2. Englische Bettler-Opern und Balladen-Singespiele.

1728.

Die Verderbniß der Gesellschaft, sagt der Kraftsmann, ist nach und nach von oben nach unten gedrungen; was jetzt in zahllosen kleinen Flüssen und Bächen durch das Land fließt, alle Ordnungen und Stände verpestend, geht namentlich auf die große Quelle einer schlechten Staatsverwaltung zurück. Henry Carey klagt im Vorworte zu seinen Gedichten (1729): »Die Poeten werden heutzutage der größten Verachtung werth gehalten; der bloße Name schon ist hinreichend, tausend andere gute Eigenschaften zu verdunkeln und eine Person, die sonst achtungswerth sein müßte, zum Spott der Gesellschaft zu machen; ja, so weit ist es gekommen, daß ein Mann, sei er sonst auch noch so besonnen, geschickt und fleißig in seinem Geschäft, wesentlich an seinem Charakter verliert, sobald man Ursache hat ihn für einen Poeten zu halten.« Er sucht sich daher sicher zu stellen durch die Betheurung, das Dichten sei nur sein Vergnügen und nicht etwa seine Profession. Dies sagt derselbe Carey, der God save the king und das schönste Gedicht auf Händel hervorgebracht hat!

Im Jahre 1723 wurde der Herzog von Chandos, »der Prinz britischer Patrioten und Dichter«, aufgefordert, Milton in der Westminsterabtei ein Denkmal zu errichten.1 Bei dem Hofe fanden derartige Bestrebungen wenig Unterstützung. Die ganze Zeit war überhaupt nicht für das Nationale. Musik und Mathematik blühten, eine,[190] Kunst also und eine Wissenschaft so durchaus universaler Natur, daß sie sich selbst eine allgemein gültige und allgemein verständliche Zeichensprache zu schaffen gewußt haben. Man darf nun einen Hof nicht stumpfsinnig nennen, der die Hauptvertreter des wahrhaft Unsterblichen, was die Zeit hervorbrachte, an sich zog. Neben Händel ging auch Newton bei Hofe aus und ein, und fand an der Kronprincessin Caroline eine gelehrige Schülerin, die oft sagte, sie schätze sich glücklich, eine Zeitgenossin dieses großen Mannes zu sein. Auch darin können wir einen richtigen Takt wahrnehmen, daß der Hof den großen Philologen Bentley beständig schützte gegen alles Gekläff neidischer Collegen und unreifer Studenten, die seiner strengen Zucht entlaufen waren. Aber um die Dichter kümmerte man sich verhältnißmäßig wenig, und wählte vorkommenden Falls nicht die besten, sondern die bequemsten. Der Adel machte es durchschnittlich ebenso.

Die dreißig Jahre vor 1720 darf man als die Zeit ansehen, wo der englische Adel es sich zur Ehre anrechnete, Schützer und Pfleger der Künste zu sein. Die ersten Staatsmänner, Somers, Halifax, Bolingbroke u. A., waren Schöngeister und zum Theil künstlerisch hochbegabt. Nur in einer solchen Zeit konnte ein Addison Minister werden. Der Herzog von Chandos hatte um 1720 in Wahrheit alle ersten Künstler um sich versammelt, und was sie auf seine Anregung schufen, hat einen großen Theil ihrer sonstigen Werke überdauert.

Die Opernakademie beweist sich auch dadurch als ein hervorragendes Zeichen der Zeit, daß sich seit ihrer Gründung diese Stellung des Adels zu den Künstlern so bedeutend änderte. Die Kunst that den ersten Schritt in die Oeffentlichkeit; die Hausconcerte wurden der Oper gegenüber bedeutungsloser, wenn auch zahlreicher, als früher. Bedürfniß und Neigung, gegen die Dichter Gastfreundschaft zu üben, schwanden mehr und mehr. Das Erbetteln der Erlaubniß zu Widmungen dichterischer oder literarischer Erzeugnisse wurde nachgerade lästig. Man bildete daher eine Kasse, in welche die betreffenden Lords ein Gewisses zahlten, um die Schriftsteller daraus befriedigen und sich auf diese Weise vor persönlichen Behelligungen sichern zu können. Was ist wohl mehr geeignet, uns ihre Schätzung der gesammten schriftstellerischen Leistungen erkennen zu lassen, als eben diese Einrichtung! Die Dichter fühlten sich wie an die freie Luft gesetzt[191] und verstummten auf mehrere Jahre fast ganz, gingen dann aber in andere Gebiete ein und erzeugten Satiren und Schmähschriften, die an Geist und Heftigkeit von einer späteren Zeit noch nicht überboten sind. An eine wirkliche Oeffentlichkeit konnten sie sich nicht so wie die Musiker gewöhnen, nicht nur weil die Zeitrichtung ihnen ungünstig war, sondern auch weil die Art ihrer Kunst sie fast ausschließlich an eine gewählte Zuhörerschaft wies. Eben die besten Dichter litten am meisten; denn wo sollten sie mit ihrer stillen Muse hin, wenn selbst der Adel ihnen die Wohnung kündigte? Wer sollte sich noch der feinsinnigen, in das Gewand eines rhythmisch vollendeten und sprachlich höchst wohllautenden Verses gekleideten, mit dem Schmucke der Gelehrsamkeit reich behangenen Gedanken erfreuen wenn selbst die bisherigen Mäcene, angezogen durch die stärkere Gewalt des musikalischen Wohllautes, den Dichtern untreu wurden? Wir sehen heute zwar ganz deutlich ein, daß eine Dichtung, welche, mit Darangabe der reinen Lyrik und Dramatik, sich auf eine gewisse Gattung des Epischen sowie auf das Didaktische und Idyllische zurückzog, und dieses durch alle Mittel des Rhythmus, durch das wohlklingendste Wortgefüge dem Ohre eingänglich zu machen suchte, sehr bald von einer Kunst überholt werden mußte in welcher der Klang selbst zur Kunst erhoben ist; aber zu dieser Ansicht und der darin liegenden höheren Beruhigung konnten Pope und seine Genossen sich natürlich nicht erheben. Aeußerlich am besten befanden sich die, welche ihr Talent rechtzeitig einer Partei verkauften. Für den, der Walpole's Gnade erlangen wollte, gab es nur diesen einen Weg. Der Minister war nicht unempfindlich gegen die unverschämtesten und armseligsten Lobreden auf seine Weisheit, aber völlig stumpf gegen wahres geistiges Verdienst, sofern es sich als reine Dichtung oder selbständige Wissenschaft aussprach. Er liebte die Schaustellung, die Tafelfreuden, schleppte Gemälde zusammen, führte auf seinem Landsitze Prachtbauten auf, gab lärmende Feste, und war innerlich ein roher Mensch; in seinen lebhaften munteren Gesprächen, bemerkt ein Zeitgenosse, ging er beständig von der Politik zu Unanständigkeiten und von Unanständigkeiten wieder zur Politik über. Der Kraftsmann setzte wiederholt auseinander, wie unsterblich ruhmvoll Walpole die Wissenschaften und die Musen unterstütze.[192]

Zum Glück mischte sich in das Treiben der großen Gesellschaft so viel Lächerliches, daß die Zurückgesetzten ihrer Stimmung durch Spott und Satiren Lust machen konnten. Das Ueberspringen vom Geistigen zum Sinnlichen, die Castratenbegeisterung, die Geldjagd, Walpole's absolutes Regiment in einem freien Lande, die weibischen Kleider und Manieren der Männer, das Vordrängen der Damen bei Lotterien und Auctionen, der Geschmack für das Fratzenhafte, Fremdländische, Wilde und Kindische, und tausend ähnliche Dinge, wurden zunächst aufgefangen von einem Dekan, welcher wußte daß er niemals Bischof werden sollte, von Jonathan Swift in Dublin. Im October 1726, kurz vor dem Kraftsmann, und noch unter der Regierung Georg's des Ersten, erschienen seine »Reisen Gulliver's zu verschiedenen fremden Völkern.« Menschliche Größe war in seinen Augen auf den zwölften Theil zusammen gesunken. So entstand zunächst die Reise nach Liliput, wo die Menschen vier bis sechs Zoll hoch waren, und doch genau so lebten wie in London und Paris. Die folgenden drei Reisen, zu den 60–90 Fuß großen Riesen, zu dem phantastischen Volke dessen Herrscher auf einer fliegenden Insel residirte, und endlich zu den vernunftbegabten und tugendhaften Pferden deren wildeste und häßlichste Thiere die Menschen waren, darf man als Nachahmungen des ersten Buches ansehen, obwohl alle zusammen erst sein volles Glaubensbekenntniß darlegen. Es ist das wunderlichste Erzeugniß zweier anscheinend widerstrebenden Kräfte, des Spleens und der scharfsichtigsten Beobachtungsgabe. An Uebertreibungen und gänzlicher Verkennung der edelsten Regungen der Zeit fehlt es nicht. In dem Lustreiche Laputa sind die Menschen fast ausschließlich der Musik und mathematischen Grübeleien ergeben; sie hören die Musik der Sphären, aber – »Einbildungskraft, geistvolle Phantasie und schöpferische Erfindung sind ihnen so unbekannte Ideen, daß sie in ihrer Sprache nicht einmal Ausdrücke dafür besitzen.« Das wurde in einer Zeit geschrieben, wo der greise Newton das mathematische und Händel das musikalische Reich beherrschte, zwei Männer, deren größte That die geistige Durchdringung und innere Neugestaltung ihres Gebietes war! Denn was Bessel so richtig von Newton sagt, er habe die Kraft der schon vor ihm entdeckten Gesetze gefunden und dadurch erst das Himmelsgebäude[193] in seiner Ganzheit unserm Geiste faßbar gemacht2, gilt auf verschiedenen Gebieten von beiden; auch Händel war in seiner Kunst nicht wesentlich Gesetzgeber, sondern des Gesetzes Erklärer und Erfüller, da er zeigte, wie sich die bereits gefundenen und einander scheinbar widersprechenden Gesetze in einer einigen großen Schöpfung zu dem herrlichsten Ganzen zusammen schlossen. In beiden ragt das Geistige über das Künstlerische und Wissenschaftliche hoch hinaus und durchdringt alles, was sie berühren. Ihre Persönlichkeiten bilden bezeichnende Gegensätze. Während Händel alle Kraft und allen muthigen Drang besaß, um seiner Kunst hier unten in der tellurischen Sphäre, im Menschengewühl, im aufregenden Reiche des Klanges Bahn zu brechen, lauschte »das britische Orakel der Natur« den Geheimnissen des feierlich stillen Lichtreiches, und in Newton's wahrhaft himmlischem Gemüthe schien sich die Milde einer sternhellen Sommernacht zu spiegeln. Swift's größter Fehler, seine Engherzigkeit, offenbart sich wohl nirgends stärker, als in seinem Verhalten diesen Männern gegenüber. Die Erzählung seiner Reisen ist überaus köstlich, die Frucht derselben trostlos und entschieden menschenfeindlich. Aber so schnell erstarkte, so gründlich gesundete das bessere englische Leben, daß man schon nach dreißig Jahren den Gulliver mit all seinem Menschenhaß und seiner Verehrung für vernünftige Thiere als ein Kinderbuch ansehen konnte, zu derselben Zeit also, wo das tief versunkene Frankreich anfing, die Menschen mit Begeisterung in eine vernunftgemäße Thierheit zurück zu leiten.

Noch éine große Idee ist in der Reise nach Liliput verhüllt, und diese ist so ganz aus dem innersten Leben der Zeit gegriffen. Gulliver steht den kleinen Menschen als ein gewaltiger Mannberg (man-mountain) gegenüber, muß aber, um seine Existenz nicht zu gefährden, sich so ziemlich in allem nach dem Leben der fünf-Zoll-Menschen bequemen. Wie sehr hierdurch die Erzählung den Charakter der Zeit abspiegelt, wird jeder wahrnehmen, der offnen Auges in diese Zeit blickt; Swift hat aber gewiß nicht daran gedacht, daß der eigentliche,[194] Mannberg seiner Tage in einer Kunst erstehen sollte, welche er geistlos und höherer Kultur unwürdig nannte.

Der Gulliver wäre damals wohl die letzte Satire im großen Styl geblieben, wie er die erste war, wenn der neue König die Hoffnungen der Tories erfüllt hätte. Weil er sich diesen als Kronprinz zugeneigt hatte, hielt man Walpole's Fall für unvermeidlich, und machte jetzt in der Polemik einen sorgfältigen Unterschied zwischen dem Hofe und den Ministern. So zog der Kraftsmann, anknüpfend an das neueste Erzeugniß der italienischen Komödianten3, den Minister und seinen Bruder Horaz in einer bittern Farce durch4, ohne vom Hofe anders als in ehrfurchtsvollen Lobsprüchen zu reden. Aber dem Könige gefiel das voreilige Gerichthalten wohl nicht besonders, auch bezweifelte er nicht mit Unrecht die praktische Tüchtigkeit der Tories, und die Furcht vor ihrer Verbindung mit den Jakobiten war auch noch nicht ganz verschwunden. Die Literaturhelden unter ihnen, Swift, Pope und Gay, versahen es gleich anfangs dadurch, daß sie ihre Lob- und Schmeichelreden an des Königs Geliebte Madame Howard (später Gräfin Suffolk) richteten, die keinen Einfluß hatte, statt an die Königin, welche im Grunde alles bestimmte. Walpole hatte das längst heraus gefühlt, und saß in kurzer Zeit fester denn je zuvor. Dem guten John Gay aber, der, wie Swift sagt, vierzehn Jahre am Hofe gewesen war, dort hundert Versprechungen und fünfhundert Freunde erlangt hatte und nun zunächst versorgt werden mußte, wurde ein kleines Amt angeboten, welches er beleidigt zurückwies.

Die Reihe war nun an Gay. Die getäuschte Erwartung, die Scham über sein Lungern bei Hofe, die vielen Mißbräuche und Ungerechtigkeiten hoben ihn endlich über seine natürliche Schüchternheit hinweg, und bald trat er bis an die Zähne gewappnet in Swift's Fußstapfen. Er wählte eine Geschichte, welche mit beiden Füßen in der Wirklichkeit stand. Er vereinigte Oper, Farce und Balladengesang,[195] und nannte das Product die Oper des Bettlers, Beggar's Opera. Die Stoffe seiner Arzenei lassen sich noch einzeln nachweisen.

Eine unmittelbare Folge des Südseeschwindels war die unglaubliche Vermehrung der Straßenräuber. Der Herzog von Chandos wurde wiederholt überfallen. Ein Jonathan Wild oder Wylde zeichnete sich aus durch Aufspürung der Diebe und durch Einbringung gestohlener Sachen. Er wurde Unteraufseher von Newgate, dem großen Gefängnisse in London. In den Zeitungen dieser Jahre habe ich ihn oft den »berühmten Diebsfänger« nennen hören. Man war froh und ruhig, daß Walpole die Bankrotte ordnete und Wild die Diebe verscheuchte. Aber man wußte nicht, daß Jonathan Wild der Meister einer mit erstaunlichem Geschick organisirten Bande war, daß alle erheblichen Raubzüge auf seinen Befehl unternommen wurden, und daß er nur diejenigen seiner Kreaturen an den Galgen brachte, welche ihm durch Ungeschick nutzlos oder durch Widerspenstigkeit gefährlich waren. Er gewann bei jeder Hinrichtung dann auch noch die £ 40, welche nach englischem Gesetze dem Einbringer eines Hauptverbrechers zukommen. Zuletzt ließ er seinen besten Mann aufgreifen, Blake oder Blueskin, einen trotzigen Gesellen. Als der Prozeß eine ernste Wendung nahm, bat Blake seinen Meister, ein gutes Wort für ihn einzulegen, wie er es schon oft mit Erfolg gethan hatte. Wild antwortete, er sei nicht zu retten, und stand nun selbst als Zeuge gegen ihn auf. In höchster Wuth sprang Blake auf ihn zu und versetzte ihm vor allen Richtern mit seinem Federmesser eine tiefe Wunde am Halse, lebhaft bedauernd, daß ihm nicht die Genugthuung zu Theil geworden, vor seiner Hinrichtung diesen leibhaftigen Teufel aus der Welt gebracht zu sehen.5 Endlich fielen den Richtern die Schuppen von den Augen. Wild wurde festgehalten und am 24. Mai '25 gehängt.

Wie nun Ereignisse dieser Art in Balladen und Traktaten am gierigsten von dem Pöbel verschlungen werden, so giebt Gay auch[196] einen Bettlerpoeten als Verfasser seiner Oper an, und eröffnet das Stück mit einem Dialog zwischen ihm und dem ersten Schauspieler oder Schauspieldirector.

»Bettler. Wenn Armuth ein Recht zur Poesie giebt, so kann mir gewiß niemand dieses Recht streitig machen. Ich gehöre zu der Gesellschaft der Bettler, und ich stehe meinen Mann bei ihren wöchentlichen Festlichkeiten in der Schenke zu Sankt Giles. Ich beziehe ein bescheidenes Jahreseinkommen für meine Rundgesänge, und bin dort zu Tische willkommen so oft es mir gefällt: was mehr ist, als die meisten Poeten von sich sagen können.

Schauspieldirector. Da wir von den Musen leben, ist es bloße Dankbarkeit von uns, wenn wir poetisches Verdienst ermuntern wo wir es auch finden. Die Musen, abweichend von allen andern Damen, machen keine Rangunterschiede nach dem Kleide, und verwechseln niemals parteiisch den gestickten Rock des Reichen mit dem Witze, noch die Bescheidenheit des Dürftigen mit der Geistesarmuth. Sei der Verfasser wer er wolle, wir bringen sein Stück so weit es gehen will. Deßhalb, obgleich Sie einer von den Dürftigen sind, wünsche ich Ihnen doch herzlich allen Erfolg.

Bettler. Dieses Stück, muß ich bemerken, wurde ursprünglich geschrieben zur Hochzeitsfeier von Jakob Bänkelsänger und Molly Ballade, zwei höchst ausgezeichneten Straßensängern. Alle Dinge, die sich in Ihren gefeierten Opern finden, habe ich auch in der meinigen: die Schwalbe, die Biene, das Schiff, die Blume und dergleichen. Auch habe ich eine Kerkerscene, welche für die Damen doch immer so reizend pathetisch zu sein pflegt. Die Rollen anlangend, habe ich gegen unsere beiden ersten Sängerinnen eine so schöne Unparteilichkeit beobachtet, daß Widersetzlichkeit von einer derselben durchaus nicht zu befürchten steht. Ich hoffe, es möge mir verziehen werden, daß ich meine Oper nicht ganz so unnatürlich angelegt habe, als die Tagesopern, denn bei mir fehlt das Recitativ; dieses abgerechnet, muß man mir aber zugestehen, daß es eine regelrechte Oper ist, die weder Vorspiel noch Nachspiel hat. Das Stuck, muß ich sagen, ist früher schon häufig unter uns in dem großen Saal zu Sankt Giles vorgestellt worden, und ich kann wirklich nicht genug Ihre Güte anerkennen, daß Sie es jetzt auf die Bühne bringen wollen.

[197] Schauspieldirector. Aber ich sehe, es ist Zeit daß wir uns zurückziehen; die Sänger wollen schon beginnen. – Spielt die Ouvertüre!«

Die Verspottung der italienischen Oper war also einer seiner Hauptzwecke. Wild heißt bei ihm Peachum; dieser ist verbrüdert mit Lockit, dem Schließer von Newgate. Zu Peachum und Lockit saßen ihm Walpole und sein Schwager Townsend, die beiden einflußreichsten Minister. Townsend hatte früher ein sehr großes Gewicht; aber nach dem Südseeschwindel, als sein herrschsüchtiger Schwager sich für unentbehrlich hielt, sagte dieser, die Firma solle jetzt nicht mehr Townsend und Walpole, sondern Walpole und Townsend heißen. Die lange genährte Feindschaft machte sich endlich in einer Gesellschaft bei dem Obersten Selwyn durch Rauferei Luft, und nur das Schreien der Damen und das Dazwischentreten der Männer vermochte ein sofortiges Duell zu verhüten. Diesen Auftritt ließ Gay sich nicht entgehen; er steht im zweiten Akt und nimmt einen versöhnlichen Ausgang, da Peachum und Lockit genug wußten, um einander an den Galgen zu bringen.

Gay offenbart darin ein höheres dramatisches Geschick, daß er nicht den Peachum zum Helden seines Stückes erhob, was ein einfacher Satirist gewiß gethan haben würde, sondern einen offnen beherzten Räuber wählte, einen veredelten Blueskin, den er Captain Macheath nennt. Hierdurch gewann er einen wirklichen Bühnenhelden, und erneuerte das Andenken an den edlen, in hundert Liedern besungenen Räuberhauptmann Robin Hood. Macheath heirathet heimlich Peachum's schöne Tochter Polly, die Heldin des Stückes; seine zweitnächste Liebe ist Lucy, Lockit's Tochter, die er sich in Newgate erwirbt, als die Väter ihn gefangen gesetzt haben. Außer diesen hat er noch vier Weiber mit Kindern. Die Erzählung der einzelnen Vorgänge wird man uns erlassen. Fast alles, was unter diesem Auswurf der menschlichen Gesellschaft geschehen kann, wird hier als wirklich geschehend auf die Bühne gebracht und ein widerwärtiges, wenn auch in Hogarth's Weise charakteristisches Bild der schmutzigsten Laster entfaltet. Als Macheath, umdrängt von seinem Harem, zum Richtplatze geführt werden soll, treten der Bettler und der Schauspieldirector wieder auf.[198]

»Schauspieldirector. Aber, verehrtester Freund, ich hoffe es ist nicht Ihre Absicht, daß Macheath wirklich gehängt werden soll.

Bettler. Ja ganz entschieden. Um das Stück vollkommen zu machen, mußte ich strenge poetische Gerechtigkeit üben. Macheath muß gehängt werden; und das übrige Personal anlangend, werden die Zuschauer nicht anders gedacht haben, als daß es ebenfalls theils gehängt theils in die Kolonien abgeführt wird.

Schauspieldirector. Aber dann, Freund, ist das eine grauselich tiefe Tragödie. Die Katastrophe ist augenscheinlich verfehlt, denn eine Oper muß glücklich enden.

Bettler. Ihre Ausstellung ist sehr richtig, und ist leicht beseitigt. Denn Sie werden zugeben, daß es bei dieser Sorte von Dramen nichts verschlägt wie absurd auch die Dinge aufgetragen werden. Also – Ihr Herren Janhagel und Pöbel dort – rennt und schreit um Begnadigung – führt den Gefangnen im Triumph zu seinen Weibern zurück – – –

Schauspieldirector. Und genau so müssen wir's machen, um dem Geschmacke der Weltstadt Genüge zu thun.

Bettler. Durch das ganze Stück wird man bemerken eine solche Gleichartigkeit in den Sitten der Hohen und Niederen, daß es schwer zu entscheiden ist, ob (in den Modelastern) Herr Hochgeboren den Herrn Straßenräuber nachahmt, oder Herr Straßenräuber den Herrn Hochgeboren. – Wäre das Stück so geblieben, wie ich es zuerst angelegt habe, so hätte es eine höchst vortreffliche Nutzanwendung abgeworfen. Es hätte gezeigt, daß die niederen Volksklassen ihre Laster haben in gleichem Grade wie die Reichen: und daß sie dafür bestraft werden.«

Das Stück endet nun, gleich einer Oper, mit Begnadigung, Tanz und Chorgesang.

Ein größeres Anrecht auf den Namen Oper erwarben ihm die 69 Gesänge, mit welchen es durchwebt ist. Während in den meisten Scenen allerdings der gesprochene Dialog vorwaltet, gehen einige derselben fast ganz in das musikalisch-lyrische Gebiet über, so z.B. die Schlußscene des ersten Aktes zwischen Macheath und Polly, die in dem Scheideduett an verschiedenen Thüren stehen und wie in der italienischen Oper einander ansingen. Diese 69 Gesänge sind nicht[199] neu componirt, sondern sämmtlich aus allbekannter Musik gebildet, aus Tänzen, Märschen, Gesellschaftsliedern, namentlich aber aus dem reichen Schatze des englischen und schottischen Volksgesanges: und das ist eine der Hauptursachen, weßhalb das Stück eine so außerordentliche, so allgemeine und dauernde Wirkung hervorgebracht hat. D'Urfey, Leveridge u.a. hatten die Einmischung populärer Gesänge in dramatische Spiele zwar längst wie ein lohnendes Handwerk betrieben und die Nachbildung der aus ländischen Farcen, wie wir vorhin sahen, wiederholt mit Glück versucht, auch sich nicht selten zu satirischen Anspielungen erhoben; aber die Vereinigung der Farce, der politischen Satire und der musikalischen Parodie zu einem dramatisch wirksamen, dem Gegenstande nach beliebten und durch volksthümliche Gesänge allgemein eingänglichen Ganzen macht die Bettler-Oper doch zu einer ganz neuen Erscheinung.

Die erste Aufführung fand am 29. Januar '28 statt. Der Autor schrieb am 15. Februar an Swift: »Ich habe meinen Brief verschoben, bis ich Ihnen einen Bericht über meine Bettler-Oper geben konnte. Sie ist mit solchem Erfolge aufgeführt, daß das Haus jeden Abend voll gewesen ist. Heute ist es das funfzehnte Mal, und sie wird wohl noch vierzehn Tage länger vorhalten. Lord Cobham sagt, ich solle eine italienische Uebersetzung dem Englischen gegenüber drucken lassen, damit die Damen es verstehen können. Die ausländische Oper (wie sie jetzt genannt wird) ist in letzter Zeit so dünn gewesen, daß man dieser nunmehr den Titel Bettler-Oper beigelegt hat; und wenn es so fortgeht, ziehe ich mir am Ende noch eine Klage der königl. Akademie der Musik auf den Hals.«6 Und am 20. März: »Die Bettler-Oper ist nun 36 mal gegeben, und war den letzten Abend so besucht als den ersten; auch ist noch nicht der geringste Anschein vorhanden, daß der Zulauf abnimmt, obwohl man sich in der Stadt mit dem Gerede herumträgt, die Directoren der königl. Akademie werden ein Gesuch einreichen gegen ihre Aufführung an den ausländischen Operntagen, wie man sich jetzt ausdrückt. Ich habe bei diesem Succeß 7–800 Pfunde gewonnen, und der Theaterdirector,[200] Rich hat schon einen reinen Ueberschuß von beinahe 4000.7 Heute ist das Bild von Polly, der Heldin meiner Oper, herausgekommen. Sie war zuvor unbekannt, und ist jetzt so gefeiert, daß ich besorge, ihr Ruhm wird den der Oper noch überstrahlen.«8 Die Besorgniß war nicht ganz ungegründet, denn es entstand ein wahrer Schwindel für die schöne Polly (Miß Fenton, oder Beswick wie ihr eigentlicher Name war). Sie wurde mit Lobgedichten, Schmeicheleien und Bewerbungen bestürmt; ihr Bildniß, ihre Lebensbeschreibung, sogar ihre Anekdoten und Privatgespräche wurden gedruckt. Der Kraftsmann sprach in seiner Ballade auf Polly die Meinung des augenblicklich tonangebenden Haufens aus: keine von allen Bühnenschönheiten komme Polly gleich; wie flach erscheinen Cuzzoni und Faustina, mit ihr verglichen, und wer möge noch den trillernden Senesino hören! was von Prüden und Feinden über sie geschwätzt werde, sei alles Lüge und ausländischer Skandal, von italienischen Klubbs und den Parteigängern Händel's erfunden.9 Aber wie wenig hier die Mitwirkung lügnerischer Erfindung nöthig war, sah man einige Wochen später.[201] »Der Herzog von Bolton, höre ich, ist mit Polly davon gelaufen. Er hat ihr jährlich £ 406 ausgesetzt so lange es vergnügt hergeht (during pleasure), und bei etwaiger Veruneinigung £ 200.«10 Man bedauerte ihre Verführung durch diesen »großen Tölpel«, wie Swift ihn nennt, und mußte sie nach alltäglicher Erfahrung für verloren halten; Henry Carey besang jetzt die »arme Polly«. Aber sie hielt sich klug, und hieß bald darauf Herzogin von Bolton: ein Wechsel, den sie sich beim Beginn der Saison 1727–28 nicht hatte träumen lassen, ebenso wenig als Rich und Gay den Erfolg des sonderbaren Stückes sowie die Entstehung des Wortspieles, die Bettler-Oper mache Rich gay (fröhlich) und Gay rich (reich).

Gay kam mit seinem Rosse so ziemlich vor die rechte, wenigstens vor die beste Schmiede. Er hatte die Farce zuerst den mehr hofmäßigen Schauspielern, Cibber und seinen Genossen in Drury-Lane, angeboten und sich erst, als diese sie zurückwiesen, an Rich gewandt, der ebenfalls »nicht ohne Bedenken und zögernd« sich zu der Aufführung entschloß. John Rich leitete das neue, von seinem Vater erbauete Theater in Lincoln's-Inn-Fields. Den Unwillen der Patrioten über das unkünstlerische Treiben der königl. Schauspieler in Drury-Lane theilend, nahm er in jugendlichem Ehrgeiz einen hastigen Anlauf zu einer Musterbühne. Die Tragödien sollten wieder zu ihrem Rechte kommen. Gegen die alten Dramaturgen wollte er die Nationalschuld abtragen. »Wie ich höre – schrieben die Zeitungen im Februar '26 – beabsichtigt Hr. Rich, der Eigenthümer des neuen Schauspielhauses, in der Westminster Abtei ein Monument zu errichten zum Andenken des Hrn. Shakespear des Dichters (in memory of Mr. Shakespear the Poet).«11 Aber der Jugendrausch war vor den Anforderungen der nackten Wirklichkeit bald verschwunden. Scharfsichtige Beobachter, wie Pope, hatten zwischen ihm und Cibber auch niemals einen erheblichen Unterschied bemerken können. Für Monumente war Geld erforderlich, und für seine Mustertragödien[202] fand er weder Darsteller noch Zuschauer. Nun sprang er plötzlich zu den Farcen über und war der, welchem auf der Bühne wie im Leben nichts zu toll werden konnte. Er lebte mit seiner Gesellschaft wie der verlorne Sohn oder, um den für seine Zeit so bezeichnenden Ausdruck von Pope zu gebrauchen, wie ein Herzog. Natürlich brachte diese Gesellschaft der Bettler-Oper das herrlichste Verständniß entgegen.

Die Oper verbreitete sich wie ein Lauffeuer und wurde bald in ganz England gespielt. Rich ließ sie, um ihr einen neuen Reiz zu geben, von Liliputanern aufführen, nämlich von lauter Kindern. Der Hofkaplan Dr. Herring, später Erzbischof von Canterbury, hielt eine Predigt gegen das Stück, worauf Swift bei Gelegenheit der Dubliner Aufführung in den stärksten Worten auseinandersetzte, daß Gay mit dieser humoristischen Satire »der Religion und Sittlichkeit einen eminenten Dienst erzeigt« habe, die denn »wahrscheinlich auch mehr Gutes stiften werde, als tausend Predigten eines so einfältigen, urtheilslosen und feilen Geistlichen.« Er versichert weiter: »In diesem glücklichen Erzeugniß des Herrn Gay sind alle Charaktere richtig, keiner ist über die Natur, und kaum über die tägliche Praxis, hinaus getrieben. Das ganze System unserer Verwaltung wird uns darin gezeigt, bei welchem niemand mehr seines Lebens noch seines Gutes sicher ist. Auch persiflirt das Stück unsern unnatürlichen Geschmack für italienische Musik, die für ein nordisches Klima und den Charakter unseres Volkes ganz ungeeignet ist, so daß wir mit italienischer Entnervung und italienischem Unsinn überschwemmt werden. Ein alter Herr sagte mir, daß, als vor vielen Jahren ein unnatürliches Laster sich so reißend in London verbreitete, er darin einen Vorläufer der italienischen Opern und Sänger erkannt habe, und daß uns dann zu vollkommnen Italienern weiter nichts fehlen würde, als Gift und Dolch. So schlecht auch jetzt der Geschmack ist, giebt es doch einen Punkt, dessen richtige Berührung stets einer großen Menge Vergnügen bereiten wird, einer so großen, daß selbst die Mißvergnügten, verblüfft oder aus Verstellung, still sitzen, ja mit der Menge Chorus zu machen genöthigt sind. Dieser Punkt ist der Humor, der deßhalb vor dem Witze, der Poesie, der Musik, der Beredsamkeit u.s.w. den Vorzug verdient; denn der Humor wie auch der Geschmack daran ist eine rein natürliche Gabe, von keiner Bildung abhängig, daher[203] allgemein verbreitet und verstanden. Und dieser Humor ist es, welcher der Bettler-Oper einen so erstaunlichen Succeß verschafft hat.«12 Wer jetzt Gelegenheit hätte einer Vorstellung dieser Farce beizuwohnen, würde Swift's Lobrede mit Kopfschütteln lesen. Wie muß daher eine Zeit beschaffen gewesen sein, für welche sie so viel thatsächliche Wahrheit hatte, daß nur Wenige ihr zu widersprechen wagten? Der Hof besuchte die Vorstellung ebenfalls. Walpole bemühte sich, bei seiner Anwesenheit im Theater, mehreren Liedern durch vordrängenden Applaus die Spitze abzubrechen. Wie tief das Ganze ihn dennoch verwundete, wie rachsüchtig es ihn stimmte gegen den Autor, sollte bald offenbar werden.

Gay war plötzlich der Liebling aller, die mit der Verwaltung unzufrieden waren, besonders der Londoner Altstadt, der Leser des Kraftsmann, ja fast des gesammten Volkes. Seine Freunde trieben ihn zu weiteren Schritten. Die Bettler-Oper endete abrupt; eine Fortsetzung schien wohl möglich. Man wollte besonders die poetische Gerechtigkeit in's Werk gesetzt sehen, welcher doch nach den Aeußerungen des Bettlers in dem ersten Stücke nicht Genüge geschehen war; mit andern Worten, man wollte das Stück aus dem humoristisch satirischen Gebiete ganz auf das politisch satirische hinüber ziehen. Indem Gay hierauf einging, verlor er den Standort der glücklichen Mitte, damit aber auch die Möglichkeit eines gleichen oder nur ähnlichen Erfolges. Er nannte das Stück » Polly, zweiter Theil der Bettler-Oper«. Die ganze Gesellschaft ist nach den westindischen Kolonien verbannt, die Handlung spielt also in Amerika. Die Berührung mit den wilden, aber sittenreinen Indianern giebt vielen Anlaß zu moralischen und politischen Seitenhieben. In der Polly haben wir also gleichsam eine Verschmelzung der Bettler-Oper mit Swift's,[204] Gulliver. Auch das ist Satire, daß Macheath eben von diesen Indianern für neu verübte Räubereien nach Verdienst belohnt d.h. hingerichtet wird. Seine treue Polly heirathet darauf einen indianischen Prinzen. Das Stück ist viel politischer, als die Bettler-Oper, ernster, griesgrämlicher, weniger üppig und anziehend, in seinen 71 Gesängen hauptsächlich auf die italienischen Opern gestützt, wie der Vorgänger auf die nationalen Volkslieder; mehr Drama als Farce, mehr Parteischrift als Drama, und eben deßhalb von einem geringen Bühnenerfolge. Dieses Stück zur Aufführung kommen zu lassen, war ganz unverfänglich, ja hätte den national-musikalischen Fasching am schnellsten zu Ende gebracht. Aber Walpole's Rachsucht verleitete den Hof zu einer höchst thörichten Maaßregel. Spätere Leser haben ihr Erstaunen ausgedrückt, wie Walpole sich durch Polly habe beleidigt fühlen können, die doch anscheinend viel harmloser und weit weniger anstößig sei, als ihr bahnbrechender Vorgänger. Sie vergaßen aber, daß ein Mann wie er die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen konnte, an dem Verfasser sein Müthchen zu kühlen, und namentlich, daß er der politischen Opposition ihre Freude vergällen wollte, die überall ausjubelte, Gay werde jetzt nachträglich in Polly »poetische Gerechtigkeit üben«. Man lese den Kraftsmann vom 1. Februar '29. Das weitere erzählt Lord Hervey in seinen Denkwürdigkeiten, ein gewandter, in alle Vorgänge des Hofes eingeweiheter Mann. »Ein gewisser Gay, ein Poet, hatte eine Balladenoper geschrieben, von der man glaubte, sie ziele ein wenig auf den Hof und ein gut Theil auf den ersten Minister. Sie hatte einen erstaunlichen Erfolg und war so außerordentlich reizend in ihrer Art, daß selbst diejenigen, welche von der Satire am meisten getroffen wurden, es für klug hielten, ihre Empfindlichkeit durch Miteinstimmen in den allgemeinen Applaus zu verbergen. Gay, der diese Satire auf diejenigen, welchen er seine Nichtbeförderung bei Hofe besonders zuschrieb, so erfolgreich fand, machte einen zweiten Theil dazu, weniger gut, aber noch offner satirisch, so daß Sir Robert Walpole sich entschloß, anstatt zu dulden dreißig Abende nach einander als Räuberhauptmann auf der Bühne dargestellt zu werden, das Recht seines Freundes, des Herzogs von Grafton, der damals Hofmarschall war, zu benutzen und die Aufführung zu verbieten. Demnach waren für diesen theatralischen[205] Kraftsmann alle Schauspielhäuser unzugänglich. Gay entschloß sich nun, das Werk auf Subscription zu drucken. Die Herzogin von Queensberry warf sich zur Beförderin des Unternehmens auf und beredete jeden Sterblichen, der ihr in den Weg kam, darauf zu subscribiren. Einer Dame von ihrem Stande, sprichwörtlich schön und an der Spitze der gebildeten und vornehmen Welt, schämte man sich eine Guinee zu verweigern, obwohl man sich zugleich fürchtete sie zu geben. Ihre Gesuche waren so allgemein und so dringlich, daß sie sogar in die Zimmer der Königin kam, den Saal durchstreifte und selbst die Diener des Königs zur Beisteuer zwang für den Druck eines Dinges, dessen Vorstellung der König verboten hatte. Als der König in den Saal kam und bemerkte, daß Ihre Gnaden es mit drei oder vier Männern in einer Ecke sehr wichtig hatten, fragte er sie, was da vorgehe. ›Was sicherlich angenehm sein müsse – antwortete sie – für Jemand der so human sei wie Sr. Majestät, denn es sei ein Akt der Wohlthätigkeit, und einer solchen Wohlthätigkeit, zu welcher beizusteuern sie selbst Sr. M. noch zu bringen hoffe.‹ Genug war gesagt um einander zu verstehen.« Der König blieb ruhig, aber als sie gegangen war, sandte er ihr den Kammerherrn Stanhope nach, um ihr den Hof zu verbieten. Sie schrieb darauf unterm 27. Februar '29 an den König, sie sehe nun, er wolle solche, welche die Wahrheit redeten, nicht an seinem Hofe dulden. Sie habe von dem Könige und der Königin selbst vernommen, daß ihnen Gay's, Schauspiel nicht vorgelesen sei; sie aber wolle sich lieber auf ihr eignes Urtheil verlassen, als auf die Meinung des Herzogs von Grafton, der weder Urtheil noch Treue noch Ehre habe. »Viele sprachen sich bei dieser Gelegenheit über das Verfahren des Hofes tadelnd aus. Was die Herzogin von Queensberry that, war gewiß impertinent; aber man hielt die Art, in welcher es bestraft wurde, für unpolitisch. Ihr Gemahl, der Herzog von Queensberry, legte das Amt eines Admirals von Schottland nieder, obwohl der König ihn gütig und dringend ersuchte in seinen Diensten zu bleiben.«13 Er würde sein Amt[206] ohnehin aufgegeben haben, wie Gay schreibt, da ihm Walpole's Behandlung unerträglich wurde.

Gay lebte fortan ganz in Queensberry's Familie, und was wir vorhin (S. 191) als vergangen und als durch veränderte Zeiten gelöst bezeichnet haben, den Bund des Adels und der Künstler, sollte man hier noch einmal auf das schönste und innigste sich schließen sehen. Die schönen Briefe sind erhalten, in welchen Gay und die Herzogin, mitunter auch der Herzog, vereint an Swift schrieben. In seinem letzten Briefe an Swift sagt er: »Wenn ich mich hinsetze und die Wahl eines Gegenstandes überlege, um mich mit Schreiben zu unterhalten, finde ich immer, daß ich eine natürliche Neigung habe gegen das Laster zu schreiben, so daß ich mir nicht viel Beförderung versprechen darf.«14 Doch hatte er viele Pläne und lebte in behaglichen Umständen, als er – am 4. December '32 starb. »Wir alle haben den Verlust unsers theuren Freundes Gay zu beklagen«, schreibt Arbuthnot an Swift. »Es war ein Balsam für mich, ihn so allgemein betrauert zu sehen, selbst von denen die ihn bloß sei nem Rufe nach kannten. Er wurde in der Westminster Abtei begraben gleich einem Peer des Reichs, und der gute Herzog von Queensberry, der ihn wie einen Bruder beweinte, will ihm ein schönes Denkmal setzen lassen.«15 Solches geschah auch; Pope machte eine herrliche Inschrift dazu. Und die Herzogin schrieb an Swift: »Wenn etwas Gutes an mir ist, sicherlich, ich lernte es von unserm dahin geschiedenen Freunde durch Vorsprechen, wie Kinder eine fremde Sprache lernen. Es ist unmöglich zu sagen, wie groß der Verlust ist, welchen sein Tod mir verursacht; aber so lange ich meine Erinnerung behalte, wird das Glück, einen solchen Freund gehabt zu haben, mir bleiben.«16 Wie sehr diese Sprache aus dem Herzen kam, bestätigte mancher Zug ihres folgenden langen Lebens. Polly gelangte erst nach 48 Jahren (1777) zur Aufführung, als das Geschlecht, welches sich über ihre Entstehung gefreut oder geärgert hatte, rein ausgestorben war. Nur die Herzogin lebte noch, steinalt und doch noch Reste ihrer früheren,[207] Lebhaftigkeit und Schönheit bewahrend, besuchte die wenigen Vorstellungen und starb einige Wochen darauf. Daß Verhältnisse dieser Art zwischen dem adligen Beschützer und dem bürgerlichen Künstler in England so verläßlich, so innig und menschlich würdevoll sind oder doch sein können, ist wohl ein Segen der gemeinsamen bürgerlichen Ordnung, in welcher es Stände giebt, aber keine Kasten. Gay erwarb sich hauptsächlich durch Satiren die Liebe des Volkes, die Gunst vornehmer und geistreicher Menschen und einen Ehrenplatz in der Westminster Abtei; unser Liscow mußte für das harmlose Citat eines Bibelspruches auf die Festung, ohne daß jemand für ihn den Mund aufzuthun gewagt hätte. Was der englische Adel für den kleinsten Classiker seiner Literatur that, würde der deutsche in ähnlicher Lage niemals für den größten gethan haben.

Den dritten und letzten satirischen Feldzug unternahm Alexander Pope. Auch zu diesem war der Plan schon in dem Winter 1726–27 entworfen, als Swift sich in London aufhielt und seine Erfolglosigkeit bei Hofe ihn und die Freunde desto mehr auf das literarische Gebiet zurück drängte. Pope hatte noch ein großes Reich zu erobern, das der unfähigen charakterlosen Scribler und Poetaster, von denen sich einige durch Kriecherei eine Stellung gemacht hatten, deren größere Zahl aber für einige Pfennige ihre Feder an die Regierung oder an schmutzige Verleger verkauft hatte, und deren ruchloses Hungerleben mit ihrer Geistesarmuth im Einklange stand. Er nennt es das Reich der Göttin der Dullneß – (ein unübersetzbares Wort, welches die Begriffe von Dummheit, Armseligkeit und Geistesleere mit denen einer unklugen Tobsucht und vorlauten Geschwätzigkeit verbindet) –, die Bewohner heißen Dunze (Dumm- oder Flachköpfe), und sein episches Gedicht ist betitelt: die Dunciade. Wie überaus volkreich das Land der Dunze war, kann man sich jetzt kaum noch vorstellen. In Pope erstand ihnen allerdings der geeignete Vertilger. Er war keiner der Ihrigen, er war ein wahrer Dichter; er hielt sich von dem Hofe fern, war ein Freund, aber kein Schmeichler des Adels; lebte unabhängig, doch größtentheils von dem Ertrage seiner Werke, und seine Werke hatten einen allgemeinen Erfolg. Sie, die Dunze, beneideten und verleumdeten ihn deßhalb, schrieben Pamphlete unter seinem Namen, und Pasquille ohne Namen gegen ihn.[208] Er war rachsüchtig, »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, »Du sollst deinen Freund lieben und deinen Feind hassen«, waren ihm theure Grundsätze, und in der Dunciade hielt er allgemeine Abrechnung. Gay hat den Gulliver überholt, schrieb Swift, und Pope wird nun uns beide überholen. Die drei Werke vertrugen sich aber sehr gut neben einander. Pope besingt in drei Büchern, wie Tragödie und Komödie sich umarmten, Farce und Epik eine neue Race zeugten; er führt uns den Troß der Poeten, Scribler und Kritiker vor, und die Höhle in welcher Armuth und Dichtung zusammen lagen. Das Werk wurde nach Jahren erweitert und vollendet, schloß sich also gleichsam erst mit der Zeitrichtung ab, die es episch verherrlicht hat. Es wird uns später wieder beschäftigen; hier sei es nur seiner Entstehung nach und in Beziehung zu den Werken von Gay und Swift aufgeführt. Ohne Frage hat die Dunciade von den dreien die wohlthätigere Wirkung ausgeübt. Dennoch ist die Ansicht in England jetzt nahezu allgemein geworden, die Dunciade sei lediglich oder doch überwiegend ein Erzeugniß persönlicher Rachsucht. Man hat für unedel wie auch für unnöthig erklärt, die kleinen vergessenen Dunze so pomphaft zu verewigen. Möchten doch diese weichherzigen Beurtheiler nur sechs Monate in Pope's Zeit versetzt werden können! Die Dunciade ist durch rachsüchtige Züge entstellt, aber dennoch eine wahre Dichtung, aus einem schöpferischen Gedanken entsprungen, der überall den Nerv der Zeit berührt. Das Dichterische in ihr überwiegt das Persönliche, wie bei Swift die Objectivität der Darstellung die Anspielungen, und bei Gay der Humor die Satire. Die drei ersten Bücher der Dunciade erschienen 1728, das vierte kam erst 1742 heraus.

So war die Bettler-Farce, welche der italienischen Oper und überhaupt der Tonkunst im höheren Sinne für einen Augenblick Halt gebot, ein Glied in der Kette oppositioneller Schriften und mit den größten satirischen Leistungen der englischen Literatur eng verflochten. Die Bedeutung dieser Schriften ist hier, wo keine Literaturgeschichte zu schreiben, sondern nur ihre Einwirkung auf die Zeit anzudeuten war, kurz hervor gehoben. Wir dürfen aber auch die Kehrseite derselben nicht ganz unberücksichtigt lassen.

Es ist merkwürdig, wie arg unsere Satiriker, die hier für Recht,[209] Wahrheit, Sittlichkeit, Kunst und Volkswohl einstehen, zum Theil die Wahrheit entstellt haben, um einen vorgesetzten Zweck zu erreichen, ja, wie ihnen diese Verdrehung zum Vergnügen, zur andern Natur geworden war. Man mag sich immerhin ergötzen an Swift's Beschreibung der »fürchterlichen Verschwörung die Atterbury's französischer Hund entdeckt habe«. Aber Bischof Atterbury's Hündchen Harlequin war in der That (1722) die Veranlassung gewesen, daß die jakobitischen Umtriebe seines Herrn nachweisbar wurden, und dieses hochkirchliche Mitglied der Geistreichen war nun doch wirklich ein Landesverräther. Was Swift im Gulliver (III, Kap. 6), auf dieselbe Sache anspielend, das Werk von Personen nennt, »welche sich in den Ruf tiefsinniger Politiker zu bringen, einer gebrechlichen Verwaltung neue Kraft einzuhauchen, die allgemeine Unzufriedenheit abzulenken oder zu ersticken und ihre Kisten mit eingezogenen Geldern anzufüllen wünschten«, war doch weiter nichts, als die durchaus nothwendige und ebenso kluge als energische Wachsamkeit der Regierung gegen jakobitische Wühlereien, welche alle gesellschaftliche Ordnung in Frage stellten. Würden Pope und Swift bei Atterbury's Vergehen an Walpole's Stelle etwas geringeres als Todesstrafe beantragt haben? Aber weil der, den Landesverweisung traf, ihr Freund war, war er ein unschuldiger Dulder. So täuschten und belogen sie vielfach nicht nur die Oeffentlichkeit, sondern auch einander, und sich selbst. Bolingbroke schrieb von Paris aus an Swift, er hätte unermeßliche Summen erschwindeln können, wenn er nur so viel über seine Nachlässigkeit vermocht, zwei Minuten des Tages an Börsengeschäfte zu denken und in der Woche einmal dem großen Law den Hof zu machen17: und doch erschwindelte er wirklich solche Summen, konnte es also recht wohl über sich gewinnen, an Börsengeschäfte zu denken und dem großen Law den Hof zu machen! So pries er sich glücklich, durch Begnadigung nach England zurückgekehrt, daß die Insekten, welche ihn zu umschwärmen pflegten so lange er im Sonnenschein stand, alle verschwunden seien seit er im Schatten lebe18: und doch, womit anders war sein unfreiwilliger Ruhestand erfüllt,[210] als mit durchtriebenen Anschlägen, um aus dem Schatten wieder in die Sonne zu kommen? Es ist für so geniale Männer doch etwas beschämend, daß sie in eitler Selbstbethörung den französischen Hofmaitressen um nichts nachstehen wollten, und das Glück eines tugendhaften, sich keines Vergehens bewußten Gemüthes in der Stille der Einsamkeit ihren Freunden genau so ehrlich und glänzend schilderten, wie z.B. die damalige Geliebte des Herzog-Regenten von Bourbon, Madame de Prie, nachdem sie vom Hofe verwiesen war. Bolingbroke antwortete auf Swift's vorwurfsvollen Brief über gottlose, die Religion verspottende Freigeisterei: »Mit dem Ausdruck esprit fort, Freigeist, werden diejenigen belegt, welche ich als die Pest der menschlichen Gesellschaft ansehe; denn ihr Bestreben ist darauf gerichtet, die Bande derselben zu lösen und dem wilden Thier, Mensch genannt, wenigstens einen Korb vom Maule zu nehmen, da es doch gut sein würde ihm noch ein halbes Dutzend mehr anzulegen«19 –: hinterließ aber Traktate und bestimmte in seinem letzten Willen die unverkürzte Herausgabe derselben, in denen die Grundsätze der Freigeisterei mit einer Schlangenberedsamkeit vorgetragen sind, gegen welche die zur selben Zeit entstandenen Wolfenbüttler Fragmente als zahm, pedantisch und trocken erscheinen. Alexander Pope richtete die drei ersten Bücher der Dunciade anfänglich gegen einen Mann, der seine Ausgabe Shakespeare's nicht wollte gelten lassen. Aber diese Ausgabe war mit einer vornehm thuenden Nachlässigkeit hergestellt, über welche wir setzt lachen, und Theobald, der ihre Fehler aufdeckte, war zum Editor Shakespeare's ungleich mehr befähigt. Auch Richard Bentley, der größte englische Philologe, erhielt einen Schandpfahl in der Dunciade, weil er mit seiner gewöhnlichen Rücksichtslosigkeit von Pope's Uebersetzung des Homer gesagt hatte »Das ist alles recht schön, aber es ist nicht Homer«. Und etwas Treffenderes ist niemals gesagt worden. Entstellungen und unedle, ungerechte Vergeltungen solcher Art finden sich in Menge. Auch die Klagen über das Sinken des Nationalwohlstandes hatten zur Hälfte eine unredliche Quelle; der König beschwerte sich mit Recht in seiner Rede zur Eröffnung des Parlamentes 1722, daß so Viele durch ihre Verschwörungen zuerst die,[211] Regierung zu besonderen Maaßnahmen nöthigten und den Geschäftsverkehr unsicher machten, hinterdrein aber alles dieses der Regierung zur Last legten. Auch Swift's Flugschriften während der Münzbewegung in Irland (1723), jene so gefeierten Krämerbriefe die mit durchgreifendem Erfolge für die alte Währung Partei nahmen, ruhten auf sophistischer Grundlage. Fast bei Allen, welche das Nationalgefühl aufriefen, darf man voraussetzen, daß ihr Ehrgeiz stärker war als ihr Patriotismus. So schön auch die Aeußerungen des Nationalgefühles sind, selbst des mißleiteten, so haben wir doch schon bei dem Geschrei gegen die Oper die blindeste Voreingenommenheit bemerken können, und voraus gesehen welche rohe Zustände unausbleiblich gefolgt wären, wenn diese Art Patrioten die Leitung der Angelegenheiten in die Hand bekommen hätten. Dasselbe läßt sich hier allgemein anwenden. Unter aufblühenden Völkern gewährt nur innere Wahrhaftigkeit und Ueberzeugungstreue die Kraft zum siegreichen Durchdringen, und verhütet zugleich, daß die Heilmittel schlimmer werden als das Uebel war. Die Engländer waren nun ein solches Volk, welches langsam einer neuen Blüthezeit entgegen schritt. Wir geben uns daher zufrieden, wenn wir sehen, daß die großen schöpferischen Geister, die außer und neben Händel fast in verschwenderischer Ueberfülle vorhanden waren, aber nicht seine richtige Organisation besaßen, wohl ein satirisches und rednerisches Schriftthum von unvergleichlicher Vollendung schufen, im übrigen jedoch ihr Leben wie an der Kette oder wie in der Verbannung hinschleppten. Die Opposition dieser Geistreichen wurde nur bei dieser ihrer persönlichen Lage ein so wirksamer Beitrag zur Gesundung des tief verfallenen Lebens. Ihr Unterliegen war eben ein Zeichen, daß man, wenn auch nicht den richtigen, so doch von zwei Wegen den besseren betreten hatte; denn ein Umschwung nach ihrem Wunsche hätte die Verhältnisse nicht gebessert, sondern gänzlich umgeworfen.

Die Bettler-Oper gab das Signal zu einem allgemeinen Ausbruche musikalisch-dramatischer Rohheit. In den nächsten zwölf Jahren entstanden mehr als hundert Singfarcen ähnlichen Schlages, von denen mir etwa funfzig gedruckt vorlagen. Sie alle hier auch nur dem Namen nach anzuführen, wäre überflüssig; einige wenige werden genügen.[212]

Thomas Walker, der Schauspieler an Rich's Theater welcher den Macheath darstellte, machte sich sofort selbst ein neues Stück zurecht und nannte es die Oper des Quäkers (Quakers Opera, 1728). Es ist der treueste Abklatsch von Gay's Schauspiel. Walker begriff also schnell die leichte Mache, und alle andern Dunze waren nicht weniger gelehrig.

Meister Cibber hätte sich die Haare ausraufen mögen, daß er seinem Theater die Bettler-Oper entgehen lassen, gedachte aber jetzt auf demselben Wege einen neuen Erfolg zu erjagen und sich zugleich in der Gunst des Hofes fester zu setzen. So unternahm er eine moralische Bettler-Oper zu schreiben (Love in a Riddle, 1729), nämlich ein Stück, welches, wie er selbst versichert, Tugend und Unschuld in ein ebenso glänzendes Licht heben sollte, als Gay's Farce die gemeinen Laster und Bosheiten.20 Cibber, dieser mit allen Mode lastern befleckte Theaterkönig Dunz der Erste, wie Pope ihn nennt, vergaß aber, daß Jeremias Collier ihn schon vor dreißig Jahren denjenigen beizählte, welche die »Sitten- und Ruchlosigkeit der englischen Bühne« verschuldet hatten, und daß er zufolge eignen Geständnisses alle seine Laster und Thorheiten »lieb hatte und sich niemals von ihnen trennen wollte«.21 Seine Frechheit wurde in diesem Falle nach Verdienst gezüchtigt. Als die Vorstellung beginnen sollte, fing das Parterre an zu toben und zu schreien; alle Versuche, die Aufregung zu beschwichtigen, waren vergeblich. Endlich trat Cibber hervor, verpfändete sein Ehrenwort, das Stück niemals wieder auf die Bühne zu bringen, sofern man die Vorstellung nur für diesen Abend gestatten wolle. Hiermit erklärte man sich zufrieden, und so endete sein moralischer Versuch.

Was Cibber mißlungen war, griff zur selben Zeit Samuel Johnson aus Cheshire mit besserem Glücke an. Sein Spektakelstück »Hurlothrumbo oder der Uebernatürliche« (Hurlothrumbo, or the Super-natural, 1729), in welchem er selber die Hauptrolle spielte, wie er auch die nöthigen Musikstücke dazu componirte, führt uns auf den Gipfel der Tollheit und Abgeschmacktheit. Keiner war auch nur[213] einen Augenblick zweifelhaft, daß diese Leistung nicht zu überbieten sei. Ueber die Lichtblitze von Verstand und Geist, welche hin und wieder daraus hervor leuchten, war man nicht weniger verwundert, als darüber, daß ein Mensch sich soweit seines Wesens entkleiden könne, um solchen Wust zu erzeugen. Stücke wie die deutsche »asiatische Banise« sind nichts gegen Hurlothrumbo. Der augenblickliche Zulauf war dem der Bettleroper fast gleich; am 23. April '29 fand schon die funfzigste Vorstellung statt. Johnson wurde der Held und der Narr aller Kaffeehäuser; wenn er in die Säle trat, erscholl ein »Hurlothrumbo«, und dann warf er sich in die Brust, ging in der Mitte auf und ab, um sein neues Gewand zu zeigen. Er wurde jetzt von den Walpole's, von der Herzogin von Bedford, dem Herzog von Montague und ähnlichen an die Tafel gezogen. Wer Hurlothrumbo nicht gesehen hatte, konnte für den Augenblick an keiner gesellschaftlichen Conversation theilnehmen. Das Stück ist auch dem Lord Horaz Walpole gewidmet – ein neuer Beweis für seine und seines Bruders Rohheit. In der Zuschrift sagt dieser Mensch: »Es giebt jetzt so viele schöne Dichter in England, als nur jemals zuvor; aber sie wollen nicht schreiben, denn sie sagen, es werde nichts ermuntert, als Lärm und Unsinn«! Byrom, der Verfasser des Epigramms auf Händel und Bononcini (S. 135), dem alle Theaterstücke Unsinn und dumm Zeug waren und der den Hurlothrumbo als einen Spott auf die ganze Klasse ansah22, dichtete einen Epilog dazu, in welchem er den Autor zum besten hatte, was dieser aber so wenig merkte, daß er den Epilog selbst recitirte und sich darin am Schlusse zu der Weissagung erhob, Händel selbst werde noch vor ihm weichen müssen, wenn nur die Damen ferner hold zu lächeln geruhten.23[214] Wie der Orator Henley in der Schlachterstraße für allen rednerischen, so wurde Hurlothrumbo für allen theatralischen Bombast der nächsten zwölf Jahre das sprichwörtliche Muster. Arbuthnot fand denn auch keine geeignetere Person, unter deren Namen er an Händel eine allgemeine Send- und Anklageschrift richten konnte, als diesen Hurlothrumbo, wovon wir weiter unten hören werden. Johnson war zugleich, und das ist bezeichnend genug, der unsinnigste Götzendiener Bononcini's, der seinen musikalischen Herrn und Meister ungefähr so verehrte, wie Kaliban den betrunkenen Stephan in Shakespeare's Sturm. In einer Scene des Hurlothrumbo läßt er den König folgendermaßen über Bononcini's Oper Astarto reden. »König. O, was kann ein bekümmertes Gemüth schlafen machen? – Offizier. Harmonie. – König. Das ist wahr; während ich Theorbeo besuche, bringe die Musiker zusammen; laß Musik aus Astartus spielen, sie ist das Schmachten der Engel, das Echo des Himmels; und wer will uns den Sinn der Sterblichen offenbaren? Diese Klänge inspiriren die Intellectualität und kräftigen die Seele; sie beleben und bewaffnen den Geist; schwingen zu der höchsten Oeconomie des Universums auf, und locken mich ganz von Sorgen ab; dann drehen sie gar behende die Schlüssel des Paradieses um, sie führen mich von einer Planetenbahn zur andern und lassen mich vermittelst himmlischer Optik den strahlenden Glanz hell leuchtender Welten sehen.« Und nach geendigtem Vortrage sagt der König: »Dieser unnachahmliche Klang macht alle meine Nerven kriechen; die singende Harmonie durchbohrt meine Adern; die superlative Süßigkeit der Musik erhebt mich vom Staube zum Tode.« Meine Uebersetzung macht den Anspruch wortgetreu zu sein. Johnson übertrug Bononcini's Arientexte in's Englische; der Italiener duldete ihn also, ja hatte ihn sich nach und nach erst heran gebildet. Eine wo möglich noch größere Unehre brachte er über seinen Meister durch die Musik, welche er ihm nachcomponirte, ohne auch nur die Anfangsgründe davon zu verstehen.24[215]

Die Bettleropern waren zur einen Hälfte Bodensatz italienischer Tonkunst, wie er sich in einer englischen Tonne gestalten mußte, zur andern Hälfte aber Erneuerung volksthümlicher Singweisen und insofern Gegenwirkung gegen dieselbe neue Tonkunst. Bei unbefangener Uebersicht des ganzen Gebietes muß man eine große Bedeutung darin erblicken, daß die britischen Insulaner sich gegen die andringende Tonkunst zu wehren suchten, indem sie alles aufriefen, was sie an eignen Liedern besaßen und ihren ganzen Volksgesang in's Feuer führten. Dergleichen offenbart in der Abwehr immer den Drang zu einer neuen Verschmelzung und höheren Durchdringung der feindlichen Parteien. Das Vorurtheil, die italienische Musik vergnüge nur das Ohr, eine gute englische Melodie auch den Verstand, erhielt sich, bis Händel, nach und nach alle Bahnen künstlerischer Gestaltung durchlaufend, das Räthsel löste. Er nahm diesen Zwiespalt ganz so unbefangen und machtvoll auf, wie er in der Zeit lag, eine Doppelthätigkeit entfaltend, die Allen unerklärlich war, und beide Seiten genau so lange fortführend bis sie naturgemäß ihre höhere Einheit fanden. Der Gang seines Schaffens – die lebensvolle Fülle und Charakteristik seiner späteren, die allgemein schöne, ideale Haltung seiner früheren, die Doppelgestalt seiner mittleren Werke – wird dadurch von selber klar. Etwas Aehnliches wiederholte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im deutschen Volksgesange, zum Theil als Nachwirkung dieser englischen Bewegung, und fand in Mozart seinen künstlerischen Abschluß.

Die beschriebenen satirisch-patriotischen Werke gewinnen durch ihr Verhältniß zu der allgemeinen Literatur und Geschichte noch eine besondere Bedeutung. Der Drang zur Satire regte sich um 1728 überall, besonders in Deutschland, wo zu dieser Zeit der größte unserer neueren Satiriker, Liscow, anfing, die üblichen rohen Schmähschriften durch geist- und geschmackvolle Polemik auszutreiben. Auch der nationale Zug in dieser Bewegung ging gleichmäßig durch Frankreich und Deutschland. In Frankreich trat Rameau auf und erneuerte die Oper Lully's. Die merkwürdigste und höchste Bildung der Zeit trat in Deutschland hervor. Als das hamburgische und mit diesem das gesammte deutsche Singspiel dem Untergange nahe war, fielen Musikfeinde, Kritiker, Poeten und Theologen unedel darüber[216] her, um es völlig todt zu schlagen. An sein Wiederaufblühen war für lange Zeit nicht zu denken. Aber mit den Singspielen war nicht die musikalische Kraft der Nation untergegangen, die vielmehr an Stärke, an Geist und Kunstgehalt tagtäglich zunahm. Der edlere Theil deutscher Tonkunst warf sich nun mit ganzer Macht auf das Gebiet, welches allein noch im Herzen der Nation alte tiefe Wurzeln hatte. Dies waren die Gegenstände der heil. Schrift, nicht in freier Auswahl, sondern geknüpft an gottesdienstliche Vorgänge und Bedürfnisse. Die Krone derselben bildete das Leiden des Erlösers: und zu dessen Darstellung wurde jetzt die volle Kraft eingesetzt. Obwohl in seinem Grunde so alt wie das Christenthum, war doch das Bedürfniß, sich der Person des Heilandes liebevoll-innig zu nähern, in nächster Abstammung ein Trieb der Neuzeit. Spener's Richtung, der sogenannte Pietismus, hatte diese Sinnesweise verbreitet und damit anfangs (auch in der Tonkunst) viel Unheil angerichtet. Als aber die pietistische Richtung von der ganzen orthodor-evangelischen Kirche gut geheißen und aufgenommen wurde, seit dem Jahre 1720, war eine reinere und tiefere Auffassung, wenn auch nicht allgemein hergestellt, so doch jedem reinen christlichen Geiste geöffnet, und während Kanzelberedsamkeit und religiöse Dichtung mehr oder weniger in pietistischen Vorstellungen befangen blieben, durfte die musikalische Kunst das christliche Gemüth wieder in seine Rechte einsetzen und auf diesem Grunde den Bund mit der wahren oder, wie Luther sagt, der unsichtbaren Kirche erneuern; wir können auch sagen, sie durfte etwas schaffen, was den Werken der großen deutschen und niederländischen Maler der drei vorauf gegangenen Jahrhunderte an Art und Kunst ebenbürtig zur Seite steht. So trat in der Tonkunst an die Stelle des pietistischen Jesulein der große Schmerzensmann der Evangelien, geschildert durch Schriftwort, Gemeindegesang und freien Ausdruck der Einzelnen, und die innigste Beziehung wie zu einer gegenwärtig nahen Person war darin von selbst gegeben. Das größte Werk dieser Art ist die Matthäuspassion von Bach (1729), die auch genau in diese Zeit fällt, welche in der italienischen Oper gleichsam einen allgemeinen Riß verursachte. Das musikalisch Volksthümliche derselben liegt in den Chorälen, die größtentheils wie einfacher Kirchengesang auftreten, nur durch künstliche Harmonie vermittelt. So[217] gehört ein Werk, welches ganz allein zu stehen scheint und in seinem, alle ähnlichen Versuche weit überwiegenden Kunstgehalte auch wirklich allein steht, dennoch durchaus in eine Zeit, die das Andringen der universal angelegten, aber ausschließlich noch in italienischem Gewande auftretenden Tonkunst nicht nur durch die kräftigsten nationalen Regungen zurück zu drängen, sondern auch durch möglichst vollendete Ausbildung der einheimischen Kunstanlagen zu ersetzen, ja zu überbieten suchte. Auf ihre edelste und kunstwürdigste Seite gesehen, wird man daher diese Epoche immer nach der Matthäuspassion von Bach zu bezeichnen haben. Die Einwirkung des in Deutschland neu erweckten religiösen Lebens auf England trat jetzt zuerst vereinzelt in den Gebrüdern Wesley hervor, wurde aber später für die Oeffentlichkeit von größter Bedeutung. Und so haben wir den Ursprung alles Guten und Schlechten, alles Rohen und Edlen angedeutet, was in den nächsten Jahren auf den Schauplatz tritt. Gewühl und Kampf werden sehr groß, das Beste wird oft hart bedrängt: aber das erhabene Ziel und seine endliche Erreichung entschädigen für Alles.

Fußnoten

1 British Journal v. 30. März '23.


2 »Newton erhob sich zur Erklärung des Weltsystems, weil es ihm glückte die Kraft zu finden, von deren Wirkung die Kepler'schen Gesetze die nothwendige Folge sind.« Bessel in Schumacher's astronom. Jahrbuch für 1843, S. 32.


3 »Harlequin Captain of Banditto's, Thief, Spy, Head Serjant, Judge, and Hangman. A Comedy. As it is acted at the King's Theatre in the Hay-Market by the Company of Italian Comedians. London: 1727. pr. 6 d.«


4 »The mock-Minister, or Harlequin a Statesman.«Craftsman v. 2. Dec. '27. (II, 219–23.)


5 Nach dem ersten Gerücht war Wild wirklich tödtlich getroffen. Daraufhin machte Swift die Ballade »Ye gallants of Newgate, whose fingers are nice in diving in pockets«, besingend »wie Wild's Kehle mit Blueskin's Federmesser von einem Ohre bis zum andern durchschnitten wurde.«


6 Gay an Swift, 15. Febr. '28. In Swift's Briefwechsel.


7 Die ersten 32 Aufführungen ergaben £ 5351. 15., von denen der Dichter für vier Vorstellungen £ 693. 13. 6. erhielt. Der Aufsatz »Receipts to the Beggar's Opera on its production« in Notes and Queries (London 1849. 4.) I, 178–79 theilt diese Berechnung mit »from the original Accountbook of the manager, C.M. Rich.«


8 Gay an Swift, 20. März '28. In Swift's Briefwechsel.


9

»Polly Peachum.


1. Of all the Belles that tread the Stage,

There's non like pretty Polly,

And all the Musick of the age,

Except her voice, is folly.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2. Compar'd with her, how flat appears

Cuzzoni or Faustina?

And when she sings, I shut my ears

To warbling Senesino.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6. But these are all invented lies,

And vile outlandish scandal,

Which from Italian Clubs arise,

And partizans of Handel.«


Craftsman v. 13. April '28.


10 Gay an Swift, 6. Juli '28. In Swift's Briefwechsel.


11 Daily Journal v. 23. Febr. '26. Wörtlich dasselbe steht im British Journal v. 26. Febr., nur die Ehrenbezeichnung »Mr.« vor Shakespeare ist weggelassen.


12 Intelligencer (Dubliner Zeitung, 1729) No. 3. Der einfältige Dr. Rimbault hat kürzlich die erstaunliche Entdeckung gemacht, daß Swift sehr im Irrthum war, wenn er das Werk seines Freundes als eine Satire der ital. Oper betrachtete. »It has been generally said that the Beggar's Opera was intended to ridicule the Italian Opera; an evident mistake, for there is not the slightest attempt to burlesque or parody the Italian dramas« etc. Memoirs of Musick by R. North, edited by Dr. Rimbault. (London, 1846. 4.) p. 131. Das nennt man geschichtliche Einsicht!


13 Memoirs of the reign of George the Second, from his accession to the death of Queen Caroline. By John, Lord Hervey. Edited from the orig. MS. by the R. Hon. John Wilson Croker (London, 1848. 8. 2vols.) I, 120–23.


14 Gay an Swift, 16. Nov. '32. In Swift's Briefwechsel.


15 Arbuthnot an Swift, 13. Jan. '23. In Swift's Briefwechsel.


16 Katharina, Herzogin v. Queensb. an Swift, 21. Febr. '23. In Swift's Briefwechsel.


17 Bolingbroke an Swift, Paris, 28. Juli '21. In Swift's Briefwechsel.


18 Bolingbroke an Swift, 1723. Vgl. Mahon II, 62.


19 Bolingbroke an Swift, 12. Sept. '24. In Swift's Briefwechsel.


20 Cibber, Life p. 199.


21 Cibber, Life p. 17. 19. 424.


22 »For my part, who think all stage entertainments stuff and nonsense, I consider this [Hurlothrumbo] as a joke upon 'em all.« Byrom, Remains II, 349.


23

»– something hangs on my prophetic tongue,

I'll give it utterance – be it right or wrong:

Handel himself shall yield to Hurlothrumbo,

And Bononcini too shall cry – Succumbo.

That's if the Ladies condescend to smile;

Their looks make Sense, or Nonsense, in our Isle.«


Hurlothrumbo p. 60. Byrom, Miscell. Poems I, 215–18.


24 »The Songs in Hurlothrumbo Compos'd by Mr. Samll. Johnson. London, printed for the Author, sold by Dan. Wright at the Golden Bass Violin.« 16 Seiten in Fol.

Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1860.
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