Florenz.66

[172] Diese Stadt ist länger als irgend eine Stadt in Europa im Besitze der Musik gewesen, wenn man den Dichtern und Historienschreibern glauben darf. Dante, ein Florentiner, der 1265 gebohren war, spricht von der Orgel und Laute, als zu seiner Zeit sehr bekannten Instrumenten, und preißt gelegentlich seinen Freund Casella, einen Musiker im zweyten Gesange seines Purgatorio.

Der Geschichtschreiber Villani, ein Zeitgenosse des Petrarcha, sagt, daß seine Canzoni in Florenz allgemein von Alten und Jungen beyderley Geschlechts wären gesungen worden. Man erzahlt, daß Lorenzo il Magnifico, zur Carnevals Zeit des Abends auszugehen pflegte mit einem[172] großen oftmals dreyhundert Mann starken Gefolge zu Pferde, die verlarvt und prächtig gekleidet waren, und mit eben soviel Fußgängern, die brennende Wachskerzen trugen, welche die Straßen so helle machten, als bey Tage, und dem ganzen Schauspiele ein herrliches Ansehn gaben. So zogen sie durch die Stadt von drey Uhr des Morgens an, sangen mit musikalischer Harmonie vier- acht- zwölf- ja gar funfzehnstimmig, und von verschiedenen Instrumenten begleitet, Lieder, Balladen, Madrigale und Scherz-Gesänge, über allerhand damals beliebte Gegenstände; und diese hiessen Canti carnascialeschi, weil sie zur Carnevals Zeit gesungen wurden.67

Selbst vor dieser Zeit noch ward die Gesellschaft der Laudisti oder Psalmsinger gestiftet, welche noch immer fortdauret. Sie heisst itzt la Compagnia, und sie giengen den Morgen nach meiner Ankunft zu Florenz, zwischen sechs und sieben Uhr bey dem Wirthshause, wo ich wohnte, vorbey in großer Procession, in weisser Uniform, und mit brennenden Kerzen in der Hand. Sie hielten dicht bey der Domkirche still, um eine dreystimmige fröhliche Hymne zu singen, welche sie sehr gut ausführten. Eben so gehen die Kaufleute und Handwerker in besondern Haufen, singend durch die Straßen nach der Kirche. Die von der[173] St. Benedict-Gemeine waren, wie Crescimbent erzählt, in ganz Italien berühmt; sie zogen noch im Anfange dieses Jahrhunderts zu Rom bey dem großen Jubelfeste durch die Gassen und sangen, so daß es Jedermann vergnügte und in Erstaunen setzte.


Den 3ten September.

Ich gieng heute zu dem kleinen Theater di via santa Maria, die komische Oper la Pescatrice welche Sgr. Piccini gesetzt hatte, zu hören. Es sind nur vier Personen in diesem Drama, wovon zwey, die Sgra. Giovanni Baglioni und ihre Schwester Constanza, die ich zu Mayland hörte68, spielten; die andern beyden wurden von Sgr. Paolo Bonaveri, einem guten Tenoristen, und Sgr. Constantino Ghigi, vorgestellt. Giovanna Baglioni erschien hier weit mehr zu ihrem Vortheile, als zu Mayland, wo das Theater so groß ist, daß eine Stentorlunge dazu gehöret, es zu füllen. Sie sang sehr schön; ihre Stimme ist hell, sie hielt gut Ton, ihr Triller war rein und deutlich, und ihr Geschmack und Ausdruck war bey den Arien die sie sang, unverbesserlich. Man klatschte ihr sehr; das Theater war ungemein voll, die Instrumente waren gut besetzt, und die Musik Piccini's würdig;[174] voll von dem Feuer und der Einbildungskraft, welche alle Werke dieses geistreichen originalen Komponisten charakterisiren.

In der Dohmkirche, einer der größten in ganz Italien, ist eine Orgel von so schönen Tone, als ich je eine gehört habe. Ich weiß nicht, ob ihr Ton wie bey der in der Paulus-Kirche zu London durch die große und geschickte Bauart des Gebäudes verbessert wird; allein sie gefiel mir ungemein. Sie hat ausserdem den Vortheil, daß sie von Sgr. Matucci, itzigem Organisten sehr gut gespielt wird, dessen Spielart nicht nur ernsthaft und der Kirche gemäß, sondern auch kunstreich in dem Gange der Melodie, und bey langsamen Sätzen wirklich pathetisch ist.

Herr Maupertuis erhielt auf seiner Reise nach dem Nordpole von den Lapläudern Nachricht von einem Monumente, welches sie für die wundernswürdigste Sache in ihrem Lande hielten: er muß beschämt gestehen, daß er bloß auf Glauben dieser Erzählung eine sehr mühsame und gefährliche Reise unternommen, um es zu sehen. Mir gieng es fast eben so: Als ich zum zweytenmale in die Oper gieng, fand ich zu meiner großen Befremdung das Theater ganz leer, und als ich nach der Ursache fragte, erzählte man mir, daß die vornehmsten Musiker und die feinste Gesellschaft in Italien zu Figline, etwa dreyßig Meilen von Florenz zusammen kämen, um eine Art von[175] Jubiläum zu Ehren der heiligen Massimina, der Schutzpatronin dieses Orts, zu feyern; und ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich, ohne jemand, der es besser wissen konnte, zu fragen, diese Nachricht auf Glauben annahm, die ganze Nacht hindurch reisete, um des folgenden Tages bey diesen Lustbarkeiten gegenwärtig zu seyn.

Ich langte etwa um sieben Uhr des Morgens an dem Orte der Handlung an, und fand den Weg und das Städtchen voller Landleute, wie bey einem Landmarkte in England, allein wenig Kutschen, und keine Leute vom Stande und Lebensart; doch machte man auf dem grossen Platze viele Anstalten zu den Lustbarkeiten, die des Nachmittages vor sich gehen sollten.

Um eilf Uhr las man die hohe Messe in der Hauptkirche, welche sehr ausgeschmückt und mit unzähligen Wachskerzen erleuchtet war. Dieß und das größte Gedränge, worin ich je gewesen bin, machten die Hitze beynahe der in der schwarzen Höhle zu Calcutta gleich, und die Folgen davon wären eben so schädlich gewesen, wenn man den Leuten nicht erlaubt hätte, heraus zu gehen, so wie andere hereindrängten; allein weder der Eifer für die Religion, noch die Liebe zur Musik, vermogten jemand lange in der Kirche zu halten, der irgend herauskommen konnte.

Kurz, es war ein beständiges Ringen zwischen denen, deren Neugierde sie antrieb, sich in die[176] Kirche zu drängen, und denen, deren Leiden und Furcht sie bewog, alles mögliche anzuwenden, um wieder herauszukommen.

Ich ließ mich von dem Strome forttreiben, und erhielt also zuletzt einen erträglichen Platz, nahe an einer Thür, wo ich Geduld genug hatte, die ganze Messe hindurch zu bleiben, indem ich immer hoffte, für meine Leiden, durch den Gesang irgend eines großen Sängers, den ich vorher noch nicht gehört hatte, belohnt zu werden; allein ich fand mich in der Hoffnung betrogen, indem alle Sänger, einen einzigen ausgenommen69, ungemein mittelmäßig waren. Die Musik war indessen sehr schön; voll Geschmack und Einbildungskraft: sie war von Sgr. Feroce, einem Florentiner gesetzt; die erste Violine ward von Sgr. Modele gespielt, der sich mit seinem Sohne in einem niedlichen Doppelconcerte hören ließ. Hierauf sang der Abt Fibictti eine Mottete mit einem ausserordentlich feinem Geschmacke in den langsamen Sätzen, und mit bewundernswürdigem Feuer in den geschwinden. Seine Stimme war angenehm und hell, seine Intonation vollkommen rein, sein Ausdruck und Einbildungskraft einnehmend, und es fehlte nichts, als daß sein Triller etwas deutlicher gewesen wäre.

Des Nachmittags um vier Uhr fiengen die Spiele auf dem großem Platze an, welches ein[177] weitläuftiges flaches Stück Land von länglicher Form ist. Es waren bey der Gelegenheit 1500 Bauern aus der Nachbarschaft beschäftigt, welche man drey Monate lang dazu vorbereitet hatte. Sie stellten die Geschichte von David und Goliath vor, welche aufs genaueste nach der Erzählung der Bibel und den Ueblichen der Alten vorgestellt ward. Die beyden Armeen der Israeliten und Philister stießen auf einander, und marschirten nach dem Schalle alter Instrumente, wie Z.E. des Crotalon oder des Cymbels, des Sistrum und dergleichen. Alle waren à l'antique gekleidet; die Könige, Prinzen und Generale auf beyden Seiten recht prächtig und alle zu Pferde, so wie einige hundert von beyden Heeren.

Der Riese Goliath trat hervor und forderte einen Israeliten heraus. Diese zogen sich in der größten Bestürzung zurück, bis zuletzt der kleine David erschien und Saul bat, ihn an seiner Statt fechten zu lassen, welche Bitte ihm, nach einiger Ueberlegung, gewähret ward. Das übrige von der Geschichte ward recht gut vorgestellt, und zwar so daß, als David dem zu Boden geschleuderten Riesen den Kopf abhieb, viel Blut herausströmte, worüber eine Menge Zuschauer, die sich einbildeten, es sey das Blut des Menschen, der den Philister vorstellte, heftig erschracken. Es kam hierauf zu einer Schlacht zwischen den beyden Heeren, und die siegreichen Israeliten führten David an der Spitze der Gefangenen und vor den[178] Beutewägen, auf einem nach Art der Alten gemachten prächtigen Wagen im Triumph auf.

In der Vesper hörte ich eben die Geschichte in einem Oratorium, welches der Abt Feroce komponiret hatte; und worin Sgr. Fibbietti, der Tenorist die Hauptperson hatte, welcher er vollkommen Genüge leistete. Während dieser Musik war das ganze Städtchen ungemein artig erleuchtet, und es wurden auf dem großen Platze wohlerfundne Feuerwerke abgebrannt. Zum Ruhme der friedlichen Gesinnungen der Toscaner muß ich bemerken, daß, ungeachtet hier wenigstens zwanzig tausend Leute bey dieser Gelegenheit versammlet und gar keine Wachen dabey waren, dennoch nicht der geringste widrige Vorfall oder Unordnung sich eräugete. Vielleicht muß man dieß einigermassen der besondern Mäßigkeit der Italiäner zuschreiben; denn ich erinnere mich nicht, nur einen einzigen trunkenen Menschen, während der ganzen Zeit, die ich in Italien war, gesehen zu haben.

Da ich hier auf keine Weise ein Bette bekommen konnte, wenn ich auch hätte acht ja zehn Zechinen dafür geben wollen, und es eine sehr schöne Nacht war: so machte ich mich noch um eilf Uhr auf den Weg nach Florenz, wo ich um vier Uhr des Morgens anlangte. Ob die Musik zu Figline gleich das nicht war, was man mich erwarten ließ, so hielt mich doch das übrige schadlos; denn ich werde vermuthlich dergleichen nirgends wieder[179] zu sehen kriegen; so daß ich im Ganzen nicht glaube, daß die Zeit, die ich auf diese Ausflucht wandte, verlohren war.


Mittwochen, den 6ten September.

Heute wohnte ich abermals einer Oper le donne vendicate, von Piccini, bey. Es waren nur vier Personen in diesem Drama, welche von eben den Sängern, welche die Pescatrice aufführten, recht gut vorgestellt wurde. Alle komischen Opern, die ich bisher in Italien gesehen habe, bestehen nur aus zwey Akten; doch kann man die Ballette gleichfalls für zwey rechnen; diese kann man Balli pantomimi, oder pantomimische Schauspiele nennen, da jedes beynahe so lang ist, als ein Akt aus einer Oper. Es sind ein paar reizende Arien in dieser Scherzoper. Constanza Baglioni sang vorzüglich schön; und der Tenorist, welcher ein Favorit hieselbst ist, ward ungemein beklatschet; allein ob er gleich ein guter Sänger ist, so deucht mir doch, daß er weder an Stimme noch an Geschmack Sgr. Lovatini gleich komme.


Freytags, den 7ten September.

Die Vesper hörte ich heute in der Kirche dell' Annunciata; sie ward von einer Menge Priester und Layen gesungen, die bloß von einer kleinen Orgel, einem Violonschell und zwey Violons begleitet[180] wurden. Die Musik war in dem alten Style des sechszehnten Jahrhunderts. Nach dieser vollstimmigen Musik auf dem hohen Chore ward noch in den verschiedenen Kapellen dieser schönen Kirche von Knaben gesungen, die auf verschiedenen Orgeln stunden, und von Tenor- und Baßstimmen, die unten waren, begleitet wurden.


Sonnabends, den 8ten September.

Heute früh waren keine andere Instrumente zur Begleitung der Stimmen, als die, welche ich gestern in dieser Kirche hörte, ungeachtet es ein hohes Fest war: doch waren der Sänger vielmehr, und sie sangen eine achtstimmige Messe, vier auf jeder Seite, sehr gut. Orazio Benevoli aus der römischen Schule, der bald nach Palestrina lebte, hatte sie gesetzt, und für die Zeit und in ihrer Art war ihre Musik vortreflich. Es kommen keine regelmäßige Fugen darin vor, mit neuen Worten treten neue Subjekte ein, und die Melodie thut wenig oder gar keine Wirkung, wenn sie unter soviel Stimmen vertheilt ist; allein die Thema's und Nachahmungen müssen kurz seyn, weil sonst die Stücke kein Ende haben würden. Doch thut das Ganze auf die Freunde der Harmonie bewundernswürdige Wirkung. Als diese verschiedene Kirchenmusiken vorbey waren, sang Sgr. Veroli, ein sehr guter Discantist eine ernstvolle Mottete a voce sola. Er ist gewöhnlich der erste[181] Sänger in der hiesigen Oper, und hat eine sehr angenehme Stimme und sehr viel Geschmack. Die Mottete war vom Pater Dreyer, Maestro di Capella der Kirche dell' Annunciata gesetzt. Er war ehmals ein berühmter Sänger zu Dresden, und sang den Discant; weil er aber einer gewissen vornehmen Person zu sehr ins Auge fiel, so schickte man ihn fort. Er hält sich seit vielen Jahren in dieser Stadt auf, und ist gegenwärtig schon bey Jahren. Ich hatte eine lange Unterredung mit ihm, und fand einen sehr einsichtsvollen und gefälligen Mann an ihm. Wie er mir sagte, wird die palästinische Musik hier alle Tage gemacht, ausgenommen an Festtagen. Als ich ihn bat, mir eine Abschrift von der berühmtesten Komposition zu verschaffen, welche in dieser Kirche aufgeführet würde, so erzählte er mir, daß es das Miserere des Allegri sey, welches hier bloß am Charfreytage auf die Art, wie in der päbstlichen Kapelle gesungen würde, und daß er es mir gleich wollte abschreiben lassen; allein da ich schon eine Abschrift dieser berühmten Komposition vom Pater Martini, dem sie auf ausdrücklichen Befehl des vorigen Pabstes war mitgetheilt worden, erhalten hatte, so verbat ich sein gütiges Anerbieten.

Des Abends gieng ich wieder in die Oper le donne vindicate, welches ich nur anführe, weil ich dabey Gelegenheit habe, die ausserordentliche gute Laune der italiänischen Zuschauer zu rühmen.[182] Weil dies der letzte Abend war, da die gegenwärtige Gesellschaft spielte, so war der Zulauf und der Beyfall unbeschreiblich. Man warf gedruckte Sonnette zum Lobe der Sänger und Tänzer herab, die in großer Menge herumflogen, und welche die Zuschauer mit vielem Eifer zu erhaschen suchten, und beym Beschlusse hörte man mehr Freudengeschrey als Klatschen.


Sonntags, den 9ten September.

Heute früh hörte ich eine sehr feyerliche Kirchenmusik in dem Kloster delle Monache, oder der Nonnen des Portico, etwa eine Meile von Florenz.

Die Aufführung derselben kostete an 300 Zechinen; es war die letzte Einsegnung von acht Nonnen; der Erzbischof war gegenwärtig, und eine Menge der Vornehmsten aus Florenz. Der Sänger und Spieler war eine große Menge. Ich hatte hier das Vergnügen Sgr. Manzoli zu hören. In dem ersten Theile der Messe kam ein Terzett zwischen ihm, dem Sgr. Veroli und dem zweyten Kapellmeister der Annunciata, einem Baritonisten, vor. Die Musik der Messe war von Sgr. Soffi zu Lucca, weil er aber nicht zugegen war, so schlug Sgr. Veroli den Takt bey den Chören. Sgr. Manzoli sang einige Zeilen in der Messe, welche mir sehr viel Vergnügen machten, ungeachtet seine Stimme selbst in einer kleinen Kirche nicht mehr soviel Stärke hatte, als[183] da er in England war; ausserdem sang er noch eine reizende Mottete, welche Sgr. Monza von Mayland komponiret hatte.

Sgr. Guarducci und Sgr. Ricciarelli verliessen Florenz einige Tage vor meiner Ankunft daselbst, sonst hätte ich ein Duett von Manzoli und Guarducci gehört, welches sie in einem Privatconcerte sangen. Dieser Verlust war um desto mehr zu bedauren, je seltener diese großen Sänger an einem Orte zusammen kommen, und einmal mit einander singen.

Obgleich Florenz itzt keinen Ueberfluß an musikalischen Genies hat, die es selbst hervorgebracht hätte, so ist es doch von andern Orten recht gut damit versehen worden; denn ausser den oben angeführten Sängern wohnt Sgr. Campioni als Kapellmeister des Großherzogs hier; Sgr. Dottel, ein berühmter Flötenspieler ist in der Kapelle, und Sgr. Nardini ist gleichfalls als erster Violinist in Großherzogl. Diensten.70

So habe ich auch hier in dieser Stadt eine gute Spielerinn auf der Doppelharfe gehört, die Sgra. Anna Fond, von Venedig, welche bey Hofe in Diensten steht; wie auch meinen kleinen Landsmann Linley, der zwey Jahr durch vom Herrn Nardini gelernt hat, und zu Florenz war, als[184] ich dahin kam, woselbst er von allen bewundert ward. Vom Tomasino, wie man ihn nennt, und dem kleinen Mozart spricht man in ganz Italien, als von zwey Genies, die die größte Hofnung geben.

Goldoni's Komödie, il saggio amico, die ich zu Brescia gesehen hatte, ward heute Abend auf einem andern Theater aufgeführet, das größer und prächtiger war, als das, auf welchen ich die Burletten gesehen hatte. Ich fand hier so viele Zuschauer, daß es unmöglich war, einen Platz zu bekommen. Das Stück selbst gefiel mir gar nicht, allein zwischen den Akten gab man ein Türkenballet, welches fast eine halbe Stunde dauerte, das war sehr sinnreich; und die Theaterverzierungen und Kleider darin waren prächtiger, als ich solche in meinem Leben gesehen hatte.71

Auf meinem Wege nach diesem Theater, gerade als es anfieng dunkel zu werden, begegnete mir in der Gasse eine Gesellschaft Laudisti: sie war zu Fiesole gewesen, und war nun in Procession auf der Rückkehr nach ihrer kleinen Kirche. Ich besaß die Neubegierde ihnen nachzufolgen, und kaufte mir ein Buch, worin die Texte stehen, die sie sungen.72 Vor jeder Kirche machten[185] sie Halte, und sangen ein Verset mit drey Stimmen, und als sie in ihrer eignen Kirche anlangten, worin ich einen Platz bekam, fanden sie ein Orchester vor, das sie mit Instrumentalmusik empfieng, und zwischen jeder Strophe, die sie sangen, eine Symphonie spielte. Sie sangen die Vesper im Canto Fermo mit Hülfe ihres Caplans: Das Ganze ward mit vieler Anständigkeit ausgeführt, und war gewiß ein sehr unschuldiger Zeitvertreib. Einige Gesellschaften Laudisti in Florenz sind schon an die fünfhundert Jahr alt. Ich habe in der magliabechischen Bibliothek ein Manuscript in Folio von Laudi Spirituali mit Noten gefunden, komponirt zum Gebrauch der Mönche des Ordens der Umiliati, und gesungen in der Kirche aller Heil. Florenz 1336.


Montag, den 10ten Sept.

Diesen Nachmittag hatte ich das Vergnügen, den Herrn Nardini und seinen kleinen Schüler, Linley, in einem Concerte, in eines Engländers, Herrn Hempsons Hause zu hören, wobey eine zahlreiche Gesellschaft war. Dieser Herr bläset die Flöttraverse auf eine besondere Art, indem er den Ton dadurch sehr verbessert, daß er in das Oberstück ein Stückchen Schwam anbringt, wodurch der Wind gehen muß. Er bließ ein Paar schwere Concerte von Hasse und Nardini, und brachte sie recht gut heraus. Es war eine[186] Person aus Perugia da, welche ganz angenehm ein Solo auf der Viole d'Amour spielte; und Sgr. Nardini gab uns ein Solo und ein Concert von seiner eignen Arbeit, in einer Manier, die nichts zu wünschen übrig ließ. Sein Ton ist egal und sanft; nicht überlaut, aber rund und fest; er hat ungemein viel Ausdruck im Adagio, und man sagt, den habe er glücklich seinem Meister, Tartini abgelernt. Was die Schwierigkeiten anbetrifft, so erregt er mehr Beyfall und Vergnügen, als Bewunderung. Kurz, er scheint mir der beste Violinspieler in ganz Italien zu seyn, und nach meinem eignen Gefühle und Urtheile, ist sein Styl delicat, gut gewählt und sehr gefeilet.73

Der Tommasino Linley spielte zwey Concerte ziemlich genau in der Manier seines Meisters. Sgr. Nardini hat viele junge Lehrlinge unter seiner Aufsicht, wie sein Lehrer Tartini gleichfalls gewohnt war, und unter diesen ist ein Sohn des Herrn Agus aus England.


Dienstags, den 11ten Sept.

Eine andere große Academia, im Hause des Sgr. Domenico Baldigiani. – Diesen Abend ward ich mit der berühmten Improvvisatrice, Sgra. Maddalena Morelli bekannt, die ich[187] hernach ofte in ihrem Hause besucht habe. Man nennt sie gemeiniglich La Corilla, und sie ist gleichfalls eine Schülerinn des Herrn Nardini.74 Ausser dem bewundernswürdigen Talente, über jede vorgegebene Materie auf der Stelle in Versen zu reden, und in einem Concerte eine Ripienstimme auf der Violine zu spielen, singt sie auch mit vielem Ausdrucke, und hat ziemlich viel Fertigkeit der Kehle.

Ich bin verschiedenemal im Hause des Sgr. Campioni gewesen, dessen Trios in England so viel Beyfall gefunden haben. Er ist mit einem Frauenzimmer verheyrathet, die recht hübsch mahlt, und auch sehr artig auf dem Flügel spielt. Nächst dem Pater Martini hat er die größte Sammlung von alter Musik, besonders Madrigale vom sechszehnten und siebenzehnten Jahrhundert, die ich jemals gesehen habe. Er hat auch, seitdem er sich in Florenz niedergelassen, vieles für die Kirche komponirt. Er zeigte mir die Partitur von dem Te Deum, das er für die Geburtsfeyer der ältesten Prinzessinn des Großherzogs gesetzt hatte, welches voller artiger Canons und dergleichen sinnreichen Erfindungen ist; es ward von einem Orchester von zweyhundert Personen an Sing- und Instrumentalstimmen aufgeführt.[188]

Unter den Liebhabern zu Florenz wird der Marquis von Ligniville für einen großen Theoretiker und Komponisten gehalten. Er hat den Hymnus, Salve Regina, als einen dreystimmigen Canon komponirt; er ist zierlich in Kupfer gestochen, und seinen Freunden werden Exemplare ausgetheilet. Der Marquis war Zeit meines Aufenthalts nicht zu Florenz; ich ward gleichwohl mit einem Abdrucke von dieser fleißigen Komposition durch einen Musiker beschenkt, der bey Sr. Excellenz in Diensten steht.75

Herr Perkins, ein Engländer, der sich hier und in Bologna eine ansehnliche Zeit aufgehalten hat, ist ebenfalls ein guter Musikus. Ein Brief vom Pater Martini verschafte mir die Ehre seiner Bekanntschaft. Diesem Herrn bin ich meinen besten Dank schuldig für manche musikalische Seltenheit, die er so gütig war, mir zu verschaffen; und unter andern für einen Versuch, den er selbst geschrieben hat, über die Fähigkeit und dem Umfang des Violonschels, die Violine, die Flöte, das Waldhorn, die Trompete, Hoboe und den Basson nachzuahmen.[189]

Zu Florenz fand ich das Claveßin des Zarlino, dessen er in seinen harmonischen Institutionen, pag. 140 erwähnt. Zarlino hatte dieses Instrument erfunden, um die Temperatur der drey Klanggeschlechte, des diatonischen, chromatischen, und enharmonischen genau anzugeben; es ward unter seiner Aufsicht, 1548 von Domenico Pesarese verfertigt, und ist nun in den Händen der Sgra. Moncini, Wittwe des verstorbenen Piscetti. Ich habe Zarlino's Unterricht, wie es zu stimmen, von seiner eignen Handschrift, auf der Rückseite des Vorderbrettes befindlich, abgeschrieben; allein sowohl diesen, als die ausführliche Beschreibung dieses seltnen Instruments, werde ich für die Geschichte der Musik aufsparen, wohin beydes eigentlicher hingehört.

Die Gallerie des Großherzogs, die Bibliotheken in den Pallästen Pitti, die Lorenzische, Magliabechische und Rinuccinische Bibliothek haben mir sämtlich theils Reflexionen, theils auch Materialien für mein vorhabendes Werk an die Hand gegeben; und die verschiednen Unterredungen, womit mich die Herren Dr. Bichierai, Dr. Perelli, Professor der Mathematik, Dr. Guadagni, Professor der Experimental-Physik, der Dr. Fossi und der Bibliothekar bey der großherzoglichen Bibliothek, Sgr. Bandini, nebst andern mehr, beehret haben, erleichterten meine Untersuchungen, und verschaften mir jede Gelegenheit, die ich zur Belehrung nur wünschen konnte, und machten meinen Aufenthalt[190] in dieser reizenden Stadt, welcher die Künste seit so langer Zeit her soviel zu verdanken haben, zugleich angenehm und nützlich.

66

S. Volkmann. 1 Th. 455.

67

Sie wurden zuerst von Franzesco Spaziano gesammlet und herausgegeben, Florenz 1559.

68

Mad. Constanza und Rosina Baglioni sind itzt bey der Wiener Oper. S. Müllers Nachrichten von den Schaubühnen in Wien. Presburg 1772. S. 74.

69

Der Abt Fibbietti, ein vortreflicher Tenorist.

70

Diese drey großen Meister, deren Verdienste in ganz Europa bekannt sind, wurden vor einiger Zeit durch die Freygebigkeit des Fürsten bewogen, Livorno zu verlassen.

71

In diesem Theater bezahlt man fürs Parterre, wie in jeder komischen Oper in Italien, einen Paoli, welches ungefehr drey Gutegroschen macht.

72

Der Titel dieser Hymnen lauter so: Laudi da cantarsi da Fratelli della venerabil Compagnia di S.M. Maddalena de' pazzi e S. Guiseppe in S. Maria in Campidoglio in Firenze, 1770.

73

Wer den feinen und polierten Vortrag der berühmten Madame Sirmen gehört hat, kann sich einen so ziemlich richtigen Begriff von der Spielart des Sgr. Nardini machen.

74

Sie hat fast jeden Abend eine Conversazione oder Assemblee, wobey sich die Fremden sowohl, als auch die Gelehrten von Florenz häufig einfinden.

75

Auf dem Titel dieses Salve Regina wird der Marquis von Ligniville auch Prinz von Conca, Cammerherr Ihro Kays. Majestäten, Direktor der Musik des Toscanischen Hofes, und Mitglied der philharmonischen Gesellschaft zu Bologna genannt. Er ist Prinz von Conca im Königreich Neapel von wegen seiner Mutter, und ein Sohn des berühmten Marschals Ligniville, der in dem Kriege 1733 in dem Garten zu Colorno, einem Landsitze des Herzogs von Parma getödtet ward.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 172-191.
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