Verona.37

[83] Es war weder ernsthafte noch komische Oper in dieser Stadt, als ich daselbst den 28sten Julius anlangte. Inzwischen ließ ich mich nach dem berühmten Amphitheater führen, welches von August, oder doch um seine Zeiten soll gebauet worden seyn; vielleicht ist es von Vitrub, der nicht nur sein Baumeister, sondern auch aus Verona gebürtig war.38 Die inwendige Seite ist neulich repariret worden, und ist ganz: es hat sechs und vierzig Reihen Sitze von rothem und weissen Marmor; die Figur ist oval, und der größte Diameter zweyhundert und drey und dreyßig Fuß lang, der kleinste aber hundert und sechs und dreyßig: Die Einwohner sagen, daß es sechszigtausend Personen fassen könne, welches mehr, als die doppelte Zahl der itzigen Einwohner von Verona wäre.39 Hier ward das Volk ehmals mit Hetzen wilder Thiere[83] unterhalten, und ich erwartete, als ich hineinging, nichts anders zu sehen; denn ich hörte so ein Gebrüll und Lärm, daß es mir nicht von Menschen herzukommen schien; aber siehe, als ich näher trat, war es nur Pantalone und Brighella, welche vom Harlekin Prügel kriegten; der Witz dieses Herrn hatte diesen Abend grosse Kraft, und trug, wie ich glaube, mehr zur Zufriedenheit der Zuschauer bey, als in alten Zeiten, Elephanten, Löwen und Tieger. Die Komödie, worin diese Charaktere vorkamen, ward in ihrer ganzen närrischen Vollkommenheit vorgestellt, und ich sah zum erstenmale, Harlekin, Brighella, Pantalone, und Colombina, in ihrer ächten italiänischen Gestalt. Das Theater war in der Mitte auf dem Kampfplatze (arena) errichtet; es waren nur zwey Logen, auf jeder Seite der Bühne eine: der Platz vor dem Theater machte eine Art von Parterre aus, wo die vornehmsten Zuschauer auf Stühlen saßen. Der beste Platz nach diesen war auf den aufgetreppten Sitzen, wovon einige zwölf Reihen von den übrigen, die man nun als die oberste Gallerie ansehen konnte, abgesondert waren; aber alles dieß ist unter freyen Himmel, und man sitzt auf dem blossen Marmor. Es ist ein neueres Theater hier, welches man aber bloß des Winters zur Oper gebraucht.40

37

S. Volkmann. S.

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Scirio Maffei in seiner Verona illustrata. T. IV. setzt es mit mehrerem Grunde in die Zeiten Trajans.

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Maffei hat genau berechnet, daß etwas über 21000 Personen darin Platz haben.

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Die kurze Zeit, welche ich zu Verona mich aufhielt, war nicht hinreichend, musikalische Untersuchungen zu machen; doch ich erfuhr nachmals von einem Engländer, der verschiedene Jahre in dieser Stadt gewohnt hat, daß ausser verschiednen geschickten Musikern auch viele Liebhaber hier wären, die vorzüglich gut spielten und setzten.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 83-84.
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