6. Musikdirektor zu Cannons.

Die paar glänzenden Vorstellungen von Rinald und Amadis waren nicht, wie man wohl hoffte, der Beginn einer neuen, sondern der Abschluß, der letzte Schimmer der alten ersten Periode der englisch-italienischen Oper, die sich über zehn, höchstens zwölf Jahre erstreckte, mit Clayton's Reformen begann und mit Amadis und den[456] Schäfer-Ritter-Geister-Parodien ihr Ende erreichte, deren schöpferische Kraft in den vier Händel'schen Opern beschlossen und erhalten, deren Narrheit und unstäter Leichtsinn in viel zahlreicheren Denkmalen bezeugt und untergegangen ist. Dann kam eine Zwischenzeit, die für dergleichen tönende Schaustellungen keinen Sinn hatte, eine Zeit in der alles, die königliche Familie, die Partei der Whigs, die der Jakobiten, mit sich selbst zerfallen war, eine Zeit voll von Skandal, Aufregung und Verrätherei. »Ich werde keine weitere Erzählung von Opern geben in der bisherigen genauen Weise«, schreibt Colman, »vielleicht hin und wieder eine Bemerkung wie es eben Zufall und Einfall mit sich bringen. O Eitelkeit der Eitelkeiten, alles Eitelkeit!« Er setzte aber diese Eitelkeit fort wie die Zeit sie fortsetzte, doch erst nach Jahren und nach einer allgemeinen Pause, die vom 29. Juni '17 bis zum 2. April '20 dauerte. Die Zwischenzeit wurde ausgefüllt durch französische Tänzereien, französirte englische Dramen, politische und mercantile Schwindel. Daß Herr Swiney, der im Laufe von fünf Jahren wieder ein ehrlicher Mann geworden war, in Lincolns-Inn-Fields englische Opern ankündigte und zu dem Zwecke die alten italienischen Stücke Camilla und Pyrrhus gab, schlecht übersetzt, schlecht gesungen, schlecht ausgestattet, in einem schlechten Hause: war auch Schwindel. Die Musen krochen unter wo sie eben Schutz fanden. Händel empfing einen sehr schmeichelhaften Antrag von dem Herzog von Chandos, bei ihm in Cannons zu wohnen, die Capelle zu leiten, die Orgel zu spielen, Kirchenstücke zu setzen und sich im übrigen die verschwenderische Pracht des Besitzers und die romantische Gegend in vollster persönlicher Unabhängigkeit zu nutze zu machen. Dies nahm er an.

James, Herzog von Chandos, war für seine Zeitgenossen eine schillernde Curiosität, deren Glanz nun aber völlig verblaßt ist. Er hatte die Grille, in der Nähe eines so mächtigen Hofes wie ein souveräner Fürst zu leben, erreichte auch, daß man ihn Großherzog nannte, halb aus Verwunderung, halb aus Spott. Unter Königin Anna bekleidete er ein Amt von geringer Bedeutung, aber mit unermeßlichen Einkünften, das eines Zahlmeisters der Armee; später zog er sich ganz von der Verwaltung zurück, doch behielt er als ein reicher vornehmer und merkwürdiger Mann noch immer ein ziemliches Gewicht;[457] in der Geschichte der Großen hat er keinen Platz, wohl aber wird die Erinnerung an ihn durch Händel's feierliche Musik, durch Pope's satyrische Epistel und durch Miß Spence's unterhaltende Erzählung über seine dritte Heirath (How to be Rid of a Wife), erhalten bleiben. Er baute seine prachtvolle Villa mit weltlichem und geistlichem Zubehör zu Cannons, neun englische oder zwei deutsche Meilen von London, also weiter in's Land hinein als Burlington, in dessen Tischgesellschaft alle Ausdrücke gemünzt wurden mit denen man das Gebahren des Herzogs lächerlich zu machen suchte. Der gallichte Pope nannte das neue Lustschloß Timon's Villa, und diese Bezeichnung spielte nebst den hundert Schweizer Soldaten, mit denen der Herzog sich umstellte, selbst wenn er zur Kirche ging, bei Burlington's eine große Rolle. Sein erster Musikdirector war Dr. Pepusch, der gelehrte Pedant, dessen Musik nicht nach den Gesetzen, sondern nach den Regeln der Tongestaltung gemacht und bei aller Dürre hin und wieder mit unziemlich munteren Lappen behangen war, wie man eine solche Zwiespältigkeit bei unfruchtbaren Contrapunktisten überhaupt sehr häufig findet. Händel gab der Sache plötzlich eine neue Gestalt, da er sie mit seiner ganzen Lebendigkeit angriff; nun entstand eine musikalische Fülle, die der malerischen Pracht des kleinen Tempels entsprach, und für das vornehme London verlohnte es sich der Mühe, sonntäglich nach Cannons in den musikalischen Gottesdienst zu fahren.. Aber was konnte Händel davor, daß Pepusch von nun an so kühl über ihn sprach? Es wird uns erzählt, dieser habe noch lange nachher nur zögernd und ungern den Händeleinen guten praktischen Componisten genannt, natürlich mit dem Hintergedanken: vergeßt nicht wie gelehrt ich bin! Die eitle Pinselei verwandelt sich für Händel in den schönsten Lobspruch und in den vortheilhaftesten Vergleich, wenn man an Cannons denkt.


Anthems. 1717–20.

1. I will magnifie thee o God. Adur. Psalm 145. dreistimmig

2. In the Lord put I my trust. Dmoll. 6. Musikdirektor zu Cannons 9. 11. 12. u. 13. dreistimmig

3. As pants the hart for cooling streams. Emoll, Dmoll. 6. Musikdirektor zu Cannons 42. dreistimmig

4. Have mercy upon me o God. Emoll. 6. Musikdirektor zu Cannons 51. dreistimmig

5. O sing unto the Lord a new song. Gdur, Fdur.6. Musikdirektor zu Cannons 96. dreistimmig

[458] 6. Let God arise, Adur. 6. Musikdirektor zu Cannons 68. vierstimmig

7. Let God arise. Bdur. 6. Musikdirektor zu Cannons 68. vierstimmig

8. My song shall be alway. Gdur. 6. Musikdirektor zu Cannons 89. vierstimmig

9. O come let us sing unto the Lord. Adur. 6. Musikdirektor zu Cannons 95 und 96. vierstimmig

10. O praise the Lord ye Angels of his. Ddur. 6. Musikdirektor zu Cannons 145 und 148. vierstimmig

11. O praise the Lord with one consent. Esdur.6. Musikdirektor zu Cannons 135. vierstimmig

12. The Lord is my light. Gmoll. 6. Musikdirektor zu Cannons 27 und 28. fünfstimmig.


Die englische Kirche wußte sich länger als die deutsche das schriftmäßige Wort rein und unvermengt zu bewahren, und dies war gewiß ein großer Vorzug in einer Zeit, wo bei uns jeder Stadt- und Kirchspielschreiber in die Liturgie hineinreimte und jeder Cantor Cantaten buck. War es für Händel von unersetzlichem Werth, aufgewachsen zu sein unter Verhältnissen in denen sich die Jugend musikalisch austoben konnte, bei einem Gottesdienste der Woche um Woche neue Cantaten erheischte, von denen jede folgende selbstverständlich die vorausgegangene vergessen machte: so war es doch für eine reinere Tongestaltung nicht minder nothwendig, rechtzeitig in eine Umgebung zu kommen, die zu Abklärung und tieferer Durchbildung trieb. Hatte Italien das künstlerische Empfinden verfeinert und das Leben des Gesanges erschlossen, so reichte England nun eine stärkere und reinere Dichtung. Welch ein Abstand zwischen Brockes und den Psalmen! Freilich standen diese in Lu ther's Bibel mindestens ebenso lauter, als in der von Brady, aber man hatte sich hier seit 1680 durch die pietistischen Lieder und Cantaten den Weg dahin so völlig verbaut, daß ihn selbst Bach nicht wieder fand.

Was das Wort Anthem in Bezugnahme auf einen sinnlichen Vorgang ursprünglich bezeichnete (ant-hymn), hat mit seiner späteren Bedeutung im Kunstgesange nur die Beziehung auf den Choral, auf den liturgischen Gesang des Priesters gemein; jetzt sehen wir darin diejenige Gattung, welche in den Hauptsachen Motette und Cantate vereinigt. Ihm unterliegt reines Bibelwort wie der Motette, das auch ganz in ihrer Art chor- und kunstmäßig durchgeführt werden kann, und wieder durchflicht sie wie eine deutsche geistliche Cantate die Chöre mit Sologesang und Instrumentenspiel. Hauptsächlich Purcell und Händel haben dem Anthem dieses Gepräge aufgedrückt, bis dahin war es wesentlich eine Motette zu englischen Worten. Die zwölf in Cannons entstandenen Anthems sind von Händel weder mit[459] Datum versehen, noch sonstwie nach der Aufeinanderfolge bezeichnet; die Reihe bei Arnold ist durch nichts verbürgt und erweist sich bei genauerer Untersuchung als in jeder Beziehung unpassend. Man ist also ganz auf innere Merkmale angewiesen, und solche aufzufinden, möchte bei gleichartigen Compositionen, die im Laufe weniger Jahre unmittelbar nach einander entstanden, schwer wo nicht unmöglich scheinen. Dennoch haben wir einige Winke, die zusammen eine recht vollständige kleine Geschichte geben. Fünf Psalmen – sechs, wenn wir den für Cannons umgearbeiteten Psalm 100, das Utrechter Jubilate, mit hinzu nehmen – haben lauter Chorsätze für drei Singstimmen und zeigen eine entschiedene Bevorzugung des Tenors, der mit den meisten Sologesängen und in den Fugen mit den schwierigsten Tonfiguren bedacht ist, nicht selten so sehr daß der Satz dadurch eine mangelhafte Gestalt bekommen hat. Daß Händel nur durch besondere Umstände gezwungen sich mit einer solchen Anlage begnügte, ist augenscheinlich. Aber ich würde diese dreistimmigen Anthems doch nicht mit Sicherheit für die zuerst entstandenen auszugeben wagen, wenn es nicht zugleich diejenigen wären, deren anfängliche Unreife sich zum Theil schon aus den verschiedenen Bearbeitungen ergiebt, zum Theil aus einer Vergleichung mit den vierstimmigen Tonsätzen ganz sicher darzuthun ist. Demzufolge nehmen wir an, daß Pepusch ihm nur einen kleinen Chor und außer dem deutschen Tenoristen Eilfort oder Eilfurt keinen einzigen brauchbaren Solosänger überlieferte; daß aber Herzog James, als er vollere Töne hörte, auch die Mittel zu vollerer Besetzung herbei schaffte, weniger durch Anwerbung neuer Musiker, als durch Gewinnung der geschulten königlichen Capelle für betreffende Anthem- und Oratorienaufführungen. Wir können hier in den Vermuthungen nicht fehl gehen, denn Händel hat in seinem Manuscript stets die Sänger angemerkt, und eben immer die Londoner Capellmusiker Hughes, Bell, Blackley, Weely, Baker und Bernhard Gates, meistentheils dieselben welche schon vorhin das Te Deum sangen; Hughes ist nicht der vorgenannte Dichter, sondern wahrscheinlich sein Bruder, derselbe den Burney bis 1708 auf dem Theater bemerkte aber später aus dem Auge verlor.1 Die Erlaubniß auswärts zu[460] singen, war unter den damaligen Verhältnissen leicht zu erlangen, obwohl sie den Dienstanweisungen widersprach; das englische Gesetz, indem es die Einmischung der Ausländer untersagte, bewirkte also nur, daß statt St. Paul's Kathedrale die kleine Whitchurch in Cannons für mehrere Jahre der lebenzeugende Mittelpunkt englischer Kirchenmusik wurde. Den Kirchensängern aus St. Paul fehlte noch sehr viel, wenn man auf ihre Gesangkunst sieht, doch gingen sie im Chor sicher und wußten den kirchlichen Ton zu treffen, wie wir es von denen, die bet Bird's und Purcell's erhabenen Gesängen groß geworden waren, erwarten dürfen. Zu ihrer Ehre wollen wir voraussetzen, daß sie mehr noch durch die Töne des großen Meisters, als durch das Gold des großen Herzogs nach Cannons gelockt wurden.

Im Ganzen glaube ich nun obige Reihenfolge als die ursprüngliche vertreten zu können, nur die einzelnen Stücke sind so aneinander gefügt wie es mir für die Besprechung bequem war. In dem ersten Anthem »I will magnifie thee o God« sind die Soli unbedeutend und für die Länge zu eintönig. Von den drei Chören leiden die beiden ersten unter dem Uebelstande, daß der Ober- und Unterstimme nichts zugemuthet werden konnte; aber der letzte, in dem Trio und Chorsatz auf eine ebenso kunstvolle als wirksame Weise verschmolzen sind, hebt sich wie ein fertiges Kunstwerk hervor, das zu seiner Darstellung eben nur diese drei Stimmen und unter ihnen wieder den Tenor als Führer beansprucht.

Bei dem zweiten Anthem »In the Lord put I my trust« hat Händel seine biblische Quelle, die Verse aus den Psalmen 9, 11, 12 und 13 einzeln genau angegeben; so bemerkt er bei dem Tenorsolo »God is a constant sure defence«: »the 9 verse of the 9 Psalm of Bradys versification«. Zugleich erhellt daraus, daß er nicht nach der Liturgie, sondern nach eigner Zusammenstellung aus der Bibel componirte. Hier sind zwei Chöre, der mittlere »Snares fire and brimstone« und der letzte »Then shall my song«, bei denen ihn theils ein lebhaftes Bild, theils seine Gewandtheit im dreistimmigen Satze über die engen Verhältnisse erhob. Gewiß wurde die Einschränkung, zu welcher Cannons anfänglich nöthigte, dadurch auch technisch sehr lehrreich für ihn, daß er nun seinen dreistimmigen Satz verfeinern und an[461] den Stellen, wo ein voller Chor eingreifen muß, durch die Instrumente geschickt eine vierte Stimme einflechten lernte.

As pants the hart for cooling streams liegt in zwei wesentlich verschiedenen Bearbeitungen vor, dreistimmig in Emoll, sechsstimmig in Dmoll, und da der bisher ungedruckte sechsstimmige Satz offenbar der reifere und spätere ist, könnten wir das Anthem wohl richtiger ein sechsstimmiges nennen. Doch wird dieser Satz nicht mehr für Cannons, sondern für Londons Kathedrale bestimmt gewesen sein; es ist mehr Strenge und Kunst darin, auch kann sich der wahre Chorgeist erst bei einer solchen breiteren Entfaltung offenbaren. Das Stück für Cannons erscheint in jeder Hinsicht als eins seiner frühesten.

Aehnlich dem vorigen, aber als die Sprache eines zerknirschten Gemüthes tiefer gehend, voller und einheitlicher im Gefühlsausdruck, erscheint das Bußlied »Have mercy upon me o God«, und seiner Bedeutung entsprechend hat Händel es gestaltet. Wie tief ist Schönheit und gesunde Frömmigkeit vereint in dem herrlichen Duett »Wash me throughly, wasche mich gründlich von meiner Missethat«, das nur mit Verständniß gesungen werden muß um jeden Hörer im Innersten zu bewegen! Doch ist es besonders der Schlußchor »Then shall I teach thy ways, dann will ich die Uebertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren«, der, die thätige Bezeugung der wiedererlangten göttlichen Gnade verkündend, in seinem lebhaft auf- und absteigenden, aber durch feierlichen Ernst gehaltenen Tongange so tief bedeutungsvoll und herrlich erscheint. Als Kunstsatz nimmt die Doppelfuge von allen, die in den Anthems erscheinen, vielleicht die erste Stelle ein. Zugleich gewährt sie uns das beste Muster, wie Händel bei drei Singstimmen einen vollkommen vierstimmigen Satz zu führen verstand, und dies hat uns jemand auf eine sehr merkwürdige Weise vor Augen gelegt. Einer der ersten italienischen Tonlehrer des vorigen Jahrhunderts, Pater G. Paolucci, gab eine Beispielsammlung streng contrapunktischer Arbeiten, von sehr ausführlichen und sehr gründlichen Bemerkungen begleitet, in drei Quartbänden heraus, natürlich nur Tonsätze italienischer Meister, denn Italien kennt nur Italien, selbst die Gelehrten fühlen sich wohl in dieser Beschränkung; aber Paolucci machte doch eine einzige Ausnahme, indem er eine Fuge von Händel einrückte, die eben genannte.[462]

Sie steht im zweiten Bande als das zwanzigste Beispiel, eine acht Seiten lange Erklärung ihres technisch-musikalischen Gehaltes ist beigegeben. Das Beispiel bietet aber keineswegs Händel's vollständige Partitur, sondern nur einen kahlen und in dieser Fassung natürlich auch steifen, auf vier Systeme gebrachten vierstimmigen Contrapunkt, und die Worte lassen wir weg, sagt Paolucci, weil sie englisch sind.2 Diese ganz unerwartete Rücksichtnahme auf die Leistungen eines Ausländers ist bis dahin der früheste Beweis, daß auch die zu Händel's Lebzeiten niemals gedruckten Anthems abschriftlich nach Italien vordrangen.

Von dem fünften Anthem in Fdur »O sing unto the Lord« findet sich ein früherer und viel schwächerer Entwurf in Gdur, in dem uns vielleicht die allererste Arbeit für Cannons aufbewahrt ist. Die Umarbeitung lieferte unter denselben Verhältnissen, zu denselben Stimmmitteln etwas ganz Neues. Die Fuge »Verkünde seine Ehre unter den Heiden und seine Wunder unter allem Volk« ist ein Meisterstück, schon durch das lange, eine Octave umspannende, melodisch ebenso schöne als geistig bedeutungsvolle Thema, dem ein Contrathema von gleichem Gehalt und gleicher Länge, aber auf der Dominante, nicht auf dem Grundtone ruhend, gegenüber tritt. Ein alter Tonlehrer würde sagen, das Thema stehe in der jonischen, das Gegenthema in der hypojonischen Tonart, was nur ein anderer Ausdruck für das mustergültig Richtige wäre. Der Chor ist übrigens kurz und nicht als eine strenge Fuge behandelt. Verlängert wird er durch den halb recitativischen Chorsatz im großen Styl, dem sich die brausende Arie »Die Wogen der See toben schrecklich« anschließt. Diese Stücke könnten geradezu im Oratorium Israel stehen, noch mehr gilt das von dem folgenden kleinen Chore »Die ganze Welt stehe in Ehrfurcht, in awe!« Cantus singt vor, in Gmoll vom Grundtone aus sich zur Quinte aufschwingend und lang austönend »in awe«, auf welchem Tone der Chor einfällt. Aber der Tenor weiß das alles noch viel besser zu machen: in Bdur zur Quinte »stand in awe«, die ganze Harmonie[463] um eine kleine Terz mit erhebend! noch einmal »stand in awe«, in Cmoll zur Quinte, die Harmonie wieder einen Ton hinauf schwingend! Dies bringt den Baß in Eifer, und als der Gang nun zum vierten und letzten Male vorkommt, strebt er ihn in seinen höchsten Tönen mitzumachen. Welch ein Tonleben, und wie viel Sinn in so wenigen Takten! Der Schlußchor geräth wieder durch das Bild von der brausenden See in Feuer. Das ganze Anthem ist sehr tonreich, und was daran als minder gehaltvoll erscheint, kann man Tonschaum nennen, ein Zeugniß für die große Bewegung der Harmonie.

Von den Psalmen mit vierstimmigen Chören haben wir nur den einen »Let God arise« in zwiefacher Bearbeitung vor uns. Beide Entwürfe sind zweifelsohne seiner Zeit gesungen, daher, und um ein volles Dutzend zu behalten, lasse ich sie als verschiedene Nummern stehen, obschon der erste in Adur nur noch der Vergleichung wegen von Interesse ist. Der Psalm ist ein dichterischer Nachklang des mosaischen Reisespruches als das Volk durch die Wüste zog, das Heiligthum in der Mitten, die zwölf Stämme gewappnet herum, Gottes Wegzeiger voran und alle seine Engel um sie her gelagert.3 Um den Worten noch mehr Handlung und historischen Geist zu verleihen, hat Händel eine Zeile aus dem Lobgesang am rothen Meere eingewebt und dadurch den Spruch mit dieser mächtigsten Bezeugung Gottes unter dem alten Israel in Verbindung gebracht. Nur die zweite Bearbeitung in Bdur enthält die Erweiterung, was allein schon für ihren ungleich größeren Werth den Ausschlag giebt. Deßhalb auch erblicken wir in diesem Anthem den ersten wahren Vorläufer des Israel in Aegypten. Es ist die herrliche Doppelfuge »At thy rebuke o God«, die schon ganz den Geist des späteren Oratoriums athmet und durch den Schluß in den sie einmündet »Blessed be God« mit[464] dem Seite 396 mitgetheilten einfachen Choralmotive, das auch wieder in Israel erscheint, zu diesem größten Tonwerke über das alte Testament in eine noch innigere Beziehung tritt, als die Musik des fünften dreistimmigen Anthems.

Beiden nahe verwandt ist das achte »My song shall be alway.« Mehreres ist aus früheren Werken gebildet, die Symphonie aus der Geburtstagsode, der Eingang zum ersten Chore aus der Begleitung des Chorals »Ach wie hungert mein Gemüthe« in der Passion, der Mitteltheil desselben aus dem Te Deum, der Schlußchor seinen Motiven nach ebendaher; aber die Stücke haben hierdurch nur eine um so reifere Gestalt erhalten, außerordentlich schön ist der erste Chor mit seiner anführenden Oberstimme. Aus den kleineren Gesängen ragen ein Trio und ein Duett hervor, namentlich das Trio ist überraschend sinnvoll gestaltet und von durchschlagender Wirkung, und bei beiden unterliegen der Tongestaltung in dem sich aufthürmenden Meere, das der Herr zügelt, in dem schönen Weltganzen, das er gebildet und fest gegründet hat, reine große Bilder.

O come let us sing unto the Lord, an Länge und Gehalt eins der größten Anthems, hat einen solchen Chor zum Anfang erhalten, wie Händel sie gewöhnlich für den Schluß zu setzen pflegt. Ein feierlicher, choralartiger, nur eine Secunde umspannender Aufruf, der nach und nach in den verschiedenen Stimmen erschallt, wird von einer lebhaften Tonreihe wie im priesterlichen Reigentanz umspielt, und es ist nicht zu beschreiben wie alles, auch das bewegte Spiel der Instrumente, nur das Eine sagt: O kommt, kommt laßt uns singen, laßt uns Gott singen! Die sieben Schlußtakte »Denn der Herr ist ein großer Gott« wirken besonders auch noch durch den Uebergang aus Adur in Amoll so majestätisch. Den Mittelpunkt dieser Psalmencomposition bildet der Chor: »Tell it out among the heathen, verkündet unter den Heiden daß der Herr König ist, daß er die Welt so unerschütterlich fest gegründet hat«, die längste, nebst der vorgenannten aus dem Bußpsalm und der aus dem siebenten Anthem die kunstvollste und zugleich die beliebteste aller Anthemfugen, die Händel's Verehrern lange vertraut blieb, so daß er bei dem Oratorium Belsazar mit seinem Dichter einig wurde, einen Theil davon mit denselben Worten, sechsstimmig verarbeitet, wieder aufzunehmen. Das erste[465] Thema dieses geistvollen Tonsatzes, auf eine sehr merkwürdige Weise Ernst und Fröhlichkeit vereinend, wird jeden Hörer so fesseln, daß er durch alle Verschlingungen und Stimmverflechtungen willig folgt; erst in 21 Takten hat es die überströmende Freude kundgegeben, und doch scheint es, eben weil es der Ausdruck eines großen einheitlichen Gedanken ist, blitzschnell vorüber zu fliegen. Nicht aus Leichtsinn predigt Händel sein Evangelium so munter, sondern aus Freude darüber, daß er so etwas predigen darf und daß er die Fülle der Kraft besitzt um es aller Welt vernehmlich predigen zu können. Anders klingen die Töne eines flachen weltlichen Sinnes, anders die eines religiösen, von seiner Aufgabe tief ergriffenen Gemüthes, und hier unser Chorlied ist ein überaus klarer Beweis, daß ein Hymnus und ein Tanz sich zu berühren scheinen und doch himmelweit auseinander bleiben können. Der Länge des schönen Themas entsprechend ist der Aufbau des ganzen Satzes ungewöhnlich breit angelegt, erst nach und nach wie in Schaaren kommen die verschiedenen Stimmen heran, und so läuft der Gedanke durch die Tonglieder wie seiner Zeit ein solches Gebot durch die Stämme Israels lief.

Das ruhiger gehaltene Lob- und Danklied »O praise the Lord ye Angels of his« hat er sich wieder, wie auch die meisten übrigen, aus verschiedenen Psalmen zusammen gestellt. Obwohl sehr schön und kunstreich gesetzt, reicht es doch nicht an die Anthems erster Größe, dürfte sich aber eben wegen seiner Kürze und stilleren Haltung besonders für kirchlichen Gebrauch eignen. Nur zwei Chöre erscheinen hier, zum Eingang und zum Schluß, wodurch das Anthem den früheren deutschen Cantaten ähnlich geworden ist. Der erste Chor klingt fünfstimmig, denn der vorsingende hohe Tenor durchzieht nach dem Muster der alten Motetten sehr geschickt die Chorharmonie, gleichsam als Aufruf des Priesters dem der Chor willig Folge leistet; der letzte ist in einem besonderen Maaße kirchlich feierlich, voll Wohlklang und seiner Künste.

Bedeutender noch machen sich Vorsänger und Chor in dem andern Dankliede geltend »O praise the Lord with one consent«, das uns ebenfalls an eine eigenthümlich deutsche Kunstweise erinnert. Ich möchte es ein Choralanthem nennen, nicht daß ein deutscher Choral darin verwandt wäre, sondern weil hier mit den Mitteln, die[466] unter den Deutschen an dem Choral ausgebildet sind, in zwei großen Chören ein freier Kunstsatz gestaltet ist. In dem ersten dieser Chöre, dem Anfang des Anthems, ruft und drängt sich die lobsingende Menge zusammen, der andere – »Alle Welt erhebe in prächtigem Getön ihre Stimme zum Himmel, und jeder Gottbegeisterte lasse feierliche Hymnen erschallen!« – breitet in seinen zwei Hälften das eigentliche Danklied aus, an Hoheit und Klarheit göttlicher Anschauung nur dem »Gehet ein zu seinen Thoren« im Jubilate vergleichbar, diesem aber an Tongewalt und Verständlichkeit vielleicht noch überlegen. Dem dritten Chore (Ye boundless realms of joy) dessen schöne Melodien der frohsinnige Tonsetzer scherzend hin und her wirst, folgt ein Aufruf an die Cherubim und Seraphim nebst Halleluja, womit die große Composition schließt. Hier auf »cherubin and seraphin« vernehmen wir zuerst jene ideale Betonung, die er nun als einen geheiligten Ausdruck festhielt, namentlich im Dettinger Te Deum.

Das lange fünfstimmige Anthem »The Lord is my light« ist wohl mit dem fünfstimmigen Te Deum in Bdur (S. 397) gleichzeitig entstanden; es kann immerhin von allen zwölf Anthems das zuletzt componirte sein, obwohl ich solches damit, daß es hier an das Ende der Reihe gesetzt ist, nicht behauptet haben will. Der Gesang beginnt mit einem Tenorsolo. Der folgende Chor »Though a host of men, Wenn sich schon ein Heer wider mich leget« offenbart bei den Worten »so fürchtet sich mein Herz dennoch nicht« den Händel'schen Muth in voller Stärke. Das Haupt hoch hinausreckend, singt eine einzelne Stimme in langgedehnten Choraltönen die Chormassen hindurch, wie ein allein stehender riesiger Held unter anstürmenden Schaaren weithin sichtbar bleibt. Aber wenn es nun weiter heißt »Und wenn sich ein Krieg wider mich erhebt«, welche erschütternde Demuth bekundet da derselbe starke Kämpfer, daß er in ähnlich langen und feierlichen, nebst fester Zuversicht zugleich ehrfurchtsvolle Beugung aussprechenden Tönen fortsingt »so will ich Ihm allein vertraun«! Noch sechs andere Chöre enthält das Anthem, vier in der Mitte zusammen, zwei am Ende; hierin ist es das reichste. Auch seine vier Sologesänge erheben sich über die meisten andern. Von den Chören in der Mitte ist der kleinste(For who is God but the Lord) rein harmonisch ohne contrapunktische Verwebung aufgebaut und macht namentlich als[467] Bindeglied von zwei ganz anders gestalteten Chorsätzen die prächtigste Wirkung. Eine gewagte Stelle darin, ein musikalisches Händelwort(the earth trembled), ist ganz so im Josua erneuert(the nations tremble), nur ist durch die Versetzung der Figur aus Dur nach Moll der Tonfall noch schwerer, wuchtiger geworden.

Es hat sich uns wenig Veranlassung dargeboten auf die Einzelgesänge besonders einzugehen. Sie sind überall richtig, würdig und größtentheils beweglich gesetzt, stehen aber schon hinter den zwei- und dreistimmigen Solosätzen zurück, wievielmehr noch hinter den herrlichen Chören. In dem Mangel an geeigneten Kräften liegt die nächste, in der Sache selbst aber die wahre Ursache davon. Kirchenmusik ist von jeher immer wesentlich Chormusik gewesen, und darf keine andere sein wenn sie sich rein erhalten will. Man muß nur die viel schöneren Einzelgesänge in den zu gleicher Zeit und für dieselben Sänger gesetzten Oratorien vergleichen, um inne zu werden, daß Händel bei der Gestaltung seiner kirchlichen Tonsätze das Mißverhältniß, welches aus dem überwuchernden Sologesange entspringt, wird empfunden haben. Aber er bewegte sich hier in einem Ringe. Sollte der selbständige Sologesang dem Anthem fern bleiben, so mußte letzterem auch die Länge der deutschen Kirchencantate genommen werden; und wiederum war es nur bei möglichst breiter Ausdehnung erreichbar, aus erwählten Psalmenworten diese großen lebensvollen Tondichtungen entstehen zu lassen. Es liegt auf der Hand, daß Händel in dieser Stellung die rein kirchliche Musik nicht reformiren konnte; wir gehen sogar noch einen Schritt weiter, wenn wir in seiner Sprache nicht mehr die der alten Kirchencomponisten zu vernehmen glauben und diese Ueberzeugung eben aus obigen, dem kirchlichen Dienste gewidmeten Psalmen gewinnen. Texte, die den alten Meistern die gehaltvollsten und köstlichsten waren, hat er ohne sonderliche Wärme abgesungen, andere dagegen in einem feurigen Hymnus zum Himmel erhoben, die aus den Händen der Vorfahren, wenn sie dieselben einmal angriffen, in sichtlich unvollkommener Gestalt hervorgingen. Nicht daß ihm wesentliche Kunstmittel der Alten unbekannt geblieben wären, denn hätte nicht schon alles Vorausgegangene seine musikalische Gelehrsamkeit als lückenlos erwiesen, so könnten es die Anthemchöre thun, in denen nebst allen andern Formen des Tonsatzes[468] auch die der alten Motetten erscheinen und immer am rechten Orte; auch nicht, daß er in Tiefe und Klarheit religiöser Anschauung hinter ihnen zurück geblieben wäre, da er vielmehr sie alle überragte; noch weniger, daß er Angst Trauer Sehnen Zagen Zerknirschung nicht in ähnlicher Stärke und Geistesgröße auszudrücken vermocht hätte, denn wer hat diese Empfindungen je stärker als Händel, wer hat sie auch nur gleich stark ausgedrückt! Aber in den Grundanschauungen gingen sie aus einander. Die alte Musik ist kirchlich, Händel's Kirchenmusik ist alttestamentlich; tiefe aufrichtige Frömmigkeit und eine reine Kunst ist beiden gemein. Wurde früher ein Psalm, ein Schriftwort, eine biblische Erzählung componirt, so geschah es für die gegenwärtige Kirche, im Anschlusse an gottesdienstliche Feste und Vorgänge; der Ursinn der Bibel kam dabei nicht selbständig zur Erscheinung, sondern ging in den kirchlichen Sinn auf. Mit Recht nennen wir die Werke dieser Meister Kirchenmusik, und mit Recht erblicken wir darin die vollendete Gestaltung eines später nie wieder auf diese Weise angestrebten noch erreichten Ideals. Händel dagegen muß man den biblischen Componisten nennen. In seinen Psalmen haben wir nicht den Wiederschein eines Kirchenliedes, nicht den musikalischen Nachklang einer erbaulichen Schriftauslegung, nicht das Abbild eines kirchlichen Geheimnisses: aber wir haben darin das Leben des alten Volkes Gottes, das sich durch Wunderthaten errettet, wunderbarlich erhalten und aus dem Nichts reich und groß gemacht sah, das seine Gesetze von Gott selbst empfing, von dem Gott der hoch über allen Heidengöttern thront, das ihm nun unaufhörlich Dank- und Lobopfer spendete und daheim im gelobten Lande wie in der Verbannung Psalmen sang, ihm dem großen Gott der die Welt gemacht hat, der dem Kosmos Gesetz, Gestalt und Schönheit verlieh, dessen Kleid lichtstrahlend ist und der die Himmel wie einen Teppich unter sich breitet, der die Gewalten der Natur zu seinen Dienern, alle Heiden zu seinen Knechten und Israel zu seinem Bundesvolke hat, der alles beherrscht und alles Lebendige erschaffen, schön und zu seinem Wohlgefallen, auch den Weinstock und Oelbaum, auch den Hain darin die Vögel des Himmels wohnen und unter den Zweigen singen. »O danket, danket ihm und rühmet seinen Namen. Verkündet unter den Heiden seine Ehre, seine Wunder unter allem Volk. Die Ehre des[469] Herrn ist ewig, er hat Wohlgefallen an seinen Werken. Ich freue mich des Herrn, ich will ihm singen mein lebelang und meinen Gott loben so lange ich bin!« Diese Stimmung tönt als Grundgefühl aus allen Psalmen hervor, sie ist der Ausdruck, die Blüthe des Gemüthslebens von allem, was Israel in seiner ganzen Geschichte, in allen seinen Thaten und Erfahrungen Ewiges erlebte. In den prächtigsten, ideen- und musikreichsten Worten hat Händel sich diesen Gehalt hervorgehoben. Seine Anthems sprechen uns an als die wahre ursprüngliche Psalmenmusik, und sind die einzigen Denkmale religiöser Tonkunst, die in dem Tempel, bei den Festen und Opfern des alten Bundes hätten gesungen werden können.

Wie Gesänge eines Epos, die sich alle auf einen großen Mittelpunkt unsterblicher Thaten und Handlungen beziehen, hängt dieser Kranz von Lob- und Dankliedern in sich zusammen, bildet also schon halbwegs ein Oratorium. Dies muß man auch immer empfunden haben, denn in dem Jahrzehend nach Händel's Tode machten die Leute, welche seine Pantoffeln trugen, hauptsächlich aus den Chandos-Anthems das Oratorium Omnipotence zurecht; in drei Theilen wurde darin Schöpfung Erhaltung und Erlösung besungen, der Musik also ein noch christlicheres Kleid angezogen. Nach Burney hätten Toms und Arnold die Zusammenstellung bewerkstelligt.4 Ihr Unternehmen, eine so geringe Bedeutung es an sich haben mag, ist doch immer ein Beweis mehr für den oratorischen Gehalt Händel'scher Psalmencompositionen. Die Anthems als Vorstufe und Vorstudie zu den Oratorien hervorzuheben, ist in der Entwicklungsgeschichte seiner Kunst auch die Hauptsache, denn die alttestamentliche Psalmentreue hatten wir schon in dem Jubilate, und haben sie mindestens ebenso herrlich in den folgenden für festliche Gelegenheiten gesetzten Anthems, die Stimmungen der Kreuz- und Bußpsalmen aber sind in den späteren Oratorien, nachdem David's Trübsal über den Tonmeister gekommen war, entschieden tiefer gestaltet. Wir werden nun sehen, wie Händel den einen Schritt, der ihn noch von dem wirklichen Oratorium trennte, schon in Cannons that, und zugleich die Ueberzeugung gewinnen, daß man hier in England seiner Begabung mit derselben Aufmerksamkeit[470] und demselben richtigen Verständniß folgte, wie seiner Zeit in Rom.


Esther. 1720.

Ueber eine so wichtige Begebenheit als die Entstehung des ersten englischen Oratoriums von Händel sein muß, ist uns fast garnichts überliefert. Genaue und eingehende Angaben wären hier um so erwünschter, weil Händel's Werk zugleich das allererste in England und zu englischen Worten gesetzte Oratorium ist. Niemand vor ihm hatte sich hier in dem geistlichen Oratorium versucht selbst Clayton nicht; die englische Musik ging einfach in Kirchen- und Theatermusik auseinander, und blieb so bis Händel in seinen Anthems den kirchlichen Zweig schnell dem Oratorium zuführte. Alles nun, was man sich über die Entstehung der Esther zu erzählen weiß, ist dieses: Und zuletzt, als Herzog James ein Oratorium zu hören wünschte, setzte Händel die Esther; das Gedicht machte der junge S. Humphreys; am 29. August '20, während der Opernserien, war in Cannons die erste Aufführung; sur die Composition zahlte der Herzog tausend Pfund. Das ist gewiß sehr anständig vergolten, um so mehr da Händel außerdem noch als sein Maestro di Capella und Organist ein Jahrgehalt bezog; nichtsdestoweniger erscheint es uns jetzt als ein bischen Handgeld auf die beiden letzten Chöre. In der Thatsache, daß Pope hin und wieder als Dichter der Esther genannt wurde und die Ehre niemals bestimmt ablehnte, haben wir ein Anzeichen, wie lebhaft Burlington's Musenklubb bei der Entstehung dieses Oratoriums betheiligt gewesen sein muß. Als Originalwerk stand das Gedicht mit Händel's Musik so ziemlich auf gleicher Stufe; denn wie Händel zu einem guten Theile seine deutsche Passion auszog, so legte Humphreys eine französische Esther zu Grunde, die von Racine gedichtete und mit musikalischen Chören von Jean Baptiste Moreau durch die Nonnen von Saint-Cyr 1689 dem großen Ludwig vorgestellte Esther5, und begnügte sich ganze Strophen einfach zu übersetzen. Auf diese französischen Klosterdramen, die unmittelbare Quelle[471] für Händel's erste englische Oratorientexte, werden wir im folgenden Bande bei Debora und Athalia zurückkommen.

Die Ouvertüre ist von allen, die Händel geschrieben hat, eine der schönsten und sinnvollsten. In drei Sätzen sind Haman's Tücke, Israel's Klagen und das Gefühl der Errettung angedeutet. Die Schlußfuge ist außerordentlich kunstvoll und freudestrahlend. Dieses Orchesterstück gehört auch zu den am meisten gespielten; die Jahresfeste einer milden Stiftung in London für die Erziehung unversorgter Predigersöhne wurden regelmäßig damit eröffnet.

Das Oratorium ist wie eine Oper in Scenen abgetheilt, die aber durch Händel's einheitliche Gestaltung als große, die Hörer über den Bühnenschritt erhebende Tonbilder erscheinen und auch in solcher Weise aufgefaßt werden müssen. Das erste Bild, die Exposition, zeigt uns Haman und seine Umgebung. Eines Freundes Ermahnungen zur Milde werden hochmüthig abgewiesen, die Söldlinge empfangen den Befehl, von Israel alles was da ist, Stamm Zweig und Wurzel auszurotten; mit blinder Gier schicken sie sich zum Gehorsam an. In einem meisterhaften Chore, der eins seiner Motive aus der vorausgehenden Arie Haman's entlehnt, kommt die volle Gewalt des Hasses gegen das hülflose Volk und seinen Gott mit höchster Kunst zum Ausdruck. Für spätere öffentliche Aufführungen wurde noch eine Verhandlung Haman's mit dem Könige hinzu gefügt. Sachlich nothwendig ist diese Erweiterung keineswegs, am wenigsten für ein oratorisches Werk; man unternahm sie auch nur, um für den Alt eine große geschmückte Arie zu gewinnen.

Zweites Bild. Israel ist voll Freude, daß Esther Königin geworden, und stimmt, alles vorige Leid vergessend, die Harfen zum Preisgesang, da nun der Weg zum gelobten Lande wieder offen und der Gottesdienst wieder freigegeben sei. Es sind lauter schöne Gesänge, in denen sich die Freude ausbreitet, ein sehr merkwürdiger Chor hält sie zusammen. Pflegte Händel sonst wohl seine Töne zu entlehnen und umzubilden, so bemerken wir hier das umgekehrte Verfahren, daß er die Betonung unangetastet läßt, dagegen die Worte für ein späteres Werk noch einmal aufgreift und gänzlich neu gestaltet. Aus den Schlußworten der Arie »Praise the Lord«:
[472]

Zion now her head shall raise,

Tune your harps to songs of praise


hat er den berühmten großen Preisgesang im Judas Makkabäus geschaffen; und die folgenden recitativischen Zeilen:


O God, who from the sucklings mouth

Ordainest early praise

Of such as worship thee in truth

Accept the humble lays


dienten ihm im Foundlingshospital-Anthem (1749) zu jenem erhabenen Chorsatze über die deutsche Melodie »Aus tiefer Noth schrei ich zu Dir«, der bis auf den heutigen Tag gänzlich unbekannt ist, die einzige wirkliche Choralfiguration die Händel uns geschenkt hat.

Die Botschaft von Haman's Anschlägen und dem unmenschlichen Gesetze, das der König ausgehen lassen, unterbricht Israel's Jubellieder; tiefe Trauer überschattet die Scene, die schaurigsten Bilder steigen heraus. Bei dem kleinen Chore, der nun ertönt, ist gleich zu Anfang der Einsatz der Oberstimme und des Basses als Ausdruck eines unbeschreiblichen Schmerzes von wunderbarer Wirkung. Alles lautet düster und verzagt, selbst der Jordanstrom, auf den sehnsuchtsvoll die Erinnerung gelenkt wird, fließt traurig dahin.

Drittes Bild, Esther und Mardochai. Warum ist dein verehrtes Haupt mit Asche bestreut, der Leib mit einem Sack bekleidet? fragt die Pflegetochter. Mardochai berichtet und giebt ihre persönliche Verwendung beim Könige als einziges Rettungsmittel an. Sie schwankt, denn das Gesetz verhänge den Tod über den, der ungerufen vor den König tritt. Mardochai: zittere nicht, Königin, und vertraue der Liebe, fürchten soll man Gott allein. Esther: ich will zum Könige gehen; muß ein Opfer sein, o Gott, so nimm mein Leben und schone deines auserwählten Volkes. Die schönen Gesänge beider sind aus der deutschen Passion genommen. Ein Chor, eine Bitte des Volkes, beschließt den Vorgang; obwohl nur dreizehn Takte lang, ist die Situation darin vollständig erschöpft.

Das vierte Bild zeigt uns, wie Esther den König besucht und Gnade vor ihm findet. Von den vier Gesängen sind zwei Arien und der abschließende Chor »Virtue truth and innocence« aus der Passion. Der ganz neu gesetzte schmeichelnde Gesang des Königs »How can I stay, Wie kann ich weilen wenn die Liebe ruft!« hat ein außerordentlich[473] treffendes Motiv, das namentlich bei der dritten Wiederholung durch den absteigenden Gang und die Verkettung der Tonarten seinen vollen Zauber offenbart. Ueber die ganze Scene ist eine große Anmuth gebreitet. Freilich führt Ahasverus mehr die Sprache eines königlichen Schäfers um 1700, als die eines alten asiatischen Herrn über hundert und siebenundzwanzig Länder, aber das Gedicht mußte an dieser Stelle die Kürze des biblischen Buches weiter ausdeuten, und das ließ sich für musikalische Composition schwerlich besser machen. Ein späterer Anhang, Preis der Liebe und ihrer Macht, war hier ganz passend.

Der ganze letzte Theil des Oratoriums ist ein einziges Bild, an Umfang den vier vorausgehenden gleich, an geistiger Größe sie überragend. Der eigentlich menschliche Vorgang hierin, das Mahl bei Esther und die Verurtheilung Haman's, erlischt fast ganz vor dem Strahlenglanze einer neuen Gottoffenbarung, zu deren Verherrlichung der Tonmeister seine beste Kraft einsetzt. Den Anfang macht der Ruf einer einzelnen Stimme zu dem Gotte, der im ewigen Lichte wohnt, dessen Diener Winde und Feuerflammen sind, die Bitte, nun in entscheidender Stunde sein Antlitz zu zeigen, vernichtend für die Heiden, heilbringend seinem Israel. Das Gebet wirkt wie ein Zauberruf, der die Himmel bewegt und den Herrn Himmels und der Erden im Gewitter herablockt. Sein Nahen schildert der folgende große Chor »He comes, Er kommt euer Elend zu enden«, der gleichsam das Universum in Bewegung bringt und alles in sich vereinigt, was eine solche Musik auf der Stufe höchster Vollendung in sich vereinigen muß, das furchtbare Brausen eines Gewittersturmes, die Erhabenheit großer Naturmächte, die Einfachheit ungesucht natürlicher Laute, die Kunst des größten Meisterwerkes. Den Mitteltheil in Dmoll »Earth tremble, Erde erzittre, Jakob erhebe dich und gehe deinem Gott entgegen!« muß man nur hören, um die unwiderstehliche Gewalt zu empfinden, mit der Israel sich zu dem in feuriger Wolke herabfahrenden Herrn hingezogen fühlte. Die Anschauung ist ganz alttestamentlich, obwohl nicht aus dem biblischen Buche Esther, sondern aus Hiob und namentlich aus der Erzählung über die Gesetzgebung am Sinai gezogen; eine Idee, die Händel seinem Dichter wird an die Hand gegeben haben. Die Wirkung einer solchen Naturerscheinung[474] auf ein frommes israelitisches Gemüth kann nicht stärker und reiner gewesen sein, als die ist, welche Händel's Töne hervorbringen. Was wir vorhin Psalmentreue nannten, erscheint hier als historische Treue, als Treue des Charakters in den höchsten Beziehungen. Und mit welchen unglaublich einfachen Mitteln ist dieses Tonbild gestaltet! In den Singstimmen meistentheils Dreiklangfolgen, durch die natürlichsten Gänge fortschreitend, ohne Fugenwerk harmonisch geordnet, nur hin und wieder nach Hauptschlüssen mit einigen kurzen Nachahmungen auf's neue zu der Macht eines vollstimmigen Chores sich aufschwingend; in den Instrumenten ein wogendes Leben, das den Gesang hebt und trägt, fern von Tonmalerei, obwohl hier ein Gegenstand mit einem eigenartigen Naturlaute vorlag, überall mit dem Gesange innig verwachsen, eine herrliche Umtönung dessen was der Chor verkündet.

Als Haman geknickt ist, fleht er mit der feierlichen Musik aus der Passion (S. 443) Esther um Schutz an; aber sie weist ihn höhnend zurück in einer fugirten Arie (Flatt'ring tongue no more I hear thee) die zu den ersten Gesängen des Oratoriums gehört. Auch die folgende »How art thou fall'n. Wie bist du von deiner Hohe gestürzt«, eine moralische Betrachtung über den Sturz des allmächtigen Günstlings, passender von einer Baßstimme in Haman's Namen, als von ihm selbst zu singen, ist bedeutend. Wäre in dem ganzen Werke irgend ein Gesang unerheblich oder überflüssig, so müßte er in den Theilen stecken, die später für die an Bravourgesang gewöhnte Menge hinzugefügt wurden, obwohl auch diese an Schönheiten reich sind; das eigentliche Cannons-Oratorium ist in allen Theilen gehaltvoll.

Unter den um 1732 eingeschalteten Stücken befindet sich auch ein Gesang über das Wort Halleluja, den Händel aus einer Composition entlehnte, die zu nennen wir bisher noch keine Gelegenheit hatten. Es ist dies ein Tonsatz über lateinische Worte, anhebendSilete, silete venti, in acht Absätzen und einer einleitenden Instrumentalsymphonie, von Händel »Mottetto« überschrieben, aber eigentlich eine Ode, ein schwülstig frommer Gesang für eine Sopranstimme; selbst das Halleluja ist einstimmig. Die Composition entstand in England oder Hannover in der Periode, wo es ihm noch erträglich[475] war den caro Jesu und die liebekranke, bei sanften Abendlüften seiner harrende Sündenseele wie schäferliche Herzliebste reden zu lassen. Die Musik, von der er später in verschiedenen Werken mehreres benutzte, ist durchweg sehr schön und überall viel besser als ein solcher Text zu verdienen scheint; die Innigkeit des Gesanges kann wohl auf Augenblicke das Ueberspannte einer solchen Sinnenfrömmigkeit vergessen machen. Das Halleluja wurde in der Esther wohl von einer italienischen Sängerin vorgetragen, die englische Worte nicht singen konnte.

In dem Schlußchore »The Lord our enemy has slain« haben wir das wahre Gegenbild des Chores, welcher den letzten Theil eröffnet, eine gewaltige endlose Tonmasse, die Händel, alle Mittel der Aufführung vergessend, hingeworfen um sich selber zu genügen. Die Chöre sind überall fünfstimmig, und dieser letzte ist völlig so lang wie alle vorhergehenden zusammen. Eine solche selbst bei Händel ungewöhnliche Ausdehnung ist hier nicht ohne inneren Grund, denn die Freude Israels, die zu Anfang durch Haman plötzlich zurückgedrängt wurde, strömt jetzt um so stärker, um so rauschender hervor und will ihre Länge und Breite haben. Der Chor hat neun Einschnitte: der dritte greift in den Anfang zurück, führt dann aber den neuen Cantus firmus ein, der von nun an als Band und Anhalt für die Einzelstimmen, als feierliche lautschallende Erhebung des Preises göttlicher Macht sich durch den ganzen Chor hinzieht; der vierte ist ein Solo für Alt, das in den fünften, eine neue Chorverflechtung des genannten Cantus firmus, einmündet; der sechste bildet eine kleine duettirende Strophe zwischen Esther und Mardochai, die wieder von dem folgenden Chore, einer neuen Gestaltung des Choralmotives, verschlungen wird; dem achten Absatze, einem canonischen Duett für zwei Bässe, folgt eine abermalige und noch tonreicher entfaltete Gestaltung des durchwirkenden Grundgedanken, worauf der feierliche Schluß erscheint.

Dieses erste biblische Oratorium Händel's, den späteren gegenüber der Zeit nach so weit vorgerückt, trägt auch noch die Spuren einer solchen Sonderstellung und überhaupt die Kennzeichen eines ersten Anfängers seiner Gattung an sich. Bei unbefangener Uebersicht wird man es nicht für ein völlig reifes oratorisches Erzeugniß ausgeben können, und zwar offenbart es noch eine zu große Abhängigkeit[476] theils von dem Bühnendrama, theils von der Oper. So erscheint die erste Scene oder das erste Bild, welches Haman's Anschläge vorführt, als überflüssig, denn ein Oratorium unterscheidet sich zunächst dadurch von einem Drama, daß es einer sogenannten Exposition nicht bedarf; das zweite Bild, Israels Jubel über Esther's Erhebung, hätte den Anfang machen, das finstere Unwetter sodann über diese heitere Landschaft hereinbrechen müssen. An die Oper erinnert uns merkwürdigerweise der erhabenste Vorgang des Oratoriums, der Anfang des dritten Theiles wo Gott auf den Ruf eines Gläubigen erscheint. Daß Gott sich für eine gerechte Sache herbei rufen läßt, erfuhr Hiob, daß er unter Donner und Blitz erschien, erzählt Moses; aber der Gedanke, dieses in Esther wie eine Gottesbeschwörung darzustellen, war zunächst durch die damaligen Opern angeregt und läßt in seiner Ausführung bei aller Hoheit der Tongestaltung noch deutlich die Eindrücke eines solchen bühnenmusikalischen Vorbildes erkennen. Esther ist also stellenweis auf Kosten des Oratoriums dramatisch und opernmäßig gebaut, und hieraus zum Theil muß man sich die durchaus verwerfliche Neigung erklären, solche Oratorien Händel's wieder auf die Bühne zu bringen. Die Ursachen der Abhängigkeit von der Anlage eines bühnengerechten Drama und von der sinnfälligen Wirkung einer Opernscene haben wir nicht weit zu suchen; die französische Quelle, Racine's Esther, und der unvollkommene Zustand der Oratoriencomposition vor Händel's Esther klären das Verhältniß völlig auf. Die französischen Bibelstücke waren mit Aristoteles' Gesetzen, so gut man die Sache verstand, zu wirklichen Dramen gemacht, deßhalb auch hat in Frankreich niemals das Oratorium gedeihen wollen. Andererseits war die Grundform des Oratoriums vor Händel noch so wenig sichtbar geworden, daß eine solche Composition, wie wir schon vorhin bei Händel's Resurrezione sahen, nur eine Oper mit geistlichen Texten zu sein schien; ja man hatte sich in Italien diesen niedrigen Standpunkt oratorischer Praxis schon theoretisch gerechtfertigt und schien dort, die besseren Anfänge eines Carissimi und Stradella wieder aufgebend, nach und nach ganz zur Bühne und in die geistliche Cantate abgleiten zu wollen. So hatte weder der Dichter noch der Componist ein musterhaftes reines Vorbild; zwischen Abwegen, Schwächen und Irrungen[477] aller Art mußten sie sich zu der reineren Gestalt des Oratoriums frei hindurch arbeiten. Kein Wunder, daß ihnen solches nicht schon mit dem ersten Wurfe völlig gelang. Esther bildet gegen das Frühere wohl einen großen unerwarteten Fortschritt, aber keinen Fortsprung.

Eine andere Eigenheit, welche einem vollkommenen Oratorium ebenfalls nicht anhaften muß, wird der Esther dennoch stets zur Zierde gereichen. Ich meine ihr freies Verhältniß zu der biblischen Quelle. Das historische Buch Esther ist immer dadurch merkwürdig gewesen, daß darin, obwohl es im Canon heiliger Schriften steht, nicht einmal der Name Gottes, vielweniger seine wirkende Kraft sichtbar wird. Eine niedrig weltliche Ansicht hat vollständig Platz gegriffen, wir sehen nur Juden, Judenfeinde und Judengenossen, kein Volk Israel mehr, keinen Tempel, kein Kanaan. Es würde garnichts Gutes darin sein, wäre an dem Judenvolke nicht eine gewisse bürgerliche Tugend, auffallender Weise die Uneigennützigkeit, gerühmt. Der Chronist sagt beständig: die Juden schlugen mit dem Schwert, würgten und brachten um zu Schloß Susan heute fünfhundert Mann, »aber an ihre Güter legten sie die Hände nicht«; morgen dreihundert, »aber an ihre Güter legten sie die Hände nicht«; und in allen Landen würgten sie fünfundsiebzigtausend, »aber an ihre Güter legten sie die Hände nicht«. Dem französischen Ahasverus war diese Geschichte eben recht, die Geschichte von einem asiatischen Wüstling, der eine Gemahlin verstößt und darauf aus seinen hundert und siebenundzwanzig Ländern schöne Mädchen zuhauf treiben läßt, bei dem ein Favorit schnell erhoben, durch eine Favoritin noch schneller wieder gestürzt wird: besonders wenn das alles von Klosterdamen geistlich-jungfräulich vorgestellt wurde. Doch für ein herzhaftes Oratorium bedurfte die Geschichte einer Läuterung, einer Veredlung, und diese ist ihr hier mit Hülfe anderer Worte und Vorgänge der Bibel so vollständig zu Theil geworden, daß man, wäre der biblische Canon noch einer Veränderung fähig, den Vorschlag machen sollte, der Händel'schen Esther die Stelle der alten Chronik zu gönnen. Bei der Susanna (1748) werden wir die veredelnde Umdichtung einer biblischen Erzählung noch einmal bemerken.

Zu derselben Zeit und für dieselben Verhältnisse schuf Händel ein zweites Oratorium, welches sich in wesentlichen Beziehungen,[478] besonders in den eben besprochenen, zu der Esther gegensätzlich stellt.

Es ist dies das Schäferspiel:


Acis and Galatea. Um 1720.

Hier ist die Gattung rein, die Quelle treu und lauter wiedergegeben, das Ganze eine weltliche Dichtung. Das günstigere Verhältniß im Vergleich zu Esther hat mancherlei Ursachen, die alle in der einen zusammen laufen: dem zeitweiligen Vorausgeschrittensein der weltlichen Kunst vor der religiösen. Esther muß man ansehen als den herrlichen Anfang einer neuen Reihe, Galatea hingegen, obwohl sie an sich ebenfalls völlig neu und eigenartig ist, als die Vollendung, als den musikalischen Abschluß einer vielfältig gestalteten, den Zeitgenossen durchaus verständlichen, mit ihrem Leben innig verwachsenen Kunstart. Selbst England konnte Vorläufer aufweisen, denn seit zwanzig Jahren und länger waren auch hier alljährlich solche »Masquen«, wie man sie nannte, gedichtet, componirt und in Yorkbuildings aufgeführt. Händel hatte denselben Gegenstand schon früher in Neapel besungen, er lieferte ihn hier also in's zweite Laub, und wir haben oft genug bemerken können, wie entschieden ihm jede solche zweite Gestaltung gelang. Den Ausschlag endlich giebt die schöne Fabel, ein Gegenstand wie er für musikalische Composition, besonders für Händel's reine Kunst, nicht besser gedacht werden kann. In ein Thal Siciliens, aus dem ein kleiner Fluß dem Meere zuströmt der noch jetzt Acis heißt, verlegt die Sage den Vorgang. Das friedliche Leben der Flur, der heitere Himmel darüber, der Kranz der Berge ringsum, ein plötzlich hereinbrechender Gewittersturm, der Felsblöcke bergab schleudert, Bäume entwurzelt, endlich in einem Gewässer sich entladet, das die Fluren befruchtend seinem Ursprunge, dem Meere, zufließt: dieses Naturleben denke man sich im Geiste der Bewohner, denen diese Elemente Obdach geben, Freude oder Furcht einflößen, persönlich gestaltet, so entsteht eine Geschichte wie die unsrige; die Geschichte von der schönen Meernymphe Galatea, die aus Liebe zu einem Hirten ihr göttlich Element verläßt und sich wie ein Menschenkind in süßer Liebe freut; von dem menschenfressenden Ungeheuer Polyphem, einem Abkömmling der oberen Gottheiten, der[479] sie lächerlich zudringlich umwirbt, aber höhnend abgewiesen ihr mit einem Felsblock den Geliebten zerschmettert; von Acis dem Hirten, dem in der Liebe zu Galatea ein neues Leben aufgeht, ein Glück hoher als Hirtenfreude, selbst im Tode herrlich; von dem Hirtenchore, den dieses alles, Freud und Leid, theilnehmend bewegt, der wie der Bergkranz das Thal, wie ein Allgemeines das besondere einzelne Menschenleben umsteht und einschließt. Eine solche köstliche, so unschuldige als sinnvolle Begebenheit, von der schon der natürliche Untergrund so musikalisch ist, daß sich darüber eine prächtige Instrumentalsymphonie schreiben ließe, mußte wohl aus Händel's Händen in der runden idealen Gestalt hervorgehen, in welcher sie nun vorliegt.

Das an Umfang sehr bescheidene Werk zerlegt sich in zwei Theile; den ersten erfüllt Glück und Freude, den zweiten Unruhe, Mißgeschick und Schmerz. In dem Anfangschore »O the pleasure of the plains« vernehmen wir die lebhaft bewegte, reizend natürliche Sprache jenes frohen Völkchens, das in Sang und Klang, mit Spiel und Tanz sein Leben hinbringt und alle Blüthen und Früchte der Natur, alle Segnungen der Jahreszeiten sein nennt. Es ist ein Vergnügen wie die Töne einander fliehen und haschen bis sie sich ergreifen und im Einklange austönen. Die Betonung der Worte »free and gay, frei und froh« unisono mit beständiger Hervorhebung des letzten schloß für den Tonsetzer und seine ersten Zuhörer einen kleinen Scherz ein, denn Händel's Dichter, wie schon gesagt, hieß Mr. Gay, Herr Fröhlich. Der geistige und musikalische Charakter des Werkes ist durch diesen ersten Chor mit größter Bestimmtheit angekündigt; nach einem solchen Eingange erwarten wir nicht die erhabenen Gestalten des alten Testamentes, die tief sittlichen aber düsteren Gewalten der Hebräer, vielmehr die Heiterkeit der klassischen Mythologie, jener großen, von dem menschlichen Geiste unbewußt vollzogenen Dichtung, die das Naturschöne in geistiger Schönheit verkörpert hat, in der auch das tiefste Weh, Tod und Untergang, in sanfter Elegie verklingt.

Nach dem Chore tritt Galatea auf den Plan. Liebessehnsucht hindert sie in das Leben der Natur so unbefangen wie die übrigen Nymphen aufzugehen; sie heißt die Vöglein fortfliegen und den Acis zu ihr her bringen. Ihr Lied »Hush, ye pretty warbling choir«[480] wird immer für meisterlich gelten, man mag nun auf die dem Gegenstande so durchaus entsprechende einfache Anlage der Composition, auf die herrlich natürliche Melodie, auf die geschmückte Begleitung sehen. Einer Sängerin, die Sinn hat für Naturpoesie, ist hier wie in der ganzen Partie der Galatea viel anheimgegeben. Von gleichen Empfindungen bewegt, kommt Acis daher »Where shall I seek, Wo sind ich dich mein herzig Lieb? geleite mich, du Gottheit dieser Fluren!« Auch diese Melodie ist sehr malerisch, aber ganz anderer Art. Freund Damon sucht ihn bei den Heerden zurückzuhalten und mahnt, doch nicht unbedacht in's Verderben zu rennen; er möge ihre Freude theilen, sie fernerhin durch den Klang seiner Flöte ergötzen und Liebessorgen bis morgen lassen. Die Arie ist ebenfalls schön und wieder ganz anders gestaltet. Zwischen Damon und Acis entspinnt sich keine Erörterung, wie es in einem Bühnenstücke geschehen würde, denn in einer oratorischen Composition, wo das eine Tonbild das andere erklärt und weiterführt, ist eine durchgängig dramatische Verwicklung unstatthaft. In zwei köstlichen Gesängen – Acis »Love in her eyes«, Galatea »As when the dove« – treten nun die Liebenden einander nahe. Bei Acis bricht die schwungvolle Melodie mit ganzer Innigkeit hervor so wie er seine Göttin, den Inbegriff aller Schönheit, erblickt; Galatea hingegen fängt zuerst schalkhaft an, singt sich aber bald in dieselbe Schwärmerei hinein. Das folgende Duett (Happy happy we, in der Form ein Muster, leitet durch die wiederkehrende Unisonofigur in der Begleitung und die hüpfend frohe Munterkeit im gesammten Ausdruck wieder zu der einfachen Hirtenfreude über, und das ist hier gewiß ein sehr wahrer, charakteristischer Zug. Mit diesem Satze schloß in Cannons der ruhige erste Theil, dessen innerer Fortgang darin besteht, daß aus dem Chore heraus das liebende Paar in die Naturumgebung tritt, sich sucht und findet und freut; dann folgte der Chor, mit welchem jetzt der zweite Theil beginnt, so daß die Composition ohne Hauptabtheilungen wie eine einfache Cantate verlief. Später gestaltete er aus den Worten und Tönen des Duettes einen allerliebsten frischen Chor, wodurch die Stimmung festgehalten und ein passender Abschluß gewonnen wurde.

Den zweiten Theil leitet der Chor »Wretched lovers« ein, ein Tonsatz in welchem alles voll Leben und sprechender Bedeutung ist.[481]

Er bildet einen der Schlagsätze, die in keinem hervorragenden Werke Händel's fehlen, und ist für Gehalt und Einheit des Ganzen entscheidend, namentlich dadurch daß er plötzlich die Stimmung herumwirft, den Inhalt einer ganzen Opernscene zusammendrängt und die für ein Hirtenleben natürliche Lebensansicht ausspricht. Armes Paar, das Schicksal will nicht daß die Freude dauernd sein soll, sagt der Chor; eine weitere Erklärung des Unglückes wird nicht gegeben, denn wer in solchen einfachen Naturzuständen lebt, empfindet Glück und Unglück nicht als eine Frucht sittlicher Verhältnisse, sondern als Sonnenschein und Unwetter das kommt und schwindet eben wie das Schicksal will. Auf diesen einleitenden Gedanken, der wie ein allgemeiner Gesichtspunkt an die Spitze gestellt und recht ausführlich durchgesungen wird, erscheint der zweite, sein Gegensatz »behold the monster Polyphem, o seht das Ungeheuer Polyphem!« mit welchem erst das eigentliche, in dem zweiten Theile dieser Cantate so unheilvoll waltende Leben aufgeht. Die Töne entstanden schon in dem hannöverschen Duett »Caro autor« (S. 361); was er dort setzte zu den Worten »von den Liebesgöttern gegeißelt wird die Zwietracht fliehen«, ist recht erschöpfend benutzt, und dennoch scheint hier in Galatea alles ursprünglich zu stehen, mit den Worten geboren zu sein, wie es denn unläugbar auch nun erst seine breite musikalische Gestalt und seine volle geistige Bedeutung erhalten hat. Die flüchtigen Töne spiegeln den Schrecken, mit welchem das Völkchen dem herantrampelnden Riesen in's Antlitz blickt, ihrem alten Störenfried, dessen Erscheinung sie stets wie Frostschauer überfällt daß sie sich ducken und verkriechen müssen; in gehaltenen Tönen zieht sich Klage und bange Erwartung zwischendurch. Zwar wenn sie ihn nur recht ansehen – »Seht welch' einen mastigen Schritt er nimmt!« – hat der göttliche Tapps wirklich etwas Komisches, und wenn Herr Polyphem nur nicht so geradeswegs auf sie zugereist käme, wollten sie sich schon über ihn lustig machen; aber jetzt ist die Heiterkeit kaum so einmal über die Gesichter geflogen, als das physisch Ueberwältigende des lebendigen Colosses, der die Berge bewegen, den Wald erschüttern, den fliehenden Meereswogen Furcht einflößen kann, sie gleich wieder gefangen nimmt und bis zu Ende seine Macht bewährt. Der Ausbau des Chores bis auf Stellung und Vertheilung der Worte ist ganz Händel's[482] Werk, doch lag schon in den Worten, so wie sie der Dichter überlieferte, eine treffliche Gliederung, die sich in den 82 Takten der Musik und zwar in vier ungleichen Abschnitten zu 32, 24, 4 und 22 Takten auseinanderlegt.

Polyphem's Gesänge zeigen den bedeutenden Fortschritt von der italienischen Galatea zu der englischen von einer neuen Seite. Der Cyclope ist hier nicht mehr vom Standpunkte humoristischer Zuschauer, sondern treu von seiner eignen Natur aus charakterisirt. Wenn er sich in dem Liebesfeuer ungebehrdig stellt und zu Hirtenflötlein etwas absingt (O ruddier than the cherry), glaubt er wirklich einen bezaubernden Liebesgesang kundgegeben zu haben; wenn er die Angebetete röther nennt als eine Kirsche, schmackhafter als eine süße Beere u.s.w., hat er damit seine edelsten Anschauungen treuherzig ausgesprochen, und es macht ihm wahrlich keine geringe Mühe das alles ordentlich in Reim und Ton zu bringen. Als Galatea ihn mit einem kahlen Recitativ kurz abgewiesen hat, ruft Freund Damon ihm schadenfroh nach, wer ein so zartes Wesen gewinnen wolle, müsse es seiner, zarter, schmeichelnder anfangen (Would you gain the tender creature), welche Lehre hier von einem augenscheinlich tief Erfahrenen in einer schönen und sprechend natürlichen Melodie mitgetheilt wird. Acis, durch den Nebenbuhler in Wallung gebracht, möchte zur Vertheidigung seines Schatzes gleich drein schlagen, und gesteht außer der Liebe kein Leben und keine Freude zu kennen (Love sounds); aber bedenke, verliebter Schäfer, sagt Freund Damon, wie schnell es oft mit den Vergnügungen dieser Art vorbei zu sein pflegt(Consider, fond shepherd). Galatea's Mahnung, festiglich ihrer treuen Liebe und den schützenden himmlischen Mächten zu vertrauen, leitet über zu dem Meistertrio zwischen Galatea, Acis und Polyphem »The flocks shall leave the mountains«, dem vollkommensten dreistimmigen Vocalsatze von Händel, dessen theilweisen Ursprung aus einer Arie der Oper Theseus wir uns schon Seite 381 im Beispiel vorgeführt haben. Neu erfunden ist alles was Polyphem singt, und in der geistvollen und musikalisch schönen Durchbildung der Tongedanken wie in der großen Bedeutung für das ganze Werk steht das Trio dem Anfangschore dieses zweiten Theiles ebenbürtig zur Seite, war auch bei allen, die es durch Aufführungen kennen lernten, in gleichem[483] Grade beliebt. Die letzten drei Takte desselben singt Polyphem allein, worauf Galatea verscheucht und Acis zerschmettert wird. Dem Hülferuf des Sterbenden antwortet der unmittelbar einfallende Chor, der von jetzt an auf dem Platze bleibt, mit dem schönen Gesange »Klagt all' ihr Musen, Mourn all ye muses«; überhaupt drängt sich die Musik gegen Ende des Werkes sehr dicht und voll zusammen, nachdem sie sich vorhin behaglich auseinander gelegt hatte. Dem Chore folgt die Wehklage der Galatea und der mit größter Herzlichkeit ausgedrückte Zuspruch der Hirten, das Trauern einzustellen, ihrer göttlichen Kraft eingedenk zu sein und den erschlagenen Jüngling in eine segensvolle Gottheit, in einen das Thal durchfließenden Strom zu verwandeln. Dies geschieht, und als Galatea nun in der Gestalt eines krystallhellen Baches ihren Geliebten anschaut, stimmt sie die Cavatine an »Heart the seat of soft delight«, die letzte Arie und zugleich die Krone aller Gesänge in diesem Pastoral, musikalisch von größter Schönheit, auch in rein geistiger Hinsicht dadurch so bedeutsam, daß der Grundgedanke der Fabel hierin zum Schlusse noch einmal in heller Klarheit aufleuchtet. Allen irgendwie reisen und bedeutenden Tonwerken Händel's eignet ein solches Durchdrungensein mit geistigem Gehalte, der aus dem Gegenstande ohne subjective Zuthat frei emporwächst, eine solche Klarheit und reine Gegenständlichkeit, die nach aller erlebten tiefsten Bewegung im Ueberschauen des Ganzen nur das Gefühl großartiger Ruhe und eine gehobene geläuterte Stimmung erzeugt. Der Schlußchor der Hirten geht auf die elegisch milden Gedanken des letzten Liedes ein und schöpft daraus den Trost »Galatea, nun trockne deine Thränen, Acis ist ein Gott geworden!« Der Inhalt aller Chöre, herzlichste Theilnahme, ist in eine gewisse Unschuld des Ausdrucks gekleidet, die keinem anderen musikalischen Werke irgend welcher Gattung so natürlich stehen würde, als eben dieser Hirtengeschichte, und nur weiter dazu dient sie in ihrem festbestimmten Charakter allseitig abzurunden.

Händel's Verhältniß zu dem klassischen Alterthum, das uns späterhin andere Werke noch von anderen Seiten zeigen werden, rückt ihn von den übrigen Musikern ziemlich weit ab in eine vereinzelte Stellung; selbst von Gluck, der am nächsten steht, unterscheidet er sich so, daß Galatea, Hercules, Alexanderfest historischen Geist in[484] moderner Färbung zeigen, Gluck's französische Opern dagegen modernen Geist in ein sorgsam historisches Colorit hüllen. Diese Entfernung von den Tonkünstlern bringt ihn um ebenso viel den germanischen Dichtern Shakspeare und Göthe näher, mit denen er hier allein verglichen werden kann. Nur in der unbefangenen, man möchte sagen harmlosen Doppelstellung zu dem klassischen und zu dem biblischen oder christlichen Alterthum scheint mir Händel auch gegen diese, besonders gegen Göthe, denjenigen Vorzug zu besitzen, der bei der schiefen Stellung, in welche die Religion in den letzten Jahrhunderten zu mehreren dem Musiker wenig nutzbaren aber dem Dichter unentbehrlichen Bildungselementen gerathen ist, allerdings nur einem Musiker zu erreichen möglich war, und wodurch der Nachtheil in welchem dieser sich von Haus aus dem Dichter gegenüber befindet, wieder ausgeglichen ist. Auch hierüber wird später mehr zu sagen sein.

In Galatea erblickten Händel's Zeitgenossen eines seiner vollkommensten und am gleichmäßigsten gearbeiteten Werke6, was auch nicht übertrieben ist. In England ist es noch allgemein bekannt und in Clavierauszügen zu zwei Shilling, zwanzig Silbergroschen, verbreitet wie bei uns Mozart's Opern; in Deutschland ist es einige Male aufgeführt, aber doch so gut wie unbekannt geblieben, sogar Mozart's Instrumentirung hat ihm hier keinen Boden zu bereiten vermocht, ja diese selbst, deren Originalhandschrift sich in der Berliner Bibliothek befindet, ist viel weniger verbreitet als man erwarten sollte. Was Mozart von Händel beibehalten wollen und wirklich beibehielt, ist in sei nem Autograph sehr leicht zu übersehen, denn bevor er an die Arbeit ging, ließ er sich die Sangmelodien, Bässe und Hauptbegleitstimmen einfach aus Händel's Partitur abschreiben und zeichnete in die offen gelassenen Systeme seine neuen Blaseinstrumente hinein. Von den Ritornellen ist einiges gestrichen und sehr spärlich eine Cadenz nach den deutschen Worten oder der veränderten Singart betont, aber das Werk als ein in sich beschlossenes Ganzes ist mit einer Mozart's würdigen Pietät behandelt und in allen wesentlichen Dingen durchaus Händel's Schöpfung geblieben. Die genannte Berliner Handschrift in Querfolio ist 302 Seiten stark. Händel's[485] Original ist an drei Stellen unvollständig, in dem Duett des ersten, dem Trio des zweiten Theiles und am Ende des letzten Chores, daher auch mit keiner Zeitangabe versehen. Anlangend das Jahr der Entstehung, entscheiden sich die hier in Betracht kommenden Stimmen zur Hälfte für 1720, zur Hälfte für 1721. Bis auf weiteres habe ich das Jahr 1720 wählen müssen, denn die Angabe einer sehr schönen gleichzeitigen Copie von Smith's Hand »OPERA ACIS et GALATEA. Dell' Sigr. HENDEL. à Londres 1720«, ebenfalls in der Berliner Bibliothek befindlich, die sich als eine Abschrift der ursprünglichen Cannons-Composition auch dadurch ausweist, daß ihr alle Aenderungen und Zusätze fehlen mit denen Händel von 1732 an dieses Werk zwecks öffentlicher Aufführungen bedachte, schien mir hierin zuverlässiger zu sein, als die abweichenden und zum Theil sich selbst widersprechenden7 Angaben viel später geschriebener Bücher. In derselben Abschrift wird das Werk zweimal Opera genannt, in den Zeitungen der Jahre 1731 und '32 »an English Opera«, auch wohl »the celebrated Pastoral Opera«: und diese Bezeichnungen könnten die Versuche zu rechtfertigen scheinen, welche schon mehrfach in neueren Zeiten gemacht sind, Galatea rein als eine Oper zu behandeln und mit allem dramatischen Zubehör auf die Bühne zu bringen. Die Benennung Opera stammt aus der Zeit, wo der Unterschied zwischen Oper und Oratorium noch nicht geläufig war, sondern eben erst durch Händel's Werke praktisch dargelegt wurde, wo man weltliche Cantaten überhaupt noch nicht zu den Oratorien zählte; die versuchte Dramatisirung steht also insofern auf einem schwachen Grunde und konnte überhaupt nur von einem mißleiteten Geschmacke unternommen oder gutgeheißen werden. Ein Oratorium und eine Oper werden sich stets in gewissen Punkten berühren, aber auch, wenn sie das sind was sie der Gattung nach sein sollten, eben in den entscheidenden Linien auseinander gehen. So ist es bei Galatea; nicht bloß der große Chor zu Anfang des zweiten Theils, auch vieles in dem ersten Theile müßte aufgelöst und neugestaltet werden, wenn es in Opernform erscheinen sollte, ganz abgesehen davon, daß sich der Schluß dem Auge entzieht und daß Polyphem keine Bühnengestalt[486] ist. Viel reiner oratorisch als Esther, ist bei diesem Pastoral Sinn, Fortgang, Erklärung, Bedeutung völlig in die Musik gelegt. Händel wußte das wohl, denn er hat es niemals Oper genannt noch als solche aufführen wollen, wohl aber sich zeitweilig herbeigelassen, einem Publikum das alle Musik opernmäßig zu denken verwöhnt war, das Werk von pastoralen Decorationen, von ruhenden Scenen umgeben vorzuführen, und wer bei der ganz ähnlichen Geschmacksneigung heutiger Tage sich von einem derartigen Verfahren Erfolg verspräche, könnte es immerhin nachahmen ohne fürchten zu müssen das Oratorium seines wesentlichen Gehaltes zu berauben. Aber eine Oper Acis und Galatea, wenn auch noch so sorglich aus Händel's Musik zurechtgemacht, würde nicht mehr das sein was wir jetzt als oratorisches Pastoral lieben und bewundern.

John Gay war wirklich der beste musikalische Dichter den England damals aufweisen konnte. Daß ihn seine Begabung dem Oratorium, nicht der ernsten Oper zuführte, ist schon ein vorläufiger Hinweis auf das Gebiet, welches von der Musik in England und zu englischen Worten bestellt werden sollte. In seinem Gedichte findet sich auch Eigenthum von Dryden, Hughes und Pope, namentlich der letzte stand ihm treulich zur Seite, weniger mitdichtend als rathgebend; es war die Zeit, wo Pope dem in dürftigen Umständen sich befindenden Freunde schrieb, so lange er noch einen Shilling habe, bekomme er 6 Pence ab, vielleicht gar 8 Pence.8 Die lebhafte Theilnahme des ganzen Burlingtonkreises war auch für Händel sehr anregend und ist noch jetzt äußerlich sichtbar in der richtigen Betonung der englischen Worte sowie in der zarten Rücksichtnahme auf die Versmaaße. Ob sich über Händel's Aufenthalt in Cannons noch etwas Erhebliches wird entdecken lassen, dürfte zu bezweifeln sein. Der Herzogssitz hat schon längst einem Kornfelde Platz gemacht. Die lebenden Attribute vormaliger Pracht verloren sich von 1720 an bald wieder, die todten wurden 1747 nach dem Ableben des Besitzers in öffentlicher Auction ausgehandelt, wobei der Palast, welcher 250,000.£. gekostet hatte, stückweise nur 11,000. £. wieder einbrachte. Auf die Forschungen welche Richard Clark angestellt und der Welt in Folio[487] mitgetheilt hat9 – bei denen aber nicht Händel den Mittelpunkt bildet, sondern ein angeblich alter Amboß, auf welchem der Schmiedemeister William Powell zu Cannons ein Lied harmonisch behämmert, Händel solches gehört und das Stück als die fünfte seiner Suiten für Clavier bearbeitet in den Druck gegeben haben soll, bekanntlich schon im Jahre 1720, wobei uns Clark denn, kaum sollte man es für möglich halten, in vollem Ernst aus dem Kirchenbuche mit pfarrherrlicher Beglaubigung nachweist, daß Powell damals noch ein Kind gewesen sein muß, und scharfsinnig weiter schließt, Händel müsse den harmonischen Grobschmied schon vor 1744 gehört haben, nicht etwa weil die bezügliche Composition damals schon vierundzwanzig Jahre gedruckt und in aller Welt bekannt war, sondern weil der Herzog von Chandos im Jahre 1744 gestorben, u.s.w. – können wir uns unmöglich einlassen. Die genaueste Erforschung der Lebensumstände derjenigen Personen, mit denen Händel in Verbindung stand oder gestanden haben kann, bleibt allerdings das einzige Mittel seine Biographie jetzt noch mit wahrhaft neuen Thatsachen zu bereichern, und man läßt sich bei derartigen Berichten gern einige Uebertreibung und Philisterei gefallen; aber die Clark'sche Albernheit übersteigt doch alle Grenzen. In Pope's satyrischer Epistel an Lord Burlington über Timon's Villa, über den ausschweifenden Luxus zu Cannons, finden sich einige Zeilen die man auf Händel beziehen kann:


Light quirks of music, broken and uneven,

Make the soul dance upon a jig to heaven.


Daß Pope hier nicht auf Händel, sondern auf des Herzogs Musiker vor und nach Händel anspielen wollen, ist eine unnöthige Annahme von Mainwaring, denn der Satyriker hatte sicherlich gar keine bestimmte Person, sondern nur den übertriebenen unnatürlichen Luxus im allgemeinen im Auge, einen Pomp der sich bei der Musik auch noch darin offenbarte, daß die Anthemaufführungen gleich einem Concerte vorher in den Londoner Zeitungen angezeigt und von der zuströmenden Menge nicht vornehmlich als gottesdienstliche Erbauung, sondern als prächtige unerhörte Ergötzlichkeit betrachtet wurden; der[488] unmusikalische Dichter, dem der Unterschied zwischen Jig und Hymnus nicht einleuchten wollte, konnte aber immerhin selbst von Händel's Kirchenmusik sagen, sie lasse die Seele lustig zum Himmel hinauf tanzen. Pope's Epistel wurde vielfach übel genommen, für ungerecht gehalten und mißverstanden. Zu den übertriebenen Ausdrücken zählte man auch den über die Musik, und Händel's Verehrer Aaron Hill hat in einem Briefe an den Dichter den musikalischen Seelentanz in aller Höflichkeit auf das rechte Maaß zurückgeführt. Auch der Pomp der Capelle und der Capellmusik, schreibt Hill, war charakteristisch genug für den Herzog, denn ob die Musik bauernlustig oder feierlich (jiggish or solemn, klang, machte bei den Tausenden, die des Herzogs Pracht anstaunten, wenig Unterschied.10 Das wird allerdings der Fall gewesen sein.

Mit seinen Sängern, den königlichen Capellmusikern, führte Händel ein herzliches Musikantenleben, das für den Augenblick so vergnüglich war, als es in der Folge für die Kunst eine große Bedeutung gewinnen sollte; denn diese Gesangkräfte waren es, welche nach Jahren aus freier Begeisterung den Versuch wagten, die Cannons-Oratorien der Oeffentlichkeit vorzuführen. Besonders die jüngeren Musiker, die sich so herrlich in die Kunst eingeführt sahen, wären für den deutschen Meister durch's Feuer gegangen. Hatte Händel durch die bis 1720 gesetzten kirchlichen und oratorischen Compositionen in englischer Sprache für den erhabensten Theil seines späteren Kunstschaffens die Keime gelegt und sich mit ihnen das Reich erstürmt, von dem aus er die Tonwelt beherrschen sollte, so lernte er in Cannons auch noch die Mittel zur Aufführung, zum Theil aus dem Nichts, sich heranbilden, dem werkthätigen Tonkörper seinen Geist einhauchen und überhaupt die Aufgabe eines musikalischen Dirigenten auf eine so meisterliche und originelle Weise bewältigen, daß fortan niemand gegen ihn aufkommen konnte. Von Cannons aus war er auch sehr oft in der St. Paulskirche, und am Schlusse des Gottesdienstes genügte eine kleine Retirade des Organisten, um ihn auf die Orgelbank zu locken. Dann gingen sie wohl gemeinschaftlich in ein nahes Wirthshaus, dem damals ein Musiksaal mit[489] musikalischen Instrumenten nicht fehlen durfte, und erheiterten sich nach uraltem Brauch der Musikanten.


An den letzten Abschied aus Halle, Ende 1716 oder Anfang '17, knüpfte sich für Händel bald eine sehr wehmüthige Erinnerung, denn es war das letzte Mal, daß er seine theure Schwester sah. Sie starb am 8. August 1718 nach langem Siechthum. Ich habe auch hierüber die gedruckte Leichenrede und beinahe ein Dutzend Carmina vor mir11. Der Prediger wählte den Text nach der Art der Krankheit, denn er sagt: »GOtt hatte diese werthe Frau in der schönsten Blüthe ihrer Jahre mit der Schwindsucht nach seinem unerforschlichen Rath heimgesuchet. Es verschmachteten nach und nach ihre Gebeine... Aber da ihr auch Leib und Seel verschmachtete, war und blieb doch GOtt Ihres Hertzens Trost und Ihr Theil. Es erwieß die Seelige Frau Doctorin, daß ein Kind GOttes mehr Freudigkeit in seinem Tode, als die Gottlosen im Leben haben. Sie machete durch Ihr Exempel wahr, was Salomon saget: Der Gerechte ist auch in seinem Tode getrost. Woher kommt aber diese Freudigkeit, da äusserlich keine Freude ist? Warum grünet die Hoffnung, wenn auch der Leib, als eine Blume, verwelcket? Warum verschmachtet der Glaube nicht, wenn auch Leib und Seel verschmachten? Niemand kan uns davon bessere Nachricht geben, als der nunmehro verschlossene Mund der Seeligen Frau Doctorin. Es führete derselbe im Leben öffters die Worte Hiobs: Ich weiß, daß mein Erlöser[490] lebet, und er wird mich hernach aus der Erden auferwecken.« Auch die Gedichte machen erbauliche Anwendungen über diesen Leibspruch der Verstorbenen. Es gewinnt, für mein Gefühl wenigstens, eine ganz eigene und bewegliche Beziehung, wenn uns bei dem Gesange im Messias »Ich weiß daß mein Erlöser lebt«, den Händel einer weiblichen Stimme zutheilte, gesagt wird, daß es die Trostworte seiner seligen Schwester waren. »Solche Erkänntniß nun würckete bei Ihr einen wahren lebendigen Glauben, welcher gantz an JEsu hieng. Sie hatte ja sonst viel zeitliche Glückseligkeit in der Welt erlebet. GOtt hatte ihr einen liebreichen Ehe-Gatten, einen vielfachen Ehe-Seegen, ein gutes Vermögen, viele Freude und Ehre an Ihrem eintzigen Herrn Bruder, dessen gantz besondere und ausnehmende grosse Vertues auch gecrönte Häupter und die Grössesten in der Welt zugleich lieben und bewundern, und sonst viel Vergnügen gegönnet, doch muste alles ihrem Erlöser nachstehen. Diesen, diesen kannte Sie, daß er lebe, und daher schloß Sie billig, daß auch an Ihr das Leben JEsu müste offenbahr werden. Es zeuget hiervon Ihr thätiger Glaube, Ihr eingezogener und stiller Wandel, Ihre Liebe zum Gebeth und GOttes Wort, Ihre Kindliche Hochachtung gegen ihre alte Frau Mutter, ihre Gedult und Gelassenheit.« Michaelsen kaufte das Gut Stichelsdorff, um seiner Frau ein recht ruhiges gesundes Leben zu bereiten, und gedachte schon in den nächsten Wochen mit seiner Familie ganz auf das Land zu ziehen. »Sie hatte ja wohl ein grosses Vergnügen, da Ihr Herr Ehe-Liebster ein nah gelegenes Gut käufflich an sich gebracht, und meinte vielleicht auf diesem Land-Gut noch manche Zufriedenheit zu finden. Aber so bald Sie gleich wohl den Winck Gottes merckte, war Sie willig Ihr altes Stam-Gut, ich meyne die Erde, und in derselben Ihr finsteres Grab vor dieses bequehme und lustige Gut zu erwehlen. Die Frau Mutter kan ja wohl ohne tausend Thränen nicht daran gedencken, daß Sie in ihrem hohen Alter eine Tochter zu Grabe bringen muß, in dero Armen Sie ohne Zweiffel gedachte ihre Augen zu schliessen.« Die Tochter scheint an häuslichen Tugenden ihr rechtes Ebenbild gewesen zu sein. Wiederholt berühren die treuherzigen Reime, die von Prosa und Thränenwasser überfließen, das anspruchlose Wesen, den wirthschaftlichen Sinn, das Streben nach einem friedlichen und gesicherten[491] weltlichen Besitzthum. So sagt ihr und des Bruders Gespiele und Freund von frühester Kindheit an, der Vetter Diaconus Roth:


Die Güther dieser Welt stehn allen Wettern offen,

Bald dringt der starcke Feind zum Raub und brennen ein.

Bald muß man zweifelhafft auff gute Zinsen hoffen.

So muß man zwischen Furcht und zwischen Hoffnung seyn.

Dieß hat die Seelige bey früher Zeit erfahren,

Indem Sie sich gar bald zur Wirthschafft angewehnt.

Daher Sie auch mit Luft in abgewichnen Jahren

Sich in ein eignes Guth auff dieser Welt gesehnt.

Ihr Wunsch war auch erfüllt, der Kauff-Contract geschehen,

Das Guth Ihr zugetheilt, so kahm des HErren Wort:

Auff! Auff! Du solt nunmehr ein besser Erb-Guth sehen,

Aus diesem offnen Meer kommst Du zum wahren Port.

Ich bin der HErr Dein Guth und will Dein Erbtheil bleiben

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ich, der ich selbst ein Freund von Jugend auff gewesen,

Kan kaum vor Traurigkeit Sie noch im Sarge sehn,

Viel wenger diese Schrifft vor vielen Thränen lesen,

Da mir von langer Zeit von Ihr viel guts geschehn.

Vor dieses danck ich noch zuletzt an Ihrem Grabe.


Ein Freund Michaelsen's schildert denselben Gegensatz menschlichen Strebens und göttlicher Schickung mit andern Worten:


Nur ein und dreißig Jahr hat Sie ihr Feld gemessen,

Und manches Thränen-Korn in Schwachheit ausgesät.

Hier hat Sie wenig Brodt von ihrer Saat gegessen,

Ob gleich Ihr Stichelsdorff itzt in der Erndte steht.

Kaum hatte Sie daselbst das schöne Feld beschauet,

Und sich zur Erndten-Zeit mit Luft geschickt gemacht,

Der Schnitter seine Flur von Mandeln auffgebauet,

Der Knecht schon manches Schock mit Wagen eingebracht:

Als Sie sich halb entseelt gleich Blumen niederlegte,

Die bey der Erndten-Zeit sehr grosse Hitze drückt.


Das hier gelegentlich Eingeflochtene enthält alles, was über das Leben von Händel's Schwester bekannt geworden ist. Als der Tod herantrat, war ihr Scheidegruß: Lebt wohl ihr Weinenden und inniglich Geliebten, und Gott behüte euch! – Wegen ihrer Treue und Harmlosigkeit ertrage man das Umständliche dieser Mittheilungen über Personen, für die unsere Theilnahme durch jede solche Einzelheit wachsen muß, weil wir so erst recht zu begreifen vermögen inwiefern sie mit Händel zusammen hingen. Gewöhnliche Menschen waren es[492] freilich nur, diese seine Halle'schen Verwandte und Freunde; aber zugleich auch waren es diejenigen, welche zuerst den Genius hegten, ihm die ersten Kränze wanden, ihn zuerst den Ihrigen nannten, und so in Liebe und Stolz und Freude früher als alle Uebrigen ihm eine Huldigung zu Theil werden ließen, die derjenigen, welche ihm nach und nach die ganze Menschheit darbringen wird, ein treuherziges Beispiel ist. Die Erinnerung an ihn und das Glück, welches er auf der mächtigen Insel gefunden, blickt überall durch; die Schwester, so drückt sich einer der Condolenzpoeten aus, sei nun der Seelen nach in's rechte Engelland gekommen.

Händel muß nach der erhaltenen Trauerkunde den Seinen einen baldigen Besuch zugesagt haben. Aber wichtige Verhandlungen, die sein Verbleiben in London nothwendig machten, ließen ihn dieses Versprechen erst einige Monate später ausführen. Ein gutes Geschick hat uns den Brief an seinen Schwager erhalten, in welchem er die Verzögerung seiner Abreise erklärt und der hingeschiedenen Schwester gedenkt; in einem Monat hofft er abreisen und den Verzug durch einen um so längeren Besuch wieder gut machen zu können.


»Monsieur


mon tres Honoré Frere

Ne jugez pas, je Vous supplie, de mon envie de Vous voir par le retardement de mon depart, c'est à mon grand regret que je me vois arreté icy par des affaires indispensables et d'ou, j'ose dire, mà fortune depend, et les quelles ont trainé plus longtems que je n'avois crû. Si Vous scaviez la peine que j'éprouve, de ce que je n'ai pas pu mettre en execution ce que je desire si arde ient Vous auriez de l'indulgence pour moy. mais a la fin j'espere d'en venir à bout dans un mois d'icy, et Vous pouvez conter que je ne ferai aucun delay, et que je me mettrai incessamment en chemin, Je Vous supplie, Mon tres Cher Frere d'en assurer la Mama et de mon obeissance, et faites moy sur tout part encore une fois de Vôtre Etat, de celuy de la Mama, et de Vôtre Chere Famille, pour diminuer l'inquietude et l'impatience dans la quelle je me trouve, Vous jugez bien, Mon tres Cher Frere, que je servois inconsolable,[493] si je n'avois pas l'esperance de me dedommager bientôt de ce delay, en restant d'autant plus longtems avec Vous.

Je suis etonné de ce que le Marchand à Magdeburg n'a pas encore satisfait à la lettre de Change, je Vous prie de la garder seulement, et à mon arrivée elle sera ajustée. J'ay recus avis que l'Etain serà bientôt achemine pour Vos endroits, je suis honteux de ce retardement aussi bien que de ce que je n'ai pas pu m'acquitter plus tôt de ma promesse, je Vous supplie de l'excuser et de croire que malgré tous mes effors il m'a eté impossible de reussir, Vous en conviendrez Vous même lorsque j'aurai l'honneur de Vous le dire de bouche. Vous ne devez pas douter que je ne haterai mon voyage: je languis plus que Vous ne scauriez Vous imaginer de Vous voir. Je Vous remercie tres humblement des voeux que Vous m'avez addresses à l'occasion du nouvel' an. Je souhaite de mon côté, que le Toutpuissant veuille Vous combler et Vôtre Chere Famille de toutes fortes de Prosperites, et d'addoucir par ses pretieuses benedictions la playe sensible qu'il luy a plu de Vous saire essuyer, et qui m'a frappè egalement. Vous pouvez etre assuré que je conserverai toujours vivement le Souvenir des bontés que Vous avez eues pour seue mà Soeur, et que les sentimens de ma reconnoissance dureront aussi longtems que mes jours. Ayez la bonté de faire bien mes Complimens à Mr Rotth et a tous les bons Amis. Je Vous embrasse avec toute Votre Chere Famille, et je suis avec une passion inviolable toute ma vie.


Monsieur

et tres Honoré Frere

Vôtre

treshumble et tresobeissant

Serviteur

George Frideric Handel [.]

à Londres

ce 20 de Fevrier

1719.


A Monsieur

Monsieur Michael Dietrich Michaëlsen

Docteur en Droit

à

Halle

en Saxe« [.] 12
[494]

Als gelehrte und studirte Leute schrieben die befreundeten Männer nach damaligem Gebrauch ihre Briefe französisch; nur einmal, bei dem Tode der Mutter, bediente Händel sich der Muttersprache. Die Unternehmungen, auf welche er hier hindeutet als auf Dinge von größter Wichtigkeit, von deren Zustandekommen sein Glück abhänge, wir wollen sagen sein Schicksal, werden im folgenden Bande die Erzählung weiter führen. Hier schließen wir mit der Ankündigung seines Besuches in Halle, was uns zu dem Orte zurückleitet von welchem er ausging und so auch äußerlich den Bericht abrundet. Die ganze erste Hälfte seines Lebens ist hiermit abgethan; an sich schon ein bedeutendes fruchtreiches Künstlerleben, steht sie bei Händel einer herrlicheren zweiten Hälfte gegenüber nur da als eine von sehr wenigen Künstlern so normal, von keinem einzigen jemals allseitiger und tiefer vollzogene Bildungsgeschichte im Großen, die dadurch noch merkwürdiger und anziehender wird, daß der innere Fortgang mit der äußeren Wanderung durch die musikalischen Culturländer gleichen Schritt hält, und daß die Spuren davon überall noch erhalten oder doch mit einiger Mühe nun fast vollständig wiedergefunden sind. Händel, der später diese beiden Lebenshälften und ihren Charakter sehr klar übersah, schied sie von einander und setzte einen Denkstein in das Jahr 1720, indem er sagte: Man muß lernen was zu lernen ist, und dann seinen eignen Weg gehen.

Fußnoten

1 S. History IV, 214.


2 Arte pratica di Contrappunto dimostrata con Esempj di varj Autori e con osservazioni di FR. Giuseppe Paolucci, Minor Conventuale. 3 Bände. 4. Venedig 1765. II, 100–115.


3 »Also zogen sie von dem Berge des HErrn drei Tagereisen, und die Lade des Bundes des HErrn zog vor ihnen her die drei Tagereisen, ihnen zu weisen wo sie ruhen sollten.

Und die Wolke des HErrn war des Tages über ihnen, wenn sie aus dem Lager zogen.

Und wenn die Lade zog, so sprach Mose: Herr, stehe auf, laß deine Feinde zerstreuet, und die dich hassen flüchtig werden vor dir.

Und wenn sie ruhete, so sprach er: Komm wieder, HErr, zu der Menge der Tausenden Israels.« 4 Mose 10 V. 33–36.


4 History IV, 666.


5 Bibliothèque des Theatres, contenant le catalogue alphabetique des piéces dramatiques etc. A Paris, chez Laurent-François Prault. 1733. 8. p. 121.


6 Mainwaring, Memoirs p. 200.


7 Vgl. Mainwaring p. 126 mit p. 153.


8 The works of the late Aaron Hill, Esq.; in four volumes. London 1753. 8. I, 340.


9 Reminiscences of Handel, his grace the duke of Chandos, Powells the harpers, the harmonious blacksmith, and others. By Richard Clark. London 1836. 23 Seiten in Fol.


10 The works of the late Aaron Hill I, 108.


11 Der Hertzens-Trost eines am Leibe verschmachtenden Kindes Gottes, Aus Job. XIX, 25 sequ. Bey ansehnlicher Beerdigung Der Hoch-Edlen, Hoch-Ehr-und Tugendbelobten Frauen, FRAUEN Dorotheen Sophien gebohrnen Händelin, Des Hoch-Edlen Vesten und Hochgelahrten Herren, Herrn Michael Dietrich Michaelssen, I.V.D. Lieb gewesenen Frau Ehe-Liebsten Am 11. Aug. 1718. In gewöhnlicher Leich-Abdanckung betrachtet, Und auf Begehren zum Druck übergeben Von JO. MICHAELE HEINECCIO, der H. Schrifft D. Königl. Preußl. Consistorial-Rath etc. Der Seeligst Verstorbenen Frau DOCTORIN Hinterlassenen Herrn Wittwer, Liebsten Kindern, Frau Mutter, Herrn Bruder Und übrigen Vornehmen Anverwandten, übergiebt diese Leich-Rede Mit Anwünschung alles göttlichen Trostes und Beruhigung des Hertzens DERO allerseits treuer Diener und Fürbitter. HALLE, druckts Johann Grunert, Universitäts-Buchdrucker. Fol. Nebst den Gedichten im Besitz des Hrn. Dr. Senff zu Calbe a. S.


12 Im Besitz des Hrn. Dr. Senff zu Calbe a. S. Das schwarze Siegel ist auch noch erhalten, aber etwas eingeknickt.


Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1860.
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