vollziehen. Der Graf wird von den Mördern erschossen, und Emilia wird auf eine scheinbare, freundschaftliche und gastfreye Art nach einen Schlosse oder Landguthe des Prinzen gebracht, das nahe an der Heerstrasse liegt.

Orsina, die verlassene Maitresse des Prinzen, welche Emiliens Vater antrift, giebt ihm zu versiehen, daß die unglückliche junge Dame in den Plan, sie zu entführen, und ihren Bräutigam zu tödten, gewilligt habe; welches den aufgebrachten Vater dahin bringt, einen Dolch von ihr anzunehmen,[154] mit dem barbarischen Vorsatze, solchen zu seiner Tochter Brust zu stossen.

Marinelli stellt sich als ein Freund und Rächer des getödteten Grafen, und benachrichtigt den Vater, das Gerücht ginge, ein Liebhaber der Emilia sey der Mörder gewesen, es würde also nöthig seyn, sie von den Ihrigen zu trennen, bis die Sache gehörig untersucht worden.

Der beunruhigte Alte verlangt die Erlaubniß, seine Tochter alleine zu sprechen. Sobald sie von der Gefahr benachrichtigt ist, worinn sie sich, vermöge Marinellis listigen Plans, befindet, bemächtigt sie sich des Dolchs, den ihr ihr Vater gezeigt hat, mit dem Entschlusse, sich selbst zu vernichten. Er aber hält sie davon ab; wird aber endlich vermocht, den grausamen Streich selbst zu führen, gereitzt durch ihr Bitten, und die Vergrösserung der Gefahr, der sie durch die unerlaubte Liebe des Prinzen bloß gestellt wäre, welcher in diesem Augenblicke mit Marinelli dazu kommt.

Der Vater gesteht dem Prinzen die That und fragt ihn mit wilder Wuth, ob sie ihm itzt gefalle? Emilia hat gerade noch so viel Kräfte übrig, ehe sie verscheidet, die That ihres Vaters zu rechtfertigen. Der alte Mann überliefert sich den Händen der Gerechtigkeit; die Mutter kommt von Sinnen; unterdessen daß Marinelli, die Hauptursache alles dieses Unglücks, keine andre Strafe empfängt, die die Zuhörer erfahren, als daß ihm der Prinz befiehlt, ihm aus den Augen gehen.[155]

Lady Wortly Montague giebt eine merkwürdige Beschreibung von diesem Theater, als sie hier im Jahr 1716. das Lustspiel Amphitrion vorstellen sah. – »Ich kann dem Dichter« sagt sie, »die Freyheit nicht wohl verzeihen, die er sich genommen hat, sein Stück nicht bloß mit unanständigen Ausdrücken auszuspicken, sondern sogar mit solchen Unflätereyen, die, wie ich glaube, unser Pöbel von keinem Marktschreyer leiden würde. Dazu kam noch, daß die beyden Sosias ganz artig ihre Beinkleider niederliessen, gerade gegen den Logen über, die mit Personen vom vornehmsten Stande angefüllt waren, welche mit dem Spasse sehr vergnügt schienen und mir sagten, es sey ein berühmtes Stück.«15

Dieser brutale Geschmack hat eine andre Wendung genommen, und scheint sich nun in Trauerspielen durch gotteslästerliches Fluchen11 und Verwünschungen auszulassen. Denn in dem Stücke von heute Abend fluchen, schwören und schelten die Akteurs auf eine grobe und beleidigende Weise. Ich weiß vielleicht nicht eigentlich, was die Deutschen bey den folgenden Ausdrücken: Bey Gott; Gott verdamm' ihn, u.s.w. denken; aber sie beleidigten meine Ohren sehr oft.

Gleichwohl herrscht in der Ausführung und den Gesinnungen dieses Stücks eine originelle, regellose Erhabenheit, welche es sehr anziehend macht. Der Prinz selbst beschließt es mit folgender[156] kühnen und vortreflichen Ausrufung: »Gott! Gott! Ist es, zum Unglück so mancher nicht genug, daß Fürsten Menschen sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?«16[157]

Dieses Theater ist hoch und geräumig, hat fünf oder sechs Reihen Logen, vier und zwanzig in jeder Reihe. Die Höhe macht, daß es kurz scheint; dennoch fällt es beym ersten Anblick sehr gut in die Augen. Es scheint eben nicht neuerlich gemahlt zu seyn, und ist dunkel, doch sind die Scenen und Dekorations glänzend. Die Bühne selbst kam mir oval vor, welches, es mochte nun wirklich so seyn, oder durch eine Täuschung so scheinen, eine angenehme Wirkung that, weil es dem andern Ende des Theaters entsprach, wo die Ecken abgerundet sind, und wodurch das Ganze ein geschmackvolles Ansehen bekommt.

Das Orchester12 war stark besetzt, und die Stücke, die man zur Anfangssinfonie und zwischen den Akten spielte, wurden sehr gut ausgeführt und thaten eine sehr schöne Wirkung. Sie waren von Haydn, Hoffman und Vanhall.

Das Erstemal, da ich nach der Hauptkirche St. Stephan ging, ward daselbst eine vortrefliche Messe, im wahren Kirchenstyle, sehr gut ausgeführt. Es waren Violinen und Violonschells dabey, ob es gleich kein Festtag war. Die grosse Orgel in dieser Kirche an der Abendseite, ist schon seit vierzig Jahre unbrauchbar; es sind aber noch drey oder vier andre da, welche bey Gelegenheit gespielt werden. Die, welche ich heute Morgen auf dem Chore hörte, ist ein armselig Ding, und war, wie gewöhnlich, sehr verstimmt. Sie ward indessen in einem meisterhaften, obgleich nicht modernen Style gespielt. Alle Responsas werden[158] hier bey der Messe in vier Stimmen gesungen, und das nimmt sich viel besser aus, besonders wo so wenige Melodie ist, als der blosse nackte Canto fermo, der in den meisten andern catholischen Kirchen gebräuchlich ist. Die Oberstimme ward von Knaben gesungen, und recht gut, besonders waren Zweene darunter, deren Stimmen zwar nicht stark, aber sehr ausgebildet waren.

Ich kann mit dem Tagebuche von meinen musikalischen Begebenheiten in Wien nicht weiter gehen, ohne der schmeichelhaften Art zu erwähnen, mit welcher ich empfangen, beschützt, und womit mir sogar in meinen Nachforschungen, von Sr. Excellenz, dem Lord Viscount Stormont, unsers Königs ausserordentlichen Gesandten am hiesigen Hofe, beygestanden wurde, denn ich habe Sr. Lordschaft thätigen Einflusse grössesten Theils mein Vergnügen und auch die Nachrichten zu verdanken, welche ich während meines Aufenthalts zu Wien eingesammlet habe.

Der Herr Ambassadeur war auf meine Ankunft durch einen Brief vorbereitet, den Herr de Visme so gütig gewesen war, an ihn zu schreiben, noch eh' ich München verließ, und worin er die Natur meiner Reise und Absichten erkläret hatte; dergestalt, daß ich bald eine Audienz bey ihm erhielt, und er geruhete ernstlichen Antheil an meinem Vorsatze zu nehmen, und sich gleich nach meiner Ankunft dafür zu intressiren. Dies war ein sehr glücklicher Umstand für mich, weil er bey seiner hiesigen langen Residenz Gelegenheit gehabt hatte,[159] alle solche Sachen und Personen kennen zu lernen, die ich zu kennen wünschte; und die allgemeine Hochachtung, welche ihm sein gesetztes, verständiges und liebenswürdiges Betragen erworben hatte, gab ihm bey seinem hohen Range und Posten in jeder Sache ein grosses Gewicht, deren er sich annahm.

Eine von den ersten grossen Gewogenheiten, die mir Sr. Lordschaft erwies, war, daß er mich der Gräfinn Thun vorstellte, eine sehr liebenswürdige und vollkommne Dame, von hohen Stande, welche nebst vielen andern Talenten auch eine so grosse Geschicklichkeit in der Musik besitzt, als irgend eine Standesperson, die ich kenne. Sie spielt das Clavecimble mit der Anmuth, Leichtigkeit und Delikatesse, wohin nur weibliche Finger gelangen können.

Ihr Lieblingskomponist für das Instrument ist einDilettante, der Herr Graf von Becke. Seine Stücke sind sehr original, und in gutem Geschmacke. Sie zeigen sehr das Instrument, aber noch mehr seine eigne Delikatesse und Empfindungen. Zum Unglück für mich war er damals eben in Böhmen, daß ich also die Ehre und den Vortheil nicht haben konnte, persönlich mit ihm bekannt zu werden.

Den zweyten Abend nach meiner Ankunft, ging ich nach dem französischen Theater, woselbst ich ein deutsches Lust- oder vielmehr Possenspiel von fünf Akten vorstellen sah. Es mußte gleichwohl nicht ohne sein Verdienst seyn, weil die Zuschauer[160] sehr damit vergnügt schienen. Dieses Theater ist nicht so hoch, als das, was ich gestern besuchte, es ist aber noch besser ausgeziert; die besten Plätze scheinen hier im Parterre zu seyn, welches in zwey Theile abgetheilt und mit Bänken ist, die gepolstert und mit rothen Zeuge überzogen sind, das Theater ward während dem Stücke selten verwandelt; die Hauptscene aber, das ist die, welche am längsten stehen blieb, hatte, wie bey den französischen Theatern, an beyden Seiten zwo grosse Flügelthüren, zum Auftreten und Abgehen der Hauptpersonen. An jeder Seite ging ein schöner Vorschieber heraus, gleichfalls mit einer Thüre in der Mitte, hauptsächlich zum Gebrauch der Bedienten und übrigen niedrigen Rollen. Das Stück gerieth zu oft ins niedrig Possenhafte; bey dem allen aber kamen wirklich launige Auftritte und Charaktere vor, und zwey oder drey von der sogenannten weinerlichen Art, die wirklich rührend waren.

Man giebt den Akteurs bey diesem Theater nicht mehr, wie ehedem Prämien, welche sich zur Ergötzung der Zuschauer freywillig Ohrfeigen und die Pritsche geben lassen. Es ist noch nicht über einige Jahre her, daß die Komödianten, besonders die lustigen Personen, alle Woche richtig ihre Rechnung einbrachten, mit:


Für eine Ohrfeige – –

Für fünf Prügel – –

Für einen Tritt mit dem Fusse –

Summa Sumarum fl[161]


Allein, als endlich mit der Länge die nachdrücklichen Spässer nicht mehr so recht wirken wollten, so ward es nothwendig, sie zum Vergnügen der Zuschauer desto häufiger anzubringen, bis endlich die Direktion diese Ausgabe zu überschwenglich fanden, und den Lohn für diese heroische Leiden ganz und gar einzogen.

Und itzt, da dieser handgreifliche Witzt nicht mehr im Gange ist, bemerkt man, daß nicht nur das Schauspielhaus oft leerer ist als sonst, sondern die Zuschauer sind auch nicht mehr so leicht zu befriedigen als ehedem. Wirklich scheint die schädliche Folge dieser Abschaffung so groß gewesen zu seyn, daß manche Leute die öftern Bankerotte der Direkteurs auf Rechnung der unausstehlichen Klotzigkeit und Schläfrigkeit der Akteurs setzen.17

Das Orchester war eben so tüchtig besetzt, als das beym andern Theater, und die Stücke, die es spielte, waren vortreflich. Sie waren so voller Erfindung, daß sie Musik aus einer andern Welt schienen, weil man von den vorkommenden Passagen kaum einer einzigen in der unsrigen nachspüren konnte, und doch war alles natürlich, und gleichfrey von schwerfälliger Arbeitsamkeit, oder pedantischer Gelehrsamkeit. Wessen die Komposition war, konnte ich nicht erfahren; aber sowohl[162] diese als ihre Ausführung machten mir ein unbeschreibliches Vergnügen.18

Nach dem Stücke folgte ein feuriges und unverhaltendes Ballet, von der Erfindung des berühmten Noverre, in welchen die vier ersten Tänzer grosse Geschicklichkeit in Ansehung der Anmuth, Lebhaftigkeit und Nettigkeit bewiesen.

In der ersten Logenreihe befindet sich die grosse Loge für die Kayserliche Familie, welche öfter nach diesem Theater kommt; es ist von Carl VI. erbauet. Die Kayserinn Königinn geht noch beständig in Trauer, und hat nach dem Tode des Kaysers noch kein Theater wieder besucht.

Diesen Abend sangen zweene Armenschüler dieser Stadt, in dem Hofe des Hauses, worin ich abgetreten war, Duette, im Falset soprano und Contralto, recht gut im Tone, und mit Gefühl und Geschmack. Ich ließ sie fragen, ob sie ihre Musik im Jesultercollegio gelernt hätten, und bekam Ja zur Antwort. Obgleich gegenwärtig die Anzahl der Armenschüler, in den verschiedenen Collegiis, sich bis auf hundert und zwanzig erstreckt, so sind doch nur siebenzehn darunter, die Musik lernen.

Nach diesen ging ein Chor dieser Schüler durch die Gassen, welcher eine Art lustiger Lieder in drey[163] ober vier Stimmen sang; das Land ist hier wirklich sehr musikalisch. Ich hörte hier oft die Soldaten vor der Wache und auf den Posten, auch andre gemeine Leute vielstimmig singen. Einigermaassen erklärt die Musikschule im Jesuitercollegio, in jeder römisch-catholischen Stadt, diese Fähigkeit, allein es können auch andre Ursachen angeführt werden, und unter diesen sollte auch der gedacht werden, daß kaum eine Kirche oder Kloster in Wien seyn seyn wird, worin nicht täglich des Morgens eine musikalische Messe gehört wird; das heißt, worin ein grosser Theil des Amtes in verschiedenen Stimmen gesetzt ist, von Sängern gesungen, und ausser der Orgel wenigstens von drey oder vier Violinen, Bratsche und Baß begleitet wird; und weil hier die Kirchen täglich sehr voll sind, so muß diese Musik, wenn sie auch gleich nicht die schönste ist, gewissermaassen das Ohr der Einwohner bilden. Physische Ursachen wirken in Ansehung der Musik nur wenig, wie ich glaube. Die Natur vertheilt ihre Gaben unter alle Bewohner von Europa so ziemlich gleich; allein moralische Ursachen sind in ihren Wirkungen oft sehr mächtig, und es scheint, als ob die Nationalmusik eines Landes gut oder schlecht sey, nach dem Verhältniß, wie sein Gottesdienst beschaffen ist. Daraus mag sich der Geschmack des gemeinen Volks in Italien erklaren lassen, woselbst freylich die Sprache musikalischer ist, als in irgend einem andern Lande in Europa, welches auch wirklich auf die italiänische[164] Vokalmusik Einfluß hat. Aber die vortreflichen Musiken, die der gemeine Mann täglich in der Kirchen umsonst anhören kann, tragen mehr dazu bey, den Nationalgeschmack an guter Musik zu verfeinern und zu bestimmen, als irgend etwas anders, worauf ich mich bis itzt befinnen könnte.

Ich hatte hier das Glück, daß ich den vortreflichen Dichter Metastasio antraf, ferner den nicht weniger vortreflichen Komponisten Hasse, wie auch den Chevalier Gluck, eins der ausseordentlichsten Genies, welche dieses, oder vielleicht alle Jahrhunderte und alle Nationen aufzuweisen haben. Und da ich so glücklich gewesen bin, während meines Aufenthalts in dieser Stadt, dieser berühmten Personen Umgang häufig zu geniessen: so wird mich das geneigt machen, in Ansehung ihrer sehr umständlich zu seyn. Der Leser wird es mir hoffentlich verzeihen, wegen ihrer ausserordentlichen Verdienste, und wegen der enthusiastischen Bewundrung, ich muß es bekennen, womit meine Seele gegen sie erfüllt ist.

Ehe ich die Ehre hatte, bey Signor Metastasio eingeführt zu werden, erhielt ich von völlig zuverlässiger Hand die folgende Nachricht von diesem grossen Dichter, dessen Schriften vielleicht mehr zur Verfeinerung der Vokalmusik, und also der Musik überhaupt, beygetragen haben, als die vereinten Kräfte aller grossen Komponisten in Europa zusammen genommen. Diese Voraussetzung werde ich nachher zu erklären und zu beweisen[165] suchen, wenn ich von ihm bloß als von einem lyrischen Dichter spreche.

Der Abate Pietro Metastasio13 ward, als er noch sehr jung, von dem berühmten Civilisten zu Rom,Gravina, an Kindesstatt angenommen, der, weil er ungewöhnliche Fähigkeiten zur Poesie an ihm bemerkte, die Sorge für seine Erziehung über sich nahm, und ihn, nachdem er ihn vor seinen Augen in allen Theilen der schönen Wissenschaften hatte unterrichten lassen, nach Calabrien, im Königreiche Neapolis schickte, um dort das Griechische, welches noch von den Einwohnern dieser Provinz gesprochen wird, als eine lebendige Sprache zu lernen. Er war erst fünf Jahr alt, als er schon eine solche Fertigkeit besaß, ex tempore in Versen zu sprechen, daß ihn Gravina öfters auf den Tisch setzte, um einen Improvisatore abzugeben. Diese Uebung ward aber für seine Gesundheit so nachtheilig befunden, daß ein Arzt seinen Pflegevater versicherte, das Kind müßte darauf gehen, wenn sie nicht unterbliebe. Denn zu solchen Zeiten war er so wahrlich afflatus numine, daß seine Brust und sein Kopf aufschwellten und erhitzt, und ihm Hände und Füsse kalt wurden. Gravina der dies merkte, hielt für rathsam, der Meinung des Arztes zu folgen, und ließ ihn niemals wieder improvvisare. Metastasio spricht itzt von dieser Uebung, als von einer Sache, die eben so sehr gegen die Grammatik als gegen die gesunde Vernunft sündigt. Denn welcher Mensch sich gewöhnt, auf diese[166] schnelle Weise alle Gedanken in Reime zu zwängen, der muß allem was Geschmack heißt Gewalt anthun, und weiß nicht, was Wahl heißt: bis endlich Genie und Verstand nach und nach an Nachlässigkeiten und Ungereimtheiten verwöhnt, nicht nur alle Lust zum Rachsinnen verlieren, sondern auch an Allem was sorgfältig und korreckt gemacht ist.

Gravina ließ Metastasio, noch eh' er vierzehn Jahr alt war, den ganzen Homer in italiänische Verse übersetzen, und dies mag wohl der Hochachtung gegen die Alten einigen Eintrag bey ihm gethan haben, welche sonst wirklich grossen Männern gewöhnlich zu seyn pflegt.19 Fielding sagte von sich selbst, daß er davon, wie schwer Homer zu verstehen sey, die Merkmale Zeitlebens an seinem Leibe trüge. Gravina vergötterte die Alten, und Metastasio, vielleicht aus Widerspruch, schätzt sie zu wenig.

Er hat gewisse Meinungen über verschiedene Sachen, besonders über den Reim, die nur er allein hat, und von denen er nicht abgeht. Er denkt noch beständig, daß die hebräischen Psalmen in Reimen abgefaßt sind, und daß dieser wiederkehrende Klang des Verses unendlich älter sey, als man insgemein dafür hält. Er meint, Miltons verlohrnes Paradies könne kein vollkommnes Gedicht seyn, weil es in reimlosen Versengeschrieben ist; und doch sind alle Recitative in seinen[167] dramatischen Werken, in abgemeßner Prose, ob er gleich die meiste Zeit den Uebergang zu den Arien durch die Reime der beyden letzten vorhergehenden Verse vorbereitet.

Sein ganzes Leben ist eben so sanft hinfliessend als seine Schriften. Seine häusliche Ordnung geht pünktlich nach Uhr und Glockenschlag, wovon er nicht abweicht. Seit den letzten dreissig Jahren hat er nicht ausser dem Hause gegessen; er läßt sich sehr schwer sprechen, und ist so wenig für neue Personen als neue Dinge. Nur mit drey oder vier Personen hält er einen vertrauten Umgang, und die kommen täglich ohne alle Umstände des Abends von Acht bis Zehn Uhr zu ihm. Er hat die Dintescheu und setzt keine Feder an, wenn er nicht muß; eben wie man den Silen erst binden mußte, wenn er singen, und den Proteus, wenn er ein Orakel geben sollte.

Er hat schon lange den Titel und den Gehalt, als Kayserlicher Hofdichter; und wenn der Kayser, die Kayserinn oder sonst jemand von der Kayserlichen Familie es befiehlt, setzt er sich hin und schreibt, aber nicht länger als zwo Stunden auf einmal, grade als ob er ein fremdes Gedicht abschriebe. Er wartet auf keine Begeisterung, ruft keine Muse an, ja, wollen sie ihm ihre Gunstbezeugung ertheilen, so müssen sie zu der von ihm festgesetzten Zeit sich einstellen.

Die Encyclopedisien wendeten sich an ihm, daß er den Artikel Opera, in ihr Wörterbuch arbeiten möchte. Er lehnte aber den Antrag sehr höflich[168] von sich ab, in der Voraussetzung der Unmöglichkeit, daß seine Meinung darüber der französischen Nation gefallen könnte.

Tasso ist unter allen Dichtern sein Liebling; vom Fingal hält er nichts, weil er ihm zu bilderreich und dunkel ist.20 Mit seinen ausgewählten Freunden lieset er alle Abende alte und neuere Dichter. Er ist sehr eingenommen von den Schriften des Grafen Medini, ein Böhme, von dessen poetischen Werken er sagt, daß sie die Werke aller übrigen lebenden Schriftsteller übertreffen. Dieser Graf arbeitet an einer italiänischen Übersetzung der Henriade, in Ottave Rime.

Ein sehr vornehmer Mann versicherte mich, er sey fünf Jahre zu Wien gewesen, eh' er mit ihm habe bekannt werden, oder ihn einmal habe sprechen können; und nach dieser Zeit hatten sie in verschiedenen Jahren, nur drey Besuche mit einander gewechselt. In der That schlug man mich, als ich vor meiner Abreise aus England mich um Empfehlungsschreiben an diesen vortreflichen Dichter bewarb, mit der Versicherung nieder: »es würde vergebene Mühe seyn, zu versuchen, den Metastasio auch nur zu sehen zu bekommen, weil er gänzlich verältert, ungesprächig und ein Feind von allen Gesellschaften wäre.«

Diese Nachricht war gleichwohl in zu starken Ausdrücken; denn ich fand, als ich zu Wien war,[169] daß er, ausser der ordentlichen Abendgesellschaft von seinen vertrauten Freunden, noch alle Morgen eine Art von Cour annahm, wobey ihn viele Personen von hohem Stande und vorzüglichen Verdiensten besuchten.

Wenn man ihn mit Höflichkeit anhört, so spricht er ganz frey und angenehm fort; wird ihm aber widersprochen, so schweigt er augenblicklich stille. Er hat zu viele Lebensart, und ist zu bequem zum Disputiren. Wenn etwas gesagt wird, das er für irrig und dem was er etwan vorgebracht hat, für entgegen gesetzt hält: so läßt ers stillschweigend vorüber gehen. Von lebhaften Unterredungen, wie gemeiniglich unter Männern von Talenten und Gelehrsamkeit vorzufallen pflegen, ist er kein Liebhaber, sondern will lieber mit der Ruhe und der Gemächligkeit eines unbemerkten Mannes leben, als mit der entscheidenden Art eines Mannes von grossem Gewicht Machtsprüche ertheilen. In der That scheint sich in seinem Leben eben die sanfte Heiterkeit zu befinden, welche durch seine Schriften herrscht, worin er, selbst wenn er Leidenschaft mahlt, mehr mit gelaßner Vernunft, als mit Heftigkeit spricht. Und diese ebene, gleichschwebende Anständigkeit und Korrecktheit, welche man durch alle seine Gedichten bemerkt, liegt im Grunde seines Charakters. Er ist vielleicht eben so selten heftig und stürmisch in seiner Schreibart, als in seinem Leben, und man kann ihm den Dichter aus der goldnen Zeit nennen, in welcher, wie man sagt, Einfalt und Sittsamkeit[170] mehr herrschte, als grosse und heftige Leidenschaften. Die Ergiessungen von Patriotismus, Liebe und Freundschaft, welche mit ausseordentlicher Anmuth von seinen Lippen fliessen, sind sittliche sanftartige Empfindungen, die aus seinem Herzen entspringen, und die Farben von seiner Seele an sich tragen.

Er has vielleicht nicht das Feuer eines Corneille oder den Witz und die Mannichfaltigkeit eines Voltaire; dagegen aber hat er allen Pathos und alle das Korrekte eines Racine, und dabey mehr Eigenthümliches. Ich darf nur seines bekannten Gedichts: Grazie à gl'inganni tuoi erwähnen, welches so oft nachgeahmt und in alle Sprachen übersetzt worden. Dieses enthält eine Art von Witz, die dem Metastasio besonders eigen ist, womit er geringfügige Umstände zu heben weiß. Shakespear sagte spottweise von einem seiner Charaktere: »er hat einen vernünftige guten Witz«, und das ist von Metastasio im Ernste wahr; denn sein Witz besteht nicht in epigrammatischen Pointen, oder sonderbaren Einfällen, eben so wenig ist er beissend oder sarkastisch; sondern besteht in gewöhnlichen natürlichen Gedanken, die äusserlich fein polirt und mit Demanten besetzt sind.


'Tis nature of advantage dress'd,

What oft was thought, but ne'er so well express'd.21[171]


Die Lieblichkeit seiner Sprache und seiner Versifikation, giebt allem was er schreibt Anmuth, und das natürliche Bestreben seines Genies zielt auf Tugend, Sittlichkeit und Wohlanständigkeit. Und ob er gleich in jeder Strophe seiner Nice merken läßt, daß er von seiner Liebe für eine Leichtsinnige im geringsten nicht geheilt ist, so beweißt er doch klar, daß ers seyn sollte.

Unter den Dichtern, Tonkünstlern und ihren Anhängern herrscht zu Wien eben so viel Cabale, als anderwärts. Man kann sagen, daß Metastasio und Hasse an der Spitze einer der vornehmsten Sekten stehen, und Calsabigi und Gluck an der Spitze einer andern. Die Erste betrachtet alle Neuerungen, als Schwärmerey, und hängt fest an der alten Form des musikalischen Drama, in welchem Dichter und Komponist gleich viel Aufmerksamkeit von dem Zuhörer fodern, der Poet in den Recitativen und den erzählenden Theilen, und der Musikus in den Arien, Duetten und Chören. Die andre Parthey hält mehr auf theatralische Wirkungen, richtig gehaltene Charaktere, Einfalt in der Diktion und musikalische Ausführung, als auf das was sie blumenreiche Beschreibungen, überflüssige Gleichnisse, spruchreiche und frostige Moral auf der einen, mit langweiligen Ritornellen und gedehnten Gurgeleyen auf der andern Seite nennen.22 Es ist hier nicht sowohl[172] mein Geschäft oder meine Absicht auf eine Seite zu treten, und zu bestimmen, welche von beyden Partheyen Recht habe, als das unterschiedne Verdienst von beyden ins Licht zu setzen. Denn ich wäre nicht nur ein Feind meines eignen Vergnügens, sondern auch des Titels eines getreuen Geschichtschreibers, den ich mir angemasset habe, unwürdig, wenn ich dem ausschliessenden Beyfalle das Wort reden wollte. Ich werde also fortfahren das Genie beyder obgedachten grossen Komponisten zu charakterisiren, und zwar bloß nach meinem eignen Urtheil und Gefühle, ohne mich durch die Entscheidung andrer blenden zu lassen.

Das Verdienst des Herrn Hasse14 ist schon so lange und so allgemein unter den Kennern der Musik bestimmt, daß ich noch mit keinem einzigen Tonkünstler über die Sache gesprochen habe, der nicht zugegeben, daß er von allen itztlebenden Komponisten, der natürlichste, eleganteste und einsichtvolleste sey, und dabey am meisten geschrieben habe23 Gleich Freund der Poesie und der Stimme, zeigt er eben so viel Beurtheilung als Genie, sowohl im Ausdruck der Worte, als in Begleitung der lieblichen und zärtlichen Melodien, welche er den Sängern giebt. Er betrachtet beständig die Stimme als den Hauptgegenstand der Aufmerksamkeit auf der Bühne, und unterdrückt sie niemals durch[173] ein gelehrtes Geschwätz mannichfaltiger Instrumente, oder arbeitender Begleitungssätze; vielmehr ist er immer darauf bedacht, ihre Wichtigkeit zu erhalten, gleich einem Mahler, welcher der Hauptfigur in seinem Gemählde das stärkste Licht giebt.

Im Jahr 1769. setzte er in Wien die Musik zu einer kleinen Oper, oder Intermezzo tragico, Piramo e Tisbe, à tre voci; und 1771. setzte er zu Mayland die Oper Rugiero, bey Gelegenheit der Vermählungsfeyer des Erzherzogs Ferdinand, mit der Prinzessinn von Modena, beyde geschrieben von Metastasio.24

D. Brown will behaupten, daß Musik und Poesie nicht zusammen gehören; wenn er Recht hat, so muß man doch zugeben, daß dieser Dichter und dieser Musikus, die beyden Hälften sind, welche gleich Plato's Androgyne, ehmals ein Ganzes ausmachten. Denn so wie sie beyde die unterscheidenden Kennzeichen des wahren Genies, Geschmacks und Urtheils besitzen; so sind auch auf gleiche Weise Schicklichkeit, Ebenmaaß, Klarheit und Genauigkeit die beständigen Begleiter von beyden. Als noch die Stimme mehr in Ansehn[174] stund, als die knechtische Heerde nachahmender Instrumente: zu einer Zeit, wo ein andrer Grad, und besser beurtheilte Art von Studium, solche der Aufmerksamkeit vielleicht würdiger machten, als itzt: da waren es die Arien von Hasse, besonders die pathetischen, welche jeden Hörer entzückten, und den Ruhm der grössesten Sänger in Europa25 festsetzten.

Seine Stärke ist in England nur wenig bekannt, da nur wenige von seinen Kompositionen, und zwar nur die von der unbedeutenden Art gedruckt sind. Allein, da er mehr geschrieben hat, als irgend ein andrer itzt lebender Komponist für die Vokalmusik: so kann man, ohne seinen Mitbrüdern zu nahe zu treten, einräumen, daß er eben so viel Vorzug vor allen lyrischen Komponisten hat, als Metastasio vor allen lyrischen Dichtern.

Der Ritter Gluck ist dafür, die Musik zu simplificiren; und mit gränzenloser Erfindungskraft und Fähigkeit die eigensinnigsten Schwierigkeiten hervorzubringen, und seine Melodien mit buhlerischen Zierrathen zu verbrämen, thut er alles mögliche seine Muse nüchtern und keusch zu erhalten. Seine drey Opern, Orpheus, Alceste und Paris geben hiervon Beweise, als welche wenige Schwierigkeiten in Ansehung der Ausführung, wohl aber viele den Ausdruck betreffend, enthalten.[175]

Neulich hat er einen geschickten Dichter den Plan zu einer neuen Ode auf St. Cöciliastag angegeben, welcher beydes Genie und Urtheilskraft verräth. Lord Cowper ließ vor einiger Zeit zu Florenz Drydens Ode, von Händel komponirt, aufführen; man hatte aber eine italiänische Uebersetzung untergelegt, welche eigentlich Sillablich gemacht worden, um die Musik so unverändert als möglich, beyzubehalten. Diese zärtliche Hochachtung gegen den Tonkünstlet war indessen so sehr auf Kosten des Dichters, daß Drydens göttliche Ode in dieser elenden Uebersetzung nicht nur unpoetisch, sondern völlig unverständlich geworden war.26 Eben diese Musik ist vor einiger Zeit mit eben den Worten in Wien aufgeführt worden, und manche Stellen darin fanden sehr vielen Beyfall, Trotz dem unsinnigen Texte, womit sie zu den Ohren der Zuhörer gebracht ward.

Gluck hatte ein inniges Gefühl von den Gedanken unsers grossen Dichters, und wünschte über eben den Gegenstand, aber nach einem andern Plane, eine Ode zu haben, die so viele davon, als möglich, beybehielte. Seine Idee war diese: Ein Gedicht von solcher Länge könne nach der heutigen Art Musik keinesweges von einer Person allein abgesungen werden; und da Drydens Ode ganz von[176] der erzählenden Gattung ist, so scheint es unschicklich, solche bey der Aufführung unter mehrere zu vertheilen: er wünschte also, daß sie in die Form eines Drama umgegossen würde, in welchem die singenden Personen sagen könnten, was ihnen die Leidenschaften einflösseten. Und dieses ist auf folgende Weise geschehen: Das Drama beginnt mit einem Bacchusfeste, wobey besonders Alexander und Thais gegenwärtig sind. Sie kommen überein, den Timotheus rufen zu lassen, daß er vor ihnen singe; allein ehe er anlangt, äussern der Held und seine Geliebte verschiedene Meinungen über seine Kunst; die Eine meint, sie sey nicht so groß, als der Ruf von ihm sagte, und der Andre, sie sey grösser als sein Ruhm. Dieser Streit belebt den Dialog und giebt den Zuhörern eine angenehme Unterhaltung, bis der Künstler anlangt, welcher den trojanischen Krieg besingt, wodurch Alexander dergestalt begeistert wird, daß er in die Klagen ausbricht, die man ihm in der alten Geschichte zuschreibt, nemlich, daß er nicht wie Achilles einen Homer habe, der seine Thaten verewige.

Dienstags, den 1sten September. Diesen Nachmittag hörte ich in der Vesper, in der Cathedralkirche, eine vortrefliche alte Musik von Fuxens Komposition, der aber weder im Singen, noch in der Begleitung, Gerechtigkeit wiederfuhr; das Erste war schwach, und die Zweyte, ich meine die Violinen, elend: der Organist, Herr Mittermeier, spielte gleichwohl sehr gut. Hr. Hoffmann, ein vortreflicher Komponist für Instrumentalmusik,[177] besonders Sinfonien, ist Maestro di Capella. Die Kirche ist ein finstres, schmutziges und melancholisches altes Gebäu, obgleich reich an Verzierungen. Man hat darin die Trophäen aufgehängt, welche das Haus Oesterreich vor mehr als hundert Jahren den Türken abgenommen hat, und das giebt ihr das Ansehn einer alten Zeugkammer.

Diesen Abend, um halb sechs Uhr, ging ich nach der komischen Oper, Il Barone. Die Musik war vom Signor Salieri, einem Schüler von Gasmann. Die Sinfonie und die beyden ersten Arien wollten mir nicht sonderlich gefallen; die Musik war langweilig und das Singen mittelmäßig. Das Stück hatte nur vier Rollen, und die prima Donna hatte erst die dritte Scene; aber nun bekam auch alles um sie herum ein neues Leben. Sie war eine Baglioni von Bologna,27 die ich auf meiner Reise durch Italien, beydes zu Florenz und Mayland gehört hatte. Sie hat sich seit der Zeit um Vieles gebessert, und ihre Stimme ist nunmehro eine von den hellesten, lieblichsten, reinesten, stärksten und vom weitesten Umfange, die ich je gehört habe. Sie geht vom ungestrichen b ins zweygestrichne d, und ist voll, nicht schwankend und allenthalben gleich stark. Ihr Triller ist gut, und ihr Portamento vortreflich, wobey man weder Nase, Mund oder Gurgel merkt. Ihre Töne waren alle so rund und edel, daß alles anziehend ward, was sie nur that; ein paar einfache,[178] langsame Noten von ihr, waren den Zuhörern mehr werth, als eine ganze ausgearbeitete Arie von allen übrigen.

Diese Sängerinn ist jung, hat schöne Züge, einen reizenden Wuchs, und ist im Ganzen eine schöne Person. Ich kann aber alle die Verbesserung, die ich in ihrer Stimme gefunden, nicht bloß der Zeit zuschreiben; etwas muß man auch auf den Unterschied der Bühnen rechnen. Die Theater zu Florenz und Mayland sind wenigstens zweymal so groß, als dieses hier zu Wien, welches ungefehr von der Grösse ist, wie unser Opernhaus im Haymarket. Die Oper heute Abend ward auf dem deutschen Theater gegeben, woselbst ich vorher ein Trauerspiel gesehen hatte. Die beyden Wiener Theater sind niemals zugleich offen, ausgenommen an einem Sonn- oder Festtage; sonst wechseln sie ab.

Der Kayser, der Erzherzog Maximilian, sein Bruder, und seine beyden Schwestern, die Erzherzoginnen Marianne und Marie Elisabeth, waren alle in dieser Operette. Die Loge, worin sich solche befanden, war wenig von den übrigen unterschieden; sie kamen und gingen wieder mit weniger Begleitung weg und ohne Parade. Der Kayser ist ein Herr von schöner männlicher Gestalt, und hat eine lebhaft angenehme Miene; er verändert oft seinen Sitz in der Oper, um mit verschiedenen Personen zu sprechen; er geht auch öfters ohne Wache durch die Gassen, und scheint,[179] so viel als möglich, allen unnöthigen Pomp zu vermeiden.

Se. Kayserliche Majestät war während der Operette ungemein aufmerksam und aplaudirte der Baglione verschiedene Male recht herzlich.

Man bezahlt für den Eingang in dieses Theater sehr wenig; für zwey und zwanzig Kreutzer geht man ins Parterre, worin man gleichwohl Sitze mit Rücklehnen hat. Vorne im Parterre ist aber ein Theil abgesondert, welches man Amphitheater oder Parquet nennt. Hier sind die Preise doppelt; für Geld kann man keine andre Stelle bekommen, als im Parterre und auf der Gallerie, welche ganz oben um das ganze Haus geht, und wohin man nur sechszehn Kreuzer giebt. Die Logen sind Monatsweise an die vornehmsten Familien vermiethet, eben wie in Italien.

Mittwoch, den 2ten September. Diesen Vormittag wendete ich dazu an, die Briefe abzugeben, die mir an verschiedene Personen in Wien gegeben waren. Zwoer darunter muß ich vorzüglich erwähnen, aus deren Bekanntschaft ich grosses Vergnügen, und Beystand bey meinen musikalischen Nachforschungen genoß; dieses waren der Abate Taruffi, Uditore e secretario di legazione bey dem päbstlichen Nuncio, an den mir Herr Baretti ein Empfehlungsschreiben gegeben hatte, und der andre Hr. L'Augier, einer der vornehmsten Kayserlichen Hofmedici, dessen Bekanntschaft ich dem Herrn Obrist St. Pol, und Herrn de[180] Visme zu danken hatte, die beyde so gütig gewesen waren, meinetwegen an ihn zu schreiben.

Der Umgang mit dem Abate Taruffi machte mir ein ungemeines Vergnügen; denn ich fand sehr bald, daß er nicht nur eine allgemeine Kenntniß von allen Sachen besaß, welche nur vorkammen, sondern daß er auch einen vorzüglich guten Geschmack in der Litteratur und den Künsten hatte. Er spricht Englisch, und ist mit unsern besten Schriftstellern, sowohl in Versen als Prosa so genau bekannt, daß er sie eben so leicht und glücklich anführt, als ein gebohrner Britte.

Bey meinem ersten Besuche machte ich ihn mit dem eigentlichen Zwecke meiner Reise durch Deutschland bekannt, und gab ihm die gedruckte Nachricht von meiner Reise durch Frankreich und Italien. Es war mir ungemein lieb, zu finden, daß er ein genauer Bekannter von Hasse und Metastasio war, um desto mehr, da er sich von selbst erbot, mich zu ihnen zu führen. Er versprach mir gleichfals, mich dem Legaten und dem Duca di Bresciano vorzustellen, nicht bloß deswegen, weil es Personen wären, deren Einfluß mir wegen ihres hohen Standes nützlich seyn könnte, sondern deren Unterredung, als Liebhaber und Kenner der Musik, mir beydes, Anekdoten und Reflexions an die Hand geben könnten, die meine Aufmerksamkeit verdienten. Er war so gütig, mir verschiedene interessante Nachrichten von Metastasio mitzutheilen; eine davon war, daß ein junges Frauenzimmer, die Tochter eines verstorbenen[181] Freundes, welche in seinem Hause gebohren und erzogen worden, und noch bey ihm lebte, das grösseste Genie von der Welt zur Musik in allen ihren Zweigen hätte, zum Singen, Spielen, und Komponiren. Metastasio lehrte sie zuerst, seine Lieder in Musik setzen; nunmehr aber flößt sie selbst diesem grossen Dichter Entzücken und sogar Bewundrung ein.

Ich war äusserst neugierig zu erfahren, was für eine Art von Musik Metastasios Idee am besten entsprechen möchte, wenn sie über seine Poesie gesetzt wäre; und bildete mir ein, daß dieses junge Frauenzimmer, bey den Vortheilen seines Unterrichts, Rathes und Beyfalls, verbunden mit ihrem eignem Genie, einalter idem seyn müßte, und daß ihre Arbeiten alle die musikalischen Verschönerungen enthalten würden, deren seine Poesie anzunehmen fähig, ohne ihre eigenthümliche Schönheit zu verringern oder zu zerstören. Lord Stormont hatte es gütigst über sich genommen, mich mit Metastasio zusammen zu bringen, bis dahin war es also nicht schicklich, daß ich ihn mit Signor Taruffi besuchte; er versprach mir aber, unverzüglich mein Buch zu lesen, und ihn mit dessem Inhalte bekannt zu machen, um ihn auf meine Bekanntschaft vorzubereiten.

Herr L'Augier besitzt, ungeachtet er ungewöhnlich korpulent ist, einen sehr lebhaften und ausgebildeten Geist. Sein Haus ist der Sammelplatz der grössesten Leute von Wien, sowohl in Ansehung des Standes als des Genies; und seine Gespräche[182] sind eben so unterhaltend, als seine Einsichten ausgebreitet und gründlich. Unter andern erworbnen Kenntnissen, hat ers auch zu einer grossen Geschicklichkeit in der Musik gebracht, hat einen sehr feinen und richtigen Geschmack, und hat mit philosophischem Ohre alle Arten von Nationalmelodie gehört.

Er ist in Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und Konstantinopel gewesen, und ist mit einem Worte, eine lebende Geschichte der neuern Musik. In Spanien war er mit Domenico Scarlatti genau bekannt, der ihm in seinem drey und siebenzigsten Jahre, noch viele Clavierstücke komponirte, die er allein besitzt, und von welchen er so gütig war, mir Abschriften zu geben. Das Buch, worin solche eingetragen stehen, enthält zwey und vierzig Stücke, worunter verschiedene langsame Säzte befindlich sind; und von allen hatte ich, der ich doch von Jugendauf ein Sammler der Scarlattischen Komposition gewesen, vorher niemals mehr als drey oder viers gesehen. Sie waren komponirt im Jahr 1756, als Scarlatti zu fett war, mit den Händen zu überschlagen, wie sonst seine Gewohnheit war, und sind also nicht so schwer, als seine frühern jugendlichern Werke, die er für seine Schülerinn und Beschützerinn, die verstorbene Königinn, damals setzte, als sie noch Prinzeßinn von Asturien war.

Scarlatti sagte öfter zum Herrn L'Augier, er wisse recht gut, daß er in seinen Clavierstücken alle Regeln der Komposition bey Seite gesetzt habe,[183] fragte aber, ob seine Abweichung von diesen Regeln das Ohr beleidigten? und auf die verneinende Antwort fuhr er fort, er glaube, es gäbe fast keine andre Regel, worauf ein Mann von Genie zu achten habe, als diese, dem einzigen Sinne, dessen Gegenstand die Musik ist, nicht zu mißfallen.28

In Scarlattis Stücken finden sich manche Stellen, worin er die Melodie solcher Lieder nachahmt, die er von Fuhrleuten, Maulthiertreibern und andern gemeinen Leuten hatte singen gehört. Er pflegte zu sagen, es bedürfe keines Flügels, um Albertis und verschiedener andern neuer Komponisten Musik darauf zu spielen, weil solche auf irgend einem andern Instrumente eben so gut, wo nicht besser ausgedrückt werden könnte; aber, da die Natur ihm zehn Finger gegeben hätte, und sein Instrument für alle Beschäftigung hätte: so sähe er keine Ursache, warum er sie nicht alle zehn gebrauchen sollte.

Herr L'Augier sang mir verschiedene abgebrochne Stellen aus böhmischer, spanischer, portugiesischer und türkischer Musik vor, in welchen der15[184] eigenthümliche Ausdruck von dem Contre tems oder Rückung des genauen Tacktes abhing; man schlage den Tackt und halte ihn so richtig, als es bey der verfeinerten und neuern Musik nöthig ist, und ihre Wirkung geht gänzlich verlohren.29

Er theilte mir eine Anekdote mit von Caffareli und Gizziello, welche mit der, von Senesino und Farinello, die ich in meinem vorigen Tagebuche erzählt habe, Aehnlichkeit hat.

Als Gizziello das Erstemal in Rom sang, bezauberte sein Singen dergestalt seine Zuhörer, daß es der allgemeine Gegenstand aller Gespräche ward; welches dann nicht allein seinen Ruhm über diese Stadt verbreitete, sondern ihn auch bis an die entferntesten Gränzen Italiens trug; man kann sehr natürlicher Weise voraussetzen, daß die Nachricht von dieser neuen musikalischen Erscheinung bald Neapel erreichte. Und eben so natürlicher Weise kann man sich einbilden, daß man solche an einem Orte, wo ein so mächtiger Hang zu musikalischen Ergötzlichkeiten herrscht, nicht mit Gleichgültigkeit hörte. Caffarelli, der damals auf dem höchsten Gipfel seines Ruhmes stund, ward dergestalt von der Neubegierde, vielleicht auch vom[185] Neide gereizet, daß er die erste Gelegenheit, da man ihn in der Oper zu Neapel missen konnte, wahrnahm, die ganze Nacht durch Post zu fahren, um die Oper zu Rom zu hören. Er ging ins Parterre, und vermummte sich in seinen Pelz, daß ihn niemand kannte; und nachdem er Gizziello eine Arie singen gehört hatte, rufte er so laut, als er nur konnte: bravo! bravissimo! Gizzielo, è Caffarello che ti lo dice! »Es ist Caffarelli, der dir Beyfall zuruft,« und damit verließ er augenblicklich das Theater, setzte sich wieder auf und fuhr denselben Abend wieder nach Neapel zurück.

Herr L'Augier sagte mir, daß die Kayserinn-Königinn sehr musikalisch gewesen. Vor einigen Jahren noch hatte er gehört, daß sie recht gut sang; und im Jahre 1739, als sie erst zwey und zwanzig Jahr alt, und sehr schön war, sang sie zu Florenz ein Duett mit Senesino so schön, daß sie durch ihre Stimme, die damals sehr lieblich war, und durch ihren angenehmen und festen Vortrag den alten Mann, Senesino, dergestalt einnahm, daß er nicht ohne Thränen des Vergnügens weiter fortsingen konnte. Ihro Kayserliche Majestät hat so früh angefangen zu singen, daß sie neulich zu Madame Hasse, der bekannten Faustina, welche ungefehr siebzig Jahr alt seyn mag, im Scherze sagte, sie dächte, sie wäre wohl die Erste, und meinte damit die älteste, Virtuosa in Europa; denn der höchstselige Kaiser, Ihr[186] Vater, ließ sie, als sie erst fünf Jahr alt war, auf dem Hoftheater zu Wien eine Arie singen.

Die ganze Kaiserliche Familie ist musikalisch; der Kayser vielleicht gerade genug für einen Souverainen Herrn, daß heißt, er hat hinlängliche Fertigkeit, sowohl auf dem Violonschell, als auf dem Flügel, zu seinem eignen Zeitvertreibe und hat hinlänglichen Geschmack und Einsicht, andre mit Vergnügen zu hören, und richtig zu beurtheilen. Eine Person von hohem Stande sagte mir, sie habe vor einigen Jahren, vier Erzherzoginnen des Kaysers Geschwister, bey Hofe in der Oper Egeria singen gehört, welche dazu ausdrücklich von Metastasio geschrieben und von Hasse komponirt worden. Sie waren ausserordentlich schön, sungen und agirten sehr gut für Prinzeßinnen, und der Großherzog von Toscana, der gleichfals sehr schön war, tanzte darin, als Cupido.

Ich fand, daß Herr L'Augier selbst ein guter Flügelspieler gewesen war: itzt lieset und urtheilt er sehr richtig über die Musik. Bey meinem ersten Besuche hatte er die Güte, mir zu versprechen, daß er mich mit Hasse, Gluck, Wagenseil, Haydn und allen Tonkünstlern in Wien bekannt machen wolle, die meiner Aufmerksamkeit werth wären und bestimmte den nächstfolgenden Abend, mir Gelegenheit zu geben, sowohl einige von Haydn's Quartettos mit der grössesten Genauigkeit und Vollkommenheit, als auch ein kleines Mädchen von acht oder neun Jahren zu hören, welche hier[187] als ein Wunder auf dem Clavecimbel geachtet wird.

Ich hatte die Ehre, diesen Mittag bey Lord Stormont zu essen, der die gütige Gefälligkeit für mich gehabt, meinetwegen eine musikalische Gesellschaft zusammen zu bitten, worunter der Prinz Poniatowsky, Bruder des Königs von Pohlen, ein grosser Musikliebhaber, und der Graf und die Gräfinn von Thun waren. Die Gräfinn, welche an allem, was die Musik betrift, sehr grossen Antheil nimmt, und Englisch lieset und spricht, beehrte meine Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der Musik in Frankreich und Italien, mit einer aufmerksamen Durchlesung, wie der Lord Stormont vorher gethan hatte: hierdurch wurden sie besser in Stand gesetzt, meine musikalischen Bedürfnisse zu beurtheilen, als durch meine Unterredung, wenn ich nicht fast ganz allein hätte sprechen sollen.

Die Gräfinn Thun hat nichts von dem an sich, das einen an den Stolz oder die Steifigkeit erinnert, welche unsre Reisende den Deutschen zuschreiben. Sie ist vielmehr natürlich, und unschuldig aufgeräumt und munter; hat witzige Einfälle, und ermuntert die Gesellschaft durch eine angenehme, und ihr selbst eigenthümliche Ironie. Sie war so gütig gewesen, meinetwegen ein Billet an Gluck zu schreiben, und er hatte eine, nach seiner Art, sehr höfliche Antwort darauf geschickt; denn er ist ein eben so fürchterlicher Mann, als Händel zu seyn pflegte: ein wahrer Dragoner, vor dem sich[188] jedermann fürchtet. Er hatte indessen den Besuch auf den Nachmittag angenommen, und Lord Stormont und die Gräfinn Thun hatten die Gefälligkeit so weit getrieben, zu versprechen, mich hinzuführen.

Ehe wir aber hinfuhren kam der Herzog von Braganza und viel andre Gesellschaft angefahren. Lord Stormont erwies mir die Ehre mich Sr. Hoheit vorzustellen. Der Herzog ist ein vortreflicher Kenner der Musik, und er war so gnädig, sich eine ziemliche Weile mit mir darüber in ein Gespräch einzulassen. Er hat viel gereiset, und England, Frankreich und Italien besucht, ehe er nach Deutschland gekommen ist. Er ist sehr lebhaft, und reitzte die Gesellschaft oft zum Lachen durch seine scherzhaften Einfälle, die aber alle mit Gutherzigkeit gewürzt waren.

Se. Königl. Hoheit gab mir Nachricht von einem portugisischen Abbé, dessen schon vorher Lord Stormont und Herr L'Augier als eines Mannes von besonderm Charakter erwähnt hatten. Es ist ein zweyter Rousseau aber noch mehr original; er läßt sich ungemein schwer sprechen; schlagt jede Hülfleistung an Gelde oder Geschenken aus, ob er gleich nichts hat, wovon er lebt, als was ihm sein Meßlesen einbringt, welches täglich ein Siebenzehner seyn mag. Er will ein- für allemal unabhängig leben, und haßt es, daß die Welt von ihm sprechen soll, und fast eben so sehr, mit jemand darinn zu sprechen. Indessen meinte der Herzog von Braganza, er würde gerade so[189] viel über ihm vermögen, daß er mich mit ihm bekannt machen könnte; und da eine andre musikalische Partie mir zu gefallen bey dem Lord Stormont auf den Freytag Mittag zum Essen verabredet wurde: so versprach der Herzog sein Möglichstes zu thun, diesen ausserordentlichen Abbé mitzubringen. Seine Meinungen über die Musik sind eben so sonderbar, als sein Charakter. Er spielt sehr gut auf der großen spanischen Guitarre, obgleich in einem sonderbaren Style; am weniger Melodie: in Ansehung der Harmonie und Modulation aber ist er sehr original und angenehm.

Er ist ein offenbarer Feind des rameauischen Systems, und hält seinen Fundamentalbaß für die aller abgeschmackteste Erfindung, weil solcher durch sein unaufhörliches Bestreben nach Schlußclauseln, aller Phantasie, allem Zusammenhange und aller Fortschreitung im Weg tritt. Das Fallen einer Quinte oder Steigen einer Quarte schneidet alles kurz ab, oder läßt das Ohr, welches an einen solchen Fundamentalbaß verwöhnt ist, so lange unruhig, bis eine Passagie geendigt worden.

Um fünf Uhr brachte Lord Stormonts Wagen ihn selbst, die Gräfinn Thun und mich nach dem Hause des Chevaliers Gluck, in der Markus-Vorstadt. Er wohnt da recht gut, hat einen hübschen Garten, und viele hübsche und wohl möblirte Zimmer. Kinder hat er nicht. Madame Gluck und seine Nichte, welche er bey sich hat, kamen[190] sowohl als der alte Komponist selbst, bis an die Thüre uns zu empfangen. Sein Gesicht ist stark von den Blattern gezeichnet, seine Figur und sein Blick sind ziemlich widrig; er ward aber bald milder gemacht, und er sprach, sang und spielte, nach der Gräfinn Thun Bemerkung, mehr, als sie sich jemals von ihm erinnern konnte.

Er begann damit, seine Nichte, die erst dreyzehn Jahr alt ist, auf einen schlechten Flügel, in zwo der besten Scenen aus seiner berühmten Oper Alceste, zu accompagniren. Dieses junge Frauenzimmer hat eine starke, wohltönende Stimme, und sang mit unendlich vielem Geschmacke, Empfindung, Ausdruck und selbst schwere Dinge. Nach diesen zwo Scenen aus der Alceste, sang sie noch einige andre von verschiedenen Komponisten, und verschiedenen Schreibarten, besonders aber von Traetta.

Man versicherte mich, daß Mademoiselle Gluck erst zwey Jahr singen gelernt hätte, welches mich, in Ansehung dessen, wie weit sie es schon gebracht hatte, wirklich in Erstaunen setzte. Sie hatte angefangen von ihrem Oheim zu lernen, er aber, in einem Anfalle von übereilter Verzweiflung, hatte sie aufgegeben; als Signor Millico, der um eben die Zeit nach Wien kam, und entdeckte daß aus ihrer Stimme etwas zu machen, und sie selbst sehr gelehrig wäre, sich die Erlaubniß ausbat, sie blos auf ein paar Monate in Unterricht zu nehmen, um zu sehen ob es nicht ihre Mühe belohnen möchte, bey ihrem musikalischen[191] Studio zu beharren, ungeachtet des widrigen Urtheils, welches über sie ausgesprochen, das nach seiner Vermuthung mehr in der Ungeduld und Heftigkeit des Oheims, als in den Mangel an Fähigkeit der Nichte seinen Grund hätte. Ihr schönes Singen beweiset nunmehr die Klugheit und Einsicht des Herrn Millico, womit er diese Entdeckung gemacht, und die Vortreflichkeit der Methode bey seiner Lehrart; denn dieses junge Frauenzimmer hat seinen Ausdruck und Geschmack so wohl begriffen und sich dergestalt zu eigen gemacht, daß man gar nichts von dem Froste der Nachahmung daran spürt, sondern solche ganz aus ihrer eignen Empfindung zu fliessen scheinen; und es ist eine Singart, die bey einem Frauenzimmer vielleicht noch unwiderstehlichere Reize und Unmuth hat, als beym Signor Millico selbst.

Mademoiselle Gluck ist schmächtig vom Wuchs, scheint von zarter Leibesbeschaffenheit, und fühlt dabey so sehr, was sie singt, daß ich für ihre Gesundheit besorgt seyn würde, wenn sie Profession vom Singen machen wollte; sie ist aber auch zu keiner öffentlichen Sängerinn bestimmt.

Als sie ausgesungen hatte, ließ sich ihr Oheim erbitten, selbst zu singen; und mit so wenig Stimme, als möglich, wußte er die Gesellschaft zu unterhalten, ja gar in einem hohen Grade zu ergötzen; denn er ersetzte den Mangel an Stimme, durch Reichthum des Accompagnements, durch Nachdruck und Heftigkeit in den Allegros und durch seinen treffenden Ausdruck dergestalt, daß[192] es ein Fehler wurde, den man bald gänzlich vergaß.

Er war so gut aufgeräumt, daß er seine Oper Alceste fast ganz durchging; auch verschiedne andre vortrefliche Stellen, aus einer neuern Oper von ihm, Paride ed Elena genannt, und aus einer französischen Oper, nach Racinens Iphigenie, die er eben komponirt hatte. Von dieser letztern hatte er zwar noch keine Note zu Papier gebracht, er hatte sie aber schon in seinem Kopfe so völlig ausgearbeitet, und sein Gedächtniß ist so bewundernswürdig, daß er sie fast von Anfang bis zu Ende eben so fertig hersang, als ob er eine rein abgeschriebene Partitur vor sich gehabt hätte.

An Erfindung, glaub' ich, kommt ihm kein itztlebender, oder verstorbner Komponist gleich, besonders in dramatischer Mahlerey, und theatralischer Wirkung. Er studiert ein Gedicht erst lange Zeit, ehe er daran geht, es zu setzen. Er erwägt genau die Verhältnisse der Theile untereinander, die Grundlage eines jeden Charakters, und trachtet mehr darnach den Verstand zu vergnügen, als dem Ohre zu schmeicheln. Dies heißt nicht nur ein Freund der Dichtkunst, sondern selbst ein Dichter seyn; und hätte er für den Ausdruck seiner Ideen eine andre hinreichende Sprache, als die Sprache der Töne, so würde er gewiß ein grosser Poet seyn. Diese aber, so wie sie ist, wird unter seiner Bearbeitung eine sehr reiche, körnigte, zierliche und nachdrucksvolle Sprache. Es trift sich[193] selten, daß man eine einzelne Arie aus ihrer Stelle nehmen und ohne ihren Zusammenhang mit grosser Wirkung singen kann; das Ganze ist eine Kette, wovon ein abgelösetes Glied von geringer Erheblichkeit ist.

Wenn es den Verfechtern der alten französischen Musik möglich ist, irgend eine andre als die von Lulli und Rameau mit Vergnügen zu hören, so muß es Glucks Iphigenie seyn, in welcher er sich so weit nach dem Nationalgeschmacke, Style, und der Sprache geschmieget hat, daß er den einen oft nachgeahmt und den andern adoptirt hat. Die Hauptschwierigkeit, die seinem Ruhme bey seinen eingeschrumpften Richtern im Wege stehen, und welches ihm dafür bey andern Beyfall gewinnen wird, ist, daß seine Komposition sehr oft Melodie, und beständig Tackt hat, ob sie gleich über einen französischen Text, und für eine ernsthafte französische Oper gemacht ist.

Ich erinnerte Hrn. Gluck an seine Arie: Rasserena il mesto ciglio, welche schon im Jahr 1745 in England so beliebt war, und erhielt es von ihm, daß er nicht allein diese, sondern noch verschiedene andre von seinen frühesten und besten Favoritarien sang. Er sagte mir, England habe Ihn darauf gebracht, bey seinen dramatischen Kompositionen sich auf das Studium der Natur zu legen. Es war ein ungünstiger Zeitpunkt, als er hinkam; Händel stund damals in einem so hohen Ruhme, daß eben niemand geneigt war, etwas[194] Anders, als von seiner Komposition zu hören. Die Rebellion brach aus; alle Fremde wurden dem Staate für gefährlich gehalten; das Opernhaus war auf Befehl des Lord Oberkammerherrn verschlossen, und der Lord Middlesex erhielt mit vieler Mühe und Kunst, daß es wieder für ein politisches, auf die Zeitumstände gemachtes Stück: La Cadura de' Giganti, geöfnet wurde. Dieses Stück setzte Gluck mit Furcht und Zittern, nicht bloß deswegen, weil er so wenige Freunde in England hatte, sondern aus Furcht vor einem Auflaufe des Pöbels, wenn es gespielt würde, weil lauter Fremde und Papisten darin zu thun hatten.

Er studirte damals den Geschmack der Engländer; bemerkte besonders, was die Zuhörer am meisten zu empfinden schienen, und da er fand, daß die planen und simplen Stellen die meiste Wirkung auf sie thaten: so hat er sich seit der Zeit beständig beflissen, für die Singstimme mehr in den natürlichen Tönen der menschlichen Empfindungen und Leidenschaften zu schreiben, als den Liebhabern tiefer Wissenschaft, oder grosser Schwierigkeiten zu schmeicheln; und es ist anmerkenswerth, daß die meisten Arien in seiner Oper Orpheus so plan und simpel sind, als die Engländischen Balladen; [Gassenhauer] und die Zusätze, welche die Herren Bach und Guglielmi dazu machten, da sie zuerst in England aufgeführt wurde, waren von einem so fremden Gewebe, obgleich auf eine andre Art vortreflich, daß sie die Einheit des Styls und die16[195] charakteristische Simplicität zerstörten, weswegen dieses Werk bey der Wiener Aufführung so sehr bewundert worden.

Herr Gluck hat seine Ideen von den nöthigen Eigenschaften der dramatischen Musik so deutlich aus einander gesetzt, (in seiner Dedication der Alceste an den Großherzog von Toscana,) und hat seine Gründe, warum er die betretene Bahn verlassen, mit so vielem Nachdruck und so vieler Freyheit angeführt, daß ich ohne weitere Entschuldigung meinen Lesern einen Auszug daraus vorlegen will.

»Als ichs unternahm, dieses Gedicht zu komponiren, war meine Absicht, die Musik von alle dem Mißbrauche zu befreyen, womit die Eitelkeit der Sänger, und die zu gefällige Nachgebenheit der Komponisten, seit so langer Zeit die italiänische Oper entstellt, und aus dem schönsten und prächtigsten von allen öffentlichen Schauspielen, eines der langweiligsten und lächerlichsten gemacht haben. Mein Zweck war, die Musik zu ihrer eigentlichen dramatischen Bestimmung zurück zu führen, da sie nemlich dem poetischen Ausdrucke zu Hülfe kömmt, und das Interesse der Fabel verstärkt, ohne die Handlung zu unterbrechen, oder solche durch unnütze und überladene Zierrathen frostig zu machen; denn der Dienst der Musik, wenn mit der Dichtkunst verbunden, schien mir einerley zu seyn, mit dem Colorit in einer korreckten und wohlgeordneten Zeichnung, worin Licht und Schatten die[196] Figuren beleben, ohne den Umriß zu verändern.«

»Ich beschloß also, keinen Akteur in der Hitze eines lebhaften Dialogs stumm da stehen zu lassen, um ein lauliches Ritornel anzubringen; noch die Fortschreitung der Leidenschaft zu hemmen, indem ich eine Silbe eines Favoritsworts ausdehnte, bloß um die Biegsamkeit einer Kehle zu zeigen; und eben so unerbittlich war ich in meinem Entschlusse, das Orchester zu keinem so erbärmlichen Endzwecke zu gebrauchen, als der ist, dem Sänger Zeit zu geben, daß er so viel Athem nehmen könne, als er zu einer langen und nichtssagenden Cadenz vonnöthen hat.«

»Ich hielt es niemals für nöthig, über den zweyten Theil einer Arie schnell wegzuwischen, ob er gleich der wichtigste und reichste an Empfindungen wäre, und die Worte des Ersten richtig viermal zu wiederholen, bloß um die Arie da zu schliessen, wo der Verstand keinen Schluß hat, und um dem Sänger Gelegenheit zu geben zu zeigen, daß er die närrische Kunst weiß, Passagien zu verändern und zu verstellen, bis sie der Komponist am Ende selbst nicht mehr kennt; kurz, ich wollte versuchen, alle diese Fehler aus dem musikalischen Drama zu verbannen, wogegen Vernunft und Verstand schon so lange vergebens geeifert haben.«

»Und endlich war meine Meinung, meine erste und vornehmste Sorge, als ein dramatischer Komponist, müsse dahin gehen, nach einer edlen[197] Einfalt zu trachten; und ihr zufolge, habe ich alles Auskramen unnatürlicher Schwierigkeiten, der Deutlichkeit zu Gefallen vermieden; eben so wenig habe ich ängstlich gesucht neu zu seyn, wo es nicht natürlich aus der Situation des Akteurs und aus dem poetischen Ausdrucke entsprang, und es ist keine Regel der Komposition, die ich nicht für Pflicht gehalten hätte, aufzuopfern, wenn ich der Leidenschaft dadurch aufhelfen, und Wirkung hervorbringen konnte.«

Aus diesem Auszuge wird der Leser den Schluß machen, daß die Ritornels zu den Arien in seiner Alceste selten und kurz sind; daß die Singestimme keine lange Gurgelsätze haben; daß keine feyerliche Cadenzen vorkommen; daß fast die meisten Recitative von Instrumenten begleitet sind, und daß kein Da Capo durch die ganze Oper anzutreffen ist; welche, wie diejenigen sagen, die sie haben vorstellen gesehen, so wahrhaftig theatralisch und anziehend war, daß sie ihre Augen nicht von der Bühne wegwenden konnten, so lange die Handlung währte, indem ihre Aufmerksamkeit dergestalt gereitzt und ihre Besorgniß so erhöht wurde, daß sie bis an den letzten Auftritt in unaufhörlicher Beklemmung zwischen Furcht und Hofnung erhalten wurden: so, daß die Musik bloß der Deklamation mehr Nachdruck oder mehr Schmelzendes gab, je nachdem es die Umstände erheischten, worin sich die agirenden Personen befanden. Die Sylben wurden freylich gedehnt und die Töne der Rede musikalisch bestimmt, aber es blieb doch[198] immer Rede, selbst in den Arien, welche fast alle von derjenigen Art sind, die die Italiäner, parlante, (Redende) nennen.

Allein, obgleich Herr Gluck in seiner Cantilena oder Sangweise, die simple Natur studirt: so ist er doch in seinen Accompagnements zuweilen nicht nur gelehrt, sondern künstlich arbeitsam; und in diesem Punkte ist er mehr noch als Dichter und Musikus, er ist ein vortreflicher Mahler. Seine Instrumente mahlen sehr oft den Gemüthszustand der singenden Person, und geben den Leidenschaften ein hohes Colorit.

Als der Chevalier Gluck noch sang, kam der Graf Brühl, ein starker Liebhaber, zur Gesellschaft; er ist ein Sohn des berühmten sächsischen Ministers, und spielt auf verschiedenen Instrumenten auf eine meisterhafte Art.

Von hier brachte mich Lord Stormont nach dem Hause des Herrn Generals von Walmoden, des Hannövrischen Ministers, welches fast ganz am andern Ende der Stadt liegt. Hier war Assemblee von den fremden Ministern, und Lord Stormont erzeigte mir die Ehre, mich dem ganzen Corps diplomatique vorzustellen.

Hiermit endigte sich dieser geschäftvolle und wichtige Tag, an welchem so viel gesagt und gethan war, daß er die Begebenheiten eines viel grössern Zeitraums in sich zu fassen schien, und ich mich des Abends, als ich alles wieder überdachte, kaum überreden konnte, daß alles in einer Zeit von ungefehr zwölf Stunden vorgefallen wäre.[199]

Donnerstag, den 3ten. Um eilf Uhr machte ich, verabredetermaassen, dem Lord Stormont meine Aufwartung, welcher so gütig war, mich nach der öffentlichen Bibliothek zu führen; und hier, nachdem er mich den Bibliothekaren vorgestellt, und sie erfahren hatten, daß ich unter seinem besondern Schutze stünde, bekam ich nicht nur die Freyheit, jeden Tag zu den gewöhnlichen Stunden hinzugehn, sondern selbst an den Festtagen und zu allen Zeiten, wo sie sonst andern verschlossen zu seyn pflegt; und ich hatte den Vorzug, daß mir die Unterbibliothekaren allemal mit der äussersten Höflichkeit und Gefälligkeit Hülfe und Beystand leisteten.

Diese Bibliothek, welche noch nicht lange öffentlichen Gebrauchs gewesen ist, enthält eine sehr beträchtliche Anzahl von Handschriften sowohl, als alten und neuern gedruckten Büchern. Das Gebäude ist neulich erst noch vergrössert, und der Büchervorrath durch den Ankauf der Bibliothek des verstorbnen Prinzen von Eugen ansehnlich vermehrt. Der berühmte Arzneygelehrte, Doctor van Swieten, der vor Kurzem gestorben, ist lange Jahre Oberbibliothekarius daran gewesen, eine Stelle, die zu der Zeit noch nicht wieder besetzt worden, als ich zu Wien war.

Der Hauptsaal der Bibliothek ist unermeßlich groß, ausserordentlich hoch und voller Zierrathen. Unter andern findet man darin marmorne Statuen von den Kaysern, Carl V. und Leopold. Die Bücher sind vor noch nicht langer Zeit in eine[200] neue Ordnung gebracht, auch hat einer von den Unterbibliothekaren ein neues Verzeichniß davon gemacht. Für die Leser und Abschreiber ist ein besonders Zimmer, und ein andres für die Bibliothekaren und ihre Gehülfen.

Auf meinem Wege nach dem Hause des Lords Stormont trat ich in die Michaeliskirche, um die Orgel zu besehen, weil es eine von denen ist, auf die mich Hr. Snetzler aufmerksam gemacht hatte, wegen der besondern Art ihrer Claviereinrichtung. Dieses Instrument hat keine Fronte. Die grossen Pfeifen sind in einer wohl ausgesonnenen Ordnung zu beyden Seiten der Gallerie gestellt, und in der Mitte ist bloß eine Loge von vier Fuß ins Gevierte, für die Claviere und Registerzüge; so, daß das Fenster an der Abendseite völlig frey ist. Der Umfang dieser Orgel geht nur im Manual vom E bis ins dreygestrichne c. Das Pedal aber geht, wie bey den meisten Orgeln in Deutschland, noch eine Octave tiefer herunter als das Manual. Sie hat vierzig Stimmen, und drey Claviere, welche gekuppelt werden können. Die Pfeifen sind von gutem Tone; und Herr Wegener, der itzige Organist, ob er gleich kein Mann von viel Geschmack oder reicher Phantasie ist, spielt in einer vollstimmigen und meisterhaften Manier.

Diesen Morgen besuchte ich auch noch die Kreuzkirche, und hier hörte ich eine Musik, während der stillen Messe; die Musik war aber schlecht, und die Aufführung noch schlimmer. Indessen ward ich durch das Gedränge gezwungen, fast eine[201] ganze Stunde auszuhalten, ehe ich mit Ehren herauskommen konnte.

Diesen Morgen war der Abate Taruffi so gütig, meinen Besuch zu erwiedern. Er hatte mein Buch bereits durchgesehen, und hatte meine Absicht hinlänglich begriffen. Nachdem wir ziemlich lange auf meinem Zimmer mit einander gesprochen hatten, führte er mich zum Herrn Adolph Hasse, welcher ein hübsches Haus in der Vorstadt, die Landstrasse genannt, bewohnt. Madame Faustina war am Fenster, und als sie uns an der Thüre aussteigen sahe, kam sie uns entgegen; ich ward ihr von meinem Führer bekannt gemacht. Sie ist eine kurze, bräunliche, verständige und lebhafte Matrone, und sagte, es wäre ihr sehr lieb, einen Cavaliere Inglese zu sehen, weil sie ehedem in England mit vielen Zeichen der Gewogenheit beehrt worden wäre.

Bald darauf trat Herr Hasse ins Zimmer; er ist lang von Person und fast ein wenig dick von Körper, man siehts ihm aber noch an, daß er in seiner Jugend von dauerhafter Gesundheit und angenehmer Figur gewesen seyn muß. Aus seinen Blicken und Betragen leuchtet viel Edelmuth und gutes Herz hervor. Die Zeit scheint gegen ihn nicht so schonend gewesen zu seyn, als gegen die Faustina, ob er gleich zehn Jahre jünger ist, als sie. Ich überreichte ihm einen Brief, den mir Sir James Gray die Ehre erwiesen hatte, an ihn zu schreiben, und welchen Herr Hasse eine gute Weile in der Hand hielt, und aus Höflichkeit[202] nicht lesen wollte; unter der Zeit aber gab ihm der Abate Taruffi Nachricht von den Absichten, mit welchen ich bereits durch Frankreich und Italien gereiset wäre, und die mich itzt nach der Hauptstadt des deutschen Reichs geführt hätten.

Ich konnte mich nur ganz kurz aufhalten, weil ich zum Concerte des Herrn L'Augiers versagt war, und ich mich sehr zu schämen Ursach gehabt hätte, wenn ich spät hingekommen wäre, weils mir zu Gefallen angestellt worden; und dennoch war ich so ungeduldig, zwo Personen von so ausgezeichneten Verdiensten, als Hasse und Faustina, kennen zu lernen, daß ich meiner Begierde, mit Signor Taruffi nur auf eine Viertelstunde hinzugehn, nicht widerstehen konnte. Endlich bat Hr. Hasse um Erlaubniß näher ans Licht zu gehen, um den Brief zu lesen, den ich ihm überreicht hatte. Unter dieser Zeit traten seine beyden Töchter herein. Sie sind ungefehr acht und zwanzig bis dreyßig Jahr alt; keine Schönheiten, aber so vollkommen wohl erzogen und angenehm in ihrem Betragen, daß man auf dem ersten Anblick ganz leicht entdeckt, daß auf ihre Erziehung viel Sorgfalt verwendet worden; sie lesen Englisch und sprechen es ein wenig.

Als Miß Davis, welche die Harmonica spielt, und ihre Schwester, welche voriges Jahr die erste Frauenzimmerrolle in der grossen Oper zu Neapolis sang, zu Wien waren, wohnten sie mit Hasse in einem Hause, und während dieser Zeit lernten die beyden Demoiselles Hasse von Miß[203] Davis Englisch, und dieser grosse Meister brachte die Jüngste von den Engländerinnen durch seinen Unterricht so weit, daß sie die vornehmste Rolle in der vornehmsten Oper von Europa singen konnte.

Herr Hasse kam bald wieder zu uns, und war so sanft und ungezwungen in seinem Betragen, daß ich mich in dieser einzigen Viertelstunde eben so bekannt mit ihm fühlte, als ob wir schon zwanzig Jahre mit einander umgegangen wären. Ich sagte ihm und der Faustina so viel Verbindliches, als die Kürze der Zeit erlauben wollte, und in der That nichts mehr, als ich wirklich so meinte; denn von seinen Werken hatte ich ein grosses Theil meiner frühesten musikalischen Freuden empfangen, und das Vergnügen, was sie mir in der Jugend gewährt hatten, war durch eine nähere Bekanntschaft mit den Arbeiten andrer grossen Komponisten seitdem nicht vermindert worden; und es war also im eigentlichsten Verstande wahr, wenn ich ihm sagte, mein angelegenstes Geschäft, warum ich nach Wien gekommen, wäre, ihn zu sehen und zu sprechen; daß sein Name in England sehr bekannt sey, und daß er schon längst mein Magnus Apollo gewesen. Er nahm alles dieses mit vieler Bescheidenheit auf und sagte, er wäre oft eingeladen worden, und hätte oft gewünscht nach England zu kommen, weil er viele Personen aus diesem Reiche gekannt, von denen er grosse Höflichkeiten genossen hätte.[204]

Ich fragte ihn, ob es wohl möglich wäre, ein Verzeichniß von seinen Werken zu erhalten; er sagte aber, er wüßte es selbst nicht. Indessen versprach er, sein Möglichstes zu thun, sich der vornehmsten darunter zu besinnen, und die Faustina erbot sich, ihm zu helfen. Es war mit dem größten Widerwillen, daß ich meinen Besuch abkürzen mußte, gerade als die Bekanntschaft angefangen und das Schlimmste und Feyerliche überstanden war. Indessen erhielt ich seine Einladung, so oft wieder zu kommen, als ich könnte; er erkundigte sich nach meiner Wohnung und sagte, er hofte, daß ich mich einige Zeit zu Wien aufhalten würde, und andre dergleichen Höflichkeiten mehr, auf welche man eben nicht achtet, wenn man sie von Personen hört, die einem gleichgültig sind, welche aber von denen, die wir lieben und ehren, einen tiefen Eindruck machen.

Von hier ging ich nach Herrn L'Augiers Concert, welches schon von dem acht- oder neunjährigen Kinde angefangen war, dessen er vorhin gegen mich erwähnt hatte, und welches zwey schwere Sonaten von Scarlatti und drey oder viere vom Herrn Becke, auf einem kleinen und nicht guten Pianoforte spielte.

Ich wunderte mich nicht so sehr über die nette Ausführung des Kindes, ob sie gleich ungemein war, als über ihren Ausdruck. Alle Pianos und Fortes beobachtete sie mit so vieler Einsicht, sie wußte einige Passagien so zu beschatten, und andre dagegen so stark zu heben, daß es entweder[205] von der vortreflichsten Lehrmethode oder von dem feinsten natürlichen Gefühle der Schülerinn herrühren mußte. Ich erkundigte mich bey Signor Giorgio, einem Italiäner, der sie begleitete, auf was für einem Instrumente sie gewöhnlich zu Hause spielte, und erhielt zur Antwort: »auf dem Clavier.« Dieses erkläret ihren Ausdruck, und bestärkt mich in der Meinung, daß Kinder ganz zeitig auf einem Clavier oder Pianoforte zu lernen anfangen sollten, und daß man sie anhalten müßte, das erste leichteste Stück, das man ihnen vorgiebt, mit Ausdruck zu spielen; denn gewöhnen sie sich erst lange an einen monotonischen Flügel, so sehr der auch seinen Nutzen hat, die Hand zu stärken: so ist alle Hofnung zur guten Expression verlohren.

Die Gesellschaft war sehr zahlreich und bestund aus Personen von hohem Stande. Es befanden sich darunter die Prinzeßinn Piccolomini, der ich ein Empfehlungsschreiben zu überbringen die Ehre gehabt hatte, der Herzog von Braganza, der Prinz Poniatowsky, der Lord Stormont, der General von Walmoden mit seiner Gemahlinn, der Graf Brühl, il Duca di Bresciano, u.s.w. Es war eine der feinesten Assembleen, die ich noch gesehen. Als das Kind ausgespielt hatte, spielte Hr. Mut, ein guter Harfenist, ein Stück auf der einfachen Davidsharfe, ohne Pedal, wodurch es ein sehr schweres Instrument wird; denn der Spieler ist genöthigt, die vorkommende Semitonia mit der linken Hand, vermittelst messingener Haken,[206] die oben an der Harfe zwischen den Wirbeln liegen, zu machen, und es nicht nur schwer, diese Haken in der Geschwindigkeit zu finden und zu drehen, sondern das Geknarre, was durch das schnelle Umdrehen entsteht, ist auch unangenehm zu hören. Das Kunststück, die zufälligen Semitonia mit dem Pedale zu machen, ist noch nicht bis nach Wien gelangt; und die Doppelharfe ist hier völlig unbekannt. Dieser Harfenspieler, so viel man aus ihm macht, that den Begriffen, die ich von der Fähigkeit dieses Instruments habe, kein Genüge.

Das Zimmer war zu voller Menschen für vollstimmige Sachen. Es wurden bloß einige Trios gespielt von Giorgi, ein Schüler von Tartini, Conforte, ein Schüler von Pugnani, und Graf Brühl, der auf verschiedenen Instrumenten, besonders der Violine, dem Violonschell und dem Mandolin, sehr schön spielt. Diese Trios waren von einem gewissen armen Manne, Namens Huber, der in der Komödie die Bratsche spielt, komponirt; es war aber vortrefliche Musik, voller simpler, klarer, guter Harmonie; und hatte sehr oft Phantasie und neue Erfindung.

Freytags, den 4ten. Diesen Morgen erwies mir Signor Taruffi die Ehre, mich dem Bischof von Ephesus vorzustellen. Er heißt Monsignore Visconti, ist päbstlicher Nuncius am Kayserlichen Hofe und stammt von der berühmten Familie Visconti ab, welche ehedessen Souveraine Herren von Mayland waren. Se. Excellenz weiß viel[207] Musik, und singt auf eine sehr angenehme Art. Er war so gütig, sich eine ziemliche Weile mit mir über die Musik und über meine Reise nach Italien zu unterreden, und mir einige geschriebene Canons zu zeigen, solche mit mir zu singen, und mir zu erlauben, daß ich sie abschreiben durfte. Er gab mir auch ein italiänisches Sonnet, das er eigenhändig abgeschrieben, und welches Metastasio, auf Verlangen des Königs von Pohlen, zu einer pohlnischen Favoritmenuet gemacht, die der König des Endes von Warschau nach Wien geschickt hatte; und endlich ladete er mich ein, den Sonntag bey ihm zu essen.

Heute ging der Kayser auf einen Monat nach Laxenburg, woselbst sich damals die Kayserlich-Königliche Frau Mutter aufhielt. Bey dieser Gelegenheit bereiteten sich fast alle Vornehmen in Wien, ihm dahin zu folgen. Den Abend vor seiner Abreise ward in einem Reithause in der Vorstadt ein Carrousel gehalten. Der Kayser selbst nahm mit Theil an dieser ritterlichen Uebung; worauf Se. Majestät ein Feuerwerk auf der Donau abbrennen lassen, wobey Sie gleichfals gegenwärtig waren. Ich ward aber durch Herrn L'Augiers Concert und durch meinen Besuch bey Herrn Hasse verhindert, dabey zu seyn.

Die musikalische Gesellschaft, die heute beym Lord Stormont speisete, war auserlesen, und im höchsten Grade unterhaltend und angenehm. Sie bestund aus dem Prinzen Poniatowsky, dem Herzog von Braganza, dem portugisischen Minister,[208] dem Grafen und der Gräfinn Thun, Herrn L'Augier, dem Chevalier, Madame und Mademoiselle Gluck, dem Abate Costa, u.s.w. Dieser Abate ist der sonderbare Musikus, dessen ich bereits erwähnt, der es für sich zu klein hielt, in fremde Fußstapfen zu treten, und also, sowohl als Komponist und als Spieler, sich einen neuen Weg bahnte, welcher unmöglich zu beschreiben ist. Alles was ich von seinen Produkten sagen kann, ist, daß darin mehr Sorgfalt auf Harmonie und ungewöhnliche Modulations verwendet ist, als auf die Melodie; und daß es allezeit, wegen der vielen Bindungen und Brechungen, schwer ist, die Tacktart ausfindig zu machen. Indessen thut seine Musik, wenn sie gut gespielt wird, (welches aber selten zutrift,) eine sonderbare und angenehme Wirkung; dabey aber ist sie allzusehr ein Werk der Kunst, um andern als gelehrten Ohren ein grosses Vergnügen zu gewähren.

Dieser Abate besitzt eine eben so grosse Liebe zur Unabhänglichkeit als Rousseau; so arm er ist, schlägt er doch jeden Beystand von den Reichen mit solcher Unbiegsamkeit aus, daß der Herzog von Braganza und er ungefehr vierzehn Tage oder drey Wochen über einen Vorfall einen Zwist hatten, worin doch zuletzt der Abate den Sieg behielt.

Der Umstand war dieser, der Abate wünschte sehr angelegentlich, das Griffbrett seiner Guittare zu verbessern. Sie ist mit Darmsaiten bezogen, und jede Chorde ist dreyfach. Nun fand er oft,[209] daß diese Saiten, obgleich noch so rein im Einklange, so lang er sie bloß allein anschlug, verstimmt waren wenn er den Finger darauf setzte, und zwar bey einigen Bünden mehr als bey andern. Um der Sache abzuhelfen, ward ein geschickter Mechanikus aufgesucht, der mir vieler Mühe und Nachsinnen, unter jede Chorde bewegliche Bünde erfand; allein da solche von Messing gemacht worden, und dem Künstler viele Zeit gekostet hatten, so foderte er dafür vier oder fünf Gulden; eine Summe, die der Abt nicht im Stande war aufzubringen; und dennoch wollte er auf keine Weise zugeben, daß der Herzog für ihn bezahlte. Endlich ward dem Streite dadurch ein Ende gemacht, daß der Herzog das Instrument für den ersten Preis zu sich nahm, und der Abt eine einfachere und wohlfeilere Methode erfand, das Griffbrett an einer andern Guitarre zu ändern; und dies brachte er auf folgende Weise zu Stande: er legte unter dem Ebenholze, womit das Griffbrett vernirt war, in der Länge eben so viel Darmsaiten, als womit das Instrument bezogen wird; darauf machte er an den Stellen der Bünde so viele Einschnitte in das Ebenholz oben, so daß die unterliegenden Saiten bloß zu liegen kamen, und unter diese legte er kleine bewegliche Schnitgen Ebenholz, wodurch die Chorden auf seinem Instrumente in allen Tönen rein wurden. Dieses Griffbrett kann er nach Gefallen seitwärts abschieben; und dieser Kunstgriff war um desto nöthiger, weil seine Modulation gar sehr gelehrt[210] und fremd ist. Allein seine Kompositions sind nicht origineller in diesem, als im Punkte des Tacktes, welcher seiner Sonderbarheit wegen sehr schwer zu fühlen ist, und es einem also sehr schwer wird, ihn nur einigermaassen richtig zu halten.

Er spielte vor Tische auf seiner Guitarre zweyerley Tacktarten, welche, so viel ich mich erinnern kann, ungefehr folgende waren:[211]


Andante.


Wien

Presto.


Wien

Am Tische saß ich zwischen dem Chevalier Gluck und diesem Abate, und wir alle drey schwatzten mehr, als wir assen. Gluck erzählte mir, was es ihm für Mühe gekostet, bey der Probe der Oper Orpheus, welches die erste von seinen wirklich dramatischen Opern war, sowohl Sänger als Instrumentisten nach seinem Sinne zu lenken. Daß diese Oper, als sie schon bey der Krönung des Kaysers, als römischer König, bey welcher Gelegenheit sie zuerst aufgeführt würde, vom Publikum mit Beyfall aufgenommen worden, der Kayserinn-Königinn nicht habe gefallen wollen; allein, als Ihro Majestät jedermann bey Hofe mit Lobe davon sprechen gehört, und gefunden, daß sie der allgemeine Vorwurf der Unterredung sey, haben Sie beschlossen, sie noch einmal anzuhören, worauf denn Ihro Kayserliche Majestät Ihren Beyfall über diese Oper dadurch bezeigt habe, daß Sie dem Dichter Calsabigi einen Brillanten Ring, und Gluck eine Börse mit hundert Dukaten geschenkt.

Vor etlichen Jahren ward zu Schwetzingen auf dem churpfälzischen Theater eine komische Oper von Glucks Komposition aufgeführt, und Sr. Churfürstl. Durchlaucht gefiel die Musik so sehr, daß er fragte, von wem die Komposition sey; und auf die Antwort, sie wäre von Gluck, sagte dieser Prinz: »Mich deucht, er hat verdient, daß er für seine Mühe einen Guten Trunk bekomme;« und zugleich befahl er, daß ihm ein Faß, freylich nicht so groß, wie das Heydelberger Faß, aber[212] doch groß genug, mit vortreflichem Weine geschickt werden sollte.

Nach Tische versuchte die Abt selbst eins von seinen Duetten für zwo Violinen, mit Herrn Startzel, der ein sehr guter Spieler und Komponist ist; besonders ist er glücklich in Kompositionen für Ballette und Pantomimen. Allein des Abate Costa Duet war so schwer, sowohl im Tackte als im Style, daß es nach zwanzig bis dreißig Versuchen, dennoch nicht recht heraus kam.

Endlich ward die Gesellschaft, die nunmehr sehr verstärkt worden, ungeduldig, Mademoiselle Gluck singen zu hören; sie that es, zuweilen bloß mit der Begleitung ihres Oheims auf dem Flügel, zuweilen mit mehr Instrumenten, auf eine so vortrefliche Art, daß ichs für unmöglich hielt, daß man in dieser Welt besser singen könnte.

Sie sang, bis zum Bewundern, einige ganze Scenen aus ihres Oheims Oper, worinn die Musik so wahrhaftig dramatisch war, so mahlerisch, so ausdrucksvoll, daß, wenn meine Muthmassung nicht trügt, daß die erste Vokalmusik die Stimme der Leidenschaft und der Natur ist, die Komposition des Chevalier Gluck, und das Singen seiner Nichte, diesen Begriff völlig erschöpft.

In einigen Scenen von grossen Unglücksfällen, worin das menschliche Herz von gehäuften Leiden zerrissen wird, wo »Schauder auf Schauder« folgt, wird Herr Gluck jenseits die Schranken eines gewöhnlichen Genies hingerissen; da giebt er den Leidenschaften solche herzdurchdringende[213] Sprache, solche Farben, daß man an ihm zugleich den Dichter, den Mahler und den Tonkünstler erkennt. Er scheint in der Musik ein Michel Angelo zu seyn, und ist eben so glücklich, schwere Lagen und Stellungen der Seele zu schildern, als jener in schweren Lagen und Stellungen des Körpers. In der That mag sein Ausdruck der Leidenschaften zuweilen zu stark für gemeine Zuhörer werden: allein


Il echappe souvent des sons à la douleur

Qui sont faux pour l'oreille, & sont vrai pour le cœur.30

DORAT.


Zwischen den Singestücken dieses entzückenden Concerts, hatten wir einige allerliebste Quartetto's von Hayd'n, die mit aller möglichen Vollkommenheit vorgetragen wurden. Herr Startzler spielte dabey die erste Violine, der die Adagios mit ungemeiner Innigkeit und Empfindung vorträgt; die zwote Violine spielte Herr Ordonetz; die Bratsche, der Graf Brühl, und Hr. Weigel, ein vortreflicher Violonschellist, den Baß. Alle, welche Theil an der Aufführung dieses Concerts hatten, fanden, daß die Gesellschaft sehr aufmerksam und in der Lage war, ihnen ihr Herz zu überlassen, und dadurch wurden sie bis zu dem wahren Grade von Enthusiasmus beseelt, welcher[214] sein innerliches Feuer allem ausser sich herum mittheilet, und alles in Flammen setzt; so, daß unter Spielern und Hörern ein Wettstreit entstund, wer am meisten rühren, oder am meisten gerührt seyn wollte.

Als dieses musikalische Gastmahl zu Ende, ging ich mit Herrn L'Augier nach seinem Hause, um einem Florentiner Poeten, den Abate Casti, seine eigne Verse hersagen zu hören, welches er aus dem Gedächtnisse that, und zwar einige Stunden lang, ohne im geringsten anzustossen, oder sich zu unterbrechen. Lord Stormont und die meisten von der Gesellschaft kamen uns nach, und blieben bis zwölf Uhr. Dieser Poet hat Schwung, Laune, Feuer und Erfindung; er hat einige der schalkhaftesten Erzählungen vom Bacaz und Voltaire in Verse gebracht, und einige hat er selbst geschrieben, die sehr frey sind.

Sonnabends, den 5ten. Diesen Vormittag brachte ich in der Kayserlichen Bibliothek und im Hause der Gräfinn Thun zu, welche im Begriff stund, auf eine längre Zeit nach Laxemburg zu gehen, als ich wahrscheinlicher Weise in Wien bleiben konnte. Dieses war ein betrübter Umstand für mich, weil mir ihr Haus beständig offen gestanden, und sie alles Mögliche gethan hatte, mir Gefälligkeiten zu erweisen, und Vergnügen zu machen.

Sie war hier von ihren Freunden und Freundinnen umgeben, welche, ob sich solche gleich nicht in meinen Umständen befanden, sondern sicher[215] waren, sie entweder hier oder in Laxemburg bald wieder zu sehen, dennoch fast alle Thränen in den Augen hatten, bey dem blossen Gedanken, sie auch nur auf ein Paar Tage zu verlieren. Während diesem Besuche war sie so gütig, mir alle ihre musikalischen Seltenheiten sehen und hören zu lassen, ehe wir uns trennten. Ihr Geschmack ist unvergleichlich, und ihr Vortrag leicht, nett und frauenzimmerlich; indessen sagte sie mir, sie habe ehedem viel besser gespielt, als itzt, und setzte sehr scherzhaft hinzu, daß sie sechs Kinder gehabt und »ein jedes habe Etwas von ihr mit weggenommen.« Sie ist eine muntre, lebhafte und gutthätige Dame, die hier jedermann als eine Lieblingsschwester zu lieben scheint. Sie ist eine Nichte von dem ehemals so schönen Prinzen von Lobkowitz, der in den Jahren 1745 und 46 in England, und mit dem berühmten Graf St. Germain in so genauer Verbindung war, welcher damals nicht bloß mit seiner Geige, sondern auch mit seinem geheimnißvollen Betragen und zweydeutigem Character so viel Aufsehens machte. Dieser Prinz hat sich itzt der Welt entzogen, und mag zuweilen in einigen Monaten niemand von seinen Verwandten oder besten Freunden sprechen. Er weiß so viel von der Musik, daß er nicht allein gut spielt und davon urtheilt, sondern auch vorzüglich gut komponirt, und seine Nichte gab mir verschiedene von seinen Werken, welche viel Verdienst und Neuheit hatten, besonders eine Arie für zwey Orchester, deren sich kein Meister in Europa zu schämen hätte.[216]

Zufolge der Anfrage, die Lord Stormont sehr gütiger Weise für mich bey Metastasio hatte thun lassen, hatte er die sehr höfliche Antwort von ihm erhalten: es solle ihm lieb seyn, den Lord und mich bey sich zu sehen, welchen Abend es Sr. Excellenz selbst gefallen würde, zu bestimmen. Dieß war ein sehr erwünschter Umstand, weil Metastasio des Nachmittags, drey oder vier seiner vertrautesten Freunde ausgenommen, niemand anzunehmen, und des Vormittags nur eine allgemeine Conversation bey ihm vorzufallen pflegt. Da Lord Stormont schon bis auf den Sonnabend täglich versagt war: so wählte er diesen Nachmittag, um meine Begierde zu befriedigen, diesen Lieblingsdichter jedes Tonkünstlers, der nur das Geringste vom Italiänischen versteht, kennen zu lernen, und mit ihm zu sprechen. Der Sonnabend war endlich herangekommen, und ich ging mit grossen Erwartungen schwanger.

Um sechs Uhr des Abends fuhr Lord Stormont mit mir hin. Wir fanden nur einen von seinen vertrauten Freunden bey ihm, welches einer von den Kayserlichen Bibliothekaren ist, und eben derselbe, dem ich auf der Bibliothek vorgestellt worden, und der den Besuch veranstaltet hatte.

Dieser grosse Dichter wohnt, wie viele andre grosse Dichter vor ihm, dem Himmel sehr nahe, nicht weniger, als vier Treppen hoch. Ob die neuern Barden deswegen gerne so hoch wohnen, weil es einige Aehnlichkeit mit dem Berg Parnassus, der Wohnung ihres Anherrn, Apoll, hat,[217] oder überhaupt gern in der Nachbarschaft der Götter seyn wollen, das will ich nicht entscheiden: man kann aber eine näher gelegene und bescheidenere Ursache anführen, warum Metastasio aus so hohen Fenstern guckt, wenn man das sonderbare Servitut, das fast durchgehends auf allen Häusern in Wien liegt, in Erwägung zieht, vermöge dessen der Kayser das unterste Stockwerk derselben für seine Hof- und Kriegsbeamte nimmt. Eine Folge davon ist, daß Prinzen, Ambassadeurs, und die Hohen von Adel gewöhnlich in den zweyten Stockwerken wohnen, und das dritte, vierte, und sogar das fünfte (die Häuser werden hier groß und hoch gebauet) sind noch immer so bequem und gut eingerichtet, daß reiche und angesehene Familien darin wohnen können; und unser Poet, ob er gleich den Theil eines Hauses bewohnt, worin man anderwärts nur Bedienten zu betten pflegt, hat dennoch ausserordentlich gute und bequeme Zimmer, in welchen ein Kayserlicher Hofpoet, mit aller ihm zustehenden Würde, sein Werk mit den Musen treiben kann.

Er empfing uns mit der äussersten Freundlichkeit und guter Lebensart, und meine Verwundrung war eben so groß als meine Freude, ihn von so munterm Ansehn zu finden: er scheint nicht über Fünfzig zu seyn, ob er gleich in den Achtzigen ist;31 und für sein Alter ist er der schönste[218] Mann, den ich kenne. In seinen Mienen sind das Genie, die Güte des Herzens, die Redlichkeit, die Milde und Sittlichkeit gemahlt, wodurch sich beständig seine Schriften vor andern auszeichnen. Sein Gesicht war so angenehm und betrachtenswürdig, daß ich meine Augen nicht davon wegwenden konnte. Seine Unterredung entsprach seinen Mienen. Sie war fein, lebhaft und ungezwungen. Wir brachten ihn dahin, daß er viel mehr von der Musik sprach, als wir erwarteten; denn überhaupt pflegt ers zu vermeiden, sich über irgend eine Materie tief einzulassen. Gleichwohl unterließ er nicht zu sagen, er würde mir über meinen Gegenstand wenig neue Einsichten mittheilen können, weil er ihn niemals mit hinlänglicher Aufmerksamkeit betrachtet hätte. Indessen zeigte er im Laufe der Unterredung, daß er eine sehr gute Kenntniß sowohl von der Geschichte als der Theorie der Musik besaß; und es schmeichelte mir nicht wenig, zu finden, daß er in verschiedenen zweifelhaften Punkten einerley Meinung mit mir war.

Unser Gespräch war über folgende Dinge: Ueber die musikalischen Tonleitern der alten Griechen, über ihre Melodie, Chöre, Modos und Deklamation; über den Ursprung der neuern Harmonie und der Opern; über die Liebhaberey an[219] den Fugen, vom vorigen, und am Geräusch von diesem Jahrhunderte, u.s.w.

Er scheint ganz gut mit Master Hooles englischer Uebersetzung der beyden ersten Bände von seinen Werken zufrieden zu seyn; war aber mit mir einerley Meinung, daß, wenn er gefehlt hätte, es mehr in den Arien als in den Recitativen geschehen sey. Indessen sagt er zu Master Hooles Entschuldigung, daß es bey Uebersetzung italiänischer Verse unmöglich anders seyn kann, denn die Sprache an sich selbst ist so sanft und musikalisch, daß sich in keiner andern Sprache eben so lieblichtönende Worte finden lassen. Ihm gefiel keine einzige von den vielen tausend Uebersetzungen und Nachahmungen seiner Grazie agl' Inganni tuoi. Ich fragte ihn, ob er ein Duett über diese Worte komponirt hätte, das ich schon seit vielen Jahren habe, und wovon ich ihm die zwey oder drey ersten Tackte vorsang? und er sagte: »So etwas ähnliches, ja!«

Wir sprachen von den verschiedenen Ausgaben seiner Werke; er hält die Pariser und die Turiner in zehn Bänden für die vollständigsten und korrektesten. Diese enthalten alles, was er willens ist drucken zu lassen, ausgenommen die Oper Ruggiero, die voriges Jahr in Mayland aufgeführt ist. Lord Stormont beklagte es, daß die Stücke nicht in eine genaue chronologische Ordnung gebracht wären; Metastasio sagte aber, es sey dem Publikum wenig daran gelegen zu wissen, ob er Artaserse oder Didone zuerst geschrieben[220] habe; dabey gestand er doch, daß einige von seinen Stücken auf besondre Veranlassungen gemacht wären, welche vielleicht bekannt zu seyn verdienten.

Hier erzählte er uns, daß, als seine gnädigste Herrschaft, die Kayserinn-Königinn, an den Großherzog von Lothringen vermählt werden sollte, man eine Oper zu dieser Feyerlichkeit von ihm verlangte, und daß man ihm nicht mehr als achtzehn Tage Zeit dazu erlaubte. Er rief gleich anfangs aus, es wäre unmöglich; als er aber nach Hause gekommen, brachte er die Geschichte des Achilles in Sciros in einen Plan; entwarf eine Art von Programm auf einem grossen Bogen Papier: hier beginnt, hier endigt der erste Ackt; dies ist der Knoten im zweyten, und dieses die Cathastrophe im dritten. Hernach vertheilte er die Handlung unter die verschiedenen singenden Personen; hier eine Arie; dort ein Duett, und da ein Soliloquium. Darauf ging er daran den Dialog zu schreiben, und in Auftritte zu vertheilen, welche er den Komponisten naß unter der Feder weg gab, von dem sie der Sänger eben so wieder bekam, um sie auswendig zu lernen; denn in diese achtzehn Tage mußte alles, Poesie, Musik, Ballette, Maschienen und Dekorations fertig gemacht werden.

Er sagte, die Noth vermehrte oft unsre Vermögenskräfte, und zwänge uns, etwas zu machen, wozu wir uns nicht nur für unfähig gehalten hätten, sondern es auch auf eine geschwindre[221] und oft bessere Art zu machen, als wenn wir dabey nach Musse und Bequemlichkeit zu Werke gingen; er setzte hinzu: Hypermnestra habe er in neun Tagen gemacht. Und es ist merkwürdig, daß Achilles und Hypermnestra zwey der besten von Metastasios Opern sind.

Lord Stormont fragte ihn, ob er niemals selbst eine von seinen Opern in Musik gesetzt hätte? und er antwortete, dazu wäre er nicht Musikus genug; er habe wohl zuweilen einem Komponisten die Art und Weise an die Hand gegeben, wie er seine Worte in einer Arie ausgedrückt zu haben wünschte, aber weiter nichts. Mylord erzählte ihm, wie der alte Fontenelle in seiner Gegenwart gesagt habe, daß kein musikalisches Drama vollkommen oder interessant werden würde, bis, wie in den alten Zeiten, Poet und Musikus eine Person wären; und daß, als Rousseaus Devin du village herauskam, und jedem Zuhörer so sehr entzückte, der litterarische Patriarch, Fontenelle, seine Vortreflichkeit dieser Vereinigung des Dichters und Tonkünstlers zuschrieb.

Metastasio aber sagte, die Komposition erfodre heut zu Tage so viel Geschicklichkeit und Wissenschaft in Betrachtung des Contrapunkts, der Kenntniß der Instrumente, der Fähigkeiten der Sänger und dergleichen Dinge mehr, daß es einem heutigen Poeten oder Gelehrten zu viel Zeit und Mühe kosten würde, sich solche zu erwerben.

Er sagte, er glaubte nicht, daß noch ein Sänger übrig wäre, der seine Stimme so brauchen[222] könnte, als die alten Sänger gelehrt wurden. Ich bemühte mich, die Ursach davon anzugeben, und er war mit mir einig, daß die Theatermusik zu instrumentalisch geworden wäre; und daß die Cantaten aus dem Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts, die keine andre Begleitung hatten, als ein Clavecimbel oder ein Violonschell, viel mehr Singekunst erfoderten als unsre neumodischen Arien, bey welchen das rauschende Accompagnement sowohl Fehler als Schönheiten verbergen und dem Sänger forthelfen kann.

Er schien der Meinung zu seyn, daß die Musik aus dem vorigen Jahrhunderte, überhaupt betrachtet, zu voller Fugen, mit zu vielen Stimmen und Künsteleyen überhäuft gewesen, daß sie jemand anders, als der Artist hätte empfinden oder verstehen können. Alle die besondern Bewegungen der verschiedenen Stimmen in den Partituren, ihre Verkehrungen und Brechungen, sagt er, wären unnatürlich, versteckten und entstellten die Melodie und richteten nichts an, als Unordnung.

Er bekräftigte die Wahrheit der Geschichte, daß ihn Gravina gezwungen habe, in seinem zwölften Jahre schon die ganze Iliade in italiänische Ottave Rime zu übersetzen. Er erwähnte auch, daß er Verse all' improvisa gemacht, als er jung gewesen, hätte aber vor seinem siebzehnten Jahre schon damit aufgehört.

Er sagte verschiedene scherzhafte Einfälle während der Unterredung, und war die ganze Zeit durch gleich munter, höflich und aufmerksam.[223] Wir waren gerade zwo volle Stunden bey ihm; und als wir weggingen, faßte er mich bey der Hand, erkundigte sich nach meinem Logis und sagte, daß er mich besuchen wollte; ich bat ihn aber, er möchte sich die Mühe nicht machen, weil ich mich für vollkommen glücklich halten würde, wenn er mir erlaubte, daß ich ihn wieder aufwarten dürfte: er ersuchte mich also, so oft zu kommen, als mir gefiele, und versicherte mich, es sollte ihm allemal angenehm seyn, mich bey sich zu sehen.

Er foderte Licht und sagte, es wäre so dunkel, daß die Worte ihren Weg zum Ohre nicht finden könnten. Er sprach deutsch mit dem Bedienten: worauf ich ihn fragte: ob er Geduld genug gehabt, diese Sprache zu lernen? Er versetzte, »ein Paar Worte bloß, um mein Leben zu retten;« er wollte damit sagen, um das Nöthige zu fodern, sonst hätte er Hungers sterben müssen.

Lord Stormont sagte, daß diesen Morgen Zeitung von der Revolution in Schweden eingelaufen wäre. Das veranlaßte auf einige Zeit ein politisches Gespräch, welches mir gar nicht lieb war. – Ecco, sagte Metastasio, indem er sich zu mir wandte, un' altra scena per la drama! Da giebts eine neue Scene fürs Drama! Er machte die Anmerkung, daß die Absicht der Menschen so verschieden und eine der andern so entgegen gesetzt wären, und daß ein Mann oft so wenig selbst wüßte, was er eigentlich wollte, daß es nicht anders möglich sey, es müßten solche plötzliche Veränderungen[224] in der Welt vorgehen, und niemand würde sich darüber wundern, der überlegte, wie voll der Kopf des Menschen von Widersprüchen und wunderlichem Eigensinn sey.

Sonntags Morgen, den 6ten. Auf meinem Wege nach dem Hotel des Nuncio's32 von da ich dem Abate Taruffi abholte, um einen zweeten Besuch bey Metastasio zu machen hatte, ward ich durch eine Procession aufgehalten, die im buchstäblichen Verstande, über eine viertel Meile lang war, und eine Hymne an die heilige Jungfrau sang. Die Hymne ward dreystimmig gesungen; und zwar so wie die Priester eine Strophe ausgesungen hatten, wiederholten solche die hinter ihnen folgenden Brüderschaften nach einander in der Reihe, bis solche an die Schwesterschaften im Nachzuge kam, und von den jungen Mädchen, welche die Letzten in der Procession waren, gesungen wurde. Wenn diese ausgesungen hatten, fingen die Priester wieder von vorne an, u.s.f. Die Melodie war ungefehr diese:[225]


Wien

Ein Italiäner, der sich zu Wien aufhielt, sagte mir, daß die Wiener sehr viel auf die Wallfahrten hielten,Portatissimi alle processioni. Diesen Morgen waren dergleichen bis fünf oder sechse; und dennoch sagt man, das solche lange nicht mehr so häufig sind, als ehedem. Bey alle dem ging kein Tag hin, weil ich hier war, da nicht eine oder die andre Kirche oder Convent eine gehalten hätte: Alles dieses aber trägt dazu bey, daß der gemeine Mann vielstimmig singen lernt.

Als Signor Taruffi und ich bey Metastasio's Morgenversammlung ankamen, fanden wir ungefehr sechs bis acht Personen vor, meistens Italiäner; Se. Excellenz, der Gouverneur von Wien kam später als wir. Der grosse Dichter empfing mich sehr höflich, und ließ mich auf einem Sopha neben sich niedersetzen. Nunmehr gab ich ihm einen Brief von Mingotti, und Signor Taruffi las ihm Herrn Barettis Schreiben über meine Person vor; so, daß er von vielen Seiten aufgefodert ward. Indessen wäre alles dieses eigentlich nicht nöthig gewesen, weil Lord Stormont schon alles gethan hatte.

Nachdem diese Briefe gelesen waren, kam das Gespräch auf dem Poeten Migliavacca von Meyland, der lange Zeit in Dresden Hofpoet gewesen ist. Metastasio erwähnte seiner mit grossem Lobe: er sagte, es wäre ein Mann vom grossem Genie und sehr grosser Wissenschaft; indessen hat er nur wenig geschrieben, denn er hätte solche Begriffe[226] von der Vollkommenheit, die weder er, noch vielleicht jemand sonst, befriedigen könnte; »überdem,« fügte Metastasio hinzu, »hat er nur wenig Uebung gehabt, und Uebung macht bey dem Menschen alles, sogar seine Tugenden.«

Hierauf ward das Gespräch allgemein und vermischt, bis zur Ankunft eines jungen Frauenzimmers, welches von der ganzen Gesellschaft mit grosser Ehrerbietung empfangen wurde. Sie war sehr gut gekleidet und machte einen hübschen Aufzug. Es war Mademoiselle Martinez, eine Schwester des Herrn Martinez, Unterbibliothekar an der kayserlichen Bibliothek, dessen Vater ein vieljähriger Freund des Metastasio gewesen. Sie war in dem Hause gebohren, im welchem er itzt wohnt, und unter seine Augen erzogen: Ihre Eltern waren Neapolitaner, der Name aber ist spanisch, wie die Abkunft der Familie.

Nach dem grossen Lobsprüchen, welche der Abate Taruffi den Talenten dieses Frauenzimmers beylegte, war ich sehr neugierig, mit ihr zu sprechen und sie zu hören; und Metastasio war so verbindlich, ihr vorzuschlagen, sie möchte sich zum Flügel setzen; welches sie denn auch augenblicklich that, ohne sich lange nöthigen zu lassen, oder mit falscher Bescheidenheit zu prahlen. Sie übertraf wirklich noch die Erwartung, die man mir von ihr beygebracht hatte. Sie sang zwo Arien von ihrer eignen Komposition, über Worte von Metastasio, wozu sie sich selbst auf dem[227] Flügel accompagnirte, und zwar auf eine wohlverstandne meisterhafte Manier; und aus der Art, wie sie die Ritornelle spielte, konnte ich urtheilen, daß sie sehr fertige Finger hätte33.

Diese Arien waren im modernen Style, sehr schön gesetzt, indessen waren die Gedanken weder gemein noch unatürlich Fremd und neu. Die Worte waren gut ausgedruckt, die Melodie war ungekünstelt und dem Sänger viel Raum zur Expression und Verschönerung gelassen; ihre eigne Stimme aber und Art zu singen flößte Vergnügen und Bewunderung ein. Ich kann mit gutem Gewissen unterschreiben, was Metastasio sagte, daß ihre Art zu singen sonst nirgends mehr angetroffen wird, weil solche den heutigen Sängern zu viele Mühe und Geduld kosten würde: è perduta la scuola; non si trova questa manièra di cantar; domanda troppa pena per i professori d'oggi dì. Ich bin geneigt zu glauben, das Pistocco, Bernacchi, und die Sänger aus der alten Schule zur Zeit der Solocantaten, ihre Töne auf diese nicht zu beschreibende Manier aushielten und in so sehr verkleinerte Intervallen absetzten. Ich kann mit einer gewöhnlichen Sprache keine ungewöhnliche Wirkungen beschreiben. Wenn ich sagte, ihre Stimme[228] hätte einen natürlich schönen und lieblichen Ton, sie hätte einen schönen Triller, eine vollkommene reine Intonation, eine Leichtigkeit die schnellesten und schweresten Passagen heraus zu bringen, und einen rührenden Vortrag: so sagte ich nichts weiter, als was ich schon, und zwar mit Wahrheit, von andern gesagt habe; hier aber fehlt mirs an Worten, die Bedeutung dieser Ausdrücke zu erhöhen und ihnen mehr Gewicht zu geben. Die italiänischen Verstärkungspartikeln, möchten vielleicht meinem Wunsche zu statten kommen, wenn ich in dieser Sprache schriebe; da dieses aber nicht der Fall ist, so kann ich bloß hinzusetzen, daß Mademoiselle Martinez in Ansehung des Portamento und der unendlich kleinen Abtheilungen der Semitonien, wobey sie beständig aufs genaueste den rechten Haupton trift, die vollkommenste Sängerinn ist, die ich jemals gehört hatte. Auch ihre Cadenzen in dieser Manier, waren sehr gelehrt, und wahrhaftig rührend und angenehm.

Nach diesen beyden Arien spielte sie ein schweres Handstück auf dem Flügel von ihrer eignen Komposition, mit vieler Fertigkeit und sehr rein. Sie hat ein Miserere von vier Stimmen, und verschiedene Psalmen mit acht Stimmen gesetzt, und sie versteht den Contrapunkt sehr gründlich.

Die Gesellschaft brach früher auf, als ich wünschte, weil es Metastasio's Zeit war, da er zur Messe gehen mußte. Bey diesem Besuche entdeckte ich unter den andern Vollkommenheiten[229] der Mademoiselle Martinez auch diese, daß sie Englisch lieset und schreibt. Sie bat mich, ich möchte wiederkommen, wie der göttliche Dichter auch that; so daß ich mich nunmehr als einen Amico della Casa betrachtete.

Der kayserliche Hofpoet fuhr in einem sehr hübschen Wagen zur Kirche, welches mich freute zu sehen, weil seine Gaben und Geschicklichkeiten alles verdienen, was etwa für ihn geschehen kann. Er hat einen jährlichen Gehalt von ungefehr sechs hundert Louisd'or. Hievon kann er bey seiner ordentlichen Art Haus zu halten auf einen ganz ansehnlichem, obgleich nicht prächtigen Fuß leben.

Nachdem ich bey Sr. Excellenz, Monsignore Visconti, zu Mittage gegessen hatte, brachte mich sein Sekretair zum Zweytenmale nach herrn Hassens Hause, in der Landstrasse, der hübschesten unter allen Vorstädten von Wien. Es ist eine angenehme Fahrt, fast eine kleine halbe Meile ausser dem Thore, obgleich noch innerhalb den Wällen; besonders fährt man durch eine Gasse, die öfters Durchschnitte hat, wodurch man Palläste, Kirchen und schöne Häuser in der Ferne erblickt.

Wir fanden die ganze Familie zu Hause, die sehr munter und gesellig bey einander war. Signora Faustina ist sehr gesprächig, und ist noch sehr aufmerksam auf alles, was in der Welt vorgeht. Für eine zwey und siebenzigjährige Matrone hat[230] sie auch noch gute Reste von der Schönheit, weswegen sie in ihrer Jugend so berühmt war, aber nichts mehr von ihrer schönen Stimme. Ich bate sie, sie möchte singen – Ah non posso! – hò perduto tutte le mie facoltà. »Ach, ich kann nicht. Ich habe mein Singen gänzlich verlohren.«

Von dem Gespräch des Herrn Hasse ward ich ganz bezaubert. Er war ungezwungen, vernünftig und gar nicht zurückhaltend. Man findet an ihm weder Pedanterie, Hochmuth, noch Künstler Vorurtheile. Er sprach von keinem Menschen Böses; vielmehr ließ er den Geschicklichkeiten verschiedener Komponisten, die gelegentlich genannt wurden, Gerechtigkeit wiederfahren; und selbst dem Porpora, der freylich anfänglich sein Lehrer, aber auch hernach immer sein grösserer Nebenbuhler gewesen ist. Er ist mit Metastasio der Meynung, daß die gute Schule fürs Singen verlohren gegangen ist, und sagt, daß seit der Zeit des Pistocco, Bernacchi und Porpora, keine grosse Schüler mehr gezogen sind.

Ich bat ihn von neuem um ein Verzeichniß von seinem Werken, und er sagte mir, daß er alle Opern von Metastasio gesetzt habe, ausgenommen Temistocles. Einige darunter drey oder viermal, und die meisten wenigstens zweymal: Ausser diesen habe er auch manche Opern vom Apostolo Zeno komponirt; denn in seiner Jugend schrieb Metastasio für ihn nicht geschwind[231] genug. Zu diesen Kompositionen fürs Theater kommen noch vierzehn oder funfzehn Oratorios, verschiedene Missen, Misereres, Stabatmaters und Salvereginas für die Kirche. Ausser allen diesen, fügte er hinzu, daß seine Cantaten, Serenaten, Intermezzos und Duetten für Singestimmen; seine Trios, Quartetten und Concerte für Instrumente, eine so grosse Zahl ausmachten, daß er manche davon nicht mehr kennen würde, wenn sie ihm wieder zu Gesicht oder zu Ohren kommen sollten. Er verglich sich sehr bescheidentlich mit den fruchtbarsten Thieren, deren Junge entweder gleich in der Kindheit wieder umkämen, oder dem Zufalle überlassen würden; und fügte hinzu, daß er, gleich andern schlechten Vätern, mehr Vergnügen in der Zeugung als in der Erziehung seiner Abkömmlinge fände. Indessen muß man diesen Tadel bloß auf die Kinder seines Gehirns einschränken; denn, wie ich schon vorher angemerkt, er hat grosse Sorgfalt auf die Erziehung seiner Töchter verwendet.

Während dieses Besuchs waren diese Demoiselles so gefällig, mir ein Salve Regina vorzusingen, das ihr Vater kürzlich für zwo Stimmen gesetzt hatte. Es ist eine vortrefliche Komposition, voller Anmuth, Geschmack und Richtigkeit im Ausdruck.

Eine von seinen Töchtern hat eine liebliche Soprano voce di camera, deren Ton zart und reizend ist. Die Andere hat eine starke volltönige[232] Contraltstimme, die für jede Kirche oder jedes Theater in Europa brauchbar ist. Beyde haben einen guten Triller und einen solchen Vortrag, Geschmack und solche Festigkeit in der Intonation, wie man natürlicherweise von den Töchtern und Schülerinnen eines Hasse und einer Faustina erwarten muß.

Nach dem Salve Regina sangen diese vortreflichen Sängerinnen verschiedene Arien in allerley Stylen, von der Komposition ihres Vaters, in einer Manier, die wirklich edel und ausgewählt war.

Herr Hasse leidet so viel vom Podagra, daß seine Finger davon ganz steif und krumm sind; und bey dem allen zeigt er, in seinem Accompagnament, und Anschlage auf dem Flügel, noch die Spuren eines grossen Cembalisten. Es ist auch nicht aus Unwissenheit, daß er in seinen Werken niemals oder doch nur selten, gelehrte weithergeholte und vielsinnige Modulationen anbringt. Er spielte mir ein extemporirtes Toccato oder Crapiccio vor, in welchem er einige verwebte, welche wirklich bewundernswürdig waren; er hat aber ein viel zu richtiges Urtheil, daß er bey gemeinen und alltäglichen Gelegenheiten mit solchen Sachen verschwendrisch seyn sollte, welche besser für ausserordentliche Vorfälle aufbewahrt werden.

Seine Modulation ist, überhaupt genommen, ungekünstelt, seine Melodie natürlich, seine Begleitungen frey von aller Verwirrung; und indem[233] er Gecken und Pedanten alles das überläßt, wovor man stutzen, sich wundern und erschrecken muß, läßt er in seinem Kompositionen keine andre Kunst entdecken, als die Kunst, dem Ohre zu gefallen und den Verstand zu befriedigen.

Seine Töchter klagen über Mangel an Uebung, und sagen, daß sie fast nicht ans Singen kommen, weil ihr Vater beständig, entweder krank oder beschäftigt ist.

Künftiges Frühjahr wird er nach Venedig, der Geburtsstadt der Signora Faustina, gehen; und es scheint, daß sie beyde willens sind, dort ihre übrige Lebenszeit hinzubringen.

Ich habe nicht gehört, daß Herr Hasse itzt für den Wiener Hof Arbeit habe, oder eine Pension davon bekomme. In letzten Kriege hat er viel verloren; alle seine Bücher, Manuscripte und übrige Effekten, von ansehnlichem Werthe, gingen bey der Gelegenheit im Feuer auf, da der König von Preussen Dresden bombardiren ließ. Er stund im Begriff alle seine Werke im Druck heraus zu geben, und der verstorbene König von Pohlen hatte ihm versprochen, die Kosten des Drucks und des Papiers zu stehen; allein als die breitkopfische Druckerey bereits angefangen und das Papier zu der ganzen Auflage angeschaft hatte, brach der Krieg aus und vereitelte allen Vortheil, den Herr Hasse von dieser Unternehmung hatte, und die Hofnung des Publikums dazu. Dem ungeachtet spricht er sehr ehrerbietig von den[234] musikalischen Talenten des Kriegs von Preussen, und ist sogar so rechtschaffen, zu sagen, daß er glaubt, wenn Se. Majestät gewußt hätten, daß Sie durch die Umstände genöthigt seyn würden, Dresden zu bombardiren: so würden Sie es ihm vorher haben wissen lassen, damit er seine Sachen retten können.

Madame Faustina, die eine lebendige musikalische Geschichte ist, sagte mir manche Annekdoten von den musikalischen Personen, die ihre Zeitgenossen gewesen. Sie sprach viel von Händels grossem Style im Clavier- und Orgelspielen, als sie in England war, und sagte, sie erinnre sichs noch, als Farinelli im Jahr 1728 nach Venedig gekommen, und mit was für Entzücken und Erstaunen man ihn gehört habe.

Montags, den 7ten. Diesen ganzen Vormittag brachte ich in der öffentlichen Bibliothek damit zu, daß ich alte Missale, musikalische Abhandlungen und Kompositions suchte. Herr Martinez, der Bruder des jungen Frauenzimmers, die ich in Metastasios Hause ihre eigene Kompositions so schön hatte singen und spielen hören, war auf der Bibliothek und leistete mir die ganze Zeit über Beystand. Ich fragte ihn, von wem seine Schwester die Musik gelernt hätte, und wie sie zu der ausdrucksvollen Manier zu singen gelangt wäre? Er sagte, sie habe verschiedene Meister gehabt,[235] die sie die Gramatik und das mechanische der Musik gelehrt hätten, das Uebrige aber habe Metastasio gethan.

Die folgenden Nachrichten erhielt ich von einer Person von hohem Stande, die sich so lange in Wien aufgehalten hat, daß sie mit der Geschichte der musikalischen Leute völlig bekannt ist.

Die grosse Sängerinn Tesi, welche vor ungefehr funfzig Jahren sehr berühmt war, lebt hier noch. Sie ist ißt über achtzig, hat aber das Theater schon längst verlassen. Sie hat in ihrer Jugend sehr munter gelebt, bey dem allen aber steht sie itzt sehr in Gnaden bey der Kayserinn-Königin. Ihre Geschichte ist gewissermaassen sonderbar. Sie lebte in gewissen Verbindungen mit einem sichern Grafen, einem Herrn von sehr vornehmen Stande, dessen Liebe durch den Genuß zu einem solchen Grade anwuchs, daß er sich entschloß, sie zu heyrathen: ein Entschluß der hier zu Lande einer Person von hoher Geburt vielmehr kostet zu fassen, als in England; sie that ihr Bestes, ihn davon abzubringen; stellte ihm alle die üblen Folgen einer solchen Verbindung vor; allein er wollte keine Vernunft hören, noch eine abschlägige Antwort annehmen. Da sie fand, daß alle ihre Vorstellungen vergebens wären, verließ sie ihn eines Morgens, ging in eine Gasse in der Nachbarschaft, und wendete sich an einen armen Beckerknecht, und sagte, sie wollte ihm funfzig Dukaten geben, wenn er sie heyrathete, nicht in[236] der Absicht, daß sie als Mann und Frau mit einander zu leben hätten; sondern weil sie sonst andre Ursachen dazu hätte. Der arme Mensch ließ sichs gerne gefallen, ihr Titulairmann zu werden, und sie wurden also förmlich getrauet; und als der Graf sein Anliegen wiederholte, sagte sie ihm, daß es nunmehr völlig unmöglich wäre, in sein Verlangen zu willigen, weil sie schon einem andern Manne angetrauet sey; ein Opfer, daß sie ihm und seiner Familie gemacht habe.

Seit dieser Zeit hat sie mit einem Manne von hohen Stande, von ungefehr einerley Alter mit ihr, in Wien gelebt, wahrscheinlicher Weise in aller Keuschheit und Unschuld.

Die Teuberinn, eine andre berühmte Opernsängerinn, hält sich gleichfalls hier auf: es ist ihr aber von ihrem Arzte ausdrücklich verboten, jemals wieder zu singen. Ihre Gesundheit ward in Rußland dergestalt angegriffen, das die medicinische Facultät das Urtheil gesprochen, daß ihr die Ausübung ihrer ehemaligen Professiion ganz gewiß das Leben kosten würde.

Es war die Tesi, welche beyde, die Teuberinn und die de Amici sowohl das Singen als Agiren lehrte. In ihrer Jugend war sie im Singen und Agiren stärker, als alle ihre Zeitgenossinnen, und nachher ist sie in Zuziehung junger Schülerinnen besonders glücklich gewesen.

Den 8ten September. Ich erwartete, daß dieser Tag keine grosse Erndte für meine musikalische[237] Nachforschung geben würde, weils ein grosser Festtag war. Die Bibliothek war verschlossen, und jedermann war in Galla und über seiner Andacht; es ist angenehm genug, an solchen Tagen auf den Gassen herumzugehen und die Leute frey von Sorgen und Arbeit, mit munterm Gesicht und reinlichen Kleidungen zu sehn.

Der portugisische Abate kam des Morgens in aller Frühe zu mir, und nach einem langen musikalischen Gespräche nöthigte er mich nach seiner Wohnung, um in Ruhe und Frieden einige von seinen Kompositionen auf der Guitarre zu hören, welches bey Lord Stormont unmöglich gewesen. Er hasset es auf den Todt, mehr als zwey oder drey Zuhörer auf Einmal zu haben. Ich folgte ihm nach seiner Dachkammer, die noch ein wenig höher lag, als zweymal zwey Stockwerke. Hier spielte er die nehmlichen Stücke, wie beym Lord Stormont, aber mit mehr Wirkung in ruhiger Stille. Er ist völlig Original in seinen Ideen und in seiner Modulation, er wiederhohlt aber seine Passagien zu oft.

Von hier ging ich nach der Stephanskirche, wo eben die hohe Messe begonnen war, wegen des Festes, Maria Geburt. Das Chor war stärker als gewöhnlich mit Sängern und Instrumenten besetzt; die Orgel war aber ganz unleidlich verstimmt, und verdarb die ganze Musik. Diese war übrigens in ihrer Art vortreflich, und größtentheils von Colonna; bestund in wohl ausgearbeiteten[238] Fugen, ziemlich nach händelscher Art, und hatte einen kühnen und thätigen Baß. Es wurden einige schöne Wirkungen durch die Forte's und Piano's hervorgebracht, da die erste Note eines Tacktes stark und die übrigen leise gespielt wurden,


Wien

und durch die Einschaltung eines pathethischen Satzes von blossen Singstimmen, mitten in einem lärmenden, vollstimmigen Chore von Instrumenten.

Es war ein junges Mädchen dabey, welches einen Solovers im Credo ausserordentlich schön sang. Es hatte ein Mezzo Sopranstimme, und ihr Triller und Singart waren gut. Es wurden auch verschiedene blosse Instrumental-Sinfonien gemacht, komponirt vom Herrn Hofmann, Maestro di Capella an dieser Kirche, welche gut geschrieben waren, und gut gespielt wurden, nur daß die häßliche Orgel alles vergiftete, sobald sie sich einmischte. In Herrn Hofmanns Komposition war zwar viel Kunst und Schwierigkeit, doch war die Modulation natürlich und die Melodie eben und züchtig. »So viel Kunst, als Ihnen in Ihrer Musik beliebt, meine Herren«, pflegte ich öfter zu den Deutschen zu sagen, »wenn sie[239] nur mit der Natur vereinigt ist; und selbst in einer genauen Verbindung zwischen beyden, möchte ich allemal wünschen, daß die ältere Schwester, Natur, die Regierung hätte.«

Des Nachmittags ging ich zum Herrn L'Augier, und daselbst fand ich unter andrer Gesellschaft, abermals den florentinischen Poeten, Abate Casti, welcher verschiedene von seinen Versen hersagte, unter andern besonders eine Erzählung nach Voltairens Art d'elcoer une fille, welche ausserordentlich schalkhaft und komisch war.

Herr L'Augier der in Hofdiensten stehet, war genöthigt, den folgenden Tag nach Laxemburg zu gehen; es that mir sehr leid, ihn zu verlieren, weil sein Haus mir eine vortrefliche Zuflucht war, so oft ich Zeit gewinnen konnte hinzugehen; und seine musikalischen Unterredungen waren mir ganz besonders angenehm und nützlich.

Er machte mir Vorwürfe, warum ich nicht den ganzen Winter in Wien bliebe; allein wenn ich in jeder grossen Stadt in Europa hätte ein ganzes Jahr bleiben wollen, so würden die Einwohner doch gedacht haben, daß ihre Merkwürdigkeiten so wichtig wären, noch mehr Aufmerksamkeit zu verdienen; und welch ein langes Leben müßte ich mir nicht versprechen können, einen solchen Patriotismuß zu befriedigen? Und wo sollte ich meinen Nachforschungen und meiner Geschichte ein Ziel setzen? Als Herr L'Augier sagte, daß Wien einen viel längern Besuch verdiente, fragte ich ihn, was[240] nächst Hasse, Gluck und Wagenseil noch für grosse Tonkünstler in dieser Stadt zu finden wären? Haydn, Ditters und Scarlatti, ein Neffe des Dominico Scarlatti wären ausgereiset; ich wüßte da wären noch Gasmann, Vanhall, Hofmann, Mancini; und er setzte hinzu, Kohaut, ein grosser Lautenist, La Motte, ein Violinist, und Venturini ein Hoboist; aber die meisten davon konnte ich noch vor meiner Abreise sprechen und hören. Das Wichtigste, worauf ich nunmehr zu denken hatte, war, wie ich Zutritt zu dem Archive der kayserlichen Kapelle erlangen könnte; und mein portugisischer Abate hatte mir versprochen, mich zu diesem Endzwecke mit Herrn Gasmann, dem kaiserlichen Kapellmeister, bekannt zu machen.

Wie ich von Herrn L'Augier wegging, besuchte ich Herrn Wagenseil, woselbst ich meinen Freund, den Abate Costa bereits fand, der mein Vorläufer gewesen war und ihn auf meine Ankunft vorbereitet hatte.

Wagenseil ist schon ziemlich bey Jahren, mager und schwächlich; er konnte nicht von seinem Canapee aufstehen, empfing mich aber doch sehr höflich und sprach eine ziemliche Zeit ganz frey über musikalische Dinge. Er hat viel Respeckt für Händel, und spricht von einigen von seinen Werken mit Entzücken; ausserdem daß er nicht von seinem Sitze aufstehen konnte, hatte das Podagra seine linke Hand so übel zugerichtet, daß er kaum[241] zwey Finger daran bewegen konnte. Dennoch ließ er sich, auf mein dringendes Bitten, einen Flügel vorschieben, und er spielte mir verschiedene Capriccio's und Sonaten von seiner eignen Komposition auf eine sehr feurige und meisterhafte Art vor; und ob ich gleich gern glaube, daß er ehedem besser gespielt haben mag, so hat er doch noch Feuer und Phantasie genug übrig, zu gefallen und zu unterhalten, ob er mich gleich eben nicht sehr überraschte. Er war so gefällig, mir von verschiedenen seiner ungedruckten Claviersachen eine Abschrift zu versprechen, und eine kleine musikalische Gesellschaft zusammen zu bringen, damit ich Gelegenheit hätte, einige von seinen Schülern zu hören.

Er hat, wegen einer Lähmung, die ihm nach und nach auf eine ausserordentliche Art zugestossen ist, schon seit sieben Jahren nicht aus dem Zimmer gehen können. Die Sehnen in seiner rechten Hüfte haben sich zusammen gezogen, und die Zirkulation ist gehemmt: so, daß solche ohne alle Hülfe ausgedörret und unempfindlich geworden ist. Er ist fünf und achtzig Jahr alt, war ein Schüler von Fux, und lange Jahre Musikmeister der Kayserinn-Königinn, weswegen er noch eine jährliche Pension von funfzehn hundert Gulden hat. Er hat itzt den Titel als Musikmeister der Erzherzoginnen, der ihm gleichfalls einen kleinen jährlichen Gehalt bringt.[242]

Das sind glückliche Umstände für einen Mann, der völlig unvermögend ist, einen Fuß aus der Stelle zu setzen, um seine Profession zu treiben. Indessen informirt er in seinem Hause, und komponirt dabey, wodurch er sein Einkommen einigermaassen vermehrt; und da er glücklicher Weise nicht verheyrathet, und Wien für die Einwohner eben kein theurer Ort ist: so kann man glauben, daß er sich in ganz guten Umständen befindet.

Die Lustbarkeiten des gemeinen Volkes an diesem Orte, scheinen für eine gebildete und gesittete Nation kaum zulässig zu seyn. Besonders die sogenannten Stiergefechte und Bärenhätzen, wobey es wilder und unmenschlicher hergeht, als bey unsern ehemaligen Stierhetzen, Hahnen- und Fechterkämpfen in England, denen die Gesetzgebung so menschlicher als einsichtsvoller Weist ein Ende gemacht hat.34[243]

Bey diesen unmenschlichen Specktakeln finden sich gemeiniglich zwey bis drey tausend Zuschauer ein, worunter sogar verschiedene Damen sind!

Mittwoch, den 9ten. Diesen Morgen ging ich mit dem Abate Costa, zum Herrn Gasmann, kayserlichen Hofkapellmeister. Er war sehr verbindlich und so gütig, mir alle seine raren Bücher und seine Kompositions in Manuscript zu zeigen.

Er setzte mich in grosse Verwunderung mit einer Menge von Fugen und Chören, die er mir zeigte,[244] und die er als Uebungsstücke gemacht hatte. Sie waren sehr gelehrt und auf eine ganz eigne Art gemacht. Einige davon waren in zwey oder drey verschiedene Tacktarten, und auch über zwey oder drey verschiedene Subjekte, komponirt; und unterschiedliche davon, sagte er, hätte der Kayser gespielt.

Einige Personen machen Herrn Gasman den Vorwurf, daß er in seinen theatralischen Kompositionen nicht Feuer genug hat; allein die Ernsthaftigkeit seiner Schreibart hat sehr natürliche Ursachen, und diese stecken in der Zeit und Mühe, die er auf die Kirchenmusik verwendet haben muß. Nach einer gleichen Vollkommenheit in beyden zu streben, heißt zugleich Gott und dem Mammon dienen wollen; und diese vortreflichen Kirchenkomponisten, die von ihren Werken überlebt worden sind, als z.E. Palestrina, Tallis, Birde, Allegri, Benevoli, Colonna, Caldara, Lotti, Perti und Fux, haben sich bloß und allein auf den Kirchenstyl eingeschränkt. Alexander Scarlatti, Händel, Pergolesi und Jomelli sind Ausnahmen. Ueberhaupt betrachtet aber glückt es denen am besten, welche für die Kirche, das Theater oder die Kammer schreiben, wenn sie sich eine Gattung davon besonders wählen, und nur darin arbeiten.

Ich nenne nicht jedes Oratorium, Misse oder Motett Kirchenmusik; weil eben die Töne mit andern Worten darunter, eben so gut, und zuweilen noch besser, für das Theater sich schicken[245] würden. Unter dem, was man mit Recht Kirchenmusik nennt, verstehe ich diese ernsthaften, wissenschaftlichen Kompositions, welche bloß für Singestimmen gesetzt sind, deren Vortreflichkeit mehr in guter Harmonie, in gelehrter Modulation, und in Fugen über sinnreiche und nicht üppige Subjekte bestehet, als in leichten tändelnden Arien, mit schwärmender Begleitung.

Das kaiserliche Theater und die kaiserliche Kapelle haben jede ihr eignes musikalisches Archiv. Von dem Letzten hat der Kaiser den Schlüssel weggenommen; es enthielt solches aber bloß die Werke derjenigen Komponisten, welche im gegenwärtigen Jahrhunderte geblühet haben, als Fux, Teleman, Händel und Porpora. Von dem andern hat Herr Gasman den Schlüssel, und der versprach mir, mich den folgenden Tag hinzuführen. Der Rest von diesem Archive befindet sich auf der öffentlichen Bibliothek.

Alle Mittage und Abende war bey dem Essen, in dem Gasthofe zum goldnen Ochsen, worinn ich abgetreten war, Musik; aber gewöhnlich war sie schlecht, besonders die von einer Bande mit blasenden Instrumenten, welche niemals fehlten, sich während des Tisches einzustellen. Diese bestund aus Waldhörnern, Clarinetten, Hoboen und Bassons; alle so jammerlich verstimmt, daß ich sie auf hundert Meilen weit wegwünschte.

Ueberhaupt habe ich das feine Gehör bey den deutschen Gassenmusikanten nicht gefunden, welches[246] ich bey Leuten von eben der Classe in Italien angetroffen habe. Daß die Orgeln hier in den Kirchen fast niemals rein gestimmt sind, das kann an der Sparsamkeit oder Nachlässigkeit der Geistlichen, der Bischöfe oder Vorstehere Kirchen und Klöster liegen; wenn aber die Gassenmusikanten mit ihren Instrumenten nicht zusammen stimmen, so muß der Fehler an ihnen selbst und ihrem stumpfen Gehöre liegen.

Es ist vielleicht schwer zu bestimmen, was für eine Art von Luft der Fortpflanzung des musikalischen Schalles am vortheilhaftesten ist; ob dicke, dünne, feuchte oder trockne? und wenn dies auch ausgemacht wäre, so könnte noch die Frage seyn, in was für einer Art von Luft die Musik am vortheilhaftesten zu hören sey, weil es wohl möglich seyn könnte, daß die Luft, welche, im Abstracktu betrachtet, der Fortpflanzung des Schalles am vortheilhaftesten, eben auch die Organen, mit welchen sie vernommen wird, weniger empfindlich machte.

Donnerstag, den 10ten. Diesen Morgen war Signor Mancini, von Bologna, Singmeister des kaiserlichen Hofs und der kaiserlichen Kinder, so gefällig, mich, auf Ersuchen des Abate Taraffi, in meinem Logis zu besuchen. Er war ein Schüler von Bernacchi, und ist schon funfzehn Jahr in kaiserlichen Diensten. Er hat acht Erzherzoginnen singen gelehrt, wovon die meisten, wie er sagte, gute Stimmen und es ziemlich weit[247] gebracht hätten, besonders die Prinzessinn von Parma, und die Erzherzoginn Elisabeth, welche einen guten Triller, ein gut Portamento und grosse Leichtigkeit in Herausbringung geschwinder Passagien hätten.

Signor Mancini spricht mit vieler Einsicht von seiner Kunst, und seine Unterredung machte mir vieles Vergnügen. Er arbeitet schon seit einiger Zeit an einem Buche über die Singekunst, und ist schon ziemlich weit damit gekommen. Es ist zu hoffen, daß ein Mann von so reifer Wissenschaft und langer Erfahrung, der Welt sein Buch nicht vorenthalten wird, da es ihr noch immer an einer so gut geschriebenen, durchgedachten, und zugleich so praktischen Abhandlung über die Singekunst fehlt.17

Ich erhielt von diesem geschickten Professore eine Liste von der Pistoc- und Bernaccchischen Schule. Bernaccchi war ein Schüler von Pistocco, allein die Natur hatte ihm gar keine schöne Stimme gegeben; und als er das Erstemal zu Bologna in einer Kirche sang, mißfiel er so sehr, daß ihm einige seiner Bekannten rund heraus sagten, er sollte das Singen unterwegs lassen, wenn ers nicht besser könnte; dieses reitzte ihn dergestalt, daß er sich die äusserste Mühe gab, weil er wohl wußte, daß es nun nicht mehr möglich wäre, eine andre Profession zu erwählen. Ein Castrat hat selten Muth oder Kräfte genug, sich etwas anderm als der Musik zu widmen. Er ging also mit ernstem[248] Fleisse an sein Geschäft, und durch strenges Studiren erwarb er sich einen Styl und eine Art zu singen, die nachher zum Panier in dieser Kunst geworden ist.

Die vornehmsten Schüler, die er gezogen hat, sind Antonio Pasi, Geoc. Battista Minelli, Bartolomeo di Faenza, Mancini und Guarducci.

Signor Mancini hält es für möglich, durch Geduld und Zeit einen Triller hervorzubringen, wo ihn die Natur versagt hat, das ist auch sogar seine Meinung von der Stimme, nemlich, eine schlechte Stimme erträglich und eine mittelmässige gut zu machen, und auch ihren Umfang zu vergrössern, wenn man nur beständig dem natürlichen Hange des Organs folge.

Was den Triller anbetrift, hält er dafür, daß solcher neun und neunzigmal unter hunderten durch Ungeduld und Uebereilung, sowohl von Seiten des Meisters als des Schülers, verderbt werde; weil manche Sänger keinen Triller haben, die doch solche Passagien machen können, welche eben dieselbe Bewegung der Larynx erfodern, als der Triller. Dies läßt sich nicht anders, als aus der Nachlässigkeit des Lehrers erklären, daß er weder die Natur studirt noch aus diesen Passagien den möglichen Nutzen ziehet, welche durch anhaltende Uebung zum wahren Triller werden würden.

Vom Signor Mancini eilte ich zum Herrn Gasman, welcher mich erwartete, um mich nach der kayserlichen musikalischen Bibliothek zu führen.[249] Ich fand daselbst eine ungeheure Sammlung von musikalischen Schriften, aber in solcher Unordnung, daß itzt ihr Inhalt fast gänzlich unbekannt ist. Indessen hat Herr Gasman angefangen ein Verzeichniß davon aufzunehmen, und hat von dem Kayser das Versprechen, daß diese Bücher einem bequemern und grössern Saal bekommen sollen, als den gegenwärtigen, in welchem sie in der möglichsten Unordnung vermischt auf einander gethürmt liegen. Dennoch fand ich viele seltne Sachen vom Ursprunge des Contrapunkts an, bis auf die gegenwärtige Zeit. In der That ist der Musikalien, welche der Kayser Leopold gesammlet hat, und welche alle in weiß Pergament, mit seinem Wappen auf dem Rücken, gebunden sind, eine fast unglaubliche Anzahl. Sie scheint alles zu enthalten, was zu der Zeit in Italien und Deutschland gemacht worden. An Opern in Partitur und mit ausgeschriebenen Stimmen ist eine solche Menge vorhanden, daß das blosse Verzeichniß von denen, die an diesem Hofe aufgeführt sind, schon einen Band in Folio ausmachen würde.

Herr Gasman hat mich versichert, daß er bey der Verfertigung eines vollständigen Verzeichnisses, alles bemerken will, was er in dieser Sammlung, sowohl im theoretischen als praktischen seltnes findet, um mir davon durch Briefe Nachricht zu geben. Zu diesem Ende verlangte er meine[250] Adresse in England, die ich ihm auf Pergament aufschrieb und in der Bibliothek ließ.

Heute Nachmittag ging ich abermals zum Herrn Wagenseil. Er hatte eine Schülerinn bey sich, ein junges Mädchen von ungefehr eilf bis zwölf Jahren, mit dem er Duette auf zwey Flügeln spielte, die eine sehr gute Wirkung thaten. Das Kind spielte sehr rein und fest im Tackte. Herr Wagenseil war so gut, mir auf Ersuchen zu versprechen, daß er mir, wo möglich, einige von seinen Duetten und andern neuen Sachen gegen den Sonntag wollte abschreiben lassen, wann ich wiederkommen sollte, um sie mit einer Begleitung von Violinen zu hören, und Abschied zu nehmen. Es war noch ein andrer von seinen Schülern, ein junger Graf, da, der ungemein fertige Finger hatte, und einige sehr schwere Flügelsonaten mit grosser Genauigkeit herausbrachte. Mein Freund, der gelehrte und würdige portugisische Abate war auch mit von der Parthie.

Von hier ging ich nach der Oper, da i Rovinati aufgeführt wurde, wobey Gasman am Flügel seine eigne Komposition dirigirte. Ob seine mir dem Vormittag erwiesene Höflichkeiten einen geheimen Einfluß auf mein Gemüth und meine Ohren hatte, kann ich nicht sagen; allein diese Musik gefiel mir viel besser, als irgend eine andre von seinen Kompositionen, die ich vorher gehört hatte. Ich bemerkte einen Contrast, eine Entgegensetzung und Verschiedenheit von Tacktarten[251] und Passagien, da die eine immer die andre bis zum Entzücken in ein vortheilhaftes Licht setzte; und die Instrumentalstimmen waren mit Einsicht und Urtheil gearbeitet.

Eine Arie von Clementina Baglioni, und ein zankendes Duett zwischen ihr und der zwoten Sängerinn, die eine Deutsche war, und wirklich nur mittelmässig sang, mußten auf Verlangen der Zuhörer wiederholt werden. Die Mannspersonen, welche Heute sungen, gefielen mir besser, als die, welche ich vorher gehört hatte; ein Tenorist besonders zeigte viel Geschmack und hatte eine angenehme, obgleich nicht sehr ausgebildete Stimme. Diese beyläufige Nachrichten von unbenannten Sängern, werden dem Leser freylich kein sonderliches Genügen leisten; es ist indessen alles, was ich von Sängern einer niedrigern Classe sagen kann; weil bey dem italiänischen Opern in Deutschland die Namen der Sänger nicht mit aufs Zettel oder in die Bücher gedruckt werden, und uns das Gedächtniß selten beysteht, die Namen solcher Personen oder Sachen zu behalten, die uns gleichgültig sind.

Freytag, den 11ten. Diesen Morgen ging ich zum Chevalier Gluck, um Abschied von ihm zu nehmen; und ob es gleich schon eilf Uhr war, als ich hinkam, lag er doch noch, wie ein wahres grosses Genie im Bette. Madame sagte zwar zu mir, er pflege spät in die Nacht zu schreiben, und bliebe deswegen lange im Bette, um sich zu[252] erholen; allein Glück, als er zum Vorschein kam, brachte keine so gute Entschuldigung vor, sondern gestund ganz offenherzig seine Faulheit:Je fuis un peu poltron ce matin. Auch die Nichte war noch nicht sichtbar, und die Tante sagte zu ihrer Rechtfertigung, sie habe ihr den Morgenschlaf angerathen, Pour fortifier la poitrine; (die Lunge zu stärken) und ich glaube, sie hatte Recht, denn diese vortrefliche kleine Sängerinn, ist nichts weniger als stark.

Herr Gluck und ich hatten eine lange Unterredung über musikalische und dramatische Wirkungen; besonders über diejenigen, welche seine Oper Orpheus hervorgebracht hätte, als solche vor zehn Jahren zum Erstenmale zu Wien gespielt worden, und vor drey oder vier Jahren als solche zu Parma bey der Vermählungsfeyer der Erzherzoginn Amalia mit dem Herzog und voriges Jahr zu Bologna wieder aufs Theater gebracht wurde. Er ist ein strenger Zuchtmeister, und eben so furchtbar als Händel zu seyn pflegte, wenn er ein Orchester dirigirte; dennoch versicherte er mich, daß er seine Brigade niemals widerspenstig befunden habe, ob er gleich niemals gelitten, daß sie den geringsten Theil ihrer Schuldigkeit versäumt, und er sie zuweilen eines von seinen Manöuvern zwanzig bis dreyssigmal habe machen lassen. Dieses war die beste Probe von der Nutzbarkeit seiner Mannszucht; denn wenn Leute, die nicht völlige Sklaven ihres Befehlshabers sind, seine[253] Ordres ohne Murren ausrichten: so giebt das eine starke Vermuthung, daß sie selbst von ihrer Zweckmässigkeit überzeugt seyn müssen.

Ehe wir uns trennten, welches auf eine sehr freundschaftliche Art geschahe, gab er mir ein Exemplar von seinen Opern, Alceste und Paride, und versprach mir, den folgenden Morgen eine Abschrift von seinem berühmten Ballet, Don Juan zu schicken; und er hielt sein Wort.

Von hier ging ich zu Herrn Metastasio, der mich augenblicklich annahm, ob er gleich noch im Schlafrocke war und sich eben ankleiden wollte.

Mademoiselle Martinez war im Komponiren begriffen, und erfüllte alsobald mein Verlangen, daß sie ein wenig auf dem Flügel spielen möchte. Metastasio sagte ihr, sie möchte mir einige von ihren besten Aufsätzen zeigen, und sie brachte einen Psalm hervor, den sie für vier Singstimmen mit Instrumenten gesetzt hatte. Es war, wie Metastasio's nannte, eine sehr angenehme Mescolanza di antico e moderno. Ein Gemisch von Harmonie und Arbeitsamkeit älterer, und Melodie und Geschmack neuerer Zeiten. Es war eine vortrefliche Komposition und sie spielte und sang sie auf eine recht meisterhafte Art, indem sie aus allen Stimmen das Nöthige so richtig herbeybrachte, daß nichts zu fehlen schien, ob es gleich ein vollstimmiges Stück war. Die Worte des Psalms waren Italiänisch und von Metastasio's Uebersetzung.[254]

Nach diesem sang sie mir zu Gefallen ein lateinisches Solo Motet, welches ernsthaft und feyerlich war, ohne langweilig oder schwerfällig zu seyn; und darauf spielte sie mir eine von ihren sehr artigen Claviersonaten vor, die voller Feuer und glänzender Passagien war.

Eh' ich meinen Besuch endigte konnte ich nicht umhin, Mademoiselle Martinez um Abschriften von einigen ihrer Kompositions zu bitten, die sie mir auch ganz bereitwillig zusagte, und mir unter allen den Stücken, die ich gehört hatte, die Wahl ließ.

Ich hatte heute Mittag die Ehre, bey Lord Stormont zu essen; es war zum Sechsten und Letztenmale, weil er des andern Morgens eine Reise vor hatte. Se. Excellenz war noch in dem letzten Augenblicke so gütig, mir Briefe nach Dresden, Berlin und Hamburg anzubieten. Die öftre Erwähnung dieser genossenen Ehre kann, wie ich besorge, einen Anschein von Eitelkeit haben; allein die gänzliche Verschweigung derselben würde nach einem schlimmern Laster, der Undankbarkeit, schmecken.

Hierauf stattete ich einen kurzen Besuch bey dem Signor Taruffi ab, und darauf einen langen bey Herrn Hasse, welcher heute den Plan meiner Geschichte im Deutschen mit grosser Aufmerksamkeit las und mir über jeden Artikel ganz offenherzig seine Meinung sagte. Ich kann es nicht leugnen, es war mir eine grosse Freude, zu finden daß meine[255] Ideen fast in allen Stücken mit den Ideen eines solchen Mannes übereinstimmend waren. Eines Mannes, dessen Verdienste überall empfunden sind, und nunmehr überall eingeräumt werden.

Er sagte mir, seine Erste Oper sey Antigonus gewesen, die er komponirt, als er achtzehn Jahr alt und noch nicht in Italien gewesen. Als er in Neapolis ankam, hielt man ihn für einen sehr guten Clavierspieler. Anfangs studirte er eine kurze Zeit unter Porpora, wie mir schon vorher Barbello gesagt hatte; allein Hasse leugnet, daß es Porpora gewesen, der ihn bey dem alten Scarlatti eingeführt habe. Er sagte, Scarlatti habe, als er ihn das Erstemal gesehen, glücklicher Weise eine solche Gewogenheit zu ihm gefaßt, daß er ihm nachher beständig als ein zärtlicher Vater begegnet habe.

Als er nach Deutschland zurückging, ward er in die Dienste des Churfürsten von Sachsen aufgenommen, der ihn die Oper Antigonus von neuem komponiren ließ. Hierauf setzte er eine Deutsche; ausser dieser und noch einer andern hat er niemals mehr in dieser Sprache gemacht.

Da er nahe bey Hamburg gebürtig ist, sagte er mir, es freute ihn, daß ich über diese Stadt reisen wollte, nicht nur deswegen, weil es sein Vaterland wäre, sondern weil ich dort den grossen Emanuel Bach, den er sehr verehrte, sehen und die besten Organisten und Orgeln in der ganzen Welt zu hören bekommen würde, wofern solche[256] nicht, seit der Zeit, daß er dort gewesen, sehr aus der Art geschlagen wären. Vor allen Dingen empfahl er mir sehr, ich möchte Bach anliegen, daß er mir auf den Clavier vorspielte, und daß ich mich um eine von seinen Sinfonien, aus dem Emoll bemühen sollte, welche er für die Beste hielte, die er in seinem Leben gehört hätte.

Ich fragte ihn um die Stellung und Einrichtung des Orchesters zu Dresden im Jahr 1754, welcher Rousseau in seinem Dictionair als der möglichst besten erwähnt. Er sagte mir, die Nachricht dieses Schriftstellers davon wäre so pünktlich richtig, daß er glauben sollte, er wäre um die Zeit dort gewesen. Der König von Pohlen hatte damals Herrn Hasse uneingeschränkte Macht ertheilt; und er hatte die besten Sänger und Instrumentisten, die er nur irgend zusammen zu bringen wußte.

Er begleite diesen Herrn sehr oft nach Warschau, woselbst er verschiedene Opern komponirte. Er sagte, die pohlnische Musik sey wirklich national und oft sehr zärtlich und delikat. Er erwähnte gegen mich einer Arie, die er im pohlnischen Style geschrieben hätte, und die eine der sonderbarsten und am besten aufgenommen von allen seinen Kompositionen gewesen. Von dieser sowohl, als von verschiedenen andern seiner seltensten und ausgewähltesten Stücken, versprach er mir Abschriften.[257]

Indem er von Komponisten sprach, gab er dem alten Scarlatti und Keisern35 das grösseste Lob. Er versicherte mich, nach seinen Begriffen wäre Keiser einer der grössesten Tonkünstler gewesen, die jemals auf der Welt gelebt. Er hat noch mehr Werke geschrieben, als der alte Scarlatti, und seine Melodien, ob gleich etliche davon über funfzig Jahr alt sind, klingen noch lieblich und können füglich unter moderne gemischt werden, ohne das Kenner es merken.36 Dieses sagte er, wäre beständig seine Meinung gewesen, und er glaubte nicht von Vorurtheilen geblendet zu seyn, da Keiser weder sein Verwandter noch Lehrer, ja, nicht einmal sein Bekannter gewesen. Allein, als er neulich einige von seinen Werken in die Hand genommen, sey er erstaunt, so viel mehr Eleganz, Klarheit und Anmuth darin zu finden, als selbst in vielen Werken der heutigen Komponisten. Er fügte hinzu, Keiser komponirte hauptsächlich für[258] Hamburg, und über deutsche Worte. Er wußte nicht viel Italiänisch, und versah sich nicht selten, wenn er über italiänische Texte komponirte; er hatte aber allezeit Verdienste von einer andern Art, die diesen Mangel ersetzten.

Er sprach beständig mit vieler Ehrerbietung von Händel, in Betracht als Spieler und Fugensetzer sowohl, als in Betracht seiner sinnreichen Accompagnemente, und der natürlichen Einfalt seiner Melodien, in welchem Punkte er ihn für das grösseste Genie hielt, das jemals gelebt hätte; sagte aber, daß er dafür hielte, er habe zu sehr nach dem Ruhme gestrebt, daß er seine Partituren vollstimmig und seine Subjekte künstlich ausarbeitete, dabey habe zu sehr das Geräusch geliebt; und Faustina setzte hinzu, daß seineCantilena oft unbiegsam gewesen sey.

Ich fragte ihn, ob er jemals Domenico Scarlatti habe spielen gehört? Er habe, war seine Antwort, als er von Portugall nach Neapolis gekommen, um seinen Vater zu besuchen, bey dem er (Hasse) damals Unterricht genommen; und er räumte ihm ein, daß er eine bewundernswürdige Fertigkeit der Hand besessen hätte, und mit einer sehr fruchtbaren Erfindungskraft begabt gewesen.

Er war der Meinung, daß Durante den Platz als Contrapunktist nicht verdiente, den ihm Mr. Rousseau in seinem Dictionair eingeräumt hätte, sondern sagte, es wäre der alte Scarlatti, den er le plus grand Harmoniste d'Italie, c'est à[259] dire du monde,37 hätte nennen sollen, und nicht Durante, welcher nicht allein trocken, sondern auch baroque gewesen.38

Er sprach von Mademoiselle Martinez, als von einer jungen Person von ungemeinen Talenten für die Musik; sagte, sie sänge mit grossem Ausdruck, spielte sehr nett und meisterhaft, und hätte den Contrapunct vollkommen inne, »allein« sitzte er hinzu, »es ist Jammer, daß sie durch Schreiben ihrer Stimme Schaden thut!« Ich hatte wirklich heute Vormittag bemerkt, daß ihr die hohen Töne Mühe machten. Es ist ein Grundsatz aller guten Singmeister, daß das Bücken beym Schreiben, und selbst das blosse viele Sitzen beym Clavier die Brusthöhle beenget und die Stimme sehr angreift.

Hasse sagte, daß er, nachdem er funfzig Jahr alt gewesen, keine Note mehr habe singen können; und wirklich ist er itzt so heiser, daß man Mühe hat, ihn zu verstehen, wenn er spricht. Dies giebt er gänzlich seinem vielen Schreiben Schuld. Faustina sagte, als sie ihn zuerst kennen gelernt, habe er eine sehr schöne Tenorstimme gehabt, und[260] damals war es der Gebrauch, daß die Meister ihre Schüler im Contrapunkt nicht allein singen, sondern auch deklamiren lehrten.

Ich kann Hasse und Gluck nicht verlassen, ohne zu sagen, daß es viele Behutsamkeit erfodert, wenn man sie miteinander vergleichen will. Man kann Hasse betrachten als den Raphael, und Gluck habe ich schon den Michel Angelo unter den lebenden Komponisten genannt. Wofern der affektirte französische Ausdruck, le grand simple39 irgend etwas sagen kann, so muß es alsdann seyn, wenn er auf die Werke eines solchen Komponisten als Hasse angewendet wird, dem es vielleicht besser gelingt, wenn er mit Klarheit und Angemessenheit solche Sachen ausdrückt, die vielmehr anmuthig, elegant und zärtlich, als die lärmend und heftig sind. Glucks Genie scheint hingegen mehr aufgelegt zu sehn, Furcht und Grausen zu erwecken, und solche schwere Situationen zu mahlen, welche aus gehäuftem Elende und der stürmischen Wuth ungezähmter Leidenschaften entspringen.

Sonnabends, den 12ten. Nachdem ich diesen Morgen noch einmal einen langen Besuch bey Metastasio abgestattet, und Mademoiselle Martinez mit neuer Bewundrung und Entzücken singen und spielen[261] gehört hatte, entschloß ich mich, Vanhalls Wohnung ausfindig zu machen. Verschiedene von den Arbeiten dieses jungen Komponisten, besonders von seinen Sinfonien, hatten mir ein so ungemeines Vergnügen erweckt, daß ich nicht anstehen möchte, solche unter die besten und vollkommensten Kompositionen für viele Instrumente zu zählen, worauf die musikalische Kunst stolz seyn kann.

Der musikalische Partheygeist hat allenthalben sein böses Wesen; und ich habe noch allenthalben gefunden, daß man wünschte, ich sollte niemand hören, oder wenigstens sollte mir niemand gefallen, als die Freunde meiner Freunde. Indessen sahe oder vielmehr hört' ich durch alles dergleichen bald hindurch, und ließ mir selten von partheyischen Urtheilen etwas weiß machen. Denn ich begnügte mich nicht damit, daß ich in Pallästen, Theatern und grossen Sälen Musik hörte: sondern ich ging in die Hütten und Dachkammern, wenn ich einem guten Instrumentspieler oder einem Manne von Genie auf die Spur kommen konnte.

Ich hatte meinen Bedienten darnach ausgeschickt, und selbst verschiedene Versuche gemacht, Herrn Vanhall zu erfragen, aber vergebens. Endlich hatte ich Heute so viel erfahren, daß er vorm Thore ausser der Stadt wohnte. Allein nachdem ich über einen Arm der Donau gesetzt, und über eine halbe Meile einen sehr staubigen Weg gegangen und nun an den Ort gekommen[262] war, wo ich ihn anzutreffen hoffte, ward mir gesagt, daß er seine Wohnung verändert hätte, niemand aber wußte seine Itzige. Das schreckte mich nicht ab, den ganzen Rückweg durch nach ihm zu fragen, und glücklicherweise fand ich ihn endlich in einem dunkeln Winkel der Vorstadt, und in einer nicht grossen aber desto höhern Wohnung. Ich kroch eine völlig finstre, steinerne Wendeltreppe hinauf, an deren Ende er sein Kämmerchen hatte.

Es ist ein junger, höflicher Mann; Französisch verstund er nicht, wußte aber ein wenig Italiänisch, wie viele deutsche Musiker pflegen. Ich sagte ihm, daß ich ein Fremder wäre, und alles was in der Musik am merkwürdigsten sey, aufsuchte; daß ich einige von seinen Sinfonien hätte spielen gehört, welche mir recht sehr gefallen hätten, und daß ich wünschte, einige davon selbst zu haben, wenn er welche davon abgeschrieben hätte, oder mir nachweisen könnte, wo sie zu bekommen wären40 Wir gelangten bald dahin uns richtig zu verstehen, und da ich merkte, daß er das Clavier spielte, brachte ichs dahin, daß er sich an ein kleines Clavichordium setzte, und mir sechs Sonaten vorspielte, die er eben für das Instrument komponirt hatte; ich fand solche aber weder so wild, noch so neu, als seine Kompositions für Violinen.[263]

Ob es gleich manche vortrefliche Komponisten für Vokalmusik gegeben hat, die aus Mangel an Stimme, selbst nicht singen konnten, so scheint es doch unumgänglich nöthig zu seyn, das man ein grosser Spieler auf dem Instrument sey, für welches man etwas komponiren will, daß seiner Natur angemessen seyn, und sein ganzes Vermögen zeigen soll. Die besten Stücke, die wir für die Orgel und das Clavier haben, sind von den grössesten Claviermeistern, als Händel, Scarlatti, Bach, Schobert, Wagenseil, Müthel und Alberti: Die Sucht aber, in allen Fächern sich zu zeigen, oder Geld zu verdienen, führt manche Komponisten in die Versuchung, die Strasse, mit welcher sie durch Natur und Kunst bekannt waren, zu verlassen, und eine andre zu wählen, auf welcher sie entweder nicht Bescheid genug wissen, oder doch von allen Erfodernissen, um solche glücklich zu durchwandern, so entblößt sind, daß sie sich genöthigt sehen, einen jeden, den sie darauf antreffen, anzufallen und zu plündern.

Eine gewisse kleine lebhafte Unordnung in den Verstandeskräften, ist bey einem jungen Tonkünstler ein viel versprechender Umstand, und Herr Vanhall begann seine Laufbahn mit dergleichen glücklichen Vorbedeutungen, indem seine Imagination zum Ueberschnappen geneigt war. Bey allen Künsten, besonders aber bey der Musik, welche so sehr auf Phantasie und Einbildungskraft beruht, scheint der Enthusiasmus unumgänglich nöthig zu seyn. Ein kaltes, gesetztes und träges Gemüth wirds in dieser Kunst nicht weit bringen. Wenn indessen der Enthusiasmus unbändig ist, und zu oft und zu heftig aufbrauset: so ist das Gehirn in Gefahr. Allein da eine Verrückung bey einem Künstler zuweilen weiter nichts ist, als ein Ausbruch des Genies: so[264] möchte er in diesem Falle dem Arzte, der ihn geheilet hätte, zurufen:


– – Pol me occidistis, amici,

Non servastis.


Herr Vanhall ist itzt so weit geheilet, und sein Gemüth ist itzt so still und so ruhig, daß mir seine letzten Stücke sehr schaal und gemein vorkommen, und seine vorige angenehme Schwärmerey scheint in eine zu grosse Sparsamkeit mit den Gedanken verwandelt zu seyn.

Des Nachmittags ging ich in die Komödie. Es war Romeo und Julie, umgearbeitet vom Herrn Weiß. Ich kam erst, als der erste Akt fast zu Ende war; ich merkte aber bald aus der geringen Anzahl von Personen, daß es keine Uebersetzung des Shakespears sey; dieses Trauerspiel hatte nicht mehr als acht Personen, und das Englische dieses Namens hat zwanzig.

Die Akteurs, die Herr Weiß aufs Theater bringt, sind: Montecute,41 Capellet, Frau von Capellet, Romeo, Julie, Laura, Kammerjungfer der Julie, anstatt der Amme; Benvoglio, ein Arzt, anstatt des Pater Lorenzo, und Pietro, Bedienter des Romeo, anstatt des Balthasars.

Ungeachtet der langen Auftritte und Reden, waren die vier ersten Akte sehr rührend; der fünfte aber war beydes, als Werk des Dichters und der Akteurs, abominable42. Da war keine Procession zu sehen; sondern Julie, die am Ende des vierten Aktes gestorben ist, findet man zu Anfang des Fünften[265] begraben. Die Scene im Begräbniß war schlecht; schlecht geschrieben und schlecht agirt; und gegen das Ende ward die Verwirrung so groß, daß es unmöglich war auszumachen, ob Romeo lebte oder starb. Er nahm zwar Gift, welches ihn grausam gemartert und von Sinnen gebracht hatte, allein da ihm der Doktor mit seinem Tropfen und einem Riechfläschgen so thätig zu Hülfe kam, erhielt er gerade so viel Kräfte wieder, daß er ausrufen konnte, Julie! O meine Julie! Und damit fiel der Vorhang.

Sonntags, den 13ten. Heute ging eine Procession durch die Hauptgassen der Stadt, denn es war der Gedächtnißtag der Befreyung von Wien, da der König von Pohlen, Sobiesky, Anno 1683, die Türken abgetrieben, nachdem sie die Stadt zwey Monat lang belagert gehabt hatten. Der Kayser kam von Laxemburg herein zu diesem Festtage und wohnte der Procession mit bey, welche bey den Franciscanern aus, und durch die Hauptgassen nach der Stephanskirche ging, woselbst unter der Direktion des kayserlichen Kapellmeisters Herrn Gasman, das Te Deum gesungen ward. Die Musik war von Reuter, einem alten deutschen Komponisten, ohne Geschmack oder Erfindung. Das Chor war stark besetzt, und alles was man bezeichnendes von der Musik sagen kann, ist, sie machte viel Geräusch, und sagte dabey sehr wenig. Ich hoffte, es sollte auf dieses trocknes sinnloses Zeug etwas Besseres folgen; allein was hernach kam, war eben so unbedeutend. Das Ganze ward mit einer dreyfachen Salve der Stadtartillerie beschlossen, und die militarischen Instrumente wurden itzt beynahe eben so laut, als es die musikalischen vorher gewesen waren.

Von hier ging ich nach Metastasio's Hause, und zwar zum letztenmale! Ich fand bey ihm viel Gesellschaft, und die St. Cöcilia, Mademoiselle Martinez,[266] am Flügel, bey welchem sie gesungen hatte. Auf ihr Verlangen wechselten wir Kompositions gegen einander aus. Sie war so gütig gewesen, unter andern Sachen auch eine Arie von Metastasio, die sie selbst gesetzt, und die mir bey einem vorigen Besuche ganz ausserordentlich gefallen hatte, für mich abschreiben zu lassen.

Der gute alte Dichter umarmte mich treuherzig und sagte, es thäte ihm leid, mich sobald zu verlieren; er müßte mein Buch haben, sobald es gedruckt wäre, und verlangte, daß ich ihm schreiben möchte. Auf diese Art nahmen wir zu Wien Abschied von einander; allein hier kann ich ihn nicht verlassen, ohne noch ein paar Zeilen zu diesem Artikel zu fügen, der freylich schon lang gerathen ist.

Man hatte mir gesagt, und es war auch die Meynung des Herrn Hasse, daß Metastasio noch mehr Gedichte in Manuscript liegen hätte, als er bisher im Druck herausgegeben. Lord Stormont aber zweifelte sehr daran, und führt für seinen Zweifel Metastasio's Gewohnheit an, nie anders zu schreiben, als wenn er dazu genöthigt ist. Metastasio lacht über alle poetische Begeisterung, und macht ein Gedicht eben so mechanischerweise, als ein Schuster seinen Schuh, zu welcher Zeit es ihm gefällt, und ohne andre Veranlassung, als wenn ers bedarf.

Indessen sagt Lord Stormont, daß er von Metastasio eine Uebersetzung von Horatzens Ars Poetica in italiänischen Versen gesehn hat, welche er für viel besser hält, als irgend eine Andre, in was für einer Sprache es sey. So hat er auch Hoc erat in votis, von eben diesem Dichter vortreflich übersetzt. Hierin hat er, wie Horaz, die Geschichte der Stadt- und Landmaus als eine ernsthafte Begebenheit erzählt, und sich genauer an den Sinn und den Buchstaben[267] des Originals gebunden, als alle übrigen, die es bisher zu übersetzen versucht haben.

Metastasio mag, wie fast alle bejahrte Personen, sehr ungern von seinem Alter, von den Krankheiten, Unglücks- oder Todtesfällen seiner Freunde, ja nicht einmal gleichgültiger Personen, reden, oder reden hören. Er ist ungemein aufrichtigen seinem Urtheile über Männer von Genie, und selbst über Poeten, mit denen er Zwistigkeiten gehabt hat, deren es freylich sehr wenige giebt. Denn, wenn er von jemand angegriffen worden, ist es oft geschehen, daß er ein Epigram oder ein paar Strophen gemacht hat, um seinen besten Freunden zu zeigen, wie er sich vertheidigen könnte, und es hernach ins Feuer geworfen hat; und man hat niemals erfahren, daß er nur eine einzige Zeile hätte drucken lassen, um dem bittersten Feinde seiner Person oder seiner Gedichte eine unangenehme Viertelstunde zu machen.

Er ist von Natur heiter und scherzhaft in seinen Sitten und in seinem Umgange, wodurch alles um ihn herum munter gemacht wird, und drückt sich in seinen Sprachen eben so leicht und zierlich aus, als in seinen Schriften. Er ist wirklich einer von den wenigen ausserordentlichen Genies, welche nichts dadurch verlieren, daß man sie näher kennen lernt; denn es ist eine traurige Bemerkung, wenige Menschen verdienen wie er die Beynamen gut und groß.

Nachfolgende Anekdote habe ich von einer wahrheitsliebenden Person, die mit den Lebensumständen dieses grossen Poeten sehr genau bekannt ist. Es ist schon lange Jahre her, da Metastasios Umstände noch gar nicht bequem waren, und er bloß als ein Gehülfe des Operndichters, Apostolo Zeno, in Wien bekannt war, als ihm ein Mann, mit dem er in genauer Freundschaft gelebt hatte, bey seinem Tode sein ganzes Vermögen vermachte, welches sich auf hundert und funfzig Tausend Gulden[268] belief. Metastasio aber, der in Erfahrung brachte, daß der Verstorbne Anverwandte in Bologna hätte, reisete dahin, um solche aufzusuchen; und als er einige ausfindig gemacht, von denen er glaubte, daß sie das nächste Recht zu dieser Erbschaft hätten, sagte er ihnen, daß sein Freund ihm zwar sein ganzes Vermögen vermacht habe, er glaubte aber zu keinem andern Endzwecke, als es so lange in treue Bewahrung zu nehmen, bis er die Würdigsten seiner Anverwandten in Erfahrung gebracht hätte, um es unter dieselben nach Billigkeit zu vertheilen; welches er dann auch alsobald that, ohne das Geringste für sich zu behalten.

Nach Tische hatte ich das Vergnügen, eines langen Besuchs vom Herrn Gasman, der mir nicht nur ein Verzeichniß von seinen Werken mittheilte, sondern mir auch die Gewogenheit erwies, mir viele von seinen ungedruckten Quartetten für verschiedene Instrumente zu schenken.43 Herr Gasman ist vom mittlerm Alter, und dennoch hat er schon ziemlich viel geschrieben. An ernsthaften Opern hat er komponirt, in Italien: Merope, Issipile, Catone in Utica, Ezio, zweymal und Achille in sciro. In Wien, Olimpiade, Amore e Psiche und Il Triomfo d'Amore. Für die komische Oper zu Venedig, L'Uccilatore, zweymal, Il Filosofo inamorato, un Pazzo ne fà cento, und il Monde nella Luna. Zu Wien I Viaggiatori ridicoli,[269] L'Amore arteggiano, La Notta critica, L'Opera seria, La Contessina, Il Filosofó inamorato, zum Zweytenmale, la Pescatrice und i Rovinati.

Als Herr Gasman Abschied genommen hatte, ging ich zum Letztenmale zum Herrn, Wagenseil, und hörte ihn und seine kleine Schülerinn verschiedene brillante Duette auf zwey Flügeln spielen; Hier traf ich nochmals meinen Freund, den portugisischen Abate an, und nach einem langen Gespräche über musikalische Materien trennten wir uns; doch nicht eher, bis wir uns erst einander unsre Addressen gegeben und versprochen hatten, unsre Freundschaft durch Briefwechsel fortzusetzen.

Hierauf eilte ich nach Hause um einzupacken und zu bezahlen. Hier ward ich auch unter andern, den ganzen Abend von Notenschreibern geplagt; sie fingen an, mich als einen heißhungrigen blinden Käufer anzusehen, der ihnen alles abnehmen müßte, was für elend Zeug sie mir auch feil böten; allein ich sah mich gezwungen, meine Hand zurück zu halten, nicht allein vom Kaufen schlechter, sondern auch guter Musik; denn in Wien ist alles theuer, besonders aber Musikalien, die nicht gedruckt sind.

Bey alle dem verließ ich Wien doch nicht eher, bis ich zwanzig bis vier und zwanzig Dukaten in Noten angelegt hatte; welche, zusammen mit denen, die mir geschenkt worden, die ich mir selbst abgeschrieben hatte, und mit den gedruckten Büchern, die ich gesammlet hatte, meine Bagage dergestalt vermehrten, daß ich den ganzen Weg über bis Hamburg ein Pferd mehr vor meine Chaise spannen lassen mußte.

Wirklich ist Wien so reich an Komponisten, und fasset in seinen Ringmauren eine so grosse Anzahl vortreflicher Tonkünstler, daß man dieser Stadt mit Recht einräumen muß, daß sie sowohl die Hauptstadt der deutschen Musik, als des deutschen Reichs ist.[270]

Dieses würde ganz deutlich erhellen, wenn ich wiederholte, was ich während meines kurzen Aufenthalts in derselben sah und hörte; ich will solches aber der Erinnerung des geneigten Lesers überlassen, und nur die Namen von Hasse, Gluck, Wagenseil, Salieri, Hofman, Haydn, Ditters, Vanhall und Huber hersetzen, welche sich alle als grosse Komponisten gezeigt haben; und die Sinfonien und Quartetten der fünf letztgenannten, stehen vielleicht unter den Ersten, welche jemals vollstimmige Instrumentalsachen gemacht haben.

Zu diesen berühmten Namen kann man noch hinzu fügen, Herrn Misliwiceck, ein Böhme, der eben aus Italien zurück gekommen ist, woselbst er sich sowohl durch seine Opern, als Instrumentalmusik einen grossen Ruhm erworben hat. Scarlatti, ein Neffe des berühmten Demenico Scarlatti; Kohaut, ein vortreflicher Lautenist; Venturini, ein Hobobläser von der ersten Klasse; Albrechtsberger und Stephani, zwey grosse Clavierspieler, im Dienste des Hofes, und La Morte, ein Niederländer, der beste Sologeiger und Notenleser in ganz Wien. Er lernte einige Zeit von Giardini, und man erzählt von ihm, er sey, als er seinen ersten Lehrmeister verlassen, durch Italien gereiset, um einen andern zu suchen, und als er nach Livorno gekommen, wo sich damals Nardini aufhielt, wollte er gerne dessen Schüler werden; allein als er diesen Violinisten eins von seinen eignen Solos spielen gehört hatte, und nun auch aufgefodert ward zu spielen, bat er sich aus, daß er eben das Solo spielen dürfte, was er eben gehört, von welchem Nardini wußte, daß ers niemals gesehen haben konnte, indem er sichs erst kürzlich gemacht hatte. Er spielte es so gut, daß es Nardini von sich ablehnte, jemand zum Schüler anzunehmen, der schon ein so geschickter Meister auf seinem Instrument war.[271]

Ich enthalte mich, alle geschickte Organisten dieser Stadt, die Liebhaber der Musik von beyden Geschlechten, und die verschiedenen geschickten Sing- und Spielmeister zu nennen, welche sich hier beständig aufhalten, und das Ihrige beytragen, die Musik zu bilden und das Vergnügen der Gönner und Kenner derselben zu befördern, und will nur noch anmerken, daß so reich diese Stadt an grossen musikalischen Genies ist, man dennoch, weder bey Hofe noch auf dem öffentlichen Theater eine grosse Oper zu hören bekömmt.

Lady Montague erwähnt einer Oper, welche damals, als sie in Wien war, in freyer Luft aufgeführt wurde, woran die Dekorations und Kleider dem Kaiser dreymal hundert Tausend Gulden zu stehen kamen; und während der Regierung der letzten Kayser, von Leopold an, bis zur Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts, pflegte der Hof auf seine Kosten Opern zu geben, welche von den grössesten Meistern in der Kunst, die nur in ganz Europa zu finden waren, gedichtet, in Musik gesetzt, und gesungen wurden. Die öftern Kriege aber und andre Landplagen, die das Reich betroffen, haben dem Ausflusse des öffentlichen Schatzes wohlthätigere Gänge geöfnet, und auf arme Unterthanen gelenkt, so, daß dieser geldkostende Gebrauch itzt


»To my mind,

More honoured in the breach, than the observance.«44


Denn ob ich gleich die Musik sehr lieb habe, so lieb' ich doch die Menschlichkeit noch mehr.


Ende des zweyten Bandes.

15

Im ersten Bande der Briefe der Lady M.W. Montague.

11

S. 156. (Gotteslästerliches Fluchen.) Diese Bemerkung ist von einem Engländer die lustigste im ganzen Buche. Ohne der Nation des Verfassers einen Vorwurf der Immoralität ihres Theaters machen zu wollen, kann man doch zuversichtlich und mit Wahrheit behaupten, daß das Unsrige moralischer und züchtiger sey. Wenn der Deutsche sagt, der Teufel hohl mich, und der Engländer G-damn your Soul, so sind das Sitten einer gewissen Klasse von Leuten, wodurch eine oder die andre Nation beym Tausche wenig gewinnen würde.

16

Uebersetzer pflegen gern eine Art Liebhaberey zu ihrem Originale zu haben, und um desto mehr, wenn sie die Arbeit eines Mannes übersetzen, gegen den sie persönliche Achtung hegen. Diese Achtung gegen den D. Burney brachte mich anfäglich zu dem Vorsatze, diese, der Hauptmaterie seines Buches völlig fremde, und in allem Betracht schiefe Beurtheilung der Emilia Galotti, unbemerkt wegzulassen. Allein weitere Ueberlegung, und billige Besorgniß, Herr Leßing möchte mir diese Weglassung als eine unnöthige Furcht zurechnen, daß sein Stück durch eine solche Recension bey einem auch nur halbsehenden Deutschen etwas verlieren könnte, hat mich bewogen, meinen Verfasser Preis zu geben. Ich wünsche herzlich, er hatte diese Stelle nicht geschrieben! Einmal sein selbst willen, und zweitens auch deswegen, weil den Engländern durch diese paar Seiten vielleicht abermal eine Gelegenheit aus den Händen gespielt wird, gegen unsre deutsche Genies gerechter zu werden. Wenn man die Urtheile und Uebersetzungen kennt, aus denen dieser Nation gewöhnlich unsre Schriftsteller bekannt werden, so wundert man sich gar nicht, daß sie bey unsern Meisterstücken die Nase rümpft. Aber wenn man sieht, daß ein Mann ein solches, durch die aller elendeste Paraphrase des Colliers veranlaßtes Nasenrümpfen der Engländer über Klopstocks Messias, in einer sogenannten gelehrten Zeitung, mitten unter den Deutschen, ganz sauber mit auf die Waagschale wirst, und dann glaubt, dieses und sein eignes Sandkörnchen von Urtheil solle nun schon ziehen: so weiß man kaum, ob man seine Verwundrung durch Lachen oder Pfeifen bezeigen soll. – Herr Burney mag mirs also verzeihen, daß er für die Sünde, die er hier gegen seine Landsleute begangen, bey dem unsrigen zum Beyspiele stehe, wie sehr man sich bloß stellt, wenn man öffentlich über Werke urtheilt, und nicht einmal die Sprache versteht, worin sie geschrieben sind.

12

S. 158. (Orchester zu Wien) Wer gerne wissen möchte, wie es besetzt ist, der kann es in Müllers genauen Nachrichten von beyden Kayserl. Königl. Schaubühnen in Wien. 1772. namentlich finden. Auch wird man das Wiener Theater aus Sonnenfels Dramaturgie und vielen andern in Wien herausgekommenen Streitschriften und Schmidts Excerpten besser kennen lernen, als hier.

17

In Betracht ihres grossen Nutzens muß man hoffen, daß die würdigen Directeurs unserer Theater die geduldigen Leiden der Pierots in unsern Pantomimen, an den Enden der Wochen nicht werden leer ausgehen lassen.

18

Personen von richtigen und feinem Geschmacke haben angemerkt, daß die Manheimer Sinfonien, so vortreflich sie seyn mögen, doch ins Manierirte fallen, und dem, der sich dort lange aufhält, endlich langweilig vorkommen, indem sie dadurch, daß ihre Komponisten sich aufs Nachahmen legen, fast alle über einen Lasten geschlagen scheinen.

13

S. 166. (Metastasio.) Hieß eigentlich Trapasso. Als ihn Gravine adoptirte, nannte er ihn, à la grecque, Metastasio.

19

Gravina starb im Jahre 1718 und setzte Metastasio zu seinem Erben ein.

20

Ossian ist von dem Abate Melchior Cesarotti ins Italiänische übersetzt, und 1763. zu Padua gedruckt.

21

– 'S ist die Natur, sehr vortheilhaft geschmückt, Was oft gedacht, doch nie so schön noch ausgedrückt.

22

L'Autore à sostuito alle fiorito descrizioni, ai Paragoni superflui, e alle sentenziosi e fredde moralità, il Linguaggio del cuore, le passioni forti, le Situazioni interessanti, e uno spettacolo sempre variato. Dedicaz. d'Alceste, dal cav. Gluck.

14

S. 173. (Hasse.) Sein Verdienst geht weiter, als das er der natürlichste, eleganteste und einsichtsvolleste sey. Kenner glauben, daß er gerade an der Glänze des Schmucks stehe, den die Werke der Musik vertragen können, ohne das Ausdruck und Genie darunter leiden. Als den simpelsten ihn zu rühmen, deucht ihnen auch nicht richtig. Sie sagen vielmehr, er habe simple Eleganz im höchsten Grade. Im Urtheile und Geschmack gehe er über alle Italiäner, wie an Reichthum; nicht immer aber an Grösse und Stärke der Gedanken.

Wie weit Hasse gehe, alle Neuerungen für unerlaubt zu halten, und ob er den Chev. Gluck mit einschliesse, (woran er wirklich Unrecht hätte) weiß ich nicht. Aber Metastasio sollte sich nicht über Neuerungen beklagen, denn nach ihm leidet der poetische Theil der Oper zu viel. – Inzwischen hat Hasse in seinem Piramo & Tisbe selbst manches zu neuern gesucht, und viel mehr Simplicität angebracht, als er sonst pflegte. Hoffentlich werden es Deutsche seyn, die eine wohlverstandne Simplicität wieder in der Musik allgemeiner machen.

23

Er ist gebürtig aus Bergedorf, nicht weit von Hamburg in Niedersachsen, und ist in Italien am meisten unter dem Namen il Saffone bekannt.

24

Diese Stücke sind die spätesten Werke des grossen Dichters und Komponissen, welche mit mehrem Rechte, als Pope und Jarvis, sagen können:

Smith with the Love of sister arts we came,

And met congenial, mingling flame with flame.

Von Liebe gegen schwesterliche Kunst' entrannt

Vereinten unsre Seelen sich, und gingen Hand in Hand.

25

Solcher nemlich, als: Farinelli, Faustina, Mingotti u.s.w.

26

Desto schlimmer für den italiänischen Stümper vom Uebersetzer! und eben so schlimm für die deutschen Liebhaber der Musik in Wien, wenn solche die schöne deutsche Uebersetzung unsers Rammlers von dieser Ode unter Händels unveränderten Musik, entweder nicht kennen, oder gar eine elende Uebersetzung vorziehen, weil sie italiänisch ist.

27

Costanza.

28

Scarlatti war der Erste, der es wagte, in seinen Kompositionen der Phantasie dadurch freyes Feld zu geben, daß er die engen Schranken der ängstlichen Regeln niedertrat, die man von nichtssagenden Kompositionen, in der Kindheit der Kunst abstrahirt hatte, und welche bloß dahin abzuzwecken schienen, sie beständig in dieser Kindheit zu erhalten. Vor seiner Zeit war das Auge der oberste Richter über die Musik, Scarlatti aber leistete seine Huldigung bloß dem Ohre.

15

S. 184. – Eine Untersuchung, wie weit das Ohr, und welche Ohren (gebildete oder ungebildete, verwöhnte oder unverwöhnte u.s.w.) im Oberappellationsgerichte der Musik sitzen sollten, wäre ein Werk eines gefühlvollen und philosophischen Kenners der Musik. Warum sind doch diese beyden Dinge so selten beysammen! Warum ist noch gar nichts über den einzigen wahren guten Geschmack in der Musik geschrieben, das durchgängig Stich hielte? Sollte es wohl nicht daran liegen, daß unsre Musiker selten Philosophen sind, und unsre Philosophen es selten der Mühe werth halten, Musik zu studiren?

29

Man hat die Meinung angenommen, daß die alten Griechen solche Tonleitern hatten, worauf die Intervallen in viel kleinere Theile abgetheilt waren, als die, welche man in der neuern Musik antrift; und es scheint, als ob unsre gegenwärtige Theilungen der Zeit oder des Tackts noch lange nicht alle mögliche Mannigfaltigkeiten des Zeitmaasses enthalten.

16

S. 193-95. Von Gluck ist Alceste und Elena e Paride in Wien in Partitur gedruckt. Von seinemOrfeo sind in London verschiedene Arien zugleich mit andern von J.C. Bach und Guglielmi in Kupfer gestochen. Die Cabala, die in London so gut beschäftigt ist, wie anderwärts, (Siehe 272.) hat, wofern ich mich recht erinnre, die gluckischen Arien aus dem Londener Orfeo fast gänzlich verdrängt. Von feiner Alceste stehe Sonnenfels Dramaturgie. Herr Gluck hat die Bardengesänge aus Hermansschlacht von Klopstock, auch verschiedene von dessen Oden, theils im Bardentone, theils auch in einem modernern komponirt. Seine französische Oper, Iphigenia, wird er zufolge Zeitungsnachrichten, selbst in Paris aufführen.

30

In solchen Tönen klaget oft der Schmerz, Die falsch fürs Ohr, doch wahr fürs Herz.

31

Man hat eine Ausgabe von seiner Oper Giustino, die Anno 1713 gedruckt ist; und da man weiß, daß er Vierzehn alt war, da er dies Gedicht schrieb: so fällt dadurch sein Geburtsjahr ins vorige Säculum.

32

Monsignore Visconti, der aus einer Familie herstammt, die ehedem die souveraine Herrschaft über Mayland hatte, ist noch zu Ende des Jahres 1772 vom Pabste zum Cardinale ernannt worden.

D. Uebers.

33

Mademoiselle Marianne Martinez ist in diesem Jahre 1773, von der berühmten Gesellschaft de' Filarmonici zu Bologna zum Mitgliede aufgenommen worden.

Der Uebers.

34

Die unverdächtigste Beschreibung, die ich von diesen Schauspielen geben kann, mag der wörtliche Inhalt der Zettel seyn, die jeden Sonn- und Festtag auf den Gassen ausgetheilt werden.

»Heute werden, mit allergnädigste Erlaubniß, im grossen Amphitheater, um fünf Uhr, folgende Lustbarkeit ihren Anfang nehmen.

1) Wird ein wilder ungarischer Ochs, in vollem Feuer (das ist, mit Feuer unterm Zügel, und mit Schwärmern an den Ohren, Hörnern und andern Theilen des Leibes) mit Hunden gehetzet werden.

2) Wird ein wilder Bär auf eben diese Art gehetzet werden.

3) Wird gleich darauf ein grosser Bär von Hunden zerrissen werden.

4) Werden die schnellesten Hunde einen Wolf jagen.

5) Wird man starke und hungrige Hunde auf einen sehr wilden und wüthenden ungarischen Ochsen hetzen.

6) Ein frischer Bär wird vor die Hunde gelassen werden.

7) Wird ein eben gefangener starker wilder Bär erscheinen, und zum Erstenmal von Hunden gehetzet werden, die mit eisernen Waffen versehen sind.

8) Ein sehr schöner afrikanischer Tyger.

9) Hierauf wird abermal ein Bär folgen.

10) Ein frischer und starker ungarischer Ochs.

11) Und zum Beschluß soll ein wüthender hungriger Bär, der seit acht Tagen keine Aetzung bekommen hat, einen jungen wilden Ochsen anfallen, und auf der Stelle lebendig fressen; und wenn er nicht ganz damit fertig werden könnte, so stehet ein Wolf bereit, der ihm zu Hülfe kommen soll.«

17

S. 248. (Abhandlung über die Singekunst fehlt.) Ob Herr B. Tosi's Anleitung zur Singekunst in Agricola's Uebersetzung, mit des letzten Erlåuterungen und Zusåtzen gesehen, mit Herrn Mancinis Buche verglichen, und nach dieser Vergleichung geschrieben hat, »daß es der Welt noch immer an einer so gut geschriebenen, durch gedachten und zugleich so praktischen Abhandlung über die Singekunst fehle,« weiß ich zwar nicht. Aber das weiß ich, daß man mit Herrn Agricolas Uebersetzung des Tosi, sehr weit kommen kann; und das Uebrige wird sich zeigen, wenn Signor Mancini's Buch erst erscheint. Die Erwarist durch Herrn Burney wenigstens ziemlich hoch gespannt.

35

War ein gebohrner Sachse; kam als er etliche zwanzig Jahr alt war, nach Hamburg, woselbst er, ausser andern grossen und kleinern Werken, auf hundert und sechzehn Opern komponirt hat. Er starb 1739. Matheson giebt in seiner Ehrenpforte seinen musikalischen Talenten ein Lob, das dadurch destomehr Gewicht bekommt, weil man sehr einleuchtend gewahr wird, daß er gewiß nicht Keisers partheylicher Freund gewesen.

36

Dieser Versuch ist noch dieses Jahr 1773. in Hamburg angestellt worden, und zu Keisers aber auch zum Ruhme der offenherzigen Unpartheylichkeit unsers grossen Hasse ausgefallen.

37

Den grössesten Meister in der Harmonie von Italien, das ist, von der ganzen Welt.

38

Die Meinung des Herrn Hasse von Alax. Scarlatti stimmt mit Jomelli's seiner genau über ein, welcher zu Neapolis zu mir sagte, daß seine Kirchenkompositionen, so wenig sie auch bekannt wären, unter seinen Arbeiten, und vielleicht überhaupt, das beste sey, was man in der Art hätte.

39

Dem Uebersetzer deucht, daß der Deutsche mit dem Ausdrucke hohe oder erhabne Einfalt, wirklich einen bestimmten Begriff verknüpfe, obs dem Engländer bey dem so oft gebrauchten Worte Elegance auch so seyn mag?

40

Da in Wien keine Läden sind, worin Musik verkauft wird, so ist der beste Weg, wenn man neue Musikalien haben will, sich an die Copyisten zu wenden; denn die Komponisten selbst betrachten jeden reisenden Engländer als einen Mylord, und erwarten bey einer solchen Gelegenheit für jedes Stück ein eben so wichtiges Geschenk, als ob sie es ausdrücklich für ihn gemacht hätten.

41

Montecute muß, wenn der Herr Burney recht gesehen hat, von dem Wiener Verbesserer J.B. eingeschoben seyn.

42

Ist das unübersetzte Wort des lieben Mannes!

Der Uebers.

43

Die Gerechtigkeit verbindet mich zu sagen, daß ich nach meiner Zurückkunft nach England diese Stücke spielen gehört und vortreflich befunden habe; sie haben eine angenehme Melodie, frey von Eigensinn und Zierrerey; gesunde Harmonie, und die Verwebungen und Nachahmungen sind ohne die geringste Verwirrung; kurz der Styl ist züchtig und gesetzt ohne schläfrig, und meisterhaft ohne pedantisch zu seyn.

44

»Nach meiner Meinung

Mehr Ehr bringt, da er abgeschaft ist, als da er bestund.«

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 149-272.
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Tagebuch einer musikalischen Reise: Durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770-1772

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