1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie.

1720–1728.

Es ist nicht bestimmt zu sagen, bei welcher Gelegenheit der Gedanke einer Opernakademie zuerst auftauchte. Aber die Vermuthung liegt nahe, daß wir den Ursprung dieses Planes in eine der glänzenden musikalischen Gesellschaften verlegen müssen, welche der Herzog von Chandos der vornehmen Welt Londons in Albemarlestreet mit verschwenderischer Pracht bereitete. Wer mußte nicht wünschen, es möge ein Weg gefunden werden, Genüsse dieser Art möglichst stetig zu wiederholen, um so mehr, da London in musikalischen Einrichtungen gegen andere große Städte so auffallend zurückstand! Paris hatte seine Akademie, Wien seine Hofopern, ja fast jeder kleine Fürst auf dem Festlande konnte sich ein Vergnügen bereiten, welches in London noch immer hauptsächlich vom Zufalle und von der Liberalität eines Einzelnen abhing.

Bestimmteres war über die Zeit zu ermitteln, in welcher der Plan zur Reise gedieh. Er wurde im Winter 1718–19 berathen, also gleichzeitig mit dem Südseeplane, gelangte aber, weil ohne Parlament zu erledigen, früher zum Abschluß. Schon im Februar '19 bezeichnete Händel in dem Briefe an seinen Schwager (B. 1 S. 493) die Sache als erledigt; denn »die wichtigen Angelegenheiten«, die ihn »so lange in Anspruch genommen« und von denen er in frohester Erwartung »sein Glück abhängig« glaubte, waren nichts anderes, als die Vorberathungen und Maaßnahmen zur Errichtung der Opernakademie, deren musikalischer Theil mithin von Anfang an wesentlich[15] in Händel's Hand lag. Und schon am 21. desselben Monats bringt eine Londoner Zeitung die Nachricht: Herr Händel, ein berühmter Meister der Musik, sei im Auftrage Sr. Majestät über See gegangen, um für die Oper im Haymarket-Theater eine Anzahl der besten Sänger Europa's zusammen zu suchen.1 Wie viele und welche Orte er zu diesem Zwecke bereiste, läßt sich nicht nachweisen. Wir wissen nur, daß er in Dresden und in Düsseldorf war; und da er hier so ziemlich seinen Bedarf fand, wird er wohl nicht weiter herumgereist sein, sondern theils am Hofe zu Hannover, theils bei den Seinen in Halle einen ruhigen Sommer zugebracht haben.

In Düsseldorf gewann er den Benedetto Baldassarri, Kammersänger des Pfalzgrafen. In Dresden fand er im Herbst 1719 fast alle Berühmtheiten der italienischen Sängerwelt mit Lotti als Componisten versammelt zur Vermählungsfeier des Churprinzen mit der Erzherzogin Maria Josepha. Diese Kräfte waren indeß für den nächsten Winter nicht zu erlangen. Der Churfürst hatte die Sänger nach Dresden geladen wahrscheinlich mit der Andeutung, daß sie nach beendigten Festlichkeiten noch eine zeitlang in seinen Diensten bleiben sollten; und so wurde mit allen denen, auf welche Händel sein Auge gerichtet hatte, am ersten October '19 ein neuer einjähriger Contract abgeschlossen. Daß Händel eben damals in Dresden war, also den berühmten September-Festlichkeiten beiwohnte, geht aus einem Briefe des sächsischen Generalfeldmarschalls Grafen Flemming an Händel's Schülerin Fräulein von Schulenburg hervor.2 Seine Lage war eine[16] etwas peinliche und erforderte die größte Vorsicht und Zurückhaltung, um nicht den Argwohn des sächsischen Hofes zu erregen, noch die Sänger, welche nach den englischen Guineen lüstern waren, zum Treubruch zu ermuntern. Alles was er thun konnte, war, die Damen Durastanti und Salvai, die Kastraten Senesino und Berselli und den uns schon bekannten Bassisten Boschi vom ersten October '21 an für die Akademie zu engagiren. Daß die Italiener sich nach ihrer edlen Weise gegen die deutschen Musiker in Dresden ungezogen benahmen, besonders Senesino gegen den Kapellmeister Heinichen, und daß der König-Churfürst deßhalb schon im Februar '20 seinen ganzen italienischen Parnaß fortjagte, hatte auf die Londoner Akademie weiter keinen Einfluß; denn ob wohl die Italiener in Dresden Skandal anfingen, um desto eher nach London zu kommen, war die Akademie doch rücksichtsvoll und verständig genug, sie nicht vor der contractlich bedingten Zeit zuzulassen, ausgenommen Signora Durastanti, welche ihnen für den Augenblick besonders erwünscht kam. Der Graf Flemming, ein mächtiger Mann an August's Hofe mit vielen Aemtern und Titeln, vermochte natürlich nicht zu begreifen, wie ein Musiker so sonderbar sein könne, sich aus seinen Einladungen nichts zu machen. Aber Händel war weder ein eitler Allmannsfreund, noch ein dünkelhafter Virtuose, der sich durch berechnete Zurückhaltung wichtiger zu machen sucht; er war ein einfacher Mann, der seinen Geschäften nachging, im Privatleben sich aber die Freiheit nahm, Niemand zu behelligen und sich von Niemand behelligen zu lassen.[17] Uebrigens besuchte er Keinen, der ihn nicht auf gleich und gleich wieder besuchte (Dienstangelegenheiten ausgenommen); und was den englischen Grafen und Herzögen nicht mehr unerträglich war, mußte der sächsische Generalfeldmarschall sich schon gefallen lassen. Der Stolz, welcher in einem solchen Benehmen lag, beleidigte nicht, da er sich wesentlich als ablehnende Zurückhaltung offenbarte; nur die Damen der Hausconcerte haben es dem Musiker lange nachgetragen, daß er auf keine Weise für die Leitung ihrer Salonmusik zu gewinnen war.

Händel, »welcher vor Sr. Königl. Majestät und Sr. Hoheit dem Königl. Prinzen sich hören lassen«, auf dem Clavier nämlich, erhielt hundert Dukaten. Die Verordnung ist aus dem Februar 17203, woraus indeß nicht hervorgeht, daß Händel damals noch in Dresden war, sondern nur, daß man eine früher gereichte »Ergetzlichkeit« nachträglich für die Berechnung notirte, oder auch, daß die hundert Dukaten durch Vermittlung des sächsischen Gesandten erst setzt an Händel gelangten. Händel scheint also glücklicher gewesen zu sein, als Bach, der ein Jahr vorher an demselben Hofe über den französischen Clavierspieler Marchand einen denkwürdigen Sieg erfocht, dem aber eine ähnliche Belohnung durch die Schurkerei eines Hofbeamten entgangen sein soll. Es wäre interessant, wenn über das Spiel beider Männer noch eine Bemerkung vom Grafen Flemming oder von einem andern Schöngeist an August's Hofe aufgefunden werden könnte. Forkel erzählt, daß Bach den Wunsch hegte, Händel persönlich kennen zu lernen und deßhalb eine Reise nach Halle unternahm, aber dort eintraf, als dieser bereits abgereist war.4[18]

Das muß im Spätherbst '19 gewesen sein. Der König ging Mitte November von Herrenhausen nach London zurück, Händel wahrscheinlich schon etwas früher. Ich nehme dies an, weil die Opernakademie bereits anfangs November sich constituirte und wiederholt Berathungen hielt. Die Vorstellungen begannen erst am 2. April 1720. In die Zwischenzeit, also in die Wintermonate 1719–20, verlege ich die Entstehung und erste Aufführung von Acis und Galatea, sowie die Composition der Oper Rhadamist.


Es sollte die Aufgabe der neuen Akademie sein, so ziemlich alles zu vereinigen, was im Fache der Bühnenmusik geleistet oder noch zu leisten war, und dieses in denkbar höchster Vollkommenheit den englischen Musikliebhabern vorzuführen. Engster Anschluß an die italienische Oper war damit von selbst geboten, weil diese damals vor der französischen, deutschen und englischen einen großen Vorsprung gewonnen hatte und wirklich die einzige war, in der sich die »Summe musikalischer Reize« vereinigt vorfand. Es geht schon aus dem Ursprunge der Akademie hervor, daß eine Erneuerung der früheren englischen Opernversuche ihr gänzlich fern liegen mußte, daß sie also[19] nicht das für England werden konnte, was die Pariser Academie royal de musique, von der sie den Namen entlehnte, für Frankreich war. Wäre bei der Entstehung ein nationaler Gedanke auch nur entfernt einmal aufgetaucht, so würde man in der spätern Rathlosigkeit gewiß darauf zurückgekommen sein, und dieses Institut hätte dann eine andere Geschichte. Aber auch den einsichtigsten Freunden der Akademie lag ein solcher Gedanke gänzlich fern. Der Kreis, welcher die italienische Oper umschloß, wurde nicht überschritten, sondern durch Hinausweisung des Komischen noch enger gezogen. Im Uebrigen sollte keine Ausschließlichkeit irgendwelcher Art herrschen, wie eine solche überhaupt nicht im englischen Charakter liegt. Kein Volk versteht es, wie das englische, auf alles was vom Auslande bezogen wird, die wahren Handelsgrundsätze anzuwenden, selbst auf die Kunst. Wie die Producte aller fünf Welttheile, werden auch die Erzeugnisse der Kunst herbei geholt und bezahlt, aber auch rücksichtslos wieder verworfen, sobald sie sich als schlecht, oder – was hier oft dasselbe ist – als unwirksam erweisen.

Auch die Musikakademie trägt diesen Charakter, obwohl ihre Einrichtung vieles darbietet, was auf schwächliche Abhängigkeit vom Auslande deutet. Ihre Entstehung war, wie wir S. 12 sahen, wesentlich bedingt durch einen französischen Schwindel. Eben um 1720 war es wieder Frankreich, welches allen Nationen als die große Sonne der Bildung vorleuchtete, deren Lichtwellen von Paris aus die Völker überfluteten. Nur die französische Hofoper selbst war kein Vorbild für die neue Londoner, und konnte es damals auch nicht sein, wo sie selber in Bewunderung und Nachahmung der italienischen sich verloren hatte, wo Lully vergessen und Rameau noch nicht aufgetreten war. In dieser Hinsicht blickte man einzig nach Italien, dessen musikalische Uebermacht, seit lange gestärkt und durch das Mißlingen nationaler Gegenwirkungen noch mehr gekräftigt, damals fast überall fühlbar wurde: und das Vorbild für die innere Einrichtung der Akademie war eine deutsche Stadt, in welcher die italienische Oper im höchsten Glanze strahlte, nämlich Wien. Was sich abweichend gestaltete, bedingten englischer Charakter und englische Verhältnisse.

Die Wiener Stücke waren wirkliche Hofopern, die Londoner nur dem Namen nach. Was in Wien einen Theil des Hofstaates[20] eines absoluten Monarchen bildete, wurde in London der Betheiligung Aller, oder doch aller Reichen, dargeboten.

In Wien war alle Kritik in Träumerei und hinschmelzende Bewunderung aufgegangen. In London, wo mitunter eine ähnliche Stimmung herrschend werden wollte, gab es doch immer noch musikalische Whigs und Tories genug, deren Zänkereien die gesunde Vernunft wach erhielten und endlich wieder zu Ehren brachten. Wien war daher das Eldorado aller jener weichgeschaffenen Italiener, denen durch Scarlatti's Genie das eigne Vaterland zu eng wurde, der Bononcini, Ariosti, Caldara und vieler andern. Hier componirten sie allerunterthänigst, und lebten mit den Musen. Keine Stürme brausten hier, nur linde Lüfte umsäuselten ihren Parnaß. Es ist bezeichnend genug, daß Händel niemals nach dieser so reich mit Gold bestreuten Friedensstätte lüstern war, obwohl seine Wanderungen ihn mehrfach in ihre Nähe führten. Aber wie erschraken diese weichen Italiener, als sie, angelockt durch noch mehr Gold, von Wien in das englische Klima versetzt wurden, wo eine deutsche Eiche damals schon feste Wurzeln geschlagen hatte!

Die scenische Ausstattung der musikalischen Schauspiele sollte auch in London durchaus vorzüglich sein; doch wurde eben nicht für nöthig gehalten, den verschwenderischen Pomp der Wiener Geburtstagsopern nachzuahmen, der in seiner Art nicht zu überbieten war, und überhaupt kaum je wieder erreicht, geschweige denn überboten ist. Es machte sich aber unter den gegebenen Umständen von selbst, daß die Londoner Opern das, was ihnen im Prunkhaften abging, im Musikalischen vollauf wieder einholten.

An Sängern und Spielern sollte das beste zusammen gebracht werden, was vorhanden war, und da ein italienischer Sänger unter allen Umständen für Geld zu haben ist, trug der britische Geldsack über den östreichischen bald einen vollständigen Sieg davon.

Ganz unzweideutig wählte man endlich auch noch die musikalischen Leiter der Akademie nach dem Vorbilde der Wiener Hofkapelle. Den Herren Fux, Caldara und Conti entsprachen die Herren Bononcini, Attilio und Händel, und zufällig standen an beiden Orten zwei Italiener gegen einen Deutschen.

In so engem Anschlusse an das Glänzendste, was im Fache der[21] italienischen Bühnenmusik dastand, glaubte man denn eine Einrichtung von langer Dauer hergestellt zu haben. War aber diese Erneuerung italienischer Musik wirklich das, was die Stifter der Akademie als wünschenswerth erstrebten, und sahen sie ihr musikalisches Ideal in derselben so sehr erfüllt, daß nur an directe Einbürgerung gedacht wurde, so vergriffen sie sich doch gänzlich in der Wahl der Mittel. Eine so ruhige, allseitig geduldete Stellung, wie die italienische Oper nun schon seit hundert Jahren in London einnimmt, konnte ihr damals bei ihrer ersten Einbürgerung nicht eingeräumt werden. Diejenigen, welche sie begünstigten, dachten geringschätzig von der Kunst ihrer Landsleute und waren daher bestrebt, der italienischen Musik ein weiteres Gebiet abzustecken, als die Engländer bei ihren unverkennbaren, wenn auch damals verkannten, musikalischen Verdiensten zulassen konnten. Wie schon vorhin bemerkt, verbanden sich die außer Thätigkeit gesetzten Musiker mit den englischen Schauspielern, den geschworenen Feinden der Oper und mehr oder weniger aller vom Festlande eindringenden Bühnenkunst; und diese vereinte, mehr auf nationale Sympathien und Rohheiten, als auf wahres Verdienst sich stützende Menge bildete einen gefährlichen, tobsüchtigen Feindeshaufen, der die Akademie bald neidisch bald schadenfroh umschwärmte, und der im Bunde mit Zwistigkeiten und Parteiungen aller Art die Bewunderer der neu-italienischen Tonkunst kaum zu einem ruhigen Genusse kommen ließ.

Auch wenn die lärmende äußere Umgebung zu beseitigen gewesen wäre, würde der Kriegsstoff, den die Akademie in sich selbst trug, ihr nur eine kurze Dauer gewährt haben. Die Meinungsverschiedenheiten der Unternehmer waren zwar durch ein Machtwort des Hofes zu erledigen, und die Eifersüchteleien der Sänger hätten durch eine gemessenere Haltung der Zuhörer in Schranken gehalten werden können – obwohl solches niemals geschah, sondern vielmehr jeder sein bestes that, die Verhetzung der Parteien auf's äußerste zu treiben –: aber keine Macht der Welt war im Stande, das Verhältniß der drei Londoner Musikdirectoren dem der drei Wiener ähnlich zu gestalten. Sehen wir dort das Gelehrte in Fux, das Schöne in Caldara und das Bizarre und Komische in Conti einander ergänzen und ein gelassenes Zusammengehen ermöglichen: so haben wir hier den Bononcini,[22] der mit dem Anspruche nach London kam, Alles sein zu wollen, – unsern Händel, der dadurch, daß er war, Alles in Allem war, – und den Attilio Ariosti, der keineswegs ablehnte Einer der drei Ersten zu sein, und den Stuhl einnahm so oft die beiden Mitkonsul sich darum stritten. Wie viel Menschliches sich auch dabei eingemischt haben mag, im Ganzen waltete Nothwendigkeit, da es lediglich der Widerstreit guter und schlechter Musik war, welcher die Bewegung hervorrief. Die Wirkung war daher auch überwiegend eine innerliche und unbewußte, der sich niemand entziehen konnte, und vor der alle, die zu rathen und zu helfen hatten, rathlos dastanden. Wurden nun freilich die Hoffnungen derjenigen zu Schanden, welche in der Akademie friedlich musikalisch ihre Tage zu verträumen gedachten, und war das lärmende Gewühl den ruhiger gesinnten Kunstkennern höchlichst zuwider: so erlangten doch die acht Jahre der Akademie eine solche Bedeutung für die Kunst und bewirkten einen so reißenden Fortschritt, daß die glänzenden funfzig Jahre der Wiener Oper von 1700 bis 1750 fruchtlos dagegen erscheinen. Der Schwerpunkt war hier stets im Musikalischen gelegen – entgegen der Wiener und sonstigen italienischen Oper, die durch den Pomp der Ausstattung, durch massenhafte Besetzung, durch abglättende Verflachung und Verweichlichung in das Sinnlich-Wohlgefällige oder Gehaltlos-Allgemeine abschweifte; und andererseits entgegen der französischen Musiktragödie, die, sich abmühend dem einfach dramatischen Schritte des gesprochenen Schauspieles zu folgen und den Hörer durch überwuchernden Tanz musikalisch zu entschädigen, überall in dem Sinnlich-Leidenschaftlichen befangen blieb. Daneben besaß London in seiner kritischen Oeffentlichkeit ein Bildungsmittel, dessen sich andere Bühnen nicht rühmen konnten, ausgenommen etwa die damals schon sehr verfallenen Stadttheater in Hamburg und Italien.

Nicht soll damit gesagt werden, daß die Londoner Akademie das Beste der italienischen und französischen Oper in wahrer Vereinigung darstelle, das dort keimartig Angedeutete zu voller Reise entfalte. Dies war das Werk Gluck's und im höheren Maaße Mozart's. Die eigenthümlichen Verdienste dieser Tonkünstler Händel zuzuschreiben, wäre zwar dadurch, daß sich schon in seinen Opern viele Scenen finden, die auch in dramatischer Hinsicht vollendet schön gestaltet sind,[23] zu entschuldigen, aber nicht zu rechtfertigen. Deßhalb sagte ich vorhin, die Händel'sche Oper sei in ihrer Besonderheit hervorgetreten entgegen der italienischen und französischen. Sie giebt sich als eine dritte Macht mit besonderen Eigenthümlichkeiten. Das italienische und französische Element läßt sie ungeeinigt neben sich fortbestehen; doch befindet sie sich wesentlich auf italienischem Boden, auf welchen die ältere deutsche oder Keiser'sche Oper mit einer gewissen Nothwendigkeit hinleitete. Auf diesem Grunde bezeichnet sie nun den nächsten Schritt, den unscheinbarsten und eigenthümlichsten, nämlich den Uebergang aus einer dramatisch noch unvollkommenen Oper zu der an sich vollkommenen dramatischen Concertmusik. Es war ein Schritt mehr seitwärts als vorwärts, jedenfalls aber ein unumgänglicher. Denn diese Bildung, welche aus der gemischten Oper Scarlatti's erwuchs, war wesentlich eine Läuterung und demgemäße innere Durchbildung der Form. Aeußerlich bezeichnet sie die Scheidung der Oper in ernste und komische, die früher nie strenge auseinander, von Scarlatti sogar mit Vorliebe zusammen gehalten wurden; und sie selber ist nur ernste Oper, insofern also nur ein Theil des früheren Ganzen. Man muß diesen Uebergang zur Opera seria als einen musikalischen Rückzug nach einer dramatischen Niederlage ansehen. Der große Fortschritt bestand aber darin, daß die Tonkunst durch diese Oper zu der Reise der oratorischen Schöpfung heranwuchs; worüber unten im 7. Kapitel mehr zu sagen ist.

Eine Art ernster Oper mit heiterem Ausgange war lange vor der Entstehung der Londoner Akademie in Uebung, besonders auch in Wien, und alle italienischen Opern Händel's aus der Zeit vor 1720 gehören dahin. Aber nirgends entschied sich der Geschmack so sehr dafür, wie in England, und die getrennte Entwicklung der ernsten und komischen Oper ging dann schon in den nächsten Jahren allgemein vor sich. Die Neigung der englischen Musikfreunde eben für eine solche Oper ist erklärlich. England hatte weder, wie Italien, die Oper geschaffen, noch, wie Frankreich, sie im Dramatischen wesentlich umgestaltet, noch, wie Deutschland, sich an der Production derselben bedeutend oder nachhaltig betheiligt: man hatte sie wie eine fertige Erscheinung im Auslande kennen gelernt, genossen und bewundert, und sodann Veranstaltung getroffen dasselbe Vergnügen[24] sich dauernd im eignen Lande zu bereiten. Dieses Vergnügen, als ein rein musikalisches, hing lediglich von der Güte der Composition und von dem momentanen Vortrage ab; daher sehen wir, daß in London auf Composition und Gesangskunst ein Gewicht gelegt wurde, wie bei keinem andern Theater. Auch Italien, welches doch bald diese selben Gegenstände, Composition und Gesang, bis zur Ausartung übertreiben sollte, ist nie dahin gelangt, sich auf den Standpunkt dramatischer Concertmusik zurückzuziehen, von welchem aus – was jede unbefangene Untersuchung bestätigen wird – kein Fortschritt zu einer besseren Form der Oper möglich war. Die dramatischen Bestrebungen wirkten bei den Italienern selbst in der Entartung immer noch fort.

Man muß gestehen, daß die musikalischen Kräfte der Akademie in dieser Hinsicht geschickt genug gewählt waren. Auch Bononcini und Ariosti waren in Folge ihrer weichlichen Natur nicht sehr weder für die Dramatik noch für die Komik ihrer Landsleute geschaffen; und Händel, so auffallend dies bei seiner Kraftnatur auch scheinen mag, war recht eigentlich der Vertreter dieser Richtung und zugleich derjenige, dem sie für sein ganzes Kunstschaffen so überaus gewinnreich wurde. In ihm erscheint die Stärke und die Bedeutung dieser Richtung, in seinen Rivalen die Schwäche derselben. Um aber den Unterschied wahrzunehmen zwischen dem wirklichen Italien und dem italienischen London, muß man auf Scarlatti's Opern einen Blick werfen. Der sprudelnde Reichthum der Melodien, die Fülle der Formen, dramatisch angelegt und meistens von kleinem Umfange, die treffende Charakteristik und der natürliche Fluß aller seiner Tonbildungen scheinen doch nicht das gewesen zu sein, was man, bei aller Bewunderung des gepriesenen seltenen Mannes, so schlechthin nachahmen wollte. Seine theilweis unübertreffliche Komik mußte man schon wegen der Beschränkung auf die Opera seria gänzlich preisgeben, eine Seite also, ohne welche Scarlatti aufhört er selbst zu sein, und die auch noch in seinen spätesten Opern jugendfrisch erscheint, ganz wie bei Keiser. Trotzdem hätten Scarlatti's Opern sich auch in England noch mehr verbreiten müssen, als schon geschehen war, da sie an echt musikalischer und geistreicher Composition wirklich alles Vorhandene oder von Italienern zu Leistende weit überragten,[25] wäre nicht Händel dagewesen, um Scarlatti's Platz in einer Weise auszufüllen, daß dessen Werke in Gefahr geriethen vergessen zu werden. Scarlatti wurde von keinem seiner hingebendsten Schüler so studirt und nachgebildet, wie von Händel, der doch nur besuchsweise bei ihm gewesen war, aber auch von keinem in seinen mangelhaften Gestaltungen so durchschaut und verbessert. Letzteres betraf die wesentlich musikalischen Punkte, das Pathetische, den vollen Ausdruck tiefer Gemüthsbewegung, das rein Leidenschaftliche und Große, sowie die freiere und reichere Gestaltung des instrumentalen Satzes: Dinge also, die der Akademie von entscheidender Bedeutung sein und Scarlatti's Schöpfungen, wie gesagt, im Großen und Ganzen überflüssig machen mußten. Händel's einschlägliche Tonsätze – ich sage nicht, seine Opern überhaupt – verhalten sich denn auch zu denen von Scarlatti, wie die in rechter Jahreszeit vollgediehenen Früchte zu den frühreifen und nicht völlig ausgewachsenen. Die Vergleichung wird erleichtert durch eine Formverwandtschaft, die sich ohne directe Nachahmung oft bis auf das Einzelnste und Kleinste erstreckt. Schwerlich dürften in dem ganzen Gebiete der Operncomposition zwei Tonsetzer zu finden sein, die bei vollster Selbständigkeit einander so nahe stehen, wie Scarlatti und Händel; und man muß hier, wenn man unparteilich verfahren will, unserm Händel den Preis, seinem großen Vorgänger aber vielfach die Originalität zu sprechen. Ueberhaupt, je mehr man Händel's Werke mit denen seiner Vorgänger und älteren Zeitgenossen vergleicht, desto fester setzt sich die Ueberzeugung, daß er bei der entschiedensten künstlerischen Ueberlegenheit doch niemals originalitätssüchtig war, sondern daß er sich beschied an die vorhandenen Formen anzuknüpfen, um sie, je nach ihrem Bedürfnisse, der Idee des Schönen entsprechender zu gestalten. Was er zu sagen hatte, hat er alles in den Tonformen sagen können, die schon durch Andere vor und neben ihm in Uebung gebracht waren. Mehr die innere Durchbildung zum Charakteristischen, zum Schönen und geistig Freien, als die äußere Vermehrung des Tonmaterials, kennzeichnet sein Schaffen; lediglich auf diesem inneren Wege ist er der große Vermehrer der Tonmittel geworden. Auf solche Weise erreichte er denn, daß seine schönsten Gesänge in ihrer Art alles Vorhandene übertrafen, ohne der Möglichkeit Raum zu lassen je selbst wieder übertroffen zu werden.[26]

Eine derartige Vervollkommnung des Tonsatzes, hier zunächst im dramatischen Sologesange, kam damals jedem unerwartet und war nach dem gewöhnlich langsamen Gange der Entwicklung auch keineswegs so unmittelbar nach Scarlatti und neben Bononcini wahrscheinlich. Es ist aber die Eigenthümlichkeit jeder That des Genies, blitzschnell in die Erscheinung zu treten, sobald die nöthigen Vorbedingungen dazu gegeben sind. Und diese Vorbedingungen waren vorhanden.

Daß Händel als Ausländer mit solchem Erfolge in das Gebiet der italienischen Oper eindrang, vermehrte die Ueberraschung und von gewisser Seite her auch das Widerstreben gegen seine That. Diese acht Jahre der italienischen Oper von 1720–28 waren im eigentlichen Sinne seine, nicht bloß für London, sondern für Europa; aber man brachte alles Erdenkliche vor, um seine Verdienste zu verkleinern, und ließ nur gelten was endlich die allgemeine Stimme anzuerkennen zwang. Der Tadel seiner Zeitgenossen dient uns jetzt fast nur noch, die befangene Bewunderung einer geringeren Art von Kunst, als die seine war, zu veranschaulichen; aber was sie loben, wird jede erneuerte Untersuchung als vortrefflich erkennen lassen. Diese Art rücksichtsloser Kritik muß Händel keineswegs unleidlich gewesen sein, denn wir bemerken niemals, daß er in bekannter Weise darauf einzuwirken suchte. Wirklich erhob er keinen andern Anspruch als den, daß das Beste seiner Kunst durchdringe; und wahrhaft unwillig wurde er erst, als sich alle schlechten Bestrebungen der Zeit vereinigten, solches unmöglich zu machen. Doch das geschah erst in einer späteren Periode. Die hier beschriebenen Jahre bewährten sich auch dadurch als »goldne Zeiten«, daß sie für Händel siegreich, heiter und ehrenvoll endigten.

Bevor wir uns der Besprechung der einzelnen Werke zuwenden, sei noch ein Wort im Allgemeinen gesagt über jene wichtige musikalische Macht, die während der Aufführung am stärksten empfunden, später aber auch am schnellsten vergessen wird, und dann ihrer Natur nach am schwersten zu beschreiben ist; nämlich über die Sänger.

Wir haben es hier ausschließlich mit den Italienern oder italienisch gewordenen Deutschen und Engländern zu thun. Für die Germanen soll kein Vorwurf darin liegen; es müßte denn ein Vorwurf[27] sein, eine Kunst, die man zu Hause nicht besaß, den Fremden abgelernt zu haben. Unter der wahren Kunst des Gesanges, als fortbildende Schule betrachtet, kann nur die italienische verstanden werden. Zum Glück ist bei der Gesangskunst die Einheit wichtiger als die Mannigfaltigkeit, da ihre Grundlage, die richtige Tonbildung, gleich der Tugend auf einer einzigen geraden Straße zwischen den Irrpfaden liegt. Die Aneignung der italienischen Methode hat daher überall, wo sie mit Verständniß betrieben wurde, nur wohlthätige Folgen gehabt.

Näher betrachtet, herrscht im Bereiche dieser einen ungetheilten großen italienischen Gesangskunst, so wie sie sich in verschiedenen Künstlern und Zeiten darstellte, eine Mannigfaltigkeit, welche den Schreibarten der Tonsetzer annähernd entspricht. Dadurch wird sie einer historischen Beschreibung zugänglich, die noch über etwas anderes zu berichten hat, als über die abenteuerliche Goldlaufbahn einzelner Sänger, und sich auch mit den allgemeinen Redensarten über die »große Schule des italienischen Gesanges« ungern begnügen möchte. Händel's Leben stand so recht in der Mitte des Schönsten und Wundervollsten, was die Gesangskunst aufzuweisen hat, und das Beste von Allem hatte sich in persönlichem vertrautem Verkehr an seinen Werken zu erproben. Sein Leben ist daher wie kein anderes geeignet, auch diese Seite der Kunst unbefangen überschauen zu lassen. Vier Epochen der Gesangskunst sind in Händel's Zeit zu unterscheiden.

Die Blüthe der ersten fällt noch in die letzten Jahrzehende des 17. Jahrhunderts. Ihre Hauptvertreter sind Pistocchi und Steffani, und ihre Kennzeichen: sinnvolle Feinheit des Vortrages, daher hauptsächlich zur Kammermusik geeignet, Verbindung contrapunktischer und melodischer Künste, und Vereinigung des Sängers und des Tonsetzers in einer Person. Von Seiten des Componisten kann man es Steffani's, von Seiten des Gesanglehrers Pistocchi's Schule nennen. Doch schon Carissimi und Stradella aus früherer Zeit gehören dazu, und Alle sind Setzer und Sänger zugleich.

Die zweite Wandlung entstand im Gegensatze zu der ersten. Sie pflegte vor allem den dramatischen Gesang und trieb die theatralische Action auf's äußerste. Begonnen um 1690, stand sie in[28] vollem Flor, als Händel in Italien war und nach England kam, also um 1710. Dies war Scarlatti's Schule. Auch Keiser's Musik erforderte und erzeugte derartige Sänger, nur weniger vollkommen. Setzer und Sänger traten wieder auseinander, oder blieben doch nur da vereinigt wo die Richtung sich zwitterhaft gestaltete, z.B. bei Mattheson in Hamburg. Der gefeiertste Name in dieser Sängerklasse war der Ritter Nicolini, von welchem wir im ersten Bande (Seite 272) lasen. Auch Vittoria Tesi gehört hierher. Hervorstechend bei Allen ist: feurige Lebendigkeit, Vorwiegen eines glücklichen Naturalismus, Zurücktreten der rein musikalischen Schulbildung, und in Folge dessen Vernachlässigung des gesanglichen Theiles zu Gunsten des dramatischen. Dies waren die Sänger, von denen Händel zu sagen pflegte »Mäßige Stimmen, aber gute Acteurs«. Der Aufgabe eines Theatersängers entsprachen sie unbestreitbar viel besser, als die feingebildeten Meister vor ihnen.

Die dritte Epoche bildete sich aufsteigend aus den beiden vorigen, das Gute beider sich aneignend, doch mit Hinneigung zu der ersten, gehaltvolleren. In ihr ertönte wahrhaft goldner Gesang. Die Sänger bewahrten sich die in der vorausgegangenen Periode errungene Selbständigkeit, gaben sich aber wieder mit allem Ernste musikalischen Studien hin, zum Theil auf Kosten der dramatischen, und erreichten so bei guter Begabung eine Stufe der Vollkommenheit, die unübertrefflich war und für alle Zeiten mustergültig sein wird. Dies waren die Sänger für Händel's Musik, und seine erklärten Lieblinge. Ein näheres Eingehen auf sie ist hier überflüssig, denn manches der folgenden Blätter wird mit den Leistungen und Tollheiten der Herren Senesino, Carestini, Beard, der Damen Cuzzoni, Strada, Francesina, Cibber, Frasi, und anderer mehr, angefüllt sein.

Die letzte Wandlung endlich, welche Händel's Kunstleben berührte, ist in ihrer forcirten Lebendigkeit und lückenhaften musikalischen Bildung in mehrfacher Hinsicht ein Zurücksinken auf die zweite, stellt sich aber wesentlich dar als Uebertreibung der gewonnenen Ausdrucksmittel, als einseitige Abweichung von der maßvollen goldnen Mitte. Die Selbständigkeit der Sänger artete in übermüthige Sonderstellung aus, und aus dem Diener der Kunst wurde ein Tyrann des Componisten. Auch von dieser Schaar, die bald den großen Haufen[29] nach sich zog und in Italien und Deutschland allmächtig wurde, werden wir weiterhin genug hören. Faustina war die erste, Farinelli der namhafteste unter ihnen.

Was von den Dichtern zu sagen ist, kommt passender unten vor, da sie erst in späterer Zeit bedeutend wurden und, den Sängern entgegen gesetzt, zunahmen während diese abnahmen.


Wir erzählen nun fortlaufend die Geschichte der Akademie.

Aus einem Actienschwindel hervorgegangen, gab sie sich auch die Verfassung einer musikalischen Börse. Der Stand ihrer Papiere wird zwar nicht in den Börsenzeitungen angegeben, wohl aber spottweise in der Zeitschrift »das Theater«, welche 1720 unter Steele's Oberleitung zum Schutze des englischen Schauspiels gegründet wurde. Am 1. März '20 bringt sie die Nachricht: »Gestern Südsee 174; Opern-Compagnie 831/2«5 Und am 8. März, als die Oper noch nicht eröffnet war: »In der Probe am letzten Freitage ging Signor Nihilini Beneditti eine halbe Note über seinen früheren Umfang hinaus. Opern-Compagnie-Papiere 831/2 als er begann, 90 als er endete.«6 So lächerlich das auch klingt, ist damit die eigentliche[30] Meinung der Opernunternehmer doch sehr richtig bezeichnet. Sie rechneten sicher darauf, daß ihnen die besten Plätze für den halben Preis oder gar umsonst zufallen würden. Als Stammkapital wurden £ 50,000 auf vierzehn Jahre für zureichend befunden, und diese brachte man auf durch Actien von £ 100, so daß fünfhundert Actien ausgegeben werden konnten. Jede Actie berechtigte zu einem Platze im Theater. Die meisten Subscribenten mußten natürlich mehrere nehmen, je nach der Anzahl der Opernlustigen in ihrer Familie oder je nach ihren Erwartungen von der Sache; einige zeichneten anfangs gewiß Dutzende. Die Zahl der wirklichen Subscribenten wird also niemals mehr als 100–150 betragen haben; ein Verzeichniß aus der besten Zeit, aus dem Jahrlaufe 1725–26, zählt ihrer 133. Die übrigen Plätze des Theaters – für gewöhnlich 350, mitunter auch 400 – wurden zu der jedesmaligen Vorstellung einzeln verkauft, Parterre und Logen für 10 Sh. (3 Thlr. 10 Sgr.), Gallerie für 5 Sh. (1 Thlr. 20 Sgr.), mitunter beide für die Hälfte. Unterhändler trieben bei irgend günstigen Vorstellungen die Preise aber auf das Doppelte und höher hinauf, was um so leichter war, da unmittelbar vor der Vorstellung im Theater keine Karten ausgegeben wurden. Das Haus faßte nicht viel über tausend Zuschauer.

Der König zahlte für seine Loge jährlich £ 1000, erlaubte den Namen »Königliche Akademie der Musik« und ernannte seinen Hofmarschall (Lord Chamberlain of the King's household), in dessen Händen sich die Theatercensur befand, zum Vorsitzenden (Governor) des Verwaltungsausschusses. Insofern war es ein Hoftheater. Der Verwaltungsausschuß, bestehend aus einem zweiten Vorsitzenden(Deputy-Governor), dem Schatzmeister (Treasurer) und vierundzwanzig Directoren, die sämmtlich jedes Jahr im November oder December neu gewählt wurden, leitete aber das Ganze auf Kosten der Gesellschaft; und insofern war es ein reines Privatunternehmen.

Der erste Vorsitzende war also der Herzog von Newcastle, Hofmarschall bis 1723, wo er in das Ministerium trat und der Herzog von Grafton ihm folgte. Neben dem Herzog von Newcastle wählte[31] man Lord Bingley für das erste Jahr zum zweiten Präsidenten, der aber im Grunde der erste war und immer die eigentliche Leitung hatte. Der Name des Schatzmeisters ist nicht genannt; sein Betrauter (Deputy) war John Kipling, welchem das Kassenwesen mit unverdientem Vertrauen und großer Sorglosigkeit überlassen wurde. Italienische Secretäre der Akademie waren abwechselnd die Dichter Nicola Haym und Paolo Rolli. Der technische Theil des Theaters stand unter Heidegger's Leitung.

Die erste berathende Versammlung, zu welcher der Hofmarschall die Subscribenten einlud, wurde am 6. November 1719 gehalten.7 Noch fünf weitere Berathungen wurden nöthig bevor die Vorstellungen beginnen konnten. Die erste Einzahlung von £ 5 oder fünf Procent fand am 18. December '19 statt8; die zweite am 25. April '20.

Ueber die künstlerische Leitung und Gestaltung war man anfangs sehr wenig im Klaren. Man wollte nichts abwehren, was irgendwie verheißend schien oder Namen hatte, und so machten ihnen die italienischen Sänger, Spieler und Componisten aller Art, die sich bei der Bekanntwerdung der neuen Opernunternehmung in unerhörter[32] Menge nach London in Bewegung setzten und alle bei der Akademie und bei der Südsee sich anzudrängen suchten, gar viel zu schaffen.9


Erster Jahrlauf: vom 2. April bis zum 25. Juni 1720.


Endlich am Sonnabend dem zweiten April 1720 wurden die Vorstellungen eröffnet, und zwar mit der Oper Numitore von dem Venetianer Giovanni Porta, einer recht soliden Composition, die hier im ganzen sieben mal aufgeführt wurde. Obwohl Burney behauptet, Porta sei niemals in England gewesen10, dürfen wir ihn doch dem großen Haufen beizählen, der herüber kam, um bei der Akademie sein Glück zu suchen; wir sind um so mehr dazu berechtigt, da Paolo Rolli, der Verfasser des Textes, seit Jahren in London lebte und sein Gedicht doch nicht nach Venedig zur Composition gesandt haben kann.

Nach der fünften Vorstellung des Numitore trat Händel auf den Platz, und mit seiner Oper Rhadamist beginnt eigentlich erst das Leben der Akademie.


Radamisto. 1720.

Die vollständig erhaltene Originalpartitur, an Papier und Handschrift der von Acis und Galatea gleich, ist undatirt. Der Text ist von Nicola Haym. Die erste Aufführung war auf den 26. April gesetzt, wurde aber verschoben und fand dann »auf Befehl« Mittwoch am 27sten statt. Der ganze Hof war zugegen. Niemals hatte man in London bei einer ähnlichen Gelegenheit ein solches Gedränge gesehen. Noch Mainwaring hörte davon erzählen. »Darf man jenen Leuten Glauben schenken, die bei der Vorstellung zugegen waren und noch am Leben sind, so war der Beifall ebenso übermäßig, wie früher bei der Agrippina in Venedig, Lärm und Gedränge aber noch ärger. Die vornehme glänzende Versammlung der Damen – wahrscheinlich in Folge ihres ausgezeichneten Geschmackes – bewahrte[33] keinen Schatten von Formalität oder Ceremonie, ja kaum einen Schein von Anstand, Ordnung, Höflichkeit oder Schicklichkeit. Manche, die sich den Weg in das Haus gebahnt hatten mit einem Ungestüm, der weder ihrem Range noch ihrem Geschlechte anstand, fielen vor Hitze in dem beengten Raume ohnmächtig nieder. Viele Herren, die für einen Platz auf der Gallerie £ 2 boten, nachdem von Logen und Parterre nichts mehr zu haben war, wurden schlechter dings abgewiesen.«11 Die Unordnung muß groß gewesen sein, da Viele, die rechtzeitig mit einer Karte versehen waren, nicht in das Theater gelangen konnten, so daß die Direction sich zur Rückzahlung erbot.12 Daß damals das vornehme Publikum ebenso unbändig war, als jetzt das gewöhnliche, konnte man jeden Tag auch an der Mississippi- und Südsee-Börse wahrnehmen. Fast hätte man bei Händel's Rhadamist das Pariser Concert aus dem Sommer 1719 nachgeahmt, bei welchem Sieben zu Tode gequetscht wurden.13

Ohne Zweifel war es zunächst der Hof, welcher die Menge anlockte; besuchte dieser doch die Vorstellungen der Akademie überhaupt zum ersten mal. Aber die Mehrzahl der Subscribenten konnte sich schon in den vorausgegangenen Proben von dem Werthe dieser Oper überzeugen. Wer daher Geschmack und Urtheil besaß, wußte schon vor dem 27. April, daß Rhadamist von allen bis dahin in London aufgeführten Opern die schönste war.

Die Handlung, aus Tacitus' Annalen entnommen, kann uns in der Operngestalt wenig kümmern, und doch nöthigt die Musik immer wieder darauf Bezug zu nehmen. Daß bei der italienischen Oper die Handlung als solche nur eine geringe Theilnahme einflößt, liegt in der Behandlung des Stoffes, in der zu musikalischen Zwecken[34] unternommenen Verallgemeinerung, die alle charakteristischen Unterschiede verwischt. Daher wurden solche Opern bald einander so ähnlich, daß die Handlung in Gefahr gerieth, vor dem, was Sopran Alt Tenor und Baß bedeuten, völlig zu verschwinden. Weil aber die Verallgemeinerung zum Theil aus einem richtigen musikalischen Triebe entsprang, aus dem Bestreben nämlich, die verschiedenen, das Leben bewegenden Charaktere auf gewisse Grundtypen zusammen zu ziehen, damit es dem kunstvollen Tonausdrucke möglich würde, ein treues und volles Bild des Lebens mit seinen eignen Mitteln zu zeichnen: so stand jedem richtig empfindenden Tongeiste auch in einer nur oberflächlich angelegten Handlung noch immer der Weg offen zu einer frischen und tiefen musikalischen Charakteristik. Diesen Weg fand Händel, wie keiner neben ihm, und das verleiht seinen Opern eine so fesselnde dramatische Wahrheit. Nur muß man bei der Beurtheilung derselben den eigentlich musikalischen Standpunkt stets festhalten, denn an dem Bestreben, die Texte an sich dramatisch umzugestalten, hat er sich nicht betheiligt. Aeußerlich betrachtet, bestehen seine Opern aus Arien-Bündeln, durch Recitativ-Fäden zusammen gehalten, wie gleichfalls alte übrigen.

Ein solches Bündel haben wir auch hier vor uns. Es heißt Rhadamist oder Zenobia, weil die Gattenliebe dieses treuen Paares aller Versuchung, allem Unglücke trotzt und endlich Glück und Frieden bringt. Rhadamist's Schwager, König Tiridates, welcher Zenobia für sich zu gewinnen sucht, ist der Anstifter des Unheils und all der unsinnigen erfolglosen Quälereien. Seine verlassene Gemahlin findet einen Versucher an dem Prinzen Tigranes. Aber beide mühen sich vergeblich ab: so daß das Ende der Handlung auf den Anfang zurück leitet. Eine gewisse Läuterung der Gemüther ist das Endergebniß des hier zurückgelegten, mit musikalischen Blumen aller Art reich geschmückten Weges.

Polissena eröffnet das Drama mit ihrem Klagerufe »Sommi Dei«. Der Gesang ist vortrefflich und liefert ein kurzes bewundernswerthes Beispiel, welchen Grad von Freiheit in der Melodiebildung und in der Behandlung der Singstimme Händel jetzt erreicht hatte. Der kleine Satz in der Mitte »beschirmt ein betrübtes Herz!« ist unendlich innig, reizend und vertrauensvoll flehend, obwohl das Ganze[35] durchaus nicht vorzüglich auf musikalischen Reiz, sondern auf tragische Größe angelegt ist; es wird von der Begleitung der Saiteninstrumente, fast durchgehends im Einklange und in der Octave, durchzogen wie von dem Gange eines harten und strengen Geschickes, das sich durch Bitten und Seufzen keinen Halt setzen läßt. Man muß gestehen, daß dies musikalische Exposition ist!

Tigranes und sein Freund Fraartes umschmeicheln Polissena, den zu lieben der sie verehre, und nicht den der sie treulos verlassen. »Deh fuggi un traditore« ist eine wahrhaft versucherische, zum Leichtsinn verlockende Musik. Die Seufzer des Verehrers quellen dann noch stärker hervor aus der folgenden, erst später eingeschalteten Arie »L'ingrato non amar, Nicht liebe den Undankbaren, sondern einem treuen Herzen schenke, wenn nicht Liebe, doch Mitleid« – ein Meisterstück an Ausdruck und kunstvoller Begleitung.

Aber Polissena bleibt gegen den Gemahl nach wie vor liebevoll und demüthig gehorsam, was in der schönen Arie »Tu vuoi ch'io parta« auf die innigste, liebenswürdigste Weise zum Ausdruck kommt. »Straggi, morti« oder, wie es in der Bearbeitung als Baßgesang heißt »Con la stragge de' nemici«, schildert den Tyrannen Tigranes meisterlich; und hiermit ist das scenische Bild abgeschlossen.

Das nächste zeigt uns Rhadamist und Zenobia in der belagerten Stadt. Wie ihre Lage, ist auch ihre musikalische Haltung der des vorigen Paares entgegen gesetzt. Rhadamist drückt sich sanft und weich aus, der Polissena ähnlich, in der vorzüglich schönen Arie mit einfacher Baßbegleitung »Cara sposa, amato bene«, denn ihn rührt das Ungemach, welches die Gattin seinetwegen erduldet; Zenobia hingegen kräftig und feurig »Son contenta di morire«, da sie entschlossen ist, den Sturm durch muthige Darangabe ihres Lebens zu beschwichtigen.

Auch der alte König Farasmanes, Rhadamist's Vater, wird als Gefangener seines Schwiegersohnes mit in das Spiel gezogen und fließt über von jugendlich tollkühner Aufopferungslust, wie es sich für einen König-Vater in der Oper ziemt. Sein Gesang »Son lieve le catene« zeigt, wie gut Händel diesmal selbst die Nebenpersonen bedachte.

Der zweite Akt bringt uns eigentlich erst alle Schönheiten, welche[36] diese Oper berühmt gemacht haben. Zenobia eröffnet ihn in ähnlicher Stimmung, wie Polissena den ersten, auch mit einem ähnlichen, aber noch herrlicheren Gesange. Es läßt sich nicht sagen, wie etwas in einem so kleinen Rahmen kunstvoller und gehaltreicher sein könnte, als dieses Adagio in Esdur mit der Begleitung einer wunderschönen, theils freien theils den Gesang nachahmenden Oberstimme »Quando mai, spietata sorte, Wann wird doch, widrig Geschick, all dies Leiden ein Ende nehmen!« Aber die Ueberraschung ist groß, wenn man von diesem kleinen köstlichen Gebilde zu der Arie des Rhadamist (Ombra cara) übergeht. Der scenische Vorgang muß mit in Betracht gezogen werden. Rhadamist und Zenobia fliehen vor dem siegreich in die Stadt dringenden Feinde. Als ein Hause desselben nachgesprengt kommt, stützt Zenobia sich in den Fluß, Rhadamist dringt auf die Schaar ein, um den Tod der Gattin zu rächen und sodann ihr zu folgen. Aber es ist Tigranes, Polissena's Verehrer, der ihnen nachsetzt und ihm unerwartet die Hand zur Rettung bietet. Rhadamist ergreift sie in der Hoffnung, den Tyrannen im eignen Lager ermorden zu können. Im Begriffe nun, seinem Beschützer zu folgen, wendet er sich noch einmal rückblickend dem Flusse zu, der ihm sein Theuerstes in drängender Noth entrissen, und faßt alles, was sein Inneres bestürmt, in dem folgenden Gesange zusammen.


Ombra cara di mia sposa,

Deh riposa,

E lieta aspetta

La vendetta

Che farò.

E poi tosto, ove tu stai,

Mi vedrai

Venire a volo,

E fedel t'abbracciero.

Ombra cara: D.C.


Sel'ger Schatten meiner Theuren,

O sei ruhig

Und erwarte

Meine Rache!

Meine Rache kommt gewiß!

Und dann schnelle will ich eilen

(Freud'gen Laufs)

Zum Wiedersehen,

Und umarmen Glück und Ruh!

Sel'ger Schatten: D.C.


Die Poesie ist vortrefflich, namentlich in musikalischer Hinsicht, klangvoll, gedrängt, in Haupt- und Nebentheil klar und schon auseinander gelegt. Die Musik zu beschreiben, sind unsere allgemeinen Ausdrücke, wie »schön« »herrlich« und ähnliche, allerdings sehr unzulänglich. Mehr, als viele vorzügliche Compositionen, ist dieser Gesang[37] ein lebendiges, in allen Theilen auf's engste zusammen hängendes Kunstwerk, das wie eine Erscheinung rein idealer Natur vor uns hintritt. Wer ihn so anzuschauen vermag, dem wird dadurch das Verständniß des Einzelnen mit einem male aufgehen. Dieser Tonsatz wirkt bei einer geringen äußeren Erregtheit nur deßhalb so tief, so hinreißend, so naturgewaltig, weil wir ihn gleichsam wie ein Naturerzeugniß vor unsern Augen entstehen sehen. Vereinsamung, Liebe, Rache, sehnsuchtsvolles Verlangen nach der theuren Dahingeschiedenen, alle diese Gefühle wogen auf's heftigste in Rhadamist's Busen, sich nach zwei Polen bewegend: dem fortdrängenden Zorne, der ein Racheopfer heischt, und der rückhaltenden Sehnsucht, die nach vollbrachter That das Leben allein ausfüllen und es, allem Irdischen und seiner Freude abgewendet, dem Aufenthalte der Seligen zuführen wird. Diese Pole, von denen angezogen und eingeschlossen die Fülle der Empfindungen dahinströmt, treten musikalisch hervor in den beiden Theilen der Arie, deren Bau überhaupt auf einer solchen genetischen Verknüpfung gegensätzlicher Gemüthsbewegungen ruht. Der Mitteltheil, als das untergeordnete, ist rein der Sehnsucht, der thatlosen glücklichen Zukunft zugekehrt; der Haupttheil faßt die kräftig aufstrebenden Gedanken zusammen, die des Helden nächste Schritte bestimmen: und über dem Ganzen schwebt wie eine sonnenhafte Erscheinung die Gestalt der verlornen Gattin, deren Nähe, deren liebevollstes Andenken uns jeder Athemzug verkündet. Die innere Fülle und Lebendigkeit gelangt zum Ausdruck durch ein weiteres polartiges Gegenübertreten von Gesang und Begleitung. Beide sind selbständig. Die Gesangmelodie strömt in sich voll und sicher dahin, wie die Empfindung die durch sie getragen wird; ihre Gliederung ist bezeichnet durch die lang ausgehaltenen Töne, die wie Seufzer überall und immer neu wieder anklingen und wunderbar schön in das Gewebe der Begleitung verflochten sind. Ihr Grundzug deutet auf ruhiges Beharren. Diesem tritt nun die Begleitung als das Bewegtere gegenüber und übernimmt es, die ruhelosen, hin und her wogenden Gefühle zu schildern, die des Helden Brust bestürmen, ja zu sprengen drohen. Zwei Violinen und Baß – das ist hier das gesammte Orchester – treten zu einem dreistimmigen fugirten Satze zusammen, der ein viel bewundertes Kunstwerk und mit den Singstimmen vereint[38] die vollste Harmonie erzeugt. Die Begleitung macht den Eindruck einer unaufhaltsamen, stetigen und doch sehr sanften Bewegung. Sie schreitet fast ununterbrochen in Achteln fort, und auch in den Tonfolgen sind, mit Vermeidung fast aller Sprünge, die kleinsten Schritte gewählt, ganze und halbe Töne. Alles deutet auf die äußerste Concentration und auf die möglich größte Bewegung im kleinsten Raume; es ist das zusammen gepreßte und doch so bewegte Gemüth, welches aus jedem Tone zu uns spricht. Unter den Nachahmungen, die sämmtlich höchst wohlklingend, natureinfach und charakteristisch sind, tritt als überwiegend bedeutsam besonders eine hervor, in der sich wie in einem Kerne alles verdichtet was in die Begleitung gelegt ist. Es ist eine kleine chromatische Tonreihe, die im Umfange der Quarte auf- und absteigt, vor und besonders nach Händel zu tausend malen gebraucht. Im Haupttheil der Arie bewegt sie sich stets absteigend von der Tonika zu der Quinte der Tonart, oder umgekehrt aufsteigend von der Quinte zu der Tonika:


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

aber je nach den Stimmen in der oberen oder unteren Octave. So oft sie in einer Stimme auftritt, wird sie (mit zweimaliger Ausnahme) in einer anderen, tieferen oder höheren, nachgeahmt, und zwar umgekehrt oder in entgegengesetzter Richtung, wodurch innerhalb der gezogenen Schranken die so lebendige und doch immer wieder auf denselben Punkt zurück strömende, also scheinbar einförmige Bewegung erhalten wird, welche hier die allein richtige sein kann. Der Mitteltheil enthält das Motiv ebenfalls, aber bei ruhigerem Basse und beim Zurücktreten der übrigen Figuren nur in der oberen Begleitstimme, wo es dreimal auftritt, jedesmal tiefer und in eine entferntere Tonart sich absenkend, welcher der Baß mit einer ebenfalls aus dem Vordertheile entlehnten, aber matteren Tonreihe vergeblich das Gegengewicht zu halten sucht:


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

[39] so daß die Bewegung hier nicht mehr, wie vorhin, durch Gegenwirkung belebt wird, sondern wie ersterbend nach und nach leise verklingt. In erhöhter Stimmung wird sodann der Haupttheil wiederholt: und damit vollendet sich ein Gebilde der Tonkunst, das sehr leicht an äußerem Umfange, aber weder an Naturtreue noch an Idealität, weder dem Gehalte noch der Form nach zu überbieten ist. – Beim Vortrage wird man sich hüten müssen, dem Gesange durch übereilte Hast seine Ruhe und Breite zu rauben.

Die Arie steht in Fmoll, in einer Tonart also, von der Mattheson schon früher bemerkte, daß sie, so oft sie bei Händel auftrete, immer etwas besonders Schönes verheiße. Der Mittelsatz bewegt sich in Asdur. Die Modulation ist eine der reichsten, die überhaupt stattfinden kann, denn sie berührt vierzehn Dur- und Molltonarten. So viele vereinte Vorzüge mußten diesem Gesange immer einen besonderen Ehrenplatz sichern, namentlich unter den Künstlern; im eigentlichen Sinne straßenpopulär, wie hunderte von Händel's Opernarien, konnte er natürlich niemals werden. Burney erzählt: »Ombra cara wurde von Geminiani und andern mitlebenden Meistern als einer seiner ersten Sologesänge angesehen. Wahrlich, nicht zu viel des Lobes kann gesagt werden von dieser Arie, in welcher bei kunstvollster Composition, bei einer umgekehrten chromatischen Nachahmung in der Begleitung, der Gesang selbst doch überall so einfach pathetisch gehalten ist. Ich erinnere mich, wie Ruginelli 1747 im Opernhause unter andern leichten italienischen Producten damaliger Tage auch diese Arie absang, und es war mir, als hörte ich in ihr die Sprache der Weisheit und Wissenschaft, in dem übrigen dagegen den leeren Jargon der Stutzer und Zierbengel.«14 Diesem Gesange[40] nahe verwandt ist Cara sposa aus Rinald, worauf schon früher (I, 289) hingewiesen wurde. Wie sehr Händel selbst, in Uebereinstimmung mit den Tonmeistern seiner Zeit, Gesänge von so durchaus kunstvoller Form und gediegenem Gehalte für das höchste hielt, was im Fache des Einzelgesanges zu erreichen ist, erfahren wir auch aus einer Mittheilung von Hawkins. »Herr Händel«, sagt dieser treuherzig, »betrachtete die zwei Arien Cara sposa und Ombra cara als die beiden besten welche er je machte, und theilte diese seine Meinung dem Verfasser dieses Werkes mit.«15 Wie Händel sich wörtlich ausgedrückt haben mag, bleibt dabei freilich noch immer zweifelhaft; doch können wir daraus sehen, daß er im Urtheil über seine Werke sich der allgemeinen Meinung naiv unbefangen anschloß. Und diese Wahrnehmung werden wir in der Folge noch sehr oft machen.

Ob durch diese eingehende Erläuterung dem Gesange Genüge geschehen ist, muß dahingestellt bleiben. Aber solche Erklärungsversuche sind doch der einzige Weg, auf welchem wir uns dem Geheimniß musikalischer Kunstbildung mehr und mehr nähern können.

Zenobia, wie sich bald herausstellt, ist nicht vom Strome verschlungen, sondern durch einen andern Feindeshaufen gerettet. Fraartes nimmt sie auf und sucht ihr in der wirklich sehr schönen originellen Arie »Lascia pure« wieder Hoffnung und Lebenslust einzuflößen. Ein inniger Wortausdruck ist hier in eine Fülle musikalischer Betonungen gekleidet, noch mehr als bei der früheren Arie ähnlichen Styles »Vuol ch'io serva«. Auch die begleitende Oberstimme ist von größtem Reiz und gewinnt wegen ihrer geschlossenen Form das Ansehen des Herrschenden, dem sich die verschiedenen Gesangmotive unterzuordnen scheinen, obwohl sie sich völlig frei aus dem Worte bilden. Auf diese Weise gestalten sich Sätze, ruhiger, kühler, nicht voll so aufbrausender Leidenschaftlichkeit, wie die der Hauptpersonen des Drama, und doch so musikalisch reich, so dramatisch richtig gehalten, daß ihr reiner Werth als Kunstwerk auch durch Vergleichung mit dem denkbar Schönsten nichts verlieren kann. »Lascia pure«, unmittelbar auf »Ombra cara« folgend, hat eine gefährliche Nachbarschaft, und doch diejenige in der ganzen Oper, welche vorzüglich[41] geeignet ist, den Werth dieser Arie in das rechte Licht zu stellen. Man kann sie mit Damon's Gesängen in Acis und Galatea vergleichen. Auch diese stehen einzig richtig zwischen der überströmenden Fülle leidenschaftlicher Ergüsse der drei Hauptpersonen; und wie es Stimmungen giebt, in welchen man Damon's köstliche Gesänge allen übrigen des Pastorals vorzieht, so ist gleichfalls sehr begreiflich, daß man zu Zeiten an »Ombra cara« theilnahmlos vorbei geht und sich in reinster Freude diesem nachbarlichen Tonsatze zuwendet.

Scene, Palast des Tiridates. Fraartes überbringt die lange begehrte Beute. Die Arie, mit welcher er Zenobia überliefert (Vaga e bella), ist augenscheinlich nach dem »Halleluja« der einstimmigen lateinischen Motette »Silete, venti« (I, 475) gebildet, aber sehr verkürzt und verändert.

Zenobia, den Tigranes zornig abweisend und endlich allein gelassen, giebt ihre Sehnsucht nach dem Gemahl kund in der Siciliana »Fatemi, o cieli«, die von einer sehr gedrückten Stimmung zeugt. Heftiger aber erbittet sie ihr voriges Glück oder den Tod in dem kurzen pathetischen Satze »Troppo sofferse«. Ob die beiden Arien im Drama genau diese Stelle hatten, ist schwer zu entscheiden, da hier manches ausgelassen, und anderes später eingeschaltet wurde. Dasselbe gilt auch von der bedeutend gestalteten fugirten Arie »Spero placare«, die Fraartes singt, und noch von mehreren andern.

Polissena, bei welcher Rhadamist eine Zuflucht fand, will den Bruder schützen, aber nicht zulassen, daß dieser ihr den Gemahl raube. Rhadamist entfernt sich mit Verwünschungen, feurig und schön ausgesprochen in dem Gesange »Vanne, sorella ingrata«, welcher in der Singstimme wie in der Begleitung der Violinen und Oboen bewundernswerth gestaltet ist.

Neue Scene zwischen Tiridates und Zenobia. Rhadamist, als Bote verkleidet, tritt ein und überbringt die Nachricht von seinem Tode. Daß Zenobia ihn heimlich erkennt, veranlaßt den originellen Gesang »Empio proverso cor«, in welchem sie Zeile um Zeile beide anredet, den Einen offen und heftig, den Andern leise und liebevoll, so daß der Tyrann mystificirt wird und sich vertrauensvoll entfernt. Das gequälte Paar ist nun allein und beschließt den Akt mit einem Duett (Se tuo vive il cor), welches sowohl durch schöne Melodie,[42] als durch contrapunktische und vocale Feinheiten unter Händel's zweistimmigen Gesängen eine hervorragende Stelle einnimmt.

Zu Anfang des dritten Aktes bereden Fraartes und Tigranes eine Empörung, um den Tyrannen, wie Fraartes lebhaft singt (S'adopri), zur Sanftmuth zu bewegen. Wie solches durch Aufruhr möglich war, und wie sie sich ihre persönliche Stellung dabei dachten, müssen wir, wie manches andere, errathen. Natürlich glaubt Tigranes sich dadurch der Polissena nähern zu können, obwohl er sich die Nichtigkeit seiner Hoffnungen in zwei sehr zarten, feingegliederten und unter sich sehr verschiedenen Gesängen (»Con vaga speranza« frühere, und »Sò ch'è vana la speranza« spätere Composition) nicht verhehlt.

Zenobia erfreut sich auf's neue der feurigen Liebesversicherungen ihres Rhadamist, dringt aber in ihn sich zu verbergen. Seine schöne Arie »Dolce bene di quest' alma« ist mit derselben Freiheit nach einem Chorsolo der deutschen Passion (»Eilt, ihr angefocht'nen Seelen«; s. I, 445) gebildet, wie die Seite 42 erwähnte Arie nach dem Halleluja der lateinischen Motette.

Aber der Liebenden harrt noch eine große Prüfung. Rhadamist's Versuch, den Tiridates zu ermorden, wird durch Polissena vereitelt, worauf er hingerichtet werden soll; die Arie »Vile, se mi dai vita«, welche die fieberhafte Erregtheit seines Wesens in Melodie und Begleitung auf's glücklichste schildert, ist für den Bühnensänger eine der dankbarsten.

Polissena sucht den verirrten Gemahl vergeblich vom äußersten zurück zu halten und geht zornig von dannen. Ihre Arie »Sposo ingrato« ist in vieler Hinsicht bewundernswerth, auch länger als alle übrigen, dürfte indeß von wenigen Sängerinnen zu bewältigen sein, war aber auch mehr für eine bestimmte Dame, als für den dramatischen Zweck geschrieben16, und wurde daher später durch eine[43] andere ersetzt (Barbaro partirò), die, von einfacherer Haltung, musikalisch nicht minder schön, dramatisch aber viel passender ist.

Hierauf folgt die Bravourarie des Tiridates »Alzo al volo«, in der er sich als ein berühmter und großmüthiger Held bespiegelt, ebenfalls für ein damaliges großes Orchester gesetzt, sogar mit zwei Hörnern – den ersten, welche in einer Londoner italienischen Oper zur Begleitung des Gesanges erscheinen. Gleichzeitig machte man auch in Italien schüchterne Versuche, die Hörner begleitend zu verwenden: in der 112ten Oper Scarlatti's (Attilio Regolo aus dem Jahre 1719) wird ein Tanzchor mit Cornetti begleitet, und in seiner 114ten Oper (Griselda, 1721) eine Arie mit zwei ordentlichen Corni di caccia. Aber Händel ließ viel entschiedener drein blasen. In dem zweiten Theile genannter Arie ist die Violinbegleitung bemerkenswerth sein und wirksam.

Wir hören sodann eine schone pathetische Arie der Zenobia »Deggio dunque« mit Violoncellsolo, eine andere von Rhadamist »Quel nave« – und man sieht der Quälereien Aller durch den einen Nichtswütherich kein Ziel und Ende, als glücklicherweise der Ausbruch der verabredeten Empörung sein Reich wie ein Kartenhaus zusammen wirst. Tiridates geräth auf einen Augenblick in eine armselige Lage, dann aber, durch Großmuth beschämt und erhoben, wieder auf den Weg der Tugend, und beschließt sein Leben wahrscheinlich als ein Muster von Herrscherweisheit und Gattenliebe.

Nun folgen, leichten und frohen Herzens, die Schlußgesänge. Für die Arie der Zenobia »O scemami il diletto« wurde später das reizende und sehr einfach gehaltene Duett »Non ho più affanni« eingeschaltet. Eine prächtige Ouvertüre eröffnet, ein lebhafter kurzer Chor beschließt diese Kette musikalischer Perlen. Daß wir sie der Reihe nach in die Hand genommen und einzeln betrachtet haben, wird uns über manches folgende Singspiel schneller hinweg helfen; denn in dem Einzelnen wie in der kranzartigen Verflechtung des musikalischen Opernschmuckes findet sich augenscheinlich viel Aehnliches, und im Grunde läßt sich doch auch von einer Perle nicht viel mehr sagen, als daß es eine Perle ist.[44]

Einen besondern Rang unter Händel's Opern wird man dem Rhadamist immer zuerkennen müssen, obwohl er von einigen an dramatischen Situationen, von andern an musikalischer und namentlich an instrumentaler Mannigfaltigkeit übertroffen wird. »Wenige von Händel's Opern«, sagt Burney, »würden modernen Zuhörern mehr Vergnügen bereiten, als Rhadamist, in welchem so viele vorzügliche Gesänge verschiedenen Styles sind, daß sein innerer Werth, bei einiger Anbequemung an unsere Sänger und den Geschmack unserer Zeit, Aufmerksamkeit erregen und die frühere Gunst erneuern würde.«17 Vielleicht wäre es besser, wenn unser Geschmack und die Kunst unserer Sänger sich lieber dieser Musik hingebend anbequemen und unterordnen wollten; denn aus dem Gegentheil, aus der Aenderung der Kunstwerke zu Gunsten des veränderten Geschmackes, ist noch niemals etwas Ersprießliches entstanden, so oft man es auch schon gefordert und versucht hat.

Von dem gleich anfangs ausgeführten und oft in Erinnerung gebrachten Beschlusse der Akademie, keinem Zuhörer den Zutritt auf die Bühne zu gestatten, ging man wohl bei besonderen Gelegenheiten ab. In der Ankündigung des Rhadamist zum 14. Mai werden Plätze auf der Bühne für den doppelten Preis, nämlich für eine Guinee ausgeboten.18 Aber diese ausnahmsweise Nachahmung eines auf englischen und französischen Theatern damals noch allgemein herrschenden Unfugs muß sich bald nicht bloß als unschicklich, sondern wegen der mannigfaltigeren Verwandlungen und Maschinerien, welche die Opern erfordern, auch als höchst störend erwiesen haben, denn wir lesen später nichts wieder von einer solchen Zulassung.

Wären die erst später eintreffenden großen Sänger schon beim Beginn der Vorstellungen hier gewesen, so würde Rhadamist auf den Kreis der Akademie eine noch nachhaltigere Wirkung ausgeübt haben. Weil aber die Sänger, denen Händel anfangs seine Arien zumaß, nur eine Saison aushielten, wenigstens in diesen Rollen, mußte er nach einigen Monaten für Senesino den ganzen Rhadamist aus dem Sopran in den Contr'alt, für Boschi den Tiridates aus dem Tenor[45] in den Baß versetzen, und dergleichen mehr, ohne trotz aller Umstellungen und Zusätze den ursprünglichen Fluß völlig wieder erreichen zu können. Nach vollbrachter Umschreibung widmete Händel das Textbuch zu den neuen Aufführungen (Ende 1720) dem Könige mit diesen Worten: »An des Königs Majestät. Sire! Die Protection, welche Ew. Majestät sowohl der Tonkunst im Allgemeinen, als auch einem der geringsten, obwohl nicht am wenigsten pflichtgetreuen von Ew. M. Dienern zu schenken geruhten, ermuthigt mich. Ew. M. diesen meinen ersten Versuch in aller Unterthänigkeit und Ehrfurcht zu überreichen. Ich fühle mich um so mehr dazu bewogen durch das besondere Gefallen, welches Ew. M. der Musik dieses Drama geschenkt haben: welches Gefallen ich, möge dies mir zu sagen verstattet sein, so besonders schätze, nicht als das Urtheil eines großen Monarchen, sondern vielmehr als das eines der geschmackvollsten Kenner der Tonkunst, in welcher bestrebt mich zu vervollkommnen das einzige Verdienst ist, welches ich mir zuschreiben kann, ausgenommen daß ich mich nennen darf« u.s.w.19 Der Spielraum für die Sprache[46] eines männlichen Freimuthes ist in derartigen Zuschriften allerdings sehr beschränkt. Um aber Hän del's unbefangene Aeußerung, es sei nicht das Urtheil des Königs, sondern das des Kunstkenners welches er schätze, recht zu würdigen, muß man nur bedenken, wie knechtisch die Künstler aller Länder seit den Tagen Ludwig's des Vierzehnten nicht den Kunstkenner, sondern die »Maestà« beräucherten. Auch die Dedicationen der Italiener zu den folgenden Londoner Opern liefern einen Beitrag dazu, wie es denn namentlich die herrenlos herumstreifenden Italiener waren, welche überall am schamlosesten und süßesten das Grundgesetz des Servilismus verkündeten, ein gekröntes Haupt sei als solches zugleich die höchste Instanz in Sachen der Kunst und Wissenschaft wie in allen übrigen Dingen.

Die genannte Widmung würde wohl passender vor der Musik gestanden haben; allein es war damals Sitte, die Textbücher damit zu zieren. Die Musik zu Rhadamist wurde gleich nach den ersten Vorstellungen gedruckt, so daß sie uns in der Fassung vorliegt, in welcher sie ursprünglich componirt und aufgeführt ist. Schon am 12. Juli bringt eine Zeitung die Nachricht, »die hochgefeierte Oper« sei im Stich und werde von dem Autor selbst corrigirt;20 am 3. December wird die Ausgabe auf den 15. desselben Monats verheißen, gut gestochen, auf schönem Papier gedruckt und sorgfältig corrigirt, so daß man behaupten dürfe (was indeß doch zu viel behauptet war), sie habe in der Ausstattung unter allen in Europa noch herausgebrachten musikalischen Werken ihres gleichen nicht.21 Rhadamist erschien denn auch am 15. December, auf seinem holländischem Papier, in einem stattlichen Bande von 123 Seiten in hoch Folio, keineswegs correct und vollständig, aber doch besser ausgestattet, als irgend eine andere Händel'sche oder sonstige Oper aus damaliger Zeit: »Il Radamisto | Opera rappresentata nel regio teatro d'Haymarket composta dal Sigre Georgio Federico Handel | London | Publisht by the Author.« Wir haben dies als eine Art von Selbstverlag anzusehen, den Händel zum Besten seines Freundes Schmidt unternahm. Das Werk wurde bei Richard Meares hergestellt und[47] bei diesem wie bei J. Chr. Schmidt verkauft, und. »nirgends sonst in England«. Ein königl. Privilegium vom 14. Juni '20 sicherte dem Componisten Druck und Verkauf seiner Vocal- und Instrumentalwerke auf vierzehn Jahre und wurde nach Ablauf dieser Frist mehrmals erneuert. Die in der folgenden Saison nöthig gewordenen Zusätze kamen als »Arie aggiunte« in derselben Weise heraus, schon am 30. December '20 angekündigt, am 21. März '21 ausgegeben, und zwar an die Käufer des früheren Werkes gratis. Die Freunde singen also ihren Selbstverlag sehr uneigennützig, oder, wie die Geschäftsleute sich auszudrücken pflegen, sehr unpraktisch an.

Nach der gedruckten Musik veranstaltete das Hamburger Theater zu Anfang des Jahres 1722 eine Aufführung dieser Oper unter dem Titel Zenobia. Mattheson besorgte mit der Uhr in der Hand die gereimte deutsche Uebersetzung. Diese hamburgische Aufführung ist eines Nebenumstandes wegen bemerkenswerth. Man hatte, den glänzenden Fortgang der Londoner Akademie betrachtend, nichts geringeres im Sinne, als in Hamburg etwas ähnliches zu versuchen. Fünf der vornehmsten Gesandten und Edelleute traten zusammen, unter denen sich der englische Gesandte v. Wich befand, und dessen Secretär Mattheson bekam bei dieser Kunstanstalt eine Stellung, welche der des N. Haym und P. Rolli in London nicht unähnlich war. Rhadamist war die erste Oper, mit welcher diese Verwaltung anfing; alle Arien blieben italienisch. Mattheson erzählt im Patrioten: »Anno 1722 übergab der Hr. Hoffrath Gumprecht das Directorium an Ihre Excellentzen, dem Herrn Grafen von Callenberg, dem Herrn Envoyé von Wich, dem Hn. Conferentz-Rath von Ahlefeld, dem Hn. Envoyé von Wedderkopp, und dem Hn. Desmercieres.«22 Ein handschriftlicher Zusatz in seinem Exemplar, den er aus Rücksichten nicht drucken lassen konnte, belehrt uns über den Ausgang dieses Kunsthandels. Er schreibt: »Der Vergleich ging auf[48] sechs Jahr. Er zerriß aber alsofort im andern dergestalt, daß die übrigen Intereßenten alle auf die Hinterfüße traten, und einen gewissen Cavallier, Alefeld von Jersbeck, gantz allein ließen, welcher das Werck, mit großen Kosten und Schaden, noch zwey Jahr fortsetzte, sich sodann mit einer guten Summe von den beyden noch folgenden loßkauffte, und die Opera, in recht schönem Stande, an baulichem Wesen, an theatris, an Kleidern etc. den Schottischen Erben, Gumprecht und seinen Weibern, wieder überließ. So geschehen d. 15. Mertz 1726. Auf Ostern 1727 trat dieser wieder ab und wurden subscriptiones angenommen.« Eine eingehende Schilderung dieses Zustandes, wie sie sich aus Flugblättern, Satiren und sonstigen Urkunden der Zeit geben ließe, würde uns in einen Abgrund von Gemeinheit führen, in dem sich nicht einmal mehr, wie doch früher in Keiser's besten Tagen, frische productive Kräfte hervorthaten. – Die alte Hamburgische Handschrift des Rhadamist wird noch jetzt in der Berliner Bibliothek aufbewahrt.

Die dritte neue Oper der Akademie, Narciß(Narciso), von Rolli gedichtet, von Domenico Scarlatti componirt, von Roseingrave einstudirt, erlebte nur fünf Vorstellungen.

Wie Burney und andere berichten, hatte Thomas Roseingrave die Musik mit aus Italien gebracht und in Abwesenheit des ihm befreundeten Componisten hier zur Aufführung eingerichtet. Dies ist ein Irrthum, Scarlatti war selber herüber gekommen. Auch Er hoffte bei der Akademie sein Glück zu machen, ja ihm besonders waren so schöne Aussichten eröffnet, daß er sogar seine Capellmeisterstelle an der Basilika des Vatikan fahren ließ und im August 1719 nach London wanderte.23 Einen Bruder seines Vaters, Francesco Scarlatti, bisher[49] nicht einmal dem Namen nach bekannt, brachte er mit, und dieser gab noch am 1. September '20 ein Concert größtentheils von eignen Compositionen.24 Wir haben also daran, bei Abgang sonstiger Nachrichten, einen Anhalt, wie lange wohl die Scarlatti in London gewesen sein mögen.

Ist nun die Anwesenheit eines so tüchtigen und gefeierten Mannes, wie Domenico Scarlatti war, den Londoner Musikern und Kunstfreunden später ganz entfallen, so muß er sich in seinen Erwartungen ganz außerordentlich getäuscht und nicht einmal Gelegenheit gefunden haben recht vor die Oeffentlichkeit zu kommen. Wer London kannte, hätte ihm dies voraussagen können. Sein berühmter Vater hatte zwar ein großes Gewicht, so daß es nicht schwer hielt dessenConcerti ecclesiastici während der Anwesenheit des Sohnes und Bruders in London zum Druck zu bringen. Domenico selber war der größte italienische Clavierspieler, der Einzige aus der ganzen Zeit, dessen Compositionen neben den Bach'schen und Händel'schen noch jetzt als klassisch und grundleglich da stehen. Auch hatte er nach Händel's Abreise aus Italien für den Marchese Ruspoli in Rom und sonstwo schon mehrere Opern componirt, die mit den besten Erzeugnissen seines unerschöpflichen Vaters vereint gewiß einen ansehnlichen Koffer füllten und für die Engländer musikalische Nahrung auf viele Jahre zu enthalten schienen. Aber er wußte nicht, was diese gefräßige Nation auch in der Kunst verschlingen konnte; und da man die komische Musik vorläufig ganz ablehnte, so mußte ihm sein Vorrath gar sehr zusammen schmelzen. Seinem Clavierspiele konnte wohl niemand Bewunderung versagen; aber weil es Händel war, neben dem er jetzt zum zweiten mal stand, wurde er leider nur zu bald gewahr, daß ihm sein italienisches Publikum fehlte, daß er sich hier nicht in seiner, sondern in Händel's Heimath befand, auf einem fremden Boden,[50] und ohne die Gabe des frohen Weltsinnes, der Universalität und des Eingehens auf die Gefühlsweisen fremder Menschen und Völker, die sein gegnerischer Freund in so vollem Maaße besaß. Auch kam es zwischen ihnen nicht einmal zu lebhafter Rivalität; man wollte Vocalmusik, man wollte Opern: und auf diesem Gebiete konnte der große Claviermeister nie das volle Bürgerrecht erlangen.

Allerdings hatte Scarlatti in England begeisterte Verehrer, die ihn in seinem Fache über alle Mitlebende erhoben. Sein Irrthum bestand nur darin, daß er glaubte, diese Freunde bildeten dort die Mehrzahl und leiteten die öffentliche Meinung. Er glaubte, ganz England denke von ihm wie der Oberst Blathwayt, ein Schüler seines Vaters, der jetzt im Directorium der Akademie saß, und wie Thomas Roseingrave.

Thomas Roseingrave war Domenico's Schüler, ein enthusiastischer sonderbarer Irländer, der als eine der damaligen musikalischen Persönlichkeiten Londons, und weil er unserm Händel die Ehre anthat sein Gegner zu sein, hier nicht ganz übergangen werden kann. Er war der Sohn eines Kirchenmusikers in Dublin und ein talentvoller junger Mann; daher gewährte ihm das Capitel zu St. Patrick in seiner Vaterstadt eine Pension zu einer italienischen Reise. Ums Jahr 1710, als Händel aus Italien heimkehrte, pilgerte Tom Rosy dorthin. »Auf dem Wege nach Rom in Venedig angekommen – so ließ sich Burney von ihm erzählen –, ward er, als ein fremder Virtuose, in das Haus eines Edelmannes zu einer musikalischen Akademie geladen, wo man ihn, unter Anderen, ersuchte am Harpsichord Platz zu nehmen und die Gesellschaft mit einer Probe seiner Kunst zu erfreuen. Mit gutem Muthe und behenderen Fingern, als gewöhnlich, begann er, und glaubte sich selbst übertroffen, auch auf die Beifall klatschende Versammlung einigen Eindruck gemacht zu haben. Nachdem nun von einer Schülerin Gasparini's eine Cantate gesungen war, die der Meister selber begleitete, trat ein ernster junger Mann, in Schwarz gekleidet und mit einer schwarzen Perrücke, aus dem Winkel hervor, in welchem er, so lange Roseingrave spielte, ruhig und aufmerksam gestanden hatte, und begann auf Verlangen ebenfalls etwas vorzutragen. Roseingrave glaubte, wie er später sagte, zehn hundert Teufel hätten das Instrument besessen, denn nie hatte er eine solche[51] Ausführung und einen solchen Effekt für möglich gehalten. Das Spiel des schwarzen jungen Mannes übertraf alles, was Er jetzt konnte oder je zu erreichen hoffte, so sehr, daß er sich gern die Finger abgehauen hätte, wenn ein passendes Instrument zur Hand gewesen wäre. Sich nach dem Namen des außerordentlichen Spielers erkundigend, wurde ihm gesagt, es sei Domenico Scarlatti, der Sohn des berühmten Cavalier Alessandro Scarlatti. Roseingrave berührte einen Monat lang kein Instrument, schloß sich dann aber innig an den jungen Scarlatti an, folgte ihm nach Rom und Neapel, und blieb fast immer in seiner Gesellschaft so lange er in Italien war.«25 An Begeisterung fehlte es diesem Irländer also nicht; und wenn Enthusiasmus, wie Göthe sagt, der Schlüssel ist, der die Pforten der Kunst öffnet, so war Tom Rosy auf dem besten Wege. Aber wie er sich in dieser Geschichte zeigt, bewährte er sich im ganzen Leben; der musikalische Spleen blieb bei ihm vorwaltend. Ost in der Nacht eilte er an's Clavier, und wenn er einige Griffe und Contrapunkte gemacht hatte, kroch er wieder in sein Nest zurück. Er gehörte zu den Pedanten, die Palestrina eine ausschweifende Verehrung widmeten; Mobilien und Wände seiner Schlafkammer waren mit Papierstreifen beklebt, auf denen besonders vorzügliche Stellen des alten Vaters der Kirchenmusik verzeichnet standen. Zuletzt wurde von all der Phantasterei, bei welcher doch nichts heraus kam, als einige formlose Phantasien, einige schulfüchsige harte unklare Doppelfugen, einige mäßige Cantaten, Arien und dergleichen, und von einer unglücklichen Liebe sein Nervensystem so zerrüttet, daß ihm schon der bloße Klang zuwider war, und so endete ein Leben voll Plage und Unruhe in Musiküberdruß.

Im Mittsommer 1713 kehrte er über Paris nach Dublin zurück, wie wir aus einer Empfehlung sehen, die ihm der Gesandtschaftssecretär Prior an Swift mitgab26, welchem er sodann etwas auf der Orgel vorspielte. Darauf begab er sich nach London, um für sein Talent einen größeren Wirkungsplatz zu gewinnen. Unserm Händel war er, wie alles Ungesunde, unleidlich.[52]

Dies nun war der Mann, an den sich Scarlatti gewiesen sah und dem er seine Werke um so mehr anvertrauen mußte, da er selber wohl nicht die Fähigkeit besaß, ein Orchester gut anzuführen, noch viel weniger, sich ein solches aus den hier zusammen gewürfelten groben und seinen Elementen erst zu bilden. Unter solchen Verhältnissen entstand seine Oper Narciß, eine farb- und so zu sagen muthlose Musik, der Roseingrave einige Gesänge eigner Composition beifügte, die mit diesen vereint auch auszugsweise gedruckt, aber bald wieder verschollen und vergessen war. Die Tage, welche Mimo Scarlatti in London zubrachte, können nicht seine glücklichsten gewesen sein. Doch gegen Händel ließ er sich durch englische Schicksale und Freunde nicht einnehmen: Beweis genug für eine urbane Künstlernatur.

Porta, Scarlatti und Roseingrave waren also für die Akademie nicht mehr vorhanden. Ein gleiches würde dem guten Galliard widerfahren sein, wenn er, auf den Rath seiner Freunde hörend, sich auch zugedrängt hätte. Aber Bescheidenheit macht weise. Er stand von einem Unternehmen ab, welchem er nicht gewachsen war, und fand für sein Talent bald einen ganz vergnüglichen Wirkungsplatz. Der englische Sänger Gordon bewährte sich ebenfalls nicht, und Margherita de l'Epine war allerdings vor zwanzig Jahren eine reizende Sängerin gewesen. Sie heirathete Dr. Pepusch; Gordon und Roseingrave gingen ganz in das englische Lager über.

Hatte die Akademie sich auch nicht entfernt eine nationale Aufgabe gestellt, so wollte sie es doch zu erst möglichst mit inländischen Musikern und mit der Schule Scarlatti's, des anerkannt größten der lebenden Operncomponisten, versuchen. Dieser Versuch mißlang. Daß die Gründer der Akademie über die künstlerische Einrichtung und Leitung des Institutes anfangs wenig im Klaren waren, geht daraus unzweideutig hervor. Einig war man nur in dem Bestreben, an Sängern wie an Tonsetzern das möglich beste zu gewinnen. Händel allein die Leitung zu übertragen, wäre dem Hofe ganz recht gewesen, widersprach aber zum Theil schon deßhalb den Neigungen vieler Tonangeber; und es war für Händel kein Unglück, daß er sich den Boden für seine Wirksamkeit erst erkämpfen mußte.


[53] Zweiter Jahrlauf: vom 19. Novbr. '20 bis zum 5. Juli '21.


Man berief nun im Sommer 1720 den Hauptvertreter der auf Scarlatti folgenden, also nächstältesten Richtung im musikalischen Drama – Giovanni Bononcini, dessen Werke hier längst beliebt waren. Er hielt sich damals in Rom auf, was wir aus der Dedication seiner Cantaten an Georg I. entnehmen.27 Die Berufung wurde hauptsächlich durch den jungen Grafen Burlington vermittelt. Als dieser seine erste italienische Reise machte – in den Jahren 1714 und '15 – hörte er im Capranica-Theater zu Rom die Oper Astarto und fand ein großes Vergnügen daran. Ihn hieran erinnernd in der Zuschrift des Textbuches dieser Oper, fügt Paolo Rolli hinzu, die Approbation des Grafen sei nicht nur die Ursache gewesen, daß man das Werk auch in der englischen Akademie aufzuführen beschlossen habe, sondern auch, daß der Componist selber herübergekommen sei und seine Oper durch Hinzufügung neuer Schönheiten der Gunst seines edlen Patrons nur desto würdiger zu machen gesucht habe.28 Burlington gehörte später eben nicht zu den Hauptbeschützern Bononcini's.

Mit dieser Oper wurde am 19. November der neue Jahrlauf begonnen. Astarto konnte noch in derselben Saison 23 mal wiederholt und im ganzen 30 mal gegeben werden. Die mehrfach, auch von Caldara componirte Dichtung war von Apostolo Zeno (obwohl Rolli dies verschweigt) und zuerst 1708 in Venedig aufgeführt. Walsh druckte eilig die Gesänge und Instrumentalsätze dieser »hochgefeierten Oper«, ebenfalls wie Rhadamist »schön gestochen und vom Autor sorgfältig corrigirt«; und sie erschien auch in einem ganz klaren und reinlichen, obwohl keineswegs schönen noch correcten Drucke.29[54]

Die Musik hat Burney eingehend durchgenommen und über jeden Gesang seine Meinung nieder geschrieben. Ich würde ihn hier gern für mich reden lassen, wenn in seiner umständlichen Beschreibung die Züge des Bononcini'schen Kunstcharakters nur einigermaßen wieder zu erkennen wären. Er wundert sich, nach »sorgfältiger und treuer« Untersuchung, wie ein solches Werk einer früheren Zeit selbst in der Kindheit des Geschmackes so viel Vergnügen bereiten können; und wir müßten uns vielmehr wundern, wenn eine so sehr für die Fassung, die Neigung, das Verständniß der Zeit zugerichtete Musik dies nicht gethan hätte. Er bekennt, keiner einzigen Arie begegnet zu sein, der man Originalität oder eine selbständige Melodie nachrühmen könne, noch viel weniger der Zartheit und dem Pathos, wofür Bononcini doch selbst von solchen Lob erhalten, die ihm übrigens reiche Erfindung und tiefe Wissenschaft absprachen30; und wir glauben mehr oder weniger deutlich in jedem Gesange das gar nicht zu verkennende Gesicht dieses Componisten zu erblicken, das Gefällige, Glatte, Zarte und Anmuthige, und wissen auch, daß mehrere dieser Lieder zu englischen Worten weit und breit gesungen wurden. Die Oper gehört zu den drei Werken – Astarto, Crispo, Griselda –, aus denen man ihn am besten erkennt; und obwohl das Endurtheil über Bononcini nicht zurückgehalten werden soll, wollen seine Tonwerke doch zunächst nicht gemeistert, sondern in ihrer Eigenthümlichkeit begriffen sein. Wir werden weiter unten insgesammt darauf eingehen.31

Schon durch Senesino's Ankunft war die Luft an den Opernspielen außerordentlich gesteigert. Allerdings konnte nur Händel seinem großen Talente auf die Dauer Bedeutendes, Mannigfaltiges und immer Neues bieten, wie es denn auch die erste Vorstellung des erneuerten Rhadamist war, bei welcher die Zeitungen seiner Ankunft, seiner Leistungen und seiner zweitausend Guineen mit Erstaunen gedachten.32[55] Aber alles, was an Aeußerlichkeiten geeignet ist ein zeitliches Uebergewicht zu verleihen, besaß Bononcini. Man wundere sich daher nicht, wenn die Beschreibung der nächstfolgenden Jahre hier etwas anders ausfällt, als in den Schriften, die bisher davon gehandelt oder, bei Umgehung genauer Untersuchungen, eigentlich nur darüber gemuthmaßt haben; man mache sich darauf gefaßt, Bononcini zeitweilig zur Herrschaft gelangen und Händel zurückstehen zu sehen.

Als nächste Neuigkeit gab man am 1. Februar '21 ein Werk unbekannten Ursprunges unter dem Titel »Arsaces, oder Amore e Maestà.« Vielleicht hatte Bononcini einiges dazu beigesteuert. Die Vermuthung liegt aber nahe, daß es das Werk eines neuen Componisten war, nämlich des Filippo Mattei genannt Pippo, des bewunderten Violoncellspielers der Akademie. Wir begegnen ihm in London seit dem Anfange des Jahres 1719; er führte in verschiedenen Concerten eigne Compositionen auf, meistens in Gemeinschaft mit dem Geiger Carbonelli, welcher bei der Akademie die erste Violine spielte.33 Wenn man ihm diese Oper zuschreibt, wird seine Betheiligung bei der folgenden desto erklärlicher.

Die heftigen Parteien für Händel und für Bononcini waren im Entstehen. Man versprach sich nun von einer Oper, in welcher[56] beide Componisten auftraten, ein ganz besonderes Vergnügen. In Italien war diese Theilung der Arbeit schon vielfach versucht, obwohl selten mit so spannender Neugier, wie jetzt in London. Auf solche Weise entstand die Oper Muzio Scävola. Händel bekam den letzten Akt, Bononcini den mittleren; den ersten, der unter allen Umständen der unerheblichste war, gab man dem genannten Signor Pippo.


Muzio Scävola. 1721.

Paolo Rolli, »italienischer Secretär der Akademie«, suchte die Worte zusammen und schrieb das Textbuch dem Könige zu.

Händel's Musik ist im Original erhalten. Weil von der Oper nur ein geringer Theil gedruckt wurde34, muß man sich doppelt freuen, daß auch noch die Partitur des ganzen Werkes existirt.35 Wir können also durch Vergleichung der Leistungen unserer drei Meister noch jetzt an dem Vergnügen der Akademie in etwas theilnehmen.

Pippo bietet uns, nach einer ziemlich langen aber schwachen Ouvertüre, eine Reihe angenehmer Gesänge, denen jedoch Eigenthümlichkeit und ein wirkungsvoller dramatischer Zusammenhang abgeht. Seine Arien enthalten recht schone Melodien, sind sangbar und natürlich, aber niemals reich gebildet, niemals aus drängender innerer Fülle hervor gequollen, wie man besonders bei solchen Gesängen wahrnimmt, die nur als ein frei aus der Tiefe des Gemüthes kommender Ausdruck Werth haben können, z.B. »Degno d'amor tu sei.« Hier sieht man den Musiker, der die Töne nach einem vorgesetzten Zwecke gefühlvollen Ausdruckes mühsam fortschiebt und nur stellenweise in Fluß kommt, nicht den Tondichter, der in frei innerlicher Aeußerung alles Zweckliche vergißt. Mancher Gesang ist gut an sich, nur zu leicht befiedert für Wort und Sache; klein, mitunter tändelnd kleinlich. Die Begleitung ist etwas philiströs und einförmig, in diesen Grenzen aber natürlich und gefällig. Sehr häufig[57] spielt die erste Violine die Singmelodie im Einklange mit; die zweite Violine bildet dann wohl die Mittelstimme und die Viola den Baß ohne weitere Zuthaten, doch ist gewöhnlich auf eine passende Abwechslung zwischen dem ersten und zweiten Theile der Arie Bedacht genommen. Hin und wieder trennt sich die Begleitung mehr von dem Gesange ab und sucht ihm selbständiger gegenüber zu treten, wie in dem Vordertheil der Arie »Tutti pensieri miei«. Aber wenn Händel diese Begleitung


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

wählt, so entfaltet sich etwas Bedeutendes, während hier dieselbe Figur durch beständiges Antworten der drei Oberstimmen des Quartettes auf den Baß


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

in Spielerei aufgeht; sie soll die Bewegung des Herzens andeuten, aber das Herz eines wahrhaft bewegten Menschen schlägt anders. Diese kleinen Meister sind immer besorgt, wir möchten vergessen, daß die Kunst der Töne eigentlich weiter nichts sei, als ein anmuthig heiteres Spiel, dem Tiefen und Formlosen gleich abhold. Pippo schließt seinen Akt mit einem kurzen accompagnirten Recitativ, was unmöglich von besonderer Wirkung gewesen sein kann. Ueber seine Musik war also das Urtheil leicht gesprochen. Man zollte seinen Leistungen auf dem Violoncell volle Bewunderung und gab ihm den Rath, seine künstlerische Kraft als Spieler zu bethätigen, aber sich nicht mit dem Componiren den Kopf zu zerbrechen.

Bononcini's Ouvertüre ist den Gesängen, welche Walsh herausgab, vorgedruckt; doch wohl nur, weil sie leichter auszuführen war, als die von Händel, mit der sie übrigens nicht im entferntesten verglichen werden kann. Auch ist sie wesentlich nichts, als eine Erneuerung der alten Instrumentaleinleitung, die hier schon 1708 als Ouvertüre zu Thomyris bekannt wurde, aber auch wohl schon wieder vergessen war. Natürlich blieb es Bononcini unbenommen, auch von früheren Opernarien zu benutzen was ihm passend schien. Seine Gesänge stechen vortheilhaft ab von denen des Pippo. Gleich die erste Arie »Si, t'amo, o cara« hat eine breitere Melodie, eine reichere und auch freiere Gestalt; und so ist es durchgehends. Auch die Begleitung hält er selbständiger. Er ist ein entschiedener Liebhaber der[58] concertirenden Schreibart, in welcher er sich schon vor zwanzig und mehr Jahren kurz nach Scarlatti und Keiser festsetzte. Ueber die damals zur Geltung gelangten kleinen Nachahmungen und Zwischensätzchen geht er noch jetzt nicht wesentlich hinaus, nur wählt er sie nicht so sorgfältig charakteristisch, wie die genannten Kunstgenossen, sucht sie aber zu möglichst großen Formen auszudehnen, wodurch denn sehr häufig nur ein populäres Nichts entsteht. In diesem Kreise gerathen ihm nicht selten recht schöne, so zu sagen echt Bononcini'sche Bildungen, wie hier z.B. »Selvagge deità«. Die lebhafte Arie »Scogliesi la porcella« ist ähnlich gestaltet und in ihrer Art eine ausgezeichnete Melodie, nur zu sehr mit Coloratur behangen. Im höheren Sinne ist es allerdings unkünstlerisch, und sieht kleinmeisterlich aus, wenn eine kleine instrumentale Figur fast Takt um Takt in den Gesang hinein spricht; Scarlatti weiß sich schon durch die Wahl der Motive vor diesem Abwege viel mehr zu hüten. Neben solchen Gesängen nun, die ihren unschuldigen Tag für sich leben, finden sich andere, welche zu einer Vergleichung mit Händel geradezu herausfordern. »Tormento fiero« zum Beispiel ist ein solcher Satz, bei welchem eine pathetische Melodie versucht und in dem Stimmgewebe Kunst, Wohlklang und harmonische Fülle angestrebt wird. Bononcini hatte inzwischen, nach Aufführung des Astarto, den Rhadamist gehört; nun wollte er es in den gepriesenen Stellen mit ihm aufnehmen. Aber daß er hier bloßer Nachahmer, den äußeren Effekt eines nicht italienischen Meisters beneidender Nachahmer war, wollte er weder Andern noch sich selbst gestehen, noch weniger, daß seine Kräfte auf keinen Fall eine ebenbürtige Leistung zuließen. Es ist kein Schwung, kein Halt in seiner Composition, oft fällt er in das einfach Liedmäßige ab, oft in das Gesuchte; der glatte Italiener wird hier steif und trocken, Fluß und Kunst fehlen, und von der Schönheit, die inmitten reicher Blattumhüllung von Innen aufblüht, wie bei Händel überall in solchen schönsten und kunstvollsten Erzeugnissen, ist hier nichts zu sehen.

Nach dem Gesagten können wir uns über den Theil, welchen Händel bearbeitete, kurz fassen. Seine »Ouverture pour Act 3 de Muzio«, wie die Ueberschrift lautet, rauscht lebhaft vorüber. In der Fuge, so frei er auch damit schaltet, verliert man das Thema nie aus[59] dem Gehör, und selbst wo er nur mit tändelnden Zwischensätzen beschäftigt scheint, weiß er es im Basse gleichsam als Begleitung derselben immer fest zu halten. Alles ist äußerst durchschlagend und eingänglich für Jedermann; aber auch die Gelehrten fanden daran zu bewundern. Händel beantwortet die kleine Terz d–b, den Schritt von dem zweiten zum dritten Tone im Thema, mit dem halben Tone g–fis:


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

was gegen die Fugenregel ist. Man nehme f statt fis, so geräth man in die nach ut re mi fa sol la richtig angelegten stillen Mönchsgänge, aber das erhöhte Lebensgefühl, welches Händel durch Ueberschreitung der Regel aussprach, ist verschwunden. Geminiani besonders soll über diesen unscheinbaren und doch kühnen Ausweg, über diese unerwartete Wirkung durch das denkbar kleinste Mittel erstaunt gewesen sein und in italienischer Ueberschwenglichkeit ausgerufen haben, dieser halbe Ton gegen die Regel sei eine Welt werth.36 Mattheson setzt gar bescheiden hinzu: »Was will das sagen? Nichts!« denn wahrscheinlich fiel ihm ein, daß auch contrapunktische Stümper, auch Er und Keiser, diese Regel schon vielfältig übertreten hatten. Aber unter den Fugenmeistern ist dieses Nichts eine große Seltenheit, und bei Bach habe ich es noch nicht angetroffen.

Die erste Arie »Lungo pensa« für Signora Durastanti, den Worten und dem Charakter der dramatischen Person vorzüglich entsprechend, ist in dem Styl des Liedes aus Acis und Galatea »Fort, du süßer Sängerchor« componirt, ohne dadurch zu einer unselbständigen Copie herabzusinken. Gewisse Grundformen lassen sich in Händel's Melodiebildung immer erkennen, gewisse klassische Muster die er[60] sich selber schuf und sodann für passende Gelegenheiten im Auge behielt.

Man wird in dem dritten Akt des Muzio wenigen Sätzen begegnen, die nicht ausgezeichnet wären. Das Ganze ist in frischer Luft geschaffen, zum größten Theile sogar mit Sorgfalt aufgeschrieben. Ueberall giebt er sich selbst. Eine Nachahmung irgend einer der gepriesenen Eigenthümlichkeiten Bononcini's läßt sich nicht bemerken, man müßte denn die Eleganz dahin rechnen, welche bei diesen Gesängen mehr hervorsticht, als bei manchem andern Werke Händel's. Doch auch diese fließt aus innerer Quelle als eine echt Händel'sche Eigenschaft, die sich nicht einmal richtig von Bononcini lernen, obwohl im Wettkampfe mit ihm höchst passend verwerthen ließ. Händel bleibt hier durchaus seiner Art treu, nach welcher er dem großen Haufen wohl entgegen kommen, ihm aber nicht auf Kosten der Kunst ein Opfer bringen konnte. Seine Arien sind überall größer, als die der Italiener, aber er hat sie auf die prächtigsten, eingänglichsten Melodien gebaut. Der unmittelbare Eindruck während der Aufführung mußte sich nothwendig für Händel aussprechen. Solches geschah auch, und das genügte ihm. Aber mit einer weniger ausgezeichneten Composition würde er unter den damals herrschenden Geschmacksneigungen diesen Sieg schwerlich errungen haben. Man muß das Walten eines guten Geschickes darin erkennen, daß die Menschen hartnäckig nur seine besten Leistungen gelten ließen: das stählte ihn und trieb ihn höher und höher, zur selben Zeit, als der Beifall des Tages, die Ueberschätzung des Unbedeutenden und Nichtigen, den Bononcini und viele Andere verdarb.

Mit klugem Bedacht richtete er die Arien nach den Fähigkeiten seiner Sänger ein; aber auch hier beharrte er stolz auf seinem künstlerischen Standpunkte. Er wußte, daß Miß Robinson nicht die große Sängerin war, welche ihre Freunde und fast alle Opernbesucher in ihr erblickten, suchte daher mit großer Mühe (wie seine Handschrift zeigt) die Musik ihren Kräften anzupassen, entschloß sich aber vorkommenden Falls lieber zu einer vollen, gebundenen, die Singstimme tragenden und deckenden Begleitung, als zu unpassenden Balladenmelodien. Daß die Dame ihm dieses nicht dankte, sondern mit Bononcini's Liederchen besser zufrieden war, werden wir später erfahren.[61] Selbst eine so wundervolle Arie wie »Ah dolce nome« scheint sie ebenso wenig gewürdigt, als Händel's zarte Fingerzeige zu ihrer Ausbildung verstanden und benutzt zu haben. Der Prachtgesang für Boschi »Volate più de' venti« zeigte den schwachen Versuchen der Italiener gegenüber, wie man naturgemäß für Baß schreiben müsse; der gleich vortreffliche »Il confine della vita« zeigte dasselbe für Senesino's Stimme, obwohl auf eine gänzlich verschiedene Weise. Einem andern trefflichen Sänger, dem Berselli, gab er in »Cara, se ti vedrò« eine seiner allerschönsten gefangreichsten Sicilianen. Nichts geringeres kann von den beiden Duetten gesagt werden, die unter sich wieder, je nach dem Paare, welches sie singt, so durchaus verschieden sind. Was wollten Bononcini's Melodien gegen solche Musik bedeuten! Es war nicht möglich, ein musikalisches Programm eindringlicher und entschiedener auszusprechen, als hier durch Händel geschehen ist. Er schrieb dieses köstliche Werk in dem Monate vor der Aufführung, wie das Ende seiner Handschrift besagt: »Fine. G.F.H. | London March 23. 1721.«

So endete der denkwürdige Versuch. Die Wirkung war bedeutend, aber keineswegs so entscheidend, wie Mainwaring und mehr oder weniger auch Hawkins, Burney und ihre Nachsprecher vorausgesetzt haben; sie war der Anfang, die Verwicklung, nicht die Lösung des musikalischen Streites. Diese Oper brachte also die Parteien nicht zum Schweigen, sondern rief sie ganz eigentlich erst hervor; erst mit der Aufführung des Muzio begannen die heftigen Verhandlungen über den Unterschied der Schreibarten von Bononcini und Händel.

Am 7. Januar '23 gab man die Oper in Hamburg, ebenfalls ganz italienisch.37[62]

Auf Muzio Scävola, der wegen seiner aufregenden, mehr zur Kritik als zum Kunstgenusse heraus fordernden Haltung nicht sehr oft wiederholt werden konnte, folgte am 20. Mai ein Werk von Bononcini unter dem Titel »Ciro, oder Odio ed Amore.« Der Name des Componisten wurde in den Ankündigungen der Akademie nicht angegeben, wenige Fälle ausgenommen. Nach Burney wäre Ariosti der Autor, der doch damals noch in Bologna war. Ein altes handschriftliches Verzeichniß zu den sieben Gesängen, welche Walsh druckte38, nennt Bononcini, das Textbuch der Braunschweiger Aufführung[63] aus dem Jahre 1724 ebenfalls39, und eine Vergleichung der übrigens unerheblichen Musik zeigt, daß diese Angaben gegründet sind.

Am fünften Juli schlossen die Vorstellungen dieses Jahrlaufes. Es wurden lauter vollständige Opern aufgeführt, drei Concerte ausgenommen, von denen jedes in seiner Art merkwürdig ist.

Das erste fand am 28. März '21 statt und brachte eine Serenata von Alessandro Scarlatti, deren Titel nicht weiter angegeben ist. Das Theater war glänzend erleuchtet und die Bühne zweckmäßig und prächtig eingerichtet, ganz wie bei den Maskeraden.40 Fast sollte man auf den Gedanken gerathen, Domenico Scarlatti sei noch jetzt hier gewesen und man habe das Werk ihm zum Besten aufgeführt.

Das zweite Concert am 14. Juni enthielt »über dreißig Gesänge aus den vorhergegangenen Opern«, vorgetragen von denselben fünf Sängern bei einem ähnlich geschmückten Theater.

Das letzte Concert am 5. Juli kam der bei Hofe sehr beliebten Durastanti zu gute. Es bestand unter andern aus »zwei neuen Cantaten von Händel und Sandoni«, und außerdem namentlich aus »vier Gesängen und sechs Duetten von dem berühmten Steffani, von Senesino und der Durastanti vorgetragen«.41

So ging diese zweite Saison nicht vorüber, ohne daß auch noch den Altmeistern der Tondichtung, Scarlatti und Steffani, ein kleiner Tribut dargebracht wäre.


[64] Dritter Jahrlauf: vom 1. Nov. '21 bis zum 16. Juni '22.


Haben wir das erste Jahr als die Zeit der Vorbereitung zu betrachten, und bildet das zweite im Drama der Akademie die Perio de der Verwicklung, so müssen wir das nun folgende dritte, und zum guten Theile auch noch das vierte, die Glanzzeit Bononcini's nennen. Es waren besondere, natürlich außer dem Kreise der Kunst liegende Ursachen, welche diese Wandlung zu Gunsten des Italieners veranlaßten; daher konnte sie auch von denen, die sich, wie Burney, einseitig an die Musik hielten, weder bemerkt noch für möglich gehalten werden.

Aber schon aus der Berufung Bononcini's und aus dem Beginn der Erörterungen über den Unterschied seines Styles von dem Händel'schen ließ sich solches weissagen. Von einer Gesellschaft, deren Kunsturtheil es zuließ, diese Männer als ebenbürtig neben einander zu stellen, war vorauszusehen, daß sie auch noch den nächsten Schritt wagen und das Schwächere begünstigen werde. Die Stimmung der Zeit kam dem mißleiteten schwächlichen Kunstsinne hierin trefflich zu Hülfe. Die Südseegesellschaft war zusammen gestürzt, und mit ihr, wie man fürchtete, Wohlstand, Verkehr und Geschäftsvertrauen verschwunden. Ein Ausbruch der jakobitischen Verschwörung und in Folge dessen ein allgemeiner Umsturz schien unvermeidlich. Und wäre solches geschehen, so würde durch den Fall des Wohlstandes die gesunkene Sittlichkeit sich wieder erhoben haben. Aber ehe man sich's versah, hatte Walpole mit einem äußerst geschickten Finanzplane Alles in's Reine gebracht; nun verlachte man die thörichte Furcht noch mehr, als man die thörichten Hoffnungen der Zeit des Schwindels verwünscht hatte, und die finanzielle Rettung bedeutete eine neue moralische Niederlage. Ein Nachschwindel, ein dumpfer Taumel, sich äußernd als tolle Genußsucht und als Ueberdruß an der Bethätigung der helleren und edleren Kräfte des Lebens, bemächtigte sich der tonangebenden Gesellschaft: und in diesem Zustande war alles recht und trefflich, was »den Edlen der Nation«, nach dem Ausdruck einer damaligen Zeitung, »die Langeweile vertreiben und sie von der Mühsal des Denkens befreien konnte«.42 Man sage also, ob ein[65] Bononcini nicht willkommen sein mußte, Er, der unter seinen Zeitgenossen unbestritten den Anspruch erheben durfte, eine wahrhaft gedankenlose Musik auf eine wahrhaft schöne Weise hervorbringen zu können! Und der Ruhm muß ihm bleiben, einer solchen Zeit diejenigen Töne gesungen zu haben, welche ihr gefielen.

Manches andere kam hinzu, diesem Componisten eine persönliche Bedeutung zu verleihen. Seit fünfundzwanzig Jahren hatte er in Italien und Deutschland einen berühmten Namen. In England waren mehrere Melodien »von Bononcini« in den Gesellschaftsgesang übergegangen, und obwohl diese zur guten Hälfte von Marc' Antonio componirt waren, wurde doch alles dem Einen Giovanni zugeschrieben. Schon im Jahre 1709 wiesen ihm die Engländer den nächsten Platz nach Scarlatti an, also die zweite Stelle im Gebiete der dramatischen Composition. An Caldara und Lotti dachte man in England viel weniger.

Nun waren auch viele der Meinung, im Hinblick auf Händel den Deutschen, die wahre Feinheit der italienischen Sprache sei doch nur von einem gebornen Italiener musikalisch wiederzugeben; und diese Meinung verbreitete sich um so schneller, weil jeder, der sie vertrat, dadurch ohne weiteres das Ansehen eines gründlichen Kenners erhielt und zugleich die wahre und tiefe musikalische Schönheit mit einem gewissen Schein des Rechtes ablehnen durfte. Wie sehr, wie kindisch wurden daher die kleinen Züge bewundert, in welchen Bononcini gewisse Eigenheiten italienischer Betonung keck und glücklich nachzuahmen wußte, und die man doch ohne seine freigebigen Erläuterungen niemals heraus gefunden hätte! Schon um 1710 und später wieder bei dem Utrechter Te Deum und den geistlichen Compositionen für Cannons war unserm Händel von englischer Seite dieselbe Verkennung begegnet, nach welcher der Componist nicht Wort und Sinn der Dichtung, sondern die Laute der Sprache in Musik zu setzen hätte, und er mußte sich oft den unübertrefflichen Purcell vorhalten lassen. Also hüben und drüben bei größter Verschiedenheit der musikalischen Bildung genau dieselbe Einseitigkeit, dieselbe Verkennung des eigentlichen Vollgehaltes der Kunst der Töne. Es fehlte nur noch, daß beide Theile sich jetzt gegen Händel zusammenschlossen: und diese im Irrthum so natürliche als im Wesen unnatürliche Verbindung[66] vollzog sich denn auch wirklich. Hieraus entsprangen in der Folge alle jene Lobredner des himmlischen Bononcini, die in phantastischer Selbsttäuschung mit den ausgesuchtesten Feinheiten der Kunst vertraut zu sein glaubten, und doch ihr lebelang nicht viel über die schottische Bockleier hinauskamen. Händel's rücksichtslose Geradheit beschleunigte diese Verbindung, wie man unter andern aus seinem Benehmen gegen Moritz Greene, den bedeutendsten der heranwachsenden englischen Kirchenmusiker, sehen kann. Greene war seit 1718 Organist an der St. Paulskirche. Erstaunt über Händel's Orgelspiel, drängte er sich überall zu und bemühte sich angelegentlichst um seine Freundschaft, ja, gab sich her ihm die Bälge zu treten, nur um ihn spielen zu hören und seine Kunstgriffe erlernen zu können. Seine Freundlichkeit grenzte an das Bedientenmäßige; so sagt Hawkins, und fügt hinzu »Seine Besuche bei Händel, im Hause Burlington's und des Herzogs von Chandos, waren häufiger, als diesem willkommen war«. Doch ertrug ihn Händel, da er in seiner aufdringlich und unterwürfig ausgesprochenen Bewunderung nur Lernbegierde und arglose Beschränktheit erblickte. Als aber Bononcini in's Land kam, und Master Greene nun auch diesem in derselben Weise den Hof machte, nahm Händel nie wieder einen Besuch von ihm an.43 Seit dieser Zeit nannte er ihn nur seinen Bälgentreter und wählte ihn sehr gern zum Gegenstand seiner Scherze. Aber Bononcini war ganz anders geartet. Nicht allein nahm er die Schmeicheleien wohlgefällig auf, er wußte auch immer etwas Passendes und Süßes zurückzusagen: woraus denn diese englischen Musiker seine überlegene seine Weltbildung preiswürdig erkannten. Der Schwache, Unselbständige, um in der Welt auch etwas zu bedeuten, sucht sich einen Stärkeren an den er sich lehnen könnte, und wird stets Den maaßlos preisen, der ihm solches gestattet. Bononcini wußte das Imponirende seiner Persönlichkeit noch zu verstärken durch Dünkel und Uebermuth, die ihn in den Augen der Gläubigen als edles Selbstbewußtsein so schön kleideten, auch für einige Zeit sich ganz wirksam erwiesen, ihm aber doch endlich einen ehrlosen Fall bereiteten.[67]

Auf so mancherlei Ursachen also läßt sich Bononcini's Beliebtheit zurückführen. Hierzu kommt noch sein ausgezeichnetes Violoncellspiel, wodurch er für die Hausmusik des Adels ein gesuchter Gast wurde, und die Klugheit, welche er mit allen Italienern theilte, die musikalischen Schätze nicht, wie das sorglose deutsche Genie, hier- und dorthin zu verstreuen, sondern hübsch übersichtlich auf einem Haufen zu halten.

Dies führt uns auf ein Werk, welches Bononcini eben jetzt veröffentlichte, und welches sein Talent auf die faßlichste Weise von verschiedenen Seiten zeigte und ihm mannigfachen Nutzen brachte, nämlich auf die »Cantate e Duetti, dedicati alla Sacra Maestà di Giorgio rè della Gran Bretagna etc. da Giovanni Bononcini. Londra MDCCXXI.« (99 Seiten in obl. 4.) Das Werk wird etwa zu Anfang dieser dritten Saison, als Bononcini kaum ein Jahr in England war, ausgegeben sein, gelangt also auch chronologisch hier in ganz richtiger Folge zur Besprechung. Ein guter Freund rieth, es dem Könige zuzuschreiben, um Händel auch aus der Gunst des Hofes nach und nach zu verdrängen, was indeß erfolglos war: denn der Palast von St. James fuhr fort, sich des deutschen Tonsetzers gegen den italienischen, sowie der italienischen Sängerin (Durastanti) gegen die englische (Robinson) anzunehmen.

Das Buch wurde nur auf Subscription abgelassen, und nach damaligem Erachten auf die vornehmste Weise, nämlich ohne Bezeichnung einer Verlagshandlung, herausgebracht. 440 Exemplare wurden vertheilt der vorgedruckten Liste zufolge, auf der sich seine Hauptfreunde durch die Zeichnung mehrerer Bücher bemerkbar machen, und unter diesen namentlich Lord Carleton mit 30, der Herzog und die Herzogin von Queensberry zusammen mit 50, Marlborough's Tochter, die Gräfin von Sunderland, allein sogar mit 55 Exemplaren. Der Preis war zwei Guineen; man nannte es »das große Subscriptionsbuch«, wahrscheinlich des Preises wegen.

Die Musik beginnt nach einem unbedeutenden Vorspiel mit einer Merkwürdigkeit, mit einem Recitativ durch zwölf Tonarten, in welchem sich aber die Absicht des Componisten, ein Kunststück vorzulegen, mit dem Ausdruck des Textes höchst glücklich vereint; es ist dabei sehr sangbar und einfach gehalten, und in seiner Art ein wahres Muster.[68]

Vorwiegend in allen diesen Cantaten, wie überhaupt in Bononcini's Gesängen, ist das, was die Lieb haber eines tändelnden Ausdruckes der Empfindungen das Pathetische nannten, was wir aber jetzt deutlicher als Sentimentalität bezeichnen können, zart und anmuthig, aber auch etwas eintönig erklingend. Es sind mehr musikalische Elegien, als lebensfrische Gesänge. Dahin gehören die Arien »Era meglio lasciarmi morire« in der dritten Cantate (p. 22), »Verrà un dì« in der sechsten (p. 44), »Care luci« in der achten (p. 55), »Si, si, vi rivedrò« in der zwölften (p. 87), und viele andere. Die Melodien sind zum Theil sehr schön, die ganzen Sätze zeichnen sich durch eine weiche Haltung aus. Wer aber in Scarlatti's, und noch mehr in Händel's Reichthum eingedrungen war, mußte sie doch etwas langweilig finden: denn ihre Wirkung äußert sich nicht als Kräftigung, sondern zuerst als sanfte Erregung, bald aber als Abschwächung und Ermattung des Gefühles. Der Grund hiervon läßt sich in ihrer Composition nachweisen. Zu den Vorzügen, welche Bononcini vor Scarlatti haben sollte, rechnete man namentlich die größere Ausdehnung seiner Melodien. Dem läßt sich nicht widersprechen, denn die Bemerkung muß sich jedem aufdrängen, der die Musik beider Meister aufmerksam vergleicht. Aber die Ursache hat man nicht angegeben. Die Melodien oder Motive, aus denen die Gesänge gebildet werden, sind bei Bononcini länger als bei Scarlatti, äußerlich oder nach ihren Haupteinschnitten gemessen; aber auf ihre innere Gliederung gesehen, lösen sie sich gewöhnlich in sehr kleine Tongebilde auf, deren Verknüpfung und häufige Wiederholung das erzeugt, was uns als melodisches Gesammtbild entgegenstrahlt. Ein einziges Beispiel, der Anfang einer soeben erwähnten Arie, wird genügen:


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

[69] Diese Art der Melodiebildung ist so gewöhnlich bei ihm, daß uns auch die meisten übrigen Arien der Sammlung hätten als Beispiel dienen können. Nun war ein Uebelstand bei der Sache. Scarlatti's Melodien sind, was sie sein müssen, wirkliche Motive, bewegende Mächte, d.h. bildsame Keime die zu einer größeren Gestalt emporwachsen; die des Bononcini sind es nicht. Zwar wenn dieser die Melodie durch ein Recitativ unterbricht, wie in dem Satze »Siedi Amarilli« (p. 68); oder wenn er in einer seiner früheren Opern (Mario fuggitivo, Wien 1708) die Zigeunerin mit einer mehrmals wiederholten lieblichen Siciliane charakterisirt: so wird eine lange, aus kleinen Motiven geflochtene Melodie sehr bedeutsam, denn in solchen Sätzchen muß der melodische Gedanke nicht entfaltet, sondern zusammen gedrängt erscheinen. Auch in der Liedform, welcher er sich mit größerem Geschicke als Scarlatti zu bedienen weiß, ist dieses Verfahren ganz am Orte, weil es auch hier nicht auf Entfaltung, sondern auf einheitliche Zusammenziehung ankommt. Aber bei umfassenderen Bildungen, bei der Arie und verwandten Gesängen, zeigt sich der Mangel einer solchen Composition: es ist im ersten Aussprechen des melodischen Gedanken zuviel vorweg genommen, die treibenden Kräfte sind in vorschnellem Zusammenflusse verhärtet und erstarrt, die stete, wenig veränderte Wiederholung will sich nicht zu einem bedeutenden Ganzen abrunden, und wahrhaft Neues, von dem Thema Verschiedenes, wie es bei rechter Anlage im Verlaufe eines Tonstückes hervortritt und eben durch den Contrast mit dem Hauptgedanken zu einer höheren Einheit verschmilzt, kann sich hier nur selten, und auch dann nur mühsam bilden. Seine Arien, im Großen und Ganzen überschaut, erreichen daher nicht jenen Höhenstand des Wachsthums, welcher für diese Kunstform der normale ist. Sie mögen mit mannigfachen Reizen ausgestattet sein, aber der eigentliche Reiz des Lebendigen fehlt ihnen, der Drang gesunder Kraft, die durch alle Grade verschlungener Gestaltung unaufhaltsam zur Blüthe eilt.

Und hieraus erklärt sich die Art ihrer Wirkung, das Erschlaffende, Niederdrückende, Einschläfernde. Daß solches erst so spät in England empfunden, erst dort auf denkwürdige Weise ausgesprochen wurde, ist auch nicht zufällig. Zwar war die Ausbildung der Arie schon das Grundstreben der dramatischen Musik, als an Händel noch[70] nicht gedacht wurde; aber so lange Bononcini keinem andern, als dem Alessandro Scarlatti gegenüberstand, mußte man ihm volle Berechtigung und ehrende Vorzüge zugestehen. Denn Scarlatti, so vorschreitend, so vielseitig, so unerschöpflich er auch war, bewegte sich doch mit besonderem Behagen in der Welt des kleinen und munteren Lebens; seinen Schöpfungen etwas Zuläßliches an die Seite zu stellen, war dem melodiereichen Bononcini möglich, ohne den Aufschwung zum Großen zu versuchen, und so gelangen ihm in dieser Begrenzung Werke von leichter, befriedigender, harmonischer Wirkung. Dahin gehört das, was er für Berlin, Wien und Rom setzte, und was ihm zuerst in England einen Namen machte; dahin gehört auch noch seine Oper Astarto, mit welcher er vor der Akademie zuerst auftrat, deren durchsichtige, behende Melodien die Zuhörer so oft anlockten, und dem Werke ein Verdienst verleihen welches ihm Burney vergebens abzusprechen sucht. Aber wie schnell änderte sich das alles, als er nun in London Demjenigen gegenübertrat, welcher schon in kindlichen Jahren ihm die Anerkennung einer befremdenden musikalischen Macht abnöthigte! Händel hatte die langen Melodien Bononcini's, ja weitaus längere, und ihnen wohnte wieder die Scarlatti'sche Kernhaftigkeit inne. Sie wuchsen auf wie ein Baum, prächtig und einheitlich gestaltet, breiteten, belaubten sich, trieben Blüthen und Früchte. Die Arie, in ihrer herrlichen Form Gesetz und Freiheit bewahrend, ragte nun erst aus der Oper hoch hervor als die Krone musikalischer Bildungen. Gewaltsam fühlte sich Bononcini auf dieses weitere und freiere Gebiet getrieben. Er warf sich jetzt ebenfalls auf das Größere, anfangs mit einem Glücke, welches seinem Dünkel und der vorgeblichen Geringschätzung des Gegners entsprach, bald aber zum gänzlichen Unterliegen und zum vollgültigen Beweise alles dessen, was in Vorstehendem über die Eigenartigkeit seiner Kunst auseinander gesetzt ist.

Bononcini steht mit seiner Thätigkeit abseiten der natürlichen Entwicklung, nicht in der wahren vollen Strömung; seine Tonbildungen sind ganz eigentlich rückschreitende, unter dem Vorgeben des Fortschrittes von der wahren Bahn ablenkende: und dies machte den Kampf gegen sie zu einer unabweisbaren Nothwendigkeit. Sie sind denjenigen Blumen vergleichbar, in welchen, wie Göthe herrlich[71] klar gezeigt hat, die triebkräftige Natur gleichsam erschlafft, und »ihr Geschöpf in einem unentschiedenen, weichen, unsern Augen oft gefälligen, aber innerlich unkräftigen und unwirksamen Zustande« läßt.44 Es ist daher nur natürlich und hoch erfreulich, wenn angesichts solcher Erzeugnisse so recht deutlich hervortritt, wie wahre Natur gedeiht und blüht. Ein Zusammenwirken Händel's mit dem älteren Scarlatti in dieser späten Zeit und in englischer Umgebung würde etwas höchst Peinliches, etwas Unnatürliches gehabt und doch nichts gelehrt haben, als was wir auf friedlichere Weise nun ohnehin wissen; aber das unmittelbare Gegenübertreten Bononcini's und seiner Kunst in dieser Zeit, die zu einer entscheidenden Wendung in der Geschichte der Tonkunst überleiten sollte, gewährt im Ganzen ein lehrreiches, erhebendes Schauspiel.

Auf einige merkwürdige Züge der Cantaten müssen wir noch kurz hindeuten, bevor wir unsern Meistern wieder auf die Bühnenlaufbahn folgen.

Eine große Seltenheit bei Bononcini sind Sätze tief schmerzvollen Ausdruckes, wie »In meinen letzten Stunden« (Negl' ultimi momenti), der zweite Theil der Arie »Se tanti miei dolori« (p. 26–28). Hier hat man ein echtes Stück Musik im Sinne Scarlatti's und Händel's, nur die Schlußtöne sind der Größe dieser Stylart nicht recht angemessen. Wenn Bononcini dergleichen schon dem Scarlatti nachmachte, wie sehr mußte er erst Händel's derartige Gesänge heimlich beneiden und bewundern!

Ueberschwenglichkeit des Ausdruckes und die Melodie einer Instrumentalstimme, also einen italienischen und einen deutschen Fehler, finden wir in der Arie »Quando dicea d'amarmi« (p. 39–42) vereinigt. Wenn Händel seiner Singstimme eine instrumentale Melodie verleiht, was wir oft bemerkt haben, so geschieht es meistentheils contrapunktischer Zwecke halber, wo es also wenigstens in einer Hinsicht berechtigt erscheint, und niemals ist dann zugleich der Ausdruck leerer, so zu sagen italienischer Ueberschwenglichkeit damit verbunden. Bononcini, der gesanggeborne, wird hier ein Vorläufer jener ausschweifenden Neuneapolitaner, deren Kehle mit der Geige wetteiferte.[72]

Die Duette dieser Sammlung verdienen noch besonders beachtet zu werden. Sie bestehen nicht aus einzelnen Sätzen, welche den Cantaten beigefügt wären, sondern aus natürlichem Zwiegesang, aus zwei Cantaten (der 7. und 14. oder letzten) für zwei Personen. Der Titel »Cantaten und Duette« ist daher nicht ganz richtig. Auf diese Weise bilden sich vier Duette, von denen das erste (Luci barbare spietate) wenig Werth hat, das zweite dagegen (Spero che in pace) nach den besten Mustern eines Steffani'schen Kammersatzes schmuck und zierlich ausgearbeitet ist. Das dritte (Pietoso nume arcier) ist kanonisch, nimmt sich die Freiheiten dieser Schreibart ohne ihre Gesetze zu erfüllen; es ist ohne Reiz und Gehalt; die Rundstrophe dürfte sich zu dieser Form auch wohl am wenigsten schicken. Das vierte (Se l'idolo che adoro), welches die Sammlung schließt, paßt zu einer solchen Anlage schon besser, da es überwiegend einfach zweistimmig gehalten ist. Wie das zweite als Kammersatz, so kann dieses letzte als Bühnenduett von leichterem Gewebe recht wohl bestehen. Doch sind selbst in dem geringen Umfange von vier Duetten gewisse Contrapunktsmanieren bemerklich, die in diesem damals schon auf's höchste vervollkommneten Zweige der Composition auf keine große Fülle von Hülfsmitteln schließen lassen. Daß Bononcini nun gar alle diese Duette in der Rundstrophe schreibt, also aus der Form der Arie mit da Capo nicht herauskommen kann, zeigt seine Beschränktheit noch deutlicher und allgemeiner.


Nachdem die Akademie die ersten Vorstellungen des dritten Jahrlaufes mit bekannten Werken ausgefüllt hatte, folgte am 9. December '21 eine neue Oper von Händel.


Floridante. 1721.

Paolo Rolli verfaßte den Text, und dedicirte diese heldenhafte, »durch eine ausgezeichnete Musik verherrlichte« Liebesgeschichte des thracischen Prinzen dem Thronerben, Prinzen von Wales.45 Die[73] Musik ist im Original erhalten bis auf den Schlußchor; es fehlt also das Datum der Entstehung. Die Rollen der beiden Damen wurden später für andere Sängerinnen versetzt und umgeschrieben. In dem ganzen Werke sind die einfacheren, kürzeren, liedartig angelegten Gesänge vorherrschend; woraus Burney Anlaß nimmt zu erhärten, »daß Händel's einfache, getragene Arien die seiner Zeitgenossen ebensosehr überragen, als seine feurigen Gesänge die ihrigen an Geist und Wissenschaft«, und »daß daher die Parteigänger Bononcini's wenig Grund hatten, seine einfachen, als unvergleichlich zart und pathetisch gerühmten Gesänge zu preisen, da in einem einzigen Akte von Händel gewöhnlich mehr Arien dieses Schlages anzutreffen sind, als in einem ganzen Drama von Bononcini.«46 Nach unsern Begriffen freilich; aber da wir uns die Gründe für Bononcini's zeitweilige Beliebtheit klarer gemacht haben, als Burney, so brauchen wir seinen Standpunkt, den eines unbedingten Beschützers und Vertheidigers Händel's, nicht einzuhalten, müssen vielmehr hervorheben, daß die im Floridant erstrebte Einfachheit und Kürze auf eine gewisse Dahingabe an die damalige Geschmacksrichtung schließen läßt. Auch so entstand eine Fülle musikalischer Schönheiten; doch das beste, was Händel erreichen sollte, lag nicht auf der Verfolgung dieses Weges. Es würde für ihn von nachtheiliger Wirkung gewesen sein, wenn ihm in solchem Streben etwas Einschlagendes, die Zeitgenossen völlig Befriedigendes gelungen wäre: er hätte sich dann nach und nach von dem Wege verlieren können, auf welchem er endlich dem Höchsten genugthun sollte. Dieses heben wir offen hervor, überzeugt, daß die gerechte Bewunderung so herrlicher Gesänge, wie des hochfreudigen Anfanges »Dimmi, o spene,« des halbrecitativischen Satzes für Senesino »Notte care«, der später für die Durastanti eingefügten wundervollen Siciliane »Dolce mia speranza«, und so vieler anderen, dadurch nicht im mindesten verkümmert wird.

Floridante wurde anfangs 1723, unmittelbar nach Muzio Scävola, auch in Hamburg aufgeführt, und zwar, wie die Vergleichung ausweist, nach der von Walsh gedruckten Musik.47 Letzteres wird[74] deßhalb bemerkt, weil man aus einer unbestimmten Aeußerung Mattheson's, die in Hamburg gegebenen italienischen Opern Händel's seien »von aussen eingesandt«48, den falschen Schluß machen könnte, Händel selber habe solche Einsendung betrieben.

Vier Wochen nach Floridant trat Bononcini mit seiner Oper Crispo hervor. Auch zu dieser hatte Rolli die Worte geliefert. Sie wurde ein Liebling seiner Bewunderer und kam vom 10. Januar bis zum 16. Juni, wo die Saison schloß, achtzehn mal zur Aufführung. »Crispus-Arien« wurde ein stehender Ausdruck für die leicht eingängliche Bononcinische Musik, und Töne wie diese


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

für Miß Robinson gesetzt, hörte man lange trällern. Einen kleinen Theil der Gesänge brachte Walsh eilig zum Druck.49 Wir bemerken auch hier, wie bei Floridant, eine Annäherung der sich so schroff gegenüber stehenden Meister; denn Bononcini hat schon in dieser Oper sich der Händel'schen Muse auffallend zugeneigt, zum Theil, wie in der Arie für Senesino »Sevedete i pensier miei«, mit entschiedenem Glücke.

Noch eifriger suchte er auf diesem Wege dem Deutschen das große Gebiet abzujagen in seiner folgenden Oper, »Griselda, oder die geduldige Grisel« genannt, mit welcher er kaum sechs Wochen nach der ersten, am 22. Februar hervortrat. Rolli, behenden aber armseligen Geistes, hatte wieder den Text gemacht, wobei er sich an eine berühmte, oft componirte Dichtung von Apostolo Zeno lehnen konnte. Trotzdem waren ihm diesmal die Verse ganz ungewöhnlich[75] elend, rauh und sinnlos gerathen, so daß sich der Witz der Kaffeehäuser darüber ergoß. »Griselda heißt die Heldin der letzten neuen Oper«, schrieb man einer Zeitung aus Button's Kaffeehaus, »Gaultier ihr Gemahl, Rolli der Fiedler der, welcher die Verse machte, und Bononcini der Meister, der sie in Musik setzte«, und leitete damit folgende, für Bononcini sehr schmeichelhafte Spottreime ein:


Vom Königsthron und vom Gemahl verbannt,

Ging Grisel lammfromm, still und unerkannt.

Erst Rolli machte unsre Heil'ge brüllen,

Mit blüh'ndem Unsinn Feld und Wälder füllen:

Bis Bononcin die Verse ließ ertönen

Und weihete so jammervolle Scenen.

Ihr Geist ward licht bei jedem sanften Klang,

Und all der Wahnsinn starb in solchem Sang.

Drauf Grisel rief: ich fühle neues Leben;

Dem Gaultier und dem Rolli sei vergeben!50


Bei der Besprechung der Griselda hat Burney seinen gewöhnlichen Weg zerstückelter Betrachtung glücklich verlassen; daher wir ihm hier das Wort abtreten.

»Es ist ausgemacht, daß die kühne und vielseitige Schreibart Händel's, seine reiche Harmonie und geniale Erfindung schon einen solchen Eindruck auf das Publikum gemacht hatten, um den Bononcini zu bewegen, bei Composition dieser Oper den kleinen Klepper zu verlassen und nun auch das große Pferd zu besteigen, ausgerüstet mit allem Geschirr, und bestrebt sich mit herkömmlichem Pomp und Anstand zu bewegen. In der Ouvertüre hat er Trompeten und Pauken[76] angebracht; die erste Violine hat ein Solo von rapidem Laufe, und eine Menuet steht am Ende; aber die gebräuchliche Fuge ist wohlweislich umgangen, wahrscheinlich im Bewußtsein seiner Unzulänglichkeit in dieser Gattung der Composition dem Händel gegenüber. Der erste Absatz ist ebenfalls verschieden von den meisten andern in dieser Zeit, da er sich gänzlich von Lully's Vorbild entfernt. Und im Ganzen genommen ist diese Ouvertüre eine der besten Instrumentalcompositionen, die ich von Bononcini gesehen habe.

Die Melodien dieser Oper sind im allgemeinen so anmuthig und elegant als irgend eine aus jener Zeit, und obwohl sie wenig Erfindung und Charakter in der Begleitung, wenig Wissenschaft in der Harmonie und Modulation offenbaren, sind sie doch von einer Klarheit und Leichtigkeit, die dem größten Theil der Zuhörer entschieden mehr Vergnügen bereiten mußte, als eine originelle und meisterliche Composition, von der man doch nichts verstand. Im Verlaufe der Zeit freilich lehrte Händel uns, wie man letztere beurtheilen und hingegen jene kunstlosen Tonstücke verachten müsse, in welchen die Harmonie den abgedroschenen frivolen Melodien zum Opfer gebracht wird, deren flüchtige zusammenhangslose Passagen durch beständigen Gebrauch so gemein und nichtssagend geworden sind, wie die flachen und abgedroschenen Witze in Swift's ›höflicher Unterhaltung‹. Senesino's erste Arie ›Parto, amabile ben mio‹ ist nicht ohne Würde, und scheint zu seiner Art von Handlung und Gesang sehr wohl gepaßt zu haben. Die Begleitung zu ›Quanto mi spiro‹ ist lebendig und gut angebracht. Die Rouladen erscheinen uns natürlich jetzt, bei so großem Abstande der Zeit, als die gewöhnlichsten und bedeutungslosesten Theile jeder Melodie.

Senesino's Hauptarie im zweiten Akt scheint mehr berechnet, eine begleitende Symphonie der Hörner einzuführen, als die Fähigkeiten dieses großen Sängers zu zeigen; die Passagen an sich sind armselig, und durch nichts als die Begleitung eines Violoncell bereichert.

Die Baßgesänge dieser Oper, für Boschi gesetzt, sind schwächer, als die Arien für irgend eine andere Gesanglage, wenn man sie mit Händel's Leistungen vergleicht. Eine Stimme [wie Boschi sie hatte], machtvoll genug um einem vollen Orchester Trotz zu bieten, und doch[77] nicht so schmelzend, um uns die Verminderung ihrer Gewalt durch ein vortrefflich geleitetes Orchester bedauern zu lassen, gewährte unserm Händel eine Gelegenheit, alle Quellen seiner Harmonie und Erfindung zu öffnen, welche er selten versäumte. Keine von Miß Robinson's Arien ist setzt noch besonders packend; und doch wird gesagt, daß sie mit der Rolle der geduldigen Grisel in dieser Oper ihren Sieg über das starke Herz des Grafen von Peterborough vollendet habe. Wirklich scheint eine entfernte Verwandtschaft zu bestehen zwischen der Lage dieses dramatischen Charakters und den Begebnissen in dem eignen Leben der Miß Robinson. Griselda, ein Landmädchen von geringer Geburt, wegen ihrer Schönheit zum Thron erhoben; sodann in ihre ursprüngliche Niedrigkeit zurückgestoßen; und endlich wegen ihrer Tugend wieder zu königlicher Würde hergestellt, mit größerem Glanze denn zuvor. Miß Robinson, die Tochter eines Musikers von geringer Bedeutung, ihrer Schönheit und Talente wegen auf den theatralischen Thron erhoben; sodann ihre hohe dramatische Stellung verlassend und sich erniedrigend zu dem Charakter der Maitresse eines Edelmannes, welcher sie endlich für seine Frau erklärt und mit allen Ehren, Privilegien und dem Glanze einer Peereß von Großbritannien ausstattet. Die beste Arie in Griselda scheint ›Son qual face‹ zu sein, in welcher sich würdige Haltung mit einer bemerkenswerth charakteristischen Begleitung vereinigt.«51

Um Bononcini's Kunst durch ein liebenswürdiges Beispiel zu veranschaulichen, wählen wir nicht diesen, sondern einen anderen, in Liedform geschriebenen und sehr populär gewordenen Gesang derselben Oper.


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

[78] Die beiden Opern Crispo und Griselda wurden der Handlung wie der Musik wegen sehr besucht und gepriesen. Nichts beweist ihre und ihres Autors Beliebtheit mehr, als die Streitfrage, welche damals besonders in den Damengesellschaften häufig verhandelt wurde: ob Crispo den Vorzug verdiene, oder Griselda? Richard Steele hat uns in seiner besten Komödie(The conscious Lovers), die in demselben Jahre herauskam, etwas von diesen Erörterungen aufbewahrt.[79]

»Bevil..... Wie gefiel Ihnen die Oper letzten Abend?

Indiana. Zunächst erlauben Sie mir, daß ich für die Billets meinen Dank abstatte.

Bev. O, Kleinigkeit. Aber bitte, sagen Sie mir; Sie, von den Modeparteilichkeiten frei, denke ich mir die geeignetste Richterin über einen mächtigen Streit unter den Damen, nämlich, ob Crispo oder Griselda die angenehmste Oper ist.

Ind. Mit Unterwerfung denn, ich kann in dieser Frage kein Richter sein.

Bev. Wie so, Fräulein?

Ind. Weil ich für eine von ihnen eine Vorliebe habe.

Bev. Bitte, welche ist das?

Ind. Ich weiß nicht – es ist etwas in Griselda's ländlicher Hütte, ihrem trostlosen Zustande, ihrer Armuth, ihrer Vereinsamung, ihrer Ergebung, ihrem unschuldigen Schlummer und dem einlullenden dolce sogno der über ihr gesungen wird, das übte eine Wirkung auf mich aus, daß – kurzum, in keinem andern Stücke befand ich mich in so schöner Täuschung.

Bev. O, nun weiß ich mir den Streit zu erklären! Griselda, so scheint es, zeigt das Elend einer mißhandelten unschuldigen Frau, Crispo das eines Mannes in derselben Lage; deßhalb sind die Männer am meisten für Crispo und, in Folge natürlicher Begünstigung, beide Geschlechter für Griselda.

Ind. So daß also das Urtheil, meinen Sie, sich für die erste erklären müßte, obwohl das Herz und die Einbildungskraft, sowie die Höflichkeit der Männer, für die andere sprechen. Gut, ich werde nicht mit Ihnen disputiren, denn ich gestehe, auch Crispo hat seine Reize für mich, obwohl doch, nebenbei gesagt, alles Vergnügen selbst der besten Opern nur in einer heftigen Erregung der Empfindungen besteht. Es ist wirklich schade, daß an solchen Unterhaltungen der Geist nicht ein wenig mehr Theil nehmen kann. Die Musik ist gewiß schön; aber mich dünkt doch, keiner dieser neuen Componisten reicht an unsere Dramatiker, an Otway und den alten Shakespeare.

Bev. Wie, Fräulein! wenn dies eine Dame von Ihrem Geiste in einer Gesellschaft zu äußern wagte –

[80] Diener (eintretend). Herr, Signor Carbonelli ist im Vorzimmer und erwartet Ihre Befehle.

Bev. Apropos! Sie äußerten gestern, Sie wünschten den berühmten Geiger zu hören. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen letzt diese Unterhaltung zu bereiten?

Ind. Auf jeden Fall. – Ersuche den Herrn einzutreten. (Diener ab.)

Bev. Ich schmeichle mir, Sie werden eine ungewöhnliche Kunstfertigkeit an ihm bemerken.

Ind. Sie wissen immer Mittel zu finden, Herr Bevil, mir das Leben weniger lästig zu machen. (Der Musikmeister tritt ein.) Wenn es dem Herrn gefällig wäre... (Nachdem eine Sonate gespielt ist, begleitet Bevil den Meister bis zur Thüre, u.s.w.)

Bev. Sie lächeln, Fräulein, mich so höflich zu sehen gegen Jemand, dem ich seinen Besuch doch bezahle. Nun, ich muß gestehen, es scheint mir nicht genügend, daß wir diejenigen bloß bezahlen, deren Talente die unsrigen überragen (ich meine solche Talente, die auch Leute von unserm Stande zieren würden, wenn sie sie besäßen); mich dünkt, wir müssen etwas mehr thun, als sie einfach honoriren für die Dienste, welche sie uns nur deßhalb erzeigen, weil sie weniger vermögend sind, als wir.

Ind. Sie sagen ich lächle; aber ich versichere Sie, es war freudige Zustimmung zu Ihrer Handlungsweise. Gewiß, ich halte es für eine der auszeichnendsten Pflichten eines gebildeten Mannes, geringer Begüterte seinen Reichthum so wenig als möglich empfinden zu lassen.«52

Von den 62 Aufführungen dieses Jahrlaufes kommen allein auf Bononcini's Opern zwei Drittel, 41. Einige seiner Cantaten wurden in dem Ridotto am 6. März vorgetragen.

Hierzu kam noch weiteres. Am 16. Juni, dem Schlußtage dieser Saison, starb John, Herzog von Marlborough, neben dem Prinzen Eugen, welchem er innig befreundet war, der größte Feldherr und vielleicht der reichste Privatmann seiner Zeit. Bononcini erhielt den Auftrag eine Hymne auf seinen Tod zu componiren. Man ließ[81] ihn durch den alttestamentlichen Text – »Als Saul König war über Israel, warst Du es, der Israel in's Feld führte und wieder heim brachte« – mit Abner, dem Feldherrn Saul's vergleichen; sein König war aber kein Saul, sondern vielmehr ein David. Unter König Wilhelm, dem Gerechten, stand dieser Feldherr wirklich da als der Beschützer des Reiches und als der siegreiche Vertheidiger des Germanischen gegen das andringende Frankreich. Aber Bononcini's Musik ist nicht im entferntesten geeignet hieran zu erinnern, sondern läßt uns vielmehr die unrühmliche Seite dieses großen Mannes und seines Hauses erblicken. Seit Jahren hatte Marlborough – namentlich durch seine stolze, giftige, einstmals sehr schöne und allvermögende Gemahlin und durch die unbeschreiblich albernen Töchter angestachelt – in kleinlicher Rivalität gegen den königlichen Hof alles das an sich gezogen, was sich vom St. James Palast vernachlässigt glaubte. Viele vom englischen Adel, welche über die Bevorzugung der Deutschen grollten, unter ihnen die geistreiche Lady Mary Montague, englische Dichter und Schöngeister wie Congreve, und andere mehr, hielten sich zu den Marlborough's. Die neumodische, alles überflutende Musikliebe verlieh diesem Parteiwesen einen neuen Schwung und den großen Hausgesellschaften eine anziehendere Fassung. Die schnell aufschießenden musikalischen Parteiungen gingen aus dem Schooße der längst bestehenden gesellschaftlichen hervor. Kaum angelangt, fand Bononcini, als Rival des Hofmusikers Händel, bei Marlborough's Schutz und Unterstützung. Die älteste Tochter, die excentrische Gräfin Godolphin, wollte nichts als Bononcini hören. Hausconcerte, von ihm geleitet, fanden zwei mal wöchentlich statt, und brachten mit Hülfe der besten, oder vielmehr der von dieser Partei begünstigten, Kräfte der Oper nur Musik von Bononcini zur Aufführung. Natürlich wurde er allein würdig befunden, den dahingeschiedenen Feldherrn zu besingen.

In welcher Weise er es gethan hat, lehrt die gedruckte Musik53;[82] ein Werk, an Umfang klein, an Inhalt dürftig, aber für die Beurtheilung Bononcini's von Bedeutung. Der erste Satz strebt zu dem Ausdruck einer großen schmerzvollen Empfindung auf, aber alle folgenden sinken wie ermattet wieder ab, und was etwa musikalisch verdienstlich daran sein mag, ist doch weit entfernt das Herz zu bewegen. Wir wollen Bononcini nicht undankbar nennen, daß er seinem freigebigen Patron kein besseres Opfer brachte; aber das Unvermögen, seine Kunst in den gegenwärtigen, bedrängenden Moment einzutauchen, einen plötzlich hervortretenden Gegenstand in idealer Gestaltung zu bewältigen, zeigt sich darin unwidersprechlich. Diese Erscheinung erklärt sich aus dem Grundmangel seines Kunstschaffens, aus seiner Unfähigkeit, wahre lebensvolle Charaktere darzustellen, und muß bei einer Gelegenheitscomposition, wo die künstlerische Thätigkeit lediglich aus der Begeisterung für eine bestimmte Person befruchtet wird, am offensten zu Tage treten. Freilich müssen wir sagen, daß im gegenwärtigen Falle damit ein Mangel des Menschen eng zusammen hing, und daß eine so inhaltlose Musik nicht möglich gewesen wäre ohne jene, diesem Italiener eigne Herzlosigkeit, die eine der edelsten und schönsten Regungen, das reine menschliche Mitgefühl, nicht aufkommen ließ. Wären die Marlborough's nicht längst von ihrer Höhe zu übermüthigen, geldstolzen Beschützern alles Schwächlichen, Halben und Krankhaften herabgesunken: so wäre ihnen jetzt in Händel ein Tonkünstler nahe gewesen, dessen gesammte Kunst in Charakterdarstellung aufging, der eine Heldenseele und den Schmerz der Trauernden mitfühlend verstand; und die Schlußfeier eines solchen Lebens hätte dann die großen Thaten desselben denkwürdig verewigt.

Bononcini gab ferner in diesem Jahre heraus: »Divertimenti da Camera, tradotti pel Cembalo da quelli composti pel Violino o Flauto (London, 1722)«, nämlich verschiedene seiner musikalischen Sätze für das Clavier eingerichtet, gleich den Cantaten ohne Beihülfe eines Verlegers publicirt und von seiner Wohnung in Suffolkstreet aus an die Eingeweihten abgelassen. Natürlich waren diese blind und jeder Vergleichung mit der ebenfalls im Druck erschienenen Claviermusik von Händel, wenigstens für den Augenblick, unzugänglich.

Noch von anderer Seite kamen ihm Gunst und Glück entgegen[83] Der vor kurzem verstorbene Herzog von Buckingham hatte zwei Tragödien hinterlassen, »Julius Cäsar« und »Tod des Brutus«, d.h. zwei aus dem Einen Julius Cäsar von Shakespeare ganz nach französischen Mustern zurecht geschnittene Stücke, deren Akte also durch musikalische Chöre verbunden werden mußten. Die Wittwe ließ eine Aufführung vorbereiten. Der gute Galliard hatte schon mehrere Chöre componirt; um aber der Sache eine besondere Weihe zu geben, wurde der im vollen Glanze stehende Bononcini mit herangezogen54. Die Herzogin, viel entschiedener als die Marlborough's dem Hofe abgewandt, gab ebenfalls glänzende Hausconcerte, in denen außer Bononcini fast nur englische Musiker und Sänger mitwirkten; hier festigte sich also die Verbindung zwischen dem einseitig Italienischen und dem einseitig Englischen, zwischen der Unkunst hüben und drüben, um sich gegen den großen Vereiniger und Vollender der verschiedenen nationalen Kunstweisen so lange wie möglich zu halten. Man kann aber nicht ohne Lächeln wahrnehmen, daß das Haus Buckingham seine ausgesprochene Begünstigung des »Britischen« damit anfing, eines der größten vaterländischen Kunstwerke durch französirende Umschmelzung zu zerstören.

Daß dennoch Bononcini's Opern so bald wieder von der Bühne verschwanden, Griselda nur eine Saison erlebte, und selbst Händel's Floridant im Ganzen ebenso oft und öfter aufgeführt wurde, als diese Lieblinge des Tages, liegt in der Natur solcher Erscheinungen. Was so wesentlich auf schwächliche Kräfte und Neigungen gebaut war, mußte sich namentlich hier in England auf ein baldiges Ende gefaßt machen. Der Schmetterling, der bunt und heiter seinen Tag durchflattert, liegt bei der geringsten Wetterwende darnieder. Und so war das Auftreten einer Sängerin von anderer und höherer Begabung, als Miß Robinson, allein schon hinreichend, Bononcini's Thätigkeit für immer zu lähmen.

Bei dem Ablaufe dieses Jahres befand sich auch die Kasse der Opernakademie in einem sehr erfreulichen Zustande; daher wird ein Rückblick auf ihre Thätigkeit hier am rechten Orte stehen.[84]

Es waren im ersten Jahrlaufe 22 Vorstellungen gegeben und zwei Zahlungen zu fünf Procent nöthig geworden. Die Subscribenten bezahlten also ihren Platz mit 10 Guineen, folglich jeden Abend beinahe mit einer halben Guinee. Das einzelne Billet kostete dasselbe. Konnten die Subscribenten deßhalb ihre Zahlung keineswegs übertrieben nennen, um so weniger, als ihnen nicht nur der beste Platz, sondern auch der Besuch der Proben freistand: so lag es doch ganz außer ihrer Berechnung, ebenso viel zu zahlen, als die Besucher einer einzelnen Vorstellung.

Als daher im zweiten Jahre für 58 Vorstellungen vier Zahlungen, drei von 5, und eine von 4 p. C., also £ 20, oder etwas über zwei Thaler für den Abend, eingefordert wurden, zeigte man sich sehr lässig; wiederholt wurden Mahnungen und Drohungen nöthig. 400 Karten bestimmte man zu freiem Verkaufe; die Bestimmung, daß weder den Subscribenten noch den Directoren der Zutritt auf die Bühne gestattet sei, und die Versicherung, daß man die Eingänge mit besseren Dienern versehen habe, lassen auf's neue den unordentlichen Zustand der ersten Saison erkennen.

Für das dritte Jahr, nachdem am 22. November '21 ein neues Directorium gewählt und der Herzog von Manchester zum Vicepräsidenten ernannt war, einigte man sich über eine neue Art von Subscription, welche auf Ansuchen einiger Opernfreunde unter folgenden Bedingungen eröffnet wurde. Für 20 Guineen sollte eine für die ganze Saison gültige Karte abgelassen werden, unter Anzahlung von zehn Guineen bei Empfang derselben, und von je fünf am 1. Februar und am 1. Mai. Dafür verpflichtete sich die Akademie zu 50 Vorstellungen oder entsprechender Rückzahlung.55 Man reducirte den[85] gewöhnlichen Kassenpreis von einer halben Guinee also um ein Fünftel: und wie die Akademie namentlich für das Londoner Operntheater grundleglich wurde, so hat sie auch die Jahressubscription zuerst versucht. Von den 62 Vorstellungen dieses Jahrlaufes waren bereits acht gegeben, als dieser Plan beliebt wurde; den neuen Subscribenten blieben also immer noch 54. Die Mitglieder der Akademie zahlten in diesem Jahrlaufe zweimal 5 p. C., mithin nur 10 Guineen; in dem folgenden für 64 Vorstellungen sogar nur 5 Guineen: und hiermit erlebten sie ihren besten Tag. Es ging sogar das Gerede, daß ein baarer Gewinn vorliege und in nächster Zeit zur Theilung gelange.56 Dazu durfte man es vernünftigerweise niemals kommen lassen, sondern zufrieden sein, wenn den Mitgliedern der Platz für den geringen Jahresbeitrag von 5 Guineen, oder wohl gar umsonst gesichert wurde, was bei einer redlichen Verwaltung nicht unmöglich war. Aber man konnte die Südseenatur, in welcher der Plan erzeugt war, den Kunsthandel oder Kunstschwindel, nicht verläugnen, und so kam es anfangs Februar '23 wirklich zu einer Dividende von 7 Procent, was die Gesellschaft natürlich zu schneller Ueberbietung des bisher geleisteten und somit zu allgemeiner Ueberstürzung verleitete. »Wenn sie mit solchem Erfolge fortfährt, woran nicht zu zweifeln ist«, fügt die Londoner Zeitung bei Mittheilung dieser Nachricht hinzu, »wird sie bei der so schnell verbreiteten Musikliebe bald wichtig genug erscheinen, um einigen Corporationen unserer Altstadt aufgepfropft zu werden.«57 Von neuen Musik-Corporationen[86] in der in musikalischer Hinsicht zurück gebliebenen und daher oft bespöttelten Londoner Altstadt werden wir bald weiter hören.


Vierter Jahrlauf: vom 27. Oct. '22 bis zum 15. Juni '23.


Bei dem günstigen Stande der Finanzen erhielt die Gesellschaft einen Zufluß von etwa 50 Jahressubscribenten; daher kündigt sie an, jetzt nur noch 350 einzelne Billets ablassen zu können, nicht 400 und darüber wie früher.

Was man mit Recht zunächst für nothwendig hielt, war eine erste Sängerin von wahrhaft künstlerischer Bildung und echt weiblichem Gesange. Signora Durastanti war zu hart und männlich geartet, Miß Robinson sentimental unkünstlerisch, und unter diesem Zwiespalt hatten eben die besten Werke am meisten zu leiden. Händel empfand den Mangel einer solchen Sängerin gar sehr; sein Wunsch sollte nun sehr bald, aber durch eine der abenteuerlichsten Personen erfüllt werden.

Francesca Cuzzoni, um das Jahr 1700 in Parma geboren, war in ihrem Vaterlande schnell berühmt geworden. Ihr Gesang, verständnißinnig, seelenvoll und ergreifend, ward durch keinerlei Mängel musikalischer Bildung gehemmt. Franzesco Lanzi hatte ihre helle, höchst wohllautende und biegsame Stimme, die sich in der vollen Sopranlage vom eingestrichenen bis zum dreigestrichenen C bewegte, durch reine Intonation, sichere Cadenzen und Triller und durch beständige Hinweisung auf das Natürliche, Ungezwungene, kunstvoll Einfache zu einem so machtvollen Organe ausgebildet, daß ihr die höchsten Wirkungen gelangen. Man nannte sie nur die goldne Leier.

Die wirklich schöne Seele, die im goldnen Gewande der Kunst aus ihr sprach, war aber durch einen häßlichen Körper und noch häßlichere Leidenschaften verunstaltet. Der Widerstreit des Künstlerischen und Menschlichen in ihr blieb allen, die sie hörten und sahen, ein merkwürdiges, viel besprochenes, aber immer unerklärliches Räthsel.

Mit dieser Dame schloß Heidegger, der technische Director des Theaters, der ebenfalls bemerkenswerthe vielseitige Fähigkeiten in einem wahrhaft abscheulichen Körper beherbergte, einen Contrakt ab und zahlte ihr £ 250 Handgeld. Zum Anfange der Saison versprach sie sich einzustellen, deßhalb fing man schon im October an, Händel's[87] neue, auf ihre Mitwirkung berechnete Oper Otto zur Aufführung vorzubereiten.58 Als sie zu kommen verzog, wurde man unruhig, besonders Heidegger, und sandte ihr den als Clavier- und Orgelspieler bedeutenden, mit Händel befreundeten Pietro Giuseppe Sandoni, welcher in der Oper den zweiten Flügel spielte, entgegen. Auf der Reise entspann sich ein näheres Verhältniß und sie machten ohne Umstände Hochzeit.59 Der gute Mann warf seine Augen nicht auf die Frau, sondern auf das Geld, wurde aber sehr getäuscht, und wirklich entsetzlich gestraft: denn nach einem Leben voll Unfrieden, ebbend und flutend in Mangel und Ueberfluß, ermordete sie ihn. Endlich in der letzten Woche des Jahres 1722 erreichte sie London. Der Ruf der größten lebenden Sängerin, die sie auch wirklich war, ging ihr vorauf und verhieß genußreichere Opernabende als je zuvor.60 Sie bekam jährlich. £ 2000 und den Ertrag einer Vorstellung. Nachdem sie sich bei Hofe hören lassen, trat sie am 12. Januar '23 in der folgenden Händel'schen Oper zuerst öffentlich auf.


Ottone. 1722.

Das Werk entstand im verflossenen Sommer; am Schlusse des Chores steht die Bemerkung: »à Londres | August 21n/10v st | 1722«. Der uns schon bekannte Nicola Haym war jetzt als Dichter und Secretär an Rolli's Stelle gerückt; er hat das Gedicht, diese »von den ersten Künstlern Europa's« hier aus- und aufgeführte Oper, seinem Wohlthäter, dem Grafen von Halifax zugeschrieben.[88]

Diese Oper ist das zweite Meisterwerk, welches Händel für die Akademie setzte, ein wahrer melodischer Leckerbissen. »Die Zahl der Gesänge in Otto, welche allgemein beliebt wurden«, sagt Burney, »ist vielleicht größer als bei irgend einer andern in England aufgeführten Oper. Wirklich, es ist kaum ein Gesang in Otto zu finden, der nicht ein allgemeiner Liebling geworden wäre, entweder vocal oder instrumental. Und die Tongänge in dieser wie in andern Opern, die Händel um diese Zeit componirte, wurden die musikalische Sprache der Nation, und sprichwörtlich in einer Weise wie in den Gesellschaften die bon mots eines witzigen Mannes: so daß alle Musiker im Königreiche lange nach dieser Periode, wenn sie unternahmen etwas zu componiren was sie ihre eigne Musik nannten, keinen andern Vorrath von Ideen gehabt zu haben scheinen, als eben diese Passagen.«61 Die Beliebtheit dieser Oper fing schon mit der Ouvertüre an, die einst in Aller Ohren hing. In formeller Hinsicht von dem schönsten Zusammenhange, war sie durch Geist, Munterkeit, in der Fuge auch noch durch die angenehmsten Kunstgriffe, und im Ganzen durch melodische Fülle allerdings nur zu sehr geeignet, die Versuche der Gegner niederzuspielen; und am sichersten ward dies erreicht durch die Gavot, welche den Schlußsatz bildet, eine schöne populäre Melodie fast übermüthig frohen und humoristischen Charakters, die, wie Burney wieder bemerkt, »obwohl nun durch den häufigen Gebrauch als Hornpipe oder ländlicher Tanz gemein gemacht, vormals Alles entzückte was sie spielen konnte oder spielen hörte, auf allen möglichen Instrumenten von der Orgel bis zum Hackbrett«62. Ein solches Gemeinmachen, nach welchem jeder Tonsetzer dürstet, hat doch seine unendlich anziehende Seite: ist es doch die beste Gewähr für die innere Ursprünglichkeit[89] eines Tonstrahles, der nicht mit mattem wirkungslosem Lichte Alles gleichmäßig bedeckt, sondern der sonnenhaft die Erscheinungen durchdringt und uns im reichsten Farbenspiele aus ihnen wieder entgegenleuchtet, veredelt oder vergröbert je nach dem Gegenstande in welchen er eindringt; der das feinbesaitete Gemüth durch seinen Kunstgehalt entzückt, dem arbeitsamen Musiker einen verwendbaren Tongedanken darbietet, das Landvolk singen und springen macht, Liebenden ein Mittel reicht die Summe ihrer Freude in Eins zu fassen, und selbst die Kinderschaar zu harmonischem Kreise ordnet.

In dieser Oper ist die Musik nicht minder dem dramatischen Charakter angemessen, als im Rhadamist, aber die Gesänge sind etwas abweichend gestaltet. Als Händel den Rhadamist schuf, hatte er noch kein Opernpublikum vor sich; er mußte sich an den Kreis von Musikfreunden halten, welcher in der Umgebung des Herzogs von Chandos seinen Tönen lauschte, und so wurden die Arien im Rhadamist denen in Esther und Acis und Galatea sehr ähnlich. Jetzt aber stand ihm ein in seinen Neigungen gründlich erforschtes Publikum vor Augen, und die tiefgehende Wirkung des Otto hing zum guten Theile davon ab, daß die Gesänge nach dem Fassungsvermögen und so zu sagen Bononcini'schen Geschmacke seiner Zuhörer möglichst kurz gehalten und für bekannte Sänger geschrieben waren.

Nur die für die Cuzzoni bestimmte Hauptpartie entstand, als Händel noch nicht persönlich, sondern erst durch Nachrichten Anderer mit der Art und dem Umfange ihrer Stimme bekannt sein konnte. Die persönliche Berührung wurde durch einen wunderlichen Vorfall eingeleitet. Sie gab die Theophane, eine griechische Prinzessin, welche von Konstantinopel nach Rom kommt, um dem, ihr nur durch ein Bildniß bekannten deutschen Könige Otto vermählt zu werden. Anstatt des Otto tritt ihr dort ein anderer Anbeter, sein Feind, der Prinz Adelbert aus der Lombardei, entgegen und nimmt sie als seine Braut in Empfang. Sie erschrickt vor dem widerwärtigen, dem ihr gesandten Bildnisse so unähnlichen Manne, und beklagt, allein gelassen, die ihr noch immer unerklärliche Täuschung in der Arie »Falsa imagine, Falsches Bildniß, du betrogst mich, denn du zeigtest ein holdes Antlitz mir« u.s.w. Händel hat die Unruhe der Theophane, ihre Verwirrung und ihr Erstaunen, ihren durch eine erhoffte Aufklärung[90] noch zurückgehaltenen Schmerz bewundernswürdig charakteristisch ausgedrückt in dieser nur von einem schönen Violoncellbasse begleiteten, durch kleine sprachliche Einschnitte bezeichneten, recitativischen und gesanglichen Ausdruck vereint zulassenden Melodie. Der Gesang ist, bei herrlichem Schwunge und einheitlicher Haltung, doch im schönsten Sinne individuell gestaltet, und einer bedeutenden Sängerin war es möglich, ihm durch gute Ausführung der leicht und hoch aufflatternden Gänge noch einen besonderen Reiz zu verleihen. Händel hatte natürlich seine Freude an einem solchen Geschöpf, das ihm Niemand nachmachte, und das selbst bei ihm nicht gar viele seines Gleichen hat; der Erfolg bestätigte auch seine Vorliebe nur zu sehr, denn Falsa imagine wurde schnell berühmt und wird es immer bleiben. Man denke sich nun: als er zwecks Einübung der Partie zu Signora Cuzzoni ging und sie zunächst an diese Arie kamen, wollte sie sie nicht singen! Zu der Art, wie sie ihre erste Erscheinung vor einem fremden Publikum einleiten wollte, schien ihr ein getragener Gesang erforderlich! Hierüber mußte sie allein zu bestimmen haben, machte man doch schon damals in Italien den Sängern dieses Recht längst nicht mehr streitig! Auch war durchaus nöthig, einen noch jüngeren Tonsetzer, der nicht einmal Italiener war, und der nach ihrer Meinung neben dem allbekannten Bononcini hier höchstens die zweite Stelle einnahm, rechtzeitig an Unterwürfigkeit zu gewöhnen! Und kurzum, sie wollte die Arie nicht singen! Dies in ihrem wilden Trotze so beleidigend hin geworfen, brachte Händel außer sich: in flammendem Zorne, jeder Selbstbeherrschung unfähig, rufend »Daß Sie ein leibhaftiger Teufel sind, weiß ich, aber Sie sollen wissen, daß Ich Beelzebub bin, der Teufel Oberster«63 – ergriff er sie, der riesenstarke Mann, hob sie auf und hielt sie, zitternd vor Wuth, in das offne Fenster, indem er schwur, sie unfehlbar hinunter zu werfen, wenn sie nicht gehorche. Schreiend, in Todesängsten, versprach sie alles: und dieser weibliche Gottseibeiuns aller italienischen Capellmeister war fortan gegen Händel musterhaft gehorsam. Sie hatten[91] sich jetzt verständigt. Ihre Zähmung bewirkten zwei starke Mächte: Furcht vor ihm, und der alles Erwarten übersteigende Erfolg, den sie ausschließlich mit seinen Compositionen erreichte. Das Komische in diesem sonderbaren Begegniß spricht sich in Händel's Worten aus »er wisse wohl, wer sie sei, aber sie wisse nur nicht, wer Er sei«, und in dem thatsächlichen Beweise, der hier wie der Donnerschlag dem Blitze folgte. Bei allen solchen Ausbrüchen, wie wir noch mehrfach wahrnehmen werden, sprangen bei Händel zwei Adern zu gleicher Zeit auf, die zornige und die humoristische; und das verlieh diesen sonst so peinlichen Scenen das von den Zeitgenossen oft mit Erstaunen bemerkte Gewaltige, Eigenthümliche und Versöhnliche. Uebrigens muß man nicht vergessen, was für Menschen es waren, die diese Scenen veranlaßten, und was die Folge gewesen wäre, wenn Händel die Meuterei nicht schon im Keime erstickt hätte. Sandoni, der Gemahl der Cuzzoni, ließ sich durch diesen Auftritt so wenig in seinem guten Verhältnisse zu Händel stören, daß er vielmehr, der bei den Streitigkeiten mit seiner Frau gewöhnlich den Kürzern zog, Händel's energische Erledigung nicht ohne Neid billigte, ungefähr wie Lucretio die des Petruchio in Shakespeare's »Zähmung der Widerspänstigen«.

Die Hauptarie der Theophane (Cuzzoni) steht gegen Ende des ersten Aktes. Als sie plötzlich die Ankunft des wirklichen Otto in Rom vernimmt, aber unter Umständen, die es zweifelhaft machen, ob sie je zu ihm gelangen werde, bricht sie aus: »Affanni del pensier, Bekümmerte Gedanken, gönnt mir doch einen Augenblick Ruhe – ach, vergebens! unaufhörlich plagt ihr mich!« Der Gesang gehörte wieder zu denen, welche durch ihre geist- und kunstreiche Composition besonders den Musikern imponirten. Einer von diesen, der unserm Händel nichts weniger als wohlgesinnt war, soll bei Betrachtung desselben ausgerufen haben: »Der große Bär war gewiß begeistert, als er dieses Lied machte«.64 Warum diese Sorte von[92] Componisten besonders seine Sologesänge mit ihrem Lobe bedachte, und nicht z.B. solche Sätze wie das wunderschöne Duett am Schluß des zweiten Aktes »Notte cara«, welches ebenfalls eine kunstvolle Arbeit mit vier selbständigen Stimmen bildet, ist leicht zu erklären; denn hier konnte man mit einigem Rechte behaupten, es sei nach Steffani'schen Mustern angelegt, während Niemand zu sagen wußte, wo er die Vorbilder zu jenen, um in der Sprache des Handwerks zu reden, von vier Realstimmen begleiteten Einzelgesängen könnte hergenommen haben.

Wir wurden nun diese Anekdote über die Inspiration des großen Bären, so unterhaltend sie auch ist, gern preisgeben, wenn uns Jemand dafür die Geschichte der Entstehung dieses Gesanges erzählen könnte. Es muß eine besondere Bewandtniß damit gehabt haben. »Affanni del pensier«ist dem »Ombra cara« in Rhadamist (S. 37) so ähnlich, wie ein Gesang es überhaupt sein kann, der sich von einer bloßen Copie noch unterscheiden will. Tonart, fugirte Behandlung der Begleitstimmen, einzelne kleine Figuren, ja die ganze Strömung der Musik, alles erinnert an das genannte Vorbild, obwohl die Melodie ganz anders ist und im Bunde mit der sublimen Begleitung uns eine Stimmung vorführt, die von der bei Rhadamist vorhandenen um soweit abweicht, als das Verlangen nach Ruhe im Widerstreite mit selbstquälerischen Vorstellungen von der Sehnsucht nach der abgeschiedenen Gattin, durchglüht von Rachegedanken, verschieden ist. Nun ist möglich, daß Händel bei »Affanni del pensier« zu dieser Anlage kam lediglich, um eine so tiefgehende Wirkung mit ähnlichen Mitteln auf's neue zu erzielen; wahrscheinlicher ist aber, daß eine äußere Anregung mit im Spiele war, der Wunsch von Freunden, ein ähnliches Gebilde noch einmal zu erleben, oder ihr Zweifel, ob ihm ein solches auch wieder gelingen werde: so daß er diesen »inspirirten«[93] Gesang sehr wohl aus Gefälligkeit oder aus Trotz gemacht haben kann.

Dann erklärt sich auch ungezwungen, wie Händel in der für Senesino erst nach der ersten Vorstellung, wahrscheinlich zum 26. März, gesetzten Arie »Tanti affanni« zum zweiten Male auf dasselbe Muster zurückkommen konnte. Sind Wunsch und Wetteifer einmal angeregt, so schweifen sie leicht über das zuerst gesteckte Ziel hinaus. Wir haben auch hier dieselbe Tonart, dieselbe fugirte Behandlung der begleitenden Stimmen, und wieder die bewundernswürdigste Verwendung der Mittel zur Darstellung einer verwandten, aber keineswegs gleichen Stimmung. (Otto: »Die Pein des Herzens läßt mich kaum zur Besinnung gelangen; finde ich meinen Schatz nicht, so habe ich nichts mehr zu hoffen.«) Auch dieser Gesang ist durch und durch golden, prächtig und kunstvoll charakteristisch. Eine vergleichende Betrachtung dieser drei TonsätzeOmbra cara, Affanni del pensier und Tanti affanni müßte einen einsichtigen Kenner schon sehr weit in die Tiefen des Händel'schen Genius einführen. Von welcher unerschöpflichen Fruchtbarkeit muß ein Boden sein, der schnell nach einander dreimal dieselbe schwere Saat auf's herrlichste gedeihen läßt!

Zu den Hauptstücken der Cuzzoni gehörte auch der recitativische Satz »O grati orrori«, von dessen Wirkung die Zuhörer zeitlebens erzählten. Die Schönheiten dieser Oper erschöpfend zu besprechen, würde sehr viel Raum erfordern; das Mitgetheilte möge genügen. Auch in der Besetzung war sie das vollständigste der bisher aufgeführten Werke; alle sechs Sänger (Senesino, Berenstadt, Boschi, – Cuzzoni, Durastanti, Robinson) waren in ihrer Art vorzüglich bedacht, wie denn das genannte schöne Duett »Notte cara« von den Damen Durastanti und Robinson gesungen wurde, und die Arie der ersten »Vieni o figlio« sogar in der ganzen Oper vielleicht diejenige sein möchte, welche gegenwärtig den leichtesten und weitesten Eingang fände.

Die erste Vorstellung fand am 12. Januar statt. Zu der zweiten am funfzehnten, oder richtiger gesagt: zu dem zweiten Auftreten der Cuzzoni wurden Karten zu vier Guineen verkauft, nämlich von den Zwischenhändlern, die damit die Stadt durchzogen; die Preise[94] blieben längere Zeit beträchtlich hoch.65 Signora Cuzzoni wählte auch diese Oper zu ihrem Benefiz am 26. März, und Händel, um ihr dafür, daß er sie anfangs so hart mitnehmen müssen, etwas Liebes zu er weisen, componirte ihr dazu »drei neue Gesänge und eine funkelnagelneue Scene, Three new Songs, and an entire new Scene.«66 Man beeilte sich, ihr auf alle mögliche Art seine Anerkennung zu beweisen; unter der ungeheuren Menge die zusammen strömte, hatten Einige vom Adel ihr Billet mit funfzig Guineen bezahlt! Die Londoner Zeitung, nach einem patriotischen Stoßseufzer, erinnert indeß daran, daß Signora Faustina in Venedig sie noch übertreffen solle und, wie man höre, schon nach London eingeladen sei.67 Die Ueberstürzung nahm unaufhaltsam ihren Lauf, auch jetzt noch, wo allein durch eine weise und bedachtsame Verwendung der vorhandenen Kunstmittel Großes und Dauerndes zu leisten war.

Otto wurde im Jahre 1725 in Braunschweig, und 1726 in Hamburg gegeben. In Braunschweig sang der nachmals berühmte Graun den Adelbert; die Musik war hier »von Händel und Lotti« gemischt.

Fast gleichzeitig mit der Cuzzoni hatte man in Attilio Ariosti einen dritten Componisten berufen. Es war ein Mißgriff, wahrscheinlich veranlaßt durch ein zufällig gelungenes Werk dieses musikalischen Priesters. Daß man wirklich große Erwartungen von ihm hegte und diese in seiner Oper Coriolan, von Haym gedichtet, mit welcher er am 19. Februar '23 vor die Akademie trat, auch erfüllt sah, ist schon aus der Mittheilung einer Zeitung ersichtlich: »Die letzte neue Oper, Coriolan, soll alles übertreffen, was man je in dieser Art auf der Bühne gesehen hat.«68 Und auch ein so unparteiischer Mann, wie der Autor des in der Beilage mitgetheilten Lobgedichtes auf Händel, gab zu, Attilio dürfe sich dieses Werkes mit Recht rühmen.[95] Das eigentlich Durchschlagende darin war die Gefängnißscene, bei der besonders die weiblichen Zuschauer viele Thränen vergossen. Hierauf anspielend, sagt Gay in seiner Bettler-Oper, er habe ebenfalls eine Gefängnißscene angebracht, da eine solche für die Damen doch immer so gefühlvoll und rührend sei. Auch die Musik zu dieser Scene ist gut, naturgetreu und zweckmäßig; daß sie sich aber »zu dem höchsten Grad der Vollkommenheit aufschwang, welchen die Musik erreichen kann«, ist eine Behauptung von Hawkins69, die er auch verantworten mag. Die Oper erwies sich besonders der Durastanti günstig, und wurde daher am 12. März zu ihrem Benefiz gewählt. Jede der drei Damen hatte jetzt ihr Paradepferd; Robinson: Griselda von Bononcini, Cuzzoni: Otto von Händel, Durastanti: Coriolan von Ariosti.

Hierauf brachte Bononcini am 30. März eine neue Oper, Erminia, ein unbedeutendes Werk; und Händel, gleichsam um auch einmal schwache Schritte mitzumachen, am 14. Mai ein vergleichungsweise nicht viel gehaltvolleres:


Flavio. 1723.

Das Original enthält am Ende die Bemerkung: »Fine dell Opera | London May 7. | 1723.« Den Text hat Haym, der Dichter, den Directoren der Akademie insgesammt zugeschrieben, sie erinnernd, daß ein Theater, zu welchem er im Jahre 1705 den ersten Stein legen helfen (s. I, 272), nun durch die Protection der Edlen des Landes unerwartet schnell dahin gelangt sei, selbst mit Italien um die Palme zu ringen.

Was damals der Verfasser einer »Epistel an Herrn Händel« dem Componisten über diese Oper mitzutheilen hatte, kann ich nicht sagen, da der Brief sich bisher, allen meinen Nachforschungen trotzend, versteckt gehalten hat.70 Jetzt giebt Flavius zu erheblichen Bemerkungen viel weniger Anlaß, als die meisten übrigen Opern, und mit[96] Burney's Versicherung, »daß seine unzähligen schönen und meisterlichen Züge hingereicht haben würden, einem geringeren anfangenden Componisten eine Position zu machen«71, können wir hier darüber hinweggehen.

Die 64. Vorstellung beschloß am 15. Juni mit Flavius die Saison. Das Opernhaus wurde im Sommer neu ausgebaut und »von den besten Meistern bemalt«.72

Das Vertrauen auf Bononcini's musikalische Macht war durch die Ereignisse dieses Jahrlaufes in London schon sehr erschüttert; auswärts aber muß er noch immer für den bedeutendsten der drei Meister gegolten haben. Der Herzog von Orleans, Regent von Frankreich, ersuchte (bei allgemeiner Fluth der italienischen und großer Ebbe der französischen Oper) die Londoner Akademie, ihrer Gesellschaft ein Gastspiel in Paris zu gestatten unter Bononcini's Leitung.73 Daß solches geschah, können wir auch aus einer, freilich ungenauen Angabe Gerber's74 schließen. Das Gastspiel wird sich über den größten Theil der vier Monate Juli bis October erstreckt haben. Es ist in den Annalen der Pariser Theater fast unbeachtet, aber doch nicht ohne Einwirkung vorüber gegangen. Rameau, der schon in den nächsten Jahren die französische Oper machtvoll neubeleben sollte, hörte Bononcini's Gesänge, und ihr Einfluß auf ihn war so offenkundig, daß Marpurg fragen konnte: »Ist nicht der Geschmack des Herrn Rameau da, wo er nicht Lullyisch sein will, ungefähr der Geschmack eines Bononcini?«75

Die große musikalische Aufregung erstreckte sich auch auf die britischen Patrioten. Alle beseufzten den »ausländischen Unsinn« und die inländische Noth, das Unterliegen aller besseren künstlerischen Studien und Bestrebungen. So schrieb Gay an Swift am 3. Februar '23, kurze Zeit nach der Aufführung des Otto: »Unsere jetzigen Vergnügungen anlangend, ist alles ausschließlich musikalisch; ich[97] meine, lauter Fideln, Violoncells und Oboen, keineswegs poetische Harfen, Lyren und Flöten. Keiner darf sagen ich singe, ausgenommen Eunuchen und Italienerinnen. Jedermann ist setzt ein so großer Kenner von der Musik, als man es zu Ihrer Zeit von der Poesie war; und Leute, die nicht eine Melodie von der andern zu unterscheiden wissen, disputiren täglich über die verschiedenen Style von Händel, Bononcini und Attilio. Homer, Virgil und Cäsar sind jetzt vergessen, oder wenigstens um ihr Ansehen gekommen; denn in allen gebildeten Gesellschaften London's kommt man täglich darin überein, Senesino für den größten Mann zu erklären der jemals lebte.«76 Mit solchen Uebertreibungen des an sich schon Uebertriebenen, nicht mit mannhaften künstlerischen Thaten, suchten die Patrioten sich damals zu helfen. Ein Blick auf das englische Theater in den letzten vier Jahren lehrt dies noch deutlicher.

Schon im Jahre 1718 war ein Zweig des französischen »Theatre Italienne«, einer ursprünglich italienischen, in Paris naturalisirten Gesellschaft, nach London gekommen. Man spielte im Theater in Lincoln's-Inn-Fields mit Beifall der Vornehmen und auch wohl »auf Befehl Seiner Majestät«. Harlekin war die Hauptperson; Parodien der ernsten Oper oder der in ihr behandelten Gegenstände und sonstige schale Witze nebst Tänzen, Seiltänzereien, Singen und Schreien bildeten den wichtigen Inhalt. Die Sprache war französisch77, oder vielmehr, wie die gedruckten Stücke zeigen, ein französisches und italienisches Durcheinander. Der kaum erwartete Beifall veranlaßte die Gesellschaft Ende 1720 nach London zurückzukehren, aber sich ein besser gelegenes Theater zu bauen: und so bezog die »französische Komödie« ihr neues »kleines Theater am Heumarkt, der Oper gegenüber«, und eröffnete hier ihre Vorstellungen am 29. December '20, als eben ein englisches Schauspielhaus aus Mangel an Unterstützung[98] niedergerissen werden mußte.78 Ausländische Sprache, Harlekin's Späße und die Reize der Tänzerin Violante erwiesen sich viele Jahre hindurch anziehend. Signora Violante wurde eine der Londoner Skandal-Berühmtheiten.

Wie sich das englische Theater in solcher Lage und Umgebung hätte benehmen sollen, ist heute leicht zu sagen, schien aber damals Allen ein Räthsel zu sein. Man empfand wohl den Gegensatz des Alten und Neuen, des Eignen und Fremden, aber doch nur so im Allgemeinen und ohne kraftvolle Einsicht. Als Welsted im Jahre 1721 in einem Prologe zu Shakespeare's Lustspiel »Maaß für Maaß« der eben hinabstürzenden Südseegesellschaft ihre ungeheuren Thorheiten nachrief, schildernd, wie alle Leidenschaften für eine Weile in dieser einzigen, der Gier nach Gold, zusammen flossen und Wechsler zu der Wichtigkeit eines Staatsministers erhoben, warf er auch einen Blick auf die Tüchtigkeit der Bühnenkunst früherer Zeit, sowie auf die Castratenbewunderung der jetzigen, und schloß:


– – »die alte Weisheit räumt das Feld,

Und Shakespeare weicht, wo ein Bercelli singt.«79


Aber dieser bedeutende Vergleich verliert fast alles Gewicht, wenn uns zur selben Zeit gesagt wird, daß die Engländer die Lustspiele eines Etherege denen des Shakespeare vorzögen. Ist in einer Kunst das Höchste einmal erreicht, so wird die weitere Entwicklung dieses Zweiges am einfachsten nach ihrer Stellung zu diesem Ideal beurtheilt; und das Ideal verdunkeln, die Kraft der leuchtenden großen Vorbilder abschwächen, ist ein sicheres Zeichen der Verirrung. Die Art wie die Patrioten unter den Engländern – nur diese kümmerten sich noch um den Dichter – sich damals zu Shakespeare stellten, offenbart uns ihr Denken und Können auf die unzweideutigste Weise. Anfangs Februar '22 fand eine Aufführung des Hamlet statt, nämlich »zu einem wohlthätigen Zwecke«, wie bisher in Deutschland die Oratorien.[99] Ein Bewunderer des Dichters äußert in seinem kritischen Ergusse, Jedermann halte Hamlet für das Meisterwerk Shakespeare's, der »viel leicht« das größte Genie in der dramatischen Dichtung sei, ein Autor, bei dem es leichter sei, Fehler zu entdecken, als sie zu corrigiren, wie die gelehrten Kritiker bezeugten; und obwohl die Kritiker bei diesem Schriftsteller mehr, als bei irgend einem andern, bemüht gewesen, Fehler an's Licht zu setzen, so habe Er doch noch etwas gefunden, was dem Scharfsinn Aller bisher entgangen: daß nämlich Hamlet, als er den König im Gebet findet, seinem sonstigen Charakter ganz widersprechend in weiche Gefühle ausbreche, statt den Bösewicht in dieser günstigen Situation schnell zu erstechen! das sei äußerst vergriffen! er empfehle den Spielern, die schon so manche Besserung angebracht, dieses ebenfalls zur Rücksichtnahme!80 Uns klingt dies natürlich wie ein höhnender Scherz über das bessernde Zustutzen des Komödiantenmeisters Cibber; und doch war es des Mannes völliger Ernst. Gegen Ende des folgenden Jahres wurde Heinrich V. gegeben, mehr nach als von Shakespeare, nämlich durch Aaron Hill von Grund aus umgewühlt, und bei leerem Hause. Der »Treue Brite«, erinnernd, daß alles Gute darin aus der alten Dichterquelle geflossen sei, beschließt seine Besprechung mit diesen Worten: »Die Leser werden für jetzt von Käte und ihrem Liebsten genug haben; aber wessen Appetit stark genug ist, der wird noch Schönheiten die Fülle finden, wenn er auf das Original, auf Shakespeare selbst, zurückgeht. Der Flug dieses erstaunlichen Genies war unstät gleich dem der Schwalbe. Mitunter ist er hoch am Himmel, und die Augen schmerzen uns, indem wir zu ihm aufblicken; dann aber fällt er plötzlich auf den Grund, und streicht über die Gräben hin, bis wir ihn im Schmutz und Gesträuch verlieren.«81 War dies die Sprache der »Verehrer«, was mußten erst die Gleichgültigen von ihm halten! So kam es, daß jetzt Shakespeare und Genossen à Pfund für zwei Pence in die Wursthandlungen verpflanzt wurden82; und die uns solches erzählen, Sir Richard Steele und sein Anhang, wollten nicht[100] einsehen, wie sehr sie selber daran schuld waren. Alexander Pope veranstaltete damals (1721) eine neue Ausgabe Shakespeare's, nicht aus Begeisterung für den Dichter, sondern um sich für die Verluste im Südseeschwindel schadlos zu halten, und begann seine Vorrede also: »Es ist nicht meine Absicht, mich in eine Kritik dieses Autors einzulassen; obwohl zugestanden werden muß, daß Shakespeare von allen englischen Dichtern der schönste und ergiebigste Gegenstand für die Kritik ist, und die zahlreichsten wie auch die auffallendsten Beispiele darbietet von Schönheiten und Fehlern aller Art.« Der größte englische Dichter dieser Zeit wußte also nichts besseres zu thun, als die Sonne am Himmel dramatischer Dichtung durch den Nebel alter Irrthümer auf's neue zu verfinstern. Hierdurch haben diese Leute sich selber das Urtheil gesprochen. Die Verblendung über das Beste in ihrem eignen Kreise machte sie auch völlig unfähig, das sich bildende Unsterbliche in der angefeindeten musikalischen Richtung zu erkennen: zu bemerken, daß, während Shakespeare und Senesinokultus einander ausschlossen, Shakespeare und Händel sich in verwandter Kunstgröße die Hand reichten.

Die Praxis des englischen Theaters konnte demzufolge nur sein, der italienischen Oper und französischen Komödie ihre Stoffe zu entziehen, und, ihre Blößen benutzend, ihnen damit den Erfolg abzujagen. Dies gelang zunächst bei der französischen Komödie, deren Gegenstand zum Theil nur einfach in's Englische zu übertragen, oder deren Behandlung bequem auf alte volksmäßige Geschichten anzuwenden war. So entstanden schon in dieser Zeit Farcen, die Zulauf hatten, unter ihnen namentlich gegen Ende des Jahres 1723 ein Doktor Faust. »Wenn unsere Nachkommen sich erkundigen werden«, sagt der »Treue Brite« am angeführten Orte, »welches denn die dramatischen Lieblinge eines Zeitalters waren, das für Heinrich den Fünften keinen Geschmack hatte, so wird man ihnen lächelnd antworten: ›Die Explositionen Harlekin's‹, und ›Der Teufel und Doktor Faustus‹.« Dieser »Harlekin Dr. Faust«, nach Mountfort's Erzählung bearbeitet83, ein grotesker Unsinn ohne gleichen, beginnt mit[101] der Unterzeichnung des Paktes, und endet mit einer massenhaften Erscheinung der Teufel, die Faust in Stücke reißen und mit diesen Stücken nach allen Richtungen davon fliegen. Vor der letzten Scene, um ein Uhr Nachts, erscheinen Zeit und Tod, ihm im Recitativ sein Ende ankündigend. Zu allerletzt Tanz der heidnischen Gottheiten. Galliard, Leveridge und Andere hatten schöne Gesänge dazu erfunden, und »der alte Leveridge mit seiner Brannteweinsnase machte einen herrlichen Teufel«. Das Stück zog nach Jahren zuerst wieder die Menge in das Drury-Lane-Theater; man sprach eine Weile mehr davon, als von den Italienern.

Außer der französischen Komödie und dem englischen Theater war noch ein drittes Heer des Vergnügens um die Oper gelagert, und näher mit dieser verbunden als die beiden vorgenannten. Es war Heidegger mit seinen Maskeraden. Dieser Mann besaß ein unübertreffliches Geschick im Arrangement; als technischer Direktor des Operntheaters hatte er die Baulichkeiten, Malereien, Maschinen, namentlich aber die Bälle oder Maskeraden zu leiten. Letztere, vom Hofe und Adel begünstigt, wurden seit 1719 außerordentlich glänzend, aber auch außerordentlich anstößig begangen; und was diese »Gesellschaft für die Reformation der Sitten« vormachte, beeilte man sich, wie Mist sagt, in der Altstadt nachzumachen.84 Nichts gab in der Zeit so vielen Anlaß zu Skandalgeschichten und schlechten Nachreden, nichts war der unter demselben Dache lebenden, zum Theil von denselben Personen geleiteten Oper in der öffentlichen Meinung so nachtheilig, als diese Maskeraden. Sie boten aller Verworfenheit der Vornehmen eine bequeme, halbwegs anständige Hülle. Und wie tief gewisse Kreise gesunken waren, mag man abnehmen aus der Proklamation des Königs gegen skandalöse Klubbs im Jahre 172185,[102] aus der Entdeckung eines »Höllenfeuer-Klubbs«, bestehend aus etwa vierzig Personen, unter ihnen »funfzehn Damen von bedeutendem Stande«, die durch scheußliche Handlungen die christlichen Gebräuche travestirten und verhöhnten. Die Maskeraden waren in einer solchen Zeit um so schädlicher, je unschuldiger das Gewand aussah, in welchem sie dem Einzelnen gestatteten, seine Zwecke zu verfolgen; und Jedermann wußte, was er sich unter den vestalischen Schlußvergnügungen einer Maskerade zu denken hatte. Endlich erhoben sich die Geistlichen und andere ernstgesinnte Männer zu einer öffentlichen Protestation. Man nannte damals in den Ankündigungen die Maskeraden einfach Bälle; bildete aber ein Concert von verschiedenen Operngesängen die Einleitung dazu, so hießen sie Ridottos, und diese letztere Art war die beliebteste. Als nun Heidegger in der verflossenen Saison eine Subscription auf sechs Ridottos ausschrieb, ließ das Großgericht für die Grafschaft Middlesex, in welcher London belegen ist, durch ihren Abgeordneten James Bertie in feierlicher, gedruckter Beschwerde diese Ridottos oder Bälle im Opernhause am Heumarkt als der öffentlichen Wohlfahrt verderblich, als Pflanzstätten der Ausschweifung und Liederlichkeit und als einen Skandal für die Regierung, dem Parlamente am 12. Februar '23 vorstellen.86 Das böse Gewissen war erschreckt und verwirrt; die drei noch rückständigen Ridottos unterblieben. Aber bald verlachte man diese Furcht, und in[103] dem nun folgenden Jahrlaufe wurden wieder sechs solche Feste ausgeschrieben und – bei Vermeidung des anrüchigen Wortes »Ridotto« – als »Bälle«hartnäckig abgehalten, trotz aller Verdammungen des Bischofs von London.87 Für und wider wurden die herkömmlichen Gründe vorgebracht; aber Wesen und Wirkung dieser Vergnügungen ersieht man aus dem Stoffe, welchen sie der vulgären Tagesliteratur zuführten88, und anziehender noch aus dem vierten Blatte von Hogarth's Familientragödie in Bildern, genannt »Heirath nach der Mode«. Was an sich noch so unverfänglich sein mag, ist verderblich und verwerflich da wo es ein Mittel wird dem Laster den Weg zu bahnen.

Ein anderes, weniger bekanntes Bild von Hogarth läßt die Summe Londoner Vergnügungen in der Saison, in welche wir jetzt eintreten, die durch alles Gold nur immer höher getriebenen Ansprüche der italienischen Sangesberühmtheiten, die unterwürfige Bewunderung der musikalischen Lords, Heidegger der zu den Maskeraden einladet, die Franzosen welche ihren Harlequin, die Engländer welche ihren Doktor Faustus ausrufen, heiter überblicken. Das schalkhafte Bild zeigt uns alle Gruppen, welche wir soeben beschrieben haben. Der Leser führe nun bei der folgenden Darstellung diese Gestalten und die ihnen anhangenden Schaaren in seiner Erinnerung mit fort, und stelle sich die Wirkung vor, welche jeder Schritt der glänzend im Mittelpunkte gelegenen italienischen Oper auf sie ausüben mußte: dann werden die theilweis heftigen Bewegungen der nächsten Jahre sehr leicht verständlich sein.


[104] Fünfter Jahrlauf: vom 27. Nov. '23 bis zum 13. Juni '24.


Den Kreis der 52 Vorstellungen eröffnete Bononcini mit seiner neuen Oper Farnace, die aber nicht anziehen wollte.

Hierauf kam am 14. Januar Attilio Ariosti mit Vespasiano, wieder von N. Haym gedichtet. In dankbarer Erinnerung an seine vorjährige Leistung hatte man ihm für dieses Jahr die zweite Oper übertragen, welche immer, schon wegen ihrer Stellung mitten in der Saison, das eigentliche Zugstück werden mußte. Ein solches war ihnen eben jetzt um so nöthiger, da Doktor Faust in Drury-Lane der Oper viel Volk abwendig machte. Man denke sich nun die Bewegung unter den Mitgliedern der Akademie, als Vespasian sich als völlig mißlungen erwies! Die getäuschte Erwartung ließ ihn noch tiefer sinken, als er eigentlich verdiente; unter Aufregung, Streit und Mißfallsbezeugungen ging die erste Vorstellung vorüber: und wenn es so fortgeht, schrieb Mist schadenfroh, sollen die Opernactien bald fallen.89 Weder die folgenden Aufführungen, noch der pomphaft angekündigte Druck90 vermochten dem Vespasian und seinem Autor die verlorne Gunst wieder zu gewinnen. Burney bespricht den Vespasian eingehend und ehrenvoll als »eine verdienstliche Musik«, ohne von seiner Nichtigkeit für die Akademie und allem, was daraus folgte, das geringste zu ahnen. Und doch war fast das gesammte Material, aus welchem ich die Geschichte der Akademie beschreibe, einst in Burney's Besitz!

Die Directoren forderten schnell fünf Procent ein und hielten eine Versammlung. Man betrieb nun mit aller Eile die Aufführung[105] der Oper, welche Händel seit einiger Zeit unter Händen hatte. So entstand Julius Cäsar.


Giulio Cesare. 1724.

Daß es bei der Abfassung des Werkes etwas eilig zugegangen sein muß, ersieht man noch aus der Originalhandschrift. Am Ende des letzten Chores ist nachträglich von Händel mit Bleistift bemerkt »anno 1723«; eine genauere Zeitangabe fehlt, und vermuthlich bezieht sich die spätere Bemerkung mehr auf den Beginn, als auf die Vollendung der Composition. Von dem einfachen Recitativ hat Händel nach seiner Weise zuerst den Text unter die Linien geschrieben, später aber keine Musik dazu gesetzt, wenige Zeilen gegen das Ende hin ausgenommen. Einige Male wird Schmidt's Hand darin sichtbar. Burney's Schluß, Händel habe diese in der königl. Sammlung befindliche Handschrift erst zu den, theilweis mit anderen Sängern, erneuerten Vorstellungen von 1725 angefertigt, das erste, »nun verlorne« Original werde dagegen alle Musik der Recitative enthalten haben u.s.w.91, ist abenteuerlich genug, aber bei seiner Flüchtigkeit leicht erklärlich. Auch darin zeigt sich die Beeilung, daß Händel hier zu der Ouvertüre, die er gewöhnlich zuletzt schrieb, den früher zu Otto componirten, aber verworfenen Fugensatz umarbeitete. Daß er die ausgezeichnete Fuge hier aufnahm, ist allerdings leichter zu begreifen, als daß er sie überhaupt einmal verwarf.

Aus der Menuet, mit welcher sonst die Ouvertüre zu schließen pflegt, ist hier der Anfangschor gebildet, das »Viva, il nostro Alcide«, welches die Egypter dem ankommenden Cäsar darbringen, der sodann in einem würdevollen Gesange (Presti omai) von dem eroberten Lande Besitz ergreift. Schon dieser Eingang weicht von dem Herkömmlichen ab, und scheint in seiner Breite und Klangfülle eher einer Oper aus dem Ende des Jahrhunderts anzugehören.

Darauf wird die Geschichte von Cäsar und Kleopatra abgehandelt. Auch Nicola Haym, der Dichter, hatte diesmal seinen Geist besonders angestrengt, und war mit seiner Leistung so zufrieden, daß er sie der Kronprinzessin Caroline zuzuschreiben wagte. In der Dedication[106] sagt er, durch den berühmten Sänger und Tonsetzer Pistocchi, den Vater des guten Geschmackes, sei schon in frühester Kindheit bei ihr der Grund gelegt zu der ideenreichen Einsicht in musikalische Gegenstände, welche sie auszeichne.92

Julius Cäsar hat etwas Eigenthümliches in seiner mehr dramatischen, der Oper einer späteren Zeit verwandten Haltung. Selbst in dieser Hinsicht erhebt sich das Werk in einzelnen Scenen bis zum Unübertrefflichen. Als Cäsar die Urne des ermordeten Pompeius erblickt, versinkt er in Betrachtungen über die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens. »Alma del gran Pompeo, Geist des großen Pompeius, der du unsichtbar den Aschenkrug umschleichst, Schatten nun sind deine Siegeszeichen, Schatten deine Herrlichkeit, wie du selber ein Schatten bist: so nimmt menschliche Pracht ein Ende; der gestern kriegsgerüstet, siegprangend eine Welt sich unterwarf, heute rastet er als Asche in diesem Gesäß. Unser Aller Ursprung ist, ach leider! die Erde, und zuletzt wird sie auch unser Aller Ende sein. Elendes Leben, o wie hinfällig! Ein Hauch bildet dich, und wie ein Hauch mußt du wieder vergehen.« Der Dichter erhob sich hier über seine gewöhnliche Höhe. Diese Worte griff Händel dann in ihrem tiefsten Sinne auf, und bildete daraus ein Recitativ, welches unter den vielen Stücken dieser Art, in denen sich der Reichthum seiner musikalischen Sprachschöpfung kundgiebt, eins der berühmtesten geworden ist. Der Satz beginnt in Gismoll und endet, nachdem fünf €- und acht b-Tonarten durchlaufen sind, in Asmoll, also in derselben Tonlage, nur durch dieb-Tonart gedämpft und elegisch wie mit einem Schleier verhüllt. Eine Menge sinnvoller Beziehungen drängen sich hier von allen Seiten zu, die, wie es bei vollendeten Kunstwerken der Fall ist, alle auf den einigen Mittelpunkt deuten, auf die Verbindung von Kunst und Geist, aus der solche Werke entspringen. Die Wirkung dieses Satzes bei Senesino's lebendigem Vortrage war in ihrer Art die tiefste,[107] welche man bisher erlebt hatte. Es mußte Allen eine neue Erfahrung sein, daß eine dramatische Situation, ein dichterisches Wort und eine musikalische Betonung, zu gleichen Theilen verbunden, ein gleich starkes Licht ausstrahlend, nicht, wie bei den Gesängen, in eine einzige musikalische Flamme zusammen schlagend, in demselben Grade künstlerischer Gestalt und Kraft theilhaft wurden, wie die gesprochene Scene, das deklamirte Gedicht oder das gesungene Lied für sich allein. Die bis dahin schon häufig angewandten begleiteten Recitative ruhten freilich alle auf dem verborgnen Grunde dieser Wahrheit, waren aber nicht geeignet ihn aufzudecken.

Im weiteren Verlaufe begegnen wir noch drei recitativischen Sätzen von großer Bedeutung: dem der Kleopatra »Che sento? oh Dio!« im zweiten, dem des Cäsar »Dall' ondoso periglio« und dem der Kleopatra »Voi, che mie fide ancelle« im dritten Akt. Der erste steht als Eingang zu dem herrlichen Gesange in Fmoll »Se pietà«; der andere ist durch das vorausgehende Vorspiel der Arie »Aure deh per pietà« in diese verwebt, und bildet mit ihr vereint gleichsam nur ein Tonstück, ein breites landschaftliches Gemälde von großer Schönheit. Beide Sätze haben also in ihrer Stellung etwas besonderes. Der dritte ist wieder wie »Alma del gran Pompeo« gehalten; es ist ein herrlicher Monolog der Kleopatra, in verzweiflungsvoller Lage wie an ihre Begleiterinnen gerichtet, der in sich beginnt und abschließt. Alle vier hervorragenden Recitative zusammen sind für das, was sich in solcher Kunstart verschiedenes aussprechen läßt, fast erschöpfende Vorbilder. Sehr originell ist »Dall' ondoso periglio«; aber als eigentlich neu werden wir doch immer »Alma del gran Pompeo« bewundern müssen. Jedes an seinem Orte trägt ein bedeutendes bei, den Gegenstand musikalisch-dramatisch zu gestalten.

Fast von allen Arien muß dasselbe gesagt werden. Daß sie insgesammt, abgesehen von Text und Handlung, an rein musikalischem, oder vielmehr melodischem Reiz hinter denen im Otto zurückstehen, ist leicht zu bemerken. Aber sie sind breiter angelegt – die Bononcini-Liebhaberei war im Schwinden und konnte nicht mehr wie früher Händel's Rede gewissermaßen Haltung und Grenzen vorschreiben –, und sie sind mit bewußterem Streben, als bisher in seinen Opern,[108] charakteristisch gestaltet. Dies war es, was sie besonders geeignet machte sich einem dramatischen Zwecke unterzuordnen. Selbst die sehr reiche und meistentheils schöne Coloratur widerstrebt dem nicht; die zusammendrängende Einheit der Händel'schen Gesänge läßt die Länge seiner Coloratur nur dann empfinden, wenn sich ein Stümper daran versucht. Im Munde des gebildeten Sängers strömt sie wie ein musikalisch gestalteter Hauch vorüber. Auch in solchen Dingen ist Händel oft in einer Weise kunstvoll und feinsinnig, die die Zierlichkeiten der Italiener, diese angeblich unübertrefflichen Muster darin, weit hinter sich läßt.

Mehrere kriegerische Instrumentalsätze, ein beträchtlicher Schlußchor, und namentlich die ungewöhnlich reiche Instrumentation (außer dem Quartett und den beiden Flügeln: Oboen, Fagotte, Flöten, vier Hörner, Harfe, Violdagambe und Theorbe) dienen demselben dramatischen Zwecke. Händel unternimmt schon hier, verschiedene Völker, wie in seinen späteren Oratorien, nicht nur verschiedene Personen gegensätzlich hervortreten zu lassen. Der Gegensatz ist freilich nicht durchgeführt, aber in mehreren Gesängen der Kleopatra höchst glücklich angedeutet, ganz unübertrefflich in der Scene zu Anfang des zweiten Aktes, wo sie bei voller Musik von gedämpften Violinen, Violen und Bässen, Oboen, Fagotten, Harfe, Violdagambe und Theorbe mit einem luftathmenden Gesange (Vadoro pupille) den Cäsar in ihre Netze lockt. Diese Scene und der Anfangschor tragen am meisten bei, das Werk den späteren Musikdramen ähnlich zu machen; und solche Aehnlichkeit wird der Grund gewesen sein, daß man es, mit Gesängen aus anderen Händel'schen Opern geschmückt, noch im Jahre 1787 zur Aufführung geeignet fand.

Das vorzüglich schöne Schlußduett »Caro-Bella!« ist aus einer heiteren Melodie der Cantate »Abschied von Rom« (s. I, 232) gebildet.

Auch Hamburg und Braunschweig suchten sich das in den Zeitungen so hochgepriesene Werk anzueignen; Hamburg gegen Ende des Jahres 1725, Braunschweig »in der Sommer-Messe« 1733. Für das Athen an der Elbe übersetzte es der Secretär Lediard, ein Franzose, der des Deutschen nicht mächtig war. Ein Sivers (wahrscheinlich[109] derselbe arme Teufel, den Liscow später vernichtete) ließ etwas dagegen drucken, und es entspann sich ein pöbelhafter Streit.93

Unmittelbar nach der Aufführung wurde die Oper bei Cluer in groß Octav sehr zierlich gedruckt.94 Der elende Nachdruck, welcher auch noch in diesem Jahre erschienen sein wird, hielt sich an das übliche große Format.95 Das der rechtmäßigen Ausgabe vorgesetzte Privilegium vom Jahre 1720 scheint wenig geschreckt zu haben.

Bononcini brachte am 18. April Calfurnia, nach seiner Weise kein schlechtes, aber für lange Zeit sein letztes Werk für die Akademie96; Haym bearbeitete den Text des Dr. Braccioli, den Heinichen 1713 für Venedig componirte. Die letzte neue Oper dieser Saison war Aquilio, am 21. Mai; nach Burney ein Mischwerk, nach einem alten handschriftlichen Verzeichniß der gedruckten Arien97 aber von Attilio Ariosti, eine Angabe, welche die Untersuchung der Gesänge zu bestätigen scheint, obwohl nicht zur Gewißheit erhebt. Wahrscheinlich war Aquilio ausländischen Ursprunges, aber von Ariosti für die hiesige Bühne bearbeitet. Bononcini und Ariosti componirten damals, sofern sie Neues erstrebten, schon wesentlich in Händel's Manier.[110] Wir berühren dieses alles hier nur flüchtig, um schnell wieder auf die Hauptsache zurückzukommen.

Händel hatte im Julius Cäsar ein Werk geliefert, welches epochemachend war, nicht nur für ihn, sondern fast für alle musikalisch bei der Akademie Betheiligten. Seine Natur war so glücklich geartet, in Momenten die zur Entscheidung drängten, das Schlagwort aussprechen zu können; dies war es, was ihn im wahren Sinne und auf so lange Zeit zu einem Manne des Tages machte. Etwas derartiges leistete nun auch diese Oper.

Zunächst sprengte sie das musikalische Triumvirat, und löste die Fesseln durch welche die Dreispaltigkeit der Tonsetzer bisher zusammen gehalten war. Man erkannte nunmehr, daß es nicht weise war, Componisten zu besolden, deren Talente der Akademie auf die Dauer keine Sicherheit gewährten, deren Werke vielmehr geeignet waren, den guten Fortgang des Unternehmens in Frage zu stellen. Man unterließ also, was unnöthig oder gar nachtheilig war; und so wußte die Stadt schon im Mai d. J., daß Bononcini für den folgenden Jahrlauf nicht wieder engagirt, dafür aber von der Herzogin von Marlborough mit einer Pension von £ 500 bedacht sei, was ihn veranlasse noch nicht in sein Vaterland zurückzukehren.98 Attilio Ariosti wurde fernerhin geduldet, da seine Ansprüche sich nach den Umständen richteten; auch Er fand Patrone, nur nicht so prunksüchtig freigebige.

Auch unter den Sängern wurde aufgeräumt. Berenstadt ging davon. Miß Robinson zog sich gekränkt von der Bühne zurück, und lebte privatim Bononcini's Muse, katholischen Gottesdienstübungen und ihrem Geliebten, dem alten Grafen Peterborough, der sie 1727[111] heirathete. Signora Durastanti glaubte neben der Cuzzoni hier keinen Boden mehr zu haben: am 17. März sang sie in Coriolan, ihrem Benefiz, »eine englische Cantate zum Lobe dieser Nation«, mit welcher sie förmlich Abschied nahm, und nach beendigter Saison verließ sie England. In ihrer Cantate (Generous, gay, and gallant nation), auf Ersuchen Peterborough's von Pope gedichtet, und bald darauf von Arbuthnot travestirt (Puppies, whom I now am leaving), sagt sie mit naiver Offenherzigkeit: »alte Lieblinge müssen neuen weichen, und so Adieu!«

Ein Uebelstand blieb es immer, daß Signora Cuzzoni zu solchen Rollen wie Kleopatra weder persönlichen Reiz noch hinreichende dramatische Lebendigkeit besaß. Um so lauter pries man die Faustina in dieser Hinsicht, und bedauerte ihre Abwesenheit; nur Senesino, der während der Cuzzoni-Begeisterung nicht immer mit gewohnter Ehrfurcht behandelt wurde, freute sich, auf der Bretterwelt jetzt wieder alleiniger Cäsar zu sein. Aber eben jetzt, als er wieder so glänzend monarchisch emporstieg, bekam sein Dünkel einen harten Schlag. Miß Robinson war von ihm im Frühling d. J. in einer Probe empfindlich beleidigt, wahrscheinlich durch Anspielungen auf ihr Verhältniß zu Peterborough. Der alte phantastische Lord, seit seinen spanischen Feldzügen ein gefürchteter Feuerbrand, prügelte Seine Theatralische Majestät dafür im Opernhause hinter der Scene angesichts mehrerer Zuschauer. Der Stadtklatsch nährte sich eine zeitlang davon, und die Libellisten schrieben Briefe von Anastasia an Senesino, und von Senesino an Anastasia, bei welcher Gelegenheit Aaron Hill sich des Castraten annahm. Eine weitere Demüthigung brachte ihm eine Vorstellung des Julius Cäsar, in welcher, als er kaum die Worte »Cäsar kennt keine Furcht« hervor gedonnert, von oben mehrere Holzstücke mit großem Getöse neben ihm nieder stürzten, worüber er erschrocken auf die Erde fiel und in der Einbildung, daß er zerschmettert sei, ein jämmerliches Geschrei erhub. Signora Faustina war für den nächsten Winter an Wien gebunden, wollte aber sodann nach London kommen. Anastasia Robinson wurde durch Signora Dotti ersetzt. Die übrigen Plätze füllte man mit den Herren Borosini und Pacini aus.

Die Größe des musikalischen Treibens im damaligen London wird aus dem Gesagten schon einigermaßen zu erkennen sein. Ein[112] Durchblick in diesem lärmenden Widerstreit unzähliger Leidenschaften, Neigungen und Bestrebungen ist um so schwieriger, da kein Mitlebender eine zusammenhängende Erzählung davon hinterließ, und kein Späterer zu einer Zeit, wo außer den schriftlichen noch mündliche Ueberlieferungen zu befragen waren, diese Bewegungen im Londoner Gesellschaftsleben einer Darstellung werth achtete. Um so freudiger überrascht uns die Entdeckung einer kleinen Quelle, die, wo es darauf ankommt das längst Vergessene wie lebendige Gegenwart zu beschreiben, von wesentlicher Bedeutung ist. Ein Bewunderer Händel's, mehr durch ein gesundes Urtheil als durch poetische Begabung hervorstechend, versuchte die erhöhte Bedeutung, welche der Tonsetzer durch seine jüngste That erlangt hatte, die jugendliche Schönheit, die siegesstolze Kraft und Unerschöpflichkeit seiner Kunst in einem Gedichte darzustellen, welches er The Session of Musicians, Die Versammlung der Musiker oder, wie man im Deutschen sagen könnte, Die musikalische Meisterschule nennt. Ein Gedicht von Sir John Suckling aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (the Session of the Poets) nachahmend, läßt er Apollon, den Gott der Dicht- und Tonkunst, die Absicht aussprechen, wieder einmal in öffentlicher Versammlung einen der Seinen zu krönen, und zwar –, da unter den Dichtern keiner des Lorbeers würdig sei und er das Recht, den schlechtesten von ihnen zum Laureaten zu erheben, dem Hofe abgetreten habe, – diesmal einen Musiker. Mit diesem Gedanken, den wir jetzt als so einfach richtig bewundern, den man aber damals verlachte oder verabscheute, und der den besten Dichtern der Zeit, Pope, Gay u. A., eins der vielen handgreiflichen Anzeichen vom Untergange aller wahren Kunst zu sein schien, eröffnet das kleine Gedicht die Scene. Das Opernhaus wird zum Versammlungsort bestimmt. Heidegger in Apoll's Ceremonienmeister, Berenstadt und Boschi, fürchterlich an Stimme und Gestalt, werden zu Ausrufern ernannt, die Operndirectoren bilden den Hofstaat des Gottes. Alles wird zur Bewerbung zugelassen, und schwer ist die zahllos andringende Menge zu ordnen. Endlich setzt Heidegger sie in Reih und Glied.

Zuerst tritt auf der Doktor der Musik, Christoph Pepusch, einem starren folgend, der mit seinen musikalischen Erzeugnissen voll beladen ist. Apoll findet die Quantität groß, bittet aber, mit seinem[113] theuer erworbenen Doktorgrad zufrieden zu sein, denn neue Erhöhungen würden nur neue Kosten verursachen.

Ihm folgt, wie im Leben so auch hier, sein Freund Galliard. Keine Musik für den Lorbeer, sagt Apoll; doch sind deine Arien mitunter recht nett, und ich gebe dir Erlaubniß sie in der Altstadt zu singen.

Der Balladenmeister Leveridge, der entfernt im Haufen steht, die Weinflasche in der Hand, wird zum Abendessen eingeladen, und gleichfalls ein anderer munterer Geselle von gepriesener Bescheidenheit, der fröhliche L-i-lt genannt (sämmtliche Namen sind nur angedeutet), dessen Bescheidenheit denn auch so groß war, daß ich seinen Namen nicht wiederfinden kann.

Drei Schotten, der neue Instrumente erfindende Corbett, der Sänger Gordon, und William Thomson, der Bewunderer, Sammler und Nachahmer schottischer Gesänge, werden in das zehn Stockwerk hohe Edinburg verwiesen, um von dort aus den Geschmack des rauhen Italien mit dem des gebildeten Schottland zu vermählen. Zu diesen Landsleuten, meistentheils hochländischen oder irischen Ursprungs, welche die unverdauten Feinheiten der italienischen Tonkunst mit der Rohheit der nationalen Musik verbanden, und auf solcher Grundlage die Kunst hastig weiterzubilden strebten, gehörte auch der arme Roseingrave, der in's Narrenhaus geschickt wird. Mit besonderer Entrüstung wird die Kirchenmusik oder, wie es treffend heißt, der Kathedralgeschmack von Croft, Green und Genossen abgewiesen, und mit Recht: denn die Kirchenmusik die nicht von Apoll's Musensitz ihren Ausgang nahm, soll auch nicht mit seinen Söhnen um den Lorbeer streiten.

Dieupart, der wohlgepuderte Damenheld, zieht ebenfalls den Unwillen des Gottes auf sich. Signor Pippo, der große Violoncellist im Opernorchester, wird ersucht, sich mit der Bewunderung seines Spieles zu begnügen, und nicht Zeit und Ruf mit fruchtlosem Componiren zu verlieren. Einen ähnlichen Wink erhält Geminiani, der berühmteste Geiger dieser Zeit, dem die Stelle der Ersten Violine auf dem Parnaß zuerkannt wird. Für dieselbe Stelle bei der Akademie hielt er sich zu gut. Nicola Haym wird auf eine schmeichelhafte Weise in seinem poetischen Secretariat bestätigt.[114]

Attilio Ariosti drängt sich hervor, aber Apoll schneidet ihm das Wort ab: Wer absinkt anstatt sich zu erheben, für den ist der Lorbeer nicht bestimmt; alle Ehre, die Coriolan erwarb, hat der leere Vespasian wieder verscherzt.

Auch Henry Carey bewirbt sich mit seinen Balladen um den Preis. Selbst der Musikhändler Walsh, ein verschmitzter Kopf, schreit in Gesellschaft so vieler Thoren nach dem Lorbeer, nicht nur wegen seiner Verdienste um die Musikverbreitung, sondern auch als Rolli's Beihelfer in der Zusammensuchung schöner Worte für die Operntexte.

Ermüdet von dem Lärm dieser in hellen Haufen an dringenden Unfähigkeit, durchspäht Apoll die Menge, seinen berühmten geliebten Sohn suchend, vergebens – denn Händel war nicht dort. Statt seiner sieht er den Bononcini anrücken, im vollsten Bewußtsein seines Sieges, begleitet von der theuren Anastasia Robinson und von Pepusch' Gattin Margherita, Arien aus Crispus singend. Kein Richterspruch erfolgt: die einschläfernde Musik übt ihre volle Macht aus, und plötzlich entschläft Alles, selbst der Gott des Tages. Aber einen Augenblick nur – da erschallt die Trompete der Fama, in glanzvoller Erscheinung tritt die Göttin ein, einen Helden an ihrer Hand führend, dessen Kunst sicherer trifft als Cupido's Bogen, und der die Welt des Seins für die Welt der Töne eroberte: ungenannt bleibe sein Name, da es nur Einen Phönix giebt. Mit geziemendem Stolze blickt er auf zu dem Herrn der Musen, entschlossen, um nichts zu bitten, und zufrieden, auch wenn ihm der Preis versagt wird. Ihn sah Phöbos Apollon mit Freuden, und sprach es aus, nur diesem Helden dürfe der Lorbeer die Stirne zieren, ihm, dem über das ganze Reich der Leidenschaften Herrschaft und Gewalt gegeben. Und Alle stimmten bei, selbst Neid und Einfalt.

Dies ist der Inhalt des kleinen Gedichtes, welches im Mai '24 im Druck erschien.99 Es war vorauszusehen, daß der Schluß desselben[115] von der Einstimmigkeit Aller zu Händel's Preise sich nicht bewähren konnte. Wo wahre Kunst gegen Geldmassen, gegen Stumpfsinn im eignen Lager und gegen allgemeine Geringschätzung ihrer standesmäßigen Stellung ankämpfen muß, kann sie nur langsam Boden gewinnen. Es bedurfte voller achtzehn Jahre, um das zu erreichen, was der Dichter hier prophetisch vorweg nahm. Nur Einer, der ohne Achtung in die unterste Reihe gestellte, hochsinnige Carey befreite sich durch begeisterte Anerkennung von Neid und Feindschaft: alle andern trieben es nach wie vor, und nicht ohne Erfolg; denn so bunt, so irrig verfangen war die Zeit, daß nach und nach fast noch jeder von ihnen einen guten Tag erlebte, ohne sich um den gekrönten Tonheros zu kümmern, ja in feindseliger Gegenwirkung zu ihm.

Man wird neugierig sein, den Autor des Gedichtes zu erfahren. Er wird vielleicht für immer verborgen bleiben; doch eine Spur ist gefunden, die zu ihm leiten könnte. Hiernach war es eine Dame, oder richtiger gesagt: eine Dame sandte an Händel einen Lorbeerkranz, von diesem Gedichte (wie wir annehmen dürfen) begleitet. Sie wird Ophelia genannt. Soviel erfahren wir aus einem sein sollenden Spottgedichte, zu welchem sich die Getroffenen nach monatelangem Schweigen endlich aufrafften, und dessen Ueberschrift lautet »Eine Ode, gesungen als ich von einer Dame einen Lorbeerkranz empfing.«100 Wir erfahren noch mehr aus diesem Poem, nämlich daß Händel's Privatleben unangreifbar war. Von den unterliegenden, auf's äußerste gereizten Gegnern war schon ihrem Charakter nach[116] keine Schonung zu erwarten; und diese skandalsüchtige Zeit gefiel sich maßlos in der Jagd nach Heimlichkeiten, welche die Nacht bedeckt, und in schamloser Enthüllung derselben. Das Geschenk kam von einer Dame, der Gegenstand war also zartester Natur und geeignet die Spürkraft zu reizen. Aber wie rein, wie im schönsten Sinne ereignißlos und unmodern muß das Leben des großen Tonmeisters gewesen sein, wenn man ihm in der Ode an sich selbst und an seine Dame nichts in den Mund zu legen wußte, als daß er sich in dieser Höhe gefalle, daß er höher steige als die Dichter des Alterthums, die nur ein Elysium erreichten, daß er ebenfalls die Welt besiege, und allgemeiner als Alexander, aber nicht mit Männern und Waffen, sondern mit Thaten künstlerischer Einbildungskraft, daß er sich mit seiner Schönen zu einem neuen Reiche der Liebe erhebe und der Dichtkunst neue Gegenstände zu begeisterter Darstellung zuführe! Wie wenig Aenderungen wären nöthig, wollte man diese Spottreime in ein Lobgedicht von bleibender Wahrheit verwandeln! Der edle Mist brachte nach vierzehn Tagen allerdings noch ein anderes, »Midas, eine Fabel«101, von Bononcini's oder Marlborough's Kreise aus bestellt und wahrscheinlich von Rolli angefertigt, welches in pöbelhaften Ausdrücken nicht hinter der Gesinnung derer, von denen es ausging, zurückblieb; aber auch dieses ist nicht nur völlig inhaltlos, sondern auch wegen abenteuerlicher Entstellung des vorliegenden, allbekannten Verhältnisses für Nichteingeweihte durchaus unverständlich, also auch ohne Wirkung. Ein solcher Aufschrei ohnmächtiger Wuth zeigte nur, wie sehr das Geschoß aus Händel's Lager in's Innerste gedrungen war. Die Mittelmäßigkeit konnte das unbehagliche Gefühl nicht los werden. Ihr größter Trost blieb, daß das Genie, wie Göthe sagt, doch auch nicht unsterblich ist, und daß wohl noch andere Tage zu erleben seien, als die des blüthenherrlichen Frühlings, wo sich der Lorbeer um seine männliche Stirne schlang.

Es läßt sich nicht viel entnehmen aus den Phrasen des Spottgedichtes, er wolle sich mit seiner Schönen zum Reiche der Liebe erheben, wo er Apoll, sie Venus sei, und ein Geschlecht von Göttern[117] ihre Nachkommenschaft bilde; alles Schicksal liege in Ophelia's Augen, von Liebe und Lorbeer inspirirt, erzeuge er seine Gesänge, u.s.w.: und doch ist dies das einzige mal, wo von Zeitgenossen auf Händel's Verhältniß zu einer Dame angespielt wird. Fand ein solches je einmal statt, so war gewiß jetzt die allerseits günstigste Zeit dafür. Er war für sein Alter von 39 Jahren fast noch jugendlich zu nennen. Lange gefeiert, hatte er doch niemals vorher die ruhmvolle Bedeutung erlangt, wie in diesen Tagen. Kein Wunder, wenn in Folge dessen ihm auch ein häusliches Glück zu nahen schien, wenn unter den zahllosen Schönen, die das Genie bewunderten, sich auch einige fanden, die den Mann liebten und zu besitzen wünschten. Aber dieses Glück war nur eine schöne Täuschung; Händel blieb unverheirathet. Wir sind nicht ganz ohne Nachrichten über die wahren Ursachen. Zwar wenn Hawkins sagt: »Seine geselligen Gefühle waren nicht sehr stark, und daher mag es kommen, daß er sein ganzes Leben im Cölibat zubrachte; daß er aber keinen weiblichen Umgang von anderer Sorte hatte, darf man besseren Grundsätzen zuschreiben«102 –: so ist dies zunächst nur seine eigne Ansicht, indeß auf Hörensagen und eine gewisse persönliche Bekanntschaft gegründet. Aber der jüngere Schmidt, der es wissen mußte, und der den besseren Theil von Hawkins' Vermuthung willig bestätigte, erzählte den Seinen mancherlei über das wahre Verhältniß, und diese haben uns folgendes davon aufbewahrt. »Er war niemals verheirathet; aber sein Cölibat muß nicht einem Mangel persönlicher Anziehungskraft zugeschrieben werden, oder der von Sir John Hawkins ungerechter Weise vermutheten Quelle, nämlich der Abwesenheit geselliger Gefühle. Im Gegentheil, es kam von seinem Streben nach Unabhängigkeit. Er fürchtete Erniedrigung und scheute die unlösbaren Fesseln. Als er jung war, verliebten sich zwei seiner Schülerinnen, Damen von beträchtlichem Vermögen, so sehr in ihn, daß jede von ihnen eine eheliche Verbindung mit ihm wünschte. Die erste, sagt man, wurde ein Opfer ihrer Leidenschaft. Händel wollte sie heirathen; aber sein Stolz wurde verletzt durch die rohe Erklärung ihrer Mutter, sie werde niemals zugeben, daß ihre Tochter einen Fiedler heirathe; empört[118] über diesen Ausdruck gab er jede weitere Verbindung auf. Nach dem Tode der Mutter erneuerte der Vater seine Bekanntschaft, und theilte ihm mit, daß alle Hindernisse beseitigt seien; aber er antwortete, die Zeit sei nun vorbei; und die junge Dame verfiel in ein Siechthum, welches ihrem Leben bald ein Ende machte. Die zweite Liebschaft war eine Dame von glänzendem Stande, deren Hand er möchte erhalten haben, wenn er seine Profession hätte aufgeben wollen. Diese Bedingung verwarf er entschlossen, und löste löblicherweise ein Verhältniß, welches die großen Fähigkeiten seines Geistes eingeengt haben würde.«103

Hiermit sind die Quellen, welche über diesen Gegenstand fließen rein ausgeschöpft. Was man weiter beibringen mag, wird sich auf Bemerkungen und Muthmaßungen beschränken. Es ist auffallend genug, daß beide Verhältnisse wie eine Prüfung und Versuchung an den Musiker herantreten, und hierdurch nur Ringe bilden in der langen Kette, die schon in seiner Kindheit den Genius fesseln wollte. Vater Händel wollte nicht, daß der Sohn ein Fiedler werde; nun will die Mutter der Einen Geliebten nicht, daß die Tochter einen Fiedler heirathe; und die Verwandten der Anderen von noch höherem Stande sind es nur dann zufrieden, wenn er, dem Fiedlerthum als Erwerb entsagend, als vornehmer Mann gleich ihnen seinem Gelde, und nebenbei zum Vergnügen auch der Kunst, leben wolle. In diesem Widerstreite war er aufgewachsen, kämpfend mit der Macht der Vorurtheile war er ein Mann geworden, die Ausübung der Kunst hatte ihn persönlich glücklich und Andern gegenüber weltberühmt gemacht: nachgerade kannte er seinen natürlichen, hundertfältig zurück geschlagenen Feind, und so wußte er neue Angriffe desselben, selbst von so zarter und verwickelter Natur wie Liebesverhältnisse zu sein pflegen, geschickt und ruhig zu erledigen. Wie leicht oder wie schwer ihm dies ward, kann man nicht wissen; die Erzählung klärt uns doch im Grunde sehr wenig über die berührten Verhältnisse auf. Nur soviel in gesagt, daß die erste Anregung von den Damen ausging; nicht der Lehrmeister, sondern die Schülerin verliebte sich zuerst. Aber selbst hieraus läßt sich nicht schließen, daß er halb mitleidig[119] Gegenliebe schenkte: es kann ebensowohl, und vom englischen Standpunkte gewiß am richtigsten, heißen sollen, er habe die so sehr über seine Ansprüche hinaus gehen den Verbindungen erst gesucht, als die Damen ihm in freier Neigung entgegen kamen.

Den Ausdruck »als er jung war« hat man so genau nicht zu nehmen. Daß Coxe die Verhältnisse der Zeitfolge nach richtig angegeben hat, darf vorausgesetzt werden. Demnach hatte das mehr unscheinbare Verhältniß mit der eigentlichen Treuliebsten schon vor ein paar Jahren stattgefunden, wo er passende Lectionen wenigstens nicht ganz von der Hand wies; Gedicht und Lorbeer kamen aber jetzt, als er nur noch ganz ausnahmsweise und mehr aus höflicher Gefälligkeit bei einigen vom Adel das Clavierspiel lehrte, von der Zweiten, die sich als vornehme Dame eine so pomphafte Ovation schon erlauben durfte. Eine wehmüthige Erinnerung sei dem Mädchen gewidmet, welches also auch an dem so tausendfach erlebten, so tief beklagten, so viel besungenen Conflikt von Liebe und Elternwille zu Grunde gegangen ist. Was ihr Händel war, war ihm die Kunst; auch sein Leben hing an der Erlangung eines höchsten Zieles. Wer nun für die Verbindung eines solchen Paares fromme Wünsche hätte, der vergesse doch auch nicht seinen Blick auf die Zeiten zu richten, welche bevorstanden. Im folgerichtigen Künstlerstreben kam Händel dahin, Alles zu verlieren, ohne welches ein Familienleben im Kreise vornehmer Verwandtschaft kaum denkbar ist, Geld, Ruhe, Gesundheit, Publikum, Unterstützung der Großen, Freunde, namentlich alle die vornehmen Halbfreunde, und was bei solchen Zuständen weiter zu folgen pflegt. Angenommen, seine Gattin besaß die volle Gewalt weiblicher Sanftmuth und vermittelnder Versöhnlichkeit, wo hätte sie diese anwenden können? was konnte sie anders thun, als, wie einstimmig alle Freunde, zum Nachgeben rathen, wo doch nicht nachzugeben war und wie war dem bis zum Wahnsinn erregten Manne das häusliche Leben angenehm zu machen, wenn die Mittel kaum für seine eignen wenigen Bedürfnisse zureichten? Die Verhältnisse und Händel's Künstlergang machten einen Zusammenstoß unvermeidlich; auch das beste Weib würde schwach in sich zusammen gesunken sein und wohl erfahren haben, daß bei Händel's Natur eine sanfte Ablenkung vom sturmvollen Gange unmöglich war. Händel war empfänglich für[120] Weiblichkeit, ja verehrungsvoll empfänglich im höchsten Maaße; daß er eine Gattin auf seinem Lebenswege stets dieser seiner Stellung zu dem ganzen Geschlecht entsprechend behandelt haben würde, darf man voraussetzen, aber nicht schlechterdings behaupten. Mit andern Worten: sein Verhältniß zu dem Geschlechte war das des Künstlers; Weiblichkeit war ihm ein Gegenstand, eine der theuersten fruchtbringendsten Ideen; ihm fehlte nichts dadurch, daß er unverheirathet blieb. Sehr selten wird man, wie hier, das Künstlerische von dem natürlich und individuell Menschlichen trennen können. Bei Mozart z.B. würde niemand daran glauben, die Gluth des idealen Künstlers schlägt in zu vielen Gesängen mit der des sinnlichen Menschen zusammen. Händel's Flamme ist rein ideal; sein Altar steht frei, und bildet nicht zugleich den häuslichen Heerd. Daß er aber weibliches Gefühl und Wesen wirklich auf's tiefste und wundervollste aussprach, ist längst erwiesen. Ueberall waren es die Damen, welche für ihn Partei ergriffen; der überwiegende und bessere Theil fand sich in ihm wieder, eben in den pathetischen Frauengesängen; und die Engländerinnen seiner Zeit vereinigten mit echt weiblichem Charakter italienische Gluth der Empfindung. Daß er dieser gluthvollen reinen Weiblichkeit die rechte Sprache zu geben wußte, war mitunter sein einzig wirksames Zaubermittel. Man nehme ihm etwas von der Höhe absoluter Vollkommenheit, auf welcher er hier steht, und eine Wirkung dieser Art wäre unmöglich gewesen. Während er die Weichlinge unter den Männern oft durch männliche Härte verscheuchte, durfte er auf die Damen unter allen Umständen rechnen.


Am 24. August dieses Jahres, als Händel die Oper für die nächste Saison schon fertig hatte, spielte er seinen Schülerinnen, den Prinzessinnen Anna und Caroline, in St. Paul's Kathedrale auf der Orgel vor. Dies berichtet uns eine Zeitung an demselben Tage, an welchem Herr Mist die Midas-Fabel auftischte.104 Die Orgel war[121] seit 1720 prachtvoll, an Umfang und Registern so vervollständigt, daß man sie für das erste Werk in Europa erklärte.105 Früher hatte sie unserm Händel nie genügt, namentlich nicht im Pedal. Die Engländer vor seiner Zeit verstanden sich schlecht auf die deutsche Orgelkunst mit Händen und Füßen.

Ueber das Zurückbleiben der Londoner Altstadt(City) in künstlerischer, besonders in musikalischer Hinsicht wurde vielfach gespottet, auch in dem obigen Gedichte. Ein hochweiser Rath führte eben damals eine Komödie auf, aus der sein Kunstverstand heller hervor leuchtet, als aus den Witzen der West-Londoner. Green, ein blinder Organist in der City (an St. Giles' Cripplegate, wo Milton begraben liegt) ertheilte Musikunterricht, für Geld natürlich. Er war ein geschickter Mann und fand dankbare Schüler. Die Corporation der Stadtmusikanten berief sich auf ihre Privilegien aus dem vierten Jahre der Regierung Jakob's des Ersten, nach welchen jeder, der in der City einen der Corporation zustehenden Erwerb treibe, ohne ihr anzugehören, mit £ 5 zu strafen sei, und verklagte den blinden Mann. Am 14. Juli wurde Gericht gehalten. Ein Rathsherr (Chamberlain of London) führte die Sache der Stadtmusikanten, Green vertheidigte sich selbst. Er sagte, Musik sei eine freie Wissenschaft (a liberal science) und daher nicht mit unter jenes Gesetz befaßt. Aber der Kläger machte einen Unterschied zwischen dem wissenschaftlichen und dem praktischen (manual) Theil dieser Kunst, nämlich zwischen der mathematisch-physikalischen Speculation über Klangerscheinungen und der wirklichen Musik: und dies war den Richtern einleuchtend. Dem armen Green wurde die vorgeschriebene Strafe auferlegt und das Recht, Privatstunden zu geben, abgesprochen.106 Während man also die zu allen Zeiten hochmüthige und zu allen Zeiten nutzlose musikalische Zahlenspielerei als Wissenschaft geehrt und[122] frei ausgehen ließ, wurde die gesammte Musikpraxis mit dem Bann eines zunftmäßigen Handwerks belegt. Ob der Lord Mayor seine Tochter zum Thore hinaus in den feineren Westtheil fahren ließ, um sie dort von einem ordentlichen Musiker unterweisen zu lassen, oder ob sie sich mit dem begnügen mußte, woran Vater und Mutter so lange genug gehabt hatten; ob Vornehmere, wie Geminiani, Carbonelli, Pepusch, Galliard und Aehnliche das thun durften, was einem geschickten blinden Manne untersagt war; ob das alberne Gesetz später einmal aufgehoben wurde, oder nur nach und nach (zum Bedauern der »Times«, die es jetzt gegen deutsche Musiker gebrauchen könnte) einschlief: darüber war nichts Gewisses zu erfahren.

Man half sich aber auch unter solcher Philisterei auf die Weise, in welcher die Musik den schnellsten und natürlichsten Eingang findet, ohne den Kampf mit alten Privilegien aufnehmen zu müssen – durch freie Vereine. Eine Gesellschaft vornehmer Männer versammelte sich die Winterzeit über jeden Montag in dem Gasthause zur Krone im Strande zu musikalischer Unterhaltung. Die Gesellschaft war geschlossen; nur einmal im Jahre, zur Feier des Cäcilientages, pflegte man vor vielen geladenen Damen und Herren ein Concert abzuhalten.107 Hierdurch, und überhaupt durch die steigende musikalische Fluth angeregt, thaten sich gegen hundert Herren der City, meistens dem Kaufmannsstande angehörend, zu einem philharmonischen Klubb (Philharmonica Club) zusammen, unter Anführung des Violinisten Talbot Young, eines königlichen Kirchenmusikers, und gaben das erste ihrer wöchentlich einmal stattfindenden Concerte im October desselben Jahres, in welchem der blinde Green verurtheilt wurde. Die[123] zahlreiche Gesellschaft betheiligte sich theils mitwirkend, theils zuhörend. Der Ort der Versammlung war »das Schloß«, ein großes Gasthaus in Paternoster-Row bei der St. Paulskirche.108 Jetzt zu Anfang fehlte es diesen Vereinen freilich noch allzusehr an musikalischem Gehalt und sicherer Geschmacksrichtung; als aber nach und nach das Bessere durchdrang, bildeten sie die naturgemäßen Organe, welche es der großen Gesellschaft zuführten.


Sechster Jahrlauf: vom 31. Oct. '24 bis zum 19. Juni '25.


Das höchste Ehrenamt der Akademie, das des zweiten Präsidenten (Deputy-Governor), wurde für so wichtig gehalten, daß sich die beiden Hauptbewerber für das nächste Jahr, die Herzöge von Queensberry und Manchester, außerordentlich viele Mühe darum gaben. Endlich erhielt es der Herzog von Manchester.109 Als diese Wahl stattfand, am 2. December, waren die Opern schon wieder in vollem Gange.


Tamerlane. 1724

Das Original enthält eine zusammenfassende Bemerkung am Ende, aus welcher hervorgeht, daß es in 21 Tagen des verflossenen Juli entstanden war: »Fine dell Opera | comminciata li 3. di Luglio e finita li 23. | anno 1724.«

Das Textbuch dedicirte Haym, der Dichter, dem Herzog von Rutland, einem der wackersten Patrone des Tonsetzers wie des Poeten. Rutland war ein guter Geiger und spielte in den Hofconcerten, die Händel leitete, die erste Violine. Er hatte den Carbonelli, seinen Meister, mit aus Italien gebracht; die Violinsolos, welche dieser ihm widmete, waren eigens für ihn geschrieben.

Zu den vorgenannten Sängern kam jetzt noch Signor Borosini, für den die Partie des duldenden Tyrannen Bajazeth bestimmt war; Tamerlan, den handelnden Tyrannen, hatte Pacini; Senesino gab den Andronico, den Geliebten von Bajazeth's Tochter Asteria (Cuzzoni).[124] Der edle Mist, Borosini's Ankunft anzeigend, setzt den Ton der Midasfabel auch in Prosa fort und wärmt Addison's »Mynheer Hendel« wieder auf.110 Gleichzeitig werden die schlechtesten italienischen Componisten und die liederlichsten Farcen der englischen Theater angepriesen. Er war Landbesitzer und hatte Pfarrpfründen zu vergeben, gehörte also wenigstens nicht zu den ausgezogenen Engländern, deren Sache er auf diese Weise herrlich zu verfechten meinte.

Die verhältnißmäßig wenigen Aufführungen dieser Oper, die von musikalischen Schönheiten aller Art strotzt, erklären sich vom Standpunkte der Akademie aus sehr einfach. Man wollte sich an zwei Helden, wie in der folgenden Saison an zwei Heldinnen, ergötzen; aber da die Sänger den Erwartungen nicht entsprachen, wurde nach neuen Werken gegriffen. Den Sängerkünsten war von Anfang an eine übertriebene Theilnahme zugewandt. Tamerlan, der wie Otto reich ist an schönen Gesängen, einfachen sowohl als kunstvollen, würde sonst viel länger vorgehalten haben. Händel wurde reichlich dadurch entschädigt, daß diese Gesänge insgesammt schneller in die Oeffentlichkeit drangen, als die seiner andern Opern. Der entschiedene Beifall ermuthigte nämlich den Verleger zu dem Versuche, das ganze Werk mit einer englischen Uebersetzung stechen zu lassen.111 Bisher war nur einzelnen Arien sangbarster Gattung diese Ehre widerfahren. Daß Cluer's Unternehmung sehr gewinnbringend war, ist zu bezweifeln, denn der Kreis, den Mist kommandirte, hielt die Midasohren jetzt noch überdies mit Wachs verklebt; aber denkwürdig bleibt dieses frühe Anpochen an die Thore einer weiteren Oeffentlichkeit[125] doch immer. Auch schadete der Nachdruck von Walsh, welcher mit derselben Uebersetzung sofort erschien.112 Alle zehn Arien dieses Raubdruckes sind als »Lieblingsstücke« bezeichnet.

Den Reichthum der Gesänge lassen wir unbesprochen, und erwähnen nur einiger mehrstimmigen und recitativischen Sätze.

Das Duett im dritten Akt zwischen Bajazeth's Tochter Asteria und ihrem Geliebten Andronico »Vivo in te« in Emoll, von Flöten, Oboen und Saiteninstrumenten begleitet, zeigt musterhaft, wie eine gelehrte und volle Harmonie mit einer echt bühnengemäßen oder scenisch dramatischen Haltung zu vereinigen ist.

Eine noch größere Merkwürdigkeit ist das Terzett zwischen Asteria (Sopran), Tamerlan (Alt) und Bajazeth (Tenor) gegen Ende des zweiten Aktes, »Voglio stragge«in Ddur. Dieser Satz, völlig in sich abgerundet, ist musikalisch wie deklamatorisch und dramatisch gleich schön und bedeutend, ein vollkommnes Muster seiner Art, welches die gangbaren Ansichten über spätere Einführung und Ausbildung derartiger Formen über den Haufen wirst. Die Bewegung liegt im Alt (Tamerlan), nicht in der Unterstimme, wie bei einem verwandten Trio in Acis und Galatea (»Dem Berge mag die Heerde«); jener köstliche Satz des Pastorals hat seine Stärke im Lyrischen, dieser im Dramatischen. Kleinere Vorläufer findet man schon in Scarlatti's Opern.

Was aber ohne Vorbild wie eine ganz freie Kunstschöpfung dasteht, ist die tragische Schlußscene; man müßte denn sagen, Händel habe das, was er im Julius Cäsar als musikalischen Monolog auftreten läßt, hier zu einer ganzen Scene ausgebreitet. Bajazeth, durch eine endlose Kette von Mißgeschick zur Verzweiflung gebracht, nimmt Gift, und kündigt darauf seiner Tochter vor allen versammelten Personen sein nahes Ende an, den Tyrannen verwünschend, sie aber mit größter Zartheit tröstend und zu einer gleichen That anfeuernd. Alles dieses, wie auch der Klageruf der Asteria, die Drohung an Tamerlan, geht in dem großartigsten und prächtigsten begleiteten Recitative vor sich; an zwei Stellen strömt das vollbewegte Gemüth in[126] den schönsten lyrischen Gesängen dahin, den Vorgang musikalisch auf's tiefste ausdeutend, ohne den natürlichen Fortschritt der Handlung aufzuhalten. Die musikalische Gewalt geht hier völlig auf in die dramatische, das Ganze ist seiner Bedeutung und Wirkung nach eine einzige große Scene. Tamerlan ist erschüttert; er will jetzt die Verbindung der Asteria mit Andronikus nicht länger gewaltsam verhindern: und so führt die tragische Situation einen Ausgang herbei, den der Schlußchor »D'atra notte« würdig und schön besingt: »Durch die schwarze Nacht schimmert ein Glanz zukünftig besserer Tage; unter den Todtenkerzen, welche Lachesis angezündet hat, leuchten Amor's Fackeln.« Diese Scene, eins der größten Meisterstücke in Händel's Opern, ist in der Weise gestaltet, welche man wohl den Gluck'schen Styl zu nennen pflegt. Was sind aber solchen Thatsachen gegenüber die angeblich neuen Erfindungen späterer Tonsetzer anders, als glückliche Anwendungen der längst vor ihnen in's Leben getretenen und ohne ihr Zuthun mustergültig hingestellten Kunstformen? und wo ist die Scene, auf den Kern solcher Darstellungen gesehen, in der sich wahre Dramatik und wahre Gemüthsbewegung durch eine noch gediegenere Musik ausgedrückt fänden? Wir behaupten damit nicht, was unbeweisbar wäre: Händel hat keine Iphigenia geschaffen, dazu war etwas erforderlich, was nicht in ihm lag; aber Gluck hat unter seinen berühmten Recitativen auch nicht ein einziges geliefert, welches den besten Händel'schen an musikalischem Vollgehalt die Waage hielte. Brächte man alle groß-recitativischen Sätze in Händel's Opern und Oratorien auf einen Haufen: jeder vorurtheilslose und einsichtige Kenner würde erstaunen.

In Hamburg wurde Tamerlan schon 1725 gegeben. Die Schlußscene ließ man größtentheils italienisch singen, »weil – wie der Uebersetzer behauptet – Worte und Music gar zu schön.«

Attilio Ariosti fertigte noch zwei Opern für diese Saison, und brachte die erste von ihnen, Artaserse, am ersten December hervor. Sie war ihm recht wohl gelungen, und Walsh ließ sieben von den Gesängen, anscheinend als Raubdruck, in die Oeffentlichkeit gelangen.113[127]

Den Text schrieben Apostolo Zeno und Pietro Pariati 1705 für Venedig, wovon sich Haym in seiner Dedication an den Herzog von Richmond indeß nichts merken läßt.

Die nächste Oper war wieder von Händel.


Rodelinda. 1725.

Nur die Beendigung, nicht die Dauer der Arbeit ist in Händel's Manuscript angegeben: »Fine dell Opera | li 20 di Genaro 1725«. Haym's Text ist dem Grafen von Esser zugeschrieben.

Die großen dramatisch-lyrischen Scenen aus Julius Cäsar und Tamerlan werden hier würdig fortgesetzt. Als Bertaride (Senesino), der flüchtig gewordene, für todt gehaltene König der Lombarden und Gemahl der Rodelinda, an die Grabstätte seiner Ahnen gelangt, drückt er sein »Pompe vane di morte« im großen Recitativstyl aus und endet mit der bald weit und breit gesungenen Arie »Dove sei, amato bene«. (I, Sc. 6.) Senesino wußte hier wieder alle ihm zu Gebote stehenden Mittel zu entfalten. Unmittelbar an diesen Auftritt schließt sich ein ähnlicher der Rodelinda (Cuzzoni), die mit ihrem Kinde an dieselbe Grabstätte kommt, »Ombre piante«. Ihre folgende herrliche Zornarie »Morrai si« hinzu genommen, entsteht eine außerordentliche Scene.

Eine ganz ähnliche und ebenbürtige bringt der dritte Akt (Scene 3 und 4, im Kerker), bei der die musikalische Fülle aber noch größer, die Originalität der Composition noch bewundernswerther ist. Die Gestaltung ist der einer funfzig Jahre späteren Zeit auf fallend verwandt, namentlich in dem Largo »Chi di voi«.

Der dritte Auftritt dieser Art ist Grimoaldo's (Borosini's) Monolog Scene 6 »Fatto inferno«, der in eine Siciliane ersten Grades (Pastorello d'un povero armento) ausläuft. Es brachte überhaupt schon eine große Fülle und einen gewissen männlichen Zug in diese Opern, daß jetzt der Tenor als eine der Hauptstimmen darin vertreten[128] war. Die Lust, mit der Händel diese damals gleichsam neue Goldader ausbeutete, ist unverkennbar; seine Tenorgesänge sind schon meistentheils in derselben Weise männlich einfach und bedeutend gehalten, wie die später in der Oratorienzeit für Beard gesetzten.

Der zweite Akt schließt mit dem berühmten Duett »Io t'abbraccio«.

Die Sologesänge kann man nicht ohne Erstaunen über Händel's Unerschöpflichkeit betrachten. Diese Arien sind als Charakterbilder denen im Julius Cäsar ähnlich, musikalisch aber von noch größerem Werthe. Rodelinda ist überhaupt eine seiner vollkommensten Opern.

Signora Cuzzoni wurde sehr darin gefeiert. Nicht bloß ihre Gesänge hallten alsobald in allen Damenzimmern wieder, auch ihr Rodelinda-Anzug wirkte gesetzgebend auf die neueste Mode, obwohl sie, wie man oft genug bemerkt hatte, sich nicht besonders geschmackvoll zu kleiden wußte. Mit dieser Oper erklomm sie den höchsten Gipfel der öffentlichen Gunst.

Die Hamburger sahen das Werk erst im Jahre 1734, als bei ihnen schon alles anfing drunter und drüber zu gehen.114

J. Cluer druckte die Musik »in Partitur« und »für die Flöte«. Die Aufforderung zur Subscription erließ er am 20. März, und die Musik erschien im Mai und Juni.115 Von 120 Personen, unter ihnen viele Damen, waren 160 Exemplare gezeichnet. Warum[129] Händel's Subscriptionslisten immer so klein waren im Vergleich zu denen der Italiener, erklärt sich leicht. Während Bononcini, Attilio und Genossen in Person oder durch einen Abgesandten bei dem Adel von Haus zu Haus supplicirten, erlaubte Händel seinem Verleger nur, Bestellungen überhaupt schon vor der Beendigung des Druckes anzunehmen, wie Cluer denn auch einfach sagt, etwaige Subscribenten zu dieser gefeierten Oper möchten sich binnen zwanzig Tagen melden116; und in so kurzer Frist kamen natürlich nur einige bewährte Freunde, Musiklehrer und Musikhändler.

Attilio Ariosti beschloß seine Thätigkeit für die Akademie vorläufig mit der Oper Dario (1716 als Arsilda mit Vivaldi's Composition in Venedig gegeben), die am 10. April zuerst herauskam.

Dann folgte als Schlußwerk der Saison am 11. Mai Elpidia (als I Rivali generosi 1697 mit anderer Musik in Venedig gegeben, gedichtet von Zeno), von welchem das Textbuch, Burney's Mittheilung zufolge, besagt, daß die Musik dazu von Leonardo Vinci componirt sei, einige Arien ausgenommen.117 Was Burney hier weiter beibringt, ist ein Geschwätz, welches man selbst bei seinem Leichtsinne nicht für möglich halten sollte. Leonardo Vinci gehört zu den Meistern, in deren Verhätschelung sich unsere Musikschriftsteller gefallen. »Vinci erfand zuerst«, so lautet das Urtheil des weisen Piccini, »die Art, den Gesang der recitirenden Person mit den Instrumenten zu begleiten und ihm zu folgen«, also das in den letzten Opern bei Händel so gewaltig hervorbrechende begleitete Recitativ! Burney macht ihn zu einem jungen, selbst in Italien noch wenig bekannten Manne, obwohl er damals schon 35 Jahre alt war; läßt auch seine Oper bei den Engländern unbeachtet, ja, vorausgesetzt sie hatte den Werth seiner späteren, unverstanden vorübergehen, da sie doch eine nicht unbedeutende Anzahl, nämlich sechzehn, Vorstellungen erlebte, und zwölf der schönsten Gesänge durch Walsh gedruckt wurden.118 An einem andern Orte desselben Bandes theilt dann Burney mit Beziehung[130] auf Vinci folgende erstaunliche Ansicht über den Entwicklungsgang der dramatischen Musik mit: »Die Gesangcompositionen Vinci's bilden eine Aera in der dramatischen Musik, da er unter seinen Landsleuten der erste war, welcher, seit der Erfindung des Recitativs durch Jacopo Peri um 1600, eine beträchtliche Umwälzung im musikalischen Drama scheint veranlaßt zu haben. Die Arien der ersten Opern waren einfach und an Zahl gering; aber mit der Verbesserung des Gesanges wurde das Orchester zahlreicher, die Singstimmen bekamen ein mehr gearbeitetes Ansehen und die Begleitung wurde complicirter. Im Fortgange der Zeit jedoch scheint die Poesie von der Pedanterie der Musiker viel gelitten zu haben, welche vergaßen, daß die wahre Charakteristik der dramatischen Musik in der Klarheit besteht, und daß der Klang nur eine Handhabe der Poesie und Färbung der Leidenschaft ist; das Geschäft des Drama wurde vernachlässigt, die Worte blieben unverständlich, die Musik schied sich so gänzlich von der Dichtung, daß sie rein instrumental wurde, und die Singmelodien konnten dann ebensowohl von einer Flöte oder Violine im Orchester, als von einer dramatischen Person auf der Bühne vorgetragen werden. Vinci scheint der erste Opernkomponist gewesen zu sein, welcher diese Absurdität bemerkte und seine Kunst, ohne sie zu erniedrigen, zum Freunde, obwohl nicht zum Sclaven der Poesie machte, nämlich durch Vereinfachung und Verfeinerung der Melodie und durch die Befreiung derselben von Fugen, Verwicklungen und gelehrten Erfindungen.«119 Diese auf ein dreifaches »scheint« gegründete Ansicht von der Ausbildung der dramatischen Musik würde uns wenig kümmern, wenn sie nicht durch gedankenloses Nachsprechen nach und nach allgemein geworden wäre. Burney selber wiederholte nur, was ihm die Italiener seiner Zeit vorsagten. Aber welcher Leichtsinn und welche Beschränktheit, mit solchen Worten gleichsam Alles, was er auf mehreren hundert Seiten über Händel's Opern vorgebracht hatte, wieder zurückzunehmen, während damals fast er allein im Besitz genügender Mittel war, um die von den Italienern in Umlauf gesetzten Meinungen berichtigen zu können! Die »Umwälzungen« der Vinci, Porpora, Hasse und Genossen sind durch eine Kenntniß Scarlatti's[131] (den Burney freilich nicht untersuchte) leicht auf ihr rechtes Maaß, sowie durch eine Kenntniß Händel's auf ihren wahren Werth zurück geführt. Weiterhin werden wir diesen Gegenstand noch oft berühren. Händel bewährte auch darin seine Neigung für Scarlatti's Richtung, im Gegensatze zu der Bononcini's, daß er dieses kleine frische Werk eines seiner Nachfolger hier zur Aufführung vorbereitete. Zu Anfang des folgenden Jahrlaufes wurde es wieder gegeben, und zwar »mit verschiedenen Zusätzen und Veränderungen« von seiner Hand. Darauf griff er zu einer Oper von Porpora, und suchte so nicht bloß in eignen Schöpfungen, sondern auch durch Heranziehung der Werke der Neuitaliener einen Ersatz für die allmählig erlöschende Thätigkeit seiner Rivalen.

Attilio Ariosti wurde für das folgende Jahr nicht wieder mit Aufträgen beehrt. Im Vorgefühl des nahen Endes seiner Wirksamkeit, zugleich aber auch, um den durch Bononcini's Rückzug und durch Händel's Ehrgefühl und Künstlerstolz offen gelassenen Weg zu betreten, ließ er Ende 1724 ein Werk für Kammermusik auf eigne Kosten herstellen, wußte demselben aber ein noch aristokratischeres Ansehen zu geben, als einstmals Bononcini seinen Cantaten, indem er nicht nur den Namen eines Verlegers, sondern auch den Sachtitel fortließ, dafür die Widmung an den König und das königliche Haus (Alla Maestà di Giorgio Rè della Gran Britagna etc. etc.) auf die ersten Blätter setzte, und selbst seinen Namen unter der Zuschrift nur durch A.A. anzudeuten wagte. Dieser Zug ist unverkennbar Ariostisch. Die etwaigen leeren Plätze schnell zu besetzen, die von den größeren Genossen gegebenen Beispiele nachahmend zu überbieten, darin bestand sein eigentliches Geschick. Das Werk war, ohne Verfasser und Titel ausgegeben, natürlich bald verschollen, obwohl 84 Seiten in groß Folio stark, und ist jetzt selten, ja durch das Fehlen des Titels und Autors unkenntlich geworden. Die Zeit des Erscheinens ist niemals näher bestimmt; was Hawkins sagt, kann nur irre leiten. Zwei Fingerzeige führen aber zu einem ganz sichern Schlusse. Unter den Subscribenten ist der Herzog von Manchester als Deputy-Governor der Akademie aufgeführt. Er bekleidete dieses Amt, wie wir wissen (S. 124), für den Jahrlauf 1724–25, und zwar seit dem 2. December '24. Nun muß Ariosti's Musik gleich damals, und nicht etwa[132] zu Ende der Saison, gedruckt sein, denn in der Zuschrift erbittet er sich des Königs Nachsicht für die Compositionen, welche er nach Bestimmung der königl. Operndirection noch für das gegenwärtige Jahr zu liefern habe.120 Wie Hawkins wissen wollte, war die Subscription mehr erbettelt als erbeten; wer bei persönlicher Rundreise die Zeichnung zusagte, wurde in die vorgedruckte Liste eingetragen, und wer sie ablehnte, wurde ebenfalls eingetragen; und das Versprechen wurde gegeben, die betreffenden Cantaten sollten die Früchte seines besten Fleißes sein.121 Es hat demnach nichts Auffallendes, daß dieser verschämte Arme eine Liste von 825 Namen zu Stande brachte. Interessant wird diese Liste durch die Angabe aller Personen, welche Subscribenten der Akademie waren; Ariosti zählt deren 133 auf, und wir dürfen sicher annehmen, daß er uns damit die volle Zahl derselben überliefert hat.

Wer übrigens subscribirte, reichte keineswegs ein leeres Almosen, sondern mußte finden, daß der Musiker sein Versprechen gehalten hatte. Die Musik ist gediegener gearbeitet, als die seiner meisten Opern. Sie besteht aus sechs Cantaten, die aber nicht, wie Hawkins sagt, von Rolli gedichtet, wenigstens nicht in die Ausgaben seiner gesammelten Cantaten aufgenommen sind. Nirgends hat er sich so sehr an Händel gelehnt, ja dessen Gedanken nur eingeschmolzen und dann in seiner Münze neu geprägt, als eben hier. Das längere dreistimmige Vorspiel zu der ersten Cantate »la Rosa« ist nichts, als eine verkürzende Umschreibung der Sinfonie, welche Acis und Galatea eröffnet; die folgende Arie mit einfachem Grundbaß »Da procella tempestosa« ist eine genaue und treffliche Copie Händel'scher Sätze; die Arie in der vierten Cantate »In me spento d'amore« ist nach dem harmonischen Grobschmied gemacht, einer reizenden Melodie mit Variationen in dem fünften Stücke des ersten Theils der Händel'schen Claviersuiten; und wenn die pathetischen Sätze mit vollerer und kunstvollerer Begleitung ihm nicht in gleichem Maaße gelangen[133] langen, wie die einfacheren, so lag die Schuld wenigstens nicht an seinem großen Vorbilde. Ein solches Nachzeichnen fremder Muster hat bei Attilio nichts Auffallendes. So hatte er es nun schon dreißig Jahre getrieben. Eine wirkliche Hingabe an das Vorbild war damit nicht verbunden; es war nur ein verständiges und oft glückliches Ablauern. Des Mannes anscheinende Gutmüthigkeit barg keinen edleren Gehalt. Ehrgefühl fehlte ihm gänzlich. Seine Setzart war gesucht, oder vielmehr zusammensuchend je nach Vorbildern und Geschmacksrichtungen. Er faßte die Kunst der Composition noch nach ihrem allerersten und äußerlichsten Begriffe auf, nämlich als künstliche Zusammensetzung der Töne, und würde zu andern Zeiten, unter andern Umständen auch anders zusammengesetzt haben. Insofern muß man ihn wirklich vielseitiger nennen, als Bononcini; er hätte, zwanzig Jahre später oder zehn Jahre früher geboren, komische Opern zuwege gebracht, Bononcini niemals. Der Orden der Dominikaner, dem Pater Attilio angehörte, erlaubte ihm die Ausübung der Musik, ihnen und der Kunst zu Ehren. Nun wollte sein Schicksal, daß er als Nachahmer eines Mannes enden sollte, der als Ausländer und als Protestant in der italienischen Oper mächtig wurde, und der ihm als Knabe in Berlin auf den Knieen gesessen war. Als Pater Attilio nach einigen Jahren heimzog, führte er seinem Kloster einen kleinen Schatz an Geld und einen noch kleineren an künstlerischen Ehren zu.

Der werthvollste Theil seines Subscriptionsbuches ist die beigegebene Lehrschule für die Liebesgeige (Viola d'Amore), eine sehr kurze Anweisung nebst vielen trefflichen Uebungsstücken. Er spielte dieses Instrument mit vollkommener Meisterschaft, führte es am 12. Juli 1716 in der Zwischenaktsmusik zu Händel's Oper Amadis zuerst in England ein122, und lehrte die Behandlung desselben nach einer »von ihm erfundenen« Methode. Weil dieses reizende Instrument jetzt wieder in Uebung kommt, Anleitung und Beispiele aber sehr rar sind, würde dem Bedürfniß durch die Herausgabe von Attilio's Schule wohl am besten abzuhelfen sein. Als Meister und Lehrmeister der Viola d'Amore bleibt uns sein Andenken werth. Er gehörte[134] aber zu den vielen, die nicht begreifen mögen, daß man ein ausgezeichneter Spieler und doch ein schlechter Componist sein kann.

Händel's diesjährige öffentliche Belohnung bestand in einem Epigramm, welches wie ein Wölkchen jenem von national-englischer Seite über die italienische Oper hereinbrechenden Gewitter vorauf flog. Ein Dr. Byrom, der schon unter Addison und Steele am Spectator gearbeitet hatte und durchaus zu der anti-musikalischen Richtung gehörte, hatte über den Hader der Anhänger Händel's und Bononcini's einen witzigen Einfall, der im Mai d. J. in Umlauf gesetzt wurde:


Man sagt wohl, gegen Bononcini

Sei Mynheer Händel nur ein Ini;

Und sagt auch, Der sollt' Händel gleichen,

Und kann ihm nicht das Wasser reichen?

'S ist närrisch, diese Zänkerei

Um Dudeldumm und Dudeldei!123
[135]

Wer sich der Schlußzeilen erinnert, wird auch wissen, daß sie allgemein unter Swift's Namen umlaufen. Der grämliche Dekan fand Gefallen an diesem Epigramm, welches auch als Antwort auf die früher behandelte Streitfrage, ob Crispo oder Griselda die bessere Oper sei (S. 80), recht treffend gewesen wäre, hielt den Autor von Stund' an seiner Beachtung werth, und ließ die beiden letzten Zeilen in einer Sammlung abdrucken, die er gemeinsam mit Pope herausgab. Byrom in London wußte von den Werken der betreffenden Meister auch genau so viel, als Swift in Dublin; denn, wie er uns erzählt, hatte er niemals eine Oper von Bononcini, eine Händel'sche aber nur einmal gehört, und zwar mit dem frommen Wunsche, nie zum zweiten Male dazu genöthigt zu sein, da von allen Londoner Vergnügungen das der Oper ihm das gleichgültigste sei.124 »Ich für mein Theil«, sagt er an einem andern Orte, »halte alle Theatergeschichten für Unsinn und dumm Zeug.«125 Byrom zeigt sich hiermit zugleich als ein Anhänger der immer weiter um sich greifenden pietistischen und Wesleyanischen Lehren, und ist uns daher ein Vorläufer jener beiden Richtungen, der nationalen und der religiösen, welche das damalige Musiktreiben bald mit unerwartetem Erfolge bestreiten sollten. Einstweilen freuten sich die englischen Musikanten, daß sie etwas hatten, womit sie sich die große musikalische Erscheinung lustig vom Leibe halten konnten, und sangen das seinem Wortlaute nach sehr entstellte Epigramm vierstimmig, vielleicht nach der alten Tweedle-Melodie »Ein Fröschlein wollt' auf die Freite gehn.«

Händel hegte die Hoffnung, seine Mutter in Halle diesen Sommer[136] während der Anwesenheit des Königs in Hannover besuchen zu können. Aber die Arbeiten häuften sich allzusehr. Der Brief an seinen Schwager Michaelsen ist erhalten, in welchem er ihn seiner dankbaren Anhänglichkeit versichert und an den ganzen Freundeskreis Grüße bestellt »Ich kann die viele Güte nicht mit Stillschweigen übergehen, die Sie meiner Mutter bei ihren vorgerückten Jahren durch Ihren Beistand und Ihre Tröstungen haben angedeihen lassen, ohne meine demüthige Dankbarkeit zu erkennen zu geben; Sie wissen, wie tief mich alles ergreifen muß, was sie betrifft.« Der Brief lautet vollständig:


»a Londres ce 22/11 de Juin

1725.

Monsieur

et tres Honoré Frere.


Encore que je me trouve tres coupable de n'avoir pas satisfait depuis si longtems a mon devoir envers Vous par mes lettres, neantmoins je ne desespere pas d'en obtenir Vôtre genereux pardon lorsque je Vous assurerai que cela n'est pas provenu de quelque oubli, et que mon Estime et Amitié pour Vous sont inviolables, comme Vous en aurez trouvé des marques, mon tres Honoré Frere, dans les lettres que j'ay ecrit a ma Mere.

Mon Silence donc, a ete plustôt un effêt de crainte de Vous accabler par une correspondence qui Vous pourroit causer de l'ennuy. Mais ce qui me fait passer par dessus ces reflexions, en Vous donnant l'incommodité par la presente, est, que je ne scaurois pas être si ingrat que de passer avec silence les bontés que Vous voulez bien temoigner a ma Mere par Vôtre assistance et Consolation dans son Age avancé, sans Vous en marquer au moins mes treshumbles remercimens. Vous n'ignorez pas com-bien me doit toucher ce qui la regarde, ainsi Vous jugerez bien des Obligations que je Vous en dois avoir.

Je me conterois heureux, mon tres Cher Frere, si je pou-vois Vous engager a me donner de tems en tems de Vos nouvelles, et Vous pourriez etre sur de la part sincere que j'en prenderois, et du retour fidel que Vous trouveriez toujours en moy. J'avois crû de pouvoir Vous renouveller mon Amitié de bouche,[137] et de faire un tour en Vôs quartiers a l'occasion que le Roy s'en va a Hannover, mais mes souhaits ne peuvent pas avoir leur effet encore, pour cette fois, et la situation de mes affaires me prive de ce bonheur là malgré que j'en aye. je ne desespere pas pourtant de pouvoir etre un jour si heureux. cependant, il me seroit une consolation bien grande, si j'oserois me flatter, que Vous me vouliez bien accorder quelque place dans Votre Souvenir, et de m' honorer de Vôtre amitié, puisque je ne finirai jamais d'etre avec une passion et attachement inviolable


Monsieur

et tres Honoré Frere

Vôtre

treshumble et tresobeissant

Serviteur

George Frideric Handel.


je fais bien mes treshumbles respects a Madame Votre Epouse. et j'embrasse tendrement ma Chere Fileule et le reste de Votre chere Familie.

mes Complimens s'il Vous plait a tous les Amis et Amies.


A Monsieur

Monsieur Michael Dietrich

Michaelsen Docteur en Droit

à

Halle

en Saxe«126


Das damals neugebaute Hannover-Square, in dessen Nähe Händel von jetzt (1725) an wohnte, erhielt auch eine neue »Hannover-Kirche«. Den vornehmen, reichen Eingepfarrten war es um einen tüchtigen Organisten zu thun. Die Besetzung der Stelle wird verschieden erzählt. Nach Hawkins geschah sie »um das Jahr 1725«, und Händel und Geminiani hatten die Bewerber zu prüfen; nach Burney »im Jahr 1726«, und Richter sollen Händel, Pepusch, Greene und Galliard gewesen sein. Die Wahl fand aber, wie ich aus den Zeitungen ersehe, am 19. November 1725 statt, musikalische Richter waren Crofts, Pepusch, Bononcini und Geminiani: und[138] Thomas Roseingrave (S. 51) war von sieben Bewerbern der Erwählte.127 Burney berichtet indeß: »Herr Händel war nicht in Person gegenwärtig, sondern schickte sein Fugenthema«, und beruft sich auf Arne und Festing, welche der Feierlichkeit beiwohnten128: also werden die Patrone Händel um eine Theilnahme an der Prüfung ersucht haben, der aber eine persönliche Berührung mit den andern Richtern, die damals eine ihm feindliche Clique bildeten, möglichst vermied. Die Besoldung (auch wenn sie £ 50 betragen hätte, wie Hawkins angiebt) war schimpflich gering; und doppelt so, da sie von denselben Lords und Gentlemen gereicht wurde, welche Tausende an italienische Sänger verschwendeten. Die Belohnung der Kirchenmusiker stand damals allerdings, namentlich in England, längst nicht mehr im Verhältniß zu den Summen, mit welchen die musikalische Kunst in Theatern und Concerten ermuntert wurde. Bei Roseingrave, dem schulmäßige Tüchtigkeit nicht abzusprechen ist, bleibt man doch immer ungewiß, ob er ein Narr war, oder ein Kind. Als er im Vertrauen auf sein Fixum von £ 45 eine Dame um ihre Hand ansprach, aber abgewiesen wurde, brach sein Herz so, daß er es ganz deutlich knacken hörte; und als um diese Zeit der heranwachsende[139] junge Schmidt, für dessen allseitige Unterweisung Händel weder Zeit noch Geduld hatte, unter andern auch bei Tom Rosy Lectionen nahm, gewann dieser den harmlos unschuldigen Jüngling so lieb, daß er durchaus keine Bezahlung annehmen wollte, stellte sich dafür aber regelmäßig zum Mittagessen ein. Roseingrave hätte nach Deutschland auswandern und hier eine der von Händel verschmähten ehr- und tugendsamen Organistentöchter heirathen, aber nie mit diesem Deutschen sich in einen Ringkampf einlassen sollen.


Siebenter Jahrlauf: vom 30. Nov. '25 bis zum 11. Juni '26.


Der abgegangene Tenorist Borosini wurde durch Antinori ersetzt, der aber nicht seine Fähigkeiten scheint besessen zu haben.

Das erste neue Werk hieß Elisa, und kam am 15. Januar heraus. Der Text war von Zeno und Pariati, die Composition aber, wie ich aus einer alten handschriftlichen Bemerkung zu den gedruckten Arien ersehe, von Niccolo Porpora129; aus den Gesängen selbst ist wenigstens so viel zu entnehmen, daß die Oper ganz der neuen, durch Porpora und Vinci vertretenen Richtung angehört. In einer Sammlung Händel'scher Baßarien, die der ältere Schmidt für einen vornehmen Liebhaber sehr zierlich zusammen schrieb, stehen zwei aus Elisa (»Ti consola«, Emoll; »Sedi Roma«, Ddur); so gar viel wird Händel indeß einer Oper, die nur ein halb Dutzend Vorstellungen erlebte, nicht hinzu gefügt haben. Am 12. März folgte die erste diesjährige Oper Händel's.


Scipio. 1726.

Die Composition war nur wenige Tage vor der Aufführung vollendet: »Fine dell Opera GFH March 2 | 1726.«. Den Text verfertigte diesmal Paolo Rolli.130[140]

Scipio gehört eben nicht zu seinen Opern ersten Grades, ist aber doch reich an Schönheiten aller Art. Die Ouvertüre ist eigenthümlich; und der Marsch, unter welchem der Vorhang aufging, blieb, wie Burney sagt, wohl vierzig Jahre lang ein Paradestück der königlichen Leibgarde. Gay machte in seiner Balladenoper Polly sogar einen Zwiegesang daraus (Brave boys, prepare). Dieser Marsch ist dem älteren des Prinzen Eugen und dem berühmten Siegesliede im Judas Makkabäus verwandt. Cuzzoni's begleitetes Recitativ und die Arie »Dolci aurette« mit einfachem Grundbaß gehören zu den feinsten Sätzen dieser Art, und daß ihr Liebhaber Lucejus (Senesino) seine Seufzer in denselben Tönen kundgiebt, wirkt hier außerordentlich überraschend. »Dimmi cara«, ein sehr beliebt gewordener Gesang, ist einfach und tief melodisch. Die Schlußarie des ersten Aktes (Figlia di reo timor) zeigt ein Mißverhältniß zwischen Wort und Ton, sowohl den Gedanken als der Form nach. »Braccio sì valoroso« für Baß, »So gli altri debellar« und »Pensa o bella« für Alt, sind herrliche Gesänge. »Tutta raccolta ancor« für Cuzzoni ist eine in sich schön vollendete Cavatine, so zu sagen ein Satz welcher auf recitativischer Grundlage zur Arie aufblüht. Senesino's »Parto, fuggo« ist vortrefflich ausgedrückt und im Tone den Gesängen der Geliebten wieder sehr feinsinnig genähert, wie denn überhaupt alles gethan ist, um das Liebespaar musikalisch zusammen zu halten. Die schöne Siciliana der Berenice »Come onda« gehört zu den Tonsätzen, mit welchen man sich nach und nach tief befreundet, um sie dann nicht wieder zu vergessen. Die Arien »Cedo a Roma« und »Scoglio d'immota« gehören der neuen Richtung an, die für Händel's Publikum in den jüngsten Opern von Vinci und Porpora nahe gerückt, aber ihrem wahren Kunstgehalte nach in Händel's bisherigen Opern schon längst ausgesprochen war. Beide sind auf große Sänger berechnet. Namentlich die zweite, für Cuzzoni, ist wie absichtlich gemacht, um den Zeitgenossen Vinci, Porpora, Pergolesi in ihrer eignen Richtung ein Muster hinzuzeichnen. Noch viel Schönes an Arien und Recitativen bietet der dritte Akt, obschon dieser und der erste gegen den mittleren etwas zurückstehen.[141]

Scipio wurde ebenfalls sofort wieder bei Cluer »in Partitur« und »für die Flöte« gedruckt, und von Walsh und Meares geplündert.

Nun endlich war die so lange erwartete, so theuer erworbene Signora Faustina Bordoni angelangt. Die Verhandlungen hatten Jahre gedauert. Schon im März '23 versichert eine Londoner Zeitung gehört zu haben, daß Faustina von Venedig eingeladen sei und sicher herüber kommen werde, die Cuzzoni niederzusingen und sodann ebenfalls Geld genug mit heimzuführen, um in einem italienischen Prachtbau die englische Thorheit verewigen zu können.131 Der Contrakt war im verflossenen Sommer endlich abgeschlossen, wie die Zeitungen melden: die eine mit dem Zusatze, sie solle gegen die Cuzzoni auftreten; eine andere mit der Versicherung, sie sei die größte Sängerin der Welt; alle aber mit der erstaunlichen Neuigkeit, daß sie nicht weniger als £ 2500 erhalte.132 Die Cuzzoni hatte £ 500 weniger. Und so, mit viel Geld und Mühen, lud die Akademie sich das leibhaftige Schicksal auf den Hals. Faustina, schlauer und verwegener als Cuzzoni, ließ fast die ganze Saison vorübergehen, bevor sie eintraf, spannte dadurch die Erwartungen auf's äußerste, und brachte die Akademie um einen großen Theil ihrer Jahreseinnahme.

Schon in den Jahren 1718–20 war sie in Italien so berühmt, daß eine Denkmünze auf sie geschlagen wurde und daß sich ihr Ruf selbst diesseits der Alpen mit auf die von ihr vorgetragenen Gesänge erstreckte. In der Anzeige eines Concertes, welches der Geiger Pietro Castrucci aus Rom 1719 in London gab, wird ausdrücklich gesagt: »Auch werden darin verschiedene Gesänge vorgetragen, welche die berühmte Faustina in Venedig sang.«133 Obwohl sie beträchtlich älter war als die Cuzzoni134, hatte man sie doch schon auf verschiedenen[142] italienischen Theatern neben einander gehört. Der alte Sangmeister Tosi fand, daß sie in der Verschiedenartigkeit ihrer Naturen und Mittel einander ergänzten und in künstlerischer Beherrschung ihrer Aufgaben ebenbürtig seien. Die wenigen Muster eines guten Gesanges unter den Lebenden anführend, sagt er zu seinem Schüler: »Besonders merke dir Zwei vom schönen Geschlecht, deren Verdienste über alles Lob erhaben sind, die mit gleicher Kraft, in verschiedener Sangweise, die schon absinkende Kunst vor schnellem Verderben bewahren. Die Eine [Faustina] steht unvergleichbar da in ihrer Begabung zum Singen, in der unerhörten Leichtigkeit ihrer Ausführung, mit welcher sie die Welt in Erstaunen setzt, in ihrem brillanten Vortrage (man weiß nicht, ob durch Natur oder Kunst erlangt), der Alles hinreißt. Das köstliche Cantabile der Andern, vereint mit der Süßigkeit einer schönen Stimme, einer Vollkommenheit in der Intonation und im Takthalten, und mit den genial angebrachten Verzierungen – das alles läßt auf Fähigkeiten schließen so besonderer und ungewöhnlicher Art, daß sie schwer nachzuahmen sind. Diese hat ihre Hauptstärke im gefühlvollen, pathetischen Vortrage, jene im unerhört schnellen. Welch eine herrliche Mischung würde entstehen, wenn das Auszeichnende dieser beiden englischen Wesen in einem einzigen vorhanden wäre!«135 Mit der deutlichsten Artikulation, der markigsten, geläufigsten Aussprache verband Faustina große körperliche Reize mehr derber als zarter Art, und ausdrucksvollste Lebendigkeit in allen ihren Mienen und Bewegungen, so daß Jedermann sagte, sie sei zum Singen und Spielen geboren. Ein so schnelles Wiederholen desselben Tones hatte man bisher bei der Singstimme nie für möglich gehalten. Im Gegensatze dazu wußte sie einen einzelnen Ton unendlich auszuhalten. Aber wenn von Ohrenzeugen nun weiter berichtet wird, daß sie mehr des stürmischen und rauschenden, als des natürlich einfachen, tiefen und schmerzvollen Ausdruckes mächtig war; wenn ihr besonders Händel überall da, wo er auf den wahren Pfaden der[143] Natur so kunstvoll in die Tiefen weiblicher Empfindung hinabsteigt, unfaßbar und lästig wurde: wer sieht da nicht, daß diese Sirene mit ihrer erstaunlichen Begabung Sänger, Componisten und Publikum an eine gefährliche Küste lockte? Der weise Lobredner Rochlitz weiß es freilich besser: »Adagio, wie man es damals schrieb (!), sang sie ungern, nicht aus Unfähigkeit, sondern aus Stolz, nicht weichlich zu erscheinen.«136 Wäre dies der Fall gewesen, wie dankbar würde Händel sie festgehalten haben! Aber es verhielt sich ganz anders. Sie hatte an Wirkung ein Großes vor der Cuzzoni voraus, da ihr Wesen nicht in zwei so auffallend verschiedene Hälften auseinander fiel, sondern wie eine geschlossene Erscheinung hervortrat. Dies erreichte sie durch das listigste, kunstvollste Gewebe von berechnender Verstellung, mit dem sie sich umgab. Ihr bedeutender Verstand schrieb ihr einen stolzen Anstand vor, und wußte ihre Bewegungen so zu lenken, daß sie ihr völlig natürlich standen; wie man denn sagte, sie sei hochbetagt mit vollkommenem Anstande wirklich gestorben, wie nur jemals zuvor auf der Bühne zum Schein. Auch in ihr waren zwei Naturen, aber nur Wenige bemerkten es. Während sie ein Leben führte, würdig einer Küchenmagd der Venus, schauten ihre entfernter gehaltenen Anbeter namentlich die Dresdener Gimpel, verehrungsvoll zu der Geisteshoheit einer »Juno-Faustina« auf. In Italien war sie die Liederlichkeit, in Wien die Ehrbarkeit selber; Apostolo Zeno, der sie 1724–25 an dem letzteren Orte kennen lernte, weiß ihr hofmäßiges, züchtig anständiges Betragen nicht genug zu preisen. In London war sie wieder ganz anders. Einer solchen Person fehlt die Unschuld, oder auch nur Liebe und Verständniß dafür, und damit auch alle tiefere Weiblichkeit. Im Heroischen, in Folge des männlichen Zuges ihrer Natur, war sie ausgezeichnet.

Ihre Stimme war von jeher mehr stark als klar. Als sie nach London kam, war ihre Cadenz schon mangelhaft. Die Art wie sie dies verbarg, ist ganz Faustinisch; ein derber Engländer wird es uns weiter unten erzählen.

Händel hatte nun eine Oper zu schreiben, in welcher die eigenthümlichen Talente beider Sängerinnen zum Vorschein kommen[144] konnten. Um ihnen auch äußerlich eine ebenbürtige Stellung zu geben, wählte man die Liebes- und Eifersuchtshändel des großen Alexander und seiner beiden Schönen Roxana und Lisaura.


Alessandro. 1726.

Das Werk wurde, laut Angabe der Originalhandschrift, am 11. April beendigt: »Fine dell Opera | 11 d'aprile 1726.« Der Text ist ebenfalls von Rolli.137 Die erste Aufführung ging am 5. Mai vor sich.

Die Oper »zog sehr«, sagt Colman. Man wiederholte sie zum Besten der nicht sehr gefüllten Kasse in der ersten Zeit wöchentlich dreimal, während sonst nur zwei Vorstellungen stattfanden. Es bleibt unbegreiflich, daß Händel von einer Sängerin, die er noch nicht gehört hatte, eine so genaue Zeichnung liefern konnte, wie in dieser Oper. Alles über den künstlerischen Charakter der Faustina Gesagte wird darin glänzend bestätigt.

Beide Damen treten in der dritten Scene des ersten Aktes zu gleicher Zeit auf, mit einem schönen zweistimmigen Recitativ, und sprechen dann nacheinander in charakteristischen Gesängen ihre Liebe und Eifersucht aus. Irgend eine von ihnen zu bevorzugen, fiel dem Componisten nicht ein. Die Arien sind gleich sorgfältig durchgearbeitet, auch in der Coloratur, und dies ist der beste Beweis, daß er den Fähigkeiten beider gerecht werden wollte. Er behandelte sie einfach als Gesangorgane, und stellte sich ihnen nicht als Mann, sondern als schaffender Künstler gegenüber. Wahrscheinlich war er bei dem entbrennenden Streite die einzige unbetheiligte Person; man mochte es denn Parteilichkeit nennen, daß er Signora Cuzzoni als Sängerin lieber hatte. Der Cuzzoni ist die Partie der weniger begünstigten Lisaura zuertheilt, was ihr Gelegenheit giebt, sich in dem zu äußern, worin sie ihre Stärke hatte, in klagenden, schmerzvollen Ergüssen. Faustina's Gesänge sind hell, fröhlich, von siegesgewisser Zuversicht. Der machtvollste Ton ihrer nicht sehr hohen Sopranstimme war das obere E, und in ihrer größten Arie (Alla sua gabbia d'oro) giebt Händel ihr folgende Coloratur:


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

[145] In der Schlußscene des ersten Aktes treten beide Sirenen in einem nicht langen, aber sehr schönen Duett zusammen »Placa l'almaSon d'amore«. Abwechselnd vernimmt man dieselbe Melodie, und dieselben oder wechselweis überbietende Figuren. Diese einfache, höchst melodische und sinnvolle Musik ist der beste Wettgesang, der sich denken läßt, und bedarf in ihrer Einfachheit nicht einmal kunstgeschulter Sänger, um jeden zu entzücken.

Wie dieses Duett, mußte auch die folgende recitativische Scene »Solitudini amate«, mit welcher Faustina den zweiten Akt einleitet, alle ruhigen Kenner von der überwiegenden musikalischen Macht der Cuzzoni überzeugen. Denn so wenig dieses prächtige ariose Tonstück in Cmoll über das hinaus ging, was der Faustina an schwermüthigen Accenten zu Gebote stand, so wenig vermochte sie doch die Einheit der Stimmung, welche auf wundervolle Weise in Melodie und Begleitung verbunden ausgesprochen ist, mit jenem tiefgehenden Zuge kundzugeben, durch welchen Cuzzoni fast ohne alle dramatische Bewegung die Hörer innerlichst ergriff. In den beiden Hauptarien »Che tirannia d'amor« für Cuzzoni, und »Alla sua gabbia d'oro« für Faustina, kann man den Gegensatz so zu sagen mit Händen greifen. Cuzzoni singt eine jener ewig schön und jung erscheinenden Sicilianen, die ihr alsbald die Damen nachsangen; und Faustina darauf eine andere, die zwar garnicht nachzusingen war, aber desto mehr überraschte und zur Bewunderung hinriß. Als sie (Roxana) von Alexander die Freiheit erhält, antwortet sie ihm mit einer Melodie, die wie ein Vogel, der seinem Käfig entflogen ist, in die Lüfte aufflattert:[146] »Alla sua gabbia d'oro, Ein Sangvogel, seinem goldnen Käfig entflogen, pflegt bald zurückzukehren: er liebt sein Gefängniß und seinen Herrn mehr, als die Freiheit.« Die Melodie (Adur) setzt unten in der Quinte (e) ein, schwingt sich, hin und her flatternd, bis zum oberen gis auf, und senkt sich wieder ab in den Anfangston (jetzt Edur); der Sangvogel strebt aus Liebe zu seinem Herrn wieder in seinen kleinen goldnen Käfig zurück. Tonmalerei, geistiger Sinn und melodischer Zauber vereinigen sich hier zu dem vollkommensten Bilde. Die Singstimme steht völlig ungehemmt wie in freier Luft unter Vögelgezwitscher und lichten Zweigen. Der alte Tosi, der gegenwärtig war, wird versichert haben, dies sei der echte Arienstyl; »die Alten« hatten ihn, Scarlatti und seine früheren Zeitgenossen, obwohl doch nur in sehr bescheidenen Grenzen. Durch solche Gesänge wurde der Standpunkt virtuoser Rivalität in eine rein künstlerische Sphäre gerückt. Die zweite Hauptarie der Faustina, »Brilla nell' alma« im dritten Akt, die ebenfalls in vollster Reise prangt, nähert sich in ihrer Gestaltung um so viel der neueren italienischen Richtung, wie die vorige der älteren. Was dem Händel als ureigen gehörte, war besonders durch Cuzzoni, Senesino und Boschi vertreten. Und bedürfte es noch eines Beweises, daß er das ganze Gebiet des Sologesanges frei beherrschte, und immer neue Quellen öffnete so wie sich ihm neue Aufgaben und neue Gesangkräfte darboten, so würde er in diesen Gesängen zu finden sein.

Der Poet hat es so eingerichtet, daß die eifersüchtigen Schönen sich schon zu Anfang des dritten Aktes versöhnt die Hand reichen. »Laß uns List, Ränke und alle Eifersucht bei Seite setzen«, sagt Roxana mit verständlichem Doppelsinne zu Lisaura; »laß uns Alexander ohne Zank bewundern und lieben: und wer er endlich sein Herz schenkt, die besitze es!« Lisaura erwiedert: »Es sei! und kann ich auch nicht an Glück und Schönheit mich dir vergleichen, will ich doch in Liebe und Großmuth mit dir wetteifern.« Leider gefiel es den beiden Damen nicht, diesen vernünftigen Vorsatz auch dem Publikum gegenüber zur Ausführung zu bringen. Der Versifex that aber nicht wohl, daß er die Versöhnung schon an den Anfang des letzten Aktes verlegte statt an das Ende desselben, denn die eingetretene Beruhigung wirkt erkältend auf die Theilnahme der Zuschauer. Ein neues Mittel zur[147] Belebung des Interesses, welches der Text darbot, hat Händel nicht benutzt. Im Heere bricht eine Empörung aus. Der Tonsetzer ist aber nicht bemüht, diesem Vorgange eine besondere dramatisch-musikalische Bedeutung zu verleihen. Er geht daran vorüber, zieht passenden Ortes also nicht die letzte Folgerung im Bereiche der Oper, schreitet nicht fort zu der Erweiterung der Mittel, durch welche eine spätere Zeit Großes er reichte, sondern hält sich an den nächstliegenden Zweck, und bleibt so mit den Kräften der italienischen Bühne wie mit seinem Publikum im Einklange. Aber der herrliche Schluß würde in seiner Breite und Verwebung von Einzel- und Chorgesang auch die größte Oper der Folgezeit zieren. Ein schönes Duett zwischen Alexander und Lisaura, in welchem er sie und ihren zuletzt erhörten Liebhaber, König Taxiles von Indien, seiner Freundschaft versichert; ein anderes, noch innigeres zwischen Alexander und seiner erklärten Geliebten Roxana, durch das Hinzutreten der Lisaura zu einem Terzett erweitert, in welches der Chor mit Händel'scher Kraft und Wirkung einfällt: Dies ist ein Tonbild, welches gewiß an seiner Stelle bliebe, wenn ein verständiger Bearbeiter diese Oper einmal – wozu sie in mancher Hinsicht geeignet wäre – für eine neue Aufführung zurichten wollte.

Die Hamburger bereiteten sich schon Ende dieses Jahres ebenfalls einen Alexander, indem sie, wie Mattheson versichert, das alte Werk von Steffani (aus dem Jahre 1695) hervorzogen und mit Händel's Musik ausflickten.138 Die Texte waren sehr verwandt; eine Vergleichung zeigt jedoch, daß wesentlich der ganze Händel'sche Alexander zur Aufführung kam.

Cluer lieferte wieder die rechtmäßige Ausgabe »in Partitur« und »für die Flöte«, und Walsh und Meares besorgten für die Neugierigen und Unbemittelten einen billigen Raubdruck.139[148]

Ganz gegen die Absicht der Direction schloß die Saison schon am 7. Juni mit der 54. Vorstellung. Als Alexander zum 11. wieder angezeigt war, meldete Senesino sich unwohl. Es kränkte den hochfahrenden und ränkesüchtigen Castraten, daß man anfing ihn den Damen gegenüber zu vernachlässigen. Er konnte als Alexander nicht gegen seine Damen aufkommen, so viel Schönes ihm auch der Componist zuertheilte, und so sehr er sich auch durch heldenmäßige Action den Anstrich des großen Macedoniers zu geben bemüht war: vielmehr stellte ihm auch hier wieder der bekannte kleine Schalk ein Beinchen, der, so lange er in England war, seinen Fersen folgte; denn bei dem Erstürmen einer Feste siegte sein Heroismus so sehr über seine Vernunft, daß er das Schwert in die papierne Mauer steckte und ein großes Stück davon im Triumphe forttrug, bis ihn das Lachen der Zuhörer aus seiner Begeisterung riß.140 Senesino wollte nun das Interesse wieder auffrischen und ihnen seine Unentbehrlichkeit beweisen. Daher war eine Sommerreise nach Italien zur Herstellung seiner Gesundheit durchaus nothwendig. Er trat sie an mit dem feierlichen Versprechen, zu dem angezeigten Beginn der Vorstellungen wieder in London zu sein, und mit dem festen Vorsatze, seine Rückkehr auf das unverschämteste hinaus zu ziehen. Von der Faustina glaubte er gelernt zu haben, wie viel man der Akademie bieten dürfe, und wie sehr die Aufmerksamkeit auf die Person durch gewisse Kunstgriffe sich steigern lasse. Die Akademie erntete nun nach und nach die süßen Früchte, die sie durch Ueberschätzung und Verhätschelung der Italiener gesäet hatte. Es bedurfte gewaltsamer Anstrengungen, um des Eunuchen nur für den Januar des folgenden Jahres wieder habhaft zu werden.

Inzwischen kam anstatt der 1724 nach Paris zurück gegangenen Gesellschaft eine neue Bande italienischer Komödianten, die unter dem Schutze der Herzöge von Richmond (Leiter der Akademie für das[149] folgende Jahr) und Montague stand, und vom 28. Nov. '26 an im Opernhause spielte.141

Die vornehme Welt Londons wußte die Sängerinnen gleich anfangs so zu verhetzen, daß sie nicht einmal die gewöhnliche Höflichkeit gegen einander beobachteten. Lud man beide ein, wie einst Lady Walpole, so mußte man abwechselnd durch Vorzeigung von Kostbarkeiten in anderen Räumen des Hauses die Eine aus dem Musiksaal zu entfernen suchen, während die Andere der Gesellschaft vorsang.142 Faustina bekam schon im ersten Monate ihres Hierseins eine Theatererkältung, welche sofort in einem jener fast täglich ausfliegenden Pamphlets verbreitet wurde: »Es kann nicht regnen, es muß gleich gießen, oder: das vornehme London mit Raritäten übersäet; das ist, eine treue und umständliche Erzählung, wie Madame Faustina heiser geworden ist, und die klägliche Geschicht von ihrem Aderlaß« u.s.w.143[150]

Ein Anderer, nämlich Henry Carey, empfing sie mit einem Gedichte »Faustina, oder die römische Sängerin; eine Satire auf die Genußsucht und Verweichlichung unserer Zeit.«144 Wie war ihr doch diese unerhört freche englische Oeffentlichkeit zuwider![151]

Das neue englische Theater unter Rich suchte von der langen Pause der Akademie Vortheil zu ziehen, indem es Camilla, die alte beliebte Oper von Bononcini's Bruder, seit dem 19. November '26 sehr oft mit Beifall englisch gab. Der Prolog dazu lehrt deutlich, daß man diesen neuen Versuch einer »englischen« Oper mit denselben Vorbereitungen in's Werk setzte und mit denselben Erwartungen empfing, wie die früheren. Die Landsleute, namentlich die britischen Schönen werden gebeten, ein Werk zu begünstigen, welches ihren Geschmack für Musik gebildet habe, und eine Oper nicht deßhalb geringer zu achten, weil man die Worte verstehen könne; Senesino, der vergeblich erwartete, behandle ihre Gunst nur mit Verachtung; der heftige Haß der beiden Königinnen des Gesanges drohe der Akademie stündlichen Untergang: so möge man den Eingebornen gestatten, sie für diese Entbehrungen einigermaßen zu entschädigen.145

Dieses Jahr war für Händel noch dadurch von Bedeutung, daß ihm in demselben das englische Bürgerrecht zu Theil wurde. Der Freibrief war damals nur durch das Oberhaus zu erlangen, und Händel vereinigte sich mit mehreren Ausländern zu einem Naturalisations-Gesuche, welches in den betreffenden Parlamentsacten als »An Act for Naturalizing Louis Sechehaye, George Frideric Handel, and others« bezeichnet ist. Ueberreicht am 13. Februar 1726 und sofort bewilligt, erschien Händel schon am folgenden Tage (14. Februar) im Hause der Lords, leistete vor ihnen den Eid und erhielt am 20. Februar die königliche Bestätigung.


[152] Achter Jahrlauf: vom 7. Januar bis zum 6. Juni '27.


Dieser kurze stürmische Jahrlauf von 41 Vorstellungen, welcher alles entschied, begann ganz arglos mit einer Oper von Attilio Ariosti, Lucius Verus. Auch Bononcini hatte wieder eine Bestellung erhalten und angenommen. Die weisen Directoren, unter denen sich jetzt sogar der Bürgermeister der Altstadt (Sir John Eyles) befand, wollten wohl den Streit der Componisten wieder anschüren, um dem der Sänger ein Gegengewicht zu geben. Es war ein letzter und mißlingender Versuch, für den ihnen Händel jedoch dankbar sein mußte; denn das Meisterwerk, welches er für diese Saison setzte, strahlte in solcher Umgebung nur um so heller.


Admeto. 1726–27.

Das Werk, am 31. Januar zuerst gegeben, ist nicht im Original, sondern nur in Schmidt's Abschriften erhalten; daher fehlt das Datum der Entstehung. Auch der Verfasser des Textes war nicht zu ermitteln.

Aber mehr konnte man längst aus bekannten Büchern schöpfen, als Winterfeld in einer besonderen Abhandlung über diese Composition mitgetheilt hat.146 So ist es Händel bisher immer ergangen; wo er als Vorstufe größerer Nachfolger erscheinen konnte, pflegte man ihn gern mit heranzuziehen. Und nicht nur das Herausreißen eines Werkes aus dem unverstandenen Zusammenhange, auch das Aburtheilen nach den ungenügendsten Vorlagen muß er sich gefallen lassen. Winterfeld hat bei seiner Vergleichung Lully's und Gluck's Werke in vollständiger Partitur zur Hand, von Händel's Oper aber nur die gedruckte Ariensammlung mit Ausschluß aller großen begleiteten Recitative und Instrumentalsätze, die Cluer allerdings »Partitur« nannte, aber etwa mit demselben Rechte, wie später Walsh, der Oratorien-»Partituren« druckte, bei welchen die Chöre fehlten! Statt eines richtigen Textbuches begnügte Winterfeld sich mit der Hamburger Bearbeitung. Gesetzt, ein Italiener des 16. Jahrhunderts, Shakespeare und Molière hätten denselben Gegenstand in einem Lustspiel behandelt:[153] was würde man sagen, wenn Jemand mit dem Anschein von Gründlichkeit und dem Anspruch auf Zuverlässigkeit sie vergleichend abschätzte, den Italiener und den Franzosen nach dem Original, den Engländer aber nach Wieland's deutscher Bearbeitung? Und doch wäre eine solche Ungerechtigkeit nicht so schreiend, als die hier an dem Musiker begangene. So versichert Winterfeld denn auch, man würde sich täuschen, wenn man etwas »den späteren Oratorien Händel's an Großartigkeit auch nur nahe Kommendes« hier erwartete: während meine ganze Darstellung auf der Anschauung ruht, daß nur der Oratorienmeister diese Opern gestalten konnte, und daß nicht die Großartigkeit, sondern die Schönheit die Sonne ist, welche im Mittelpunkte der Händel'schen Schöpfung leuchtet. Wir wissen ja, wie diese Beurtheiler in dem Bestreben, aus dem Großartigen noch wieder das Großartigste auszuscheiden, zuletzt dahin gekommen sind, zwei oder drei seiner Werke festzuhalten, und den Rest als veraltet über Bord zu werfen – ganz wie die Engländer um 1720 in Sachen Shakespeare's.

Nicht daß wir solche Vergleichung überhaupt, oder auch nur in diesem besonderen Falle, abweisen wollten. Vergleichung lehrt gerecht sein und erinnert den Berichterstatter, den Standpunkt, der ihn über die Sache erhebt, nicht aufzugeben, sei diese an natürlicher Größe auch noch so überragend. Der Admet, den Händel componirte, ist in dem Bestreben nach möglichster Gleichstellung der beiden ersten Sängerinnen so sehr mit fremdartigen, neu-italienischen Opernzuthaten bedacht, daß dadurch die alte Fabel in ihrer Reinheit getrübt wurde. Die Alceste Calzabigi's, welche Gluck in Töne setzte, hat eben ihren Hauptwerth darin, daß sie wieder in den ursprünglichen Sinn der Erzählung einzulenken suchte; die Einfachheit, das Streben nach antiker Reinheit und eine dem dramatischen Gange der Handlung angemessene Musik ist das, was sie auszeichnet. Und wenige Stoffe dürfte es geben, die, wie dieser hier, schon halb bewältigt sind, sobald man sich bemüht, einfach ihren reinen Ursinn auszudeuten.

Dem Könige Admet in Thessalien, der auf den Tod erkrankt ist, wird Genesung verheißen, wenn ein theures Glied seines Hauses für ihn zu sterben bereit sei. Seine Gattin Alceste opfert sich, und Admet[154] wird gesund; aber Herakles, an welchem Admet auch in den leidvollsten Tagen die heiligen Pflichten der Gastfreundschaft erfüllte, steigt aus Dankbarkeit hinab in den Hades, entreißt dem Tode die Beute und führt die Gatten wieder zusammen. So die griechische Fabel und das Drama des Euripides. Schmerz, Gattenliebe, Freundestreue und Freude des Wiedersehens entfalten ein reiches, mannigfaltiges Gemüthsleben, und die Vorgänge der Ober- und Unterwelt gewähren einen Reichthum an Erscheinungen, der wenigstens für ein Musikdrama ebenso ausreichend sein müßte, als für die griechische Tragödie. Mehr ist bei Gluck denn auch nicht gegeben, wohl aber weniger, indem sein Dichter bedenklicher Weise einige Personen verwechselt und einige Vorgänge ausgeschieden hat. In Calzabigi's italienischem Text (1769) ist Apoll als rettender Gastfreund an des Herakles Stelle getreten; in der französischen Bearbeitung von Guillard (1776) ist dies wieder geändert, und Herakles rettet Alceste bevor sie noch das Opfer vollbracht hat. Die letzte Fassung befriedigt am wenigsten, aber auch die erste steht auf der Grenzscheide zwischen dem rein Antiken und dem, nach unserm Bewußtsein über göttliche und menschliche Dinge, Gerechten und Sittlichen, ohne diese Grenze nach irgend welcher Seite hin zu überschreiten. Wir lassen den wichtigen Punkt hier auf sich beruhen, werden aber an einem andern Orte näher darauf eingehen.

Der Inhalt des Euripides, so allgemein wie wir ihn oben angaben, ist auch der Inhalt des Händel'schen Textbuches, oder vielmehr nur der Faden, an welchen so viele neue Dinge gehängt wurden, als zu einer damaligen Oper erforderlich schienen. Eine zweite Geschichte von Liebe, Eifersucht, Rache, List, Verstellung und schließlich allgemeiner Aussöhnung ist dazwischen gewebt; und Allgemeinheiten dieser Art sind es, welche, wie der Kartentisch in einer Gesellschaft, bei den damaligen Opern in der Mitte standen, während das einzig Bedeutende und Besondere, was darin verhandelt wurde, sich als vertrauliche Mittheilung in die Ecke flüchten mußte. Händel's Admet ist nun dadurch so bedeutend und eine seiner größten Opern geworden, daß solche Vertraulichkeit, solche Sprache des Herzens aus einem individuell bedingten Zustande heraus, darin mehr und mehr hervortritt, ja zu einem großen Theile die Haltung des Ganzen[155] bestimmt. Statt des dritten Satzes der Ouvertüre haben wir einen sehr charakteristischen Tanz der Larven oder Todtengeister in Admet's Krankenzimmer, dem die Klage und sanfte ermattende Ergebung des Leidenden folgt, ausgesprochen in einem langen Recitativ und einer Arie, die beide zu seinen schönsten Erzeugnissen gehören; und der Vorgang ist so dramatisch gehalten, daß man das specifisch Musikalische völlig darüber vergißt. Dies ist nun an Dramatik ganz eigentlich eine sogenannte Gluck'sche Scene, nur musikalisch reicher. »Ich habe von Personen, welche den ersten Vorstellungen dieser Oper beiwohnten, erzählen hören, daß Senesino niemals besser, niemals mehr zur Zufriedenheit des Publikums sang und spielte, als in dieser Scene.«147 Auch der bald folgende Auftritt, in welchem Alceste (Faustina) ihren Gemahl tröstet und, als er entschlummert ist, ihren Entschluß, sich für ihn zu opfern, aus den Tiefen ihrer Seele an das Tageslicht fördert, gehört zu diesen dramatischen Meisterzügen; selbst Winterfeld wurde von dem Bruchstücke, welches ihm vorlag (Luci care), lebhaft berührt. Ueber die neue Arie (Spera, si, mio caro), welche Händel zum Benefiz der Faustina am 7. März an die Stelle von »Luci care« setzte, vernahm ein englischer Musiker die Kritik einer Taube. Bei einem Herrn Lee in Cheshire kam eine Taube aus ihrem Hause herbei geflogen und setzte sich, vergnügt zuhörend, an's Fenster, sobald sein Töchterchen dieses Lied spielte, machte sich aber wieder davon, wenn es zu Ende war und erzeigte keinem andern Gesange diese Ehre. Dies will Lockmann, der es uns erzählt, selbst beobachtet haben.148 Als Cuzzoni die feurige, reichgeschmückte Schlußarie des ersten Aktes (Sen vola) sang, rief ein begeistertes Mitglied der Gallerie »Verdammt, die hat ein Nest von Nachtigallen im Leibe!« Die Sprache der Gallerie und die des ersten Ranges war damals nicht zu unterscheiden. »Sie ist eine verteufelte Sängerin«, schrieb Lady Cowper in ihr Textbuch; sie meinte Faustina.149 Die beiden[156] Sängerinnen sind hier nicht so nach ihren hervorstechenden Fähigkeiten verwandt, wie in Alexander; eigentlich hätte Cuzzoni die Alceste singen müssen. Faustina's Mangel an Gemüthstiefe wurde in dieser Rolle von allen Unparteiischen bemerkt. Auch der deutsche Flötist Quanz, der gegenwärtig war und über die Eigenschaften der rivalisirenden Sängerinnen in seiner Lebensbeschreibung ein recht vernünftiges Gutachten abfaßte, machte diese Beobachtung. Und weiter erzählt er uns in treuherziger Verwunderung, daß die Cuzzoniten zischten wenn Faustina sang, und die Faustinianer wenn Cuzzoni sich hören ließ. Man sollte denken, ein so unsinniges Parteiwesen müsse jede künstlerische Wirkung aufheben; und doch wird uns von verschiedenen Seiten berichtet, nicht bloß, daß diese Oper ihres inneren Gehaltes wegen mehr Publikum herbeilockte, als irgend eine andere seit langer Zeit, sondern auch, daß sie namentlich als ein dramatisch musikalisches Werk eine so große und allgemeine Wirkung ausübte. Zu Anfang des zweiten Aktes hat Herakles in der Unterwelt eine meisterhafte Scene, die aber aus dem, was davon gedruckt wurde, garnicht zu verstehen ist. Wir bringen indeß der Gleichgültigkeit, erzeugt durch eine verkehrte und engherzige Geschichtsauffassung, ein Opfer, indem wir dieses alles mit Stillschweigen übergehen.

Die Musik wurde bei Cluer in den herkömmlichen Ausgaben gedruckt, und von Walsh mit gewohnter Meisterschaft geplündert.150

Die Braunschweiger zierten mit diesem Werke ihre Sommermesse 1729, und wiederholten es '32 und '39, vielleicht noch öfter.151 In Hamburg wurde es anfangs '30 aufgeführt.152[157]

Ueber die neuen Werke, welche nach Admet zunächst auf den Platz treten sollten, bemerkt eine Zeitung im Februar: »Die Directoren der königl. Akademie der Musik sind entschlossen, nach der ausgezeichneten, von Hn. Händel componirten Oper, welche jetzt gegeben wird, eine andere von Signor Attilio Ariosti folgen zu lassen, und Signor Bononcini soll die nächstfolgende componiren. Wie also dieses Theater sich der drei besten Stimmen in Europa rühmen kann, und der besten Instrumentisten, so wird die Stadt auch das Vergnügen haben, diese drei verschiedenen Style der Composition zu hören.«153 Man brachte diesen Vorsatz aber nicht zur Ausführung, sondern schien sich an Händel's Admet, der vom 31. Januar bis zum 18. April fast ununterbrochen zwanzig mal gegeben wurde, garnicht satt hören zu können. Sodann kam Bononcini mit der von Haym gedichteten und der Herzogin von Marlborough gewidmeten Oper Astyanax am 6. Mai zuerst an die Reihe154, und Attilio, der vorangehen sollte, wurde garnicht wieder gehört. Die unsinnigen Theaterstreitigkeiten nahmen jetzt schon in einem solchen Grade überhand, daß alle planmäßige Leitung unmöglich war. Wie tobend und rücksichtslos es bei den Aufführungen herging, und wie sehr der Hof als Begünstiger der Cuzzoni in diese Händel verflochten war, ersehen wir aus einem Briefe, welchen die Anführerin der Cuzzoniten, Gräfin Pembroke, an Frau Clayton (Lady Sundon), die Garderobendame der Kronprinzessin Caroline, richtete.


»Theure Madame!


Ich hoffe, Sie verzeihen mir die Mühe, welche ich Ihnen hierdurch verursache, denn ich habe Sie noch bei aller Gelegenheit so höchst gefällig gefunden. Was ich wünschen möchte ist, daß, wenn Sie eine passende Gelegenheit fänden, so gut sein möchten Ihrer Königl. Hoheit zu sagen, daß jeder, welcher Cuzzoni wohlwünscht, in der äußersten Besorgniß ist für das, was letzten Dienstag im Opernhause in Gegenwart der Prinzessin Amelia vorfiel; aber um[158] unsre Unschuld kund zu geben hinsichtlich der Rücksichtslosigkeit, welche Ihrer Hoheit erzeigt wurde, ersuche ich Sie uns die Gefälligkeit erzeigen zu wollen und zu sagen, daß man der Cuzzoni, um ihr Mißfallen vollständig zu machen, öffentlich erzählt hat, man wurde sie am Dienstag von der Bühne herunter zischen; sie war darüber in solcher Besorgniß, daß sie große Luft hatte garnicht zu singen, aber ich, ohne daß ich wußte Prinzeß Amelia würde die Oper mit ihrer Gegenwart beehren, gab ihr die ganz bestimmte Weisung, nicht die Bühne zu verlassen, es geschehe auch was da wolle: also zu singen, wenn es auch nicht gehört werde und erst zur passenden Zeit abzugehen; und sie bekennt nun, daß, wenn sie nicht diesen Befehl gehabt hätte, sie die Bühne verlassen haben würde, als die Gegner in einem ihrer Gesänge so katzmusicirten, daß kein Mensch eine Note hören konnte, was diejenigen, welche sie so gern hören, entrüstete, die nun auch nicht dulden wollten, daß Faustina nach ihr zu Wort komme. Ich hoffe Ihre K. Hoheit wird diejenigen nicht tadeln, welche verhinderten, daß Cuzzoni von der Bühne gezischt wurde; doch ich bin in großer Besorgniß, daß wir nicht lieber alles geduldig über uns ergehen ließen, als den hohen Respect außer Augen setzten, welchen jeder einer Prinzessin aus der Familie Ihrer K. Hoheit erzeigen sollte: aber da wir nicht die angreifende Partei waren, hoffe ich es einiger maßen entschuldigt.

Etwas anderes noch, was ich vorzutragen bitte, ist, daß ich geäußert habe, die Directoren würden eine Botschaft vom Könige bekommen, und daß Ihre K. Hoheit mir gesagt habe, daß Sr. Majestät zu ihr gesagt habe, daß sie, wenn sie Cuzzoni entließen, nicht die Ehre haben sollten vor ihn gelassen zu werden, oder was ihm sonst gefalle ihnen [an Geld] zu verwilligen, einige der Directoren haben für passend gehalten zu sagen, daß sie weder eine Botschaft vom Könige haben würden, und daß er nicht gesagt habe, was Ihre K. Hoheit mir die Ehre erzeigte zu erzählen, er habe es gesagt. Ich bitte Ihre K. Hoheit unterthänigst um Verzeihung wegen meines Wunsches, dem Herzoge von Rutland (welcher einer der ersten ist unter denen für Cuzzoni) die Ehre erzeigen zu wollen, daß er zu Ihrer K. Hoheit sprechen darf, und hören, was sie so gnädig sein möchte ihm zu sagen. Sie haben auch eine Botschaft vom Könige bekommen,[159] nämlich durch einen Brief von Herrn Fabrice, aber sie haben die Unverschämtheit diesen als echt zu bezweifeln, ausgenommen der Herzog von Rutland, Lord Albemarle und Sir Thomas Pendergraß. Weil Lady Walsingham mich ersuchte, sie wissen zu lassen, wie diese Affaire stehe, habe ich ihr diesen Morgen geschrieben und auf Wunsch des Herzogs von Rutland ihr eine Erzählung dessen mitgetheilt, was bei der Zusammenkunft der Directoren vorfiel, damit sie es Sr. Majestät geben kann.

Da ich mich nun einmal für die arme Cuzzoni interessire, so will ich nichts ungethan lassen, was sie rechtfertigen mag; und wenn Sie die Güte haben wollen diese Sache Ihrer K. Hoheit vorzutragen, welche, wie ich hoffe, derselben ihre allergnädigste Protection auch fernerhin schenken wird, werde ich Ihnen dafür höchst verbunden sein, der ich bleibe in aufrichtigster Freundschaft Ihre herzlichst ergebene Dienerin, M. Pembroke155

Die Sache war völlig so verwirrt, wie der Styl dieses undatirten, im April oder Mai geschriebenen Briefes. Sie wurde es aber noch viel mehr, als das drohende Ungewitter, welches schon lange beängstigend über den Häupten stand, sich endlich entlud. Cuzzoni und Faustina geriethen am 6. Juni in Astyanax einander in die Haare und schlugen sich bei offner Scene. Die Versammlung der Edlen der Nation wußte sie durch ihre Haltung nach und nach auf diesen Gipfel von Tollheit hinauf zu treiben. Zuerst begannen die Parteigänger beider Seiten wechselweis mit Klatschen und Zischen, sodann ging man zu einer melodischeren Katzenmusik und vielen großen Unanständigkeiten über, und obwohl die Kronprinzessin Caroline diesmal selber anwesend war, steigerte sich das Toben doch mehr und mehr, bis die Sängerinnen endlich auf einander einhieben.156 Oper und Saison waren plötzlich zu Ende.

Ein solcher Ausgang war vorherzusehen, denn die ungleich stärkere Partei der Faustina wollte Signora Cuzzoni zwingen das Feld[160] zu räumen. Faustina's Heerlager gruppirte sich um die Gräfinnen Burlington und Delaware. Die wenigen friedlichen Seelen, welche keiner Partei anhingen, mußten sich zur Mantelträgerei bequemen, wenn sie den Ruf einer seinen modernen Bildung nicht einbüßen wollten. So machte es auch die Jungfrau, über welche um diese Zeit ein Spottlied in den Zeitungen stand.157 Die größte, ja fast alle Schuld hatte Faustina, und alle rohe, lüsterne Begehrlichkeit hing sich an ihre Fersen. Sie war dem verdorbenen Adel, den Helden oder vielmehr den Heldinnen der Maskeraden hoch willkommen. Schon zu Anfang dieses Jahres waren Geschichten im Umlauf, welche die Pamphletisten in einem Briefwechsel zwischen Senesino und Faustina auszumünzen suchten. Aus Gründen der Wahrheit sind diese Händel hier nicht ganz mit Stillschweigen zu übergehen, aus Gründen der Wohlanständigkeit verweise ich sie aber in die Anmerkung.158[161]

Die Operndirectoren waren rathlos, denn die Raufereien der beiden Damen hatten die ganze Singbande angesteckt. Senesino's[162] Stimme schien sich nach und nach immer mehr in die Nase verziehen zu wollen; die beiden Bassisten konnten garnicht länger neben einander Platz finden. Die Schadenfrohen ertheilten ihre Rathschläge in Satiren. Colley Cibber, der Leiter des englischen Theaters in Drury-Lane, ließ eine dramatisirte Farce ausgehen, in welcher dieser Opernskandal dem großen Haufen mundgerecht gemacht wurde. Er stellt eine Versammlung im Opernhause vor; alle Betheiligten sind[163] anwesend. Heidegger ermahnt zum Frieden: »Mit der schönen Faustina verlieren wir alle Stutzer; und wenn Cuzzoni davon geht, werden Herzöge sterben.« Händel: »Auch wird der Sachse dann nicht mehr componiren.« Senesino tritt ebenfalls vermittelnd auf, aber vergebens; jede will die Erste, keine die Zweite sein, und die katzmusicirenden Parteien unterstützen die Ansprüche. Cuzzoni sagt:


Unthinking wretch! to boast of what you were;

Thus mouldy virgins cry: we once were fair!

Too long the reins of empire you did hold,

Resign the charge, you 're past it now, and old;

At best an impotent, and royal drone –


woraus hervorgeht, daß Faustina bedeutend älter gewesen sein muß. Sie behauptet ferner, sie bewege die Seele, Faustina aber den Körper; die weitere Erläuterung dieses Gegensatzes führt die Damen auf das liederliche Gebiet, auf welchem sich Faustina besonders heimisch zeigt, und im Umsehen liegen sie einander in den Haaren. Monro, Claqueur der Faustina, und Sandoni, Gemahl der Cuzzoni, versuchen friedliche Entscheidung; aber Händel sagt ganz einfach:


Ich halt' dafür, man läßt sie ruhig fechten;

Ihr gießt nur Oel zur Flamme, wollt Ihr schlichten.

Wenn müde, legt ihr Rasen sich von selbst.


Der Kampf wird sehr heiß, und alle Vermittler fliehen davon oder verkriechen sich; nur Händel, »welcher die Schlacht baldmöglichst beendigt zu sehen wünscht, feuert sie mit der Kesselpauke an.« Cuzzoni zeigt sich überlegen und treibt Faustina davon. Senesino, der unter den Altar gekrochen war, spricht die Schlußmoral. Die Personen sind hier ohne großen Aufwand von Witz recht treffend gezeichnet.159

Schon einen Monat vor Cibber gab Händel's Freund Dr. Arbuthnot eine ähnliche Darstellung in einer kleinen, aber ungleich bedeutenderen[164] Flugschrift: »Der Teufel ist los in St. James: oder, ein treuer und umständlicher Bericht von der höchst schrecklichen und blutigen Schlacht zwischen Faustina und Cuzzoni; wie auch von einem heißen Scharmützel zwischen den Bassisten Boschi und Palmerini; und ferner, wie Senesino den Schnupfen bekommen hat, im Begriff steht die Oper zu verlassen und in Henley's Oratorium Psalmen zu singen« u.s.w.160 Nach Ausscheidung der nicht zur Sache gehörenden Abschweifungen wird man diese humoristischen Einfälle gern lesen. »Zwei von demselben Erwerb«, so lautet der Anfang, »vertragen sich selten oder niemals. Man sieht es alle Tage an den mannigfachen Scharmützeln zwischen den Damen, die an der Londoner Brücke Makrelen verhandeln, und an den Nymphen, die im Strande und um Coventgarden herum so lebhaft ihr Schaffleisch ausrufen. Aber wer hätte gedacht, daß selbst unser Opernhaus davon angesteckt würde, und daß es zwei singenden Damen einfallen konnte, einander die Hauben herunter zu reißen, zu nicht geringer Bestürzung der Directoren, welche (Gott steh' ihnen bei) schon genug zu thun haben, um nur unter einander Ruh und Frieden zu halten. Welche von beiden der angreifende Theil war, werde ich mich hüten zu sagen, denn ich würde dadurch die Freundschaft mehrerer Edlen und Großen verlieren, welche theils die eine, theils die andere Partei und zwar mit solchem Eifer anhetzen, daß es jetzt nicht mehr so ist als früher, nämlich: sind Sie Hochkirchlicher oder Dissenter, Whig oder Tory, für den Hof oder für das Volk? sondern: sind Sie für Faustina oder Cuzzoni, für Händel oder Bononcini – das ist jetzt die Frage. Ich setze mich also auf die sichere Seite und sage: sie sind beide im Unrecht; denn gewißlich ist es eine Schande, daß zwei so wohlerzogene Damen einander Her und Hure nennen, und schimpfen und fechten wie die Dirnen in der Billingsgasse. Wir haben Sängerinnen, ja,[165] italienische Sängerinnen hier gehabt, aber niemals solche Geschichten. Man denke an die Margherita und die Tosts; sie konnten einander nicht ausstehen und waren beide ziemlich hochtrabend, aber niemals kam es zum Handgemenge. Ja, wie man mich glaubwürdig versichert, obwohl sie sich sterblich haßten, trieben sie doch die gute Lebensart so weit, beim Abschied zu kreischen und zu küssen. Das war wie es sein sollte; das war nach der Mode, das war schön, das war empfehlenswerth. Dann hatten wir die Pilotti und die Isabella, liebevoll und mild wie Turteltauben; sie besuchten sich und tranken Thee zusammen. So hielten es auch die Durastanti und die Robinson. – Nun mache ich den unmaßgeblichen Vorschlag: da die jetzigen Sängerinnen nicht durch sanfte Mittel wieder zusammen zu bringen sind, ist es das beste, sie fechten ihre Sache in Figg's oder Stoke's Amphitheater161 aus; man eröffnet eine Subscription zu dem Zwecke, und die tapferste der beiden Weiber bekommt den ganzen Ertrag. Es würde der Gesellschaft zu weiterem Vergnügen gereichen, wenn Boschi und Palmerini ihre Secundanten sein könnten, und sehr schicklich wäre es, wenn unsere beiden Altcastraten Senesino und Baldi sich ein wenig um Hut und Feder balgen wollten, bevor die Damen die Bühne betreten. Graf Vienna sei Thürsteher, und Heidegger könnte das Geld einnehmen. – Inzwischen sind wir alle in Thränen. Die Oper ist plötzlich aus. Verschiedene Subscribenten haben mit Rückzug gedroht. Dieser Wirrwarr wird am Ende noch die ganze Oper umwerfen: und dann lebe wohl alles was grandios, entzückend und hochgebildet ist! Senesino kann es nicht länger ertragen, daß man ihn so vernachlässigt und um die Damen ein solches Wesen macht; er verwünscht die Directoren, verdammt die Opern, verkleinert die Componisten, und bittet den Teufel, er möge die ganze Stadt holen. Er benimmt sich wie ein Toller: und so im Delirium ist er ohne weiteres zu unserm großen Redner Henley gegangen, um sich ihm als Küster für sein Oratorium anzubieten. Unser U[ghi][166] begleitete ihn; überdrüssig der Pracht der Welt und der Eitelkeit des Hoflebens, will auch dieser ein neues Leben anfangen, statt der Operngesänge Psalmen singen und ein Wunder von Heiligkeit werden.« Henley's Oratorium war keine kirchliche Anstalt, Eschenburg's Uebersetzung als »Betkapelle« ist daher nicht richtig; es war eine freie und wüste Versammlung, in welcher dieser verlaufene Priester »auf Grund unbeschränkter Redefreiheit der Christen« über alle möglichen Dinge sprach. Von dem »verrückten Orator Henley« werden wir noch oft hören.

Die Freiheit, welche England gewährt, nicht bloß zu leben wie man will, sondern auch zu reden, zu drucken, zu streiten, zu fechten wie man will, war das schnellste und gründlichste Heilmittel gegen die Schäden der Gesellschaft. Ein reines, unbeirrtes und auf die Grundkraft des Volksthums hinweisendes Kunsturtheil hat sich hier immer aufrecht erhalten. Jede genaue Untersuchung vermehrt die Achtung vor dem musikalischen Verständnisse der damaligen Engländer; und obwohl es mancher Jahre bedurfte, bevor die Anschauung Einzelner das ganze Volk durchdrang, ging doch auch dieses hier schneller und unvergleichlich bedeutsamer vor sich, als in irgend einem andern Lande.

Das Benehmen der italienischen Sänger trug ein großes bei, die patriotischen Hoffnungen wieder zu beleben. Von vielfachen Kundgebungen nenne ich hier nur den »Brief eines Londoners an seinen Freund auf dem Lande über die berühmten Sänger des Tages, nebst einem Plane, wie in England ohne Beihülfe auswärtiger Virtuosen die Musik zu cultiviren sein mochte«162, und theile ihn seinem wesentlichen Inhalte nach mit. »Ich stimme ein in Ihre Klagen über die Verderbniß und Verweichlichung unserer Zeit, die nichts unterstützt was auf das allgemeine Beste abzielt, wohl aber alles was die,[167] Nation schwach und unmännlich macht; denn man ruinirt sich lieber, als daß man sich von der Subscription unserer Vergnügungsanstalten zurückzöge. Heidegger, Faustina und ähnliche finden immer die bereitwilligste Ermuthigung. Es ist bekannt, daß die Engländer große Liebhaber öffentlicher Vorstellungen, Opern u.dgl. sind, und daß wir in Faustina, Cuzzoni und Senesino die besten Sänger haben, verglichen mit Allem, was jemals hier oder in andern Theilen Europas sich hervorthat. Ohne Frage waren Faustina und Senesino einmal zwei höchst ausgezeichnete Sänger. Aber es ging ihnen wie allen andern Dingen dieser Welt, welche im Laufe der Zeit schwach und schadhaft werden. Wäre die Stimme, gleich chinesischen Waaren, werthvoll wegen ihres Alters, so würden Senesino und Faustina noch jetzt so untadelig und so unterhaltend sein, wie nur jemals zuvor; allein so verhält es sich in diesem Falle eben nicht. Einige verlieren ihre Stimme durch das Alter, andere durch Krankheiten, und noch andere durch Ausschweifungen; so daß sie nicht mehr in dem Grade ergötzen, wie vor zehn oder zwölf Jahren. Wundern Sie sich daher nicht, wenn ich Ihnen sage, daß Senesino jetzt schon mehr durch die Nase singt, als durch den Mund. Dieser arme Eunuch sucht natürlich für sich zu sorgen so gut es geht, und es ist nicht seine Schuld, sondern die unsrige, daß wir nicht früher nach ihm geschickt haben. Bei der Faustina ist es ebenso. Ihre Stimme ist fehlerhaft in der Cadenz, was sie aber auf eine sehr geschickte Weise zu verstecken weiß. Sie ist klug genug gewesen, die ansehnliche Partei, über welche sie verfügt, anzuleiten, mit dem lautesten Beifallsklatschen loszubrechen, bevor sie die Periode geendigt hat, und so wird der Fehler nicht von dem großen Haufen, sondern nur von den wenigen Kennern bemerkt. Ein halbes Dutzend Guineen ist für solchen Zweck also gewiß nicht unnütz weggegeben; nur muß man Sorge tragen, eine Person zu wählen, deren Großmäuligkeit und anmaßliches Vordrängen außer Zweifel ist, und die laut genug schreien kann brava, bravissima, o cara...! Faustina that einen außerordentlich glücklichen Griff, denn die Leistungen des berufenen Italieners [Monro, S. 164], den ihr Scharfblick zum Anführer der Claque erkor, grenzen schier an das Wunderbare. Ueber Cuzzoni's Stimme weiß ich nichts zu sagen, als daß sie sehr angenehm ist; ihre Art zu singen ist sehr gut. Nur[168] wünschte ich ihr die Lebendigkeit der dramatischen Bewegung, welche ihre Nebenbuhlerin auszeichnet. – Hieraus schließe ich nun, daß den Engländern der Ausschuß Italiens und anderer Länder zu Theil geworden ist. Und dieser Ausschuß rafft hier große Reichthümer zusammen. Wäre es nicht weiser, wir sorgten für unsere gewaltige Musikliebe, indem wir eine Akademie gründeten, in welcher junge unbemittelte Mädchen unseres eignen Volkes zum Singen herangebildet würden? Die großen Summen blieben dann im Lande. Oder ist der Geschmack für italienische Musik wirklich der Art, daß er nur durch italienische Sänger befriedigt werden kann, würde es dann nicht am gerathensten sein, einen Agenten mit einer Summe Geldes direct in jenes Land zu senden, um an Ort und Stelle eine Sammlung solcher singenden Thiere zusammen zu bringen, so wie man es gemeinhin bei den Gemälden macht? Ich bin überzeugt, eine solche Sammlung ließe sich für ein sehr Billiges anlegen. Ist es nicht lächerlich, wenn eine Person, die sich im Magazin eine Kleidung nach der neuesten Mode für einen mäßigen Preis auswählen kann, zum Trödler geht, um abgetragene Gewänder zu einem sehr hohen Preise zu kaufen? Ich überlasse dies und alles weitere Ihrem Nachdenken, und bleibe ihr treuer Freund Anglo-Italini.« Das Orchester der Oper bestand ebenfalls größtentheils aus Fremden, nämlich aus Deutschen, besonders der blasende Theil, in welchem Keitsch als Oboist und Karbe als Fagottist berühmt waren. Wir können auf Treu und Glauben für gut halten, was Händel, im Besitz ausreichender Mittel, in seiner unparteilichen Stellung zwischen der Geringschätzung englischer Virtuosen und der nationalen Befangenheit der Engländer, zu Stande gebracht hatte.


Das große öffentliche Ereigniß dieses Jahres war der Tod des Königs Georg I. Er reiste anfangs Juni nach Hannover ab, wurde unterwegs unwohl und starb in Osnabrück am 11. (22.) Juni, 65 Jahre alt. An die Thronbesteigung seines Sohnes Georg II. knüpften sich viele Hoffnungen. Die Krönung in der Westminster Abtei sollte prachtvoll werden, und Händel erhielt den Auftrag, die Chöre über die Krönungstexte neu zu setzen.
[169]

Krönungsanthems. 1727.

Mitten in dem Felde seiner Thätigkeit für die italienische Oper ragt diese festlich-kirchliche Composition hervor, wie ein einzelner Berg in der blüthenreichen Ebene einer südlichen Zone. Er erhebt sich, dieser Berg, umsäumt von der Vegetation eines warmen Landes, und offenbart in seiner Höhe die nordische Natur. Man muß diese Anthems mit dem Utrechter Tedeum (1714) oder mit den um 1718 in Cannons gesetzten Kirchenstücken vergleichen, um sich zu überzeugen, daß Händel seit der Zeit auch für dieses Fach nicht umsonst gelebt hatte, und um zu wissen, worin er weiter vorgeschritten war; und man muß sie andererseits nur mit den vorauf gegangenen Opern zusammen halten, um auf's neue zu erkennen, wie rein und edel eine Melodiebildung gewesen sein muß, die so natürlich der höchsten Erhebung fähig war. Die Schreibart ist blühend – es treibt uns immer wieder auf das Bild von dem Berge zurück, dessen Fuß in der üppigsten Vegetation ruht, und der theilweis selber noch das Gewand einer südlichen Flora trägt. Bewußte Größe und Massenhaftigkeit sind hier in die feinsten melodischen und instrumentalen Reize gehüllt.

Händel componirte vier Anthems. Seine Originalhandschrift in groß hoch Folio enthält dieselben in der Folge, in welcher sie componirt sind; wenigstens ist aus der Handschrift so viel zu ersehen, daß das erste zuerst und das vierte zuletzt geschrieben wurde.


1. Zadok the Priest. 1. B.d. Könige 1, V. 38–40.

2. Let thy hand be strengthened. 1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie 89, V. 14–15.

3. The King shall rejoice. 1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie 21, V. 2. 6. 4.

4. My heart is inditing. 1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie 45, V. 2. 10. 12.


Am Schlusse steht »Fine«, aber kein Datum. Das erste Anthem ist siebenstimmig, das zweite fünfstimmig, das dritte sechsstimmig, das vierte wieder fünfstimmig. Aus den Beischriften des letzten ist zu ersehen, daß Wheely und Bell das Thema im Baß anhuben, Hughes und Lee dasselbe im Alt; mithin wurde das Solo von zwei Stimmen intonirt. Der Umfang des ganzen Chores und der Führer jeder Stimme ist bei dem dritten Anthem folgendermaßen angedeutet.


»C. 12« d.i. Cantus, zwölf Sänger.

»H. et 6« d.i. Francis Hughes und sechs im 1. Alt.

»Freem. et 6« d.i. John Freeman und sechs im 2. Alt.

[170] »Church et 6« d.i. John Church und sechs im Tenor.

»Wheely et 6« d.i. Sam. Wheely und sechs im 1. Basse.

»Gates et 6« d.i. Bernard Gates und sechs im 2. Basse.


Also 12 Knaben und 35 Männer; zusammen 47. Der Chor der Sänger an der Westminster Abtei, d.h. der königliche Kirchenchor, bestand damals aus 36 Personen, 10 Knaben und 26 Erwachsenen.163 Die übrigen elf, und vielleicht noch einige mehr, wurden also von andern Chören herbei gezogen.

Nun erhebt sich die Frage, wie sich die vier von Händel componirten Anthems zu der ungleich größeren Anzahl musikalischer Chöre verhielten, die der gedruckten Liturgie und Festbeschreibung zufolge bei der Krönung englischer Könige zu singen war. Nach einer in Dublin herausgegebenen Beschreibung schloß sich der Vortrag des Chores der Ceremonie in folgender Ordnung an. Sobald das königliche Paar in die Kirche trat, wurde es vom Chore mit dem Anthem empfangen 1. »I was glad when they said unto me – Ich freue mich deß, das mir geredet ist.« 1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie 122. Nach der Anerkennung, wenn das Volk ein Freudengeschrei erhub, erscholl die Trompete und der Chor sang 2. »The King shall rejoice – Der König freuet sich« (von Händel). Wenn der König den Eid geleistet hatte, wurde das Anthem angestimmt 3. »Zadok the Priest – Zadok der Priester« (von Händel); und nach der Salbung ein kürzeres 4. »Behold, o God, our defender – Gott, unser Schild«. 1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie 84, V. 10. Auf die Krönung folgte 5. »Praise the Lord, o Jerusalem – Preise, o Jerusalem, den Herrn«. 1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie 147, V. 12. Während der Huldigung erklang, »von Instrumentalmusik aller Art begleitet, als ein feierlicher Beschluß der Krönung des Königs«, der 6. »My soul hath a desire – Meine Seele verlanget und sehnet sich«. 1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie 84, V. 3. Sodann ging die Salbung und Krönung der Königin vor sich. Nach beendigter Handlung sang der Chor 7. »My heart is inditing – Mein Herz dichtet ein seines Lied« (von Händel).164 Hier fehlt also eins der[171] von Händel in Musik gesetzten Anthems, welches jedoch nebst noch mehreren anderen Chortexten in der sehr ausführlichen, zu Hannover erschienenen deutschen Festbeschreibung angeführt wird.165 Die Auflösung des Räthsels ist, daß die Beschreibungen vor der Krönung verfaßt wurden; daß sie weniger einen genauen Bericht der gegenwärtigen, als der überhaupt bei einer englischen Krönung üblichen Vorgänge mittheilten; daß die Chortexte nicht unveränderlich festgesetzt waren, sondern aus einer Sammlung Psalmensprüche bestanden, die nach Umständen zu einfacher oder kunstvoller Musik, also nach der alten Bezeichnung entweder choraliter oder figuraliter abgesungen wurden. Aus diesen Texten wählte sich Händel nun die oben genannten vier zur Composition aus, welche nach Angabe der deutschen Festbeschreibung in folgender Ordnung gesungen wurden: 2 (S. 39), 1 (S. 49), 3 (S. 54), 4. (S. 63). Crotch und Rimbault sind also sehr im Irrthum, wenn sie (im Vorworte zu der Ausgabe der Krönungsanthems für die frühere Handel-Society) aus solchen Beschreibungen glauben beweisen zu können, daß bei der Krönung Georg's II. nur drei der Händel'schen Anthems, dagegen mehrere von anderen ungenannten Componisten aufgeführt seien.

Wir vermögen hiernach auch die Erzählung der Streitigkeiten zu verstehen, welche Händel einmal mit dem Bischof von London, Dr. Gibson, gehabt haben soll. Ursache und Gegenstand werden verschieden angegeben. Nach Einigen hätte es sich um den Text zum Messias, nach Andern um die Aufführung der Oratorien in der Kirche gehandelt. Aber das ist alles ungegründet. Eine genauere Mittheilung verdanken wir Burney. »Zu der Krönung bekam Händel die Texte für die Anthems von den Bischöfen zugesandt. Er murrte darüber, und fand darin eine Beleidigung, da es ihm schien, als trauten sie ihm nicht soviel Kenntniß der heil. Schrift zu, um die Stellen selbst finden zu können. ›Ich habe meine Bibel wohl gelesen, und werde für mich selbst wählen!‹ sagte er. Und wahrlich, seine Wahl[172] der Worte ›Mein Herz dichtet ein seines Lied‹ war eine höchst einsichtige, und begeisterte ihn zu einigen der schönsten Gedanken die man in allen seinen Werken findet. Dieses Anthem wurde gesungen, während die Edlen des Reiches [der Königin] ihre Huldigung darbrachten.«166 Händel kannte seine Leute und wußte, wie viel Schriftkenntniß diese Geistlichen, selbst die milder und freier gesinnten, einem Operncomponisten zutrauten. Einer, zur Feststellung der Liturgie nothwendigen Verständigung sich zu widersetzen, fiel ihm natürlich nicht ein; aber dem geistlichen Dünkel trat er entgegen. Er verlangte indeß keineswegs, daß man ihm, wie Burney meint, gestatten solle, völlig frei nach der Schrift zu componiren, sondern nur dieses, daß er unter den liturgisch feststehenden Gesangworten sich diejenigen auswählen dürfe, welche ihm die entsprechendsten schienen; und so griff er zu solchen Psalmen, die den Vorgang und seine Bedeutung in gedrängtester Kürze und Charakteristik aussprachen, gleichsam plastisch hinstellten und in ihrem erhabenen Schwunge schon wie Musik klangen. Als Christ wie als Künstler war er zu solcher Wahl berechtigt und befähigt. Wie konnten indeß die englischen Bischöfe sich vorstellen, daß ein ausländischer Musikant, der für dasselbe Haus, in welchem die berüchtigten Maskeraden stattfanden, die Opern setzte und leitete, es »als eine große Wohlthat« anzusehen gewohnt war, wenn sich eine Gelegenheit darbot, »Worte der heiligen Schrift in Musik setzen zu können«! So hatte Händel oft versichert, und betheuernd hinzugefügt, »wie er so innerlichst erbauet werde durch Versenkung in die erhabenen Spruchreden, von denen die heiligen Schriften voll sind.«167

Händel's »schönes Anthem« wurde am 6. September in der Kirche probirt.168 Die Prinzessinnen kamen am Tage vorher von Kensington in die Stadt, sicherlich nur, um es zu hören. Die Krönung war am 11. dieses Monats. Wie sehr sie den Charakter eines musikalischen Festes, fast möchte man sagen, den einer geistlichen Oper[173] trug, wird aus allen Vorrichtungen ersichtlich. Der Orgelbauer Schröder, ein deutscher Meister, mußte ein ganz neues und prachtvolles Werk aufstellen, mit welchem der König später der Abtei ein Geschenk machte.169 Das vortreffliche Opernorchester wirkte mit. Die Plätze der Musiker senkten sich amphitheatralisch von der Orgel ab, und die ganze musicirende Versammlung bot dem Auge einen nie gesehenen Anblick dar. Beide englische Theater griffen es auf, sammt den bemerkenswerthen und theilweis lächerlichen Vorfällen bei der Huldigung des Adels und der hohen Beamten, und besonders die Gesellschaft unter Rich's Leitung »äffte die feierliche Ceremonie der Krönung nach«, wobei selbst »die Musik, tönend wie himmlischer Sphärenklang«, wie hier Händel's Anthems beschrieben werden, wohl oder übel abgeschrien wurde.170 So konnte Händel fast keinen Schritt thun, der nicht allenthalben beachtet und weithin von Bedeutung geworden wäre. Wie sehr die Musik dieser Anthems später von ihm selbst ausgebeutet, und wie überhaupt das ganze Fest für die Aufführung seiner folgenden Oratorien vorbildlich wurde, wird weiter unten zu berichten sein. Daß der Flötenmacher Stainsby unter Händel's Gutheißung für das Krönungsorchester auch noch ein 16 Fuß langes Riesenfagott bauete, erzählt Burney; setzt aber hinzu, Herr Lampe habe wahrscheinlich in der Handhabung desselben unüberwindliche Schwierigkeiten gefunden, und so sei es bis zu der großen Gedächtnißfeier im Jahre 1784 ungebraucht liegen geblieben.171[174]

Zu dem Hofball am Geburtstage des neuen Königs (30. October) machte Händel einige Menuets, die Walsh in einer kleinen Sammlung sofort zum Druck brachte.172 Händel fand in dem Haushalt des neuen Hofes seine Stelle als Musiklehrer der Prinzessinnen mit £ 200. Der Tanzmeister L'Abbé bekam £ 240, weßhalb ihm von dem Verfasser der Besoldungslisten der obere Platz zuerkannt wurde.173 Diese Einnahme bezog Händel zeitlebens. Als der Hofhalt der Prinzessinnen im Mai 1719 eingerichtet wurde, geschah des Tanzmeisters, aber nicht des Musiklehrers Erwähnung174: folglich kann die musikalische Erziehung der Prinzessinnen frühestens im Jahre 1720 an Händel übertragen sein.

Der vorige König hatte ihn bald nach seiner Naturalisation zum Hofcomponisten ernannt. Es war nur ein Titel, kein Amt, und vorher an niemand verliehen. In dem Staatskalender für 1727 steht »Componist für die königl. Capelle, Hr. Georg Händel«.175 Diese Bezeichnung ist nicht ganz genau, denn der Componist der Capelle, d.i. der königlichen Kirchenmusiker, war Dr. Croft. Der König hatte nämlich zwei Musikbanden: die von Karl II. nach französischem Muster errichtete Hofmusik oder die königl. Privatbande, wie sie noch jetzt heißt, und das alte Institut der Kirchensänger oder die königl. Capelle. Nun starb der König; und als vor der Krönung auch noch der gute alte Dr. Croft, das Haupt der Kirchencapelle, das Zeitliche segnete, kam von seinen Aemtern, die zusammen £ 522 eintrugen, an,[175] Bernhard Gates das eines Erziehers und Verpflegers der Chorknaben mit £ 320, und an Moritz Greene das des Componisten der Kirchencapelle, des Clavier- und Orgelstimmers und des Organisten am Westminster, zusammen mit £ 202 Gehalt.176 Greene wurde schon vor der Krönung in seine neuen Aemter eingeführt.177 Händel's Rubrik, anstatt sie zu streichen oder zu berichtigen, ließ man noch mehrere Jahre wörtlich so im Kalender stehen, aber ohne seinen Namen. Er kümmerte sich gewiß ebenso wenig darum, als der Hof; und endlich gelang es Herrn Greene, der inzwischen Doktor der Musik geworden war, mit seiner Vorstellung durchzudringen, daß dieser Titel ihm zukomme.178 Auf den Wortlaut gesehen, hatte er wirklich Recht; aber wir lachen doch darüber, daß der arme Mann sich Jahre lang abmühte, um im Staatskalender zweimal dasselbe gedruckt zu sehen. Als John Eccles, der Director der Hofmusik, 1735 mit Tode abging, setzte Greene sich mit weiteren £ 200 auch an dessen Stelle.

Der Weg zu den Aemtern englischer Kirchen- und Hofmusiker stand Händel offen, seit er britischer Unterthan geworden war; aber es versteht sich von selbst, daß er ihn nicht betrat. Die Furcht der kleinen englischen Musiker, er werde ihnen schließlich auch noch das Brod nehmen, war grundlos genug, und doch haßten sie ihn hauptsächlich wegen dieser Befürchtung. Die Leitung der Oper war für den Augenblick freilich einträglicher; weil Händel aber beständig die Hofconcerte leitete, bei allen besonderen Gelegenheiten die Orgel spielte, die Musik componirte und aufführte, so konnte ihm niemand[176] das volle Recht zu solchen Aemtern absprechen. Daß er sie sich dennoch nicht verschaffte, zeigt auf's neue nicht nur seine Abneigung gegen bindende Fesseln, sondern auch sein Zartgefühl, Verhältnissen und Personen, namentlich musikalischen, und ganz gleich ob freundlichen oder feindlichen, zu seinem Privatnutzen keine Gewalt anzuthun. Wo es die Kunst galt, konnte er allerdings die Rücksichtslosigkeit selber sein. Es ist namentlich dieser Zug künstlerisch großer und menschlich edler, selbstsuchtloser Gesinnung gewesen, welcher ihm die Achtung des besseren Theiles seiner Zeitgenossen schon damals erwarb, als über seine Kunstwerke noch viel Streit und Geschrei war; wie Händel denn auch niemals beschuldigt worden ist, er suche sich auf Kosten englischer Künstler zu bereichern, was doch die italienischen Sänger. Tonsetzer und Dichter alle Tage hören mußten.


Neunter Jahrlauf: vom 30. Sept. '27 bis zum 1. Juni '28.


Händel bekam jetzt die Zügel der Oper zum zweiten Male allein in die Hand, freilich zu spät; denn durch die Streitigkeiten der Sänger waren die Wege für immer verfahren. Cuzzoni und Faustina wurden zwar wieder soweit versöhnt, daß sie neben einander singen wollten, aber die Theilnahme des Publikums erkaltete, und die regelmäßige Jahressubscription kam in dieser letzten Saison nicht wieder zu Stande.


Ricardo I. 1727.

Zufolge einer Bemerkung am Ende der Originalhandschrift entstand die Oper im verflossenen Frühling: »Fine dell Opera | G.F.H. May 16. 1727.« Es geht daraus ziemlich sicher hervor, daß sie schon damals aufgeführt werden sollte, aber wegen der ausbrechenden Streitigkeiten liegen blieb. Der nationale Gegen stand, die Kreuz- und Brautfahrt von Richard Löwenherz, war den Directoren jetzt besonders erwünscht. Paolo Rolli, der dieses Drama »fast ganz« gedichtet hatte, wie das Textbuch versichert,179 brachte die Dedication an den neuen König in ein Sonett, und trug den Titel eines königl. großbritannischen Hofpoeten davon.[177]

Auf eine der schönsten und feurigsten Händel'schen Ouvertüren, die, ähnlich der zu Admet, nur aus zwei Sätzen besteht, folgt eine Eingangsscene, welche ebenfalls an den Anfang des Admet erinnert: ein längerer Instrumentalsatz zum Meersturm, begleitetes Recitativ und Arie. Daß Händel solche Sätze sehr sorglich und sein auszuarbeiten pflegte, sieht man hier auch noch aus der durchstrichenen Skizze einer früheren Fassung, welche im Original erhalten ist. Sodann leitet die Handlung in bekannte Operngeleise ein, und der Tonsetzer überschüttet uns mit schönen Arien, in denen sich seine Sänger im vollen Staat zeigen konnten. Auch in diesem Werke findet sich manche Gesangwendung, welche bald allgemeine Geltung erlangte und später wohl als von Andern »erfunden« angegeben wurde. Dies erstreckt sich selbst auf die Coloratur; man vergleiche z.B. nur die Arien »Agitato da fiere tempeste« für Senesino, und »Vado per obedirti« für Faustina. Von der letzteren sagt Burney: »Es ist einer der schönsten Bravourgesänge. Man er zählte mir, die brillante Stimme der Faustina habe sich durch die geschäftige Begleitung auf eine herrliche Weise hindurch gearbeitet und das ganze Theater erfüllt. Der Schluß dieser Arie erscheint hier zum ersten Mal, ist aber seitdem in die Mode gekommen; ebenso der Rückgang aus dem Mitteltheil auf das Subject.«180 Die Stimme schnellt sich hier gleichsam auf den Hauptgedanken zurück, und erreicht dabei den Ton (E), welcher bei Faustina so außerordentlich kraftvoll war:


1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie

[178] Uebrigens ist nicht Faustina, sondern Cuzzoni in dieser Oper die Hauptperson; Signora Cuzzoni wurde, wie wir wissen, stets vom Hofe vorgezogen. In den letzten (dritten) Akt der Oper sind die schönsten Tonsätze und die wirksamsten Scenen verlegt. Aber uns fehlt der Raum, alle diese Schönheiten zu zergliedern.

Cluer druckte die Partitur und Walsh das Arrangement für die Flöte.181

Die Braunschweiger führten das Werk, soweit meine Nachrichten reichen, in den Jahren 1729, '34 und '39, die Hamburger am 3. Februar 1729 auf.182

Am 17. Februar '28 kam Händel's zweite diesjährige Oper heraus:


Siroe. 1728

»Fine dell' Opera | G.F. Handel | London. February. 5. 1728« steht am Ende des Originals. Den Text dichtete der junge Metastasio für Leonardo Vinci zu der Aufführung in Venedig im Jahre 1726; es war das erste Werk, welches den Dichter berühmt machte. Nicola Haym wechselte und änderte einige Scenen und Arien, im übrigen behielt er Metastasio's Text bei; seine Zuschrift an sämmtliche Directoren und Subscribenten der Akademie darf man nach damaligem Brauche nicht gerade als einen Beweis ansehen, daß er den wahren Autor verbergen und sich an dessen Stelle setzen wollte.[179]

Händel würde Vinci's Musik sicherlich ebenfalls beibehalten haben, wenn sie ihm so genügt hätte, wie Metastasio's Dichtung. Fast alle namhaften Operncomponisten dieser und der nächstfolgenden Zeit haben sich an demselben Gegenstande versucht. Keiner hat eine so reiche Musik daran entfaltet, als Händel; aber einzelne Gesänge sind später, als Metastasio ein hochgefeierter Dichter war, in engerem Anschlusse an die Worte besser und sorglicher gesetzt. Was uns jetzt auch diese Tonsätze Händel's wieder nahe rückt, ihre musikalische Fülle und der Gedankenreichthum in der Melodie wie in der Begleitung, durch die vollkommenste Kunst ausgedrückt, war einige Jahre nach ihrer Entstehung der Verbreitung derselben am meisten hinderlich. Die »neueste Schule« fand die Musik zu gelehrt, Metastasio selbst wird dieser Ansicht gewesen sein; wie es denn außer Zweifel ist, daß er seinem Empfinden nach in Hasse einen weit besseren musikalischen Dolmetscher fand, als in Händel. Aber die Londoner Akademie betrachtete Händel's Sprache jetzt schon als die ihrige und hörte das Werk neunzehn mal nach einander.

Der Schlußsatz der Ouvertüre, die Gigue »war allbeliebt so lange Tanzweisen dieser Art im Gebrauche blieben. Händel selbst scheint für ihr Verdienst nicht unempfindlich gewesen zu sein, denn er spielte die Gigue einmal in meinem Beisein im Hause seiner Sängerin, Frau Cibber, aus dem Kopfe als ein Stück für das Klavier, mit Geist und wundervoller Feinheit, fast zwanzig Jahre nachdem sie componirt war.«183

Am 21., 24. und 28. October 1727 wurde Teuzzone gegeben, eine neue Oper, welche in Hil ler's Wöchentlichen Nachrichten (2. Jahrg. Leipzig 1767. 4. S. 148) dem Attilio Ariosti zugeschrieben wird. – Händel's Ricardo I. wurde am 11. November '27 zuerst aufgeführt.

Die Musik der beiden letzten Arien des ersten Aktes war ursprünglich für ein anderes Werk bestimmt. In Händel's Handschrift erscheinen hier, ohne Zusammenhang mit dem vorausgehenden, plötzlich acht Blätter mit ganz andern Worten und Personen. Auf diesem eingeschobenen Bruchstücke bemerkt man die Namen Olibrio, Placidia, Eudossia, Genserico und einige andere. Händel's Original hat keine Bogenzählung, die drei ersten Bogen des dritten Aktes ausgenommen; das fremdartige Bruchstück ist aber als Bogen 4 und 5 bezeichnet. Eine Vergleichung ergiebt, daß der Text aus Zeno's Oper Flavio Olibrio genommen ist, die 1707 in Venedig aufgeführt[180] wurde. Es geht daraus hervor, daß Händel zuerst die Oper Flavio Olibrio componiren wollte und wenigstens schon bis zum sechsten Bogen gekommen war, als er sich für Siroe entschied. Der frühere Text beider Arien ist theilweise oder ganz gestrichen und der neue (von Haym) darüber geschrieben. Noch eine dritte Arie enthält dieses Bruchstück (Son come un arboscetto), aus welcher einer der feinsten Gesänge für Faustina (D'ogni amator la fede) geschaffen ist. Hätten die beiden andern Arien nicht zufällig so gut in den neuen Zusammenhang gepaßt und dadurch eine neue Abschrift des Componisten unnöthig gemacht, so würden wir von seiner Bearbeitung des Flavio Olibrio wohl nichts erfahren haben. Daß die Urschrift der dritten Arie sich dabei befindet, muß uns besonders lieb sein. Sie ist nicht einfach entlehnt, sondern für Faustina bedeutend umgestaltet und ganz neu durchgebildet; sie ist daher nicht nur als Ueberbleibsel eines unbekannten und unvollendeten Werkes, sondern auch als musikalische Variante lehrreich und merkwürdig. Händel's Musik zu Flavio Olibrio wird ganz oder doch zum größten Theil für Siroe verwerthet sein.

Siroe war die letzte Oper, von welcher unter Cluer's Leitung die Partitur gedruckt wurde;184 er starb im Sommer dieses Jahres, und nach seinem Tode ließ Händel nur noch ein einziges Werk in seiner Officin herstellen.

Noch eine dritte neue Oper lieferte Händel für die diesjährige Saison.


Tolomeo. 1728.

Vollendet am 19. April, wie am Ende der Originalhandschrift bemerkt ist, »Fine | dell' Opera | G.F. Handel | April 19. 1728.« Der Text ist von Nicola Haym. In der Zuschrift an den Grafen von Albemarle beklagt er den ungünstigen Zustand, in welchem die Londoner italienische Oper sich damals befand185; die Ursache davon war die englische Bettler-Oper, von der wir im folgenden Kapitel hören werden.[181]

Ptolomäus wurde vom 30. April an sieben mal gegeben. Händel hatte in den verflossenen zwölf Monaten drei Opern componirt, eingeübt und aufgeführt, außerdem noch die Krönungsmusik gesetzt, ferner den ganzen Winter allein die Akademie geleitet; hierzu kam nun, daß das Publikum plötzlich satt und wetterwendisch wurde und selbst von Orpheus nicht in das Opernhaus zurück zu bringen gewesen wäre; auch lieferte ihm sein Poet außer einigen guten Scenen nur einen armseligen Wirrwarr. Man wird daher den Ptolomäus mit mäßigen Erwartungen zur Hand nehmen und billig voraussetzen, Händel müsse unter so lastenden Verhältnissen Ermattung gefühlt haben. Obwohl nun diese Oper nicht zu seinen Hauptwerken gehört und schon der Anlage nach nicht dazu gehören konnte, wünsche ich doch sehr, sie möchte in Aller Händen sein; denn die Fülle ihres jugendlich frischen Gesanges müßte auf jeden Hörer, der die Umstände erwägt unter welchen sie entstand, den stärksten Eindruck machen. Wo hat Bononcini in der ihm eigenen Weise etwas geschaffen, welches der Arie für Faustina »Voi dolci aurette al cor« gleichkäme, oder Händel eine Siciliane, welche die hier für Cuzzoni gesetzte »Mi volgo ad ogni fronda« überträfe! zu geschweigen der ernsteren Schönheit, die in vielen andern Gesängen durchbricht.

Weil Cluer gestorben war, hatte Walsh im Musikhandel jetzt freie Hand. Er wagte aber zur Zeit, in Anbetracht des gesunkenen Ansehens der italienischen Oper, von Ptolomäus nur ein Bündel Arien zu drucken186; später jedoch stoppelte er eine sogenannte Partitur zusammen.187[182]

Bononcini konnte sich in seine gänzliche Zurücksetzung nicht finden. Er suchte sich endlich durch Kritik an Händel zu reiben und zu rächen, indem er seine Ansichten, welche mehr oder weniger die Grundsätze der italienischen Gesanglehrer seiner Zeit waren, aufschrieb und als »Anweisung für Componisten und Sänger« italienisch und englisch drucken ließ.188 Durch versteckte Anspielungen wird zu beweisen gesucht, daß Händel's schönste Gesänge viel zu sehr mit Instrumenten überladen seien und eher Sonaten als Arien genannt werden müßten. Es war Lockspeise für die übermüthigen italienischen Sänger, welche gegen Händel aufgehetzt werden sollten. Bononcini vertheilte das Pamphlet gratis von seiner Wohnung von Suffolkstreet aus. In der Antwort, welche ein Händelianer sofort erscheinen ließ, wird dies ausdrücklich gesagt, und hinzu gefügt, es sei von Modena gekommen189; also wurde es vielleicht von einem Modeneser stylisirt, dort zuerst gedruckt und sodann in London neu aufgelegt.

Die zwölf Opern, welche Händel für die Akademie setzte, verbreiteten sich über ganz Europa. Nicht nur in Deutschland, auch in Italien und den Niederlanden wurden sie aufgeführt, und selbst wandernde italienische Gesellschaften hatten sie auf ihrem Repertoire. Sogar das auf seine nationale Oper so stolze und so fest an Lully's Formen klebende Frankreich öffnete sich auf einen Augenblick der Gewalt Händel'scher Töne zu freudiger Anerkennung.190 Die Urtheile[183] des damaligen Frankreich über auswärtige Tonkunst, die in Paris garnicht oder doch nur sehr mangelhaft aufgeführt werden konnte, sind selten gerecht und niemals übertrieben. Wie beschämend ist es daher für spätere musikalische Schriftsteller, die in anmaßlicher Unwissenheit über Händel's Opern den Stab gebrochen haben, daß ihnen ein vergessener französischer Poet sagen muß, Händel allein sei würdig, neben, ja in seiner vollendeten Handhabung der dramatischen wie der kirchlichen Composition über Lully gestellt zu werden! Die Schönheit der Melodie, die Gewalt und das kunstvoll gelehrte Gewebe der Harmonie, der Glanz und die Breite der Tonbilder, das geistvolle schöpferische Eindringen in die Bedeutung des Gegenstandes, die sichere und tiefe Charakteristik, gegen welche Scarlatti's Leistungen nur wie Versuche erscheinen, die Fülle neuer Ideen: das alles[184] konnte und mußte Händel's Gegenwart allerdings stärker empfinden, als eine spätere Zeit, nachdem die Kunst durch Händel selber zu einer noch höheren Stufe der Vollkommenheit geführt war. Die Stärke und Vollstimmigkeit dieser Opern ist bald darauf von dem Stärkeren, ja von dem denkbar Stärksten und Vollstimmigsten übertönt worden, die neuen Ideen hat Händel durch spätere von größerem Glanze fast wieder in den Schatten gestellt, die Charaktergestaltung seiner italienischen Dramen haben wir beinahe vergessen über das wundervolle Gesammtleben, in welchem die oratorischen Schöpfungen ruhen, der Zauber der Töne fand endlich einen noch volleren Sinn, eine höhere, der Menschheit würdigere Bedeutung und dadurch einen näheren Weg zu unserm Herzen. Aber Schönheit gegen Schönheit, Kunst gegen Kunst, Ideal gegen Ideal aufgestellt, sind die Tonsätze dieser Opern denen der Oratorien ebenbürtig. Selbst in der Hingabe an das Italienische geht der Tonsetzer nur soweit, als nöthig war, um in den Kern einer hoch gediehenen Kunst einzudringen. Statt leerer Nachahmung lieferte er eine freie Schöpfung, verglichen mit welcher alles, was ihn vorbildlich angeregt haben kann, zu kurz kommt, und deren Selbständigkeit seine Zeitgenossen ebenso sehr bewunderten, als wir Späteren den seinen italienischen Duft, mit welchem sie erfüllt ist. Händel konnte ohne Schaden seiner Selbständigkeit in der Charakteristik wirklich so weit gehen, daß sie sich auf die Sprach- und Kunstweisen ganzer Völker erstreckte. Wie wenig dazu in diesem Falle eine gänzliche Italisirung nöthig oder auch nur fähig war, sehen wir an Hasse; und wie wenig eine geschickte und eifrige Nachahmung der besten Muster, vorzüglich auch der Händel'schen, dahin gelangen konnte, lehrt uns der treffliche Graun. Für Händel wie für Mozart war es von unberechenbarem Werthe, daß ne so völlig in die italienische Tonkunst eingingen; Gluck selbst würde nie seinen gelehrteren französischen Vormann Rameau überholt haben, wenn er seinen Gang nicht durch Italien genommen hätte. Eins aber dürfte die Beschreibung, und noch mehr die Bekanntmachung dieser Opern sicher bewirken, nämlich die Ausreutung des Irrthums, Händel sei der Mann der Stärke, der Meister des chormäßigen Gesammtausdruckes, aber des Weichen und Individuellen, der Schilderung des Seelenlebens der Einzelnen nicht in gleichem Grade mächtig; denn in seinen Opern[185] überflutet uns ein Meer von Wohlklang und Harmonie rein individueller Art, dessen Unerschöpflichkeit und ideale Schönheit wir nicht weniger bewundern müssen, als die Zeitgenossen, welche von seinem Wellenschlage zuerst berührt wurden.

Am 1. Juni wurde Admet gegeben, und dies war die letzte Vorstellung der Akademie. Der Schluß wurde gezwungen herbeigeführt; denn als Admet am 11. d. M. wiederholt werden sollte, meldete Faustina sich unwohl.191 So erfreute sich die Akademie bis zum letzten Athemzuge der willigsten Folgsamkeit dieser edlen Dame. Die Sangvögel wandten sich nun alle gen Süden, und Beelzebub, ihr Meister, kam bald hinterdrein. Faustina, von tiefem Haß erfüllt, entschlossen niemals nach England zurückzukehren, nahm ihren Weg über Frankreich in Senesino's Gesellschaft, sang bis zum Herbst '29 in Mailand, sodann in München, war im folgenden Jahre in ihrer Vaterstadt Venedig, wo sie sich mit Hasse vermählte, der sie aber bald darauf allerunterwürfigst auf sieben Jahre dem Churfürsten von Sachsen abtrat. Cuzzoni reiste (nach überstandenem Wochenbette im Juli) zuerst auf Wien, wo sie sehr gut aufgenommen wurde, aber nach ihrer Meinung nicht Geld genug bekam, ging darauf nach Italien und wollte zur gelegenen Zeit wieder nach England kommen. Dies alles ist in den damaligen Zeitungen zu lesen. Inzwischen lebten die Namen dieser Sänger auf den britischen Inseln fort in berühmten englischen Pferden, wie die der Türken in unsern Hunden; und Signor Nicolini, Boschi, Senesino, Signora Durastanti, Cuzzoni, Faustina tummelten sich auf den Wettrennen zu Wakefield, Yarum, Derby und anderswo noch jahrelang mehr oder minder siegreich im Grünen herum, wie vorhin ihre Originale auf den Brettern.

»Die ganze Species italienischer Sänger ist von einem so angebornen phantastischen Hochmuth und solcher Caprice besessen, daß eine vernünftige Leitung derselben (wenigstens hier in England) fast unmöglich ist. Durch diese Gemüthsart geriethen unsere musikalischen Affairen, zu einer Zeit als wir noch nicht durch Schaden klug gemacht[186] waren, in eine Verwirrung, aus welcher kein Ausweg schien. Wer hat seiner Zeit nicht darüber gelacht! Aber noch lächerlicher war, daß diese kostbaren Kanarienvögel zeitweilig die ganze Körperschaft unserer Musikliebhaber ansteckten. Damen verweigerten einander den Besuch, weil sie verschiedenen musikalischen Parteien anhingen. Cäsar und Pompeius brachten die Römer nicht in hitzigere Theilstellungen, als ihre heroischen Landsmänninnen, Faustina und Cuzzoni, unsern musikalischen Staat; hier wie dort wollte keiner dem andern weichen. Und da Geistesgröße nun einmal eine unvermeidliche italienische Sängertugend ist, wird es niemals gerathen sein, zwei Hauptsänger desselben Geschlechtes in einer und derselben Oper gleichzeitig zu verwenden, nein, und wenn England die Summen, welche schon dafür weggeworfen sind, auch noch verdoppeln wollte. So fiel denn diese mächtige Oper durch die Uebervorzüglichkeit ihrer Sänger; denn im Ganzen wurde sie so schlecht geleitet, als ob die Malice selber das Ruder geführt hätte.«192

Wir beschließen nun die Geschichte dieses Institutes mit einem Einblicke in die Verwaltung von der Zeit an, wo dasselbe sich in einem viel verheißenden Wohlstande befand.

Die Gewinnvertheilung von 7 Procent im Jahre 1723 (S. 86) scheint das Signal zu einer allgemeinen Verschwendung, Ueberstürzung und Betrügerei gewesen zu sein. Dennoch ging es eine Weile glänzend, ein Beweis, daß der Akademie ungeheure Summen zuströmten. In den vier nächstfolgenden Jahrläufen 1723–27 reichten je zwei Zahlungen aus, also 10 Guineen für das Jahr; nur in der letzten Saison wurden vier Zahlungen, zusammen von 15 1/2 Procent ausgeschrieben, die letzte (es war die 21ste) im April '28. Die Subscribenten hatten in den einundzwanzig Ansätzen 99 1/2 Procent eingezahlt und einmal sieben Procent empfangen, folglich für ihre Karte in neun Jahren 92 1/2 Guineen entrichtet. Hierfür standen zu ihrer Verfügung
[187]

vom 2. Aprilbiszum25. Juni '20= 22 Vorstellungen

vom19. Nov. '20biszum 5. Juli '21= 58 Vorstellungen

vom 1. Nov. '21biszum16. Juni '22= 62 Vorstellungen

vom27. Oct. '22biszum15. Juni '23= 64 Vorstellungen

vom27. Nov. '23biszum13. Juni '24= 52 Vorstellungen

vom31. Oct. '24biszum19. Juni '25= 68 Vorstellungen

vom30. Nov. '25biszum11. Juni '26= 54 Vorstellungen

vom 7. Januarbiszum 6. Juni '27= 41 Vorstellungen

vom30. Sept. '27biszum 1. Juni '28= 66 Vorstellungen

––––––––––––––––

zusammen 487 Vorstellungen


– nämlich von Händel 245, von Bononcini 108, von Ariosti 55, von verschiedenen andern Componisten 79, – von denen mithin durchschnittlich jede mit 4 Shilling (1 Thlr. 10 Sgr.) bezahlt wurde, also nicht einmal mit dem Preise, welchen die Gallerie im Einzelverkauf kostete (5 Sh., nur bei ermäßigten Preisen 21/2). Weil man aber bei der Gründung der Akademie sicher darauf gerechnet hatte, die Zeichnung von hundert Guineen werde wenigstens vierzehn Jahre vorhalten, und weil die einmalige Dividende sogar die übertriebensten Hoffnungen auf baaren Gewinn hervorrief, schrie man jetzt über unerhörte Belastung. Dieses Geschrei war ungegründet.

Die Belastung war für die Mehrzahl allerdings eine große, aber nicht durch die Oper verursacht, sondern durch die Nebengewichte, welche daran hingen – die verschwenderische Freigebigkeit an die ersten Sänger, die Subscriptionsgesuche der italienischen Componisten, die Maskeraden und die Unterschleife der Kassenverwalter und Thürsteher. So sehr man einst diesen Unfug in's Leben gerufen hatte, so unsinnig verdammte man jetzt, übersättigt und zum Theil ruinirt, das Gute mit dem Schlechten. Wie es mit der Kassenverwaltung der Oper aussah, lehrt uns eine Satire, welche anfangs '27 im »Kraftsmann«, einem berühmten Oppositionsblatte, erschien. Der Verfasser sagt, er kenne einen Schatzmeister, einen Mann von unzweifelhafter Redlichkeit, uneigennützig, voller Weisheit und Würde, alles in allem genommen, einen Schatzmeister mit reinen und leeren Händen. »Ich bin überzeugt, die meisten meiner Leser werden schon wissen, daß ich hier niemand anders im Sinne haben kann, als[188] den würdigen und excellenten Herrn Kiplin [John Kipling], Schatzmeister der hochehrenwerthen Körperschaft genannt die königliche Akademie der Musik.«193 Kipling ist hier nur der Sack, auf welchen geklopft wird, um den Esel Walpole, den »uneigennützigen« Schatzmeister des Reichs, zu treffen.

In diesem Bericht über die Schicksale und Leistungen der königlichen Opernakademie, den wir für vollständig ausgeben dürfen, soweit es nach den zu erlangenden Quellen möglich und für Händel wie für die Kunstgeschichte von Bedeutung ist, blieb manches unerwähnt, was doch, von Mainwaring an bis auf den heutigen Tag, in vielen Büchern steht. Aber das alles gehört in das Reich der Fabel, und ist lediglich aus einer Verwechslung verschiedener Zeiten und Personen entstanden; wir nehmen uns daher keine zu große Freiheit, wenn wir es mit Stillschweigen übergehen.

Nur Eins fehlt noch, nämlich die Erzählung der Ursachen, welche schließlich den Niederfall der Akademie bewirkten. Dieses haben wir uns aber seiner weitgreifenden Bedeutung wegen für ein besonderes Kapitel aufgespart.

Fußnoten

1 »Mr. Hendel, a famous Master of Musick, is gone beyond sea, by order of his Majesty, to collect a company of the choicest singers in Europe, for the Opera in the Hay-Market«. Applebee's Original Weekly Journal v. 21. Febr. '19. Händel's Brief, der die Abreise als spätestens in Monatsfrist bevorstehend angiebt, ist am 19ten geschrieben, die Zeitungsnachricht, nach welcher er schon abgereist war, spätestens am 21sten. Die Schwierigkeit hebt sich, wenn wir annehmen (was ohnehin vorausgesetzt werden muß), daß Händel seinen Brief nach dem deutschen oder neuen Kalender datirte, ihn folglich am 8. Februar schrieb, und daß mithin seine Abreise acht bis vierzehn Tage später stattfand.


2

»A Mademoiselle de Schulenburg.


Dresden, le 6e Octbr. 1719.


Mademoiselle!


Je vous envoye cy joint l'Operette de Vienne dont j'ay eu l'honneur de vous parler. Je n'ay pas pu avoir encore les Operas d'icy, car on est si rare avec, qu'on n'en laisse pas même les roles aux chanteurs et chanteuses, dont ceux cy enragent. J'ay souhaitté de parler à Mr. Händel, et lui ay voulu faire quelques honettetés a votre egard, mais il n'y a pas eu moyen; je me suis servi de votre nom pour le fair venir chéz moy, mais tantot il n'estoit pas au logis tantot il ètoit malade; il est un peu fol a ce qu'il me semble, ce que cependant il ne devroit pas ètre a mon egard, vu que je suis musicien c.a.d. par inclination, et que je fait gloire d'être un des plus fideles serviteurs de vous, Mademoiselle, qui êtes la plus aimable de ses ecolieres; j'ay voulu vous dire tout cecy pour qu'a votre tour vous puissez donner des leçons a votre maitre. J'ay l'honneur d'être« etc. S. »Georg Friedrich Händel in Dresden« von M. Fürstenau, in dem Dresdner Journal v. 16. Febr. 1860.


3 M. Fürstenau in dem angeführten und mir gütigst mitgetheilten Aufsatze »Händel in Dresden«.


4 Forkel, Ueber Bach's Leben, Kunst und Kunstwerke. Kap. VIII: »Beim ersten Besuch [Händel's in Halle], etwa im Jahr 1719, war Bach noch in Köthen, nur 4 kleine Meilen von Halle entfernt. Er erfuhr Händel's Ankunft sogleich, und säumte keinen Augenblick, ihm unvorzüglich seinen Besuch abzustatten; aber gerade am Tage seiner Ankunft reiste Händel wieder von Halle ab.« Ich theile Forkel's Worte mit, weil sie für Bach's Reise nach Halle die einzige Quelle sind. Nun wissen wir, daß Händel vom März bis zum October oder November, also wenigstens acht Monate in Deutschland und einen guten Theil davon bei den Seinen in Halle war, denen er einen längeren Besuch versprochen hatte. Forkel denkt an eine vorübergehende Durchreise von wenigen Tagen; er muß also einen ungenügenden Bericht empfangen und diesen, wie auch schon seine Worte zeigen, sich nach seiner eignen Vorstellung weiter ausgemalt haben. Denn hätte Bach bei so eifrigem und absichtlichem Aufsuchen dieses erste mal Händel wirklich verfehlt, so würde er seine Zurückkunft erfragt und erfahren und daraufhin die Reise wiederholt haben. Daß solches aber nicht geschah, lehrt uns das Stillschweigen einer Erzählung, die auch bei der unvollkommensten Mittheilung Bach's wiederholte vergebliche Reisen nach Halle nicht vergessen haben würde, da zu seinen Gunsten nichts besseres zu berichten war. Es ist Bach hier ergangen, wie so vielen Andern in ähnlicher Lage. Er wird gelegentlich nach Halle gekommen sein, um dortige Bekannte und auch den anwesenden Händel zu begrüßen, letzteren aber nicht mehr angetroffen haben, ohne für den Augenblick Gewicht darauf zu legen, noch sich um ein weiteres Zusammentreffen zu bemühen, dann aber später, als ihre beiderseitige Bedeutung und damit das Verlangen nach persönlicher Bekanntschaft bei Bach größer wurde, sein Bedauern ausgedrückt haben, daß er Händel früher einmal vergebens in Halle aufsuchte. Ich habe längst gewußt, was man von Forkel's derartigen (und überhaupt von seinen historischen) Mittheilungen zu halten hat. Aber diejenigen, welche seine Worte zu einer Verläumdung Händel's benutzt haben, müssen anderer Ansicht gewesen sein: mit welchem Rechte, was die Thatsache anlangt, möge man aus dieser Beleuchtung ihres Gewährsmannes abnehmen.


5 »Yesterday South-Sea was 174. Opera-Company 83, and a half. No transfer.« The Theatre No. 18.


6 »At the rehearsal on Friday last, Signior Nihilini Beneditti rose half a note above his pitch formerly known. Opera Stock from 83 and a half, when began; at 90 when he ended.« The Theatre No. 20. Es ist Benedetto Baldassarri gemeint, der, von Händel engagirt, zu Anfang des Jahres 1720 herüberkam und am 11. März ein Vocal- und Instrumentalconcert veranstaltete. (Daily Courant v. 10. März '20.) Dasselbe Theatre führt dann in Nr. 21 vom 12. März lustig aus, wie dieser Signor der versammelten Operndirection im Recitativstyl auseinander gesetzt habe, daß er nichts Geringeres darzustellen gewohnt sei als Souveräne und Prinzen von Geblüt, und wie man ihm darauf zubilligte, daß Tigranes, den er in Händel's Rhadamist zu singen hatte, vom einfachen Officier zum Fürsten aufrücke. Baldassarri war es also, welcher den Directoren einen Vorschmack gab von all der Demuth und bescheidenen Unterordnung unter einen höheren Kunstzweck, die sie an den italienischen Sängern noch erleben sollten. – »Nihilini« zielt auf den berühmten Nicolini, dem man ein so lebhaftes Andenken bewahrte, daß noch jetzt seine Art zu spielen in einer neuen Opern-Farce travestirt werden konnte. »Never acted before. In Lincoln's. 22. May: Harlequin Hydaspes, or the Greshamite. A Mock-Opera. The part of Harlequin by the Authorwho mimicks the famous Nicolini in his whole action –, being the first time of his appearance upon this stage.« Daily Courant v. 19. Mai '19. Das Stück wurde darauf bei J. Roberts gedruckt. Der Verfasser wird in späteren Anzeigen »Mr. Aubert« genannt.


7 »The Lord Chamberlain of His Majesty's household does hereby give notice, that on Friday the 6th of November, at ten in the morning, there will be a general court of the Patentees of the Royal Academy of Musick, held at the Opera-House in the Hay-Market, to consult about the affairs of the said company, at which every subscriber is desired to take notice.«London Gazette v. 3./6. Oct. '19, und öfter.


8 »The directors of the Royal Ac. of M., by virtue of a power given them under the King's letter patents, having thought it necessary to make a call of 5 l. per cent from each subscriber, have authorized the treasurer to the said R.A., or his deputy, to receive the same, and to give receipts from each sum so paid in; this is therefore to desire the subscribers to pay, or cause to be paid, the said five per cent according to the several subscriptions, on the 18th or 19th instant, at the Opera-house in the Hay-Market.« London Gazette v. 5./8. Decbr. '19. Die Zahlfrist wurde später noch verlängert. Auch Burney theilt dieselbe Aufforderung wörtlich, einige Ungenauigkeiten abgerechnet, in seiner Geschichte (IV, 262) mit, aber als im November 1720 erlassen, und demzufolge als einen Beweis, daß die Akademie schlechte Geschäfte gemacht haben müsse! Weil die Zeitungen damals das neue Jahr theils noch mit Ostern, theils schon mit Neujahr anfingen, muß man natürlich den größten Irrthümern verfallen, wenn man, wie Burney, ohne weitere Unterscheidung alles durcheinander wirft und in sinnloser Hast die guten alten Quellen plündert.


9 »A legion of Italian songsters, comedians etc. are coming hither from Italy, to perform at the theatre's.« Applebee's Original Weekly Journal v. 12. März '20.


10 Burney, History IV, 259.


11 Memoirs p. 98–99. Was Mainwaring weiterhin beibringt, ist unbegründet, da Senesino erst später nach London kam.


12 Daily Courant v. 29. April '20.


13 »Letters from Paris say that on the festival of St. Louis the Royal Academy of Musick entertained the King, according to custom, with a Consort of Musick of all sorts, and other demonstrations of rejoicing; and that the crowd was so great on this occasion, that Seven Persons were squeezed to death, one of whom was the Marchioness of Soubize, and that in endeavouring to save her, one of her Footmen had his leg, and another his back broke.« The Jesuit v. 22. Aug. '19.


14 Burney, History IV, 260.


15 Hawkins, History V, 296.


16 für Margherita de l'Epine, nicht (wie Burney behauptet) für Durastanti. Burney fand den ersten Entwurf zu dieser concertirend gesetzten Arie schon in einer früheren Händel'schen Cantate, die mir nicht vorliegt, und spricht sich im folgenden näher darüber aus: »Sposo ingrato is a very elaborate and spirited aria concertata, with a solo part for the violin, to display the talents of a Cleg or Castrucci; this air, which Handel composed originally for one of his juvenile cantatas at Hamburgh, Casti amori, was now accommodated for the Durastanti [?Margh. de l'Epine] and a great orchestra, giving solo parts not only to the violin, but principal hautbois, bassoons, and violoncellos.« History IV, 261.


17 Burney, History IV, 262.


18 »To be admitted on the stage One Guinea.« Daily Courant v. 13. Mai '20.


19 »TO THE

KING's

Most Excellent Majesty.

SIR,

THE Protection which Your Majesty has been graciously pleased to allow both to the Art of Musick in general, and to one of the lowest, tho' not the least Dutiful of your Majesty's Servants, has embolden'd me to present to Your Majesty, with all due Humility and Respect, this my first Essay to that Design. I have been still the more encouraged to this, by the particular Approbation Your Majesty has been pleased to give to the Musick of this Drama: Which, may I be permitted to say, I value not so much as it is the Judgment of a Great Monarch, as of One of a most Resined Taste in the Art: My Endeavours to improve which, is the only Merit that can be pretended by me, except that of being with the utmost Humility,


SIR,

Your MAJESTY'S

Most Devoted,

Most Obedient,

And most Faithful

Subject and Servant,

George-Frederic Handel.«


20 Post Boy v. 12. Juli '20.


21 Post Boy v. 3. Decbr. '20.


22 Der musikal. Patriot S. 190–91. Mattheson rückt Zenobia hier als Nr. 170 an das Ende des Jahres 1721. Ich habe mehrere Textbücher gesehen, alle »gedruckt im Jahr 1722«. Schon Mattheson's Betheiligung als Uebersetzer deutet darauf hin, daß dies richtig sein wird. Er erinnerte sich später wohl, daß die Oper schon Ende '21 übersetzt und vorbereitet wurde und verwechselte dies mit der wirklichen Aufführung.


23 »Gennajo 1715 [erwählt] Domenico Scarlatti, figlio del cav. Alessandro, di Napoli, scolaro in Roma del Gasparini, partì per Londra in Agosto del 1719.« Baini, Palestrina II, 282. Wenn Heinichen ihn in einem 1728 herausgegebenen Werke (Der Generalbaß in der Composition. Dresden 1728. 4.) noch römischen Capellmeister nennt, muß man dies so verstehen, daß er ihn vor 1720 als solchen persönlich kennen gelernt, von seinen späteren Schicksalen aber nichts weiter erfahren hatte. Drückt er sich doch so aus – (»eine Cantate des berühmten Sigr. Alessandro Scarlatti, des ältern zu Neapolis: denn der jüngere Scarlatti ist in Rom Capellmeister«, S. 797) –, daß man annehmen muß, es habe zwei Scarlatti mit dem Vornamen Alessandro gegeben, und so hat es Walther (Musikalisches Lexicon S. 546) denn auch verstanden.


24 »For the benefit of Signor Francisco Scarlatti, brother to the famous Alessandro Scarlatti. At Mr. Hickford's Great Room in James'-street, near the Hay-market, this present Thursday, being the 1st of September, will be perform'd, a Consort of vocal and instrumental Musick, by the best Masters. The greatest part of his own composition.« Daily Courant v. 1. Sept. '20.


25 Burney, History IV, 263–64.


26 Prior an Swift, Paris, 16. Aug. '13. In Swift's Briefwechsel.


27 »Io sono uno di questi ultimi, che qui mi trovo, chiamato da Roma per servizio della Reale Accademia di Musica.« Bononcini, Cantate e Duetti. Londra, 1721.


28 Vgl. Burney, History IV, 267. Eine Aufführung des Astarto in der Capranica wird auch bei Allacci (Dramaturgia p. 123) angegeben, die Musik aber dort und bei Gerber (A. Lex. II, 191) dem Bologneser Predieri zugeschrieben, was demnach nicht richtig sein kann.


29 Astartus an Opera as it was Perform'd at the Kings Theatre for the Royal Accademy Compos'd by Bononcinj. London, J. Walsh. 88 Seiten in Folio. Als erschienen angekündigt in Daily Post vom ersten, und Daily Courant vom dritten April '21.


30 Burney, History IV, 273.


31 Astarto kam im Jahre 1721, schon vor Rhadamist, auch in Hamburg zur Aufführung und zwar ganz italienisch. Vgl. Mattheson, musikal. Patriot S. 190.


32 »Signor Nicoleni [!], the famous Italian Eunuch, is newly arriv'd here from Venise, and sung last Wednesday night [28. Decbr.] at the New Opera with great applause, 'tis said the Company allows him 2000 Guineas for the Season.« Applebee's Orig. Weekly Journal v. 31. Dec. '20. Das andere Wochenblatt, welches dieser Vorstellung des Rhadamist erwähnt, bei welcher der Hof zugegen war, sagt ebenfalls »the famous Nicolini performed with his wonted applause« (Mist's Weekly Journal or Saturday Post v. 31. Dec. '20); im größeren Publikum muß man ihn daher längere Zeit mit dem Löwenkämpfer aus Hydaspes, dem sprichwörtlich gewordenen Ritter Nicolini, verwechselt haben.


33 In einem Concerte am 13. Febr. '19 wurde unter andern gespielt »A Concerto and Solo for the Violin by Mr. Carbonelli, and Mr. Pipo.« (Daily Courant v. 12. Febr. '19.) Am 28. Febr. desselben Jahres fand ein anderes Concert in vier Theilen statt, von denen Pippo den zweiten componirte. – Am 14. März '22 zu Carbonelli's Benefiz in Drury-Lane war die zweite Nummer »A Concerto on the Bass Violin, composed and performed by Sig. Pippo.« Daily Courant v. 12. März '22.


34 The favourite Songs in the Opera call'd Muzio Scaevola. London, J. Walsh. [1721.] 21 Seiten in Folio, enthaltend: eine Ouvertüre und vier Gesänge von Bononcini, drei von Händel und einen von Pippo, aber ohne Angabe der Componisten.


35 Neuere Abschrift im British Museum: Add. MSS. 16, 108. Das Exemplar vom Hamburgischen Theater befindet sich in der Berliner Bibliothek.


36 »Quel semitono vale un mondo!« sind seine Worte wie Mainwaring (Memoirs p. 44) sie angiebt. Vgl. Mattheson's Uebersetzung S. 38.


37 Mattheson sagt im musikal. Patrioten S. 191: »von Hn. Händel's Composition. Andere nennen einen: Giovanni«! Seine Vergeßlichkeit, die sich hier auf's neue bekundet, ist an diesem Orte um so auffallender, da er nur fünf Jahre vorher folgendes drucken ließ: »Sonst ist hier am 7ten dieses Monaths [Jan. 1723] abermahl eine neue Opera vorgestellet worden, welche den Titel: Muzio Scevola führet. Sie ist zwar an sich selbst ganz Italiänisch gesungen; doch in eine feine prosam übersetzet, und dazu mit einem Teutschen Vorspiele gezieret worden. Soviel Actus darin befindlich sind, ebenso viel Componisten haben sich auch dabei signalisiret. Nehmlich drey. Die erste Handlung hat Buononcini gemacht [!]; die andereMattei (welcher unter dem Namen Pipo, i.e. Filippo, in dem Orchestre zu London den Violoncello spielet), und an der dritten Handlung hat Händel seine Kunst bewiesen. Alle diese Meister-Stücke sind uns aus Engelland herüber gesandt worden; ausser dem Prologo, welcher von Keiser ist. Sollte nun dergleichen musicalische Aristocratie ferner bey den Opern einreissen, so dürfte wohl schwerlich vors erste, unter den Componisten, ein Monarch entstehen.« Critica Musica (Hamburg 1723. 4.) I, 256. Hier zuerst wird dem Bononcini der erste Akt statt des zweiten zugeschrieben; eine Verwechslung, die in viele Bücher überging. Mattheson giebt sodann nicht den Attilio Ariosti, sondern richtig den Pippo als einen der drei Componisten an, aber für den zweiten Akt. Die Nachricht bildete sich bei weiterer Verwechslung endlich dahin aus, daß Ariosti selbst mit dem Nebennamen Pippo belegt wurde: und so steht es ebenfalls in vielen Büchern. Eine ganz richtige Angabe der drei Componisten Pippo, Bononcini und Händel und der ihnen zugewiesenen Akte enthält der Brief des Kammerherrn A. de Fabrice (London, 21. April 1721) an den Generalfeldmarschall Flemming in Dresden; über die Mittheilung, daß Händel den Preis davon getragen habe, drückt Flemming seine Freude aus: »Je suis bien aise aussi de ce que l'allemand l'emporté dans la composition sur tous les autres musicien.« (M. Fürstenau in dem angef. Aufsatze »Händel in Dresden«.)

Hawkins und Burney wissen von keinem Pippo, sondern geben einen Akt an Attilio Ariosti, der damals garnicht in England war. Ihre Nachrichten sind wunderlich verwirrt. Hawkins sagt (V, 273), A. Ariosti sei erst 1723 nach England gekommen und sein erstes Werk für die Akademie sei die Oper Coriolan gewesen (was durchaus richtig ist, denn nach seinem ersten Londoner Aufenthalt um 1716 war er wieder in seine Heimath zurückgekehrt), schreibt ihm aber doch (V, 277) einen Theil des Muzio Scävola zu, der schon 1721 aufgeführt wurde. So etwas reimt sich nur bei Hawkins. In einem Satze (V, 276) läßt er den Attilio von Bologna nach London kommen, in einem andern (V, 291) von Berlin, meint aber beide Male dieselbe Reise zu Anfang des Jahres 1723! Burney nimmt die Hauptmasse dieser Verkehrtheiten ungeprüft auf, und führt (IV, 257) das einzige, was in Hawkin's Angabe richtig ist, nämlich daß Attilio zuerst 1723 mit der Oper Coriolan in der Londoner Akademie aufgetreten sei, als eine große Absurdität an!


38 The favourite Songs in the Opera call'd Cyrus.London, J. Walsh. [1721.] 14 Seiten in Fol.


39 »L'Odio e l'Amore, ovvero Ciro.« Braunschweig, Wintermesse 1724. »Die Music dieser Opera ist componiret von dem berühmten Hrn. Bononcini.« Textbuch in der Bibl. zu Wolfenbüttel.


40 »A Serenata, compos'd by Sig. Cavalliero Alessandro Scarlatti, perform'd by Sig. Francisco Bernardi Senesino, Signora Durastanti, Mrs. Anastasia Robinson, Signora Salvai, Sig. Boschi. The stage will be illuminated, and put in the same form as it was in the Balls.« Daily Courant v. 27. März '21.


41 »By His Majesty's Command. For the benefit of Signora Durastanti. At the King's Theatre in the Hay-Market, this present Wednesday, being the 5th of July, will be perform'd a Concert of Vocal and Instrumental Musick, compos'd by the best Masters: particularly, Two new Cantata's by Mr. Handel, and Sig. Sandoni; Four Songs and Six Duetto's by the famous Signor Stefan, performed by Signora Durastanti, and Signor Senesino.« Daily Courant v. 5. Juli '21.


42 London Journal v. 24. Febr. '22.


43 S. Hawkins, History V, 328.


44 Die Metamorphose der Pflanzen, Einleitung 7.


45 »Quindi umilmente le consacro questo mio Drama perchè in esse ambe quelle difficili amabilissime qualità dell' Eroe nell' Amante, e dell' Amante nell' Eroe; ardisco dire che sono da eccellente Musica al più vivo e toccante grado esaltate.«


46 Burney, History IV, 282–83.


47 Floridant an Opera as it was perform'd at the King's Theatre for the Royal Accademy Compos'd by Mr. Handel. Publish'd by the Author.London, J. Walsh. 81 pp. in Fol. Anfangs 1723 gab Walsh die zu den Aufführungen im December '22 geschriebenen »Additional Songs in Floridant« heraus.


48 Ehrenpforte S. 96.


49 The favourite Songs in the Opera call'd Crispus. London, J. Walsh. 20 Seiten in Fol.


50

Cast from her Kingdom, from her Lord excil'd,

Griselda still was lamb-like, mute and mild.

But Rolli's verse provok'd the Saint to roar,

She rav'd, she madned, and her pinners tore.

Till Bononcini smooth'd the rugged strains,

And sanctify'd the miserable scenes.

At each soft sound, again she felt her thought,

And all the nonsense dy'd beneath the note.

Appeas'd she cry'd, it is enough good Heaven!

Let Gualtier, and let Rolli be forgiven.


Freeholder's Journal v. 14. März '22.


51 Burney, History IV, 284–85.


52 R. Steele, The conscious Lovers. Comedy. 1721. Akt II, Sc. 2.


53 The Anthem which was performed in King Henry the Seventh's Chapel at the Funeral of the most Noble & Victorious Prince John Duke of Marlborough. The words taken out of Holy Scripture and set to Musick by Mr. Bononcini. London, printed and sold by J. Walsh. No. 631. 19 Seiten in Fol.


54 London Journal v. 8. Dec. '22. Vgl. British Journal No. 1 v. 22. Sept. '22.


55 »Application having been made to the R.A. of M., for Tickets entitling the bearers to the liberty of the house for this Season: The Academy agree to give out Tickets to such as shall subscribe on the conditions following, viz. That each Subscriber, on the delivery of his Ticket, pay 10 Guineas: That on the 1st of Febr. next ensuing the date of these presents, each Subscriber pay the further sum of 5 Guineas upon the 1st day of May following. And whereas the Academy propose the acting of 50 Operas this Season, they do oblige themselves to allow a deduction proportionably, in case fewer Operas be performed than that number. N.B. The Instrument lies open at White's Chocolate House for Subscribers to sign on the foregoing terms; as also another at the Opera Office every Opera Night.« London Gazette v. 25. Novbr. '21.


56 »'Tis reported that the Managers of the fund subscrib'd to the Opera will make a dividend of their profits some time this winter.« London Journal v. 27. Octbr. '22.


57 »The Court of Directors of the Royal Ac. of Musick in the Haymarket, have lately made a dividend of Seven per cent. on their capital; and, it is thought, that if this Company goes on with the same success as they have done for some time past, of which there is no doubt, it will become considerable enough to be engrafted on some of our Corporations in the City, the taste of the public for Musick being so much improv'd lately.« London Journal v. 16. Febr. '23.


58 »There is a new Opera now in rehearsal at the Theatre in the Hay-Market, a part of which is reserv'd for one Mrs. Cotsona, an extraordinary Italian Lady, who is expected daily from Italy. It is said, she has a much finer voice and more accurate judgment, than any of her country women who have performed on the English Stage.« London Journal v. 27. Octbr. '22.


59 »Mrs. Cotsona, the Italian Lady.... is married on her journey.« London Journal v. 22. Dec. '22.


60 »'Tis said, she is the finest Performer that ever Italy produced, which has raised the expectations of people here to a very great high; so that they promise themselves much more satisfaction this winter, than the Theatre has ever yet been able to afford them.« London Journal v. 5. Jan. '23.


61 Burney, History IV, 286–87.


62 Burney, History IV, 286. Daß diese Gavot die erste populäre Arie gewesen, welche Händel am Ende einer Ouvertüre anbrachte, behauptet Burney mit Unrecht; wie denn überhaupt seine werthvollen Nachrichten, die er als Zeitgenosse aufnahm und in lebendiger Anschauung mittheilt, leider in eine gar zu flüchtige Beschreibung der einzelnen Werke verwebt sind. Jede seiner Erinnerungen hat Werth; aber keine seiner rein gelehrten Angaben darf ungeprüft aufgenommen werden. Im Besitz der besten Quellen, können wir, das Dargebotene sichtend, seine Erinnerungen dankbar benutzen, ohne uns für gewöhnlich bei der Anzeige seiner Irrthümer aufzuhalten.


63 »Oh! Madame, je sçais bien que vous êtes une veritable Diablesse: mais je vous ferai sçavoir, moi, que je suis Beelzebub, le Chéf des Diables.« Mainwaring, Memoirs p. 110.


64 »An eminent Master, who was not on good terms with Handel, often declared the opinion he had of his abilities in very strong expressions. That great Bear (said he) was certainly inspired when he made this Song.« Mainwaring, Memoirs p. 182. Die Vermuthung, daß Dr. Pepusch gemeint sei, ist sicherlich gegründet; denn es war ganz seine Art, Händel's Werke so in Bausch und Bogen wegwerfend abzufertigen, dabei aber doch durch Belobung einzelner Stücke »seinem Genie die gebührende Anerkennung keineswegs zu versagen.« Pepusch erlaubte sogar seinem Papagei, sich eine schöne Arie aus Händel's Julius Cäsar zum Paradestück zu wählen! »The house where they [Pepusch und Frau] dwelt was sufficiently noted by a parrot, which was used to be set out at the window, and had been taught to sing the airNon è si vago e bello‹, in Julius Caesar.« Hawkins, History V, 199.


65 London Journal v. 19. Januar und v. 2. März '23.


66 Daily Courant v. 26. März '23.


67 London Journal v. 30. März '23. Vgl. St. James's Journal von demselben Tage.


68 »At the Hay-Market, on Tuesday last, was performed the new Opera, call'd Coriolanus, said to exceed any thing of the kind ever seen upon the Stage.« British Journal v. 23. Febr. '23.


69 History V, 291–92.


70 »An Epistle to Mr. Handel, upon his Operas of Flavius and Julius Caesar. Sold by J. Roberts. Price 4 d.« The Monthly Catalogue: containing an exact Register of all the Books printed... from the beginning of March 1723. (London, 1725. 4.) No. 13, 1724 p. 10.


71 History IV, 289.


72 British Journal v. 21. Sept. '23.


73 Castil-Blaze, l'Opera-Italien de 1548 a 1856(Paris 1856. 8.) p. 124 ff.


74 A. Lexicon I, 141.


75 Krit. Einleitung in die Gesch. und Lehrsätze der alten und neuen Musik (Berlin 1759. 4.) S. 92.


76 In Swift's Briefwechsel.


77 »At the Theatre in Little Lincoln's-Jnn-Fields will be presented a Farce of three acts, in French, call'd Pierot Maitre Valet, et l'Opera de Campagne, ou La Critique de l'Opera de Paris. N.B. The person, who plays Pierot at Paris, is just arriv'd from thence. With vaulting and tumbling, as usual.« Daily Courant v. 28. Jan. und 3. Febr. '19.


78 Applebee's Weekly Journal or British Gazetteer v. 3. Decbr. '20.


79

– – »an antient sense must quit the field,

And Shakespear to the soft Bercelli yield.«


The Works, in Verse and Prose, of Leonard Welsted, Esq. Collected by John Nichols. (London, 1787. 8.) p. 78.


80 Freeholder's Journal v. 7. Febr. '22.


81 True Briton No. 56 v. 13. Dec. '23.


82 Pasquin (Theaterzeitung) v. 18. Febr. '24.


83 »This day, at noon, will be publish'd, The Life and Death of Dr. Faustus. A Farce, written by that celebrated Comedien Mr. Mountfort; from whence the grotesque entertainment, call'd, The Necromancer or Harlequin Doctor Faustus, is taken. With the original songs between the acts, and every machine particularly described. Printed for W. Mears at the Lamb without Temple-Bar; price 6 d.« True Briton v. 17. Jan. '24. Auch erschienen zur selben Zeit bei A. Dodd »the vocal parts of the Necromancer, or, Harlequin Doctor Faustus«, ebenfalls für 6 Pence.


84 Mist's Weekly Journal or Saturday's Post v. 7. Febr. '19.


85 The Political State of Great Britain. 1721. Vol. 21 p. 452–53.


86 »Whereas there has been lately publish'd a proposal for six Ridotto's, or Balls, to be managed by subscription at the Kings Theatre in the Hay-Mar ket, etc. We the Grand Jury of the County of Middlesex, sworn to enquire for our Sovereign Lord the King, and the Body of this County, conceiving the same to be a wicked and unlawfull design, for carrying on gaming, chances by way of lottery, and other impious and illegal practices, and which (if not timely suppressed) may promote debauchery, lewdness, and ill conversation: from a just abhorrence therefore, of such sort of assemblies, which we apprehend are contrary to law and good manners, and give great offence to his Majesty's good and virtuous Subjects, we do present the same and recommend them to be prosecuted and suppressed as common nuisances to the publick, as nurseries of lewdness, extravagance, and immorality, and also a reproach and scandal to civil government. Presented Feb. 12. 1722–23.« Der große gedruckte Bogen, welcher diese Protestation enthält, ist im British Museum in der Sammlung Newspapers Ao. 1728, vol. II, am Ende, erhalten. Vgl. St. James's Journal v. 16. Febr. '23.


87 »Lord Bishop of London's Sermon against Masquerades. Sold by John Wyat, at the Rose in St. Paul's Church-Yard. Price stichd 4 d.« Daily Courant v. 7. Juli '24. – Für den angeblichen Brief Heidegger's an den Bischof Gibson über seine Predigt(»Heydegger's Letter to the Bishop of L–. To which is added a remarkable Story of Don Ramiro, King of Arragon. Sold by R. Macey, near St. Paul's. pr. 6 d.« Monthly Catalogue No. 13, April 1724 p. 10.) wurden die elenden Literaten, welche ihn zusammen schmierten (Macey, Cox und Povey), sammt dem Drucker und Verleger gefänglich eingezogen. London Journal v. 2. Mai '24.


88 Der Buchhändler J. Roberts in Warwick-Lane erzählte für einen Shilling die Folgen der Maskerade: »The Masqueraders; or, a Fatal Curiosity. Being the Secret History of a late Amour.« Gedruckt im April '24. Mehreres dieser Art folgte.


89 »We hear there have been strange commotions in the state of Musick at the opera-House in the Hay-Market, and that a civil broil arose among the Subscribers at the practice of the new Opera of Vespasian, which turn'd all the harmony into discord; and if these dissentions do not cease, it is thought OperaStock will fall.« Mist's Weekly Journal or Saturday's Post v. 18. Jan. '24.


90 »New Musick published. That celebrated Opera called Vespasian, containing the Overture in Score, also the Songs, Symphonies, and Instrumental Musick, as it was perform'd.... composed by Sig. Attilio Ariosti: Where may be likewise had, the Opera of Coriolanus [schon früher gedruckt], by the same Author. Printed for and sold by J. Walsh.« Daily Courant v. 23. März '24.


91 Burney, History IV, 292 u. 295.


92 »V.S.A. essendo escita da un ceppo, a cui Antenati sono sempre stati benignissimi Protettori di questa Scienza e che appena nata, i primi oggetti che per le vie dell' udito ha tramandati alla mente, sono stati commisti col canto del celebratissimo Pistocco, che può dirsi Padre del buon guosto moderno; di là ha formate quelle giuste e sì fine idee, quella perfetta e giudiziosa conoscenza ch'ella ha della Musica.«


93 »Hans Sachsens Schreiben aus dem Reiche der Todten an den geschickten Uebersetzer der Opera Julius Caesar in Aegypten. Welchem noch beygefüget ist: Idorythmi Reflexion über eben dieselbe Opera. 1725.« 4 Blätter in 4. »Democriti Antwort auf Hans Sachsens Schreiben, und Einfältige Critique, derOpera Julius Caesar in Aegypten. Nebst einer Wiederlegung der abgeschmackten Reflexion des sogenannten Idorythmi. Anno 1725.« 4 Blätter in 4.

Erhalten in Richey's Sammlung hamburgischer Operntexte (Hofbibl. zu Weimar) Bd. VII Nr, 211 u. 212.


94 »Julius Caesar: an Opera. Compos'd by G. Frederick Handel, of London, Gent. London, J. Cluer and B. Creake.« 118 Seiten in gr. 8.


95 »The Favourite Songs in the Opera of Julius Caesar | London Printed and Sold at the Musick Shops« Zwei Sammlungen, 19 und 23 Seiten in Fol.


96 Walsh druckte »The Favourite Songs in the Opera call'd Calphurnia«, zwei Hefte, jedes von 9 Seiten; das erste als Anfang einer Sammlung »The Monthly Mask of vocal Musick, or the Newest Songs made for the Theatre's and | other Occasions, Publish'd for July [1724] price 12 pence«, also im Juli '24 ausgegeben; das andere wahrscheinlich als zweite Lieferung für August.


97 »The Favourite Songs in the Opera call'd Aquilio | Publish'd for September [1724] Price 2 s. 6 d. London, J. Walsh.« 17 Seiten in Fol.


98 »It is said, that Bononcini not being engaged for the year ensuing, by the Royal Academy of Musick, was about to return to his own country, but that a great Duchess hath settled 500 l. per annum, upon him, to oblige him to continue here.« Mist's Weekly Journal or Sat. Post v. 23. Mai '24. »Hergegen hat eine gewisse vornehme Dame dem berühmten Componisten, Sigre. Bononcini, nur damit derselbe ferner keine Opern mehr machen soll, ein jährliches Einkommen, von fünfhundert Pfund Sterling, angewiesen.« Mattheson, Crit. Musica II, 96. Mattheson's Mittheilung ist ungenau; an eine Verpflichtung abseiten Bononcini's wurde nicht gedacht, aber er sollte schadlos gehalten werden, und man wollte der Akademie Trotz bieten.


99 »The Session of Musicians, in Imitation of the Session of the Poets. Printed for M. Smith near the Royal Exchange. Price 6 d.« Monthly Catalogue. No. 14 vom Mai '21 p. 9. Auch dem rührigen Roberts wurde es zur Vertreibung übergeben, wie aus seiner Ankündigung vom 3. und 8. Juli hervorgeht: »This Day is publish'd A Collection of Original Poems,viz. An Epistle from a Prude to Dr. W-dw-d. Tale of a Bottomless Tub. Deluge, or cautious old Woman; a Tale. Epistle from S[enesin]o to A[nastasi]a R[obinso]n. Epistle to Mr. Handel on his Opera's. The Session of the Musicians. The Ball: Stated in a Dialogue betwixt a Prude and a Coquet, last Masquerade Night. The Second Edition. Printed for J. Roberts, near the Oxford Arms in Warwick-Lane. 1724. Price [der ganzen Sammlung] 1 s. 6 d.« Daily Post v. 3. u. 8. Juli '24. Als um diese Zeit der hochberühmte, in den Adelstand erhobene Maler Gottfried Kneller starb, wurde ihm eine ähnliche Ehre zu Theil in dem 1725 erschienenen Gedichte The Session of Painters.

Das Händelgedicht, sechs Blätter in Folio, fand ich in einem Sammelbande im British Museum: 841. m. 26., und theile es als Beilage I vollständig mit.


100 »An Ode, on receiving a Wreath of Bays from a Lady.« In Mist's Weekly Journal or Saturday's Post vom 15. August '24. Mitgetheilt als Beilage II.


101 »Midas, a Fable.« In Mist's Weekly Journal or Sat. Post v. 29. Aug. '24.


102 Hawkins, History V, 411–12.


103 [Coxe], Anecdotes of Handel and Smith, p. 28–29.


104 »Last Monday their Royal Highnesses, the Princess Anne and Princess Carolina, came to St. Paul's Cathedral, and heard the famous Mr. Handel (their Musick-Master) perform upon the Organ; the Reverend Dr. Hare, Dean of Worcester, attending on their Royal Highnesses during their stay there.« Applebee's Weekly Journal or British Gazetteer v. 29. Aug. '24.


105 »The new stops and addition of notes to the Organ at St. Paul's is now finish'd, and, by the best judges, thought to be the finest in Europe; they will be open'd to-morrow, and a new Anthem will be sung by some of the best masters, among whom are Mr. Wheely, Mr. Hughs and Mr. Chelsum.« Applebee's Weekly Journal or British Gazetteer v. 22. Oct. '20.


106 British Journal v. 18. Juli '24.


107 »On Friday next, the 22 d instant, there will be a fine Consort of Musick at the Crown Tavern at the Corner of Arundel Street in the Strand, which will be performed by the best masters and voices, at the expence of several noblemen and persons of distinction who keep a Musick Club there every Monday night during the Winter season: They never allow, even to the company of ladies, or Masters of Musick, but on this one night, which they celebrate every year, it being St. Cecilia's Day.« London Journal v. 16. Nov. '23. Das Concert fand statt bei Anwesenheit von etwa 200 vornehmen Damen. »Senesino and Carbonelli... the former with his fine songs, and the latter with his violin, performed wonders.« Lond. Journ. v. 30. d.M.


108 St. James's Evening Post, No. 1472 v. 27. Oct. '24. Vgl. Mattheson, Critica Musica II, 29. Hawkins, History V, 129.


109 Mattheson, Critica Musica II, 96.


110 »We hear there is a new Opera now in practice at the Theatre in the Hay-Market, called Tamerlane, the Musick composed by Mynheer Hendel, and that Signior Borseni [Borosini], newly arrived from Italy, is to sing the part of the Tyrant Bajazet. N.B. It is commonly reported this gentleman was never cut out for a singer.« Mist's Weekly Journal or Sat. Post v. 17. Oct. '24.


111 »The whole Opera of Tamerlane in score, in English and Italian; compos'd by Mr. Handel. As to render the work more acceptable to gentlemen and ladies, every song is truly translated into English verse, and the words engrav'd to the musick under the Italian, which was never done before in any other Opera; also the whole Opera of Julius Caesar in score, and for the Flute. London, J. Cluer.« London Journal v. 9. Jan. '25.


112 »The Favourite Songs in the Opera call'd Tamerlane | London Printed and Sold at the Musick Shops« 18 Seiten in Fol.


113 »The Favourite Songs in the Opera call'd Artaxerxes Publish'd for December [1724] price 2 s., | London Printed and Sold at the Musick Shops« 16 Seiten in Folio. Daß dieser Druck von Walsh war, geht aus der von ihm veranstalteten Ariensammlung »Apollo's Feast« hervor, wo im zweiten Bande diese Gesänge, mit Ausnahme des vorletzten, von denselben Platten wieder abgedruckt sind.


114 Mattheson berichtet in den handschriftlichen Zusätzen zu seinem musikalischen Patrioten (auf der Stadtbibliothek zu Hamburg): »Rodelinda, Königin der Lombardey. Die Composition der Italiänischen Arien vom Hrn. Händel. In Prosa übersetzt von Hrn. Fischer, in Reime gebracht von Hrn. Wend: verstehe den Recitativ. Zum erstenmahl in Hamburg aufgeführt d. 29. Nov. und zwar mit geringem Beifall. (NB. In der Wieringischen Zeitung vom 7. Dec. wurde, bey Gelegenheit eines Avertissements, wegen der Opern-Lottereyen, keine große Hoffnung zur Fortsetzung des gantzen Werkes gegeben.) S. No. 225, wo ein Flavius Bertaridus aufgeführet worden [am 23. Nov. 1729, von Telemann componirt], in welchem dieselbige Geschicht enthalten.«


115 »Just published: The whole Opera of Rodelinda in Score. Composed by Mr. Handel, and engraved on 110 Copper-Plates in 4to J. Cluer.« London Journal v. 15. Mai '25.

»This Day is published: The whole Opera of Rodelinda, for the Flute. J. Cluer.« Lond. Journ. v. 12. Juni '25.


116 London Journal v. 20. März '25.


117 Burney, History IV, 302.


118 in Apollo's feast, vol. II. Den vorauf gegangenen Einzeldruck habe ich nicht gesehen.


119 Burney, History IV, 547.


120 »... la Vostra beneficenza mi dà coraggio a meritarmi la Vostra sofferenza ne' componimenti che devo dare quest' Anno al Regio Vostro Teatro per ordine de' Signori Direttori.«


121 Hawkins, History V, 292.


122 London Courant v. 12. Juli '16. Vgl. Burney, History IV, 257 u. 291.


123 Epigram on the Feuds between Handel and Bononcini.


Some say, compar'd to Bononcini,

That Mynheer Handel's but a ninny;

Others aver, that to him Handel

Is scarcely fit to hold a candle:

Strange, all this difference should be

'Twixt Tweedle-dum and Tweedle-dee!


Miscellanious Poems by John Byrom, M.A.F.B.S. Sometime Fellow of Trinity College, Cambridge. (Manchester 1773. 2 vols. in 8.) II, 343–44. Er war 1691 geboren und beschäftigte sich viel mit der Erfindung einer Schnellschreibekunst. »Die großen Wahrheiten des Christenthums«, sagt er im Vorwort des ersten Bandes, »hatten von frühster Kindheit an auf des Autor's Gemüth einen tiefen Eindruck gemacht«; aber seine Einsicht ist augenscheinlich leer dabei ausgegangen.

Seine Autorschaft und die Zeit der Entstehung ersieht man auch aus den kürzlich veröffentlichten Tagebüchern. Er schrieb am 18. Mai 1725: »Mr. Leycester came there, and Bob Ord, who was come home from Cambridge, where he said he had made the whole Hall laugh at Trinity College and got himself honour by my epigram upon Handel and Bononcini.« The private Journal and literary Remains of John Byrom (published by the Chetham Society. Remains historical and literary connected with the Palatine Counties of Lancaster and Chester. Vol. XXXII, XXXIV & XL in 4.) I, 136. Am 5. Juni '25: »Mr. Hooper.... came over to us to Mill's coffeehouse, 2 d., told us of my epigram upon Handel and Bononcini being in the papers.« I, 150. Er und seine Freunde nannten die Sensation machenden Verse kurzum sein »Tweedle«: I, 167. Am 19. Juli '25: »Nourse asked me if I had seen the verses upon Handel and Bononcini, not knowing that they were mine; but Sculler said I was charged with them, and so I said they were mine; they both said that they had been mightily liked.« I, 173.


124 In einem Briefe vom 3. März 1724: »I was engaged to dine at Mrs. de Vlieger's on Saturday, whence they all went to the opera of Julius Cäsar, and I for one. Mr. Leycester sat by me in the front row of the gallery, for we both were there to get good places betimes; it was the first entertainment of this nature that I ever saw, and will I hope be the last, for of all the diversions of the town I least of all enter into this.« Remains I, 70.


125 Remains II, 349.


126 Zwei Blätter in Quart. Siegel schwarz und ganz erhalten, aber das Gepräge etwas verwischt. Im Besitz des Hrn. Dr. Senff.


127 »Friday 7-night came on the election of an Organist of St. George's, Hanover-Square; and the salary being settled at 45 l. per annum, there were seven candidates, viz. Mr. Rosengrave; Mr. Cole, Org. of the Chapel of the Royal Hospital of Chelsea, and of St. Mary Hill, London; Mr. Monro, Org. of St. Peter's, Cornhill; Mr. Stanley, the ingenious blind youth, aged thirteen and an half, Org. of Alhallows, Bread-street; Mr. Centlivre, Org. of Oxford Chapel, near Oxford-Square; Mr. Sweet, Org. of the Chapel in Duke-street, Westminster, and Mr. Orbel, Org. of St. Bartholomew the Great in West-Smith field: The Vestry, which consists of above thirty Lords and seventy Gentlemen, having appointed Dr. Crofts, Dr. Pepusch, Mr. Bononcini, and Mr. Geminiani, to be judges which of the candidates perform'd best; each of them composed a subject to be carry'd on by the said candidates in the way of fugeing, and one hour was allowed for every one to play upon the four subjects so appointed, one not to hear another, unless himself had done before: Only the four first perform'd, and all of them very masterly: In the conclusion the judges gave it for the famous Mr. Rosengrave, who made that way of performance his study a great part of his life, and he was accordingly chosen.« Applebee's Weekly Journal, or British Gazetteer v. 20. Nov. '25.


128 Burney, History IV, 264–65.


129 »The favourite Songs in the new Opera call'd Elisa | as also the Additional Songs in the Opera of Rodelinda compos'd by Mr. Handel as they are perform'd at the King's Theatre for the Royal Accademy. London, J. Walsh.« Mein Exemplar, 13 Seiten in Folio, ist unvollständig.


130 Abgedruckt in seinen Melodrammi vol. I. In dem Londoner Textbuche von 1726, welches mir unbekannt blieb, scheint der Verfasser nicht genannt zu sein, wie aus der Angabe bei Allacci (Dramaturgia p. 702) hervorgeht; und darauf hin mag Burney (IV, 303) gemuthmaßt haben, der Text sei wieder einer gleichnamigen Oper Zeno's entnommen.


131 London Journal v. 30. März '23.


132 Daily Journal v. 31. August; London Journal v. 4. Sept.; Parker's Penny Post v. 8. Sept. '25.


133 Daily Courant v. 19. März '19.


134 sieben bis acht Jahre nach Burney's Angabe (IV, 309), sie sei 1783 in ihrer Vaterstadt neunzig Jahre alt gestorben; danach muß sie 1693 geboren sein. Der gewöhnlichen Angabe zufolge war sie »um 1700« geboren, also mit ihrer Rivalin in gleichem Alter. Aber dann hätte diese sie in den Streitigkeiten unmöglich »alt und abgetakelt« schelten können. Faustina suchte natürlich, besonders in Dresden einem jüngeren Gatten und einem königlichen Wüstling gegenüber, für zehn Jahre jünger zu gelten, als sie war.


135 P.Fr. Tosi, Opinioni de' Cantori antichi e moderni, o siano Osservazioni sopra il Canto figurato (Bologna 1723. 4.) cap. IX, § 73.


136 Für Freunde der Tonkunst IV, 267.


137 Abgedruckt in seinen Melodrammi vol. I.


138 Musikal. Patriot S. 194.


139 »Alexander, an Opera, Compos'd by Mr. Handel. J. Cluer.« 4. Erschienen im Sommer 1726. Auf die Partitur hatten sich bei dem Verleger 81 Subscribenten für 107 Exemplare angemeldet. Burney (IV, 310) wundert sich über die geringe Zahl von »noch nicht 120«, ohne die so nahe liegende Erklärung zu finden (vgl. S. 130), und scheint vorauszusetzen, daß Händel sich um das Zusammenkommen der Subscribenten bekümmert, ja sie auf dieselbe Weise einzufangen gesucht habe, wie Bononcini und Attilio. Der Nachdruck von Walsh hat den Titel: »The Most Celebrated Songs in the Opera of Alexander Compos'd by Mr. Handel | Sold at the Musick Shops« (mein Exemplar, 11 Seiten, ist unvollständig). Die Platten benutzte Walsh später für seine Ariensammlung »Apollo's Feast«.


140 Erzählt von einem Augenzeugen in der Zeitschrift The World v. 8. Febr. 1753.


141 »A company of Italian Comedians are just arrived here, under the patronage of the Dukes of Montague and Richmond; and 'tis said they will soon perform in the Opera House in the Hay-Market.« London Journal v. 24. Sept. '26.

Mist läßt sich aus St. James' Kaffeehause über die erste Vorstellung schreiben: »On Wednesday last [28. Nov.]... was represented a Farce in the Italian language, by an Italian company... The wise Men of Goatham gave it, as their opinion, that it was very fine, and extreemely edifying; for scarce one of them understood a word of the matter.« Mist's Weekly Journal v. 1. Oct. '26. Diesen kürzeren Titel führte das vielgelesene Wochenblatt seit dem 1. Mai '25. Mist wurde um diese Zeit oft eingezogen.

Ein Pamphlet gegen die Italiener erschien im November: »The English Stage Italian-iz'd; in a new Dramatick Entertainment call'd Dido and Aeneas; or, Harlequin a Butler, a Pimp, a Minister of State, Generalissimo and Lord High Admiral, dead and alive again, and at last crown'd King of Carthage by Queen Dido. A Tragi-Comedy, after the Italian Manner, by way of Essay, or first Step toward the further Improvement of the English Stage. J. Roberts. pr. 6 d.« Monthly Catalogue, No. 43, Nov. '26, p. 126.


142 So hörte Burney (IV, 310) von Horaz Walpole erzählen.


143 »It cannot rain but it pours; or, the first part of London strew'd with Rarities. Being a full and true account of a fierce and wild Indian Deer that beat the breath out of Mr. U-k's body. As also how Madam Faustina, the rare singing woman, has been taken hoarse. Together with a lamentable story of their being let blood. And likewise a true relation of the arrival of the two marvellous black Arabian Ambassadors who are of the same country with the wonderful horse lately shewn in King-street. Price 3 d.« Monthly Catal. No. 37, Mai '26, p. 57.


144 »Faustina: or the Roman Songstress, a satyr, on the luxury and effeminacy of the Age. J. Roberts.« Anfang und wesentlicher Inhalt lauten:


»Cuzzoni can no longer charm,

Faustina now does all allarm;

And we must buy her pipe so clear

With hundreds twenty five a year.

Britons! for shame, give all these follies o'er,

The ancient British nobleness restore:...

But oh, alas!

To learning and to manly arts estrang'd,

(As if with woman sexes they'd exchang'd,)

They look like females, dress'd in boys attire,

Or waxwork babies actnated by wire:

And if a brace of powder'd coxcombs meet,

They kiss and slabber in an open street;

Curse on this damn'd, Italian, pathic mode,

To Sodom and to Hell the ready road....

They talk not of our Army, or our Fleet,

But of the warble of Cuzzoni sweet,

Of the delicious pipe of Senesino,

And of the squalling trull of Harlequino;

Who, where she English, with united rage,

Themselves would justly hiss from off the Stage:

With better voice, and fifty times her skill [!];

Poor R[obinso]n is always treated ill:

But, such is the good nature of the Town,

'Tis now the mode to cry the English down.

Nay, there are those as warmly will debate

For the Academy, as for the State;

They care not, whether credit rise, or fall,

The Opera with them is all in all.

They 'll talk of Tickets, rising to a Guinea,

Of Pensions, Duchesses, and Bononcini;

Of a new Eunuch in Bernardi's place,

And of Cuzzoni's conquest, or disgrace....

Musicians! I shall give what you deserve,

Yet shall not let all other Artists starve.«


Etwas verändert wieder abgedruckt in den Poems on several occasions by H. Carey (London, 1729. 4.) p. 28–37.


145

»Ye British Fair, vouchsafe us your applause,

And smile, propitious, on our English cause;

While Senesino you expect in vain,

And see your favours treated with disdain:

While, 'twixt his rival Queens, such mutual hate

Threats hourly ruin to you tuneful state,

Permit your Country's voices to repair,

In some degree, your disappointment there:

Here, may that charming circle nightly shine;

'Tis time, when that deserts us, to resign.«


London Journal v. 26. Nov. '26.


146 C. v. Winterfeld, Alceste, 1674, 1726, 1769, 1776, von Lulli, Händel und Gluck. Berlin 1851. 8.


147 Burney, History IV, 315–16.


148 Some Reflexions concerning Operas etc. Vorwort zu Roselinda, a musical drama by Mr. John Lockman. (London, 1740. 4.) Vgl. Hawkins, History V, 415.


149 »D-n her! she has got a nest of nightingales in her belly.« – »She is the d-l of a singer.« Burney, History IV, 316 u. 18.


150 »Admetus, an Opera, compos'd by Mr. Handel. London, J. Cluer.« 4. Erschien im April oder Mai '27. Die 57 Subscribenten zeichneten 94 Exemplare. – Für die Flöte zeigte Cooke folgende Ausgabe an: »Mr. Handel's Opera of Admetus, transposed for the Flute; the Songs, Symphonies and Ouverture connected and fitted for that Instrument in a proper Manner by the same Hand that transposed Radamistus. Benj. Cooke.« Daily Post v. 20. Mai '27. Schon am 10. Juni konnte er (in derselben Zeitung) »die zweite Ausgabe« davon anzeigen.


151 Textbuch von 1729 in der öffentlichen Bibliothek zu Hannover; von 1732, im königl. Archiv daselbst; von 1739, in der Bibl. zu Wolfenbüttel.


152 »Admetus, die Music vom Herrn Hendel, übersetzt aus dem Italiänischen v. Wend. Zum ersten mahl aufgeführt d. 23. Jan. 1730.« Mattheson, handschr. Zusatz zum musikal. Patrioten.


153 Flying Post im Febr. '27. Angeführt bei Malcolm, Anecdotes of the Manners and Customs of London during the eighteenth Century (London, 1808. gr. 4.) p. 342.


154 »The favourite Songs in the Opera of Astyanax« kündigt Benj. Cooke in Daily Post v. 10. Juni '27 an.


155 Memoirs of Viscountess Sundon, Mistress of the Robes to Queen Caroline. Published from the originals by Mrs. Thomson. (London, 1848. 2 vols. 8. 2 d edition.) I, 229–32.


156 British Journal und London Journal v. 10. Juni '27.


157

»At Leicester Field's I give my vote

For the fine-piped Cuzzoni;

At Burlington's I change my note,

Faustina for my money.

Attilio's musick I despise,

For non can please but Handel;

But the disputes that hence arise,

I wish and hope may end well.

Thus do I gayly spend my days« etc.


British Journal v. 25. März '27.


158 »This day is published, with a curious Frontispice, An Epistle from S[igno]r S[enesin]o to S[ignor]a F[austin]a. Price 6 d. J. Roberts.« Daily Journal v. 8. März '27. Die Antwort erschien bei Moore: »This day is published, F[austin]a's Answer to S[enesin]o's Epistle. pr. 6 d. A. Moore.« Daily Post v. 17. März. An demselben Tage erschien eine zweite Antwort mit demselben Titel. Eine Zeitung sagt über diese drei Zierden der Tagesliteratur: »We have been desired by some of our readers to insert Senesino's Epistle to Faustina, said to be written by Mr. P-e, as also the Answers by different hands. We cannot publish the Epistle without disobliging a gentleman we value; and for the Answers, one is so dull, and the other so lewd, we shall publish neither. Einige unserer Leser haben uns ersucht, Senesino's Epistel an Faustina, angeblich von Herrn Pope geschrieben, nebst den verschiedenen Antworten darauf in unsere Zeitung einzurücken. Wir können die Epistel nicht abdrucken, ohne einen Mann zu beleidigen, den wir schätzen; und was die Antworten betrifft, ist die eine so abgeschmackt und die andere so liederlich, daß wir keine von beiden aufnehmen werden.« British Journal v. 25. März '27. Moore's Libell, als das anziehendste und liederlichste, gewann den Preis. Schon am 22. März zeigt er die 2. Auflage an, und am 6. April sagt er, sie sei beinah wieder vergriffen und die dritte unter der Presse. Wenn der berühmte Pope der Autor von Senesino's Epistel gewesen wäre, würden sich gewiß in seinem Briefwechsel Anspielungen darauf finden. Der Verleger hat diese Meinung gewiß nur aus Handelsrücksichten in Umlauf gesetzt. Die Materialien, welche für diese Briefe vorlagen, und den Grad des Anstandes, mit welchem sie hier verarbeitet sind, ersehen wir aus einem andern gereimten Pamphlet: »An Epistle from Signora F[austin]a to a Lady. Venice: printed in the year MDCCXXVII.«(Br. Museum: 841. m. 26.) Motto aus Othello:


They do let heav'n see the pranks,

They dare not shew their husbands.


Dieselbe Zeitung, welche die obigen Briefe als unanständig ablehnte, nahm diesen auf (am 10. Juni '27), obwohl er so tief in Schmutz getaucht ist, daß man sich schämt ihn zu verstehen. Wie müssen demnach die übrigen beschaffen gewesen sein! Es geht daraus hervor, daß man Faustina und die junge Dame, an welche der Brief gerichtet ist (vielleicht die Gräfin Dorothea Burlington, die sich 1721 sehr jung verheirathete), in einer Situation belauscht hatte, in welcher, der Sage zufolge, die Mondkälber erzeugt werden. Die folgende Auswahl von Versen wird als Andeutung genügen. Faustina schreibt an ihre eifersüchtige Schöne:


Of Pleasure all the various modes I know,

Its different degrees, its ebb and flow.

Propitious Venus grant me power to give

Joy to fair –, 'tis for her I live.

Cease then to let your jealous fancy rove,

Nor give me such a cruel proof of love.

Am I in fault, that crowds obsequious bend,

And rival beauties for my love contend?

That fierce Thalestris has attack'd my heart?

Or gentle Chloe cast a milder dart? –

In vain with transport to my feet she flew;

All joys are tastless, but what come thro' you. –

Inconstant as the wind, free as the air,

I rang'd from man to man, from fair to fair.

In Venus combats, I have spent my day;

Swiss-like, I fought on any side for pay.

But now I love, and your bewitching face

Has well aveng'd the cause of human race.

You first of all the British fair declar'd,

I sung unrival'd, e'er my voice you heard. –

Witness the transports of that happy day,

When melting in each other's arms we lay.

With velvet kiss your humid lips I press'd....

In extasy you cry'd, what joys are these?

Not Durastanti's self so well could please.


Auch die Durastanti verdankte also ihre Beliebtheit noch anderen, als rein künstlerischen Fähigkeiten. Es ist keine angenehme, aber eine unabweisbare Pflicht, der Wahrheit nöthigenfalls auch durch den Schmutz zu folgen, wenn die gleißenden Trugbilder, welche man auf ihre Kosten geschaffen hat, nicht anders zerstört werden können. Faustina, in ohnmächtigem Zorne darüber, daß in England die Freiheit der Rede ebenso ausschweifend war, wie die der Sitten, daß es keine Häscher gab und königliche »Siegelbriefe«, welche die Pasquillanten lebenslang auf die Festung sandten, daß man ihr all die kunstvoll gewebten Anstandshüllen so unbarmherzig herunter riß, ja sie sogar verleitete, auch ihr öffentliches Leben bis zu pöbelhafter Rohheit zu steigern – gab sich später als königl. Maitresse in Dresden den Anschein, als ob sie lediglich aus Künstlerstolz das tobsüchtige unmusikalische England mit größter Verachtung für immer verlassen habe. »Faustina verließ London – erzählt Rochlitz, der alles so genau wußte und ein so zartes Gewissen hatte – ungeachtet aller Fehden ihr zu Ehren, und aller Guineen ihr zum Vortheil, mit lebhaftem Widerwillen gegen England. Nicht Einer, sagte sie noch spät in Dresden – nicht Einer von denen, die mir ihr Gold boten und sich um mich rauften, hat Sinn gehabt für irgend etwas, das ich mir selbst zum Verdienst anrechne. Man lärmte um meinetwillen, weil man eben nichts anderes hatte, und doch lärmen wollte.« Für Freunde der Tonkunst IV, 254–55. Und Händel – setzte Hasse, ihr Gemahl, dann wohl hinzu – wählte nur deßhalb diese barbarische Nation zu seinem Publikum, weil er selber den Lärm mehr liebte, als die Kunst verträgt! Tosi, der ganz Europa prüfend durchwanderte und nicht leicht zu befriedigen war, ist freilich stolz darauf, einer der ersten gewesen zu sein, »welche bei dieser edlen und mächtigen Nation das Genie für Tonkunst entdeckten«, und versteigt sich zu der Behauptung: »Das goldne Zeitalter der Musik wurde schon zu Ende sein, wenn die Schwäne nicht noch an einigen Theatern in Italien und an den Ufern der Themse ihre Nester bauen könnten. O London!«Osservazioni, cap. IX, §. 13.

J. Roberts kündigte noch im Mai '28 an: »The Game of Flats: or, an Epistle from Signiora F[aus]t[in]a to a Lady.« Ob dies dasselbe Pamphlet war mit einem etwas deutlicheren Titel, oder ein ganz neues, bleibt ungewiß.


159 »The Contre Temps; or, the Rival Queans: a small Farce, as it was lately acted, with great applause, at H[ei]d[egge]r's private Th[eatr]e, near the H[a]y-M[arke]t.« Erschien im Juli '27. (Monthly Catalogue No. 51 p. 81.) The dramatic Works of Colley Cibber, Esq. (London, 1777. 5 vols. 8.) IV, 370–81.


160 »The Devil to pay at St. James's: or, a full and true Account of a most horrid and bloody Battle between Madam Faustina and Madam Cuzzoni. Also, of a hot Skirmish between Signor Boschi and Signor Palmerini. Moreover, how Senesino has taken Snuff, is going to leave the Opera, and sing Psalms at Henley's Oratory etc. Price 6 d. Sold at the Pamphlet Shops« Erschien im Juni '27. (Monthly Catalogue No. 50 p. 69.) Arbuthnot, Miscell. Works I, 213–23.


161 Eine Bude zum Preisfechten. Figg, Stoke, Sutton, Barker und ihre Weiber waren die berufensten Preisfechter ihres Zeitalters. Ihre Anzeigen klingen fürstlich: »Wir James und Elisabeth Stoke, aus der Altstadt von London, die wir« u.s.w. Figg lieferte im October '30 seine 271ste Schlacht, siegreich wie immer. S. Malcolm, Anecdotes of the manners and customs of London, p. 343.


162 »A Letter from a Gentleman in the Town, to a Friend in the Country; containing Reflexions upon the present Time, with a very impartial Judgment on our most famous Performers in Musick; and a new Project how to cultivate Musick in Great Britain, without being in need of such Performers of Italy, or other Countries. London: A. Moore. 1727. Pr. 6 d.« Englisch und französisch, 27 Seiten in 8. Erschien schon im April '27 (Monthly Catalogue No. 48 p. 44.)


163 John Chamberlayne, Magna Britannia Notitia: or, the present State of Great-Britain. 1727. (London. 8.) p. 194–95.


164 The Ceremonial of the Coronation of his Most Sacred Majesty, King George the Second, and of his Royal Consort, Queen Caroline. Dublin, 1727. 4.


165 Vollständige Beschreibung der Ceremonien, welche sowohl bey den Englischen Crönungen überhaupt vorgehen, besonders aber bey dem höchst-beglückten Crönungs-Fest Ihro K.K.M.M. Georgii des II. undWilhelminae Carolinae.... am 11/22. Octob. dieses 1727. Jahres feyerlichst beobachtet sind. (Hanover, 1728. 4.) S. 39. 49. 54. 63.


166 Burney, Sketch in Comm. p. 34.


167 [Coxe,]Anecdotes of Handel and Smith, p. 27–28.


168 »Yesterday the fine Anthem composed by Mr. Handel, for their Majesties Coronation, was rehearsed in Westminster-Abbey.« British Journal v. 7. Sept. '27.


169 »The fine Organ made by Mr. Schrieder, which was set up in Westminster-Abbey, and used on the day of the Coronation, has been presented to the said Abbey by his Majesty. It is accounted one of the best performances of that Maker.« British Journal: or, the Censor. By Roger Manley, of Lincoln's-Inn, Esq. v. 10. Febr. '28. Unter diesem längeren Titel begann das Journal am 20. Jan. d.J. mit Nr. 1 einen neuen Lauf.


170 Harlequin-Horace: or, the Art of Modern Poetry. Printed for Lawton Gilliver. (London, 1731. 8.)p. 31–32.


171 »The DOUBLE BASSOON, which was so conspicuous in the Orchestra and powerful in its effects, is a tube of sexteen feet. It was made with the approbation of Mr. Handel, by Stainsby, the Flute-maker, for the coronation of his late majesty, George the Second. The late ingenious Mr. Lampe, author of the justly admired Music of the Dragon of Wantley, was the person intended to perform on it; but, for want of a proper reed, or for some other cause, at present unknown, no use was made of it, at that time; nor, indeed, though it has been often attempted, was it ever introduced into any band in England, till now, by the ingenuity and perseverance of Mr. Ashly, of the Guards.« Burney, Commemoration p. 7.


172 »Minuets for his Majesty King George II.'s Birthday 1727, as they were performed at the Ball at Court. Composed by Mr. Handell. To which is added, variety of Minuets, Rigadoons and French Dances, performed at Court and publick Entertainments. Pr. 6 d.« London Journal v. 14. Oct. '27.


173 »Dancing-Master, Mr. Anthony L'abbé £ 240.

Musick-Master, Mr. George Frederic Handell £ 200.«

Chamberlayne, the present State, Ao. 1728. p. 267.


174 The Political State of Great Britain 1719. vol. 17 p. 512.


175 »Composer of Musick for the Chapel Royal, Mr. George Handel.« Chamberlayne, the present State, Ao. 1727, p. 59.


176 Chamberlayne, the present State, Ao. 1728. p. 253–54. Aus Nachlässigkeit steht hier an einer Stelle noch Dr. Croft, statt Gates. Der Componist hatte £ 73, der Organist desgleichen; für den Stimmer ist nichts angegeben, nach Chamberlayne's Kalender von 1710 p. 552 hat man aber £ 56 dafür zu rechnen. Jeder Sänger bekam ebenfalls nur £ 73.


177 »We hear that Mr. Gates is made Master of the children of the Chapel Royal; Mr. Robinson Organist; Mr. Schrieder [Schröder] Instrument Keeper; and Mr. Green Professor and Composer of Musick to the said Chapel, in the room of Dr. Croft, deceased.« British Journal v. 2. Sept. '27.

»Last week Mr. Maurice Green, Organist of St. Paul's Cathedral, was sworn in Organist and Composer to his Majesty.« Ebenda v. 16. Sept. '27.


178 »Composer of the Musick for the Chapel-Royal, Mr. Green.« Chamberlayne, the present State, Ao. 1735, p. 61.


179

»Il drama è quasi tutto del Sig. Paolo Rolli.

Le nuove Scene sono del Sig. Giuseppe Goupy.«


180 Burney, History IV, 327.


181 »This day is published: 1. Goldne Zeiten. Geschichte der Akademie King Richard I An Opera. Composed by Mr. Hendel. Engrav'd, printed and sold at Cluer's printing office in Bow Church Yard. Sold also by Christopher Smith in Mead's-Court, Old Soho; at both which places may be had Mr. Handell's Operas of Julius Ceasar, Tamerlane, Rodelinda, Scipio, Alexander, Admetus, etc. By J. Cluer... the next week he will publish the monthly Apollo for January 1728.« Mist's Weekly Journal v. 17. Febr. '28.

»The Opera of Richard I. for the Flute. The Aires with their Symphonies for a single Flute, and the Duet for two Flutes of that celebrated Opera composed by Mr. Handell. J. Walsh.« Craftsman v. 9. März '28.


182 »222. Der mißlungene Brautwechsel, oder Richardus I. König von England. Music der Italiänischen Arien von dem Herrn Händel, der Teutschen von dem Herrn Telemann, die Uebersetzung der Italiänischen nebst der untergemischten Teutschen Poesie von Hn. C.H. Wend. Aufgeführt d. 3. Febr. 1729.« Mattheson, handschr. Zusatz zum musikal. Patrioten.


183 Burney, History IV, 330.


184 Angezeigt in Mist's Weekly, Journal v. 13. Juli '28, aber sicherlich schon mehrere Monate vorher erschienen.


185 »Fate, che da lei prenda vigore il sostento delle Opere quasi cadenti nell' Inghilterra.«


186 »The favourite Songs in the last new Opera call'd Ptolomy, comp. by Mr. Handell. Also: the favourite Songs in the Opera call'd Siroe..., and the fav. Songs in the Op. c. Admetus... J. Walsh.« Craftsman v. 14. Sept. '28. – Und: »Ptolomy for a Flute, Ariets with their Symphonies for a single Flute, and the Duet for 2 Flutes of that celebrated Opera comp. by Mr. Handel. price 2 s. J. Walsh.« Craftsman v. 30. Novbr. '28. – Schon früher zeigte er an: »The Opera of Siroe for a Flute... comp. by Mr. Handell. Also may be had, where these are sold, All Mr. Handel's Operas for a single Flute. J. Walsh.«Craftsman v. 3. Aug. '28.


187 »Ptolomy an Opera... comp. by Mr. Handel. London, J. Walsh. No. 633.« 65 Seiten Fol. Erschien Ende 1737.


188 Advice to Composers and Performers of Vocal Musick. London, 1727. 4. – Avviso ai Compositori ed ai Cantanti. Londra, 1728. 4. (Br. Museum: 557.c. 19.)


189 »Remarks on a Pamphlet lately imported from Modena call'd, Advice to Composers and Performers of Vocal Musick; which is given gratis up one pair of stairs in Suffolkstreet. Price 4 d. J. Roberts.«Monthly Catalogue No. 57 vom Januar '28, p. 7.


190

»Depouillant l'Opera d'une langueur stérile

Scarlatti le premier en releva le style.

Par une route neuve il s'éleve, il surprend,

Et souvent il atteint le sublime et le grand.

Aux bords Napolitains la juste renommée,

Soûtint de Mancini la vertu confirmée.

Par les tours déguisés d'un style plus nerveux,

Bononcini de loin les devança tous deux.

Mais pourquoi parcourir Naples, Venise, ou Rome?

L'Angleterre empruntant l'Italique idiome,

N'a-t-elle pas cent fois fait retentir les airs

Du dramatique éclat de ses doctes Concerts?

D'un génie étranger la source inépuisable

Enfante chaque année un oeuvre mémorable,

Qui d'une nation où fleurissent les Arts,

Charme, étonne et ravit l'oreille et les regards.

Dans l'harmonique fond d'une Orgue foudroyante

HendelA1 puisa les traits d'une grace sçavante:


Flavius, Tamerlan, Othon, Renaud, Cæsar,

Admete, Siroé, Rodelinde, et Richard,

Eternels monumens dressés à sa mémoire,

Des Opera Romains surpasserent la gloire.

Venise lui peut-elle opposer un rival?«


La Musique, Epître en vers divisée en quatre Chants. Troisiéme Edition. Das Angeführte steht im dritten Gesange. Das Gedicht bildet einen Theil des Buches: Les Dons des enfans de Latone: la Musique et la Chasse du Cerf, Poëmes dédiés au Roy. A Paris, 1734. 8. (p. 59–121.) Eine andere Merkwürdigkeit dieses Buches ist der Katalog sämmtlicher franz. Opern von 1645 bis 1733 (p. 123–46); und eine dritte das Singspiel »Nouvelle Chasse du Cerf, Divertissement en Musique; composé de plusieurs Airs parodiés sur les Opera d'Angleterre: avec différentes Symphonies étrangères« (p. 297–315), mit elf Arien, darunter neun von Händel, alle zu französischen Worten.


191 »The fine Opera of Admetus, that was to have been performed last Tuesday night, was put off on account of Signora Faustina's being taken ill.« British Journal v. 15. Jun. '28.


192 An Apology for the Life of Mr. Colley Cibber,Comedian. Written by Himself. (London, 1740. 8. zweite Aufl. ) p. 343–45.


193 Craftsman No. 24 v. 27. Febr. '27. Gesammtausgabe (London 1731. 8. 7 Bände) I, 141–44. – Das Wort craftsman ist in diesem Falle schlechterdings unübersetzbar, wenn man sich nicht entschließt auf das deutsche Grundwort Kraft zurückzugehen und diesem eine etwas erweiterte, oder vielmehr eine innerlichere Bedeutung zu geben. Kraft ist im englischen Sinne nicht nur Stärke, sondern bethätigte Wesenheit, Quintessenz, Kern des Organismus; im weitern Sinne Kunst, Handwerk, Geschicklichkeit, List, Verschlagenheit, Zauberei (witchcraft) u.s.w. In Geschichtswerken (z.B. in der Uebersetzung von Mahon's Geschichte Englands) ist der Titel dieser Zeitung durch »Handwerker« wiedergegeben. Wie verkehrt das ist, weiß jeder, der den Kraftsmann kennt; auch eine Umschreibung wie Bürgersmann würde hier nicht zureichen. Der pseudonyme Herausgeber (Caleb d'Anvers) sagt, er wolle einer verderblich wirkenden Kraft in allen Ständen nachspüren, und namentlich die state-craft, d.i. das ganze Getriebe einer schlechten Staatsverwaltung, bloßlegen. Die Bedeutung dieser geistvoll geschriebenen und tief aufregenden Zeitschrift scheint jetzt nicht mehr verstanden zu werden. Sie ist freilich so verbissen, so einseitig politisch, in ihrer Opposition so rücksichtslos ungerecht gegen alles was das Wohlwollen des Hofes genoß, und benimmt sich so übermüthig gegen wahre Kunst, daß eine gewisse Ueberwindung und ein weites Eingehen auf die Zeit dazu gehört, um sie mit Nutzen und Vergnügen lesen zu können. Der Hauptleiter war Pulteney, Walpole's mächtigster Gegner im Unterhause. Die erste Nummer erschien am 5. December 1726.


A1 Organiste de 8. Paul de Londres [!] né en Allemagne, et qui compose avec un grand succès tous les Opera d'Angleterre depui plus de vingt ans, en langue Italienne.

Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1860.
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