Viertes Buch

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Vollendung und Ende

1738–1759

Händel's Jugendleben war wie eine Fahrt auf dem Flusse; Stürme berührten es nur in ganz kleinen Wellen, die niemals ernstlich und andauernd zum Kampfe aufriefen; frohgemuth schaukelte es dahin, und sah die Ufer, stets neu geschmückt, sich in dem Gewässer spiegeln. Endlich breitete sich der Strom, die Ufer zogen sich nach und nach zurück, und das große offne Meer lag vor ihm.

Auf diesem Punkte stand Händel, als er im Jahre 1720 unter höchst einladenden und glückverheißenden Verhältnissen die Leitung der königlichen Opern-Akademie übernahm. Mit den heitersten Aussichten ging die Fahrt weiter. Das große Weltmeer war so ruhig, wie der kleine Strom auf welchem man sich eingeschifft hatte; ein günstiger Wind blies in die Segel, und die Fluth des gesellschaftlichen Lebens strömte in voller Stärke nach derselben Richtung. So wurde ein großer Theil des Weges zurück gelegt in wahrhaft goldnen Tagen. Aber dann theilte sich die bisher einheitliche Strömung und Stürme zogen heraus. Wir haben gesehen wie Händel den feindlichen Elementen mit einer fast übermenschlichen Anstrengung und mit unerschöpflichen Hülfsmitteln begegnete, aber auch wie sehr sie seine Kunstwerkstatt verheerten. In dem Getöse entfesselter Wildheit steht Er (ein erhebender Anblick!)


– – – männlich an dem Steuer;

mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen;

Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen:

herrschend blickt er auf die grimme Tiefe,

und vertrauet, scheiternd oder landend,


seinem Genius. Scheiternd landete er, verarmt, an Körper und Geist zerrüttet, elend wie ein Schiffer der nichts als das nackte Leben rettet, und dennoch den köstlichsten Schatz gesund und sicher bewahrend.[3] Sein Verhältniß zu der Menschheit blieb unverbittert heiter wie vorhin, sein Gottvertrauen vertiefte sich, sein Kunstvermögen erstarkte. Wie ein Held, nicht wie ein Titan, focht er seine Sache aus: Sieg und Versöhnung waren das Ende. Dieses alles war in dem Einen gelegen, in der Gesundheit und einfachen Erhabenheit seines Geistes, in der richtigen Stellung seines Genius zum Leben und zu der großen Ursache alles Daseins. Wahrlich ein wunderbares und göttliches Wesen, dieser Genius in seiner Doppelthätigkeit, der in den gehobensten Augenblicken im Menschen wie ein Schöpfer waltet, und in böser Zeit das Hervorgebrachte wie ein Engel behütet!

Die Ausgänge und Ergebnisse dieser kühnen Irrfahrten im Reiche der Tonkunst treten uns jetzt vor Augen. Neben großen unsterblichen Kunstwerken entstehen neue Menschen, und eine neue Zeit naht heran.

Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1867, S. 3-4.
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