Brescia.36
Donnerstags, den 26sten Julius.

[79] Ich hielte mich nur einen Tag in dieser Stadt auf, allein, weil es eben Festtag war, so hatte ich das Glück einen Knaben in der Jesuiter-Kirche delle Grazie zu hören, dessen schöne biegsame Stimme mich ungemein vergnügte. Er heißt Carlo Moschetti und war ein Schüler von Pietro Pellegrini, dem Kapellmeister an dieser Kirche, der bey Aufführung seiner Mottete den Takt schlug. Seine Stimme hatte zwey völlige Oktaven im Umfange, vom eingestrichenen C bis zum dreygestrichenen. Sie ist voll, wenn er Zeit hat sie auszulassen; und er bringt schnelle Sätze mit solcher Leichtigkeit heraus, daß er leicht ins Wilde und Ausschweifende gerathen kann, und zuweilen nicht recht Ton hält. Doch findet ein Lehrer viel vor sich, woraus was zu machen ist. Sein Triller ist gut, und er giebt Hofnung, einen grossen Sänger aus ihm zu ziehen. Es war auch ein junger Altist da, wovon sich nicht viel sagen läßt; ein noch weniger beträchtlicher Tenorist, und ein Baß, der mich aus der Kirche jagte.

In einem Hospitale sangen und spielten die Weiber ganz rasend; die Musik war durchaus im alten Styl, voller Fugen über abgedroschene Sätze. Die Weiber verrichten bey dieser Gelegenheit alle Dienste der Kapelle selbst, spielen die Orgel, die Violinen, die Violonschelle: aber die Ausführung[80] war so sehr schlecht, daß ich bald genung davon hatte. Die Orgel, die ich hier hörte, hatte keinen guten Ton; reichlich verziert war sie indessen, und gleich der französischen Orgel, mehr fürs Auge, als fürs Ohr. Die Pfeiffen sind hier niemals verguldet, wohl aber die hölzerne Einfassung und das Gehäuse, welches keine üble Wirkung thut.

Das Theater zu Brescia ist sehr prächtig, aber viel kleiner als das zu Mayland, was die Länge anbetrift; die Höhe ist einerley. Das Verhältniß der Logen um beyde Theater ist wie hundert zu vier und dreißig: in jedem sind fünf Reihen Logen, so daß dieß Haus viel höher scheint, als das zu Mayland. Die Logen sind mehr mit Spiegeln, Mahlereyen und mit sammtnen oder reichen seidnen Decken ausgeziert; im Parterre hat jeder Zuhörer mehr Raum als zu Mayland, jeder Sitz ist zurückgeschlagen und angeschlossen, bis derjenige, der ihn bezahlt hat, kömt. Jeder Rang und jede Loge ist hier numerirt, so wie in unsern Theatern, wenn die Abtheilungen der Logen und des Parterre, um mehr Platz zu haben, weggenommen werden. Man spielte Il faggio amico, den klugen Freund von Goldoni; es war die erste Komödie, die ich in Italien ohne Harlekin, Colombine, Pierrot und Dottore sah, und sie war regelmäßiger als die italiänischen Stücke gewöhnlich sind. Es war ein Milordo Inglese darin, der ganze Hände voll Zechinen wegschenkte, worüber die Zuschauer sich sehr freueten. Einige[81] Schauspieler kamen mit Lichtern herein; ich hatte dieß nie vermißt, denn auf dem englischen Theater ist es nicht gewöhnlich, aber eigentlich leidet die Wahrscheinlichkeit doch dabey, wenn die Handlung des Nachts vorgeht.

Hier war unter der Aufsicht des Kapellmeister Leopoldo Maria Scherli eine komische Oper im Gange; die Sänger waren, Giovanni, Simoni, Giuseppe Franceschini, Niccola Menichelli, Angiola Dotti, Geltrude Dotti, Teresa Manichelli, Teresa Monti, doch spielten sie zum Unglücke nicht, als ich zu Brescia war.

In dem Wirthshause, wo ich mich aufhielt, dicht an meinem Zimmer war eine Gesellschaft von Operisten, die sehr lustig schienen; sie kamen eben von Rußland, wo sie vierzehn oder funfzehn Jahr gewesen waren. Der vornehmste Sänger darunter war, wie ich erfuhr, der Castrat Luini Bonetto. Man sagte, er sey noch sehr reich, ob er gleich in einem Abend im Spiele zehntausend Pfund von dem Gelde verlohren, das er con la sua virtù erworben hatte. Er ist aus Brescia gebürtig. Eine musikalische Gesellschaft bewillkommete ihn am Abend seiner Ankunft in dem Wirthshause, und eine andere brachte ihm den Tag vor seiner und meiner Abreise eine Abendmusik, welche mit zwey Violinen, einer Mandoline, einem Waldhorn, Trompete und Violonschell besetzt war. Sie spielten, ungeachtet es dunkel war, lange Mandolinconcerte. Ich mußte mich über das Gedächtniß[82] dieser Spieler sehr wundern. Es war eine vortrefliche Gassenmusik, dergleichen wir bey uns gar nicht haben; wiewohl unser Klima ist auch nicht für Ständchen. Der berühmte venetianische Tänzer la Colonna war gleichfals erst von Rußland zuruckgekommen, und in eben dem Hause abgetreten; sie giengen alle nach Venedig.

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S. Volckmann 3. Theil. S. 722. f.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 79-83.
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