1. Italien

1. Italien.

[149] Italien war zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts mehr als jetzt das Ziel der Wallfahrt aller gebildeten Leute, besonders aus England und Deutschland. Wer damals unter uns etwas bedeuten, namentlich wer einen Kenner Liebhaber und Schützer der Künste, nach der Sprache dieser Zeit einen schönen »galanten« Geist abgeben wollte, mußte Italien Frankreich und England gesehen und sich auch einige Tage im Haag aufgehalten haben. Unermüdlich, wie schon im Mittelalter bei den Bußfahrten nach Rom, setzte sich eine Schaar[149] nach der andern in Bewegung, und ebenso nutzlos. Die meisten hatten nicht mehr davon als der gefeierte hamburgische Dichter Brockes, der mit übermäßiger Offenheit gesteht: ich war (um 1703) auch in Italien, es ist mir aber dort »nichts sonderliches begegnet.«1 Die deutschen Musiker waren seit hundert Jahren und länger gewohnt auf Italien als auf den Sitz der musikalischen Meisterschule zu blicken. Schütz, der wiederholt dort war, bezeugte noch 1648 bei einem seiner reifsten Werke, die rechte musikalische hohe Schule müsse man in Italien suchen, und »an die von allen vornehmsten Componisten gleichsam Canonisirte Italiänische Classicos Autores« will er hiermit trotz seiner eigenen Leistungen jedermann »gewiesen haben«, denn »deren fürtreffliche und unvergleichliche Opera werden denen jenigen, die solche absetzen und mit Fleiß sich darinnen umbsehen, in einem und dem andern Stylo als ein helles Liecht fürleuchten.«2 Seit dieser Zeit gehörte die Reise nach Italien gleichsam mit zum Handwerk als eine Pflicht, der sich die meisten ohne viel Nachdenken und ohne viele Vorbereitung unterzogen. Doch ist es sehr merkwürdig, daß zu Händel's Zeit unter den deutschen Musikern hierin eine Stockung eintrat, daß man bei dem neugewonnenen eignen Boden die alte musikalische hohe Schule entbehren zu können meinte. Eben die bedeutendsten, die einflußreichsten deutschen Tonmeister – Keiser und Bach – waren nicht in Italien, überhaupt nicht in fremden Ländern, auch Mattheson kehrte in Holland wieder um; Telemann war nur in seinen späteren Jahren einmal in Paris. Keiser war fertig, Mattheson wußte nicht was er dort suchen sollte, und Bach betrat in seiner Kunst einen Weg den ihm die Italiener seiner Zeit nicht erhellen konnten. Was diese Männer pflegten und verfochten, war theils ein Zweig, theils ein nationaler Zug, theils eine Abart der Kunst, es war nicht die volle Kunst in der Universalität und in der über das Nationale hinausgehenden Verständlichkeit, wie sie Händel in sich barg. Man halte daher die autochthonische Natur dieser Zeitgenossen[150] Händel's nicht für Nebensache oder Zufall, am allerwenigsten bei Bach. Wir kennen seine Beharrlichkeit. Hätte er wirklich das Bedürfniß empfunden sich in Italien zu schulen, so würde er die Reise durchgesetzt haben und sollte es auch zu Fuße geschehen. Daß er daheim blieb, zeigt uns die von der Händel'schen abweichende Einrichtung seiner Natur und ist ein Fingerzeig auf das ihm eingeborne Kunstideal. Die Hauptstätten deutscher Organistenkunst waren sein gelobtes Land dahin er heimlich und unter Mühen pilgerte. Hätte ihm Jemand einige tausend Thaler zu einer italienischen Reise freigestellt, so ist zu vermuthen, daß er, falls er sie überhaupt annehmen wollen, gebeten haben würde, ihm dafür eine Musterorgel nach eigner Disposition bauen zu lassen; während Händel durch nichts zu bewegen gewesen wäre, von einer Reise abzustehen, deren Aussicht allein ihm den mühsamen Erwerb in den vorausgegangenen Jahren versüßte. Diesen auffallend abweichenden Bildungsgang des Größten, der neben Händel stand, muß man nicht außer Acht lassen: die Abweichung ist um so mehr ein Ergebniß innerer Unterschiede, da beide als Schüler deutscher Organisten von demselben Punkte ausgingen. Bach bleibt in dem Kreise aus welchem Händel sich empor schwingt, und bahnt sich einen Nebenweg während dieser in gerader volkreicher Mitte zur Hohe kommt. Beide steigen aufwärts, aber wie verschieden! Der Sonne gleich steht Händel's Kunst von ihrem ersten Aufgange an vor aller Welt da, und wirkt schnell und kräftig auf eine große Oeffentlichkeit. Auch Purcell, der große englische Tonkünstler, war nicht in Italien, obwohl er, wie wir in dem folgenden Capitel sehen werden, beredter als die vorgenannten Deutschen für die bildende Kraft der italienischen Musik Zeugniß ablegte. Zu Händel's Zeit, unmittelbar nach ihm, bereisten Italien zwei andere deutsche Musiker die sich nachher einen Namen gemacht haben, Heinichen und Stöltzel; mehrere Jahre später folgte der berühmte Hasse. Heinichen lernte dort die Melodie hochhalten auf Kosten des Contrapunkts, etwa so wie Mattheson es sich an der Elbe ausgeklügelt hatte, Stöltzel festigte nur sein Handwerk, Hasse aber verfiel so sehr dem sinnlichen Theil der Musik, daß er sogar die Fahne des Protestantismus verließ; er, ebenfalls noch ein Norddeutscher, bildet den Uebergang zu einer örtlich und geistig veränderten Kunst, und alle drei[151] erlagen Versuchungen, an denen Händel vorüberging als wären sie garnicht vorhanden. Ihre Pilgerfahrten haben nichts Erhebendes. Und außer diesen findet man gar Niemand, der einigermaaßen verdiente neben Händel genannt zu werden. Es waren fast allesammt unbedeutende oder verwilderte Musikanten. Zwischen diesen und den leeren Vergnüglingen durchhin zog nun Händel, wie vor ihm Schütz und nach ihm Göthe, in dieses wundervolle Land, Maaß und Reise zu gewinnen.

Seine Werke werden uns zeigen inwiefern dieses der Fall war und was wir darunter zu verstehen haben. Bevor wir zu deren Untersuchung gelangen, sei im Allgemeinen angedeutet wodurch Italien einen solchen Einfluß ausüben konnte. Da es sich hier um die Tonkunst handelt, so treten uns gleich alle die Vorurtheile hemmend entgegen, welche sich nach und nach in Deutschland gegen die italienische Musik aufgehäuft haben. Was man bei den anderen Künsten willig zugiebt, weil es ein Winckelmann und Göthe an sich erfahren, und weil unsere besten Schriftsteller sich bemüht haben den guten Grund davon nachzuweisen, soll bei der Musik nicht gelten. Diejenige Kunst, deren unvollkommene Vorlagen die Italiener aus den Händen der Niederländer empfingen, um sie durch 150 Jahre von Jahrzehend zu Jahrzehend mit den wesentlichsten Verbesserungen zu bereichern, und so, zum Theil von Grund aus neu angelegt, dem Genius eines anderen Volkes zuzuführen, soll ihnen nach der Meinung gewisser Schriftsteller wenig zu danken haben. Palestrina und Orlando Lasso sollen uns unter allen Umständen fremd geworden sein; die Capellchöre der Gabrieli und Marenzio's Madrigale sollen nicht diese Muster für alle Zeiten sein, die sie wirklich sind; die Reformen eines so fruchtbaren und scharfsinnigen Geistes, wie Monteverde war, sollen zu einer leeren historischen Notiz herabsinken; Frescobaldi und Carissimi sollen keineswegs in so vorzüglicher Weise den Dank und die Beachtung der Nachwelt in Anspruch nehmen dürfen; Scarlatti soll immer doch nur sehr mäßige Opern gemacht haben – und überhaupt soll die gesammte italienische Musik niemals über das Wohlgefallen am sinnlichen, oder höchstens am sinnigen Klange hinausgekommen sein. Es ist zu hoffen, daß diese Meinung, die sich jetzt als die Weisheit des Jahrhunderts proclamirt, bald zu den abgestandenen Irrthümern[152] gehören wird. Und wahrlich, Noth thut es, wenn nicht ein großer Theil dieser Kunst und das Verständniß ihrer ganzen Geschichte für uns verloren sein soll! Seit die Niederländer mit ihrer Musik nach Italien wanderten und hier die Nation zu reger Betheiligung aufriefen, leuchtet auch in der Tonkunst hell auf, was den Lebensgeist jeglicher Kunst bildet, die Schönheit. Alles gewann eine andere Gestalt da die Italiener es angriffen. Es war für den Gehalt der italienischen Musik entscheidend, daß sie gleich in der ersten Blüthe eine solche Probe zu bestehen hatte, wie die war welche das Tridentiner Concil ihr auferlegte, und daß sie diese in Palestrina so herrlich bestand und mit einer so hohen Leistung in die Geschichte eintrat. In einer entscheidenden Stunde gezeigt zu haben, daß sie geistigen Gehaltes voll und würdig sei das Gefäß heiliger Dinge zu werden, mußte hier der Tonkunst für alle Zeiten einen nachhaltigen Ernst verleihen. Mit religiöser Inbrunst sehen wir die Künstler ihr Werk treiben. Doch ist es nirgends, auch bei Palestrina nicht, der Ausdruck religiöser Andacht was ihre Werke unsterblich gemacht hat, sondern die Darstellung der Schönheit. Aber man mag es ansehen als eine Hinweisung auf das Gebiet, in welchem die musikalische Kunst überhaupt ihr Höchstes erreichen sollte, daß Palestrina, der erste italienische Componist, unter seinen Landsleuten der größte geblieben ist. Gluth und Zartheit der Empfindungen waren diesem Volke von jeher vorzüglich eigen; doch was sie so tief in die musikalische Gestaltung eingehen ließ, war nicht zunächst eine Folge dieser Eigenschaften, sondern das Ergebniß eines mehr künstlerischen Verhältnisses. Nichts spricht stärker für die Thatsache, daß wir alle Kunst von den Alten haben, daß das Einleben in ihren Geist, das Studium der Formen der Antike uns allein die Fähigkeit zur Erzeugung unserer Kunst gereicht hat, als das Aufblühen einer Kunst von der die Alten erwiesenermaaßen wenig oder nichts besaßen. Nur das Volk, welches von den Römern stammt und in dessen Land sich alle besseren Reste Griechenlands gerettet hatten, fand Formen die die Musik über den Klingklang der gedungenen Geiger und Pfeifer und über die contrapunktischen Grübeleien der Scholastiker zu der Selbständigkeit einer schönen Kunst erhoben. Dies gelang hier nur deßhalb, weil durch beharrliche Uebung auf anderen Gebieten nach den[153] Mustern der Alten Kunstthätigkeit Kunstgedanken und künstlerische Ideale ganz alltäglich vertraute Dinge geworden waren. Giebt es einen stärkeren Beweis von der fortzeugenden Kraft der griechischen Kunst und von ihrer alle Gebiete beherrschenden Gesetzlichkeit? Gewiß, so auffallend dies auch Vielen vorkommen mag, unsere abendländische Musik wäre ohne den griechischen Untergrund sobald nicht das geworden was sie geworden ist, und die italienischen Akademiker waren keine Thoren, daß sie auch an der Vervollkommnung der Tonkunst so unablässig mit griechischen Quellen arbeiteten. Dinge, die in jedem andern Lande von vornherein unmöglich gewesen oder bald lächerlich geworden wären, vermochten sie mit Grazie und mit Erfolg durchzuführen, so vollständig und so sicher hatten sie sich in das Gewerk der Alten, in die Formen vollendet schöner Kunst eingelebt; Unternehmungen selbst, die offenbar auf irrthümlichem Grunde ruhten, schlugen zum Guten aus. Wo bei uns oder in England oder Frankreich wäre es möglich gewesen, mit den Handhaben und Voraussetzungen, mit denen es die Italiener bewerkstelligten, die zwei Grundformen der Tonkunst in's Leben zu rufen, Oper und Oratorium? Wir wissen, daß ihre Voraussetzungen, soweit ne das Einzelne betrafen, durchaus unbeweisbar waren, da man unter der griechischen Bühnenmusik nichts finden wird, was der in ihrer Nachbildung entstandenen italienischen zum Muster dienen könnte; und Widersprüche solcher Art, ob klar erkannt oder nicht, würden besonders einen germanischen Geist mit lastender Schwere niedergehalten und zu jeder zuversichtlichen That unfähig gemacht haben: während die Florenzer Akademie auf den Wolken ihrer Einbildung wie auf einer gebahnten Straße wandelnd erreichte was sie sich vorgesetzt hatte. Man sehe darin nicht einen Beweis, daß die Ergebnisse menschlichen Strebens willkürlich fallen, sondern vielmehr, daß bei echt künstlerischen Gedanken sogar ungeschichtliche Phantasien am Bau mithelfen. Die Italiener blickten in das Alterthum als Künstler, nicht als ruhige Forscher; und woran ein Historiker wohl zuletzt gedacht haben würde, das war ihnen das Nächstliegende, das Einzige was Werth für sie hatte. Sie hingen an der Ueberzeugung, so müsse die Kunst von der Bühne zum Volke wirken wie es bei den Griechen war; diese unläugbare, aber von ihnen zuerst und allein erkannte[154] Wahrheit wußten sie mit einem Eifer und mit einem so richtigen Takt auszulegen, daß trotz aller antiquarischen Irrthümer das Rechte gedeihen konnte. Aber nur die Italiener konnten es durchführen. Das Gefühl für künstlerische Form war bei ihnen in einem Grade ausgebildet und in einer so ursprünglichen Frische vorhanden, daß man geneigt sein muß, es mehr noch ihrem angebornen Schönheitssinne zuzuschreiben, als der Jahrhunderte langen Cultur. Ein schöneres Lob kann einem augenscheinlich hochgebildeten Volke wohl nicht gespendet werden. Nirgends liegen die Beweise dafür voller und schlagender zur Hand, als in ihrer Musik, obwohl gerade auf diesem Felde fast noch Alles des näheren Nachweises harrt. Der kleinste Tonsatz der Italiener hat ein Ebenmaaß, eine einheitliche Gesammthaltung, eine Form in und aus sich selbst, wie man es in diesen frühesten Zeiten anderswo nur sehr selten finden wird. Sie gingen auch, da einmal der feste Grund gewonnen war, in der Entwicklung musikalischer Formen ebenso unaufhaltsam als sicher weiter. Dabei vermochten sie sich in den merkwürdigsten Gegensätzen zu bewegen, ohne zu ermatten oder sich so bald zu erschöpfen. Wer sollte denken, dasselbe Volk welches soeben erst in den Kirchenchören und in dem vollstimmigen weltlichen Gesange, im Madrigal, das Höchste geleistet hatte, könne berufen sein, unmittelbar darauf das Allereinfachste gleichsam neu zu schaffen, das Recitativ, den Sologesang und die Kunst des Gesanges? Alles Neue in dieser Hinsicht haben wir ihnen fast allein zu danken; kaum waren die anderen Nationen daran gegangen, sich das Gewonnene, vertiefend oder verflachend, anzueignen, als die Italiener sie schon wieder mit Neubildungen überraschten. Und so ging es fort, bis endlich auch dieses Volk an seine gesetzte Grenze kam. Ein Ende erreichte ihr Schaffen – dieses Wort in seiner höchsten Bedeutung genommen – zunächst in der Kirchenmusik, denn Luther war nicht umsonst dagewesen; doch erst, als Händel die Musik aus den Tempeln in die große Welt einführte und dabei die Töne der Andacht zu der Sprache des geistigen Lebens umschuf. Ihr musikalisches Theater gedieh aber fort, auch durch Händel's Gesänge nur angefeuert und selbst durch Gluck's Reformen wenig beirrt, bis es Mozart mit ihren eignen Waffen faßte.

Händel kam von den deutschen Operntheatern her und ging[155] nach Italien vornämlich, um die italienischen aus dem Grunde kennen zu lernen. Sie standen damals überall in voller Blüthe. Jede Stadt hatte ihre öffentlichen Singbühnen, und jeder Hof, jeder Reiche seine Capellen und seine besonderen Opern. Daß das musikalische Drama in Italien so schnell bühnenfähig wurde, während es sich anderswo so unbeholfen gebehrdete, kam allein von dem Vertrautsein dieses Volkes mit dramatischen Spielen und Ausdrucksweisen. Was vorhin von ihrem Einleben in die Kunst gesagt wurde, macht hier ein einzelner Fall greiflich. Das italienische Theater besaß schon seit Jahrhunderten eine Anzahl fertiger Gestalten, die bei der Nation beliebt und ihr verständlich waren. Die alten Götter und Helden behielten dabei zwar nicht viel von ihrer historischen Wesenheit, aber sie rundeten sich nach und nach ab zu typischen Charakteren die dem Volke wirklich etwas bedeuteten. Mit den Charakteren setzten sich auch die verschiedenen dramatischen Gattungen fest. »Hier die besten Schauspieler in der Welt«, sagt Polonius, »sei es für Tragödie, Komödie, Historie, Pastorale, Pastoral-Komödie, Historie-Pastorale, Tragiko-Historie, Tragiko-Komiko-Historiko-Pastorale.« Er sagte es, nicht um seinen Witz, sondern um seine Wissenschaft zu zeigen; als Hofmann mußte er das Inhaltsverzeichniß der italienischen Dramaturgie an den Fingern haben. Dies waren wirklich die Ab-und Unterabtheilungen der italienischen Bühne, hier paßt das Wort »Fächer.« Das Ganze war wie ein Kasten mit Schubladen, in denen die Figuren reihenweis beisammen lagen. Bei vorfallenden Gelegenheiten zog man das begehrte Fach auf, gab den Gestalten bestimmte mythologische pastorale heroische oder komische Namen, dazu etwas Lokalfarbe, und dann wurde ohne weiteres agirt, die Worte fanden sich oft erst beim Spiel. Das klingt freilich ebenso leichtsinnig als handwerksmäßig. Aber man bedenke, daß allein bei einer so weitgehenden Ausbildung der Stoffe wie der Bühnengeschicklichkeit nach allen Seiten hin die ungemeine Leichtigkeit und Fruchtbarkeit des Schaffens möglich war, die wir hier bemerken. Auch hatte man nun ein Fundament, gleichviel was für eins, dem alle folgenden Versuche als Weiterbau aufgesetzt werden konnten. Bei dieser in ihrer Art vollständigen Fertigkeit ist es den Italienern denn auch nie möglich gewesen sich in der Nachahmung fremder Volksweisen zu verlieren,[156] oder sich ihnen überhaupt nur mit Verständniß andauernd hinzugeben. Solche Abgeschlossenheit hat für den Werth der italienischen Kunst Nachtheile, für ihre Fertigkeit aber und einen gewissen siegreichen Fortschritt erheblichen Gewinn gebracht. Der Nutzen zeigt sich nirgends auffallender, als bei dem Gegenstande auf den es uns hier ausschließlich ankommt und zu dessen Verständniß ich diese einleitenden Worte mache, bei der Oper. Oben (S. 75) wurde gesagt, den ersten Versuchen in der Oper habe keine genügend vorgebildete musikalische Form zu Gebote gestanden; was sie aber vorfanden, war, außer der Lust und Liebe zum Dinge, ein fertiges Drama und ein vollständig eingerichtetes Theater. Daher kommt es, daß die ersten Opernierte um 1600 in allem Wesentlichen genau so aussehen als die um 1700 und wieder als die um 1800: man schuf nichts Neues, man öffnete bloß die alten Schubladen, holte die alten Figuren heraus und stellte sie auch beinah auf die alte Weise zusammen, nur jetzt nach musikalischen Rücksichten und im möglichsten Durcheinander aller Gattungen. Wer sich davon in der Kürze überzeugen will, der besehe das Schäferspiel Il pastor fido von Guarini (1579). Hier braucht man nur die Worte in Recitative und Arien zu bringen, so ist nach italienischem Geschmacke die schönste Oper fertig; was denn auch so oft geschah, daß sich auf dieses einzige Buch über hundert Opern zurückführen lassen. Den zweckmäßigen Ausdruck für Recitativ und Arie mußten sich die Verfasser der Texte allerdings erst bilden, sogut wie die Componisten den musikalischen und die Sänger den theatralischen: aber alle drei wurden durch das, was sie vorfanden, nicht wenig gefördert. Auch die Bildungsmittel für alle diese Zweige waren auf musterhafte Weise vorhanden, und zwar an den verschiedensten Orten. Wollte Venedig sich auf das Alter und die Productivität seiner Tonmeister etwas zugute thun, so konnte Bologna es wagen ihm den Vorrang streitig zu machen; Florenz hatte seine ganz eigenthümlichen Verdienste, Rom stand auf dem alten Ruhm, und in Neapel bildete sich schnell etwas Neues. Zwischen diesen Hauptstätten lagen kleinere mit selbständigen Erzeugnissen, die ihnen im Grunde nichts nachgaben. Besonders in den Jahren um 1700 war das musikalische Schaffen in Italien zu einer wahren Gemeinthätigkeit angewachsen, es gedieh wie Kraut und Unkraut auf[157] einem üppig fruchtbaren Acker. Geweckt und zum Wetteifer entflammt durch die Gunst der Menge, empfingen Dichter und Musiker in den Akademien, in freien Vereinen, denjenigen Grad von Geschmacksbildung und seinem Gefühl für das Schöne, den die Schule nicht zu gewähren vermag. Die Sänger wurden früh von tüchtigen Lehrmeistern in die Zucht genommen, doch lernten sie fast ebensoviel von den Schauspielern, und es war bei weitem nicht allein die »gute Schule« wodurch sie jene großen Wirkungen und jenes lange Leben in der Kunst hervorbrachten; indeß ist wahr, daß alles dieses zusammen eine wirklich beneidenswerthe gute Schule bildete. Man nennt Italien das Land des Gesanges, aber erst seitdem es nicht wie die anderen Länder hierin alles auf gut Glück und Gottberath ankommen ließ; der Kunst zu Liebe unterwarfen sich die Jünger dem andauerndsten Studium und sogar einer Verstümmelung der Natur. Haben die Italiener von Palestrina bis Scarlatti mehr erreicht als ihre Nachbaren, so haben sie auch viel mehr gearbeitet. Wir sehen dieses Volk, das die Natur mehr zum Müssiggang als zur Arbeit anleitet und das in allen Dingen des äußerlichen Lebens ziemlich mühelos existirt, namentlich an der musikalischen Kunst einen tiefen Ernst und eine wunderbare Thätigkeit entfalten. So war denn alles beisammen, wodurch ihr musikalisches Theater Werke von Einheit Harmonie und Gesammtwirkung hervorbringen konnte. Man hatte eine Summe allbekannter Gestalten in bühnengemäßer Ausbildung; gebildete, in den Gränzen des Stimmumfanges sich bewegende und auf theatralische Wirkung naturgemäß hinarbeitende Sänger; eine Reihe von Dichtern, welche den Ausdruck musikalischer Poesie in ihrer Gewalt hatten; eine Fülle von Componisten, die den süßen Kern der Musik, die Melodie, nicht vergeblich suchten; endlich ein Publikum, das die Werke verstand und die Meister ehrte und lohnte.

Auf solche Weise bildete sich hier nach und nach für die musikalische Kunst ein fester Canon, der an bildender Kraft der Antike nichts nachgab. Italien wirkte nun auf Händel, wie das Alterthum auf Italien gewirkt hatte.


Welchen Reiseweg Händel einschlug, läßt sich nicht mehr beobachten. Weil er gerades Weges auf Florenz zusteuerte, wird er sich[158] an den Zwischenorten nicht lange aufgehalten und selbst Venedig nur flüchtig durchstreift haben, vorausgesetzt daß er diese Stadt schon jetzt berührte. Prinz Eugen war hier mit seinem Generalstabe den ganzen Winter 1706–7 und ruhte sich aus nach dem siegreichen lombardischen Feldzuge im verwichenen Sommer.

1. Florenz. Januar-März 1707.


Die Annahme, Händel habe sich zuerst nach Florenz gewandt, hängt an seinem Zusammentreffen mit dem toskanischen Prinzen in Hamburg (S. 136); zwingende Beweise fehlen. Mainwaring kann nur sagen: Händel langte hier bald nach der Zurückkunft des Prinzen an, und dieser Ort, wie natürlich zu vermuthen stehet, war seine erste Bestimmung, da die Bekanntschaft mit diesem Herrn ihm am Hofe des Großherzogs jederzeit freien Zutritt und eine aufmerksame gütige Behandlung verschaffte.3 Er kann höchstens bis in den dritten Monat hier verweilt haben, man möchte ihn daher lieber gleich nach Rom ziehen lassen. Aber die Erinnerung an den Ort, wo Händel sich in Italien zuerst niederließ, wird in Mainwaring's Worten unverloren sein; ich habe mich schon oft überzeugen können, daß seinen Berichten selbst da, wo sie offenbar irrthümlich gefaßt sind, eine gewisse Wahrheit zu Grunde liegt. Mainwaring hat hier, ähnlich wie vorhin in Hamburg, Früheres und Späteres, nämlich den ersten und den zweiten Florenzer Aufenthalt zusammen gezogen, was um so leichter anging, als aus dem ersten seiner Kürze wegen wenig zu berichten war.

Hier wie überall diente der Virtuos dem Componisten zur Einführung. Er wird bald Einiges componirt haben. Ich finde unter seinen Solo-Cantaten etwa ein Dutzend die in diese früheste Zeit gehören müssen. Eigentliche Beweise dafür scheinen zwar zu fehlen, aber mehrere Anzeichen zusammen genommen geben doch, wie mir scheint, einen ganz sicheren Beweis. Das Papier hat ein von dem sonst in Italien gebrauchten ganz abweichendes Wasserzeichen. Auch die Handschrift ist nicht die seiner eigentlich italienischen Zeit; es ist noch mehr die deutsche Art Noten zu schreiben, Klotzköpfe mit dünnen Schwänzen, bei einigen Sätzen ganz auffallend,[159] während wir ihn nach einem Jahre schon völlig in die schwungreichere italienische Form eingeschrieben finden. Ort und Datum sind nirgends beigefügt, bei den kleinen Cantaten that er dies überhaupt nicht. Aber drei tragen seinen Namen, zwei davon (La Lucrezia: O numi eterni, und Sarai contenta undi) merkwürdigerweise »di G.F. Handel«, die andere (Clori degl' occhi miei) wie später immer »di G.F. Hendel.« Nur diese beide Male, und nur auf dem bemerkten Papier, schrieb er seinen Namen mit ä, sonst immer ohne AusnahmeHendel so oft er ihn auch beifügte. Wir dürfen daraus den Schluß machen, daß er anfangs auch hierin that wie er es in Deutschland gewohnt war, aber schon in den nächsten Wochen Namen und Handschrift italienisiren lernte.

Eine dieser Cantaten, »Chi rapi la pace al core«, ist auf einen feurigen bravourmäßigen Vortrag angelegt und hat einen lebhaften begleitenden Baß. Von zarter Rücksichtnahme auf die Singstimme entdeckt man noch nicht viel. Eine andere, »Ah, che pur troppo e vero«, hat zu einer Arie eine ausgeschriebene Oberstimme für Clavierbegleitung, die aber, wie die schwärzere Dinte zeigt, erst später nachgetragen wurde, gewiß auf Wunsch derjenigen Sängerin für die er das Stück setzte. Die Begleitung ist meistens zweistimmig und sehr einfach; sie kann uns zur Handleitung dienen. In mehreren Cantaten begegnen wir neben steifen Gängen tief melodischen und leidenschaftlichen Zügen. Die schon genannte Lucretia, anhebend »»O numi eterni«, war von allen diejenige, die besonders einschlug und sich bald weit verbreitete. Lucretia ruft die ewigen Götter an, den Räuber ihrer Ehre zu strafen; aber diese, meint sie, blieben wohl müssig zur Strafe ihrer Sünden. »Se non sorde le stelle, sagt sie darauf, se non m' odon le sfere, wenn die Sterne taub sind, wenn mich die Sphären nicht hören: so wende ich mich an euch, schreckliche Gottheiten des Abgrundes«, und selber nun in die Unterwelt hinabsteigend, will sie von dort aus Rache nehmen. Es ist charakteristisch für Händel, daß ihm gerade dieser Vorwurf am besten gelang. Hier hatte er einen wirklichen und großen Gegenstand, bei dem er durch Feuer und Hoheit, in dem declamatorisch gehaltenen Schlußsatze auch durch Neuheit der Auffassung selbst denen imponiren konnte, die an seiner Gewandtheit in italienischer Sprech- und Singweise[160] noch auszusetzen fanden. Das Stück gewann allgemein ein Ansehen wie unter uns heute ein Schubert'sches Lied. Als Mattheson ermahnt und schilt, doch ja die Uebung in den schweren, mit vielen € € oder 1. Italien verzeichneten Tonarten nicht zu scheuen, fügt er hinzu: »Wer deswegen das Dismoll, und andere Klang-Ordnungen dieser Art weder spielen, noch kennen lernen wollte, weil sie eben nicht in allen gemeinen Strassen-Gesängen aufstossen, der würde kahl bestehen, wenn er einmahl nur mit einer Hendelischen Lucretia Händel bekommen, und sich seiner Haut wehren, das ist, solcher Arbeit ihr Recht thun sollte. Es ist diese Lucretia eine also genannte Cantate, die wohlbekannt und gar nicht neu ist, in welcher allerhand Sing-Weisen, nicht nur aus dem Dismoll, sondern auch Cisdur und andern Tonen häuffig vorkommen.«4 Die Lucretia hatte sich ihm in dieser Hinsicht besonders eingeprägt, denn er kommt noch einmal darauf zurück, wobei er uns mittheilt, daß sie »zwar nicht gedruckt, aber in vieler Leute Händen und sehr bekannt ist«, und neun Takte als Beispiele einer schönen und fremdartig neuen Modulation daraus anführt.5 Sie ist nun bei Arnold gedruckt, doch so trostlos nachlässig wie alle übrigen Werke. Die Originalhandschrift ist nicht vollständig erhalten. Smith machte eine sehr saubere Abschrift davon, sicherlich auf Händel's Veranlassung, da dieser eigenhändig »Cantata« darüber geschrieben hat. Die Composition muß ihm besonders werth gewesen sein, sie war dem florentinischen Hofe wohl der erste bedeutende Beweis seiner hohen Fähigkeiten und errang ihm eine höhere Stellung; wahrscheinlich hafteten auch noch besondere Erinnerungen daran, ich habe darüber eine Vermuthung. Mainwaring wird uns unten von einer Sängerin Vittoria erzählen, die eben bei Händel's Anwesenheit im Dienste dieses Hofes war und unserm Helden ihre besondere Zuneigung schenkte. Nun finde ich zwar bei Quadrio zwei Sängerinnen dieses Namens, die in den Jahren 1700–1720 geblüht haben, aber nicht die gemeinte Vittoria Tesi, auch keine mit dem Ehrentitel »Virtuosa del Principe di Toscana«,[161] dagegen aus demselben Zeitalter eine Lucrezia, der er ausdrücklich diese Bezeichnung beifügt.6 Die Lucrezia muß hiernach zu den angesehensten Sängerinnen ihrer Zeit gehört haben, und wir gewinnen für die Entstehung der merkwürdigen Cantate einen natürlichen Anhalt, wenn wir annehmen, Händel habe sie eigens für diese Sängerin gesetzt. So die Geschichte für lebende Persönlichkeiten auszubeuten, gehörte damals zu den Modethorheiten. Auffallend ist, daß Mainwaring sagt: »die Cantate von Tarquin und Lucretia wurde in Rom gemacht«7; aber wenn er dieses Gesangstück, in dem Lucretia doch nur allein erscheint, so ungenau anführt, daß man darnach eine größere Scene zwischen Tarquin und Lucretia erwarten muß, so dürfte er auch über den Ort ihrer Entstehung im Irrthum sein.

Hier arbeitete Händel die Ouvertüre der Almira zu einem neuen Tonstücke um (S. 115) und fügte ein Gebinde von Tänzen hinzu, die dann zusammen der etwas später gesetzten Oper Rodrigo zur Eröffnung dienten, und hernach (1732) alle mit einander in den Alchymisten wanderten, in die alte beliebte Comödie von Ben Jonson aus dem Jahre 1610. Er hat darüber geschrieben »Overture di G.F. Hendel«.

Zu dem Osterfeste wollte er für alle Fälle in Rom sein, weil sich dann die Musik hier zusammendrängt wie um Neujahr in Venedig. Durch die Composition eines lateinischen Kirchenstückes suchte er sich darauf vorzubereiten.


2. Rom. April-Juli 1707.


Diesen Satz machte er über den 109. (110.) Psalm: »Dixit Dominus, der Herr sprach zu meinem Herrn: setze dich zu meiner Rechten.« Unvollendet nahm er ihn mit auf die Reise und schrieb ihn dann bei seiner Ankunft in Rom fertig. Am Ende fügte er hinzu: »S.D.G. | G.F. Hendel | 1707 | 11d'Aprile | Romæ.« Von[162] seinen erhaltenen Werken ist dies das erste, welches mit einer vollständigen Unterschrift versehen ist; die fünf Zeilen, in denen er sie gab, habe ich durch die senkrechten Striche abgegrenzt. Zuerst schrieb er 1706, wischte aber die 6 mit dem Finger weg und zog eine 7 darüber. Ebenfalls machte er aus Romo erst später durch einen HakenRomæ; das Datum ist so undeutlich, daß Fétis und Schölcher die 11 für eine 4 nahmen. Händel muß eine kirchliche Aufführung bezweckt haben. Der Text geht direct auf Ostern, und noch mehr, in den ersten Chor und in das Gloria ist die kirchliche Intonation verflochten, eine Tonreihe die geläutert und verstärkt in dem Schlußsatze des später entstandenen englischen Psalm »The Lord is my light« und darauf in dem Chor der Debora »Plead thy just« wieder erscheint. Die Chöre sind fünfstimmig. Die Singstimmen halten sich meistentheils in zu hoher Lage. Instrumentale Gedanken überwuchern die vocalen, so daß man in der ganzen Composition keinen einzigen Satz findet, der von Anfang bis zu Ende vollkommen gesangmäßig wäre. Die Doppelfuge »Tu es sacerdos in aeternum (1) secundum ordinem Melchisedech (2)« ist ein origineller Versuch, aber so wie sie geschrieben ist kaum ausführbar. Eine lange Fuge macht den Schluß »Et in secula seculorum, amen.« Der Stimmengang ist unruhig, hie und da unsicher, zum großen Theile instrumental. Die Künste des Contrapunkts sind darin nicht nach der Weise der Italiener eng auf einander gepackt, sondern schon mehr in Händel's eigner Weise breiter und durchsichtiger auseinander gelegt; aber er hatte die betreffenden Mittel noch nicht hinreichend in seiner Gewalt, um, wie später, den Abgang contrapunktischen Reichthums durch wahren musikalischen Gehalt vollauf zu ersetzen, daher stoßen wir auf leere Stellen die weder als kunstreiche Arbeit fesseln noch als Musik ansprechen. Es ist ein Gemälde mit Händel'schen Umrissen, aber in unsicherer Zeichnung und blassen Farben. Wir werden bald sehen wie er alles sicherer frischer und tiefer gestaltete. Händel nimmt mit diesem Psalm für Italien so ziemlich dieselbe Stellung ein, wie mit der drei Jahre vorher entstandenen Passionscantate für Hamburg; die namhaften italienischen Kirchencomponisten seiner Zeit, ist ihnen der Psalm zu Gesicht gekommen, dürften auch nicht viel günstiger darüber geurtheilt haben, als Mattheson über die deutsche Cantate.[163]

Eine andere lateinische Composition geringeren Umfanges, Psalm 126 (127) Nisi Dominus, befindet sich nur in einer spätern Abschrift in der Sammlung der Königin. Der erste 5stimmige Chor sollte wahrscheinlich am Schlusse wiederholt werden, was bei der Abschrift zu bemerken vergessen ist; wir hätten hier also die Form der deutschen Kirchencantaten, und es ist garnicht unmöglich, daß dieses Stück schon in Halle entstand. Die Violinen haben durch weg bewegte Figuren, es sind aber nur gebrochene Accorde, denen man das Claviermäßige und stellenweise das Mühsame ansieht. In Rom, wo Corelli war, würde er, sollte man denken, so etwas nicht mehr gesetzt haben. Die Soli leiten zu demselben Schlusse. Der eine Chor hat ebenfalls kirchliche Intonation, und dieser Anlage wegen mag er das Stück mit nach Italien genommen haben. Daß er nicht ganz mit leeren Händen dorthin ging, zeigt die folgende Composition recht auffallend.

Als er schon einige Zeit in Rom gewesen war, setzte er den Psalm 112 (113) Laudate pueri Dominum, ebenfalls mit der Doxologie. Am Ende der Handschrift steht: »S.D.G. | G F H | 1707 | d. 8Julÿ | Roma.« Bei diesem ziemlich ausgeführten Tonsatze in Ddur für Soli und 5stimmigen Chor liegt ein zweiter über denselben Text in Fdur für eine einzelne Singstimme mit Instrumenten, ebenfalls von Händel geschrieben. Man erkennt darin augenblicklich ein deutsches Product, das schon um 1702 in Halle entstanden sein wird und nicht ohne Nutzen die italienische Reise mit machte; denn die Anregung, welche Händel von der römischen Musik empfing, veranlaßte eine überaus lehrreiche und merkwürdige Umarbeitung dieser unscheinbaren Composition. Die acht Abschnitte derselben sind auch in der Umbildung beibehalten, wir können daher beide Entwürfe Satz um Satz vergleichend durchgehen. Den ersten Satz verwarf er fast ganz, doch scheint der Anfang davon das neue Motiv geweckt zu haben:


1. Italien

[164] Mit diesem gewann er einen herrlichen hochfreudigen Eingang, der ihm selbst für das Utrechter Jubilate (1713) genügend schien. Er hat ihn daher, mit einigen neuen Accorden eingeleitet, wesentlich beibehalten, doch verkürzt, zusammen gedrängt, verdichtet, mit einem noch schwungreicheren Anfange und in schärferer Sonderung des Gesanges von dem Instrumentalen. Bei dem zweiten Satze (Sit nomen Domini, folgt die Umarbeitung der alten Vorlage fast Schritt vor Schritt, entfaltet das nur andeutend Ausgedrückte, kürzt das Weitschweifige, giebt dem Verschwommenen festere Umrisse, der Melodie eine gefangreichere Haltung. Eine solche Durchbildung ist ungemein belehrend. Der dritte (A solis ortu) schafft aus dem Solo einen fünfstimmigen Chor, aber so durchaus abweichend, daß man in der Tonreihe, mit der jetzt die Oberstimme den Gesang einleitet, nur noch so eben das alte halbmelodische Recitativ wieder erkennt. Auch bei dem vierten (Excelsus) verschmähte er nicht, der Ahnung von Wahrheit, die in dem früheren Motive steckte, nachzugehen und sie zu voller Klarheit auszudeuten. Aber er wußte excelsus jetzt anders auszudrücken, als durch einen himmelhohen Anfang:


1. Italien

er schwingt sich erst nach und nach auf und bleibt immer in sangbarer Höhe. Den fünften Satz (Quis sicut Dominus), ein accompagnirtes Recitativ, hat er später ausgestaltet zu einem recitativischen Grave des Chores mit Orchester, und dadurch zum ersten Male eine Art des Tonsatzes eingeführt, die ihm eigenthümlich ist und die er passenden Ortes immer mit so großer Wirkung anzubringen weiß. Der folgende muntere Gesang (Suscitans a terra) ist wieder durch die ältere Melodie angeregt, aber im Einzelnen ganz anders. Der lebendige Baß »primo Organo solo con Violonc. & ContraBasso« gab ihm hier Gelegenheit auf der Orgel seine Künste hören zu lassen. Eine große Aehnlichkeit besteht zwischen der früheren und späteren Melodie des siebenten Satzes (Qui habitare facit), doch ist mehreres gekürzt, und zur Gewinnung eines größeren Reichthums sind neue Gedanken in die Begleitung geworfen. Den Schlußchor (Gloria) hat er abweichend gesetzt, hier vergaß er das frühere. Die Lobpreisung der Dreieinigkeit wird nun durch ein feuriges rauschendes Vorspiel eingeleitet, die Oberstimme intonirt einzeln,[165] die vier andern Singstimmen machen mit dem Vorspiel der Instrumente Chorus während der herrschende Sologesang zwischen durch fliegt und darüber hin flattert. Stürmische Freude ist der Grundzug. Welch ein Geist hier walte, wird man ahnen, wenn ich sage, daß Händel aus dieser Dorologie hernach im Josua (1747) den Chor bildete, mit dem Israel die Mauern Jericho's niedersingt: »Glory to God, the strong cemented walls, the tott'ring tow'rs, the pond'rous ruin falls, Gelobt sei Gott die starken Wälle fallen!« Ganze Gänge sind fast unverändert in das Oratorium herübergenommen, besonders diejenigen die sich jedem einprägen werden der den Chor einmal gehört hat. Zu den Worten »sicut erat in principio« ergreift er das Motiv aus dem ersten Chore, rundet also das Ganze ab wie eine deutsche Cantate. Eine Composition von so großer Wirkung und stellenweise von so hohem Gehalte wußte er aus den sechs vergilbten Halle'schen Blättern herauszuschälen. Man thut hier einen Blick in seine Werkstatt.

Nur die genannten Kirchensätze sind von denen, die er zu dieser Zeit in Italien gemacht hat, erhalten. Man überzeugt sich auch bald, daß ihre Zahl überhaupt nicht groß gewesen sein kann. Der Grund hiervon scheint mir wichtig zu sein. In beiden Bearbeitungen des Laudate läßt das muntere Musiciren einen eigentlich kirchlichen Ton nur selten aufkommen. Nun waren zwar damals die Ansprüche an kirchliche Musik nicht hoch, doch hatte Italien einen Canon von dem die inländischen Componisten nicht abwichen. Das möglichst genaue Eingehen hierauf mußte für Händel Pflicht sein, wenn er durchdringen wollte, dennoch hielt er hier an seiner Weise wie an seiner Confession fest. Auf ihre Theater- und Kammermusik ließ er sich viel weiter ein, als auf ihre liturgischen Sätze; er fand in letzteren nicht die Fülle des Neuen und Lehrreichen, das ihm in der weltlichen und oratorischen Musik begegnete. Er war aber nicht nach Italien gegangen um seine Gottesfurcht zu bethätigen, sondern um in der Kunst Neues zu lernen; alles andere war ihm Nebensache. Als er nun in dies Land kam und auch im Fache der Kirchenmusik seine Schwingen probirte, mußte er bald merken, daß die Italiener ihm darin ebenfalls einen gewissen Flug voraus waren. Aber gerade hier wollte er nicht nachfliegen, am allerwenigsten sich, wie herkömmlich[166] war, einem anerkannten Meister auf die Flügel setzen und dadurch leichter emporheben lassen. Es war ihm im ersten Grade nie um den Erfolg, vielmehr um die Bethätigung der inneren Kraft zu thun, daher kam es, daß er in allen Dingen er selber blieb. Einzelnes lernte er soviel er konnte und wo er zu lernen fand, aber im Ganzen wollte er nichts sein als ein treuer Diener seines eignen Genius. Er wäre ja nicht der große Händel geworden, wenn er es hätte anders machen wollen. Nun brachte er die Kenntniß derjenigen Künste, die besonders in der Kirchenmusik ihre Anwendung fanden, schon mit, dagegen bot ihm die übrige Musik eine Fülle des Unbekannten das er begierig aufgriff. Allerdings steckte auch in der kirchlichen Tonkunst noch etwas mehr, als er jetzt sah, so daß er nach zwanzig Jahren und später, wie wir im folgenden Bande sehen werden, eifrig darauf zurückkam; aber dies war der Art, daß es jeder Jüngling übersehen, und nur der fassen wird, der in reife Jahre und durch den Sturm der Welt gegangen ist. Die genannten italienischen Versuche im Kirchensatze endeten für beide Theile mit der Ueberzeugung, daß seine Töne hier nicht ihre wahre Heimath fanden. Denn wenn er hinter dem Vorhandenen zurückblieb, oder wenn er sich plötzlich wie ein Adler aufschwang, in dem letzten Gloria, beide Male entfernte er sich von der Schar der Uebrigen und vom kirchlichen Canon. Man hatte vom Standpunkt der Kirchenmusik aus auch wohl weniger gegen seine Schwächen, als gegen seine hohen Züge einzuwenden, weniger gegen seinen unsangbaren dünnen Contrapunkt, als gegen die übergewaltige Art Gloria zu rufen, denn wo sollte das am Ende hinaus! Wir haben von diesem allen einen redenden Beweis. Händel, obwohl er noch Jahre in Italien war, ließ es bei diesen ersten Versuchen bewenden, er der kein Feld unbebaut lassen konnte das irgendwie ergiebig schien; und die römischen Freunde, als er zum zweiten Male mit reicheren Mitteln wieder kam, breiteten ihm nicht mehr liturgische Texte unter, sondern Oratorien, Geschichten und psychologische Gemälde.

Die mancherlei Compositionen über weltliche Texte, welche Händel noch in diesen Monaten zu Stande gebracht haben kann, lassen sich nicht nachweisen, sind auch mit den übrigen ihrer Gattung so verwachsen, daß wir sie ohnehin zusammen besprechen müßten.[167]

Einige andere lateinische Sätze, die Händel angeblich auch, und zwar ebenfalls in Italien gemacht haben soll, erfordern noch eine kleine Auseinandersetzung bevor wir weitergehen. Ich sagte oben, die besprochenen Psalmen erschöpften die Zahl seiner italienischen Kirchencompositionen, und wiederhole es hier. Neuere Schriftsteller haben ihm mehrere zugeschrieben, sogar einen Streit darüber erhoben. Es handelt sich hier namentlich um ein zweichöriges Magnificat, das Händel für sein Oratorium Israel in Aegypten (1738) vollständig ausgeschöpft hat. Er soll es nach H. Bishop's Vermuthung um 1707 in Rom gesetzt haben. Macfarren theilt uns mit, eine Handschrift des Magnificat, welche die Sacred Harmonic Society in London besitzt, sei überschrieben »Magnificat Del Rd. Sigr. Erba.« Nun behaupte ich, sagt er, die Ueberschrift solle nur andeuten, dieses Exemplar habe seiner Zeit einem Herrn Erba gehört. Herr Macfarren wird seine Behauptung nicht mit einem einzigen Beispiel belegen können; niemals hat »del« den Besitzer einer musikalischen Handschrift bezeichnet. Erba ist dadurch als Componist des Magnificat angegeben. Aber die Composition ist von Händel, sagt Macfarren weiter, denn erstens: Bishop vermuthet es; zweitens: ein Manuscript von Israel in Schölcher's Besitz hat alle Sätze, die aus dem Magnificat stammen, durch »Mag.« kenntlich gemacht; und schließlich, was die Hauptsache: das Werk ist augenscheinlich die Arbeit eines Meisters und Händel's frühesten Tonsätzen im Styl vollkommen gleich.8 Gegen diese Beweise, von denen auch nur der letzte etwas bedeuten könnte wenn er gegründet wäre, hat das Athenäum Widerspruch eingelegt, erinnernd daß zu Händel's Zeit ein italienischer Componist Namens Erba in Rom lebte; wir haben den Giganten stark in Verdacht, setzt der wohlbekannte Kritiker hinzu, daß er in seinem Reichthum sich berechtigt fühlte allerlei musikalisches Gut an sich zu ziehen.9[168]

Hierauf hat Herr Schölcher sich in's Mittel gelegt und eine Auseinandersetzung gegeben, die alle Zweifel beseitigend Jedermann zufrieden stellen soll. In dem Magnificat erblickt er mir Macfarren eine Händel'sche Composition, und setzt ihren Ursprung in die erste italienische Zeit; die Entlehnung für Israel ist ihm nur insofern wichtig, als der außerordentliche Mann dadurch zeige, daß er auch unter seinen Jugendwerken einiges gefunden, was er würdig hielt dem mächtigsten Werke aus seiner reisen Zeit eingefügt zu werden.10 Das Magnificat ist gewiß von Händel, sagt Schölcher weiterhin, denn es findet sich in seiner eignen Handschrift unter seinen Autographen im Buckingham Palast. Diese Thatsache, die an sich richtig ist, muß auch für Macfarren entscheidend gewesen sein, da er in einer neuen Vorrede des Textbuches zu Israel meint: den Beweis, daß die Composition wirklich von Händel sei, verdanke die musikalische Welt den Untersuchungen des Hrn. Schölcher, dessen Biographie reichliche Einzelheiten über den betreffenden Gegenstand darbiete.11 Eben auf diese Einzelheiten, die dem Athenäum das keineswegs zu beweisen schienen was sie beweisen sollten12, müssen wir uns nun etwas näher einlassen.

Herr Schölcher sagt, Händel habe zu dem Magnificat sehr dickes Papier genommen wie überhaupt zu aller seiner Musik, die er in Italien niederschrieb.13 Das Papier ist je nach den verschiedenen Orten, wo Händel sich aufhielt, so verschieden, daß es hie und da[169] den Mangel chronologischer Angaben ersetzen kann, wie es mir auch schon vorhin (S. 159) hat müssen eine Hypothese bauen helfen. Von dem Papier nun, welches Händel zum Magnificat gebraucht hat, findet man unter seiner in Italien geschriebenen Musik auch nicht ein einziges Blatt; dagegen ist es dem Wasserzeichen nach (in welchem die Buchstaben L V G charakteristisch sind) dasselbe, das ihm fast ohne Ausnahme zu seinen englischen Compositionen diente. In den Jahren gegen 1740 hat er auch an Format (Quart) und Stärke ganz dasselbe Papier anderweitig benutzt, so unter andern zu der Instrumentalmusik in demselben Bande der königl. Sammlung in welchem das Magnificat steht. Einen weiteren Anhalt gewährt seine Handschrift. Von dieser giebt es sechs Variationen: die früheste deutsche; die italienische, die schönste von allen; die englische von 1712–20; die italienisch-englische von 1720 bis in die dreißiger Jahre; die flüchtige und zitternde bei gelähmten Gliedern vor und um 1740; und die ruhigere seines späteren Alters. Was er bei völliger Erblindung schrieb, würde eine siebente Weise bilden. Das Magnificat gehört zu der fünften: hiernach hat er es in der Periode geschrieben, als Körper und Geist unter der Last der Mißgeschicke zeitweilig zusammen brachen, etwa 1737 oder 38.

Herr Schölcher sagt weiter: »Die letzten Blätter, auf denen man unzweifelhaft das Datum gefunden haben würde, sind unglücklicherweise verloren gegangen.« Man sieht hieraus nicht genau wie viel in Händel's Handschrift eigentlich fehlen soll; nach Macfarren's Versicherung, der sich ausdrücklich auf Schölcher beruft, wären es die drei letzten Sätze. Hiernach würden vorhanden sein:


Ev. Luc. I, V. 46. Magnificat anima mea – Meine Seele erhebet den Herrn.

V. 47. Et exultavit – Und mein Geist freuet sich.

V. 48. Quia respexit humilitatem – Denn er hat die Niedrigkeit seiner M.

V. 49 u. 50. Quia fecit mihi magna – Denn er hat große Dinge an mir gethan.

V. 51. Fecit potentiam in brachio suo – Er übet Gewalt mit seinem Arm.

V. 52. Deposuit potentes de sede – Er stößet die Gewaltigen vom Stuhl.

V. 53. Esurientes implevit bonis – Die Hungrigen füllet er mit Gütern.


und fehlen würden:


V. 54. Suscepit Israel puerum suum – Er denket der Barmherzigkeit.

V. 55. Sicut locutus est – Wie er geredet hat unsern Vätern.

Schluß: die Doxologie.
[170]

Nun ist wahr, die sieben ersten Sätze stehen in dieser Folge bei Händel, sie füllen drei Quartbogen, zwölf Blätter; er hat die Bogen mit 1, 2, 3 bezeichnet. Den vierten Bogen, auf dem er weiter schrieb, ließ er unbezeichnet, daher hat man ihn später beim Einbinden nicht erkannt. Er steht nun vereinzelt, aber doch in demselben Bande, ganz am Ende. Dieser Bogen enthält auf der ersten Seite den Satz Suscepit Israel, und auf der zweiten den folgenden genau in der Gestalt, wie er auf der nächsten Seite gedruckt ist. Hiermit ist der biblische Text des Magnificat, also das eigentliche Magnificat zu Ende, und Händel's Handschrift ebenfalls. Den Schlußsatz aus der Dorologie hat er nicht mehr hinzugefügt, die drei letzten Blätter dieses Bogens sind leer gelassen. Der Schluß von Händel's Handschrift des Magnificat ist also nicht verloren gegangen, sondern Händel hat mitten im neunten Satze, nachdem er sich das Gerippe gemerkt hatte, abgebrochen. Die Musik brachte er nach seiner Art haufenweise zwischen große Striche, schrieb aber am Schluß der einzelnen Tonstücke die Zahl der Takte immer sorgfältig daneben. In der Handschrift sucht man vergeblich nach Correcturen oder sonstigen Anzeichen eines Compositions-Entwurfes, dagegen finden sich Schreibfehler, wie sie bei einer flüchtigen Abschrift erklärlich, bei der Skizze einer eignen Arbeit aber ganz unbegreiflich sind. Nun frage ich jeden Musiker, ob ein Componist so, wie das obige Beispiel geschrieben ist, eine Partitur anlegt und in dieser Weise die Gedanken hineinzeichnet? und diejenigen welche mit Händel's Handschriften vertraut sind, frage ich, ob sie aus seinen vielen Bänden und seinen vielen Umarbeitungen einen einzigen Fall anführen können, wo er es so gemacht hat?

Nach Erledigung dieser äußeren Dinge kommen wir an den »inneren« Beweis für den Händel'schen Ursprung des Magnificat, den Hr. Macfarren aus dem Werke selber gezogen hat. Es ist allerdings etwas Schönes um gegründete innere Beweise. Wer sie findet wird sich für die mühsamsten Untersuchungen belohnt halten, und ich muß gestehen, daß ich ein großer Freund von solchen inneren Beweisen bin; auch im vorliegenden Falle. Nun versichere ich, und mache mich anheischig es unwiderleglich zu beweisen, daß zwischen dem Magnificat und den sämmtlichen Händel'schen Compositionen bis 1712


1. Italien

nicht die geringste Stylähnlichkeit, geschweige denn eine völlige Gleichförmigkeit stattfindet. Erst vom Utrechter Te Deum an (1713) finden sich in seinen Psalmen und Oratorien verwandte Züge, doch ist die Gestaltung immer eine mehr oder weniger abweichende. Man darf deßhalb auch nicht die Vermuthung wagen, Händel könne das Magnificat kurz vor Israel componirt und dann dorthin verpflanzt haben, wie er es mit einigen italienischen Duetten beim Messias machte. Daß die Tongedanken des Magnificat in ihm einen starken Wiederhall fanden, beweist seine Umbildung; aber der Styl dieses Tonwerkes ist nicht im entferntesten der Händel'sche Styl, weder in seiner früheren noch in seiner späteren Zeit. Hätte Händel aber gar schon in den Jahren 1707–10, auf seiner ersten italienischen Wanderung kirchliche Tonsätze in solcher Gestalt schaffen können oder wollen, so kann sich jeder überzeugt halten, daß er nie wieder aus Italien herausgekommen wäre: so völlig italienisch ist das Magnificat. Wer ist denn nun Erba?

Nach Schölcher soll in den Handbüchern von Fétis und Choron nur stehen, daß Erba ein Violinspieler gewesen, dem es 1736 in den Sinn kam, zehn Violinsonaten als op. 1 in die Welt zu geben; »ob der gelehrte Kritiker des Athenäum« noch weiter über ihn unterrichtet sei, wisse er nicht.14 Dieser Erba war »ein römischer Tonkünstler und Violinist«, hieß Giorgio mit Vornamen und ließ die »X Sonate da Camera a Violino solo e Basso« um 1736 bei Witvogel in Amsterdam stechen15, das ist alles was wir von ihm wissen; das Magnificat hat er nicht gemacht. Es giebt aber noch einen älteren Dionigi Erba, über den unser Gerber nach La Borde sagt: »ein berühmter Meister und Komponist aus Mailand, lebte um das Jahr 1690. Seine Werke schätzte man damals den Kompositionen der größten Meister gleich. Auch foderte man ihn bey wichtigen und solennen Vorfällen, zum öftern auf, einen Theil der dazu nöthigen Komposition zu übernehmen.«16 Wie wohlbegründet diese Nachricht[173] ist, sehen wir aus dem Quadrio, mit dessen Hülfe ich dieselbe genauer fassen kann. Erba muß ein sehr vornehmer Mann gewesen sein, Quadrio nennt ihn Don Erba. 1694 half er in Mailand den Arion componiren, dabei machte er die Recitative des zweiten Acts und verschiedene Arien; das übrige setzte Carlo Valtellina. Im folgenden Jahre war es bei der Oper Antemio in Novara ähnlich; diesmal setzte Erba den zweiten Act ganz allein, während A. Besozzi den ersten, und G. Battistini, der Capellmeister in Novara, den letzten hatte.17 Sein hoher Stand läßt es als gewiß erscheinen, daß er niemals ein musikalisches Amt bekleidet hat, und erklärt auch warum so wenig Einzelnes aus seinem Leben im Andenken der Musiker haftete. Er stammte aus einem mailändischen Fürstenhause. Wahrscheinlich war der Cardinal Benedetto Erba in Mailand, unter dem Namen Timalbo Ehrenmitglied der Arkadier18, ein jüngerer Bruder; den Beinamen Odescalchi führte das Geschlecht seit 1714, wo ihm das Erbe eines Onkels, des am 7. Sept. 1713 verstorbenen[174] Herzogs Livio Odescalchi zufiel. Dionigi lebte wohl nicht mehr, als sein Bruder Cardinal wurde, sonst würde er sicherlich mit in die Schäferakademie gekommen sein. Ich denke mir ihn als einen freien Geistlichen, als einen Domherren zu Mailand; das würde die Bezeichnung des Componisten als »Rd« (Reverend, Ehrwürden), die wir bei der genannten englischen Abschrift finden, auffallend bestätigen. Das Magnificat ist zweichörig, und eben in dem prachtvollen Riesendom zu Mailand waren Vorkehrungen getroffen, hauptsächlich durch zwei große, einander gegenüberstehende Orgeln, daß die alte mehrchörige Kirchenmusik hier viel länger im Gebrauch bleiben konnte, als im übrigen Italien. Man übertrug diese Weise sogar auf ganze Oratorien, die noch zu Burney's Zeit hier an Festtagen doppelchörig aufgeführt wurden.19 Die Anlage von Erba's Magnificat, die für jeden anderen Ort nichts als eine alterthümliche Curiosität gewesen wäre, erklärt sich daraus ganz natürlich. Was ich schon an weiteren Nachrichten über die Familie Erba in Händen habe, halte ich zurück bis noch mehreres von Dionigi zu Tage kommt, namentlich der factische Beweis für seine Urheberschaft des Magnificat; denn so wenig man ihm dieses Werk nach dem Beigebrachten noch länger abstreiten kann, wird doch jeder bei der einmal aufgeregten Streitfrage die klare Gewißheit sehen wollen. Don Erba verdient auch schon an sich einige Aufmerksamkeit; er war ein Marcello, ein d'Astorga seiner Zeit, und wahrlich ein bedeutender Meister. Ueber seine Kunst wird im folgenden Bande, wo die Umbildung seines Magnificat für das Oratorium Israel zur Sprache kommt, mehr zu sagen sein.

»War das Magnificat von einem Erba«, sagt Schölcher schließlich, »so ist gewiß, daß der Autor des Israel das Recht, welches Riesen sich anmaßen indem sie die armen kleinen Leute plündern, etwas mißbraucht haben würde.«20 Wie nun? müssen denn Händel's[175] Vertheidiger wider Willen seine ärgsten Ankläger werden? Kann einem Künstler Schimpflicheres nachgesagt werden, als dies, daß er sich auf Kosten seiner Genossen unrechtmäßig zu bereichern sucht? – Wäre man bei der ganzen Frage ausgegangen von der Untersuchung wie Händel das Magnificat für Israel und Susanna ausbeutete, so würde sich zwar, unabhängig von allen äußeren Beweisen, herausgestellt haben, daß er das Werk nicht gesetzt hat, aber auch sein Verhältniß zu demselben in einem ganz anderen Lichte erscheinen. Bei dieser Umschmelzung kommen in rein geistiger wie in musikalischer Beziehung Dinge zu Tage, die von Grund aus neu und so völlig überwältigend sind, daß ein Beobachter Mühe hat sich bei der Untersuchung das nöthige Gleichmaaß zu bewahren. Das was er Note für Note beibehielt, und das andere was er in ungeahnter Weise gänzlich neu gestaltete, alles ist sein eigen geworden. Wie groß Händel ist und welche überragende Stellung er den andern Tonkünstlern gegenüber einnimmt, wird durch solche Arbeiten erst recht handgreiflich. Bei genügender Einsicht in das hier vorliegende Verhältniß kann der Gedanke an Beraubung garnicht aufkommen, und nicht minder gewiß ist, daß es nicht Uebermuth war, was ihn zu solcher Umarbeitung trieb. Es war der Drang seiner künstlerischen Natur, Tongedanken die er in halber Gestaltung und, was damit gewöhnlich zusammenhängt, auf einem ihnen fremden Gebiete liegen sah, nicht untergehen zu lassen. Daß er sogleich erkannte wo sie hin gehörten, daß sie ihm nun ohne weiteres in vollkommnerer Gestalt und als Verkündiger großer Begebenheiten vorstanden, das ist das Unbegreifliche dabei. Hier wirkte sein Geist wie eine Naturgewalt, die alle berechnende Ueberlegung weit hinter sich läßt. Diese Arbeiten bilden das kunsthistorische Maaß für Händel's Genius, den Pfad der uns von den Tonkünstlern seiner Zeit und Vorzeit am nächsten und sichersten zu ihm hinausführt. Man kann bemerken, wie die Tonkunst bei voller Breite ihrer Entwicklung zuletzt auf die Händel'sche Läuterung, auf diese geistige Verklärung des Klanglebens hindrängt, ganz ähnlich wie die Geschichte des Drama auf Shakspeare. Und wenn Händel aus Kirchen-Instrumental- und Kammerstücken, eignen und fremden, Oratorien baute, was that er denn anderes als was Shakspeare that, wenn dieser aus Novellen Schauspielen[176] Chroniken und Liedern seine Dramen gestaltete? Zum Ruhme des größten Dramatikers sind eigens über diesen Gegenstand viele Bücher geschrieben und viele alte Stücke bloß solcher Umbildung wegen wieder hervorgezogen; zum Ruhme des größten Musikers empfinden die Biographen Angst vor dem »Plagiat« und möchten lieber gar die Thatsachen wegsophisteriren! Die Quellen zu Händel sind nicht minder zahlreich und vollströmend als die zu Shakspeare, und einmal mit Verstand gewürdigt, werden sie hoffentlich nicht minder feste Bausteine seines Ruhmes sein.

Für das Einzelne dieser Untersuchungen ist hier der Ort nicht, auch habe ich das Material noch nicht in rechter Fülle beisammen; der Gegenstand gehört zu den wichtigsten der ganzen Musikgeschichte und ist sehr schwierig. Hier kann ich einen verzeihlichen Wunsch nicht unterdrücken. Herr Schölcher hat an die Sammlung Händel'scher Werke und Lebensnachrichten einen Aufwand von Zeit und Geld gesetzt, wie bis dahin kein Musiker, Burney vielleicht ausgenommen. Was dabei Werthvolles zu Tage gekommen ist, hat wohl am meisten auf meine Dankbarkeit Anspruch, da es meinen Arbeiten zunächst förderlich sein wird. Weil Hr. Schölcher Dilettant ist, d.h. ein Kunstfreund der die Musik weder in Partituren noch als einfachen harmonischen Satz liest, sondern dessen einziges Organ der Musikkenntniß das Ohr ist, so wünschte ich eben, er möchte sich der Grenzen die damit gesetzt sind bewußt geworden sein, da sie doch nur zum Schaden seiner selbst und der Sache überschritten werden konnten. Die Musik ist eine gar eigne Wissenschaft, wie mancher Dilettant schon hat sich an ihr die Finger verbrannt! Keineswegs stimme ich denjenigen Musikern bei, welche die Musik als Klostergut ansehen, die Dilettanten zu Laien machen und ihnen alles Mitsprechen untersagen möchten. Der verehrte Gervinus, dem ich so viele Belehrung verdanke und dessen herrliche Einsicht in das Grundwesen der Händel'schen Musik für mich bei vereinsamten Untersuchungen ermuthigender gewesen ist, als das Verhalten meiner sämmtlichen musikalischen Freunde, will auch nur Dilettant sein. Wie alle Tonkunst, die in der Reinheit sinnvollen Klanges dasteht, für Alle ist, so ist auch die Tonwissenschaft für Alle soweit sie in allgemein geistige Begriffe aufgeht. Daß der Kreis dessen, was unter solche Begriffe[177] gehört, zur Zeit noch so sehr beschränkt ist, verschuldet der überaus unvollkommene Zustand dieser Wissenschaft. Dieser Kreis wird sich erweitern, wenn erst die musikalischen Quellen mehr als jetzt ihren Gehalt hergegeben haben und die Handwerksbezeichnungen allgemein verständlichen Ausdrücken gewichen sind. Doch, wer die Musik aus den eigentlichen Quellen, aus den Originalen der Meister beschreiben will, muß unter allen Umständen eine fachmäßige Bildung mitbringen. Was würden die Philologen sagen, wenn Jemand alte Inschriften entziffern wollte deren Sprache er nicht versteht? Es ist derselbe Fall. Daher bitte ich Hrn. Schölcher, der Sache einen Dienst zu erweisen und auf Fragen dieser Art sich nicht weiter einzulassen. Mitten in seinen Klagen über das in Händel's Leben bisher Verkehrte und Versäumte möchte er sonst beim Ausreuten alter Irrthümer neue pflanzen die viel schädlicher wären; denn nur die ungegründeten Behauptungen derjenigen Schriftsteller sind gefährlich, die sich auf ihre quellenmäßige Forschung berufen.

Unter Händel's Handschriften finden sich noch einige lateinische Sätze, die Schölcher ihm deßhalb ebenfalls zuschreibt. Man erkennt hier weit leichter den bloßen Abschreiber, als bei dem Magnificat. Die beiden Stücke Gloria in excelsis Deo und Kyrie eleison gehören zusammen. Hier sieht man recht deutlich, daß es Händel nur um die Tongedanken zu thun war; er hat die Musik mehr ausgezogen als abgeschrieben. Bei dem zweiten und dritten Satze ließ er den Text ganz fort, auch den Grundbaß wo er nur Wiederholung war. Alles was sich beim Lesen der skizzirten Stimmen hinzu denken ließ, wurde der Zeitersparniß halber übergangen, hie und da steht ein a für Amen, u.s.w. Bei dem Kyrie sind die Instrumente massenhaft auf ein einziges System gebracht, die Bässe sind zusammen gezogen, alles ist auf dem kleinsten Raum vereinigt. Der Schluß ist ebenfalls nur soweit angegeben, daß ein Kunstverständiger hier das Vorhandensein einer vollen kirchlichen Cadenz bemerken konnte. Als Compositionsentwurf wäre dieses alles so ungeschickt wie möglich angelegt. Es ist die eilige Copie eines Mannes der viel Uebersicht und wenig Zeit hatte. Was Händel auszog, besteht ausschließlich aus Chören. Es werden Bruchstücke einer Messe sein, und ihr Urheber wird sich auch noch finden lassen, wenn man erst danach sucht. Mehreres davon[178] verwandte Händel in der Wahl des Hercules (1750) zu dem Chor »Virtue will place thee.« Das hier benutzte Motiv, mit dem das Vorspiel sowohl im Gloria als im Hercules anhebt, ist einem Grundgedanken in der Arie aus Agrippina »La mia sorte fortunata« auffallend ähnlich:


1. Italien

besonders besteht in der Behandlung Verwandtschaft; vielleicht war es dies, was Händel zuerst auf den fremden lateinischen Satz aufmerksam machte. Nur in den mitgetheilten drei Anfangstakten kommt das Vorspiel des Gloria mit dem im Hercules völlig überein, dann aber wird hier alles breiter und lebendiger. Das Thema einer Fuge im Kyrie ist dem des Allegro in der 7. Claviersuite so ziemlich gleich:


1. Italien

1. Italien

doch ist die weitere Gestaltung ganz abweichend, auch an Entlehnung hier ebenso wenig als in dem vorhergehenden Beispiel zu denken, weil die Suite schon 1720 gedruckt wurde, obige Abschrift aber vielleicht erst einige Jahre nach der des Magnificat angefertigt ist.

In dieselbe Zeit gehört noch die Motette »Intret in conspectu tuo.« Händel selber hat darüber geschrieben »Motteto a 6 voci per ogni Tempo ex Ψ 79. Del E.D. Giovanni Legrenzi«, also den Componisten mit Namen und Vornamen überliefert. Trotzdem soll auch dieser Tonsatz von Händel sein! Legrenzi war als Componist und als Lehrer hochberühmt. Seine Wirksamkeit fällt in die Jahre 1650–90, zuletzt war er Capellmeister am St. Marcus in Venedig; außer vielen kunstreichen Kirchenstücken setzte er auch mehreres für Instrumente und 16 Opern. In seinen Tonsätzen ist eine tiefe Melodik und viele sprachliche Gewalt. Seine Gedanken wurden nicht selten von Andern bearbeitet, wir haben z.B. eine Orgelfuge[179] von Bach »Thema Legrenzianum elaboratum cum subjecto pedaliter ab J.S. Bach.« Das Anfangsthema obiger Motette kam dem Händel im Samson zu den Worten »to thy dark servant« trefflich zu statten. Die Art wie ihm hier aus Legrenzi's Fugenthema zuerst eine ganz neue Fuge und im Verlaufe derselben eine prachtvolle überragende Chormelodie hervorwächst, ist mustergültig für Händel's Schaffen überhaupt. Seine eigne Gedanken, so lange sie noch unerschöpft, noch mangelhaft gestaltet waren, unterlagen derselben Umbildung, die er denen anderer Tonmeister angedeihen ließ. Was er angriff, wurde sein eigen. Man kann in seinen Werken fremde Quellen nachweisen, aber keine fremde Gedanken. Ohne eine wirkliche geistige Uebermacht würde auch das größte musikalische Geschick ihn dazu nicht befähigt haben. Auf solche Weise hat er seine Entlehnung fremden Gutes gerechtfertigt, zugleich auch die betreffenden Meister und damit wesentlich die ganze Musikgeschichte vor ihm mit einer Schärfe und Gerechtigkeit beurtheilt, von der man heutzutage wohl weit entfernt sein muß, da für diese große That Händel's sogar das Verständniß fehlt.

Ist es mir gelungen, Hrn. Schölcher über Händel's angebliche Plagiate völlig zu beruhigen, was ich hoffe, so wird derselbe sich um so leichter überzeugen, daß ich nur sagte was die Sache verlangt. Von seiner Liebe für eben diese Sache, für Händel's Muse, verspreche ich mir solches ohnehin. Die Rede von dem Plagiat ist auch erst von den Musikern aufgebracht, die sich gestehen mußten, daß sie selber bei derartigen Entlehnungen immer das Gefühl des Diebstahls haben würden. Zu Händel's Zeit herrschten darüber eben keine sehr hohe, aber auch keine verkehrte Ansichten. Der Satz war da und dorther, sagt Hawkins einmal, aber die Kenner merkten es nicht und nahmen ihn für eine Originalcomposition.


3. Florenz. Juli 1707-Januar 1708.


Händel wird Rom in der Zeit verlassen haben wo der Aufenthalt in dieser Stadt eben nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehört. Dann würde die Oper Rodrigo, welche er in Florenz setzte, in diesen Herbst fallen.


Rodrigo. 1707.

[180] Von Händel's Handschrift ist nur der mittlere Act ganz erhalten, der erste und der letzte haben Lücken, und ein Datum findet sich nirgends. Auf die genannte Zeit leitet uns sowohl das was Mainwaring berichtet, als auch die Untersuchung des Originals. Händel machte seinen ersten Versuch im italienischen Musikdrama an einem Orte, der sich rühmen konnte die früheste Pflegestätte dramatischer Tonkunst gewesen zu sein und wo wirklich die ersten Opern zur Aufführung gekommen waren; durch mehrere Cantaten hatte er sich den Weg dazu schon etwas geebnet. Uebrigens war in Florenz das Aufkommen dadurch erleichtert, daß sich hier keine der venetianischen römischen und neapolitanischen ebenbürtige Tonschule befand. Weil man hier von seiner Befähigung zur dramatischen Composition keine geringe Vorstellungen hatte, sah man der neuen Oper mit großer Neugierde und Ungeduld entgegen. Händel ließ sich schon aus Ehrgefühl auf die Probe ein, obwohl er merkte, wie Mainwaring wahrscheinlich nach Händel's eignem Geständniß berichtet21, daß er dabei für diesmal noch etwas zu kurz kommen und aus Ungeübtheit in der italienischen Auffassungs- und Setzart seine Kräfte nicht im vollen Glanze zeigen werde. Das Werk bestätigt dieses Urtheil, obwohl es reich ist an schönen melodischen Zügen und den lebendigen Eifer spiegelt, mit dem er es angriff. Auch ist es durchweg für Gesang gesetzt, aber mehr in Rücksicht auf die dabei betheiligten Kräfte, als im allgemeinen Sinne; möglichst genau für den einzelnen Sänger zu schreiben, war für Händel der Weg zum wahren Gesange, der beides in sich vereinigt. Mehrere dieser Melodien müssen zu ihrer Zeit schnell populär geworden sein. Eine derselben (Dolce Amor che mi consola) hat er bald darauf in die Cantate »Tu fedel« zu einem andern Texte (Se licori Filli), aufgenommen, und zum dritten Male im Pastor fido (1712) als Lied der Eurilla (Di goder). Es sind Tanzmelodien, hinter denen die damalige Zeit eifrig her war, die aber andern Componisten selten in dieser Frische gelangen. Für Händel's gesunde musikalische Natur ist es charakteristisch, daß er auf diesem Felde die köstlichsten Weisen fand, während doch seine Musik[181] zu komischen Texten so wenig zu bedeuten hat. Eine dieser Arien schaukelt sich im Wechsel des 3/8- und 3/4-Taktes. In der Agrippina werden wir von allem, was hier bemerkenswerthes aufstößt, deutlichere Beispiele finden, deren eingehendere Besprechung daher eine weitere Untersuchung des Rodrigo überflüssig macht. Mehrere Stücke im Rodrigo sind alte Hamburger Bekannte. So ist die originelle Baßbegleitung in der Arie aus Almira »Quillt ihr überhäufte Zähren« einen Ton höher zu »Sommi Dei« wieder verwandt; »Pugneran con noi le stelle« ist fast ganz »Ob der Mund wie Plutons Rachen«, ebendaher, eins seiner Lieblingsthemen, das er bedeutend weiter umgebildet sodann in der großen Cantate Apollo e Dafne zu den Worten »Spezza l'arco e getta l'armi«, und endlich viertens und am passendsten in der Oper Rinaldo (Abruggio avampo e fremo) wieder gebrauchte. Von dem Recitativ hat Händel einmal eine Seite mit Accorden bezeichnet, also angegeben wie er es begleitet zu haben wünschte, was unseren Harmonisirungen zum Anhalt dienen kann. Die ziemlich langen Recitative machten den Rodrigo zu einer echten Hofoper.

Die Aufnahme war eine äußerst günstige und für Händel gewinnbringende. Die Zuhörerschaft schenkte dem Componisten reichen Beifall, der Fürst hundert Sequinen nebst einem silbernen Service, und die erste Sängerin sogar ihre Liebe. Alles nach Mainwaring.22 Von dem Liebesroman, den dieser mit Rodrigo in Verbindung gebracht hat, läßt sich die historische Unterlage nicht mehr erkennen. Die junge Sängerin, wel che im Rodrigo die Hauptparthie gab, nämlich den Helden selbst, hieß Vittoria; Händel's Musik sagte so völlig ihrem heroischen feurigen Wesen zu, daß sie im folgenden Jahre sogar nach Venedig ging um dort in seiner Agrippina zu singen. »Das Frauenzimmer war schön«, fügt Mainwaring hinzu, »und hatte eine ziemliche Zeit bei Sr. königl. Hoheit in besonderer Gunst gestanden. Allein wegen der natürlichen Beunruhigung gewisser Herzen wußte sie sich so wenig auf ihre Erhebung, daß sie sich entschloß einer andern Person ihre Zuneigung zu schenken. Händel's Jugend und gute Gestalt, in Verbindung mit seinem Ruhm und seinen musikalischen[182] Fähigkeiten, hatte Eindruck auf ihr Herz gemacht. Ob sie nun gleich die Kunst besaß, ihre Neigung vor der Hand zu verbergen, stand es doch vielleicht nicht in ihren Kräften, und sicherlich nicht in ihrem Vorsatz, dieselbe zu unterdrücken.« Und später: »Unter den vornehmsten Sängern [in Händel's Agrippina zu Venedig] befand sich die berühmte Vittoria, welche kurz vor seiner Abreise nach Venedig vom Großherzoge Urlaub erhalten hatte um in einem der dortigen Opernhäuser mitzusingen. Bei der Agrippina verliehen ihre Neigungen ihren Talenten einen neuen Glanz. Händel erschien fast so groß und majestätisch als Apoll; und sehr fern lag es den Absichten dieser Dame, so grausam und eigensinnig zu sein als Daphne.«23 So er zählt unser Gewährsmann in der galanten Sprache seiner Zeit. Der Vergleich mit Apoll würde hier nur dann zutreffen, wenn Händel hinter der Vittoria mit demselben Eifer her gewesen wäre, als nach der Fabel Apoll hinter der Daphne, was aber Mainwaring's Berichten zufolge keineswegs der Fall war. Niemand außer Mainwaring hat von diesem Verhältnisse etwas erzählt, obwohl das Leben der Sängerin sehr bekannt wurde; für ein aufgeputztes Mährchen mag ich die Geschichte nicht ausgeben, da sie so ganz dem Charakter der Vittoria entspricht. Mainwaring und alle, die seine Nachricht ausschrieben und breittraten, scheinen aber niemals daran gedacht zu haben, daß hier dieselbe Sängerin gemeint ist, die später unter dem Namen va Tesi als eine der größten ihres Jahrhunderts gefeiert wurde. Ihre sonstigen Lebensumstände werden die Begebenheit mit Händel etwas mehr in's Licht heben.

Vittoria Tesi (1690–1775) gehörte in Florenz zu Hause. Bei Händel's Anwesenheit stand sie noch in erster Jugend, denn sie war um's Jahr 1690 geboren. Ihr erster Lehrer im Gesange war der dortige Capellmeister Francesco Redi, einer der bedeutendsten Sänger seiner Zeit. Seine um 1706 in Florenz angelegte Singschule erhob sich durch seine Kunst und seine Einsichten bald zu einer der angesehensten und berühmtesten in ganz Italien.24 Händel saß hier recht an der Quelle; wir begreifen nun erst, warum er sich still[183] eine zeitlang in Florenz festsetzte. Die Vittoria studirte noch in reiferen Jahren bei andern namhaften Lehrmeistern weiter, bei Campeggi und darauf bei Bernacchi, deren Singschulen in Bologna, doch erst nach 1720, blühten. »Aber ob sie gleich auf solche Art das Gesangstudium nicht vernachlässigte; so trieb sie doch ihr natürlicher Hang insbesondere zur Uebung in der Action an. Im Jahr 1719 wurde sie zuerst in Deutschland bekannt, als sie zu Dresden bey Gelegenheit des Kurprinzlichen Beylagers in den Opern sang. Im Jahr 1725 sang sie wiederum auf dem Königl. Theater zu Neapel. Nach der Zeit kam sie um das Jahr 1748 nach Wien, wo sie noch im Jahr 1772 lebte, nachdem sie schon lange das Theater verlassen hatte. Doch hat sie diese Zeit nicht müßig verlebt; indem sie mehrere junge Sängerinnen, sowohl im Singen als im Agiren unterrichtet hat. Die vornehmsten darunter sind die Tauberin, und die de Amici. Im Jahr 1769 hatte sie noch die Ehre, von dem Könige von Dänemark mit dem Ordenskreuze der Treue und Beständigkeit beschenkt zu werden.«25 Nach Dresden kam sie mit Antonio Lotti und dessen Frau aus Venedig, wo sie noch zu Anfang des Jahres 1719 in der Oper Lamano von N. Ang. Gasparini, einem Schüler Lotti's, mitwirkte.26 Auch Händel war um diese Zeit in Dresden und muß sie dort wiederge sehen haben; ob die Tesi, als er hier den Senesino für London engagirte, Luft hatte mitzugehen, ob Händel ihr Vorschläge dieserhalb machte, wird nirgends gesagt. Ihre Fähigkeiten waren jetzt in voller Blüthe. Quanz hörte sie hier und bald darauf zu Neapel und sagt von ihr: »Die Tesi war von der Natur mit einer männlich starken Contraltstimme begabet. Im Jahre 1719 zu Dresden sang sie mehrentheils solche Arien, als man für Baßisten zu setzen pfleget. Itzo aber hatte sie, über das Prächtige und Ernsthafte auch eine angenehme Schmeichelei im Singen angenommen. Der Umfang ihrer Stimme war außerordentlich weitläuftig. Hoch oder tief zu singen, machte ihr beides keine Mühe. Viele Passagen waren eben nicht ihr Werk. Durch die Action aber die Zuschauer einzunehmen, schien sie geboren zu sein; absonderlich in Mannsrollen, als welche sie, zu ihrem Vortheile,[184] fast am natürlichsten ausführete.«27 Was Händel für sie gesetzt hat, besonders der ganze Part der Agrippina, bildet die besten Belege zu dieser Beschreibung; wir sehen also wie sehr ihre Kunst ihm zusagte und wie völlig er darauf einging. Es war eine überaus merkwürdige Person, von solcher Fülle und Kraft des Lebens, daß nicht selten alles drunter und drüber ging. Den Zug, sie habe wegen der natürlichen Beunruhigung gewisser Herzen, wie Mainwaring sich etwas undeutlich ausdrückt (womit er aber nur die Gemahlin Ferdi nand's III., Violanta Beatrice, im Sinne haben kann), dem Großherzoge ihre Gunst entzogen und sich einer andern Person zugewandt, versteht man erst recht aus einer Geschichte die Burney 1772 in Wien hörte. »Die grosse Sängerinn Tesi, welche vor ungefehr funfzig Jahren sehr berühmt war, lebt hier noch. Sie ist itzt über achtzig, hat aber das Theater schon längst verlassen. Sie hat in ihrer Jugend sehr munter gelebt, bey dem allen aber steht sie itzt sehr in Gnaden bey der Kayserin-Königin [Maria Theresia]. Ihre Geschichte ist gewissermaassen sonderbar. Sie lebte in gewissen Verbindungen mit einem Grafen, einem Herrn von sehr vornehmen Stande, dessen Liebe zu einem solchen Grade anwuchs, daß er sich entschloß, sie zu heyrathen: ein Entschluß der hier zu Lande einer Person von hoher Geburt viel mehr kostet zu fassen, als in England; sie that ihr Bestes, ihn davon abzubringen; stellte ihm alle die üblen Folgen einer solchen Verbindung vor; allein er wollte keine Vernunft hören, noch eine abschlägige Antwort annehmen. Da sie fand, daß alle ihre Vorstellungen vergebens wären, verließ sie ihn eines Morgens, ging in eine Gasse in der Nachbarschaft, und wendete sich an einen armen Beckerknecht, und sagte, sie wollte ihm funfzig Dukaten geben, wenn er sie heyrathete, nicht in der Absicht, daß sie als Mann und Frau mit einander zu leben hätten; sondern weil sie sonst andre Ursachen dazu hätte. Der arme Mensch ließ sichs gerne gefallen, ihr Titulairmann zu werden, und sie wurden also förmlich getrauet; und als der Graf sein Anliegen wiederholte, sagte sie ihm, daß es nunmehr völlig[185] unmöglich wäre, in sein Verlangen zu willigen, weil sie schon einem andern Manne angetrauet sey; ein Opfer, das sie ihm und seiner Familie gemacht habe. Seit dieser Zeit hat sie mit einem Manne von hohen Stande, von ungefehr einerley Alter mit ihr, in Wien gelebt, wahrscheinlicher Weise in aller Keuschheit und Unschuld. In ihrer Jugend war sie im Singen und Agiren stärker, als alle ihre Zeitgenossinnen.«28 Auf den Charakter der Person gesehen, ist es dasselbe, ob sie aus Rücksicht gegen die Großherzogin dem Fürsten abwendig wird, oder aus Rücksicht gegen die Familie ihres Liebhabers sich den Bäckerknecht antrauen läßt; nur ist der letzte Streich, ihrer fortgeschrittenen Liederlichkeit entsprechend, weit gemeiner und gröber. Die männliche Beherztheit, Munterkeit und fast unschuldige Naivetät, mit der sie ihren Neigungen nachging, mußte für einen Künstler in Händel's Alter und Umständen nicht ohne Reiz sein. Aber daß er der Versuchung nicht erlag, ist gewiß, es würde sonst auch ohne sein Zuthun bekannt geworden sein, und er selber hätte bei seiner Geradheit die Geschichte mit dieser Sirene entweder ganz oder garnicht erwähnt. Unmittelbar nach Aufführung der Agrippina, wo der neugewonnene Ruhm des Componisten wie Zuneigung der Actrice doch erst recht deutlich werden ließ, wandte sich Händel nach Rom und so weiter wie seine Zwecke es erheischten, während wir erwarten dürfen, bei einem entstandenen engeren Verkehr würde er entweder mit nach Florenz zurückgegangen oder die Vittoria ihm auf seinen Reisen gefolgt sein. Daß er sich also weder verlag noch in abenteuerliche Gesellschaft gerieth, muß auch für diejenigen ein genügender Beweis sein, welche die erhebende innige Verbindung von Händel's Leben und Kunst noch nicht einsehen konnten. Ohne die hamburgische Schule indeß wäre der Ruf der italienischen Sirenen trotz seiner tugendhaften Gesinnungen wohl etwas gefahrvoller für ihn gewesen; aber was er dort jahrelang so nah und so abschreckend als möglich vor Augen gehabt, vermochte ihn jetzt selbst in reizvollerer Gestalt nicht mehr zu verlocken. Die bestimmte Versicherung des Gegentheils, wie es u. A. Reichardt vorbringt29, läuft auf müssige Erfindung[186] eines jener kleinen Musikanten hinaus, deren Phantasie gleich in Schwingung geräth sowie sie nur von fern etwas läuten hören. Die kolossale Vorstellung neuerer Schriftsteller, nach der die Dame, welche Rodrigo sang und sich in Händel verliebte, sogar eine Großherzogin Vittoria war30, mag zuerst aus einer Verwechslung der Namen entstanden sein, denn die ältere Großherzogin am dortigen Hofe hieß auch Vittoria.

Händel zog aus der Bekanntschaft mit Vittoria, und vermuthlich auch mit der erwähnten Lucrezia und dem Sangmeister Redi, durch seine Studien im italienischen Sologesange einen bleibenden Gewinn. Nach Mainwaring erstreckte sich sein Aufenthalt in Florenz ungefähr auf ein Jahr31, was auch vollkommen zutrifft wenn wir den vorübergehenden ersten, durch kein hervorstechendes Ereigniß bezeichneten Aufenthalt in Rom mit hinzu nehmen. Um Neujahr 1708 wandte er sich nach dem großen Opernmarkt der damaligen Tage, nach Venedig.


4. Venedig. Januar-März 1708.


Der Urlaub der Vittoria Tesi zeigt, daß Händel in der Absicht hinging um für ein dortiges Theater zu arbeiten; daher werden ihm Empfehlungen des florentinischen Hofes diesmal ganz recht gewesen sein. Sein erstes Auftreten und Bekanntwerden in Venedig dürfen wir uns also wohl nicht völlig so komödienhaft denken, als Mainwaring. Dieser erzählt: »Man erkannte ihn dort zuerst bei einer Maskerade, als er verlarvt auf einem Flügel spielte. Scarlatti befand sich von ungefähr neben ihm, und versicherte es könne kein anderer sein als der berühmte Sachse, oder der Teufel. Hierdurch entdeckt, wurde ihm hart zugesetzt doch eine Oper zu componiren. Es schien aber bei solchem Unternehmen ebenso wenig Ehre als Gewinn[187] zu sein, so daß er ungern daran wollte. Endlich willigte er doch ein, und in drei Wochen brachte er dann seine Agrippina zu Papier, die 27mal nacheinander aufgeführt wurde und zwar in einem Theater welches eine geraume Zeit vorher verschlossen gestanden hatte, da indessen noch zwei andere Opernhäuser zu gleicher Zeit offen waren, in deren einem Gasparini, in dem andern aber Lotti den Vorsitz führte.«32 Hier ist die echte Ueberlieferung unter Irrthümern, wie sie die mündliche Erzählung großzuziehen pflegt, fast ganz erstickt. Der Vorfall auf der Maskerade ist nicht in Abrede zu stellen, wenigstens muß einmal etwas ähnliches vorgekommen sein, denn das einzig Neue was Dreyhaupt nach mündlicher Erzählung der Händel'schen Verwandten dem Lexicon hinzuzufügen weiß, ist merkwürdigerweise dieses, daß er »auf seiner Reise in Italien wegen seiner grossen Fertigkeit und Manieren im Spielen des Claviers selbst von denen Italiänern sehr bewundert, ja von einigen Abergläubigen solches geheimen Teuffelskünsten zugeschrieben worden.«33 Das ist 1755 geschrieben, also unabhängig von Mainwaring und als Händel noch lebte. Dagegen zwingen uns sichere Thatsachen, Mainwaring's Bericht über die Theater und über die Entstehung der Agrippina fast ganz preis zu geben. Venedig hatte schon seit 1640 drei und mehr stehende Theater, mitunter reichte ein halbes Dutzend nicht aus. Theatralischen Vergnügungen wird hier nicht bloß an sich, sondern auch als Ersatz für die fehlenden ländlichen Erfrischungen mit einem wahren Heißhunger nachgegangen. Die Häuser führten von Anfang an die Namen der Heiligen: man ging zum heil. Johann und Paul, zum h. Salvator, zum h. Moses, zu den h. Engeln, und so weiter. Händel setzte sein Stück für das Theater St. Johannes Chrysostomos. Dieses bestand seit 1678 und hatte seither einige funfzig neue Opern aufgeführt, war auch keineswegs in den vorausgehenden Jahren, sondern erst später von 1715–16 verschlossen; es gehörte zu den angesehensten Häusern. Carl Franz Polarolo setzte seine 40 Opern größtentheils für dieses Theater. Franz Gasparini hatte bis dahin 16 Opern zuwege gebracht und zwar für S. Cassiano,[188] führte also dort den Vorsitz. Aber Antonio Lotti war an keine feste Werkstätte gebunden, in den letzten Jahren hatte er abwechselnd mit A. Scarlatti und Caldara eben für den h. Chrysostomos gearbeitet und fuhr fort bis ihn Vinci Porpora Hasse u. A. ablösten; in dieser ganzen Zeit war das genannte Theater unbestritten der vornehmste Schauplatz. Die berühmtesten unter den lebenden Componisten waren hier Händel's unmittelbare Vorgänger. Vielleicht war es Lotti selber der ihn einführte; Signora Vittoria wenigstens war diesem und seiner als Sängerin sehr gepriesenen Gemahlin Santa Stella wohlbekannt.


Agrippina. 1708.

Was mich nun bald veranlaßt hätte, Composition und Aufführung der Agrippina volle zwei Jahre später zu setzen und so Händel's italienischen Reiseweg geradezu umzukehren, war die trockene Angabe im Catalog der venetianischen Musikdramen: »Anno 1710 im Winter Agrippina, die 441ste Oper in Venedig; auf dem Theater S. Joh. Chrysostomos, die 56ste Oper dieses Theaters; der Text von einem Ungenannten; die Musik von Georg Fe. Hendel, sein erstes Werk für das genannte Theater. Dieses Drama wie auch der Elmiro König von Corinth und der Horazio sind mehr als zwanzig Jahre lang auf derselben Bühne gegeben und rühmen sich ihres gemeinsamen Ursprunges aus einer erhabenen Quelle.«34 Sollte es nicht am natürlichsten sein diese fonte sublime nach dem florentinischen Hofe zurückzuleiten? Dann könnte Händel den Text schon mitgebracht haben. So sehr nun auch die weiteren Nachrichten des Catalogs ein quellenmäßiges Ansehen tragen, muß hier dennoch ein Irrthum obwalten; der ungenannte Verfasser wird über das Werk[189] nicht genauer unterrichtet sein, als über die Person, indem er Händel zu einem gebornen Engländer macht.35 Hiernach sagt denn Quadrio ganz treuherzig-lakonisch: »Hendel, ein Engländer, blühte um 1710.«36 Die einstimmige Annahme, Händel sei von Florenz nun erst nach Venedig gegangen, wird durch die Untersuchung seiner Werke zur Gewißheit erhoben. Das Oratorium Resurrezione, welches im April 1708 in Rom entstand, enthält einige Sätze die mit denen in der Agrippina übereinkommen; eine genaue Vergleichung ergiebt, daß sie aus dieser beliebt gewordenen Oper entlehnt wurden, daß also die Agrippina früher vorhanden war. Weiter unten bei den betreffenden Stücken wollen wir uns die Beweise davon einzeln näher bringen. Diese Beweise sind zwar innerlicher Art und zum Theil unscheinbar, aber für den, der sich einmal in Händel's Werke hineingefunden hat, ganz sicher. In chronologischer Beziehung haben wir es also nicht groß zu beklagen, daß die von der Originalpartitur erhaltenen Bruchstücke nirgends mit einem Datum versehen sind. Gelangte die Agrippina Anfangs 1708 zur Aufführung, so erklärt es sich auch sehr gut, wie die Hamburger genügende Veranlassung zu haben glaubten schon einige Wochen nachher »dem anitzo in Italien so hochbeliebten und berühmten Mons. Hendeln« (S. 140) ein Compliment zu machen. Was in einem Theater zu Venedig Lärm machte, fand bei ihnen seinen unmittelbaren und starken Wiederhall, da der Gänsemarkt bei den jedesmaligen neuen Werken, die in Venedig die Probe bestanden, lebhaft interessirt war; dagegen wurden sie von den musikalischen Ereignissen in Florenz Rom und Neapel nur selten und sehr verspätet etwas gewahr. Die Hamb. Zeitungen dieser Jahre sind voll von Neuigkeiten aus Venedig und arm an Nachrichten aus andern italienischen Städten. Bei der Agrippina sehen wir wieder, daß mit Händel's italienischen Werken, den großen wie den kleinen, noch alles im Argen liegt. Von Hawkins war nichts zu erwarten, da er kein selbständiges Urtheil hatte; er hat in seinem weitschichtigen Sammelwerke die ganze italienische Tour Händel's[190] kaum mit einer Seite und die wichtigsten Werke kaum mit einer Zeile bedacht. Aber wundern muß man sich, wenn sogar Burney, der die Originale in Händen hatte und doch Musik lesen konnte, auch nicht ohne geschichtliche Einsicht war, über diese Cantaten Opern Schäferspiele und Oratorien fast nichts zu sagen weiß. Bei seiner bekannten Eilfertigkeit bemerkte er nicht einmal die abweichende Angabe des venetianischen Chronisten, sondern setzte die Agrippina immer ohne weiteres in das Jahr 1709.37 Der Irrthum des Chronisten erklärt sich wohl sehr einfach. Die Oper war noch auf dem Theater, als er sein Verzeichniß zum Druck brachte, und weil das älteste Textbuch, welches er davon auffinden konnte, aus dem Jahre 1710 stammte, so betrachtete er dieses als das erste. Mattheson und Marpurg beriefen sich auf ihn und brachten dadurch diese Zeitangabe in die deutschen Musikbücher, wie Burney und Arnold das Jahr 1709 in die englischen.

Händel gewann mit seinem Werke den andern Componisten in diesem Jahre den Vorsprung ab, schon mit der Ouvertüre. Eine solche Eingangs-Musik mußte den Zuhörern ganz neu sein, sie waren durch die inländischen Tonsetzer an eine gelindere Art gewöhnt; aber diese vollen Klänge waren trotz der kunstvollen Arbeit ebenso verständlich als ergreifend. Die Form ist die bekannte: der anhebende langsame Satz geräth unvermerkt in's Allegro, und in den letzten Takten klingen die ersten wieder. Zwang ist nirgends, überall Leben und freie Bewegung. Der fugirte Mittelsatz von achtzig Takten ist eigenthümlich. Mattheson sagt: als die Agrippina »8 Jahr hernach das hamburgische Theater zierte«, vermeinte man darin »nicht unbillig verschiedene den Originalien gäntzlich ähnliche Nachahmungen aus Porsenna etc. wahrzunehmen.«38 Die Oper Porsenna ist von Mattheson 1702 componirt als Händel noch nicht in Hamburg war; weil sie nun verschollen und von der undankbaren Welt nebst seinen übrigen Meisterwerken schier vergessen ist, läßt sich nichts darüber sagen. Doch nicht umsonst, obwohl äußerst schweigsam, rückte Mattheson aus einer andern Oper von seiner Composition, aus der Ouvertüre[191] zur Cleopatra, einige Takte in den Vollk. Capellmeister, angeblich um zu zeigen, daß man selbst in theatralischen, in »galanten« Werken Doppelfugen mit drei Subjecten ohne Pedanterie anbringen könne.39 Das Beispiel enthält das Fugenthema der Agrippina, auch die Tonart (Gmoll) stimmt überein. Dieses hätte Händel also aus einer Oper geborgt die fünf Jahre vor der Agrippina erschien und ihm wegen der Schlägerei wohl sobald nicht aus dem Gedächtniß kam. Vielleicht ist es so; doch steht uns auch noch frei, das Thema für einen derjenigen »Contrapunktsgriffe« zu halten, die Mattheson dem Händel abguckte. Die Fugenarbeit an sich hat Händel natürlich nie abschreiben wollen, da er in kürzerer Zeit etwas weit besseres machen konnte; der Ausdruck »den Originalien gäntzlich ähnliche Nachbildungen« ist also wieder Aufschneiderei. Hätte Mattheson sein Beispiel nur weiter bis zur Cadenz und bis zum Tonwechsel mitgetheilt, so würde der Unterschied noch mehr in die Augen fallen; doch soviel sieht man schon jetzt, daß Händel mit den Tönen spielt und schäkert wo es dem Hamburger »arbeitsam vorkömmt.« Bei Händel ist es das Tonleben, das scheinbar ungebunden, doch nach inneren Gesetzen, hier diese dort jene Gestalt annimmt, bei Mattheson die Schulregel an deren Schnur sich die Notenköpfe heften; jener musicirt, dieser contrapunktirt. Mattheson hebt sein Fugenthema im Grundton an:


1. Italien

Händel wirst es herum, macht den Führer zum Gefährten und umgekehrt:


1. Italien

[192] beginnt so höchst originell in einem Ton der als Grundton der Quinte (d-a) selber als Quinte auf einen andern Grundton (d-g), hinweist. Der Eintritt erhält dadurch etwas Packendes, der Strom der Harmonie wird in ein anderes Bette geleitet, in die neue Tonart gleichsam hineingerissen. Auch hebt er das Thema in die Höhe, damit es besser zu Wort kommen und die in ihm beschlossene Kraft zu Klang und Lärm bethätigen kann. Der Gefährte hat die volle Länge, der Führer wird vor der Zeit abgebrochen. Händel will hier, wie so oft in seinen Ouvertüren, mit der Fuge nur scherzen. Im Verlaufe erscheinen allerlei Zwischengedanken, an denen es ihm nie fehlt wenn er recht aufgeräumt ist; die Wiederschläge werden ganz frei hier und dort hin geworfen. Das Ganze fliegt nur so vorüber. Mainwaring wird bei dieser Gelegenheit gelehrt. Händel's italienische und andere jugendliche Compositionen, sagt er, würden ohne Zweifel viel Seltenes aufweisen »wenn sie jetzt noch zu erhalten wären. Die Liebhaber der Kunst würden sie schier mit eben der Ehrerbietung ansehen, welche die Gelehrten den köstlichen Ueberbleibseln eines Livius eines Cäsar und eines Tacitus zollen. Die geringen Fragmente derjenigen Stücke, die uns zu Händen gekommen sind, haben in der That nur gedient den Verlust des übrigen schmerzlich beklagen zu lassen. Und wenn wir dem Leser berichten, daß die zwei ersten Absätze (Movements) von Händel's siebenter Suite in dem ersten Bande seiner Clavierstücke vormals als Ouvertüre in seiner berühmten Agrippina gestanden sind, so wird er weniger über die ausschweifende Bewunderung der venetianischen Zuhörer erstaunen, als über dieses Erzeugniß seines Genies bevor er noch völlig neunzehn Jahre alt war.«40 Händel entlehnte für die 1720 gedruckte Suite keineswegs zwei ganze Sätze, sondern nur den Uebergang von dem einen zum andern, sicherlich wegen des besprochenen Fugeneintrittes:


1. Italien

[193] Alles Uebrige enthält hin und wieder bloße Anklänge, obwohl nicht zu bezweifeln ist, daß dieses Clavierstück – er nennt es ebenfalls Ouvertüre – im Hinblick auf die Ouvertüre zur Agrippina entstand.

Die Oper behandelt römische Hofgeschichten und namentlich das Bestreben der Agrippina ihrem Sohne Nero die Krone zu verschaffen. Claudius, der Gemahl, ist in's Feld gezogen. Ein Brief benachrichtigt sie daß er im Seesturm umkam, sie läßt den Nero zu sich rufen. Hiermit beginnt die Handlung. Nero erfährt ihre Anschläge, ist sehr glücklich und bedankt sich in einer wohlklingenden Arie. Er solle durch. Wohlthun das Volk sich geneigt machen, sie wolle die Hofschranzen Pallantes und Narcissus gewinnen, dann sei ihnen der Thron gewiß. Pallantes wird durch verstellte Liebesseufzer soweit gebracht, daß er der Kaiserin seine leidenschaftliche Zuneigung allerunterthänigst zu gestehen wagt, und damit ist er gefangen. Bei rechter Werbung für Nero soll er alles hoffen können; er singt: »heute steigt mein glückliches Schicksal von den Sternen zu mir herab (La mia sorte fortunata,)« in Tönen die wir unverändert im Jephtha als Preisgesang auf Frieden und Freiheit (Freedom now once more possessing) wiederfinden und deren Hauptmotiv schon S. 179 mitgetheilt ist. Dieses Lied für Baß oder Bariton steht zu der voraufgegangenen. Sopranarie des Nero auch hinsichtlich der Composition im Gegensatze: während jene einfach melodisch und dünn instrumentirt dahinglitt, haben wir hier eine interessante, harmonisch kunstreiche Arbeit abwechselnd im einfachen und doppelten Contrapunkt. Die Fortbewegung liegt aber nur zum Theil in der Melodie, größtentheils in der Harmonie, in den Accorden; der Gesang wird nicht geradezu unterdrückt, aber er herrscht auch nicht. Die Arie »Lusinghiera mia speranza« ist ähnlich geformt, und so findet es sich in seinen frühesten Werken nicht selten, daß die Melodie abgeht wenn der Contrapunkt auftritt, und umgekehrt. Von der Einseitigkeit und Unvollkommenheit, die darin liegt, hatte Niemand ein richtigeres Gefühl, als Händel selber; denn nicht unbedacht erklärte er später diejenigen seiner Arien für die vollendetsten, in denen contrapunktisch-harmonische[194] Reise mit einer vollen gesangmäßigen Melodie vermählt ist. Solche denkbar höchste Leistungen dieser Kunstgattung muß man in der Agrippina noch nicht suchen; was sie auszeichnet, ist die Fülle schöner, fast volksthümlich einfacher Melodien. Gleich das folgende liefert uns die besten Beweise. Als Narciß von der Kaiserin auf ähnliche Weise in's Netz gezogen wird, singt und sagt er: Auf Flügeln der Liebe, meine Schöne, will ich eilen deine Befehle auszurichten (Volo pronto e lieto). Dies war die erste Melodie welche die Zuhörer in Aufregung brachte. Die Flöten, von denen die Violinen in Octaven begleitet werden, erhöhen noch die Süßigkeit des Gesanges. Das Stück hatte sich in Händel's Erinnerung so festgesetzt, daß er drei Jahre nachher bei der ersten Arie des Rinald gleichsam unwillkürlich darauf verfiel und bei einer sonst ganz abweichenden Sangweise in das Vorspiel drei Takte einflocht, eben diejenigen von deren Kraft die Geister munter zu machen er sich überzeugt hatte. Die Melodie ist auch in der Agrippina kein Original mehr. Sie entsprang ihm zuerst in der Cantate Lungi da me zu den Worten »Tirsi amato adorato mio Nume«, er brachte sie also von Florenz mit. Aber die Umgestaltung ist ebenso bedeutend, als diejenige welche er später zum zweiten Male damit vornahm. In seinen allerletzten Lebensjahren nämlich, als schon alle seine Werke geschaffen waren, warf er noch einmal sein Auge auf diese Melodie, und nun mußte sie mit einem Texte, der ihrem Wesen erst recht entsprach, in das englische Oratorium Sieg der Zeit und Wahrheit (1757) wandern. Dieselben Töne, die früher im Munde eines Liebenden Verehrung und freudige Willigkeit aussprachen, fordern uns hier auf Zephyrs Wonnen ohne Rückhalt zu genießen (Pleasure's gentle zephyrs playing). Der zweite Theil des Liedes ist gänzlich umgearbeitet, in allen Stücken verbessert; er verschwimmt nicht mehr so mit dem Haupttheil wie früher, ist selbständiger reicher und schöner geworden. Auf solche Weise übermalte Händel den alten Entwurf und machte daraus diese wunderschöne Sommerlandschaft.

Als der Kaiserin der erste Schritt geglückt ist, stimmt sie in froher Hoffnung des Gelingens jenen Gesang an, der ihren Charakter, Muth und Uebermuth, so vortrefflich ausdrückt und der bald weit und breit berühmt wurde:


1. Italien

[195] Händel hat wiederholt davon Gebrauch gemacht; schon nach einigen Wochen in einem Chor des römischen Oratoriums Resurrezione:


1. Italien

darauf im Rinald:


1. Italien

an beiden Orten, wie man sieht, nur als Vorbild dessen Wirkung mit möglichst abweichenden Tönen auf's neue erreicht werden sollte; endlich im Josua (1747):


1. Italien

und hier in engem Anschlusse an die ursprüngliche Melodie. Es läßt sich wiederholt beobachten, daß Händel in der Nachbildung eines beliebt gewordenen Gesanges zuerst mehr oder weniger abschweift, endlich jedoch mit den gewonnenen reicheren Mitteln auf die frühere Grundform treu zurückgeht und dann erst ihren Gehalt völlig erschöpft.[196] Die Umbildung erstreckt sich hier überall noch weiter, als bei der vorausgegangenen Arie. Schon die Aenderung der ersten Zeile ist lehrreich. Als Händel die Agrippina schrieb, war er zwar voll von schönen Gedanken, aber das Gefühl für die Formgebung bildete sich erst nach und nach zu der Sicherheit aus, die wir an seinen reisen Werken bewundern. In dieser Hinsicht muß man das zweite und dritte Beispiel schon für Fortschritt halten, obwohl die Melodie der Agrippina an sich weit schöner ist. Mit der Unsicherheit in der Form hängt ein anderer Umstand eng zusammen. Gute musikalische Gedanken fassen und sie zu einem ganzen Tonstücke ausbreiten, ist zweierlei; ersteres pflegt begabten Musikern in ihrer Jugendzeit ebenso leicht, als letzteres schwer, ja unmöglich zu sein. Auch dem Händel erging es nicht anders, auch er vermochte bei all' seiner musikalischen Uebermacht nicht zu haschen, was nur das Ergebniß andauernder Arbeit, das Erzeugniß männlicher Jahre sein kann. Daher sehen wir in vielen Arien der Agrippina und anderswo nach dem ersten glücklichen Anlaufe plötzlich Stillstand eintreten oder die Melodie auf Nebenwegen unsicher umherfahren; zwischen die herrlichste Musik drängt sich Anderes, das trocken, weniger gehaltvoll und dem Ganzen nicht zugehörig erscheint. Als Händel die Arie L'alma mia für den Josua wieder hervorzog, war es ihm ein Leichtes, alles Ungehörige auszuscheiden, den Grundgedanken vollständig zu entfalten, Schönheit und Ebenmaaß im Ganzen wie in allen Theilen herzustellen, und so einen seiner gehaltvollsten Gesänge daraus zu bilden. Der Urgedanke dieser Melodie gehört nicht ihm, sondern einem Römer der lange vor ihm lebte, dem Cantaten- und Operncomponisten Marc' Antonio Cesti (um 1660), Carissimi's talentvollstem Schüler; er steckt in einem kleinen unschuldigen Duett dem ich hier eine Stelle gönne:


1. Italien

1. Italien

1. Italien

1. Italien

1. Italien

1. Italien

1. Italien

1. Italien

[198] Nur den Hauptgedanken hat Händel aufgegriffen. Es ist aber zu bezweifeln, daß er hier aus erster Quelle schöpfte. In einer gedruckten Sammlung der schönsten Arien von Al. Scarlatti finde ich dieselbe Melodie mit demselben Texte und noch einem zweiten41:


1. Italien

1. Italien

1. Italien

[199] Oder liegt vielleicht ein älteres italienisches Lied zu Grunde? Wäre Scarlatti's Arie nur etwas mehr als die bloße Oberstimme von Cesti's Duett, so würde solche Vermuthung einen besseren Anhalt gewinnen. Immerhin kann Händel mit dem Gesange irgendwo auf der Bühne oder auf der Straße zuerst Bekanntschaft gemacht haben. Er hebt die Melodie ganz ohne Baß an, von der Oboe im Einklange begleitet: schon durch diesen Eingang wird selbst das anders, was Note für Note mit Cesti übereinstimmt, und wir sehen wie sich aus einer frischen, doch ohne sonderliche Bedeutung abgesungenen Melodie unter seinen Händen ein meisterliches Charakterstück gestaltet.

Nero spielt seine Rolle als ein wohlgerathener Sohn, so daß er in kurzer Zeit sammt der trefflichen Mutter den Thron besteigen kann. Dabei erscheint ein kunstvoll angelegtes aber nicht ausgeführtes Quartett. Zum Unglück ist Claudius durch den Feldherrn Otto noch lebendig aus den Wellen gezogen, und kommt zurück in der Absicht den Otto zum Mitregenten zu erheben. Aber weil Claudius gutmüthig ist und Otto die Poppea mehr liebt, als die Krone, ist noch nicht alles verloren. Daß Agrippina sich Otto's Vertrauen erschmeicheln kann, kommt ihr sehr zu statten, und nicht minder, daß Claudius ebenfalls der Poppea brünstige Aufwartungen macht. An diesen Dingen spinnt sich die Handlung ab. Es geht unserer Oper nicht besser, als den andern aus damaliger Zeit; sobald sie an einen gewissen Punkt, an die Liebelei, gekommen sind, verlaufen sie alle in[200] derselben Weise. Man kann nicht mehr und nichts besseres darüber sagen, als daß der Stoff theatralisch angelegt ist und jeder Act eine große Scene hat.

Die nächste Arie der Agrippina ist ebenfalls sehr merkwürdig. Als sich wieder bessere Aussichten zeigen, singt sie: Ich fühle in meinen Schmerzen eine Regung zur Freude, aber das Herz, so zur Furcht gewöhnt, kann diese Wandlung nicht fassen und hält sie für Betrug der Gedanken. Die Melodie ist nicht bloß stellenweise, sondern durchweg ohne Grundbaß mit Violinen im Einklange, also ganz und gar Unisonogesang. Ihre große Popularität ist mehrfach bezeugt. Englische Kunstfreunde, die bei der Vorstellung gegenwärtig waren, brachten sie in Abschrift mit zu Hause und steckten sie mit demselben Texte in die nächste Londoner italienische Oper. Es war die Oper Pyrrhus von Al. Scarlatti, in die sie ohne Händel's Namen einging. Pyrrhus, 1694 für Neapel geschrieben, wurde nach Burney zuerst am 14. Dec. 1708 in London gegeben42; daraus folgt natürlich, daß Händel's Oper schon in der oben angenommenen Zeit entstanden sein muß. Schon mehrere Monate vorher hatte Händel sie mit Haut und Haaren in das Oratorium Resurrezione gebracht. Der Anfang lautet an beiden Orten:


1. Italien

Aus dem Pyrrhus ging sie bald ganz in's Englische über. In einem großen Sammelbande gedruckter Arien aus dieser Zeit fand ich ein Lied, überschrieben »Conjugal Love, made on a Man of Quality and his Lady to an air in Pyrrhus«43:


1. Italien

[201] Es sind die ersten Töne welche von Händel nach England drangen, und so sonderbar auch die Uebertragung ist, sieht man doch wie sie hier gleich Wurzel schlugen. Die Vermuthung, daß die Arie garnicht von Händel, daß sie wohl von Scarlatti sei, ist unstatthaft; denn Händel bildete um, was er entlehnte, dieses Lied ist aber überall dasselbe geblieben. Durch seine Aufnahme in das römische Oratorium ist seine Urheberschaft noch mehr bekräftigt. Alessandro Scarlatti war in Rom, als das Oratorium Resurrezione entstand und sein Sohn Domenico, wahrscheinlich auch er selber, bei Aufführung der Agrippina in Venedig anwesend. Wie konnte Händel es wagen in zwei unmittelbar nach einander entstandenen Werken eine Arie vorzuführen, die dieser berühmteste aller lebenden italienischen Meister genau so gesetzt hatte? Nimmer würde er sich ein solches Armuthszeugniß ausgestellt haben. Die Herübernahme in die Auferstehung ist wahrscheinlich Nebenursachen zuzuschreiben, nicht Händel's freiem Entschlusse. Die römischen Cardinäle, denke ich mir, wünschten Einiges aus der Oper zu hören, die so viel von sich reden machte und die ihnen wegen des Verbotes aller Opern in Rom nicht ganz vorgeführt werden durfte; man nahm nun besonders diese Arie auf, weil die Worte, das eingeschüchterte und durch Leiden gebeugte Herz könne an die Regung zur Freude noch nicht glauben, im Munde der Maria Magdalena da, wo sie ihres Heilandes Auferstehung vernimmt, einen volleren Sinn haben, als in dem der Agrippina. Sonst gehört diese Entlehnung eben nicht zu denen, derentwegen Händel zu preisen ist. Sie mag uns ein Fingerzeig sein, daß der Styl der damaligen Oratorien von dem der Opern wenig verschieden war. Der Mitteltheil des Gesanges weicht um ein Geringes ab:


1. Italien

1. Italien

[202] Hier wird man schon auf den ersten Blick die letztere Version als die richtigere erkennen, sie ist namentlich für Gesang, aber auch schon der bloßen Symmetrie wegen besser. Von den sonstigen kleinen Varianten gilt dasselbe. In der Agrippina steht an mehreren Stellen 1. Italien, im Oratorium mit Rücksicht auf den Sänger 1. Italien. Der ganze Satz geht einstimmig, unisono oder in Octaven, nur im drittletzten Takte des Ritornells schreitet er in der Agrippina zwei Töne zweistimmig fort; in der Auferstehung läßt Händel die Oberstimme pausiren um die Einstimmigkeit folgerecht durchführen zu können, was ebenfalls Correctur ist. Sodann fehlt der Agrippina das kleine vollstimmige Nachspiel mit dem im Oratorium das Lied beschlossen wird und durch welches, indem die Hauptgedanken der Melodie in volle Harmonie verflochten noch einmal wiederklingen, einem fühlbaren Bedürfniß der Zuhörer Genüge geschieht. Hierin hätten wir denn einige innere und, wie mir scheint, unumstößliche Beweise für das Vorhandensein der Agrippina vor Ostern 1708. Es giebt deren noch mehrere. Claudius' Prahlerei von Roms Siegen (Cade il mondo) benutzt in der Auferstehung Lucifer um ähnliche hochfahrende Gedanken auszudrücken (Caddi e ver), einen Ton erhöht und verbessert. Dasselbe Motiv erscheint späterhin noch öfter bei Händel. Auch einen Gesang des Pallantes(Col raggio placido della speranza) eignet sich der Teufel zu (O voi del' Erebo), und noch vortheilhafter als den vorigen. Was Pallantes in der angenehmen Hoffnung belohnter Treue absingt, dient später zu einer geharnischten Drohung und lärmenden[203] Raserei; die Umarbeitung unterscheidet sich von dem Original durch Kürze und treffende Charakteristik.

Die Hauptgegensätze in der Oper, um die sich alles andere bewegt, sind Agrippina und Poppea. Alles was die Kaiserin singt, hat einen stolzen hochfahrenden Ton, selbst das anscheinend Zärtliche ist nicht ohne Heroismus; dagegen weiß Poppea auch bei größter Aufregung den leichten Gang zu bewahren, so daß die Töne mehr perlen als rasen. Die einheitliche Zeichnung dieser Charaktere, von der wesentlich das Verständniß und die Wirkung des Stückes abhängt, ist bewundernswerth. Poppea schenkt dem Otto Gegenliebe, doch neckisch und nicht ohne Ziererei. Die Scene im zweiten Acte, wo Otto durch geschickt angebrachte Verläumdungen öffentlich in Ungnade fällt und von Allen verlassen wird, ist die beste. Auch die Geliebte, die ihn nach Agrippina's Einflüsterungen treulos glaubt, weist ihn mit einer Tanzarie aus Rodrigo von sich:


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wobei der Hohn um so schärfer trifft, je lebhafter die schöne Melodie dahinfließt. Hier steckt noch eine Feinheit. Unmittelbar vorher hatte Agrippina den Otto in einem solchen Tanzliede verhöhnt; nun greift die von ihr verleitete Poppea diesen Ton auf, folgt ihr also auch hierin fast willenlos und zeigt dadurch die Unselbständigkeit ihres Zornes. Was Claudius seiner Angebeteten vorsingt (Pur ritorno), stammt aus der florentinischen Cantate Filli adorata, ist aber im Gesange so ganz anders geworden, daß der Fremdling nur an der unverändert beibehaltenen Hauptfigur des Basses zu erkennen war.

Außer den schon genannten sind noch mehrere hervorragende Sätze in spätere Werke eingegangen. Dahin gehört zunächst die reizende Arie der Poppea von dem Liebesfeuer welches in's Herz dringt daß man nicht weiß wie – »E un foco quel d'Amore«44 –, in der sich ihre volle Grazie und Schalkheit offenbart. Er hat den[204] Satz für eine seiner größten Cantaten, Fillide e Aminta die in Rom oder Neapel entstand, mit denselben Worten wieder benutzt. Zwei andere Arien nahmen in dem englischen Oratorium Zeit und Wahrheit Platz, wovon bald weiter die Rede sein wird. Der erste Gesang des dritten Actes (Tacerò) gehörte später als »Great in wisdom great in glory« zu denen, die nach Umständen in die Oratorien gelegt wurden45; die Umbildung erstreckt sich hier wieder über den ganzen Satz. Die charakteristische Eigenthümlichkeit dieser Composition, der auf- und absteigende Grundbaß


1. Italien

erinnert an einen Lieblingsgang des R. Keiser und mag denen beizuzählen sein, die man nach Matthe son's Zeugniß als hamburgisches Eigenthum ansah. Uebrigens ist es merkwürdig, daß sich unter Händel's italienischen Tonwerken fast gar keine Anklänge an Keiser'sche Melodien finden, soviel ich auch danach gesucht habe. Bei Vorführung der Agrippina auf dem dortigen Theater (1718) fanden mehrere Veränderungen statt, besonders im letzten Act. Die Arien, die den Sängern nicht anstanden, wurden durch andere ersetzt; auch ein Hauptlied der Poppea (Bel piacere), in welchem sie sich nach endlicher Verständigung mit Otto auf's neue in Liebesscherzen einläßt, fiel hinweg, weil die Hamburger den Rinald, wo Händel es zu denselben Worten um einen Ton erhöht beibehielt, schon vor der Agrippina auf's Theater gebracht hatten. Der dreiste Wechsel des zwei- und dreitheiligen Taktes, der durch den ganzen Satz geht und zu Anfang sich so gestaltet:


1. Italien

verleiht diesem sehr beliebt gewordenen Liede eine hervorstechende Originalität. Mit der letzten und sehr schönen Arie (Se vuoi pace)[205] umschmeichelt Agrippina den liebwerthen Gemahl, doch nicht dem Hasse Raum zu geben wenn er sich des gewünschten Friedens erfreuen wolle, und hilft so den allgemein ersehnten Ausgang herbeiführen. Nach vielen Jahren hat Händel sie noch einmal behandelt und ihr dann erst, in breiterer Ausbildung und vollerer Instrumentation, ihren rechten Schmuck angelegt. So kam sie zu Worten, die auf die nie betrügliche göttliche Weisheit hinzeigen (Wise men flatt'ring), als Einlage in den Judas Makkabäus. In dieser Fassung ist sie eine von Händel's letzten Arbeiten.

Bei mehreren Sätzen der Agrippina waren frühere Quellen nachzuweisen, und sie selber ist dann nach und nach für so manchen späteren Tonsatz die erste Quelle geworden. Durch die ausgedehnte Entlehnung hat Händel deutlich zu verstehen gegeben, von welchem Gesichtspunkte aus die Oper am richtigsten zu würdigen ist. Als Gesammtwerk hatte sie in seinen Augen wenig oder nichts zu bedeuten, sonst würde er sie später nicht aufgelöst, sondern umgebildet haben; aber er blickte darauf als auf eine Fundgrube der frischesten und eigenthümlichsten, wenn auch noch der vollen Gestaltung harrenden Tongedanken. Hierin besteht ihr Werth und ihr Unwerth. Das ganze Werk bleibt ein Meisterstück, obwohl eigentlich kein bleibend Ganzes da ist und kein einziger Satz für meisterhaft oder untadelig d.h. in Händel's Sinne für unverbesserlich ausgegeben werden kann. Die Meisterschaft offenbart sich hier in der Hervorbringung der Melodien, nicht in der Gestaltung und allseitig reisen Durchbildung der Tonsätze. Daß dieses eine gewisse Einseitigkeit bedingt, liegt auf der Hand: die Melodie wirkt so wie sie zur Welt gekommen ist, ihr fehlt das Gegengewicht, von Instrumentation läßt sich kaum reden; hierin werden uns die römischen Stücke bald einen bedeutenden Fortschritt zeigen. Zwar soll Händel nach Mainwaring's unsicherem Vorgeben, aus dem bald darauf eine landläufige Meinung ward, mehrere Blaseinstrumente, namentlich die Waldhörner, durch Anwendung in seiner Agrippina bei den Italienern eingeführt haben46; aber die Hörner erscheinen bei ihm erst viel später und nirgends in den auf[206] der italienischen Reise entstandenen Compositionen. Dergleichen Einführungen sind zwar an sich keine Heldenthaten, doch von einem Ausländer der an dem betreffenden Orte nur wenige Wochen rastet, gewiß nicht leicht zu bewerkstelligen. Dennoch ist auch diese Angabe nicht ohne geschichtlichen Halt; sie ist nur, wie so oft bei diesem ersten Biographen, ein ungegründeter Ausdruck eines wohlbegründeten Verdienstes. Schon Händel's damalige Musik, besonders die in Rom entstandene, hat etwas dazu beigetragen den Blaseinstrumenten auf der italienischen Bühne ein volleres Bürgerrecht zu verschaffen. Man duldete sie hier ungern im Sologesange, weil sie ihn leicht bedeckten und der zarten Cantilene wie den so sehr verfeinerten Violinen gegenüber oft Mißklänge verursachten. Selbst Scarlatti, der sonst doch allerlei Neues wagte, konnte sich sein lebelang nie recht damit befreunden; noch 1725 als sein Schüler Hasse ihm den jungen Flötisten Quanz zuführen wollte, wehrte er ab: »Mein Sohn, ihr wisset, daß ich die blasenden Instrumentisten nicht leiden kann, denn sie blasen alle falsch.«47 In Hamburg blies man schon seit geraumer Zeit recht wacker dazwischen, auch Bononcini lernte es in Deutschland; doch hing die Vervollkommnung dieses Theils des Orchesters zunächst ab von dem Aufkommen großer Virtuosen auf Blaseinstrumenten, und Händel's Verdienst ist es, das so zubereitete Material in seinen folgenden, namentlich in den seit 1720 gesetzten Opern zuerst für die Bühne allgemeingültig verwerthet zu haben.

Eine Oper wie Agrippina war ganz geeignet den ausschweifendsten Beifall hervorzurufen. Wer mit einem solchen Ausbund jugendlicher Melodien, in denen sich Schönheit und Wahrheit die Hand reichen und die bei leichtester Faßlichkeit durch ungewöhnlich hohen Aufschwung überraschen, aufgezogen kommt, kann aller Orten auf Beistimmung rechnen, wievielmehr in Italien, wo kein Feuer schneller zündet als das musikalische und wo kühles Lob ein unbekanntes Ding ist! »Die Zuhörer wurden von dieser Aufführung so bezaubert«, sagt Mainwaring, »daß ein Fremder sie nach der Art wie sie gerührt waren alle mit einander für wahnsinnig gehalten haben würde. Bei jeder kleinen Pause ertönte das Theater vom Jauchzen,[207] von dem Ruf Viva il caro Sassone! und andern Ausdrücken ihres Beifalls die zu extravagant sind als daß man sie nennen möchte. Sie waren durch die Größe und Hoheit seines Styls gleichsam wie vom Donner gerührt: denn nimmer vorher hatten sie alle Kräfte der Harmonie und Melodie so dicht geordnet und so gewaltig verbunden gehört. Diese Oper zog die besten Sänger und Sängerinnen von den andern Häusern an sich.«48 Hinsichtlich der Verbindung voller Harmonie und Melodie hat Mainwaring zwar zu sehr Vorstellungen einer späteren Zeit auf diese Oper übertragen, doch für italienische Ohren war schon in der Agrippina ein Vollklang, der ihnen überraschend neu sein mußte. Ein gutes Geschick fügte es, daß sich unter den anwesenden fremden Zuhörern der Prinz Ernst August von Hannover befand. Die Venetianer erzeigten ihm große Ehre, wie in einer hamb. Zeitung vom Jahre 1709 steht; die Fürsten des Hauses Braunschweig-Hannover betrachteten sie als alte Wohlthäter, des Prinzen Vater Ernst August war in seiner Vorliebe für Venedigs Opernspiele soweit gegangen, daß er sich in diesem Theater eine stehende Loge miethete, die sein Haus auch nach seinem Tode (1698) bis in die vierziger Jahre des 18. Jahrhunderts zu eigen behielt.49 Die einflußreichsten Hofleute aus Hannover und mehrere vornehme Engländer bildeten des Prinzen Umgebung, so daß Händel mit allen diesen, die seiner Kunst über kurz oder lang eine neue Heimath bereiten sollten, auf die ehrenvollste und ungezwungenste Weise bekannt wurde. Ihrer dringenden Einladung nach Hannover und London wollte er aber erst Gehör geben, nachdem Italien in voller Länge durchwandert war.


5. Rom. März-Juni 1708.


Von dem Glanz des geselligen Lebens, das Händel fast überall in Italien, namentlich aber in Rom und Neapel umgab, kann man sich nach dem was diese Städte heute darbieten schlechterdings keinen Begriff machen. Die Verhältnisse sind so ganz anders geworden, daß nur entfernte Aehnlichkeiten blieben. Zu Händel's Zeit war das[208] gebildete Italien eine einzige große zusammenhängende Gesellschaft, die Jedem, den sie würdig befand auf ihre Fittige zu nehmen, auch dem Fremden, leicht von einem Orte zum andern half und allenthalben eine angenehme glänzende Wohnstatt bereitete. Rom war der Mittelpunkt; und der eigentliche Geist dieser Gesellschaft, der überwiegend der Geist der Zeit war, kam zum Ausdruck in jener Akademie, die 1690 von einigen Poeten Gelehrten und Geistlichen, dem Erzpriester Crescimbeni, dem kaiserl. Poeten Silvio Stampiglia, dem nachherigen vielvermögenden Cardinal Paolucci u. A. zur Pflege der Volkspoesie und der Beredtsamkeit gestiftet wurde, und die sich die Arkadia, ihre Mitglieder arkadische Hirten nannte. In Italien wo sich das gesammte Leben so leicht zu einer wohlgefälligen, wenn auch oberflächlichen Harmonie abrundet, wo das Ernste ebenso leicht ausgelassen heitere, als das Tändelnde feierlich ernste Züge borgt, wußten die Arkadier auch bei den Schäfereien die priesterliche Würde zu bewahren und ungezwungen eine geistliche Wendung zu nehmen; doch ist wahr, daß ihnen der Pastor fido von Guarini einen natürlicheren volleren Stoff darbot, als das Gleichniß Christi vom guten Hirten. So weit die Unnatur eines erträumten Schäferlebens natürlich stehen kann, war es hier der Fall, und ein gewaltiger Abstand namentlich gegen Deutschland wo ähnlich angelegte Dinge zu einer ebenso armseligen als kostspieligen Tändelei ausarteten. Händel gerieth mitten unter diese Schäfer, wir wissen es durch seine eigne Angabe. Schon in den ersten Wochen seines zweiten römischen Aufenthaltes vollendete er das Oratorium Resurrezione, und als er am Ende das Datum hinsetzte, hatte er den glücklichen Einfall seine Wohnung beizufügen: »dal Marche Ruspoli.« Dieser Marchese hieß vorher Graf Francesco Maria Capizucchi; er gehörte zu einer römischen Familie, deren Vermögen zum großen Theile von dem 1691 gestorbenen Cardinal Raimondo Capizucchi herrührte. Schon im. Jahre 1709 wurde er Fürst von Cerveteri. Crescimbeni widmete ihm als solchem 1712 die Geschichte der Arkadier. Sein Schäfername war Olinto. Er war in diesen Tagen unter den weltlichen Großen Roms das, was der Cardinal Pietro Ottoboni unter den geistlichen war.. Auch seine Gemahlin Isabella Cesi Ruspoli (in der Arkadia: Almiride) und eine Gräfin Prudenza Gabbrielli Capizucchi[209] (Elettra), wahrscheinlich seine Schwester, gehörten zu der Akademie. Die Arkadia hatte keinen festen Versammlungsort. Im Anfange stand ihr der Palast der schwedischen Königin Christine, später der anderer Fürsten, auch der des Cardinals Ottoboni zur Verfügung; zu Ende des Jahres 1707 bot Ruspoli ihr seinen reizenden Garten am Monte Esquilino an, und eben mit Händel oder unmittelbar vor ihm waren die Schäfer hier eingezogen. Der Marchese ging in seiner Liebhaberei noch weiter, denn im Jahre 1712 ließ er in der Villa am Colle Aventino für die Versammlungen ein Amphitheater mit allem Zubehör herstellen, und blieb in dieser ganzen Zeit der gepriesene Wohlthäter der Akademie.50 Nach dem Verzeichniß der Arkadier bei Crescimbeni im sechsten Bande muß der Fürst nebst seiner Gemahlin über das Jahr 1730 hinaus gelebt haben; weitere Nachrichten fehlen mir. Zu der glänzenden Schaar, die allein in Rom über 600 und im ganzen Italien gegen 1500 Mitglieder zählte, gehörten ehrenhalber die vier Päpste Clemens XI., Innozenz XIII., Clemens XII. und Benedict XIII. (1700–1730) und alle Cardinäle, die Fürsten von Portugal, Polen und Baiern, die Königin von Polen und die Großherzogin von Florenz, viele italienische Fürsten Grafen und Edle nebst ihren Frauen, besonders aus Neapel, hohe geistliche und weltliche Beamte, Gelehrte und Künstler. An Musikern begegnen wir den italienischen Größen Arcangelo Corelli (Arcomelo), Al. Scarlatti (Terpandro), Bernardo Pasquini (Protico), Abate Andrea Adami (Caricle), Benedetto Marcello (Driante), auch dem Engländer Daniel Lock (Cleomaco), und unter den Poeten unserm Postel (Almone). Händel wurde nicht eingeschrieben, die Aufnahme forderte das zurückgelegte 24. Lebensjahr, und er war eben erst dreiundzwanzig geworden. Er wurde ihnen lieb und nützlich, ohne völlig einer der ihrigen zu werden. War es nicht sein ganzes Leben hindurch so in allen Verhältnissen, in denen er sich bewegte? Aber welche sonderbare Zeit, in der die Fürsten der Kirche Schützer eines Schäferordens waren; in der jeder Gebildete mit dem, welchen er für gewöhnlich als seinen hochgebietenden Herrn anzusehen hatte, zu Zeiten ungezwungen als Compastore verkehren konnte; in der[210] man die Künste nur auf solche Weise zu pflegen, die Gleichheit der Menschen nicht anders vor dem starren Abschluß der Stände sicher zu stellen wußte; in der ein Priester von einer heiligen Handlung ohne weiteres zur Arkadia, und diese selber von Sonnetten und Epigrammen zum Anhören geistlicher Oratorien überging!

Unabhängig von dieser Akademie, obwohl in enger Freundschaft mit ihr, stand die Ottoboni'sche, die sich jeden Montag Abend im Palast des Cardinals versammelte. Die Hauptgegenstände der Unterhaltung waren hier Stegreifdichtung und Musik, letztere unter Corelli's ausgezeichneter Leitung.51 Marchese Corelli (1653–1713) war der erste Violinist seiner Zeit, classischer Instrumentalcomponist und Stammvater aller nachfolgenden Violinspieler. Er stand auf einem sehr vertraulichen, fast freundschaftlichen Fuße mit Ottoboni und wohnte in dessen Palast. Außerdem hatte dieser Fürstcardinal, der gepriesene Schutzherr aller Musiker und Oberaufseher der päpstlichen Capelle, noch eine ganze Schaar namhafter Instrumentisten in Diensten; den Gesang übernahmen die päpstlichen Sänger. Die Montagabendmusik war weit und breit berühmt. Der Cardinal wußte sich etwas darauf, daß hier die ersten Künstler der Welt mitwirkten; sobald eine neue Größe auftauchte, suchte man ihrer habhaft zu werden. Man hielt auf die Musik wie vor zwei Jahrhunderten unter Leo X. auf die Malerei, und wie damals ging auch jetzt die Geistlichkeit in Wohlleben und Kunstgenuß auf. Die große Vorliebe der Prälaten für die Tonkunst und der dadurch veranlaßte rege Verkehr aller berühmten Künstler machte den Abgang einer namhaften Tonschule und eines selbständigen Operntheaters weniger fühlbar. Alle bedeutenden Tonwerke, welche Händel in Rom verfertigte, kamen in Ottoboni's Akademie zur Aufführung. Crescimbeni nennt die Pracht, die der Cardinal bei solchen Gelegenheiten entfaltete, majestätisch; wenn die Stelle des Bibliothekars von Ottoboni's Privatbibliothek schon ein angesehener Posten war, wird man leicht begreifen, daß damit nicht zuviel gesagt ist. Die Sache läßt sich allerdings auch noch von einer anderen Seite betrachten. Seine ganze Stellung verdankte er zunächst lediglich einem Onkel, dem Papst[211] Alexander VIII. (1689–91), der mit Verletzung der Kirchengesetze und aller Billigkeit seine Verwandte, namentlich den jungen Neffen Pietro, so reichlich bedachte, daß die Italiener in einem Wortspiel zu sagen pflegten, der neue Papst habe dem Apostel Pietro nicht allein sein Patrimonium, sondern auch seinen Mantel genommen, um damit den jungen Cardinal-Nepoten Pietro zu bedecken. Ein 22jähriger Cardinal, der nichts weiter gewesen wäre, als ein vornehmer Vergnügling der sich mit den. Künsten spreizt, hätte bald in Verachtung kommen müssen, um so mehr da der Ohm schon im nächsten Jahre starb und ein anderer Ottoboni in Folge dessen wirklich seine bedeutendsten Aemter einbüßte; aber es zeigte sich bald, daß ein wirklicher Gehalt und eine grunditalienische Natur in dem Manne steckte. Den Großen ging er voran durch Pracht und Würde, den Collegen durch kluge Besonnenheit, den Gelehrten durch Bildung, den Kunstliebhabern durch Geschmack und Freigebigkeit, den Unterpriestern in seinem Kirchspiel durch die eifrigste ausgedehnteste Pastoralthätigkeit; gegen die Künstler war er freigebig, gegen die Armen und Bedürftigen unbeschränkt wohlthätig und mit eigenen Händen hülfreich, gegen Jedermann leutselig. Jeder unbefangene Landsmann räumte willig ein, daß die Hunderttausende, welche dem Cardinal an Einkünften jährlich zuflossen, gerade in die rechten Hände gelangten. Corelli, als er starb, wußte seine ersparten 40000 Thaler auch nirgends besser niederzulegen, als bei Ottoboni; und obwohl er sie diesem zum Geschenk hinterließ, gelangten sie doch ohne Abzug auf die gerechteste Weise unter die Verwandten des großen Künstlers.

Pietro Ottoboni (1668–1740) machte sich als Schützer der Künste schnell einen Namen. Schon 1691, da er doch erst 23 Jahre alt war, sagt. Dryden in dem Prolog zu der Halboper König Arthur, es sei wahrlich Geldes werth, wenn sie sich dort in England auch eines Ottoboni versichern könnten.52 Der junge Cardinal bestach[212] mehr noch durch die Art wie er die Sachen angriff und die herrschenden Neigungen befriedigte, als durch die großen Summen welche darausgingen. Er machte bald gemeinsame Sache mit denen, welche die alten Tragödien in ihrer Reinheit nachbilden wollten, und dichtete selber eine. Daneben war er eifrig thätig in derjenigen Gattung, durch welche die alte Tragödie den meisten Schaden erlitten hatte, im musikalischen Drama, und fertigte den Operntext Triumph der Liebe für die Componisten in seiner Capelle, worauf denn, weil er an der großen Vorliebe der Römer für Puppenspiele theilnahm, das Werk auf einem sehr künstlich erbaueten Puppentheater mit hölzernen Figuren vorgestellt wurde. Eine Aufführung mit den ersten Castraten seiner Zeit müßte weniger kostspielig gewesen sein, denn jeder Springer kostete gegen hundert Pistolen. Die Geschichte spielte auf dem Meere unter Seeräubern; die Capelle machte dabei eine kriegerische Musik, die in eine große Serenata zum Preise der Liebe auslief. Lucanio und Irenio, nämlich der Graf San Martino und der Cavalier Acciaiuoli führten als geschickte Mechaniker und als müssige Leute das Werk herrlich aus, natürlich auch als eine Sache von großer Wichtigkeit. Diese Spielerei kam noch 1708 auf das Londoner Theater. Dergleichen ging vor sich in den ersten Jahren, in der ersten Jugend. In der Folge beschränkte man sich mehr und mehr auf Instrumentalstücke, Cantaten, Serenaten und Oratorien; die Zeit war ernster geworden, der neue Papst Clemens XI. (1700–1721), in allerlei Bedrängniß und erschreckt durch wiederholte Erdstöße, schloß die Theater, Feind sah schon 1704 keine Opern mehr.53 Oratorien und Serenaten, d.h. größere Cantaten für mehrere Sänger, waren bei Händel's Anwesenheit in Rom die einzig möglichen Arten dramatischer Musik. Eine Oper hat er hier weder gehört noch verfertigt, nicht einmal seine Agrippina konnte zur Aufführung kommen. Dieser Zustand erklärt uns die äußere Anlage seiner Werke, wie der Geist der römischen Gesellschaft die innere. Die Objectivität in Händel's Schaffen ist bewundernswerth; seine Werke[213] spiegeln die jedesmaligen Verhältnisse so treu, daß sie diesen ohne starke Mitwirkung der Persönlichkeit einfach abgeschöpft scheinen. Aber wo machte sich persönlicher Charakter wohl mehr geltend, als eben bei Händel? Er konnte so tief und so völlig seiner selbst vergessend in's Leben eingehen, weil er sicher war sich nie zu verlieren; aber nur der darf es wagen, dessen Individualität in persönliche Kraft aufgeht, und dessen Kunstgedanken weder durch mangelhafte Vorbildung gehemmt noch durch besondere Neigungen beschränkt sind.


Resurrezione. 1708.

Weil Ostern herannahte, machte er die erste größere Arbeit für dieses Fest, er nannte sie auch Resurrezione, Auferstehung. Die letzte leere Seite der Originalhandschrift enthält die schon besprochene Angabe: »Roma la Festa di Pasque dal Marche | Ruspoli | 11 d'Aprile | 1708.« Es ist eine Verhandlung zwischen dem Engel, dem Satan, der Maria Magdalena und den Jüngern; nicht Bibelwort, sondern ein freies Gedicht theils nach der Schrift theils nach christlichen Einfällen. Der Verfasser des Textes ist nicht bekannt geworden. Wir wissen nur soviel, daß dieses Oratorium zu den Werken neueren Styls gehört, die erst seit 10–15 Jahren die ältere Form verdrängt hatten, und zu deren Verbreitung niemand mehr Eifer einsetzte, als Ottoboni. Er mag denn auch dieses Oratorium gereimt haben. Es zerfällt in zwei Theile. Lucifer fängt mit einem kahlen Recitativ an, bald darauf erscheint ein Engel Gottes der ihm die Wahrheit sagt. Die Vorgänge bedürfen keiner Beschreibung. Nur zwei Chöre sind in dem ganzen Werke, am Ende jedes Theils einer, an Ordnung und auch an Kunst fast wie in den damaligen Opern und genau wie in den gleichzeitigen italienischen Oratorien. Die Fugen mußte er diesmal zu Hause lassen. In beiden Chören haben wir eine vorsingende Ober- oder Mittelstimme und einen willigen Chor der mit einschlägt. Bei seinem Schwung und seiner durchsichtig leichten Behandlung konnte Händel selbst in einer so einfachen Weise etwas in hohem Grade kunstmäßiges liefern, wie wir aus seinen bekannteren Oratorien wissen; auch hier gestaltet sich, besonders in dem ersten Chore, ein glanzvolles Tonbild. Von den Arien sind mehrere schon bei der Agrippina besprochen. Einige der übrigen tragen die[214] Spuren flüchtiger Abfassung an sich, der größte Theil ist kunstvoll und sehr schön. Besonders ist es das Orchester, die Behandlung der Instrumente, was die Aufmerksamkeit an sich zieht. In Rom durfte Händel sich weiter ausbreiten als vorhin, die schöne Capelle wollte beschäftigt sein. Hier wo er alle Instrumente meisterhaft besetzt fand, bildete er sich zum Meister in der Benutzung derselben; für Instrumente schreiben konnte er von Kind an, aber sorgsam und sicher instrumentiren lernte er erst in dieser Capelle. Seine römischen Compositionen haben durch diesen Studiengang alle etwas besonderes bekommen, was sie von den übrigen ihrer Gattung unterscheidet. Auch in der Instrumentation des Oster-Oratoriums herrscht eine ausgesuchte Mannigfaltigkeit und eine seine Berechnung contrastirender Klänge. Trompeten gesellen sich nicht bloß zu dem Schlußchore, sondern auch zu zwei Arien und sogar zu einem Recitativ des Lucifer. Besonders rührig zeigen sich die Saiteninstrumente. Die erste Violine wurde, wie wir wissen, von Corelli gespielt, ihre Bevorzugung kann also nicht auffallen. Wiederholt sind bei dem Solo des ersten Violinisten die übrigen Violinen noch wieder getheilt, einmal, nämlich bei dem Gesange des Engels »D'amor fu consiglio«, sogar als Violino 1 & 2 & 3 & 4, so daß mit Viola und Contrabaß beim Tutti ein sechsstimmiger Saitenchor angeschlagen werden kann; in seiner Art gewiß eine Merkwürdigkeit. Auch für die Viola da gamba oder Kniegeige, ein lange beliebtes aber jetzt aus dem Gebrauch gekommenes Tonwerkzeug, muß in Ottoboni's Capelle ein vorzüglicher Spieler gewesen sein, denn Händel hat es hier in so ausgedehnter Weise zur Anwendung gebracht, wie es nur für einen Virtuosen auf diesem Instrumente erwünscht sein konnte. »Ich, meines Theils, finde die Viola da Gamba deswegen bequem, weil es ein baßirend Instrument ist, und doch dabey so wol einfache, als vollstimmige, oder verdoppelte Melodien, herausbringen kann.«54 Wir sind bei all' unserm Musiciren noch nicht dahin gekommen, daß wir die Nothwendigkeit einsehen, dergleichen vergessene werthvolle Spielwerkzeuge wieder hervorsuchen zu müssen. Bei einem klagenden, von zwei Flöten sanft erhellten Recitativ der Magdalena in Fmoll führt die Viola[215] da gamba allein den Baß, und malt dadurch ein ganz anderes Bild, als vorhin der Chor der Violinen. Die Raserei des Lucifer geht dem zarten Recitativ unmittelbar vorauf, und ihm folgt eine Arie der Magdalena mit zwei Flöten, zwei gedämpften Violinen, Viola da gamba und Violoncell als Grundbaß. Der Violoncell hat zu Anfang einen Orgelpunkt von 39 Takten, dann vereinigt er sich mit dem Clavier, während in dem langen Mitteltheil, der den Rhythmus ändert, die Viola da gamba allein den Baß führt und die Flöten in der Höhe regieren. Wieder ein anderes Tonbild! Eine noch eigenthümlichere Instrumentation hat die Tenorarie des Johannes: Traversa, eine Flötenart, oben, Viola da gamba in der Mitte, Teorba unten, durchschnitten von einigen scharfen Läufen der Bässe und Violinen in Octaven.

Händel hat später wohl den einen oder andern Satz wieder erneuert, wie er z. B. die Melodie des ersten Chores (Il Nume vincitor) dem König Georg I. auf dem Wasser vorspielte, aber im Ganzen dieses Oratorium nicht so ausgebeutet, als die Agrippina, obwohl es in seinen Augen ebenso wenig bleibenden Werth hatte. Schon daraus kann man abnehmen, daß es an originalen Tongedanken um so viel ärmer sein muß, als es an Instrumenten und glücklichen instrumentalen Zügen augenscheinlich reicher ist. Auf das Ganze gesehen, offenbart sich in dem Oratorium mehr Glanz als Tiefe, mehr Kunst in der Farbengebung als in der Zeichnung; doch waltet überall ein keuscher ernster Sinn, auch in den muntersten Tönen. Solche Werke schätzte und verstand das damalige Rom. Künstlerisch hat dieses Oratorium eine geringe Bedeutung, aber geschichtlich eine sehr große. Es steht für alle gleichzeitige italienische Oratorien, die sich doch als religiöse Kunstwerke auch nicht hoher heben, und bildet eins der wenigen erhaltenen Denkmale aus einer so bildungsreichen, aber nun, und zwar durch Händel selbst, überwundenen Periode. Hinter den Werken der besten Italiener steht es nur zurück an weicher gesangvoller Cantilene, überragt sie aber durch Vollklang und gesunde Harmonie, trägt daher auch weniger die Spuren des Pietismus oder Jansenismus an sich, obwohl es ebenfalls nicht völlig frei davon ist. Das ganze Geschlecht war einer vorwiegend sinnlichen Frömmigkeit ergeben; Händel hat ihm hier in einem italienischen[216] und später noch in einem deutschen Werke seinen Tribut gezollt. Wie sehr man von seinen Fähigkeiten für oratorische Composition erbaut war, zeigt nichts besser, als die Aufmunterung zu einem anderen Werke ähnlicher Gattung, größer eigenthümlicher und lehrreicher als das vorausgegangene, zwar im ersten Entwurfe ebenfalls kein bleibendes Kunstwerk, aber der feste Grund auf dem sich nach und nach ein solches gestaltete.


Il Trionfo del Tempo e del Disiganno. 1708 und 1737. The Triumph of Time and Truth. 1757.

Es giebt kein zweites Werk von Händel, welches uns auf eine so anziehende Weise in seine Persönlichkeit einführte. Hier steht der Mensch in seiner Jugend oder, wie der Dichter ihn nennt, die Schönheit (Bellezza, Beauty), froh in's Leben blickend, aber ohne sicheren Führer; umgeben einerseits von dem Vergnügen und dem Betruge, welches diesem so leicht anhaftet (Piacere, Pleasure und Deceit), andererseits von der Zeit (Tempo, Time) und dem weisen Rathgeber, dem Sohn der Wahrheit, der ihre Lehren deutet (Disinganno, Counsel). Die Schönheit, indem sie sich im Spiegel besieht, zweifelt ob die Reize bestehen werden. Das Vergnügen sagt, sie werden bestehen, wenn sie sich ohne Rückhalt ihm ergebe, alle Sorgen banne und der Zeit vergesse; Zeit und Rath thun Einspruch. Nun denn, sagen Alle, laßt uns sehen wer den Sieg behält. Die Schönheit will sich mit der Schaar der Vergnügungen umstellen und so gegen den Zahn der Zeit sichern. Mein Arm hat ganz andere Dinge zerstört, wie will sich die flüchtige Schönheit dagegen auflehnen? sagt die Zeit, die Gräber aufrufend, ob von all' den gepriesenen Schönheiten, die sie bergen, auch nur der geringste Strahl noch hervorleuchte. Dem Vergnügen erscheinen solche Betrachtungen zu ernst, solche Töne zu schauerlich für den, der doch erst im Frühling seines Lebens stehe. Es ist wahr, sagt der Rath, wer noch so jung ist, hört unsere Stimme nicht gern; aber damit nicht zu spät an das Rechte gedacht werde, laß dir sagen: das Leben verfliegt gleich einem Schatten, wie sehr du dich auch an die Hoffnung klammerst, gar bald schlägt die Stunde die alles zerstört. In reizvollem Wechsel ziehen die Vergnügungen vorüber und machen, wie es zu geschehen[217] pflegt, durch ihre heitere sorglose Freude die Jugend sicher; fast übermüthig fordert die Schönheit die Zeit auf, doch dieses alles nach ihrer Drohung zu zerstören, aber hoffentlich schlafe sie und wolle fortan nicht mehr die schönsten Lebensgüter vernichten. Doch die Zeit erscheint wider Vermuthen augenblicklich, denn die Sinnlichkeit, sagt sie, ist mein unbestritten Reich, willst du meine verhaßte Gewalt nicht mehr zu fürchten haben, so erwähle für diese Vergnügungen die besseren Güter dort oben, wo statt der Zeit Unsterblichkeit waltet, wohin ich nur weisen, nicht folgen kann. Denn um so viel herrlicher die Seele ist, als die gebrechliche irdische Hütte in der sie wohnt, setzt der Sohn der Wahrheit hinzu, so weit gehen die höheren Freuden über das Vergnügen der Sinne. So sehr auch noch Betrug und Vergnügen dareinsprechen und mahnen, die Rose zu pflücken aber den Dorn zu lassen – die Weisheit behält von jetzt an den Sieg. Willig wendet sich die Schönheit von dem Vergänglichen, weist die leichtsinnigen Gedanken ab, um nicht erst dann bereuen zu müssen, wenn, geistverlassen elend, die Reue nicht mehr helfen noch die Krankheit Trost geben kann. Nicht spät will sie Gott opfern was sie dann nicht mehr hat, sondern jetzt wo sie noch im Vollbesitz ist. Die Gestalten des Vergnügens und des Truges entfliehen vor der Wahrheit, die sich im Glanze vom Himmel herabsenkt; und auf dem Tugendpfade, auf dem Wege himmelan befiehlt die Schönheit sich der Obhut der guten Engel.

Nicht völlig so ausgebildet, doch in den Grundzügen legte man ihm jetzt in Rom diese Dichtung vor. Ein Mann in reiferen Jahren, der Cardinal Benedetto Panfili (Fenizio unter den Arkadiern, 1653–1730), hat sie verfaßt55; seinen Namen kann Mainwaring doch nur von Händel selbst wissen. Das Gedicht ruht auf einem Gedanken, dessen Wahrheit sich zu allen Zeiten erst im Kampfe erproben muß, dem aber wohl niemals hartnäckiger widersprochen wurde, als in Händel's Tagen. Eben zu der Zeit, die den größten Scharfsinn und die ausgesuchtesten Mittel anwandte um das Vergängliche zu verewigen, mußte der Sieg einer solchen Wahrheit von[218] großer geschichtlicher Bedeutung sein. Aber wie merkwürdig! Ein junger Deutscher kommt nach Rom, und die dortigen Schäfer, denen doch allerlei Eitelkeit geläufiger war, als die Weisheit, ermuntern diesen Jüngling, durch seine Kunst den Kampf sittlicher Mächte mit den Reizen des Sinnenlebens, den Sieg der Wahrheit über eitlen Schein zu feiern. Freilich war es, wie wir wissen, seine Bestimmung, das sittlich rath- und haltlos gewordene Leben wieder geordnet hinzustellen, soweit es ästhetisch d.h. mit den Mitteln seiner Kunst möglich war, und die großen reinen Ideen, sowie sie sich aus dem sinnlichen Zeitalter empor arbeiteten, zu fassen und zu verklären: aber daß auch die römischen Freunde von dieser Mission etwas ahnten, schon damals, das eben ist ein so äußerst merkwürdiges Zeugniß über Händel's Jugend. Wie sehr er diesen Gedanken als seinen eignen und dessen möglichste Verherrlichung als seine heilige Pflicht betrachtete, wird erst recht offenbar durch die liebevolle Sorgfalt, mit der er im Laufe von funfzig Jahren daran arbeitete.

Das Werk zerlegt sich in drei Theile. In Rom nannte man es eine Serenata, weil der Begriff des Oratoriums noch an biblischen Gegenständen haftete; jetzt zählen wir es mit Recht zu den Oratorien. Das Original der ersten Bearbeitung von 1708 ist, gleich allen Werken die er später umbildete oder ausbeutete, nur unvollkommen erhalten, auch die Zeitangabe fehlt gänzlich. Die Melodien haben alle etwas ursprünglich frisches. Unter den mehrstimmigen Sätzen fällt zuerst der Chor »Son larve di dolor« auf, ein doppelt fugirter Satz in der Octave, bei dem die italienischen Kirchenstücke Vorbild waren; kunstreiche Arbeit und schöne Musik, doch nicht so völlig in sich gerundet, wie ähnliches aus Händel's späterer Zeit. Ein anderer Chor (L'uomo sempre se stesso, am Schluß des ersten Theiles fließt glatt und melodisch dahin gleich einem Opernschlusse. Einen eigentlichen Oratorien-Chor sucht man in dem ganzen Werke wie in der ganzen damaligen Zeit vergeblich. In dem zweiten Theile nehmen namentlich zwei kleine Quartette unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Das erste in Cmoll (Se non sei più ministro) ist ganz dialogisch: die Schönheit steht schwankend vor verschiedenen Wegen, Piacere zeigt die Straße der Vergnügungen, Zeit und Rath halten den Spiegel der Wahrheit vor und singen zuletzt wie zur Verstärkung[219] ihrer Gründe zweistimmig, drei oder alle vier Personen singen nie zusammen. Originalität ist dem Satze nicht abzusprechen, aber die eigentliche Form des Quartetts fehlt. Der zweite noch kürzere in Dmoll (Voglio tempo) hat doch wenigstens an einigen Stellen vierstimmigen und durchweg zweistimmigen Gesang; die etwas ausgeführtere Cantilene der Bellezza bildet für die anderen Stimmen Band und Anhalt. Ueberall tragen die Melodien außer der allgemein musikalischen Schönheit auch noch das Gepräge der betreffenden Person auf ausgezeichnete Weise an sich. Besonders steht die Bellezza im reichsten Schmucke des Lebens vor uns, als wirkliche bezaubernde Schönheit. Das eben sichert dem Gegenstande die lebhafteste Theilnahme und macht ihn oratorischer Behandlung werth; die aufleuchtende sittliche Schönheit gewinnt in einem solchen Gefäße einen unendlichen Glanz.

Unter den bedenklichsten Umständen nahm Händel 1737 das Werk zum zweiten Male vor. Die Umgestaltung war eine durchgreifende, nur wenige Stücke blieben ungeschoren. Die genannten Quartette und Chöre nebst mehreren Arien schob er jetzt bei Seite, überhaupt alles was mühsam aufzuführen, was unfertig oder unwirksam schien. Wirkung war ihm jetzt die Hauptsache, er gab das Werk nur um ein volles Haus zu erzielen, um zu einer Zeit, wo man seineherrlichsten Schöpfungen gleichgültig hinnahm, einen voraussichtlichen Bankerott seines Theaters zu verhüten. In so bedrängter Lage vergriff und versündigte er sich zuweilen an seiner Musik, auch in diesem Oratorium. In einer Arie schmeichelt Piacere »Lascia la spina, laß den Dorn und brich die Rose«. Die Melodie ist herrlich melodiös und charakteristisch. Händel meinte aber, da die größte Zahl seiner Zuhörer die Worte weder verstand noch beachtete, eine andere Melodie die auch mit Lascia anfängt und in aller Ohren hing, nämlich die oben Seite 122 mitgetheilte aus Rinald, müsse besser ziehen, daher legte er dieser wohl oder übel die ganz abweichenden Worte unter. Er hat sie hier auf's neue sehr sein harmonisirt, aber niemand wird um dieses Gericht für einen leckeren Gaumen jenes Thränenbrot der Almirena preisgeben. Wir haben sein eignes Geständniß, denn 1757 ging er einfach auf die so treffende Melodie von 1708 zurück und setzte damit auch Lascia[220] ch'io pianga wieder in ihre vorigen Rechte ein. Die Aufführung hatte nicht den geringsten Erfolg; Händel sollte zwar endlich siegen, aber nur mit Darangabe des besten was er hatte, nicht mit unkünstlerischen Mitteln. Wie durch dieses Mißlingen seine Mißgriffe unschädlich gemacht sind, so sind sie durch die wesentliche Verschönerung, in welcher das Oratorium aus der Umarbeitung hervorging, reichlich aufgewogen. Die zahllosen kleinen Besserungen übergehend, wollen wir nur den Schluß betrachten. Die Schönheit erhebt sich hier zu einem Gesange in Edur (Quel del ciel ministro eletto), der den Kern der Handlung und der Musik enthält; diese Töne, in denen sie ihren Dienst dem Himmel weiht, überragen alles Vorausgegangene. Daß er schon in Rom die Grundzüge dieser Melodie erfand, ist für den Gehalt der ersten Abfassung entscheidend; daß er sie unter den jetzigen Umständen in einem so viel dichteren Laube auf's neue zur Blüthe zu bringen wußte, spricht nicht minder für die Begeisterung und das richtige Grundgefühl, mit welchen er den Goldgehalt seiner Werke unablässig der vollkommenen Schönheit näher führte. Nach diesem Gesange wurde das Oratorium mit Orgelspiel und einem freien Chor geschlossen, wie wir aus der unmittelbar folgenden Bemerkung sehen: »Segue il Concerto | per l'Organo | e poi l'Alleluja | Fine dell' Oratorio | G.F. Handel | London March 14 | 1737«; dazu auf der gegenüberstehenden Seite: »London angefangen ohngefehr den 2 March 17« [37 ist weggeschnitten]. Welches Hallelujah gemeint ist, sagt uns die spätere englische Bearbeitung, wo er ebenfalls ein Hallelujah (in Fdur) für den Schluß verwandt hat; und weil der Chor mit dem vierten (nach Arnold's Ausgabe dem dritten) der sogenannten Orgelconcerte so merkwürdig verwachsen ist, wissen wir zugleich auch, welches Concert es war das er in dem Oratorium zum besten gab. Das Autograph, welches mit dem des zweiten und dritten Concertes vereinzelt in's British Museum gelangte56, zeigt den Zusammenhang mit dem Hallelujah-Chor ganz auffallend. Das Concert für Oboe Saitenspiel und Orgel besteht aus drei Sätzen. Für den letzten, ein Allegro,[221] erfand er als Hauptgedanken ein Motiv, das in gehaltenen Tönen eine Quarte aufsteigt und vereint mit den kleinen Neben- und Zwischengedanken eine herrliche Klangkraft offenbart. Er bemerkte bei dem mit fliegender Schnelligkeit hingeschriebenen Entwurfe auch bald die gesangartige Haltung von Thema und Contrathema, sowie den Chorgeist den das Ganze athmet. Als er nun an die Finalcadenz kam, schien es ihm doch unrecht, wenn es hiermit schon zu Ende sein sollte, daher arbeitete er ohne Absetzen weiter in einer Weise die ihm so ganz ähnlich sieht: er machte einen doppelten Taktstrich, ergriff dieselben Gedanken wieder, rief das Wort Hallelujah herbei, und nun Chorus mit Instrumenten, doppelt fugirt, breit und herrlich auseinander, das vorausgegangene Spiel wohl siebenfach überragend! Die genannte Handschrift ist in dieser Art das unterhaltendste was sich denken läßt. Zum Schlusse setzte er: »S.D.G. | G.F.H. | march 25 | 1735.« Concert und Hallelujah waren also schon zwei Jahre alt.

Unter den vielen persönlichen Bezügen der Händel'schen Muse, die so unmittelbar zum Herzen sprechen, ist dieser nicht der geringste, daß das idealste und reinste Werk aus seiner Jugend auch der Schlußstein seiner großen Kunstthaten werden sollte. Er arbeitete zu allerletzt daran, in den wenigen lichten Augenblicken, die die Tage seiner Blindheit erhellten, bis in sein 72stes Jahr, und führte es auf im 73sten, 1757.57 Der Grundstock der alten Gesänge ist beibehalten, doch etwa der dritte Theil des Ganzen theils aus anderen Werken gezogen, theils ganz neu gesetzt; er kündigte es auch an als »aus dem Italienischen genommen mit verschiedenen neuen Zusätzen und Aenderungen«. Gleichsam wie von selbst ging es in englische Sprache über, und ebenso mühelos nahm es die vollere oratorische Gestalt an. Nun erst ist es so geworden daß man dabei ausruhen mag. Schon der Eingangschor »Zeit ist eine übermächtige Gewalt die jeder weise Sterbliche verehren wird (Time is supreme,)«, eine Ueberschrift im echten Lapidarstyl, eröffnet uns eine hohe freie Fernsicht, von der wir früher wenig sahen. Eben in den Chorsätzen dieses Oratoriums hat sich blühende Jugend mit der tiefsten Kunstweisheit und einem erschütternden Lebensernst verbunden; sobald er das[222] schwierigste und größte angreift, ruht auf dem ergrauten Meister noch immer derselbe feurige poesievolle Genius, dem wir die reifsten Erzeugnisse seiner kraftvollen Manneszeit verdanken. Wer jedem Oratorienchor seine originale, aus der Dichtung, aus dem Gegenstande geschöpfte Form zu geben wußte, war überhaupt für immer vor einem Spiel mit leeren Formen gesichert. Allerdings konnte nur ein sehr alter Mann das Werk so gestalten, wie es nun dasteht; aber nicht seine zitternde Hand sehen wir, sondern sein dem Grabe und der Unsterblichkeit zugewandtes Denken. Als die Zeit auf die unschönen Reste alles Irdischen, auf die Gräber hinweist, fällt der Chor bewegt ein »O Zeit stärke uns und zeige uns den Weg der Weisheit (Strengthen us o Time)!« Auf diese acht Takte folgt der herrliche Psalmchor »Dann wollen wir die Bösen deine Wege lehren und die Sünder zu dir bekehren (Then shall we teach thy ways)«, den er aus einem um 1720 entstandenen Anthem entlehnte. Das Gelübde des reuigen David an Gott bezog er geradeswegs auf die Zeit; denn einem Greise, der mit der Welt abgeschlossen und Grab und Himmel nahe vor Augen hat, fließt beides zusammen. Ein folgender, mit den Vorgängen ebenfalls nur lose verbundener Chor vergegenwärtigt uns dasselbe. Die Schönheit will jetzt dem Vergnügen Lebewohl sagen, nicht erst dereinst wenn sie schwach und krank ist; und nun singt der Chor »Tröste o Herr den der krank ist (Comfort them o Lord)«. Die Musik, nebst den Worten entlehnt, gehört zu dem ausdrucksvollsten was Händel gemacht hat, aber wäre er nicht ein Siebziger gewesen, würde er sie an diesem Orte wohl nicht erneuert haben. Die Chöre sind sämmtlich schon: der)stimmige für vier Soprane zwei Alte und Tenor über die Zeit die alles wieder in Ordnung bringt (Pleasure submits to pain,) der lange prächtige und so einfache Lobgesang über die Jagd (O how great the glory), der folgende wo das Vergnügen der Chorführer ist(Dryads Sylvans with fair flora) und alle übrigen stehen trefflich an ihrem Platze, gleichviel ob als originale oder als entlehnte Compositionen. Zu den überkommenen italienischen Arien hat er eben keine Meisterstücke ersten Ranges neu geschaffen, doch ist ihnen manches Ansprechende beigefügt. Schon vorhin bei der Agrippina (S. 195) bemerkten wir die sinnvolle Umbildung einer Arie für dieses Oratorium,[223] und so werden bei den betreffenden Werken nach und nach die übrigen Stücke zur Sprache kommen. Wollten wir schon jetzt der mannigfachen Verzweigung umgebildeter Arien und Chöre im Einzelnen nachgehen, würden wir zu weit in noch unbekannte Werke hineingerathen; das Oratorium in seiner dreifachen Gestalt soll uns hier nur Händel's Schaffen durch funfzig Jahre insgesammt übersehen lassen, und ein Beispiel hinstellen von der Vollkommenheit die aus der Begeisterung seiner Jugend emporwuchs. Dem Schlußgesange der Schönheit fehlte bei der zweiten Bearbeitung vom Jahre 1737 nichts weiter, als der anschaulichere und protestantisch gefaßte englische Ausdruck anstatt des katholisch-italienischen:


Quel del ciel ministro eletto

non vedrà più nel mio petto

voglia infida e vanno ardor

e se vissi ingrata a Dio

ei custode del cor mio

lo vedrà pieno d'amor.

Quel del ciel: D.C.


Guardian Angels o protect me

and in virtue's paths direct me

while resign'd to heavn above

let no more this world deceive me

nor vain idle passions grieve me

strong in faith in hope in love.

Guardian Angels: D.C.


Jetzt ist er eins der Prachtstücke Händel'scher Poesie. Die Begleitung der Saiteninstrumente in Achteln, und von Achtelpausen unterbrochen, ist nicht mehr dieses bloße Tonspiel, es ist der leichte Gang auf Wolken, der die Seele hinausführt, wie die freie Imitation der Singstimme durch die Oboe die Hand ist, die der Engel darreicht; die Kunst ist hier völlig aufgegangen in die Idee, der sie dient. Und was soll man von der Gesangmelodie sagen, die so selbstgewachsen natürlich und so kunstlos einfach aussieht? Die unbedeutendste Stimme kann sie bewältigen, wenn nur das rechte Verständniß vorhanden ist, und wiederum mag die ausgebildetste Kunst daran die Probe bestehen. Bewundernswerth bei diesem Gesange ist noch die stille Haltung, in der er wie eine Waldblume im Grunde so für sich blüht; bei lebendigster Schwungkraft des Gemüthes ist der feierliche Frieden des Gebetes darüber ausgebreitet. Ein Werk, an Gehalt so edel und herzstärkend, und mit so bescheidenen Mitteln aufzuführen, wie dieses Oratorium, sollte eine Zierde aller Musikvereine sein. Aber man hat es ganz vergessen.

Ueber die erste Aufführung der Composition in Ot toboni's Capelle[224] weiß Mainwaring einiges zu erzählen, das nicht ohne Grund sein wird. Wie sehr Händel bestrebt war auf Styl und Spielart der römischen Künstler einzugehen, zeigen alle Werke, die er für sie gesetzt hat; er sah wohl, daß er nur bei einer solchen Willfährigkeit aus ihrer Musik den rechten Gewinn ziehen könne. Doch zuweilen hatte er mit ihnen einen kleinen Strauß, besonders wegen der Eingangsmusik, die er in französischer Weise anzulegen, dabei aber die scharfen großen Züge noch viel einschneidender und größer zu machen pflegte. Die Italiener hatten eingestandenermaaßen dergleichen französische Musik niemals gründlich geübt, sie beruhigten sich mit der Bemerkung, jedes Land habe so seine Weise, und die ihrige sei von der französischen und deutschen verschieden. Händel hörte dergleichen Gedanken, wenn sie gesprächsweise geäußert wurden, in seiner bekannten bescheidenen und höflichen Zurückhaltung ruhig mit an; wollte man aber bei Ausübung seiner Musik von diesem Glaubensbekenntniß Gebrauch machen, so fuhr er auf in geflügelten Worten und erinnerte sich dann, daß er nicht in der Welt war, um schlendriansweise in den hergebrachten Gegensätzen zu beharren. Doch ging alles wie unter Freunden. Mainwaring sagt: »Händel's Compositionen waren von einer Art, die der in Italien gebräuchlichen so unähnlich sah, daß diejenigen, welche sonst selten oder nimmer in der Ausübung fremder Musik zu kurz kamen, bei seiner Arbeit oft stutzten, wie sie herauszubringen sei. Corelli selbst beklagte sich über die Schwierigkeiten in Händel's Ouvertüren. In der That hatten alle seine Tonwerke, namentlich im Eintritt, einen Grad von Feuer und Kraft, der zu der sanften Anmuth und gefälligen Zierlichkeit eines so ungleichen Geistes, wie Corelli war, nicht wohl paßte. Eines Tages machte Händel verschiedene fruchtlose Vorstellungen, ihn über die Art aufzuklären, wie gewisse feuersprühende Gedanken gespielt werden müßten; aber verdrießlich gemacht durch die Zahmheit, mit welcher Corelli nach wie vor fortgeigte, riß er ihm das Instrument aus der Hand und spielte die berührten Stellen selbst her, um zu zeigen, wie wenig jener sie verstand. Corelli aber als ein sehr bescheidener und sanftmüthiger Mann bedurfte einer solchen Ueberführung nicht; denn offenherzig erklärte er, daß er es nicht verstehe d.i. die Sachen nicht genügend herauszubringen, noch ihnen die gehörige Stärke des Ausdrucks[225] zu geben wisse. Als Händel ungeduldig schien, sagte Corelli: ›Ma, caro Sassone, questa Musica è nel stile Francese, di ch'io non m'intendo. Aber, mein lieber Sachse, diese Musik ist im französischen Styl, auf den ich mich garnicht verstehe.‹ Die Ouvertüre zu Il Trionfo del Tempo war es, welche dem Corelli die meiste Schwierigkeit verursachte. Auf seinen Wunsch setzte Händel an deren Statt eine Symphonie, die mehr nach dem italienischen Geschmack war.«58 Daß Corelli bei musterhafter Ausbildung seiner Fähigkeiten doch mitunter selbst seinen Landsleuten etwas beschränkt vorkam, erhellt aus dem Vorfall in Neapel eine kurze Zeit nachher, wo der alte Scarlatti ihn auf eine so demüthigende Weise aus dem Sattel hob. Händel's Fähigkeit auf der Violine, obwohl er das Instrument nach der Hamburger Periode nur selten zur Hand nahm, war dennoch ungewöhnlich; denn wenn es ihm mitunter in den Sinn kam, diese oder jene Passage darauf zu probiren, bemerkt Hawkins nach eigner Beobachtung, so that er es in einer Art, die sich selbst der beste Meister getrost zum Muster nehmen konnte.59 Corelli war ganz der Mann, mit dem sich auch im Scherz allerlei aufstellen ließ. Händel erzählte gern von ihm; mit seiner glücklichen Gabe, in kleinen Zügen den ganzen Mann zu zeichnen, setzte er dann gewöhnlich hinzu: Gemälde, die er umsonst sehen konnte, und Sparsamkeit waren seine Lieblingsneigungen, seine Garderobe war ausgesucht dürftig, für gewöhnlich trug er sich schwarz und hing einen blauen Mantel darüber, dabei lief er immer zu Fuße und machte närrische Weigerungen, wenn wir ihn bereden wollten, auch einen Wagen zu nehmen.60

Der Ernst in Händel's Wesen bei so jugendfrischer Kraft und Freudigkeit des Geistes kam den geistlichen Vätern zu Rom besonders merkwürdig vor. Sie erkannten darin ein religiöses Gemüth: und nicht lange währte es, so suchte der gewandteste von ihnen über dergleichen Dinge ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.61 Vielleicht war es Panfili selber, dessen halbwegs katholisches Gedicht er so schön in[226] Musik gesetzt hatte, denn der alte rettore del collegio di propaganda fide, in dessen Geschäftsbereich die Bekehrungen eigentlich gehörten, war vor kurzem gestorben. Ueberläufe zum Katholicismus oder, wie sie es nannten, Bekehrungen kamen damals nicht selten vor; waren doch in den letzten Jahren sogar zwei deutsche Reichsfürsten römisch geworden, darunter August von Sachsen, aus dem Mutterlande der evangelischen Kirche! Die Taufen pflegten entweder übermäßig heimlich, oder auch sehr großprangend vor sich zu gehen. Einen Juden mit Weib und Kind taufte im Jahre 1704 der Papst selber im Beisein aller Cardinäle; Gevattern waren der Cardinal Ottoboni bei dem Vater, die Königin von Polen bei der Mutter, der Cardinal Acciajuoli bei der Tochter; die Täuflinge erhuben reiche Geld- und Ehrengaben, wie das alles in den Zeitungen von diesem Jahre ausführlich verzeichnet steht. Etwas Aehnliches hoffte man mit unserm Händel vornehmen zu können. Ob er über den Ursprung und die Glaubenssätze des Lutherthums, ingleichen über den Grund der alten wahren rechtgläubigen Kirche wohl schon einmal nachgedacht habe? meinte der Fragsteller; es sei eine Sache für das Seelenheil, über unser Leben und alle unsere Werke hinausgreifend. Händel antwortete, er besitze weder Geschick noch Beruf, um über die Dogmen und Unterscheidungslehren der Kirchen selbständig Nachforschungen anstellen zu können; aber so viel müsse er allerdings versichern, daß er festiglich entschlossen sei, als ein Glied derjenigen Kirchengemeinschaft, in deren Schooße er geboren und erzogen, Zeit seines Lebens zu verharren. Die Ablehnung war deutlich genug, aber Händel sprach sie in ungeschminkter Ueberzeugung und mit so aufrichtiger Bescheidenheit aus, daß ihm Niemand darüber gram wurde. Man behielt ihn so lieb wie vorhin, selbst als er sich weigerte, der äußerlichen Gleichförmigkeit wegen ihre gewöhnlichen Kirchengebräuche mitzumachen. Seine Ansichten sind zwar irrig, aber redlich wie alles an ihm, pflegten die Kirchenhäupter zu sagen, und damit ging man von Bekehrungsversuchen wieder zur Musik über.

In Rom wurde Händel mit dem hochberühmten Alessandro Scarlatti persönlich bekannt, wie vorhin in Venedig mit Antonio Lotti. Dies waren die beiden Häupter der Italiener und, wie Burney von[227] dem ersten sagt62, wahrhaft schöpferische Geister, deren Güter sich selbst die größten Meister der Folgezeit aneigneten, niemand indeß besonnener und selbständiger, als Händel. Scarlatti's Sohn Domenico, der erste italienische Clavierspieler seiner Zeit und auf der Orgel ebenfalls nicht unbedeutend, war auch anwesend. Zwei Virtuosen höchsten Ranges stießen hier auf einander. Ottoboni veranstaltete einen Wettstreit der beiden recht war. Domenico Scarlatti hatte auf dem Flügel einen in seiner Art vollkommen ausgebildeten Vortrag, und vielen Geschmack wie alle Italiener; unserm Händel stand hier ein ungleich bedeutenderer gegenüber, als vor Zeiten in dem Hamburger Mattheson. Die römischen Kunstrichter hörten nun beide nach und gegen einander, schienen aber vor Vergnügen und Verwunderung über ein so gänzlich verschiedenes und doch so vollendet schönes Spiel fast ihrer Pflicht zu vergessen. Scarlatti hatte das Zärtliche, die niedliche Tändelei vollkommen in seiner Gewalt, besaß eine blühende, etwas ausschweifende Phantasie, und wußte seine Gedanken in echt musikalischer Schönheit zu entfalten, offenbarte also auf dem Clavier ganz den Charakter, welcher bei seinem Vater, sowie mehr oder weniger bei allen seinen Landsleuten hervortrat. Händel dagegen hatte bei erstaunlicher Fertigkeit der Finger etwas Glänzendes und Funkelndes in seinem Spiel, es sprühte bei ihm, wenn es bei Scarlatti leuchtete und flackerte; was ihn aber noch mehr von seinem gegnerischen Genossen abhob, war die Vollstimmigkeit und nachdrückliche Stärke. Je nachdem nun die Neigungen waren, fällten die Kunstrichter ihr Urtheil. In Ansehung des Flügels blieb der Sieg unentschieden, und mit Recht, wie man sich aus Scarlatti's Compositionen überzeugen kann; als man aber die Orgel gehört hatte, war Domenico der erste, welcher dem Händel den Preis zuerkannte, denn von einem solchen Spiel habe er bisher, wie er sagte, keinen Begriff gehabt. Freundlich reichten sie einander die Hand, sie hatten ihre Stärke erprobt; und so schieden sie vom Kampfplatz, wie uns von den alten Helden erzählt wird, in gesteigerter Achtung und Liebe. Scarlatti soll sich nun, vielleicht schon von Venedig her, dem großen Sachsen angeschlossen haben und, soweit es anging, sein beständiger[228] Begleiter geworden sein. Und Händel pflegte bis in seine spätesten Tage mit Vergnügen von diesem Italiener zu sprechen, dessen Kunst ebenso achtenswerth, als sein Betragen liebenswürdig war. Um's Jahr 1720 sahen sie sich in London wieder. Später fand Domenico in Spanien eine neue Heimath. »Die trefflichen Hoboisten Gebrüder Plas, welche neulich [1760] von Madrid gekommen sind, berichten uns, daß dieser Scarlatti, so oft sein [Orgel-] Spielen bewundert wurde, nur Händel nannte und zum Zeichen seiner Verehrung ein Kreuz vor sich schlug.«63 Ein köstlicher Zug, der Händel selbst unter dem Volke, das ihn niemals hörte, als die Summe musikalischer Vollkommenheit erscheinen ließ, wie er denn bei den Spaniern auch noch immer in gutem Andenken steht.64

Italien konnte sich damals weder an Orgeln noch an Organisten mit Deutschland messen. Wo Händel auf seiner Reise von einem berühmten Orgelwerke vernahm, mußte er im Vorbeigehen doch hören was es für eine Lunge hatte, wie Bach zu sagen pflegte. Als er durch Trient kam, vielleicht auf der Rückreise, wurde ihm gesagt, die dortige Orgel sei von allen jenseits der Alpen vielleicht die beste; »es soll aber der Organist daselbst erstaunet seyn, wie er den Signor Sassone (so nannten die Italiener den Händel) bey der Durchreise darauf spielen gehöret.«65 Doch hatte auch Rom in der Kirche des h. Johannes im Lateran ein sehr großes Werk, und an den: greisen Bernardo Pasquini (1637–1710) bei der Kirche S. Maria Maggiore einen musterhaften tiefgelehrten Organisten66, mit dessen talentvollem Schüler Gio. Maria Casini, Organist am Dom zu Florenz, Händel sicherlich schon in dieser Stadt bekannt wurde. Pasquini's Schule, die alte contrapunktische, auf Palestrina und den wahren Orgelstyl gegründete, schlug in Italien festere Wurzeln, als Domenico Scarlatti's Clavierschule; Burney fand 60 Jahre später den Orgelstyl hier besser als in England, weil, sagt er, der Flügel[229] hier zu wenig gespielt und geachtet werde, als daß seine Spielart sich der Orgel bemeistern könnte.67 Der Grund ist wohl ein etwas anderer; in dem Abschnitt über Händel's Instrumentalmusik wird davon die Rede sein. Händel konnte die Bewunderung seines Orgelspiels leicht erhöhen, wenn er erklärte, die italienischen Orgeln thäten ihm besonders im Pedal kein Genüge.

Cardinal Panfili, ein sehr gewandter vielseitiger Dichter68, versorgte ihn auch mit allerlei Versen zu weltlichen Cantaten, von denen er oft mehrere an einem Abend setzte. Ja einige improvisirte er, wie sie ihre Reime improvisirten, und gewährte ihnen dadurch auf eine etwas kunstvollere Weise, als sie bisher gewohnt waren, das Schauspiel eines Stegreifcomponisten. Händel wurde dem Panfili immer werther; Mainwaring nennt den Cardinal »seinen erlauchten Freund«, und rechtfertigt die Bezeichnung also: »Dieser Ausdruck wird denjenigen nicht zu stark scheinen, die da wissen, was für aufrichtige Hochachtung und herzliches Wohlwollen er sich von Personen des höchsten Ranges zuzuziehen wußte.«69 Panfili beehrte ihn mit einem Lobgedicht, worin etwas vom Orpheus unsrer Zeiten u.dgl. vorkam; Händel brachte es in Musik. Keiner von beiden dachte sich etwas besonderes dabei; Panfili nicht, weil solche Lobgedichte in Italien etwas ganz gewöhnliches waren, und Händel trotz seines germanischen Blutes und seiner gründlichen Bescheidenheit auch nicht, weil er, so lange das Bessere seiner Natur nicht auf Widerspruch stieß, fast gedankenlos in das ihn umgebende Leben aufging. Es ist ein echt germanischer Einfall von Mainwaring und Anderen, Panfili habe vielleicht auf Händel's Eitelkeit speculirt. Der Cardinal wäre dann kein Italiener und daneben ein schlechter Menschenkenner gewesen, denn Händel war zwar ruhmbegierig im höchsten Grade, aber eitel durchaus nicht. Diese musikalische Curiosität habe ich an den Orten, wo Händel's sonstige Musik liegt, bisher vergebens gesucht;[230] wahrscheinlich machte er seinem Dichter ein Gegengeschenk damit, ohne erst eine Abschrift zu nehmen.

Während die zünftigen Arkadier ihre Versammlungen hielten, war es ihm und seinem Freunde Mimo (Domenico) unbenommen, mit denjenigen Schönen, die auch noch nicht 24 Jahre zählten, in Ruspoli's Garten auf eine weit natürlichere Art schäferlich zu verkehren. Wohl früher, als sein Wunsch war, trieben ihn äußere Nöthigungen von dannen. Der Unfriede zwischen Papst und Kaiser hatte schon seit einiger Zeit ein recht drohendes Ansehen gewonnen; endlich rückten Kriegsvölker auf Rom an. Als Papst Clemens, sich auf das schlimmste vorbereitend, von den achtzehn Thoren Roms schon acht zumauern ließ, war es für Händel Zeit zu weichen, da er nirgends, auch in der ewigen Stadt nicht, zum Bleiben gezwungen sein wollte. Ende Juni wandte er sich nach Neapel. Ueberall auf dem Wege hatte er seine gewappneten Landsleute um sich und sah auch noch im ganzen neapolitanischen Gebiete die deutsche Reichsfahne wehen. Das mochte ihn unterhalten und zerstreuen; doch seine Gedanken weilten in der Stadt, die er soeben verlassen hatte, in stärkerem Maaße vielleicht, als bei irgend einem seiner früheren Abschiede der Fall war. Unter seinen Handschriften befindet sich ein Stück: Abschied von Rom, von ihm selber überschrieben »Partenza di G.B. Cantata di G.F. Hendel.« Bei den andern Cantaten hat er seine Dichter niemals genannt. Anfang: »Stelle, perfide stelle«, Recitativ; klagt das Geschick an, das ihn zwinge, die blühenden Gestade der Tiber zu verlassen, doch bleibe sein Herz bei ihnen. Darauf die Arie:


Se vedrà l'amena sponda

crescer l'onda

dite pur ch'è il pianto mio

s'udirà la selva ò'l prato

zeffir grato,

son sospir che al Tebro invio.


Also ähnlich unserm deutschen »Küssen dir die Lüftelein Wangen oder Hände, denke daß es Seufzer sein die ich zu dir sende, tausend schick ich täglich aus, die da wehen um dein Haus, weil ich dein gedenke.« Recitativ: »Wohin ich den Schritt lenken werde, weiß der Himmel; mein grausamer Schmerz läßt mich fürchten, daß bei meiner Rückkehr meine Sonne um die Tiber herum nicht mehr scheine. Verschweige,[231] meine Zunge, verschweige die Hitze, die dich verzehrt; in den letzten Stunden, ich darf meiner Angebeteten meine Liebe nicht entdecken noch mit einem Kusse von ihr Abschied nehmen.« Arie: »Wenn ich zurückkehre und dann in dir meinen geliebten Schatz wiederfinde, so werde ich glücklich sein. Hoffend leide ich, und schweigend liebe ich, da ich dir meine Gluth nicht offenbaren darf.« Die erste Arie ist voll tiefer und inniger Klage, mehr schmerzvoll betonte Rede, als Lied, und das gerade Gegentheil von dem Schlußgesange, der in der Freude dereinstigen Wiedersehens in einer vollen schönen Melodie dahin strömt. So weit die Cantate. In den Vermuthungen mag man weiter gehen, da ein Leben, wie Händel es zu Rom um sich hatte, allerdings geeignet war einem jungen Künstler das Herz zu stehlen. Aber wir dürfen die Grenzen der historischen Biographie nicht überschreiten.


6. Neapel. Juli 1708-Herbst 1709.


Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, daß beide Scarlatti mit zogen; vielleicht war auch noch der Marchese Corelli in ihrer Gesellschaft, da dieser den Erzählungen zufolge eben im Jahre 1708 auf Wunsch des Königs nach Neapel kommen mußte. In dem werthvollen Baini'schen Sammelwerke finden wir die Angabe, daß Al. Scarlatti seit dem 31. Dec. 1703 an der Kirche S. Maria Maggiore in Rom Capellmeister war, aber im März 1709 resignirte70, vermuthlich von Neapel aus, wo er in dem Conservatorio di S. Onofrio von jetzt an wirkte. An Händel's Reise dorthin würde sich also aus dem Leben des älteren Scarlatti der überaus wichtige Zeitpunkt knüpfen, wo er, funfzig Jahre alt und auf der Höhe seines Ruhmes, seinem umschweifenden Leben ein Ziel setzte und in seinem Vaterlande jene weltberühmte neapolitanische Tonschule gründete, die in den nächsten sechzig Jahren alles überflutete, ausgenommen die Gebiete, die Händel in England, Bach in Deutschland und Rameau in Frankreich besetzt hielten. War die Saat der alten wackeren deutschen Tonmeister gegen das achtzehnte Jahrhundert hin unvermerkt zu einem Walde angewachsen, so muß man das, was jetzt in Neapel[232] gedieh, ansehen als einen Garten, wo nach Göthe's Worten im dunkeln Laub die Goldorangen glühn. Alles was die italienische Musik vor der übrigen voraushatte, kam eigentlich erst dieser Schule für ihr schnelles Aufblühen und siegreiches Vordringen recht zugute. Das blendende Aufleuchten hat den Gehalt derselben überschätzen lassen. Bis auf den heutigen Tag ist es wesentlich die neapolitanisch-italienische Betrachtung, mit der wir in die Musikgeschichte blicken, und so befindet sich diese noch immer – abgesehen von einigen nationalen Gegenwirkungen, die weder kräftig noch unbefangen und gründlich genug waren um das Verhältniß zu ändern (Burney und Winterfeld z.B.) – in einer schiefen Stellung. In der Entwicklung der Musik geht die Höhenrichtung allerdings durch Al. Scarlatti, aber nicht durch seine Schule; durch diese würde sie nur dann gehen, wenn Händel darin gewesen wäre, statt Leo, Durante und Hasse. Und Gluck's Reformen trafen keineswegs die gesammte Musik vor ihm, sondern nur die Consequenzen der neapolitanischen Schule. »Wollt ihr componiren lernen, so geht nach Neapel,« sagte Rousseau. »Durante ist der größte Harmonist in Italien, das will sagen in der Welt;« derselbe. »Nein«, wendet Hasse ein, »dieses Lob gebührt dem Al. Scarlatti; Durante war barock und trocken.« Die Zänkerei, wer der größte gewesen, schreibt sich auch von der neapolitanischen Schule her. Wo man den Geist preisgiebt und die Musik in Stimmungen auflöst, ist allerdings nie eine objective Werthschätzung möglich. Kiesewetter sagt in seinem Abriß der Musikgeschichte: »Alessandro Scarlatti war unstreitig einer der größten Meister aller Zeiten; gleich groß in den Künsten des höheren Contrapunktes, wie in der dramatischen Recitation, in Erfindung von Melodien des edelsten und großartigsten, zugleich treffendsten Ausdruckes, und einer freien, immer sinnigen Begleitung von Instrumenten. In jeder dieser Gattungen Reformator, kann man von ihm sagen, daß er sein Zeitalter um ein Jahrhundert überflügelt, auf den Geschmack der Zeitgenossen mächtig eingewirkt, seine Kunstgenossen zu sich erhoben, und so jenen Umschwung vorbereitet habe, welchen die Tonkunst in der gleich nachgefolgten Periode, deren Morgenröthe noch seine Augen sahen, aus der neapolitanischen Schule, durch seine gleich großen Zöglinge erhielt.« Man begreift nicht, wie er seiner Zeit um ein Jahrhundert voraus sein[233] konnte, wenn eine noch vollkommnere Kunst so unmittelbar nach ihm leuchtete, daß er schon die Morgenröthe davon sah. Solche Lobreden sagen überhaupt garnichts. Scarlatti kann tief und wohlthätig gewirkt haben, ohne eben alle Zweige der Kunst gleich vortrefflich anzubauen. Nicht der ist epochemachend, der alles kann, sondern der, welcher das am besten ausdrückt, was für seine Zeit das Lebendige ist. Scarlatti hat dieses wirklich gethan. Er war ein Genie für dramatische Musik, wie nur immer Lully und Purcell vor ihm und Keiser neben ihm es waren. Mehr als alle drei, namentlich als der erste und dritte, vertrat er mit Antonio Lotti und Agostino Steffani den höheren Contrapunkt, und von Keiser, der ihm fast auf ein Haar gleicht, unterscheidet ihn noch die größere Sicherheit im Gesange sowie die Feinheit in der Behandlung der Instrumente; dagegen ist der symphonische Klang bei Purcell und selbst bei Keiser stärker. Im Pathos, im »großartigen« Ausdruck ist er kein Held; nicht innere Kraft, nur größere Bildung und die Künste des Contrapunkts führten ihn auf dem Gebiete des Erhabenen etwas näher zu Händel hin, als den Keiser, aber lange soweit nicht, als den Engländer Purcell. Repräsentiren Lully und Purcell im Sologesange gewissermaaßen die Formlosigkeit, so Scarlatti und Keiser die kleine Form; und der Italiener wußte die geschicktesten Mittel zu ergreifen, um diese kleine Form mustergültig hinzustellen. Scarlatti's Arien nannte die folgende Zeit Arietten. Im gesund Melodischen ist er stärker als Bononcini, im Contrapunkt zu Zeiten grüblerisch gelehrt, wie sein Zeitgenosse Fux in Wien. Wer ihn im Mittelpunkte erfassen will, muß nicht von seinen vollstimmigen Kirchenstücken ausgehen, so kunstreich diese auch sein mögen, sondern von seinen Cantaten und Opern. Es ist sehr zu beklagen, daß wir über seine Werke durchweg nicht besser unterrichtet sind, als über seine Lebensdauer. Die Angabe seiner Geburt schwankt zwischen 1650 und 58, die seines Todes zwischen 1725 und 28; und vielleicht ist von diesen Zahlen keine einzige richtig, wenigstens rechnet ihn das Verzeichniß der Arkadier vom Jahre 1730 noch zu den Lebenden.71 Seine Cantaten dürften das halbe Tausend[234] übersteigen, Burney traf in Neapel einen Kunstfreund, der allein 400 davon besaß. Der Gegenstand kann an diesem Orte nur soeben berührt werden; doch ist das, was über Händel's italienische Cantaten zusammenfassend gesagt werden muß, absichtlich bis hieher verspart.


Cantaten und Chansons. 1707–9.

Die Stelle der Cantate hat bei uns das Lied mit Pianofortebegleitung eingenommen. Das Lied ist rein lyrischer, die Cantate mehr dramatischer Natur; den namhaftesten Liedercomponisten, Franz Schubert an der Spitze, fehlt der Nerv für das musikalische Drama, während die ersten Cantatenmeister auch die ersten Operncomponisten waren. Die Cantaten waren geradezu Vorstudien zu den Opern. Wer in diesem engen Rahmen von einigen Zeilen Recitativ und wenigen Arien etwas Rechtes zu Stande brachte, hatte dadurch schon ein Stück Oper gemacht; auch die kleinste Cantate hat die Gestalt einer dramatischen Scene. Sie waren für den Componisten das, was die Skizzen und Studien für den Maler sind. Mattheson's Vergleich der Cantaten mit den Landschaftsbildern und der Opernscenen mit den Theaterdecorationen72 trifft die Sache nur halbwegs; denn völlig so ungleich ist hier der Pinsel doch nicht, wenn er sich auch bei den Cantaten, weil sie in einem kleinen Raume und nicht aus dem Kopfe gesungen werden, mit kunstreicherer Ausmalung kleiner Züge abgeben kann. Scarlatti's Compositionen liefern die rechten Beispiele, aus denen man auch die historische Stellung der Cantate am besten erkennt. Was nirgends versucht war, versuchte man in der Cantate; die freiere Modulation und die besondere Verknüpfung der verschiedenen Tonarten verwandte man erst für andere Gattungen, nachdem sie hier geglückt war. Dadurch gewinnt der Gegenstand, so klein er erscheinen mag, für die Entwicklung der Tonkunst eine große Bedeutung. Er hätte längst eine eingehende Untersuchung verdient, leider ist Burney's Analyse einer Sammlung Scarlatti'scher Cantaten73[235] noch immer das beste und vollständigste darüber. Das Urtheil über die Hauptmeister im Cantatenfache hat niemals allgemein festgestanden. Es ist erklärlich: die Zahl ihrer Erzeugnisse ist Legion, und da hier alles der Hausmusik anheimfällt, so wählt sich der Familiengeist was ihm zusagt, wie er denn überhaupt an dem hundertsten Theile des Vorhandenen sein volles Genüge hat. Wer aber das Ganze nicht übersieht, kann selbst bei dem geläutertsten Geschmacke über das Ganze kein Urtheil haben. So erklären sich die auseinander gehenden Meinungen, die dann von den Schriftstellern unberichtigt neben einander gestellt sind. Wer die Mühe nicht scheut und das Material zusammenbringen kann, findet hier aufzuräumen und viel lehrreiches zu sagen. Es liegt am Ende doch nicht an der Sache selber, sondern nur an unserer Faulheit, daß in derjenigen Musik, die nicht mehr gespielt wird, noch alles so wüst und geistentblößt aussieht.

Besonders Händel's und Marcello's Cantaten findet Mattheson zur Uebung in den schweren Tonarten empfehlenswerth.74 Den Scarlatti kannte er nicht. Was dieser nebst Gasparini in Angriff nahm und seine jüngeren Kunstgenossen weiter ausbildeten, den ganzen Sprengel der Tonarten, gebrauchte Händel mit einer Kühnheit und zwanglosen, gleichsam angebornen Sicherheit, die ihnen neu war. Wo er den Ton wechseln will, weiß er sich alles dessen, was die Musik dafür besitzt, wie Theile seines musikalischen Sprachschatzes mit der größten Leichtigkeit zu bedienen. Den letzten Schritt that Bach, indem er zu pädagogisch-musikalischen Zwecken die Tonarten nach der Reihe selbständig durchnahm. Der sichere muthige Gang in Händel's Cantaten muß für manches entschädigen, was die italienischen vor ihnen voraus haben. Hier liegen seine ersten Versuche im Italienischen vor, daher auch seine auffallendsten Fehltritte. Namentlich in den Solocantaten mit bloßem Clavierbaß, wo er keinen Nebengedanken in die Begleitung werfen und so praktisch das Richtige festhalten kann, schreibt er oftmals für die Singstimme, als hätte er die Geige vor sich. Selbst in dem schon erwähnten hervorragenden Stücke »die Lucretia« findet sich ein ganzer Satz (Alla salma infedel), bei welchem das Vornehmen, mit dem Basse canonisch zu gehen, besonders[236] zu Anfang völlig in das instrumentale Gebiet führte. Wo er nichts vor sich hat, als spielende Reime, schlendert er an der Hand des leeren Textes mit einem so trockenen Gesichte daher, daß man den Händel kaum wiedererkennt. In Arnold's Ausgabe sind von den etwa 150 vorhandenen Cantaten sechzehn gedruckt, darunter zwölf ohne Instrumente, deren größte Zahl nur gewählt scheint, um aus dieser Gattung das schwächste vorzulegen; der sinnlosfehlerhafte Text macht sie völlig ungenießbar. Händel's Solocantaten sind durchweg keine ausgeführte Landschaftsbilder, sondern Skizzen, von denen nur einige wenige so geriethen, daß sie gleich zu Anfang ihre bleibende Gestalt fanden. Zum Theil kann man die Stücke, denen er mit größerer Sorgfalt oblag, schon an der zierlichen Handschrift erkennen, zum Theil an den Abschriften, die er später in England davon nahm oder nehmen ließ. Durch die Handschrift sticht z.B. hervor »Occhi miei che faceste?« eine der besten Cantaten, die eine völlig italienische Gesangmelodie hat. Die Schrift ist hier außerordentlich gewandt und schön, wird aber fast noch übertroffen durch eine andere »Aure soavi e lieti«, die sogar einen großen, mit der Feder andächtig gezirkelten bunten Anfangsbuchstaben hat. Schon das anhebende Recitativ ist sehr schön, besonders aber die nachfolgende Arie »Care luci«, eine seiner herrlichsten Melodien, von der einiges im Theseus (Dolce riposo,) und später im Flavius (Parto si) wiederklingt; es ist ein Gesang, den die Liebe selbst gesungen und geschrieben zu haben scheint. Stehen diese Stücke vielleicht mit dem »Abschied von Rom« in Verbindung?

Die Cantaten mit Instrumenten, beständig »con Stromenti« überschrieben, kann man im eigentlichen Sinne die römischen nennen, da sie für die dortige Capelle geschrieben sind. Glanz und Pracht, Feuer und jugendliche Frische sind ihre Merkmale. Die Melodiebildung ist zum Theil höchst originell, die Gänge sind durchweg sehr sicher, alles ist voll Sang und Klang, aber in der Ausführung auf Virtuosen berechnet. Die Melodie steht hier nicht mehr einzeln für sich, sie hat an den Instrumenten Gesellschaft, und jeder Theil weiß seine Selbständigkeit zu bewahren, diejenigen Stellen abgerechnet, wo der Strom der Gesammtharmonie den Sänger wohl oder übel mit fortreißt. Solche klangreiche Gemälde, die den Römern unbekannt[237] waren, machten ihnen die besseren Seiten der deutschen Musik verständlich; sie haben auch in der Form mehr oder weniger etwas Germanisches bewahrt. Händel fand einen Weg, sich in diesen hochgebildeten Kreisen geltend zu machen ohne den guten Kern deutscher Kunst selbst in den Theilen, worin sich noch niemand mit Italien zu messen gewagt hatte, aufgeben zu müssen. Freilich ist aus den ursprünglich deutschen Anlagen hier etwas ganz neues geworden; was vorhin eckig und steif war, hat sich unter einer wärmeren Sonne schnell zum blühenden Leben entfaltet. Einige von diesen Compositionen dürften schon bei seinem ersten Aufenthalte in Rom entstanden sein. In einer (Figlio d'alte speranze) hat das Recitativ wiederholt ariose Cadenzen, wie bei Bononcini; eine andere (Dunque sarà) hat in der Mitte eine längere Scene, wo ganz nach Keiser's Art ein Lied, ein Arioso von wenigen Takten mehrmals von recitativischen und anderen Sätzen durchschnitten wird, aber sich immer auf's neue geltend zu machen weiß.

Eine dritte Art der Cantaten bilden diejenigen, in denen mehrere Personen auftreten. An Umfang zum Theil sehr bedeutend, fallen sie auch unter den Begriff von Serenaten, die sich dem Wortsinne nach zwar eigentlich auf Ständchen und Nachtmusiken beziehen, doch wegen der Beschränkung auf zwei oder drei Sänger und namentlich wegen des brünstigen Ausdrucks nicht ganz unberechtigt eine weitere Bedeutung erhalten haben. Händel hat sie indeß immer einfach Cantaten genannt, »a due« oder »a tre.« Diese Stücke leiten uns unmittelbar zu dem größeren musikalischen Drama; sie sind es auch, welche ihm für seine nachfolgenden Opern die ergiebigsten Quellen wurden. Eins der längsten, vielleicht auch eins der ersten, ist das Schäferspiel Apoll und Daphne, überschrieben als »Cantata a 2. Apollo e Dafne«, bestehend aus zehn Gesängen, darunter zwei Duette und ein »concerto grosso«, nämlich eine concertirende Arie mit reicher Instrumentalbegleitung. Daphne preist das Glück der Freiheit, Apoll seufzt um Erhörung. Das eine Duett ist nur einstimmig, nämlich Wechselgesang der beiden Personen gegen einander, wobei Daphne keck und heiter, Apoll aber liebesselig schwärmerisch und trübe singt. »Fillide e Aminta«, eine andere Composition für zwei Personen, möchte ich die Rinald-Cantate nennen, nicht allein deßhalb, weil[238] er ein merkwürdiges Lied (Se vago rio) fast ganz unverändert in diese Oper aufnahm (Il vostro maggio), sondern auch, weil der Anfangssatz der »Overture«, die er der Cantate vorgesetzt hat, ebenfalls die genannte Oper eröffnet. Drei beliebte Arien aus Agrippina finden wir hier wieder. Die Cantate ist als Ganzes eine seiner vollendetsten italienischen Arbeiten, alle neun Sätze sind meisterhaft. Das Duett »Per abbatter il rigore« ist das schönste, was er bis dahin in dieser Gattung gemacht hat, überhaupt sein erstes völlig kunstreiches Duett, das er auch später zu einem noch besseren Texte (Caro autor) nur wenig zu ändern wußte. Ueber dergleichen Erzeugnisse wird sich niemand mehr gewundert haben, als der ältere Scarlatti; sie waren unter ihnen entstanden, waren italienisch, und doch auch wieder ganz eigen und selbständig. Das größte Stück hat drei Personen und sogar zwei Theile, die wie Acte einer Oper auch als solche angedeutet sind. Händel nennt es aber doch nur »Cantata a 3.« Die Personen sind natürlich wieder Schäfer und Schäferinnen, Fileno Clori und Tirsi. Im Rinald werden wir auch mit diesen, die wohl in Neapel zu Hause gehören, die Bekanntschaft erneuern. Gar merkwürdig ist ein anderes Stück für drei Personen: »Cantata a 3. Olinto Pastore, Tebro fiume, Gloria.« Olinto war – Ruspoli! Diese Ruspoli-Cantate leitet uns wieder nach Rom zurück, in Ruspoli's reizenden Garten, an die Tiber, zu den Schäfern, die sich mit so liebenswürdiger Naivetät besangen, zu all' den Herrlichkeiten und all' den Schönen. Priesen sie Händel, so that er ein gleiches und war auf ihre Verherrlichung nicht weniger eifrig bedacht, als sie auf die seine.

In diesen Cantaten sehen wir nicht bloß den Tonsetzer, sondern auch den Wanderer in Italien, dem die Leute ein ganz italienisches Gewand angelegt haben. Sie sind zum Verständnisse des Menschen wie des Künstlers gleich wichtig, ja unersetzlich. Auf welche Weise er hier zur Schule ging, wie er mit den Men schen verkehrte, was für Werke dies veranlaßte, welchen Gewinn seine Kunst daraus zog: das können wir mit einem Blicke überschauen. Wäre der Briefwechsel mit seiner Mutter erhalten, dafür aber die Cantatensammlung verloren gegangen, so wüßten wir über die italienische Reise vielleicht mehr Worte zu machen, doch das wahre Verständniß davon wäre[239] nur auf Umwegen zu erreichen. Die eigentliche Bedeutung dieser Cantaten liegt darin, daß sie über seine folgenden Werke Licht verbreiten und für deren volles Verständniß durchaus unentbehrlich sind. Das Gesagte soll nur diese Stellung andeuten; erschöpft ist der Gegenstand noch lange nicht.

In die italienische Zeit gehören auch, wie Papier und Handschrift ausweisen, sieben Chansons d.h. französische Gesänge. Sie entstanden sicherlich in Neapel, und es ist kaum anzunehmen, daß er einen anderen Zweck dabei hatte, als den des Studiums. Eben in diesen Tagen wurden heftige Streitschriften gewechselt über die Vorzüge der italienischen und der französischen Musik. Daß Händel auch der letzteren ein aufmerksames Ohr lieh, versteht sich von selbst; er konnte dies aber an jedem Orte, weil die Partituren gedruckt zu haben waren. Von einer Reise nach Paris versprach er sich wohl nicht viel, denn in der Gesangkunst und überhaupt in seiner Execution standen die Franzosen niemals hoch angeschrieben, Schreien und Fideln hatte er aber in Deutschland genug gehört; auch setzte damals der Krieg eine Grenze. Händel's französische Lieder haben alle nur den einfachen Clavierbaß zur Begleitung. Sie sind ganz im französischen Geiste geschaffen, wie nur immer Lully's gepriesene Kraftsätze. Das erste ist eine erotische Spielerei mit »ohne daran zu denken (Sans y penser)«, die in einer langen schönen Melodie forttändelt. In dem zweiten ist Wechsel des geraden und ungeraden Taktes, ein echtes Kennzeichen der alten französischen Oper, von Händel in Sätzen, die französischen Tanzschritt hatten, damals auch noch hin und wieder bei seinen andern Compositionen verwandt. Diesen Satz hat er eine geraume Zeit später sehr sorgfältig mit Blei corrigirt. Auch der Baß des dritten schönen Liedes »Petite fleur brunette« ist später durch einige wenige Striche weit besser gemacht; ebenfalls das vierte Stück, das theils aus Recitativ, theils aus Arioso besteht und Taktwechsel hat. In den übrigen Sätzen bemerkt man keine Aenderungen. Diese sorgliche Besserung kleiner Compositionen, die sich niemals öffentlich wichtig machten, ist lehrreich. Hätte Händel eine französische Oper gesetzt, so würde er die Stücke umgebildet dorthin verpflanzt haben; weil das nicht geschah, mußte er sie wenigstens feilen, denn er konnte das Unfertige nicht ertragen. In seinen deutschen, italienischen und[240] englischen Tonsätzen, die er in folgenden Werken immerfort neu gestalten konnte, finden sich keineswegs so aufmerksame Correcturen; die Umbildung vertrat dort, und in höherem Maaße, die Stelle der Correctur. Unter allen Liedern ragt hervor das fünfte »Nos plaisirs« als eine lange Händel'sche Melodie mit einer kunstreich wiederkehrenden Figur im Grundbasse, einem sogenannten Basso ostinato; das sechste »Vous ne scauriez flatter ma peine« als ein reines schönes Recitativ; und das siebente »Non je ne puis plus souffrir« wieder als eine schöne Gesangmelodie. Im Grunde sind alle sieben Lieder gelungen, und einige köstlich. Hier haben wir Händel's musikalische Antwort auf die literarischen Streitigkeiten. In Worte übersetzt lautet sie: für den einfachen herzhaften Gesang, für dröhnende musikalische Rede und leichten Tanzschritt giebt die französische Oper unverwerfliche Muster, die auch natürlicher stehen als die italienischen, weil sie erlauben im Einfachen einfach zu bleiben; wem sich aber das volle Leben des Gesanges verflochten mit dem Instrumentalen, überhaupt die Musik als schöne Kunst vielseitig erschließen soll, der gehe nach Italien. Niemand hat den Gegenstand so unparteiisch gerecht erörtert, noch viel weniger den Verhalt praktisch darlegen können. Eine französische Oper von Händel, in und für Paris geschrieben, müßte dort einen Erfolg gehabt haben, wie die Agrippina in Venedig; aber Händel hätte dar aus wesentlich nicht mehr gelernt, als was er schon aus diesen Liedern wußte.

Zu den Cantaten für mehrere Personen gehört auch noch ein Werk, das wir nur seines Inhaltes und seiner selbständigen Bedeutung wegen gesondert besprechen, nämlich das Schäferspiel:


Aci, Galatea e Polifemo. 1708–9.

In Händel's Handschrift ist es nicht völlig, doch größtentheils erhalten. Zu Anfang der Ueberschrift steht ein Wort, das unleserlich ist, dann folgt »a 3. Aci, Galatea e Polifemo.« Zuerst hat er Galathea geschrieben, das h aber später durchstrichen, danach schreibt Fétis denn auch Galathea; das angeblich urkundliche Galattea bei Schölcher ist ohne Grund. Das Wort zu Anfang hieß wohl erst Cantata, dann mag er Serenata oder Pastorale darüber geschrieben haben; aber, wie gesagt, völlig unleserlich. Zeit- und Ortsangabe[241] fehlt, doch nach Mainwaring, dem niemand widersprochen, entstand es in Neapel, war also von den größeren italienischen Werken das letzte. Erst hier in Neapel, wo Händel den idyllischen Zuständen in der Wirklichkeit näher gerückt war, gelang ihm ein Tonwerk, das man als die musikalische Blüthe des arkadischen Geistes ansehen muß, wie den Pastor fido von Guarini als die poetische. Die Liebe des Cyclopen zu der Meernymphe war von den Poeten schon fleißig besungen, Marino an der Spitze; doch blieb das beste darin der Musik vorbehalten. Als Händel später in England die Fabel zum zweiten Male vornahm, gestaltete er sie zu englischen Worten so von Grund aus neu und so gehaltvoll, daß wir dieses zweite Werk hier nicht mit dem ersten, wie vorhin die verschiedenen Bearbeitungen vom Sieg der Zeit und Wahrheit, zusammenziehen konnten. Bis dorthin sei auch verspart, was über den Grundgedanken der Fabel zu sagen ist; hier halten wir uns nur an das Musikalische. Entlehnt ist für die englische Galatea fast garnichts, als etwa die Arie »S'agita in mezzo all' onde«, von der namentlich die Begleitung in »Hush hush ye pretty warbling choir« wiederklingt; sonst findet man verwandtes eher in den folgenden Opern, Rinald Pastor fido und Theseus. Von diesem Pastorale ist der Grund gut, aber die italienische Ausführung entspricht dem, was darin liegt, noch nicht völlig. Schon die musikalischen Mittel sind unzulänglich. Ein rechtes Schäferspiel muß von Chören eingefaßt sein, hier aber hören wir nur die drei Genannten allein, unter denen auch noch wieder ein Mißverhältniß besteht, indem Acis der Schäfer im hohen Sopran und seine Geliebte im zweiten Sopran oder Contralt singt. Mit einem Duett der Liebenden »Sorge il di-Spunta l'aurora« beginnt das Spiel. Es ist ein sehr schöner Satz, aber nicht, wie der in der Rinald-Cantate, ein Vorläufer der späteren Kammerduette, sondern mehr in kleinen gegensätzlichen Motiven dialogisch gehalten, reicht also denjenigen Bühnenduetten die Hand, die später namentlich durch die Arbeiten der neapolitanischen Schule so beliebt wurden. Stellenweis wird zu lange in bekannten Gängen fortmodulirt, doch schließt der Satz eine gewisse musikalische Stimmung völlig ab und steht in dieser Hinsicht schon sehr hoch. Dem gesangreichen, trefflich gearbeiteten Trio »Proverà lo sdegno mio« fehlt eben nichts weiter, als ein solcher Abschluß, ohne[242] den eine Composition doch nicht vollendet gut genannt werden kann. Händel's anfängliche Arbeiten, namentlich die Gesangsätze für mehrere Stimmen, haben häufig eine lose schlottrige Haltung; aber bei jeder neuen Fahrt lernt er die Zügel fester halten. Der grausige Polyphem hebt das obige Trio an. Galatea wird durch seine Drohungen eingeschüchtert und flüchtet zu ihrem Acis, sie, die eben noch so heiter sang, ein Unstern werde ihr Schifflein doch nicht in die Wellen sinken lassen. Vor der Katastrophe folgt wieder ein Gesang für drei, eine Anlage, die im Englischen beibehalten wurde, Polyphems Hinzutreten leitet aber bald in's Recitativ. Eine Arie der Galatea (Se m'ami o caro) mit zwei Violoncells und Grundbaß, die Zwischenspiele mit vollem Saitenspiel, ging in den Pastor fido ein, eine andere (Benche tuoni), in Theseus. Was Acis zu singen hat, ist recht breit ausgeführt. Einmal(Che non può la gelosia) ist seinen tief melodischen Gängen eine imitirende Oboe beigegeben, und dadurch entsteht eine seine Arbeit, bei der nur die vielfache und eintönige Coloratur störend wirkt; ein andermal bei einem noch ausgezeichneteren Gesange (De l'aquila l'artigli) hat er nur einen lebhaften Baß zur Begleitung. Daß Händel besonders bei der Partie des Acis von einer Sängerin abhängig war, die hie und da auf Kosten der Kunst befriedigt sein wollte, macht auch noch die sehr ausgeführte lange Siciliane »Qui l'Augel da pianta in pianta« wahrscheinlich. Diese hält sich durchgehends in den höchsten Lagen, und so süßklingend und sein sie auch instrumentirt ist, können doch nur besondere Mittel mit ihr eine Wirkung erzielen. Der äußerste Aufwand ist gemacht, um das Ungeheuer Polyphem zu charakterisiren. Seine Gesänge strahlen sämmtlich von barbarischer Schönheit und sind voll der glücklichsten Charakterzüge, die eben als solche so sehr komisch wirken. Am weitesten treibt ihn seine Verstiegenheit in dem Gesange »Fra l'ombre e gl'errori«, wo er sich wie ein Wallfisch von dem grundlos Tiefen bis in die möglichste Höhe hinaushebt, einmal in unmittelbarem Ueberschlag von zwei Octaven und einer Quinte:


1. Italien

[243] begleitet von gedämpften Violinen und Flöten in Octaven und, um die zartesten Liebesgefühle noch deutlicher abzumalen, von dem zimperlichen Violoncellbaß ohne Clavier! Die Charakteristik schlägt hier um in jugendliche Ausgelassenheit, Herr Polyphem dient zum Lustigmachen. Der Stimmumfang wird in einer Coloratur der Solocantate »Nell' africane selve« noch um einen halben Ton, zu zwei Octaven und einer Sexte, erweitert:


1. Italien

die also auch in Neapel und für denselben Sänger gemacht sein muß. Die Kunst desselben bestand vorzüglich im Ueberschlagen der Octaven. Wer dieser Riesenbaß war, mit dem Händel sich so ergötzte, läßt sich wohl noch herausbringen. Er singt hier als aufgeregter Polyphem von den zischenden Schlangen und dem Mordgebrüll der Scylla ein rauhes tonreiches und außerordentlich feurig begleitetes Lied (Sibillar), das bald darauf im Rinald mit einiger Erweiterung des Instrumentalsatzes dem Zauberer Argantes in den Mund gelegt wurde; von dem Gesange ist fast keine Note geändert, auch der Text ist mit Ausnahme des unpassenden Schlusses Wort für Wort beibehalten. Im Rinald sang Boschi den Satz. Signor Boschi kam von Neapel nach London. Wir gehen also wohl nicht fehl, wenn wir diesen, der seiner Zeit der größte italienische Vocalbassist war, für den Sänger des Polyphem ausgeben. Händel nahm den Satz mit all' den eigenthümlichen Tongängen der Coloratur nur deßhalb unverändert auf, weil Boschi ihn noch von Neapel her im Kopfe hatte.

Von den Umständen, unter denen dieses Werk entstand und aufgeführt wurde, ist nur eine Kleinigkeit durch Mainwaring bekannt geworden. Ueber Händel's Aufenthalt in Neapel fließen die Quellen dürftig, was indeß nicht sehr zu beklagen ist, da wir ihn als eine wenig veränderte Fortsetzung des römischen ansehen können. An vornehmen Häusern, die den fremden Künstler mit offenen Armen aufnahmen, fehlte es gewiß nicht; durch die Scarlatti und die römischen Arkadier, noch mehr aber durch seine Kunst war er wohl eingeführt. Mainwaring erzählt auch: »Von Rom ging er auf Neapel, wo er, wie an den meisten andern Orten, einen Palast zu seiner Verfügung[244] hatte, und mit freier Tafel, Kutsche und allen sonstigen Bequemlichkeiten wohl versorgt war. In dieser Hauptstadt machte er Acis und Galatea zu italienischen Worten und in einer Composition, die von unserer englischen verschieden ist. Es geschah auf Ersuchen der Donna Laura – ob sie eine portugiesische oder spanische Prinzessin war, kann ich nicht genau sagen; doch die Pracht und der Aufwand dieser Dame scheinen eher für ihre spanische Abkunft zu sprechen, denn sie führte einen wirklich königlichen Staat. Während er in Neapel war, empfing er Einladungen fast von allen Standespersonen, die dort und in der Umgegend wohnten; und glücklich wurde geschätzt, der ihn zuerst gewinnen und am längsten bewirthen konnte.«75 Es stimmt ganz zu den Verhältnissen, daß Händel in Rom unter die Fürsten, in Neapel unter die Fürstinnen gerieth. Dreizehn Damen des höchsten Standes aus Neapel gehörten zur Arkadia, in Rom nur vier oder fünf. Doch finde ich unter diesen nicht die Prinzessin Laura, auf deren Veranlassung die Galatea gesetzt sein soll, dagegen eine andere Fürstin spanischer Herkunft, Donna Cecilia, mit dem Schäfernamen Egeria76, die es wohl sein wird; jedenfalls muß die Dame, die ein Schäferspiel bereitete, zu den Schäfern gehört haben. Daß sie eine spanische Prinzessin war, wird auch unabhängig von Crescimbeni zu beweisen sein. Mitten unter Händel's italienischen Cantaten steht eine in Dmoll »Cantata Spagnuola a voce sola e chitarra.« Er hat sich nicht als Componist dabei genannt, und weil die Notation durchweg, selbst im Recitativ, die der ältesten Kirchenchöre ist, wie schon der Anfang zeigt:


1. Italien

so möchte man die Abschrift eines fremden Opus vermuthen. Aber die Notation ist nur eine Hülle, die modernen Gehalt und echt Händel'sche Melodien einschließt. Es sei keine Hoffnung aus dem Zustande der Liebe herauszukommen, heißt es hier, denn die Leidenschaft[245] nehme zu und die Vernunft nehme ab. Ein hübsches Lied und eine allerliebste Musik, bei der immerhin etwas von spanischen Melodien benutzt sein kann. Einfacher als die italienischen Cantaten, rückt sie den französischen Chansons näher; das eben war der spanische Styl, dessen weitere Originalität aber nur in der Zither und in der Alterthümlichkeit bestand. Die Vermuthung liegt nahe, daß es eine Spanierin war, die diese Cantate veranlaßte.

Die Beschäftigung mit der Musik verschiedener Völker hatte für Händel jetzt eine weitere Bedeutung; die Gegend, in der er sich befand, schien ihn unmittelbar darauf zu leiten, denn diese ist für Volksgesang noch heute eine der ergiebigsten. Was hier so kunstlos natürlich gedieh, war lange Zeit das einzige, womit die Neapolitaner sich in der Musik zeigen konnten. Von hier aus hatte Pietro della Valle, einer der ersten und eifrigsten Sammler von Nationalmelodien, im Jahre 1611 mehrere echte Sicilianen nach Rom gebracht und sie dadurch, wie er in einem außerordentlich lehrreichen Briefe vom 16. Jan. 1640 versichert, zuerst in die dortige Kunstmusik eingeführt.77 Ein Stamm der Albanesen, der in dieses Land verschlagen ist, soll noch jetzt seinen ureignen Gesang bewahrt haben. Hier im Neapolitanischen begriff Händel auch erst recht den wahren Sicilianenstyl, in welchem er nachher so viel Schönes gesetzt hat. Den besten Theil seines Wissens und seiner Kunst nahm er aus der Anschauung des Lebens her; es paßt daher so ganz zu seiner Natur, daß er sich eben an diesen Orten die Musik der verschiedenen Nationen vorführte. In Rom hätte er nicht die rechte Stimmung dafür gehabt, und anderswo noch weniger. Solches musikalische Umschweifen bis in die weiteste Ferne, verbunden mit Wanderungen durch die merkwürdigsten Provinzen, erklärt uns auch, warum sein beträchtlich langer Aufenthalt in Neapel, der mindestens ein Jahr gedauert haben muß, nur ein einziges Werk größeren Umfanges abwarf. Eingehen auf das Fremde war ihm jetzt eine Hauptsache. Melodischen Gängen, Schlüssen, zum[246] Theil halben oder ganzen Melodien, die aus dem Volksgesange stammen, begegnet man von jetzt an in seinen Werken sehr häufig; auch da spürt man noch den Anhauch desselben, wo der antiquarische Nachweis nicht mehr möglich ist.

Daneben arbeitete er sich unablässig in die strengere Schreibart hinein. Sicherlich seine erste Arbeit in Neapel war das Trio »Se tu non lasci amore«, auf das wir im dritten Abschnitt zurückkommen. Die Handschrift trägt die Angabe der Zeit und des veränderten Wohnsitzes: »G.F. Hendel | li 12 di Luglio| 1708 |Napoli.«78 Er war wohl erst einige Tage oder höchstens einige Wochen dort. Von den hier vielleicht noch entstandenen und unbekannt gebliebenen Tonsätzen scheint in Neapel nichts erhalten zu sein. Das dortige Conservatorium besitzt zwar einige Abschriften Händel'scher Werke, die aber nach dem Verzeichniß, das H. Kestner an Ort und Stelle aufnahm und mir gütigst mittheilte, nur die bekannten späteren Oratorien enthalten.

Die Rückreise setzen wir nur muthmaaßlich in den Herbst des Jahres 1709, wo es im römischen Gebiete schon wieder friedlicher[247] aussah. Ueberall in Italien waren unserm Händel die Lebensbedürfnisse mühelos zugeflossen; wie er mit Vergnügen bemerkte, befand sich sein Stammkapital, der Säckel mit den zweihundert Ducaten aus Hamburg, sehr wohl dabei. Das Leben, welches er hier zu führen fast gezwungen wurde, war allerdings ein Abstand gegen Hamburg, wo die Schützer der Kunst für die saure Lection eine Mark Banco auswarfen, aufs höchste einen halben Thaler. Daß er auf seiner Wanderung für alles ein offenes Auge hatte, daß er sich nicht nur die berühmtesten Musiker und hervorragendsten Musikstätten, sondern im eigentlichen Sinne die Welt besah, versteht sich bei einem solchen Geiste von selbst, ist auch durch die Untersuchung seiner Werke überall bewiesen. Was sich sonst noch beobachten läßt, dient nur zu weiterer Bestätigung. In Italien erwarb er sich eine tiefe Kenntniß von den bildenden Künsten, namentlich von der Malerei; Rom machte ihn durch tagtäglichen Umgang mit dem besten, was in diesem Bereiche vorhanden ist, zu einem leidenschaftlichen Liebhaber derselben. Hatte er in der Folge auch weder Zeit noch Geld sich eine eigne Gallerie anzulegen, so besah er doch gern die seiner Freunde, und lebenslang blieb der Besuch von Gemäldesammlungen und Kunstausstellungen eine seiner angenehmsten Erholungen. Die Gewandtheit, mit der er die italienische Sprache handhaben lernte, ist ein anderer Beweis seines Eingehens auf dieses Volksthum. Von äußeren Kennzeichen mag man endlich auch noch seine schöne italienische Handschrift anführen. Diejenigen, welche Schriftzüge als den Schlüssel zum Charakter ansehen, werden ohne Mühe alles das darin erkennen, was oben schon allgemein verständlicher auseinandergesetzt ist, und niemand wird bei ihrem Anblick sich des Gedankens an eine frohe Jugendzeit erwehren können. Der italienische Aufenthalt fiel in Händel's 22- bis 25stes Lebensjahr. Er kam bald in Verhältnisse, die seinem eigentlichen Wesen natürlicher waren und dauerndere Werke veranlaßten: aber die unbekümmerte sorglose Zeit, die eigentliche Jugend hat er nur in Italien verlebt. So wenig er sie sich zurück wünschte, so gern hielt er die Erinnerung daran lebendig, und so sehr empfand er später bei seinen reiferen Ernten den Segen dieses Frühlings.

Bei seiner dritten Anwesenheit in Rom hat er wohl wenig neues[248] gesetzt, doch gewiß die Galatea zur Aufführung gebracht. Sicherlich war er um Weihnacht 1709 noch dort; wir haben darüber einen kleinen, aber recht merkwürdigen Fingerzeig. Zur Weihnachtszeit kommen Hirten aus Calabrien nach Rom, seit undenklichen Zeiten bis auf den heutigen Tag, und verkünden in der ewigen Stadt die Geburt des Weltheilandes, wie weiland ihre Vorfahren zu Bethlehem. Sie thun es mit einer uralten Melodie, die als Hymnus gesungen oder gepfiffen wird; daher nennt man sie auch Pifferari, Pfeifer. Händel hörte ihre Weise, die in pastoraler Einfachheit dem Gegenstande so schön entspricht. Dann nach vielen Jahren, als er den Messias schuf und zur Einführung in die Scene »Und es waren Hirten auf dem Felde« ein kleines Instrumentalspiel haben mußte, bildete er aus diesen Urtönen jene kleine köstliche Symphonie, die durch nichts zu ersetzen wäre, und in vergnügter Erinnerung bezeichnete er den Satz mit »Pif.« d.h. Pifferari. Die alte Melodie ist seit Jahrhunderten schon oft gedruckt, auch in dem Vorwort der Ausgabe des Messias von Rimbault.79 Bei der Weiterreise sagte er den Römern, daß England jetzt, eigentlich schon von Venedig her sein Hauptaugenmerk sei, und sie konnten ihm nur bestätigen, was er überall hörte: daß der Zustand der Musik in diesem Lande augenblicklich noch erbärmlich, seine Kunst aber ganz geeignet sei, bei der Nation eine durchschlagende Wirkung zu machen. Mit Hoffnungen und Segenswünschen, die auch alle in Erfüllung gingen, ließen ihn die römischen Freunde ziehen. Die Florenzer ebenfalls.

In Venedig zur Carnevalszeit 1710 erneuerte er die alten Bekanntschaften und machte neue mit mehreren angesehenen Hofleuten, Künstlern und Kunstfreunden aus London und Hannover. Engländer und Hannoveraner betrachteten sich bei der bevorstehenden Erhebung des Churfürsten auf den englischen Thron als ein Volk. Der Baron Kielmannsegge und der Capellmeister Steffani nahmen ihn mit nach Hannover; ohne ihre Dazwischenkunft dürfte er die schon beschlossene und versprochene Reise nach London auf dem geradesten Wege ausgeführt haben. Sie wußten ihm begreiflich zu machen, daß[249] der richtigste Weg nach England von jetzt an über Hannover gehe, und daß es für ihn ebenso leicht als rathsam sei, sich durch eine Anstellung am dortigen Hofe für alle Fälle zu sichern. Deßhalb schloß er sich ihnen an und ging vorerst nach Deutschland zurück, mußte aber den englischen Freunden sein Wort geben, daß er in London eintreffen wolle, noch ehe das Jahr zu Ende gegangen. In Hannover wurde er Capellmeister; weil aber seine Verrichtungen und namentlich seine dort geschaffenen Werke in eine spätere Zeit gehören, sei die Erzählung der näheren Umstände bis dahin, bis in den dritten Abschnitt verspart.

Zu Hause bei der Mutter fand er manches verändert. Seine jüngste Schwester Johanna Christiana war in voller Jugendblüthe, im zwanzigsten Lebensjahre, am 16. Juli 1709 gestorben. Etwas vorher, am 26. September 1708, hatte die andere Schwester Dorothea Sophia dem Rechtsgelehrten Dr. Michael Dieterich Michaelsen in Halle ihre Hand gereicht. Die Hochzeit war dort, wo die der Mutter gewesen war, bei dem Onkel Georg Tauft zu Giebichenstein.80 Michaelsen war von sehr angesehener Herkunft und rückte später zum preußischen Kriegsrathe auf. So traf Händel seine Mutter, als sie eben in's sechzigste Jahr trat, schier vereinsamt, weil nun alle drei Kinder durch Fügung Gottes oder nach freier Wahl davongezogen waren. Jetzt kamen für sie die Tage der Sammlung, in denen sie sich wo möglich noch ausschließlicher als bisher einem stillen gottseligen Leben und der Freude an ihren Kindern hingab. Aber das sehr hohe Alter und die gänzliche Erblindung, in welcher Händel nach Aller Meinung seine Mutter vorgefunden haben soll, beruht einfach auf einem Irrthum Mainwaring's, auf einer Verwechslung mit Vorgängen aus dem Jahre 1729; sie behielt ihr Augenlicht noch beinahe zwanzig Jahre.

Auch dem Churfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, der zu Düsseldorf Hof hielt, hatte Händel in Italien einen Besuch zugesagt. Von dem Lobe dieses Fürsten, der dem Corelli den Titel eines Marchese von Ladensburg verlieh und ihm nach seinem Tode 1713[250] in Rom mit großen Kosten ein Denkmal setzen ließ, floß allen italienischen Musikern der Mund über. Düsseldorf war auf der Fahrt nach England bequem zu erreichen, also kehrte Händel vor, obwohl die Umstände nicht mehr die alten waren. Dem Churfürsten gefiel seine Kunst, aber nicht, daß er sich als hannöverscher Capellmeister einführte, da er ihn gern in seine Dienste genommen hätte. Beim Abschiede erfolgte ein silberner Tafelaufsatz zum Geschenk. Von Düsseldorf aus durchzog er Holland auf dem kürzesten Wege, um so schnell als möglich nach England zu kommen.

Fußnoten

1 Brockes' Autobiographie, herausgegeben von Lappenberg in der Zeitschrift des Vereins für hamb. Geschichte. Hamburg 1841 ff. II, 183.


2 Musicalia ad Chorum Sacrum, das ist: Geistliche Chor-Music, Mit 5. 6. und 7. Stimmen, Auffgesetzet durch Heinrich Schützen. Dreßden 1648. kl. Fol. Vorwort im Baßheft.


3 Memoirs p. 49.


4 Grosse Generalbaß-Schule. Hamburg 1731. 4. Zweiter, ohne Jahreszahl erschienener Abdruck aus demselben Jahre S. 46.


5 Grosse Generalbaß-Schule S. 355.


6 »Lucrezia d'André, detta Carò, Virtuosa del Principe di Toscana. – Vittoria Casazza. – Vittoria Costa.« – Fr.S. Quadrio, Storia e Ragione d'ogni Poesia. Band I Bologna 1739, Band II–V Mailand 1742–52. 4. III. 2 p. 536.


7 »The Cantatas now remaining have been hitherto little examined. That of TARQUIN and LUCRETIA was made at Rome, and its merits are much better known in Italy than in England.« Memoirs p. 200–201.


8 Textbuch zu Israel in Egypt; with an analysis of the Oratorio, by G.A. Macfarren. London 1857. 4. p. IV: »... last, and by far the most important [evidence], is the intrinsic testimony of the work itself, which is the obvious production of a master, and if not so mature, is perfectly congenial in style with all the more earnest compositions of Handel with which we are acquainted.«


9 The Athenaeum Nr. 1536. London, April 1857. p. 443: »In truth, we suspect that the Giant was so rich as to feel himself entitled to steal from this side and from the other.« Zum Schlusse folgt die sehr schöne Bemerkung: »We are satisfied that no investigation, however keen or close, will stripe from the wings of the Shakspeare of music a single feather. The more he is searched the more will the superiority of Handel when creating to Handel when borrowing reveal itself.«


10 Life of Handel p. 24.


11 »For the collation of the transcript [in der Bibl. der Sacred Harm Society] with Handel's MS., and the proof this affords of the work being Handel's composition, the musical world is indebted to the researches of M. Schœlcher, whose biography of the composer affords most copious particulars upon this interesting subject.« Book of words, Preface.


12 The Athenaeum Nr. 1541, Mai '57. p. 590. – Nr. 1549, Juli p. 860.


13 Life of Handel p. 423.


14 Life of Handel p. 424.


15 E.L. Gerber, Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler. Leipzig 1790. 2 Bde. I, 383.


16 La Borde, Essai sur la Musique. Paris 1780. 4 Bände in 4. III, lib. v, cap. 4. Gerber, Lexicon I, 383. Wie ich soeben sehe, ist diese Notiz aus dem Gerber durch Hrn.G. Engel auch schon in das Athenäum übergegangen; s. Nr. 1543, Mai '57 p. 669.


17 »Molti furoni quelli, che a metter in Musica l'Arione recitato in Milano nel 1694, per lo compimente degli Anni di Leopoldo I., fecero prova del lor valore. Ei Recitativi degli Atti, Primo, e Terzo, furono posti in Musica da Carlo Valtellina; quelli del secondo Atto furono posti in Musica da Don Dionigi Erba. Le Ariette poi furono messe in Musica, quali da uno, e quali da un altro de' più valenti Maestri di Musica, che fiorissero allora, che furono oltre ai detti due Valtellina, ed Erba, Carlo Ambrogio Lonati, Gio. Ferrari, il Canonico Ciapetta, il Castelli, il Landriani, il Polarolo, il Brevi, lo Scaccabarozzo, il Salimbeni, lo Scarlatti, il Gariboldi, il Mazza, l'Orto, il Vianova, il Griffino, il Bramantino, il Gilardino, il Ballarotti, il Ghielmino, il Manza, il Legnani, il Boschi, il Barbieri, il Torelli, il Bigatti, e il Mantelli.

L'Antemio della Bella Villa recitato in Novara nel 1695, fu posto in Musica da Diversi: e Alessandro Besozzi pose in Musica l'Atto Primo; il soprallodate Dionigi Erba pose in Musica l'Atto Secondo; e Giacomo Battistini, Maestro di Capella della Catedrale di Novara, mise in Musica l'Atto Terzo.« Quadrio, Storia e Ragione d'ogni Poesia. III. 2 p. 516–17.


18 »Monsignor Benedetto Erba Milanese, Referendario d'ambe le Segnature. Poi Arcivescovo di Tessalonica, e Nunzio in Pollonia. Ora Cardinale, e Arcivescovo di Milano col cognome Odescalchi; e Arcade Acclamato, Timalbo.« Crescimbeni, Istoria della volgar Poesia VI, 414.


19 Carl Burney's Tagebuch seiner Musikalischen Reisen. Uebersetzt von Ebeling und Bode. Hamburg 1772–73. 3 Bde. I, 53.


20 Life of Handel p. 425. Bald darauf (im Morning Advertiser vom 6. Juni '57) ist Hr. Schölcher noch weiter gegangen. In der festen Voraussetzung, daß Händel das Magnificat componirte, nennt er ihn unredlich (dishonest), wenn er es als die Arbeit eines Fremden sich im Israel zugeeignet hätte. Wohin soll das führen?


21 Memoirs p. 49.


22 Memoirs p. 50.


23 Memoirs p 50–51 u. 53–54.


24 Gerber, Lexicon der Tonkünstler II, 247.


25 Gerber, Lexicon der Tonkünstler II, 639–40.


26 Burney, History IV, 539.


27 Quanzens Lebenslauf, von ihm selbst beschrieben in den Historisch-kritischen Beyträgen zur Aufnahme der Musik von Marpurg. Berlin 1754–78. 5 Bde. I, 227.


28 Tagebuch seiner Musikalischen Reisen II, 236–37.


29 George Friedrich Händel's Jugend. Dargestellt von Johann Friedrich Reichardt. Berlin 1785. S. 17–18: »Vittoria hatte die ganze Gunst des Großherzogs. Sie fühlte aber stärker für Händel, verheelte es ihm nicht und fand sein Herz gefühlvoll und erwiedernd wie sie es wünschte und erwartete; und der Großherzog – Italiäner und Großherzog! – ertrug es und behielt Händeln lieb«!


30 F.J. Fétis, Biographie universelle de Musiciens. V, 31: »La grande-duchesse Vittoria chanta le rôle principal de cet opéra.«


31 Memoirs p. 51.


32 Memoirs p. 51–52.


33 Beschreibung des Saal-Creyses II, 625.


34 »ANNO 1710. D'INVERNO. Agrippina 441.Teatro S. Gio. Grisostomo 56. Poesia d'Incerto. Musica di Giorgio Fed. Hendel 1. Questo Drama, come pure l'Elmiro Re di Corinto, e l'Orazio rappresentati, più di venti anni sono, su l'istesso Teatro, vantano comune l'Origine da una Fonte sublime.« Le Glorie della Poesia, e della Musica. Contenute Nell' esatta Notitia De Teatri della Città di Venezia, e nel Catalogo Purgatissimo De Drami Musicali etc. In Venezia. [1733; Verfasser unbekannt.] 12. p. 158.


35 Le Glorie della Poesia e della Musica p. 262: »Giorgio Federico Hendel Inglese.«


36 Storia e Ragione d'ogni Poesia III. 2 p. 519.


37 Sketch in Commemoration p. *8 und 42. History IV, 534.


38 Ehrenpforte S. 96.


39 Vollk. Capellmeister S. 443.


40 Memoirs p. 67–68. Mattheson's Anmerkung zu dem 19jähr. Alter: »Da kommen wir wieder her! Händel war wenigstens 26 Jahr alt, als er die Agrippine aufführte.« Lebensbeschr. S. 56. Er war genau 23 Jahre alt. In der Zeitrechnung sind Mainwaring und Mattheson beständig über den Fuß gespannt und durchgehends beide im Irrthum.


41 Thirty six Arietta's for a single voice with a thorough Bass for the Harpsichord etc. Comp. by Signor Al. Scarlatti. London [um 1750]. Fol. obl. Nr. 14.


42 History IV, 207.


43 English Songs, Sammelb. in Fol. im British Museum G 305/189


44 Die Sätze, welche in Händel's Handschrift vorliegen, sind nach seiner Orthographie angeführt.


45 A Grand Collection of Celebrated English Songs Introduced in the late Oratorios Compos'd by Mr. Handel. London. Printed for J. Walsh. Fol. p. 33–35.


46 Memoirs p. 53. Nach p. 174 könnte man diese Einführung richtiger auf seine späteren Opern beziehen.


47 Marpurg, Historisch-kritische Beiträge I, 228.


48 Memoirs p. 52–53.


49 Nach den Acten des kön. Archivs zu Hannover.


50 Crescimbeni, Istoria della volgar Poesia VI. 310 u. 336.


51 Crescimbeni, Istoria della volgar Poesia 1, 221.


52

»Indeed, it were a bargain worth our money

Could we insure another Ottobuoni.«


King Arthur, an Opera in five acts, written by John Dryden, comp. by Henry Purcell, and now first printed. Edited by Edward Taylor, Prof. of Music in Gresham College. London, printed for the Members of the Musical Antiquarian Society. 1843. Fol. p. 16.


53 »Das Theatrum zu Turin habe ich nicht gesehen, und die zu Rom werden nicht mehr geöffnet, seit dem letzten grossen Erdbeben.« Deutsche Gedichte S. 89. Erst nach zehn Jahren durften sie sich wieder aufthun, wurden nun aber hart besteuert.


54 Mattheson, Kleine General-Baß-Schule. Hamburg 1735. 4. S. 54.


55 Mainwaring, Memoirs p. 62. Crescimbeni, Istoria della volgar Poesia VI, 386.


56 King George III.Mss. 317. S. Catalogue of the Manuscript Music in the British Museum. London 1842. No. 119 p. 45.


57 Mainwaring, Memoirs p. 149. Burney, History IV, 666.


58 Memoirs p. 55–57.


59 History V, 415.


60 Nach Hawkins, History IV, 315.


61 Vgl. Mainwaring, Memoirs p. 64–65.


62 History IV, 169.


63 Mainwaring, Memoirs p. 61.


64 Vgl. M.S. Fuertes, Historia de la Mùsica Española. Madrid 1851. I, 205.


65 Mattheson, Vollk. Capellmeister S. 479.


66 G. Baini, Memorie storico-critiche della vita e delle opere di Gio. Pierluigi da Palestrina. Roma 1828. 4. II, 70–71.


67 Tagebuch seiner musikal. Reisen I, 285.


68 Crescimbeni, Istoria della Volgar Poesia IV, 255–56.


69 Memoirs p. 64. Mainwaring nennt p. 62 noch einen Cardinal Colonna, mit dem Händel ebenfalls bekannt geworden sei; vermuthlich ist der Fürst von Sonnino, Don Filippo Colonna (Leonindo bei Crescimbeni VI, 396), gemeint.


70 Baini, Palestrina I, 370.


71 Crescimbeni, Istoria della volgar Poesia VI, 413. Nach der Inschrift, welche die »Memorie dei compositori di Musica del regno di Napoli raccolte dal Marchese Villarosa, Napoli 1840« mittheilen, wäre er 1659 geboren und im November 1725 gestorben.


72 Vollk. Capellmeister S. 214.


73 History IV, 169–76.


74 Grosse Generalbaß-Schule S. 247.


75 Memoirs p. 65–67.


76 »Donna Cecilia Capece Minutola Enrichez Principessa di Squinzano. (Egeria.)« Crescimbeni, Istoria della volgar Poesia VI, 378.


77 Della Musica dell' età nostra che non è punto inferiore, anzi è migliore di quella dell' età passata. Al Sig. Lelio Guidiccioni. Gedruckt in den Trattati di Musica di Gio. Battista Doni. 2 Bde. Florenz 1763. Fol. II. 259.


78 Das sehr schön geschriebene Original befindet sich jetzt vereinzelt im Privatbesitz. Händel schenkte es dem Bernard Granville, einem großen Verehrer seiner Tonkunst, der sich von Händel's Gehülfen Smith in 38 Bänden seine besten Werke aller Gattungen zusammen schreiben ließ. Die Handschrift, die Smith'schen Abschriften, einige Briefe von König Georg III. aus den Jahren um 1785 über Abschriften Handel'scher Werke, und die 1699 gedruckte Anmuthige Clavierübung von Johann Krieger, die Händel dem Granville ebenfalls für seine Musiksammlung gab, werden noch jetzt von Lady Hall (Gemahlin des Sir Benjamin Hall, Minister of public Works) als ein Besitzthum der Familie aufbewahrt. Die Ansicht dieser Schätze verdanke ich Klingemann's gütiger Bemühung. Auch der berühmte Lord John Carteret war ein großer Musikliebhaber; Mattheson erzählt: »Mylord Carteret (anitzo Carl of Granville) langte den 8. Nov. 1720 von seiner schwedischen Gesandtschafft in Hamburg an, und fand an unsers Matthesons Musik solche Lust, daß er einst zwo gantzer Stunden, ohne von der Stelle zu weichen, bey ihm saß und zuhörte; zuletzt aber, in Gegenwart der hohen Gesellschafft, dieses Urtheil fällete: Händel spiele zwar ein schönes und fertiges Clavier; aber er sänge dabei nicht mit solchem Geschmack und Nachdruck. Dieser grosse Mann, der hernach Staats-Secretär, Vice-König in Irland etc. geworden, reisete den 14. Nov., in Gesellschaft des Herrn von Wich, als seines nahen Anverwandten, nach England.« Ehrenpforte S. 207. Obige Musikalien werden im December d. J. bei Puttick & Simpson unter den Hammer kommen, s. Athenäum Nr. 1565 v. 24. Octbr. p. 1310.


79 The Messiah. London, printed for the Handel Society. 1850. Preface p. VII.


80 Die Wolthaten, welche GOtt, durch einen seligen Todt, an seinen Gläubigen thut. Leichensermon auf die Mutter. Halle 1731. Fol. S. 24.

Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1858.
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