1. Compositionen für mehrere Instrumente.

[145] Von den schon im ersten Bande erwähnten Tonsätzen gehört hieher die schöne Wassermusik, welche durch den um 1734 erschienenen[145] Druck von Walsh schon zu Händel's Zeit weit verbreitet wurde. Es ist mir jetzt wahrscheinlich oder vielmehr gewiß, daß sie zwei Jahre später entstand als im 1. Bande S. 425 angegeben ist, nämlich nicht im J. 1715, sondern erst zu einer Wasserpartie im Juli 1717. Die königl. Wasserfahrt am 22. August 1715 ging zwar den Berichten nach mit Musik vor sich, aber nicht unter den Umständen, welchen Händel's Musik ihre Entstehung verdankte. Dagegen heißt es von der Partie im Sommer 1717 in einem gleichzeitigen Berichte ausdrücklich: »Am Mittwoch d. 17. Juli Abends fuhr der König im Hofstaat die Themse nach Chelsea hinauf, durch Graf Kielmannsegge mit einem ausgezeichneten musikalischen Concerte unterhalten, nach welchem bei Lady Catherine Jones zu Abend gegessen und um 3 Uhr Morgens zu Wasser heimgekehrt wurde.«1 Daß es eben als das von Kielmannsegge arrangirte Wasserconcert angeführt wird, ist hier entscheidend, da Kielmannsegge es war, welcher unter Beihülfe dieser Musik des Königs Aussöhnung mit Händel zu Stande brachte; in einem andern gleichzeitigen, schon von Malcolm ausgezogenen Berichte wird Händel auch geradezu als Componist der von 50 Spielern aufgeführten Musik genannt, welche hiernach dem Könige so außerordentlich gefiel, daß sie dreimal wiederholt werden mußte, worauf spät Abends im Hause bei Lady Catherine Jones abermals ein Concert stattfand.2[146]

Bei den folgenden Werken ist durch die Opuszahl eine richtige Zeitfolge hergestellt. Unter solcher, damals nur für Instrumentalwerke üblichen Bezeichnung ließ Händel in den Jahren 1732–10 sechs Opera ausgehen.


Op. 1. Zwölf Solo-Sonaten mit Baß.

(Twelve Sonatas or Solos for a Violin or a German Flute with a Thorough Bass for the Harpsicord.)


Nr. 1. Traversa solo. Emoll. Anfang: Grave, C. Im Original erhalten mit der Ueberschrift »Sonata a Traversi e Basso«; um 1725 geschrieben.

Nr. 2. Flauto solo. Gmoll. Anfang: Adagio, C.

Nr. 3. Violino solo. Adur. Anfang: Andante, C.

Nr. 4. Flauto solo. Amoll. Anfang: Grave, 3/4. Im Original erhalten mit der Ueberschrift »Sonata a Flauto e Cembalo«; um 1725 geschrieben.

Nr. 5. Traversa solo. Gdur. Anfang: Adagio, C.

Nr. 6. Hautboy solo. Gmoll. Anfang: Larghetto, C.

Nr. 7. Flauto solo. Cdur. Anfang: Larghetto, C.

Nr. 8. Hautboy solo. Cmoll. Anfang: Slow, C.

Nr. 9. Traversa solo. Hmoll. Anfang: Largo, C.

Nr. 10. Violino solo. Adur. Anfang: Adagio, C.

Nr. 11. Flauto solo. Fdur. Anfang: Larghetto, 3/4.

Nr. 12. Violino solo. Edur. Anfang: Adagio, C. (»Sonata a Violino solo e Cembalo.« Ddur. Anfang: Affettuoso, C. Im Original vorhanden, um 1740 geschrieben. Noch ungedruckt.)
[147]

Mit Ausnahme der 9. Sonate, welche aus sechs Sätzen besteht, haben alle übrigen nur 4 Sätze, und zwar in ganz gleicher Ordnung, so daß ein Satz im langsamen Zeitmaaße beginnt, ein Allegro darauf folgt, ein zweites Adagio oder Andante erscheint und ein schneller Satz das Stück beschließt. Die langsamen Sätze sind gewöhnlich sehr kurz, wie überhaupt in der damaligen Instrumentalmusik, oft nur aus ein paar Takten bestehend, so daß man den dritten Satz kaum als Mittelpunkt betrachten und daher das Ganze nicht als eine Sonate mit langsamer Einleitung, sondern nur als ein zweimal aus Satz und Gegensatz bestehendes und auf solche Art verbundenes Spiel ansehen kann.

Wie die Inhaltsangabe lehrt, muß der Titel so verstanden werden, daß einige Sätze besonders für die Flöte, andere wieder zunächst für die Violine und mehrere auch für Oboe geeignet sind. Ohne eine besondere Veranlassung würde Händel dergleichen nicht geschrieben, sondern solches lieber den Künstlern auf den betreffenden Instrumenten überlassen haben; die Annahme mag also wohl richtig sein, daß mehrere dieser Stücke für den Prinzen von Wales bestimmt waren und demnach um oder nicht gar lange vor 1730 entstanden. Der Lehrmeister des Prinzen im Violinspiel war eben um diese Zeit Händel's Freund John Dubourg. Einiges stammt sicher aus früherer Zeit, vielleicht in Anklängen noch aus jenen Tagen wo er dergleichen Instrumentalsachen »componirte wie der Teufel« (I, 44), und aus seinem Aufenthalte bei Burlington und Chandos wo ihn die vielen vor nehmen Dilettanten auf der Flöte und Violine um neue Musik bestürmten. Daß er auch für den genannten Dubourg schon früher dergleichen setzte, ersehen wir aus einer Ankündigung v.J. 1719, in welcher ein neues, von Händel componirtes und von Dubourg gespieltes Concert verheißen wird.3

Als neue Musik kann man diese Sonaten in ihrer jetzigen Zusammensetzung nur theilweise gelten lassen, weil mehrere der äußerst melodischen langsamen Sätze aus Arien seiner italienischen Cantaten[148] und Opern und einige andere aus früherer Instrumentalmusik gebildet sind. Auch dadurch ist die Selbständigkeit dieses op. 1 beeinträchtigt, daß einiges davon erweitert und umgearbeitet in spätere Werke einging. Die genaueren Nachweise solcher Wandlungen werden unten bei den betreffenden Werken gegeben.

Wie an äußerer, gebricht es dem Werke auch an innerer Selbständigkeit. Wer sich aus der sicherlich schönen gedankenreichen Musik die für sein Instrument passenden Sätze auswählt und einen Begleiter zur Hand hat, der den Generalbaß geschickt und kunstsinnig zu harmonisiren weiß, wird Vergnügen daran haben und »viel daraus machen« können; wer aber große ausgeführte Muster zur Darlegung einer bedeutenden Virtuosität darin sucht und etwas z.B. den Bach'schen Violinsonaten Aehnliches erwartet, wird sich getäuscht finden.

Einige dieser Sätze sind fugirt, bedürfen aber ebenfalls des Zusatzes harmonischer Fülle wenn sie ansprechen sollen. Die bloße Abspielung der Oberstimme und des Grundbasses würde kahl klingen; daß man es dennoch mitunter so gemacht hat, ist bei der Hmoll-Fuge in der 9. Sonate


1. Compositionen für mehrere Instrumente

ersichtlich, welche bald nach Händel's Tode in Gestalt einer zweistimmigen Clavierfuge im Druck erschien.4 Dergleichen ist unverständig und von schädlicher Wirkung; es ist mir selber begegnet, daß ein Mann, dessen musikalische Gelehrsamkeit gediegen und umfassend schien, den Claviersatz für echt hielt und darauf hin von einer flachen und langweiligen zweistimmigen Händel'schen Fuge sprach.

In ähnlicher Weise ließ Walsh fast alle beliebten Opern- und Oratoriengesänge arrangiren und nannte sie in dieser Gestalt den Leuten zu Gefallen auch »Sonaten«; nachdem die Werke schon gleich[149] Anfangs in besonderen Sammlungen »für die Flöte« bearbeitet waren, erschienen später insgesammt, soweit mir bekannt geworden ist, noch sechs Bände, bei denen schon die schöne Ausstattung auf lohnenden Verkauf schließen läßt.5


Op. 2. Sechs Trios oder zweistimmige Sonaten mit Baß.

Nr. 1.Hmoll.Anfang:Andante, C.

Nr. 2.Gmoll.Anfang:Andante, C.

Nr. 3.Bdur.Anfang:Andante, C.

Nr. 4.Fdur.Anfang:Larghetto, C.

Nr. 5.Gmoll.Anfang:Larghetto, C.

Nr. 6.Gmoll.Anfang:Andante, C

.

Mit Ausnahme der vierten Sonate, die fünf Sätze hat (nämlich zwei schnelle zum Schluß, einen fugirten und darauf einen Giguensatz, die sich hier sehr wohl vertragen), sind alle übrigen Stücke viertheilig, je zwei langsame und zwei schnelle Takte wechselweis vorbringend, also dem Op. 1 gleich geformt. Auch darin ist das Werk diesem ähnlich, daß mehrere Motive aus früheren Stücken und Gesängen entlehnt und hier neu bearbeitet sind, einige davon abermals in den weiterhin anzuführenden größeren Compositionen; manche von ihnen sind wohl zuerst in dieser dreistimmigen Form mitgetheilt und später für andere größere Werke benutzt, wie z.B. der zweite und dritte Satz der 3. Sonate für den dritten und zweiten Satz der Ouvertüre zu Esther. Diese 6 Sonaten von schöner Musik, vorzüglichem dreistimmigen Satze und mäßiger Schwierigkeit der Ausführung sind sehr dankbar zum Vortrage in häuslichen und andern kleineren Kreisen und, wie alle Händel'sche Instrumentalmusik, einer guten natürlichen musikalischen Geschmacksbildung überaus förderlich.

Diese Sonaten scheinen auch in ihrer Zeit sehr beliebt gewesen zu sein. Angeblich zuerst in Amsterdam bei Witvogel gedruckt, veröffentlichte Walsh sie 1733 mit folgendem Titel:


[150] VI SONATES | à deux Violons, deux haubois ou | deux Flutes traversieres & | Basse Continue | Composées Par | G.F. HANDEL | SECOND OUVRAGE. |

Printed: and Sold by JOHN WALSH.... | 10 s. 6 d..... | Note: This is more Correct than the former Edition. | No. 408. (Drei Stimmbücher in Fol.)


Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Bemerkung »diese Ausgabe ist correcter als die frühere« sich auf eine Ausgabe von ihm selber beziehen soll, sondern er meinte damit wahrscheinlich den holländischen Druck, von welchem er ohne Zweifel auch den französischen Titel entlehnte. Für ihre große Beliebtheit spricht außerdem, daß Händel sich nach einigen Jahren bewegen ließ, eine zweite ähnliche Sammlung zu veranstalten.


Op. 5. Sieben Trios oder zweistimmige Sonaten mit Baß.

Nr. 1.Adur.Anfang:Andante, C.

Nr. 2.Ddur.Anfang:Adagio, C.

Nr. 3.Emoll.Anfang:Andante larghetto, 3/4.

Nr. 4.Gdur.Anfang:Allegro, 6/8.

Nr. 5.Gmoll.Anfang:Largo, 3/4.

Nr. 6.Fdur.Anfang:Largo, C.

Nr. 7.Bdur.Anfang:Larghetto, C.


Die fünfte und sechste dieser Sonaten sind im Original erhalten und zwar als »Sonata 5« und »Sonata 6«. Die Composition fällt in das Jahr 1738, und mehr als sechs Sonaten sind wohl nicht beabsichtigt gewesen: beides entnimmt man aus dem Zahlbuche seines Verlegers, von welchem sich ein Blatt erhalten hat mit der Notiz »1738, October 7, sechs neue Sonaten, für £ 26. 5 sh.«6 Die sieben Stücke erschienen Anfangs 1739 im Druck.[151]

Die erste Sonate hat die Form der bisherigen, aber zum Schluß eine lebhafte Gavott, also 5 Sätze. Die zweite hat 6 Sätze, darunter einen Marsch; den Mittelpunkt bildet ein Allegro in Dmoll, von einer Musette eingeleitet und beschlossen. Die dritte hat ebenfalls 6 Sätze mit Sarabande, Allemande und Gavott. Die vierte auch, mit Passacaille, Gigue und Menuett. Die fünfte desgleichen, mit Air und Bourrée zum Schluß; das Original hiervon endet mit dem vierten Satze (Allegro), enthält also eine Sonate in durchaus regelmäßiger Form, und die beiden entlehnten populären Stücke zum Schlusse sind gewiß nur der Mannigfaltigkeit wegen angehängt. Ebenso wird es sich mit der sechsten Sonate verhalten, bei welcher das Original kurz vor dem Schlusse des vierten Satzes abbricht und der ein Menuetto als fünfter Satz beigefügt ist. Die letzte Sonate hat wieder 6 Sätze mit Gavott und Menuett zum Schlusse; der dritte Satz, das Adagio, besteht nur aus 5 Takten.

Die Sonaten der zweiten Sammlung unterscheiden sich von denen der ersten also durch eine größere Mannigfaltigkeit, da sich keine mit den üblichen vier Sätzen begnügt. Diese Mannigfaltigkeit ist aber nur eine äußerliche, man kann sie eine rückschreitende nennen, da sie nur erzielt wurde durch ein Anlehnen an die alte Suitenform, welche die damalige Instrumentalmusik doch schon zu einem guten Theile überwunden hatte und über welche hinaus zu streben namentlich die Aufgabe dieser Art von Kammermusik für Streichinstrumente war;[152] und wie in der Form, steht die zweite Sammlung auch im Gehalte etwas hinter der ersten zurück.

Derartige Instrumentalduette mit einer dritten Stimme als Baß und ausfüllendem Cembalo, Sonaten genannt, entstanden um und nach 1700 in ungemein großer Menge und sind für die Ausbildung instrumentaler Tonformen von einer sehr erheblichen, noch nie recht gewürdigten Bedeutung gewesen; es kann aber nicht dieses Ortes sein, solches weiter auszuführen, da Händel, mit Corelli und Andern verglichen, nur einen vereinzelten Beitrag zur Förderung des genannten Kunstzweiges geliefert hat.


Op. 3. Concerti grossi.

(Die sogen. Oboenconcerte.)

(Ausg. der Händelgesellschaft Bd. XXI.)


Nr. 1. Bdur.– Gmoll. Anfang: (Allegro moderato,) 1. Compositionen für mehrere Instrumente.

Nr. 2. Bdur. Anfang: Vivace, 3/4.

Nr. 3. Gdur. Anfang: Largo, C. Für den fugirten Schlußsatz ist Nr. 2 der 6 Clavier- und Orgelfugen, ein vielleicht schon um 1710 entstandenes Stück, bearbeitet.

Nr. 4. Fdur. Anfang: (Pomposo,) C. Ist 1716 geschrieben oder doch damals zuerst aufgeführt als »zweite Ouvertüre« zu der ital. Oper Amadis und zum Benefiz des Orchesters. Man nannte es deßhalb immer nur das Orchestra Concert. Vgl. I, 424 und Burney, History IV, 257.

Nr. 5. Dmoll. Anfang: (Andante,) 3/4. Der fugirte zweite Satz ist der Fismoll-Fuge in der 6. Suite des ersten Theils der Clavierstücke gleich und kann, wie die im Original erhaltene Skizze der ersten 7 Takte zeigt, frühestens ebenfalls in Cannons entstanden sein.

Nr. 6. Ddur. Anfang: (Allegro moderato,) C. Der erste Satz erschien schon 1722 als »Concerto« in der Oper Ottone und ist dort im Original erhalten; für den zweiten ist das letzte Stück der 3. Claviersuite des ersten Theils benutzt, welches als Schlußsatz des 4. Orgelconcertes der dritten Sammlung abermals zur Verwendung kam.


Arnold fügt auf dem Titel seiner Ausgabe die Bemerkung hinzu »hauptsächlich componirt in Cannons im Jahre 1720, und publicirt um 1729.« Etwas Gewisseres dürfte sich über die Entstehungszeit auch nicht angeben lassen, da die Originalhandschrift hier, wie bei den meisten seiner Instrumentalcompositionen, abhanden gekommen[153] ist, aber manche Anzeichen weisen uns auf die Zeit von 1716–20, denn außer den genannten Sätzen sind noch mehrere andere nach den in Cannons entstandenen Motiven gearbeitet. Einige Sätze sind augenscheinlich älteren Ursprungs, und das letzte Concert wäre nach 1722 zu setzen, angenommen der Componist hätte damals den ersten Satz desselben für Ottone neu componirt und den zweiten nach dem Clavierstücke erst später bearbeitet. Nach Hawkins wären diese 6 Concerte »componirt bei Gelegenheit der Heirath des Prinzen von Oranien mit der Prinzessin Anna«7, also 1733; eine Zeitangabe, die für einige Sätze und für die erste öffentliche Aufführung des Ganzen richtig sein mag.

Dagegen ist die Zeit der Herausgabe von Arnold nicht richtig angegeben; die Concerte erschienen nicht 1729 sondern mehrere Jahre später, um 1734, denn erst seit dieser Zeit werden sie in Walsh's Verlagsverzeichnissen aufgeführt, zuerst als »Six Concertos for Violins in 7 Parts [oder auch: ›for Violins etc.], Opera terza«, späterhin als »Six Concertos for Hoboys and Violins«, zuletzt als »Six Concertos for Hoboys« und unter diesem Titel sind sie bekannt geblieben. Der erste der obigen Titel ist wohl der frühesten, mir nicht zu Gesicht gekommenen Ausgabe entnommen, die spätere Ausgabe führt den italienischen Titel: »CONCERTI GROSSI Con Due Violini e Violoncello di Concertino Obligati e Due Altri Violini Viola e Basso di Concerto Grosso Ad Arbitrio DA G.F. HANDEL. Opera Terza. || London, Printed forJ. Walsh.« (9 Stimmbücher in Fol.) Hiermit ist die Gattung richtig bezeichnet, da es wirklich Concerti grossi sind, aber auffallenderweise fehlt auf dem Titel die Angabe der Oboen, nach welchen sie doch ihren populären Namen tragen.

Die sechs Concerte weichen in ihrer Zusammensetzung sehr von einander ab. Das erste Concert hat 3 Theile in regelmäßiger einheitlicher Form, so daß ein langsames Mittelstück von zwei lebhaften Sätzen umschlossen wird. Das zweite hat 6 Sätze, die beiden ersten sind in breiter Anlage gehalten, der dritte ist fugirt, die drei übrigen haben Reprisen und eine hübsche lebhafte Haltung. Das dritte Concert hat 4 Theile, zweimal je ein kurzes Adagio und ein langes Allegro,[154] besteht also eigentlich nur aus zwei Allegrosätzen mit langsamen Einleitungen. Das vierte und fünfte Concert weisen je 5 Theile auf, zwei langsame und drei schnelle; das vierte hat überdies die Händel'sche Ouvertürenform, nur von drei zu fünf Theilen erweitert durch Einschaltung des dritten und vierten Satzes. Das letzte Concert hat nur zwei Theile, Allegro moderato und Allegro. Also in sechs verschiedenen Concerten fünf verschiedene Compositionsordnungen. Es ist ganz Händel's Art, das Beharren bei einem festen Schema unbedenklich der Mannigfaltigkeit zum Opfer zu bringen. Das zweite, vierte und sechste dieser Concerte stechen am meisten hervor durch Geist, Gehalt und Munterkeit, das dritte und fünfte am wenigsten, und das ganze Werk gehört zu seinen besten Leistungen auf diesem Gebiete. Die Oboe ist darin mitunter etwas, obwohl nicht so erheblich bevorzugt, daß die Concerte nach ihr benannt werden dürften, was auch nur geschah, um sie von seinen »großen« und von seinen Orgelconcerten zu unterscheiden; in mehreren treten bloß Violinen und Violoncelle als Soloinstrumente auf. Schon Burney bemerkt mit Recht, diese Compositionen seien mehr im Styl der Haydn'schen Symphonien gehalten, als in dem moderner Oboe-Concerte und setzt, durch lange Erfahrung belehrt, hinzu, sie seien »bewundernswerth berechnet für ein großes machtvolles Orchester in welchem vorzügliche Spieler für verschiedene Instrumente vorhanden sind«8 – was von allen Händel'schen Orchesterwerken gilt. Gleich das folgende unter Nr. 1 aufgeführte Concert in Cdur liefert hiervon das beste Beispiel.


Fünf andere Orchesterconcerte.

Nr. 1. Concerto. Cdur. Anfang: Allegro, C. (Gedruckt in der Ausg. d. Händel-Ges. Bd. XXI.)

Nr. 2. Concert. Bdur. Anfang: Adagio, C. (Gedr. H.-Ges. XXI.)

Nr. 3. Concert. Bdur. Anfang: Vivace, 1. Compositionen für mehrere Instrumente. (Gedr. H.-Ges. XXI.) Der fugirte zweite Satz ist dem Trio op. 2 Nr. 4 entnommen und umgearbeitet; der dritte und vierte dem Trio op. 5 Nr. 1, Satz 1 u. 2, und der erste von diesen beiden geht zurück auf die folgende Sonata, deren Anfangssatz er bildet.

Nr. 4. Sonata à 5. Bdur. Anfang: Andante, C. (Gedr. H.-[155] Ges. XXI.) Stammt aus früherer Zeit, vor 1710. Ist im Original nur unvollkommen erhalten, da sie mit dem dritten (und wahrscheinlich letzten) Satze abbricht.

Nr. 5. Concert. Gmoll. Anfang: Grave, C. (Gedr. H.-Ges. XXI, und vorher von J. Schuberth in Leipzig, angeblich 1703 in Hamburg componirt.)


Die drei ersten Concerte veröffentlichte Walsh 1741 als Concerto I, II, III in dem vierten Theile einer Sammlung welche er »Select Harmony« nannte. Dieser vierte Theil besteht aus sechs Concerten; nur dem ersten derselben ist der Name »Handel« beigefügt, nicht dem zweiten und dritten, doch ist ihr Händel'scher Ursprung innerlich und durch die verwendeten Motive zum Theil auch äußerlich verbürgt. Das vierte ist von Veracini, das fünfte von Tartini, das sechste ist ohne Angabe des Autors, woraus zu schließen sein dürfte, daß es ebenfalls von Tartini herrührt. Diese drei letzten Concerte, namentlich die Tartini'schen, zeigen eine rein virtuosenhafte Behandlung der Violine in dem damals aufkommenden neuen Styl.

Obwohl von dem vierten Theile der genannten Sammlung also nur die Hälfte Händel angehört, zeigte Walsh späterhin doch immer das ganze Heft unter seinen Werken an, z.B. in der Ausgabe des Josua: »Musick Compos'd by Mr. Handel... Six Concertos call'd Select Harmony, in which is included, the Celebrated Concerto in Alexander's Feast.« Es ist unschwer zu errathen, daß hiermit nur das große Concert Nr. 1 gemeint sein kann; die erste (wenigstens die mir bekannt gewordene früheste) Anzeige vom 11. Nov. 1741 sagt solches auch ausdrücklich.9 Nach Hawkins wäre es von Händel componirt, um den jungen tüchtigen Violinisten an die Stelle des altersschwachen Castrucci zu setzen, und zwar dadurch daß er »der zweiten concertirenden Violine ebenso große Schwierigkeiten gab als der ersten«10: aber Burney widerspricht dem ausdrücklich indem er uns zugleich mittheilt, daß nicht Clegg[156] sondern Festing den alten Castrucci verdrängte und zwar um 1737 bei der mit Händel verfeindeten italienischen Oper im Haymarket, wie schon im 2. Bande S. 256 bemerkt worden ist.11


Orgelconcerte.

Erste Sammlung.


Op. 4. Six Concertos for the Harpsicord or Organ compos'd by Mr. Handel. These Six Concertos were Publish'd by Mr. Walsh from my own Copy Corrected by my Self, and to Him only I have given my Right therein. George Frideric Handel. London, J. Walsh. Dies ist der Titel des Orgel- oder Clavierbuches; die Instrumentalstimmen haben allein die Bezeichnung der Opuszahl und folgenden abweichenden und richtigeren Titel: Six Concertos for the Organ and Harpsicord: also for Violins, Hautboys, and other Instruments, in 7 Parts. Compos'd by Mr. Handel. Opera Quarta. London, J. Walsh. Fol.


Nr. 1. Gmoll. Anfang: Larghetto, 3/4.

Nr. 2. Bdur. Anfang: A tempo ordinario, C. Um 1735 entstanden; Original im British Museum.

Nr. 3. Gmoll. Anfang: Adagio, C. Um 1735; Original ebenda. Ist nach der 2. Sonate von op. 1 bearbeitet, namentlich die beiden letzten Sätze stimmen mit denen jener Sonate überein. Der Schlußsatz des 5. Concerts der 3. Sammlung bietet dieselbe Gavotte wieder in anderer Bearbeitung dar.

Nr. 4. Fdur. Anfang: Allegro, C. Original ebendaselbst; vollendet am 23. März 1735: s. Bd. I, S. 222. Das Motiv[157] des ersten Satzes ist zu dem Chore in Alcina »Questo è'l cielo di contenti« benutzt, doch ist das Concert sicherlich vor dem Chore entstanden.

Nr. 5. Fdur. Anfang: Larghetto, 3/4. Hierfür sind wieder bei op. 1 Anleihen gemacht: alle vier Sätze der 11. Sonate sind hier in allen vier Sätzen des Concerts in derselben Reihenfolge bearbeitet.

Nr. 6. Bdur. Anfang: Allegro, C. Zu Grunde lag ein Concert für die Harfe, welches Händel für den Harfenspieler Powel setzte, und zwar im Alexandersfest; oder, was wohl richtiger sein wird, der Satz so wie er hier steht wurde zu jener Aufführung im Alexanderfeste componirt. Hawkins sagt: »Das fünfte Orgelconcert war zuerst ein Stück für die Harfe, gesetzt für den jungen Powel, einen trefflichen Spieler auf diesem Instrumente;12 und das sechste ist ein Solo für die Flöte, wie noch der Umfang desselben zeigt, und wurde von Händel zur Uebung eines seiner vornehmen Freunde verfertigt.« History V, 356–57. Aber nicht mit dem fünften, sondern mit diesem 6. Concerte ist das Harfensolo in Verbindung zu bringen; wie die Ueberschrift »Harpa e Organo« andeutet, wurde die Harfe neben der Orgel darin verwandt und wird deßhalb der Satz schon ursprünglich in dieser Form entstanden sein. Das Flötensolo mag in einem der beiden folgenden Sätze, vielleicht in beiden, zu suchen sein. Es war gewiß kein anderes als dieses Harfenconcert aus Alexandersfest, welches Parry am 27. Febr. 1741 in Hickford's Saal vortrug; »A Concerto of Mr. Handel's on the Harp by Mr. Parry« lautet die Ankündigung in derLond. Daily Post v. 27. Febr. '41.


Die Concerte erschienen am 4. October 1738 im Druck, nachdem sie in einem Raubdrucke, vor welchem Walsh warnt, schon im September ausgeflogen waren.13 Der außerordentlich geringe Preis[158] von 3 Sh. wurde gewiß nur des Raubdrucks wegen gesetzt. Zur weiteren Sicherstellung der rechtmäßigen Ausgabe, für welche Walsh seinem Rechnungsbuche zufolge £ 26. 5 s. zahlte, schrieb Händel eine kurze Erklärung, welche sowohl in den Anzeigen als auf dem Titel veröffentlicht wurde –: »Diese sechs Concerte sind von Hrn. Walsh nach meinen eigenen Exemplaren gedruckt, von mir selbst corrigirt, und ihm allein habe ich das Verlagsrecht übertragen.«14 Daß Händel sich damals, wie allgemein bekannt war, in höchst dürftigen Umständen befand, konnte »praktische« Engländer natürlich nicht abhalten ihn auszurauben. Der unrechtmäßige Druck war sogar die Veranlassung, daß eben diese sechs Concerte zu einer Sammlung vereinigt wurden; nicht sorgfältige Vorbereitung und freier Entschluß, sondern der Zufall gab den ersten Anstoß zur Veröffentlichung dieser wie der meisten übrigen Instrumentalwerke Händel's.


Zweite Sammlung. 1739–40.


Nr. 1. Fdur. Anfang: Largo, C. Der erste und der letzte Satz sind aus der 6. Sonate von op. 5 gebildet, wie auch das im Original erhaltene Schlußblatt des Concertes lehrt durch Angabe des Datum »Fine | G.F.H. | London. April 2.[159] | 1739.« Mit Blei ist hinzugefügt »Adagio ad libit.«, was wohl heißen soll, daß für das Adagio in der Mitte des Concertes noch kein bestimmter Satz vorhanden oder festgesetzt war. Später wählte er hierfür (als dritten Satz) das Larghetto des neunten der 12 großen Concerte, op. 6, und als vorausgehendes, die zweite Nummer bildendes Allegro den zweiten Satz ebendesselben Concertes. Auf die Tongedanken gesehen, bietet dieses Orgelconcert demnach nichts neues.

Nr. 2. Adur. Anfang: Largo, C. Ist nichts als eine Uebertragung des elften der 12 gr. Concerte, op. 6, in ein begleitetes Orgel- und Clavierstück, wobei der zweite Satz desselben wegfiel und der dritte und vierte die Plätze wechselten.

Nr. 3. Anfang: Ouverture, C. Ist eine Uebertragung des zehnten der genannten großen Concerte ohne Auslassungen oder Zusätze.

Nr. 4. Gdur. Anfang: A tempo giusto, C. Ebenfalls eine vollständige Uebertragung des ersten der genannten Concerte.

Nr. 5. Ddur. Anfang: Ouverture, 34. Eine vollständige Uebertragung des fünften der genannten Concerte.

Nr. 6. Gmoll. Anfang: Largo, 3/2. Eine vollständige Uebertragung des sechsten der genannten Concerte.


Diese sechs Concerte erschienen als »zweite. Sammlung« im November 174015, müssen also im Laufe dieses und des vorigen Jahres entstanden sein. Weil sie an Tongedanken nichts neues enthalten, sind sie eigentlich nicht als Compositionen, sondern nur als Uebertragungen anzusehen; höchstens dem ersten, aus einem kleinen Stücke durch Erweiterung gebildeten Concerte ist eine etwas selbständigere Bedeutung zuzuerkennen, wie Händel es denn auch gleich einer wirklichen Composition mit Namen und Datum bezeichnet hat, und höchst wahrscheinlich war dieses das »neue Orgelconcert« welches er für das Concert des musikalischen Hülfsvereins bestimmte und in demselben zuerst aufführte (S. 16). Bei einer solchen Umformung seiner Orchestermusik in Orgelconcerte würde er sich vermuthlich ebenso wenig betheiligt haben, wie früher und später bei der Uebertragung[160] fast aller seiner Opern- und Oratoriengesänge auf die Flöte und seiner 65 Ouvertüren und sonstiger Musik auf das Clavier, wenn nicht zu der Einrichtung der Orgelsätze ein höheres Geschick erforderlich gewesen wäre, als Walsh's musikalische Hülfsarbeiter besaßen. Wir müssen es ihm Dank wissen, daß er hier selber Hand angelegt und den weiten Weg gewiesen hat, welcher Allen, die seine Instrumentalmusik verwerthen und aufführen wollen, offen steht.


Dritte Sammlung. 1740–51.


Nr. 1. Bdur. Anfang: Andante, C. Am Schlusse des erhaltenen Originals steht »Fine | G.F. Handel | Fevr. 17. 1740.

Nr. 2. Adur. Anfang: Andante, C. Am Schlusse des Originals steht »Fine London Febr. 5. ħ 1743.«

Nr. 3. Bdur. Anfang: Allegro, C. Von dem Original ist der erste, später noch bedeutend veränderte Entwurf erhalten. Ueberschrift: »Concerto per l'Organo ed altri stromenti | angefangen January 1. 1741. S.« Am Schlusse steht »Fine G.F. Handel January 4. 1751 | geendiget.« In der Handschrift folgen dann noch vier Blätter mit verschiedenen Skizzen aus derselben Zeit, und auf der letzten leeren Seite findet sich die Bemerkung »Mr. Barry for the Charity play«; dieses neue Concert mag ebenfalls für die demnächstige, am 18. April und 16. Mai '51 zum Besten des Findlingshospitals abgehaltene Aufführung bestimmt gewesen sein.

Nr. 4. Dmoll. Anfang: Adagio, C. War bisher in Händel's Handschrift nicht aufzufinden; der Schlußsatz (Allegro, 3/8) ist auch nicht original, sondern, gleich dem letzten Satze des sechsten der sogen. Oboenconcerte, nach dem Presto der dritten Suite aus der ersten Sammlung der Clavierstücke gebildet.

Nr. 5. Gmoll. Anfang: Non troppo allegro, C. Nach dem im Original Erhaltenen sollte das Concert mit der Menuett schließen, denn am Ende derselben steht »Fine. | Jan. 31. 1750.« Die hinzugefügte Gavotte, welche jetzt den Schluß bildet, ist nichts anderes als der 4. Satz der 2. Sonate von op. 1, aber erweitert und verschönert. Eine etwas andere, näher der Sonate sich anschließende Bearbeitung war schon in dem Schlußsatze des 3. Orgelconcert es der 1. Sammlung gegeben; hier lieferte Händel nun ei ne abermalige Veränderung davon für die Orgel.[161]

Nr. 6. Gmoll. Anfang: Pomposo, 3/4. Nur der erste Satz ist im Original vorhanden, aber nicht datirt; der Handschrift zufolge muß er kurz nach 1740 entstanden sein.


Hier liegen also, wie bei der ersten Sammlung, zum größten Theile neue Compositionen vor. Sie kamen erst nach Händel's Tode als »Eine dritte Sammlung von sechs Orgelconcerten« zum Druck, versehen mit einem neuen, von W. Pitt unterzeichneten kön. Privilegium v. 19. August 1760, durch welches dem Verleger für zwei Sammlungen aus den Werken »des verstorbenen George Friedrich Händel, Esquire« das Eigenthumsrecht auf die üblichen vierzehn Jahre gesichert wurde.16


Vierte Sammlung.


Eine vierte Sammlung von Orgelconcertsätzen ist nachträglich durch Arnold zum Druck gebracht unter dem Titel »Concertos etc. for the Organ in Score, now first Published 1797. Composed by G.F. Handel.« (Nr. 179 u. 180 seiner Gesammtausgabe.) Sie enthält drei Stücke, von welchen indeß das zweite nicht hierher gehört.


Nr. 1. Dmoll. Anfang: Andante, 3/4.

Nr. 2. Bdur. Anfang: [Ouverture,] C. Ein reines Orchesterconcert in 7 Sätzen, meistens, vielleicht sämmtlich entlehnt und zum Theil selbst nach Singchören und Fugen bearbeitet.

Nr. 3. Fdur. Anfang: Ouverture, C. Ein großes Concert in 7 Sätzen, welches mit dem Marsch aus Judas Makkabäus schließt und gewiß in den meisten übrigen Sätzen ebenfalls[162] nicht original ist, sich auch in dieser Form nicht in Händel's Handschrift erhalten zu haben scheint.

Dagegen finden sich neun Stücke, und unter denselben vier dieses Concertes, in seiner Handschrift vor und zwar in einer merkwürdigen Bearbeitung für Doppelorchester, anscheinend um 1738 geschrieben (Papier und Schriftzüge sind der Copie des Magnificat von Erba gleich, mit welcher sie sich auch in einem Bande vereinigt finden), also zu einer Zeit wo er im Fache der Orchestermusik die lebendigste Thätigkeit entfaltete, und abweichend von seinen sonstigen Orchesterstücken angelegt, leider in mehreren Sätzen nicht vollständig erhalten. Daß sich hiervon noch eine die Lücken ergänzende vollständige Abschrift werde auffinden lassen, dürfte kaum zu hoffen sein; vielleicht dienten auch bei dieser Arbeit Stücke eines älteren Meisters ihm zur Vorlage.


Hieraus würden sich insgesammt 20 Orgelconcerte ergeben, deren Zahl sich indeß durch Abzug der nicht originalen erheblich vermindert. Sie alle sind ebensowohl für Clavier wie für Orgel bestimmt und können daher auch mit vollem Recht Clavierconcerte heißen. Clavier und Orgel standen damals in ihrem Baue wie in ihrem Gebrauche einander viel näher, als jetzt. Händel's Concerte sind dennoch durchaus und mit tiefster Kenntniß des Instrumentes orgelmäßig gehalten, wie denn auch die 6 Stücke der 1. Sammlung vor einigen Jahren (1858) durch den bedeutenden Orgelspieler W.T. Best in Liverpool für Orgel allein arrangirt wurden. Sie sind aber auch glücklich claviermäßig, und das zweite Concert der 1. Sammlung, für Clavier eingerichtet, bildet in England ein beliebtes Concertstück. So bewegen sie sich auf dem Gebiete, welches beiden Instrumenten gemeinsam ist, sind auch zu seiner Zeit immer so nach beiden Seiten hin verwandt worden, dem Doppeltitel »für Orgel oder Harpsichord« entsprechend; und Burney bezeugt ihre außerordentliche Beliebtheit indem er (von der ersten Sammlung) sagt: »Die Spieler auf Tasteninstrumenten, sowohl in Concerten wie im Hause, zehrten lediglich von diesen Concerten fast dreißig Jahre lang.«17[163]

Hawkins schreibt: »Bei der Aufführung seiner Oratorien Esther und Debora schenkte er der Oeffentlichkeit auch noch eine Art Musik, von welcher man ihn den Erfinder nennen kann, nämlich das Orgelconcert. Man wußte daß er auf diesem Instrumente in der Welt kaum seines Gleichen hatte; und es konnte ihm nicht unbekannt sein, daß er auf demselben eine Art zu spielen besaß, welche sich wenigstens durch den Reiz der Neuheit empfahl.... Man muß gestehen, der Styl dieser Concerte war nicht jener eigentliche Orgelstyl, den ein tiefer Musikkenner bewundern würde und in welchem Händel durch seine gedruckten Präludien und Fugen seine vollkommene Meisterschaft bewiesen hatte; doch die volle Harmonie des Orchesters, contrastirend mit den beredten Einzelgängen der Orgel, die Cadenzen verlängernd und das Ohr in einer ergötzlichen Erwartung erhaltend, hatte eine wundervolle Wirkung.«18 Sir John, als ein großer Liebhaber von gearbeiteten Meisterfugen, ist hier ein durchaus unbefangener Berichterstatter.

Die Concerte der ersten Sammlung bestehen aus drei oder aus vier Theilen. Im ersten Falle bilden lebhafte Sätze den Anfang und den Schluß, und ein langsamer Satz steht in der Mitte. Sind vier Theile vorhanden, so tritt bei übrigens unveränderter Anlage noch eine im gemäßigten Zeitmaaß gehaltene Einleitung vor das erste Allegro, so daß man diese viertheiligen Stücke ihrer Form nach betrachten kann als Sonaten, welche mit einem mehr oder minder langsamen Präludium versehen sind; und dieser Form pflegt er besonders gern sich zu bedienen. Die Concerte der zweiten Sammlung sind ebenso beschaffen; einige derselben haben aber eine größere Ausdehnung, und alle schließen sich so eng an die ihnen zu Grunde liegenden Violinconcerte an, daß sie fast als die Clavierstimme derselben oder als geschickte und freie Harmonisirung des Grundbasses angesehen werden können. Die der dritten Sammlung halten sich theils an die Form der dreitheiligen Sonate, theils an die ebenfalls dreitheilige, jedoch hinsichtlich der Bewegung zu der Sonate im Gegensatze stehende Form der Händel'schen Ouvertüre; theils sind sie zweitheilig, nur die Umrisse des Anfangs- und des Schlußsatzes enthaltend,[164] den langsamen Mittelsatz und alles weitere dem »ad libitum« der Orgel überlassend: eine Aushülfe, zu welcher Händel namentlich während seiner Blindheit griff, wo es ihm bequemer sein mußte sich in freier Erfindung zu ergehen, als gemeinsam mit dem Orchester lange, genau vorgeschriebene Concerte abzuspielen.

An Nachahmern dieser Concerte, welche lange Zeit hindurch in allen ersten Musikstätten und bei allen Organisten des Königreiches heimisch waren, fehlte es nicht; aber sie fanden bei Händel, der aller und jeder Unselbständigkeit abhold war, selbst wenn sie verehrungsvoll seinen Fersen folgte, keine Aufmunterung. Vielleicht am genauesten und nicht ohne Glück copirte ihn William Felton, ein Geistlicher welcher in Hereford seine Pfründe hatte, sich aber mehr um die Musik und sonstige Vergnügungen in London als daheim um seine Gemeinde bekümmerte, wie es die besser besoldeten englischen Geistlichen schon seit Jahrhunderten gethan haben und noch heutiges Tages thun; und wie ein richtiger Nachahmer übertraf er seinen Meister in der Menge, indem er (von 1744 bis 175?) 24 Orgelconcerte zum Druck brachte. Mit Händel war er persönlich kaum bekannt; der erste Versuch sich ihm mehr zu nähern, lief unglücklich genug ab. Burney erzählt nach einer Mittheilung von Brown, dem Anführer oder Vorgeiger der kön. Hofmusiker: »Als der verstorbene Reverend Felton fand, daß seine ersten [sechs, 1744 bei John Johnson erschienenen] Orgelconcerte gut aufgenommen wurden, eröffnete er eine Zeichnung auf eine zweite Sammlung, und bat Brown, bei Händel die Erlaubniß auszuwirken daß sein Name mit auf die Liste gesetzt werden dürfe. Brown, welcher im vorauf gegangenen Winter als Anführer des Orchesters in den Oratorien bei Händel in großer Gunst gestanden hatte und sich erinnerte, wie höflich er immer bis zur Thür begleitet und wie besorgt er von Händel gewarnt wurde, wenn er bei den Proben in [Händel's Hause in] Brookstreet von der Wärme der gefüllten Zimmer und von harter Arbeit erhitzt war, sich ja nach Hause tragen zu lassen, zweifelte nicht, daß er die Erlaubniß leicht von Händel erhalten werde. Als er nun eines Morgens, während Händel sich rasiren ließ, Felton's Anliegen so sein wie möglich anzubringen suchte und sagte, es sei ein Geistlicher der im Begriff stehe einige Concerte auf Subscription drucken zu lassen und gar sehr[165] nach der Ehre geize, ihm ein Exemplar überreichen und seinen Namen auf die Liste setzen zu dürfen, nur um die Liste zu zieren und ohne ihm natürlich irgendwelche Kosten zu bereiten: schob Händel die Hand des Barbiers bei Seite, fuhr zornig empor und rief mit noch eingeseiftem Gesichte in großer Heftigkeit ›Daß Sie des Teufels würden – ein Pfaff will Concerte machen! warum macht er keine Predigten?‹ u.s.w. Kurzum, Brown der ihn so erbost und die Scheermesser in der Nähe sah [und niemals ein Held gewesen war], machte sich eilig davon.... Wirklich hegte Händel damals eine gründliche Verachtung gegen alle mitlebenden englischen Componisten vonDr. Green bis herab zu Harry Burgeß, und gegen die Orgelspieler obendrein; denn nachdem er nun lange in England gewesen war, pflegte er zu sagen: ›Als ich zuerst herüber kam, fand ich unter den Engländern viele gute Spieler und keine Componisten; aber jetzt giebt's lauter Componisten und keine Spieler.‹«19 Das alles war nur zu sehr begründet; Händel mußte sich trotz aller Mühen mit sehr mäßigen Aufführungen seiner Werke begnügen, weil seine englischen Zeitgenossen, anstatt ihr musikalisches Talent als Spieler auszubilden, aus reiner Eitelkeit an der durch Händel's Erscheinung so hoch gestiegenen Ehre eines »Componisten« theilzunehmen bemüht waren. Und verdienten diese etwas anderes, als ein Donnerwetter, wenn sie den Namen des von aller Künstlereitelkeit so gänzlich freien Meisters für ihre eitlen und nichtigen Versuche ausbeuten wollten? namentlich Priester, die eine geistliche Pfründe in Concerten und Musikverlag vergeudeten? Wer sein Nachahmer werden wollte, von dem verlangte Händel nicht mehr und nicht weniger, als daß er zunächst sein unabhängiges Verfahren bei Veröffentlichung der Werke nachahme, weil dies einem Manne geziemend und zugleich der einzig sichere Weg war, auf welchem sich das Vorhandensein eines künstlerischen Berufes herausstellen konnte. Die gewöhnliche Weise sich[166] einen Namen zu machen und Andern einen Namen zu machen helfen, war ihm gänzlich zuwider. Hülfreich und zuvorkommend, ließ er sich doch auf oberflächliche Empfehlungen nicht gern ein; in einer Stadt wie London wäre damit auch ein arger Unfug getrieben. Nur ein einziges Mal, und zwar bei einer fremden Dame die ihr erstes Concert in London gab, finden wir der Ankündigung hinzu gesetzt, Händel habe ihrem Spiele Beifall geschenkt.20 Tüchtige Spieler schätzte er sehr, und wenigstens einige solche waren in seiner Umgebung noch vorhanden; die Behauptung, Händel habe die englischen Orgelspieler um 1740 in Bausch und Bogen verachtet, widerlegt Burney selbst indem er berichtet: »Ich sah ihn [seit 1745] mitunter im Schauspielhause, in der Oper, und in der St. Martinskirche wenn der verstorbene Kelway die Orgel spielte.«21 Dieser Jos. Kelway war nicht etwa Händel's, sondern vielmehr Geminiani's Schüler, ein großer Verehrer von Scarlatti's Clavierstücken, »und stand«, wie Burney an einem andern Orte sagt, »an der Spitze der Sekte Scarlatti's; er hatte in seinem Orgelspiel eine meisterliche Wildheit und wußte sich das Ansehen eines großen Spielers zu verschaffen durch einen Styl, der ihm eigenthümlich war, kühn, geläufig und erfindungsreich.«22 Selbständigkeit und Originalität war es eben, was Händel überall forderte, wo er[167] Anerkennung zollen sollte, was er schätzte und was ihn anzog, ganz gleich auf welchen Hauptmeister der Mann geschworen hatte. Auch Dr. Worgan, welcher im Vauxhall-Garten die Orgel spielte, nöthigte ihm Achtung ab; von Geminiani und Roseingrave erzogen, standen bei diesem ebenfalls Scarlatti und Palestrina in höchsten Ehren, ohne daß er sich der Einwirkung Händel's entziehen konnte, ebenso wenig wie ein anderer tüchtiger Organist, der blinde Stanley. Innerlich, nicht durch schulmäßige Zucht sondern durch die von dem Kunstwerke ausgehende lebendige Wirkung wurden sie Händelianer: und nur da freuete Händel sich der Verehrer, wo er solch einen freien, unwillkürlichen, die Selbständigkeit nicht niederdrückenden sondern erhöhenden Einfluß seiner Kunst wahrnahm.


12 Concerti grossi.

Zwölf große Concerte für Streichinstrumente. 1739.

Sämmtliche Concerte sind im Original erhalten und mit der Nummer bezeichnet, welche sie in der gedruckten Sammlung einnehmen, die meisten auch noch mit Namen und Datum.


Nr. 1. Gdur. Anfang: A tempo giusto, C. »Fine | G.F. Handel | Sept. 29 | 1739. ħ.«

Nr. 2. Fdur. Anfang: Andante larghetto, C. »Fine | G.F. Handel | Octobr 4. 1739 | 1. Compositionen für mehrere Instrumente «

Nr. 3. Emoll. Anfang: Larghetto, 3/4. »Fine | G.F. Handel | Oct. 6. 1739. ħ«

Nr. 4. Amoll. Anfang: Larghetto affettuoso.23 »Fine | G.F. Handel | Octobr 8. 1739. 1. Compositionen für mehrere Instrumente«

Nr. 5. Ddur. Anfang: Larghetto, 3/4. Hier fehlt das Datum wohl nur deßhalb, weil die ganze Ouvertüre zu der kleinen Cäcilienode darin aufgenommen ist, als erster zweiter und sechster oder letzter Satz.

Nr. 6. Gmoll. Anfang: Larghetto affettuoso, 3/2. »Fine | G.F. Handel | Octobr 15. 1739 | 1. Compositionen für mehrere Instrumente«[168]

Nr. 7. Bdur. Anfang: Largo, C. »Fine | G.F. Handel | Octobr 12 | 1739 | Q.«

Nr. 8. Cmoll. Anfang: Andante, C. »Fine | G.F. Handel | Octobr 8. 1739. | 1. Compositionen für mehrere Instrumente

Nr. 9. Fdur. Anfang: Largo, 3/4. Auch hier fehlt die Bezeichnung; nur die Fuge, welche den vierten der sechs Sätze bildet und in Gdur aufgeschrieben ist, hat die Bemerkung »den 9 Sept. 1738 | Sonnabend«, stammt also aus dem vorigen Jahre und war ursprünglich zu einer Ouvertüre bestimmt, wie der durchstrichene, »Ouverture« überschriebene Einleitungssatz zeigt.

Nr. 10. Dmoll. Anfang: Ouvertüre, C. »G.F. Handel | Octobr 22. | 1739. | 1. Compositionen für mehrere Instrumente«

Nr. 11. Adur. Anfang: Andante larghetto, C. »G F Handel| Octobr 30. 1739 | S.«

Nr. 12. Hmoll. Anfang: Largo, C. »Fine | G.F. Handel. |Octobr 20. | 1739 ħ.«


Wie hieraus zu sehen ist, entstand auch diese Musik in einer erstaunlich kurzen Zeit, fast in dem einen Monat October. Und schon bevor sämmtliche zwölf Concerte fertig waren, wurde für den Druck derselben eine Subscription eröffnet. Am 29. October heißt es in der London Daily Post, 12 große Concerte in 7 Stimmen, nämlich für vier (mitunter auch nur für zwei) Violinen, Bratsche, Violoncell und Generalbaß für das Clavier, würden im April nächsten Jahres erscheinen zum Subscriptionspreise von zwei Guineen, und werde die Zeichnung darauf sowohl von dem Componisten selbst, in seiner Wohnung in der Bachstraße, wie auch von John Walsh angenommen.24 Händel führte einige der Concerte schon im November und December dieses Jahres in den Oratorien auf; am 22. November fügt Walsh[169] seiner Ankündigung hinzu, zwei der genannten Concerte würden an demselben Abend (zusammt der großen und der kleinen Cäcilienode) in Lincoln's-Inn-Fields zur Aufführung kommen; am 13. December werden nebst Acis und Galatea wieder »zwei neue Concerte« angekündigt; am 21. März '40 in Saul ließ sich abermals »ein neues Concert« hören. Der Druck erschien am 21. April.25 Am 31. Mai konnte Walsh der Anzeige hinzufügen: »Diese Concerte wurden im kön. Theater zu Lincoln's-Inn-Fields aufgeführt, und werden jetzt fast an allen öffentlichen Orten mit dem größten Beifall gespielt.« Sie erlangten schnell in den Orchestern das Bürgerrecht und regten, wie alle seine Werke, zur Nachahmung an; die Orchesterstimmen erschienen bei Walsh in mehreren Auflagen.

Dennoch befriedigte dieses Werk die Kenner nicht ganz, und das ist leicht erklärlich. Zunächst schadete die eilige und etwas vorlaute Art der Ankündigung und Verbreitung, die allerdings geboten war, wenn nicht die Raubdrucker wieder die Ersten auf dem Platze sein sollten; und aus allem Vorhergehenden wissen wir, wie dringend Händel eben damals wünschen mußte von seiner Arbeit schnellen und möglichst hohen Gewinn zu ziehen. Auch der Titel war irreleitend; bei dem Ausdrucke »Grand Concertos, Große Concerte« dachte man[170] nicht an den italienischen »Concerti grossi«, von welchem er nur eine Uebersetzung war und der keineswegs etwas hervorragend Großes, sondern nur eine über das Quartett hinaus gehende und in der concertirenden Schreibart sich bewegende Mehrstimmigkeit einschloß, – vielmehr verband man damit die erst durch Händel's Oratorium und Orgelspiel erzeugten Begriffe von musikalischer Großheit, und machte sich deßhalb wieder auf eine bahnbrechende Neuigkeit gefaßt. Neben Erwartung und großem Vertrauen regte sich aber auch von Anfang an ein Zweifel, der hier nicht ganz unberechtigt schien, das Bedenken nämlich, ob es ihm gelingen werde, das Gebiet, welches besonders durch Corelli der Instrumentalmusik zugänglich gemacht und seither durch zahlreiche tüchtige Musiker mehr oder minder mit Glück, aber stets mit großem Wetteifer, bearbeitet war, sich nun ebenfalls im Fluge anzueignen. Als die Concerte im Druck erschienen und die außerordentliche Kunst, mit welcher Händel sie vom Flügel aus im Theater aufgeführt hatte, das Urtheil nicht mehr beeinflußte, mußte man sich gestehen, daß in der reichen Mannigfaltigkeit lebhafter, prächtiger, von einer durch und durch gesunden Empfindung getragener Tonbilder etwas eigentlich Neues, was sie von den Oboen- und Orgelconcerten wesentlich unterschiede, nicht vorhanden war; ja, man konnte weiter gehen und ihnen in ihrer Gesammthaltung den genannten Vorgängern gegenüber eine entschiedene Selbständigkeit absprechen. Schon ein Hinblick auf die Form mußte diesen Gedanken erwecken. Zwei Concerte bestehen aus 4, sechs aus 5, und vier aus 6 Sätzen. Die zwei Concerte von vier Sätzen (Nr. 2 u. 3) haben die Form der Sonate, wenn man den langsamen Anfangssatz als Einleitung ansieht. Die Concerte von fünf Sätzen haben entweder ebenfalls die Form der Sonate mit einer Einleitung und einem Nachspiel (Nr. 1 u. 6); oder mehr die der symphonischen Ouvertüre mit zwei langsamen Sätzen in der Mitte und einem Tanzsatze (oder doch einem dem Tanze nahe kommenden Allegro) zum Schlusse (Nr. 7, 11 u. 12); oder in drei Sätzen eine Steigerung vom Larghetto zum Allegro, welchem zwei Tanzsätze nachfolgen (Nr. 3). Die vier Concerte von sechs Sätzen zeigen meistentheils Ouvertüre und Sonate verschmolzen, so daß ein Ouvertürensatz den Anfang, ein Adagio den Mittelpunkt und ein Tanzsatz den Schluß bildet (Nr. 5 u. 10; ähnlich[171] Nr. 9 mit zwei Tanzsätzen am Schlusse). Jedoch das achte Concert hat eine völlig freie Anlage, indem in sechs Sätzen Andante, Grave, Andante allegro, Adagio, Andante (Siciliana) und Allegro einander folgen, also die Tonbilder nicht überall nach ihrem Zeitmaaße einen entschiedenen Gegensatz bilden.

In der Gestaltung der zwölf Concerte zeigen sich demnach mindestens sechs verschiedene Formen. Welche von ihnen ist hier die maaßgebende Grundform? Keine von allen, wird man gestehen müssen. Die dem Händel'schen Wesen so ureigne Ungeduld, welche weit lieber immer Neues versuchen, als die gewohnten Pfade einhalten mochte, und daher auf den Gebieten, wo die geistigen Ideen über den musikalischen stehen und sie wie die ganze Formgebung beherrschen, das Höchste erreicht, trieb ihn auch hier weiter als der vorhandene Gegenstand erforderte oder zuließ; denn die Instrumentalmusik wird immer, und je vollstimmiger sie ist desto mehr, die Neigung äußern, sich zu großen Sätzen zusammen zu ziehen und in deren Aufeinanderfolge gewisse Grundformen herzustellen. Trieb es dagegen Händel, fast mit jedem der 12 Concerte einen neuen Weg einzuschlagen, eine andere Ordnung zu versuchen, so mußte sich bald zeigen, daß auf diesem Gebiete nicht so vielerlei Wege und Ordnungen möglich waren, und ein gewisses Nichtbefriedigtsein, ein gewisser Mangel an Harmonie mußte sich als Gesammteindruck herausstellen.

Deßhalb war es auch möglich, daß der Ausspruch gegnerischer, neidischer, von der öffentlichen Gunst wenig bedachter Musiker, welchem zufolge Händel in der kunstvollen Composition für mehrere Instrumente »nicht seine Stärke« hatte, nahezu allgemeine Meinung werden konnte, obwohl schon seine Ouvertüren – neben den Claviersätzen das kunstvollste was er im Bereiche der Instrumentalmusik geschaffen hat – seit so vielen Jahren gelehrt hatten, wie meisterhaft und wirkungsvoll er die echt instrumentale Mehrstimmigkeit zu handhaben wußte, ja, obwohl eben diese Concerte überall gespielt wurden und ihre »Stärke« unzweideutig darin offenbarten, daß sie die Arbeiten Anderer verdrängten und vielen Tausenden Vergnügen bereiteten. Die Gegner – denn Gegner waren nach englischen Begriffen alle diejenigen Tonsetzer Londons d.h. eigentlich des ganzen Landes, welche nicht in Gemeinschaft mit Händel, sondern auf andern Wegen[172] Ehre und Brod suchten – hatten ihre Stärke eben in solchen Concerten, wie überhaupt in der instrumentalen Kammermusik für Saiteninstrumente mit Cembalo-Begleitung, und sie boten an Inhalt und Form wenn auch nichts Ausgezeichnetes so doch fast immer etwas der betreffenden Kunstgattung Entsprechendes. An ausgezeichneten Arbeiten fehlte es ebenfalls nicht; Francesco Geminiani war seit 25 Jahren in London (I, 426), die Werke seines Meisters Corelli fanden in England eine zweite Heimath, und wie groß die Nachfrage nach Instrumentalwerken aller Art gewesen sein muß, läßt sich schon aus den Verzeichnissen englischer Verleger abnehmen. Alle hielten sich bei ihren »Concerten«, einige bewußt und mit richtigem Takte, die meisten gewohnheitsmäßig, nicht mehr an die volle Länge der bunten Suite, sondern an die einfachere Quartett- und Sonatenform. Bei Arcangelo Corelli sieht man noch deutlich, wie sich durch die Vervollkommnung des Violinspiels und des Violinsatzes aus der Suite, d.h. aus einem auf Tasteninstrumenten abgespielten Gebinde verschiedener Tanzmelodien, nach und nach eine mehr geschlossene einfache Form bildete, und dies ist ein Fingerzeig, daß die neue Form zunächst besonders im Bereich der Streichinstrumente ihre Heimath hatte. Einige seiner dreistimmigen »Sonaten« oder Compositionen für 2 Violinen, oder für Violine und Violoncell, nebst einem Grundbasse für das Clavier, sind noch suitenartig bunt (z.B. Nr. 6 in Op. 4 von sieben Sätzen), weitaus die meisten kommen aber schon auf vier Sätze zurück, von welchen dann fast ohne Ausnahme der je erste und dritte in langsamer, der zweite und vierte in schneller Bewegung gehalten ist. Nur selten (z.B. Nr. 12 in Op. 3) waltet die freie Phantasie vor; die Suite bleibt noch immer kenntlich, namentlich in den Ausgangssätzen. Mitunter hat Corelli nur drei Sätze und schießt dann über das Ziel hinaus, nicht durch den Dreisatz an sich, denn dieser würde die Grundform einer »Sonate« gerade am reinsten darstellen, sondern durch die unregelmäßige Ordnung desselben, nach welcher ein Grave oder Adagio als Präludium am Anfange steht und zwei Allegrosätze zur Folge hat (s. Op. 4, Nr. 11 u. 12). Die nächsten zwei Generationen nach Corelli hielten sich wesentlich an die viertheilige, eigentlich doppelt zweitheilige Form, und obwohl diese wegen der Kürze der langsamen Sätze eines eigentlichen Mittelpunktes[173] entbehrte, konnte ihre weitere Ausbildung doch nur die sein, daß sie sich immer mehr um eine ruhende Mitte gruppirte und so mit der Zeit entweder die Gestalt des Quartetts oder die der Sonate annahm. Geminiani weicht von dem Viersatze fast garnicht ab; das dritte seiner Concerte in Op. 2 hat nur drei Sätze (Presto, Adagio, Allegro), also die reine Sonatenform. Auch Hasse's Concerte sind meistentheils wirkliche Sonaten in drei Sätzen. Wir sehen bis etwa 1760 hin überall noch eine gewisse Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit, bis sich dann endlich die Bildung dadurch abklärt, daß die Ouvertüre und die Claviersonate den Dreisatz, das Streichquartett und die Symphonie den wesentlich neu gestalteten Viersatz annehmen.

Griff Händel nun mit seinen Concerten in die auf diesem Wege befindliche Bildung so ein, daß er, Ouvertüre Concert und Suite verbindend, in ziemlich freier Wahl aus fünf oder sechs Sätzen ein Concert gestaltete, und handelte er darin zwar völlig der Art seines Schaffens gemäß, die überall auf Vereinigung des bisher getrennt neben einander Bestehenden gerichtet war, dadurch auf allen Gebieten, wo Geist und Trieb der Kunst ihm in verwandter Neigung entgegenkam, das Außerordentlichste vollbringend: so muß doch aus dem vorhin Bemerkten klar geworden sein, daß bei den Violinconcerten eine solche Verknüpfung, sofern sie sich wesentlich in einem Nebeneinanderstellen vieler Sätze kundgab, nicht etwas Höheres erzeugen, sondern eher als ein Rückschritt zu der mit Recht theilweise schon verlassenen Suite erscheinen konnte. Hier arbeitete Händel also nicht für eine Idee, sondern wandte nur die Weise wie er für Ideen zu arbeiten gewohnt war, auf eine beliebte und belohnte, aber der Art seines Schaffens nicht entsprechende Kunstgattung an. Alles was man an seinen Concerten aussetzen darf, ist also nicht im entferntesten auf innere musikalische Mängel, auf Ungeübtheit oder wirkliche Schwäche zurück zu führen, sondern auf eine unrichtige Stellung zu der betreffenden Musikart im Ganzen. Deßhalb sind diese Concerte in vieler Hinsicht ein so äußerst lehrreiches Denkmal in der Entwicklung der Instrumentalmusik.

Händel's Stellung, im allgemeinen für musikalisches Schaffen die günstigste die je ein Tonkünstler einnahm, war ungünstig nur in diesem besonderen Falle, und selbst hier nur so weit, daß als Kehrseite[174] sogleich wieder einer seiner höchsten Vorzüge hervortritt. Die Gestaltung der einzelnen Sätze anlangend, befindet sich die Melodie fast immer in den oberen Stimmen, auf festen schönen Bässen wie auf Säulen ruhend; alles, auch der durchdringend kräftige lebensvolle Rhythmus sowie der klare Periodenbau, drängt vorzugsweise auf Gesammtwirkung hin, nicht in dem Sinne reicher, durch harmonisches Zusammenwirken und -weben ein Gesammtbild erzeugender Einzelgestaltung, sondern in möglichst geradem Laufe, dessen Ziel schon von weitem erblickt oder doch von Anfang an als sicher erreichbar erkannt wird. Die Einheit überwiegt die Mannigfaltigkeit; an ein Verlieren in das Einzelne ist garnicht zu denken. Selbst da wo, wie in einigen der unbedeutenderen Sätze, die Violinen mit bunten Gängen geschmückt und die übrigen Stimmen nur einfach harmonisch gehalten sind, findet kein Verweilen statt, sondern das Ganze eilt wie ein leichtes Gewölk vorüber. Auch die eingestreuten Fugensätze sind nur dreistimmig (mit Ausnahme der merkwürdigen vierstimmigen Fuge in dem 6. Concerte), obwohl es ihnen weder an Kunst gebricht noch an Fülle der Harmonie. Das Leben tritt hier hervor mehr als volle Strömung, denn als vielgestaltiges Keimen und Wachsen; Strömung ist nun aber ein dem ursprünglichen Tonleben weit näher liegender Begriff, als Keimen und Wachsen. Eine solche Haltung gewährt auch der Empfindung des Zuhörers jene außerordentliche Sicherheit, mit welcher sie sich der Stimmung des betreffenden Tonsatzes sorglos hingiebt, über die Freude an den in feuriger Kraft oder sanfter Schwermuth oder heiterem Tanze vorüber ziehenden Klängen in angenehmer Gedankenlosigkeit ihrer selbst vergessend, und durchaus nicht in sich zurücksinkend oder grüblerisch sich in gewisse einseitige Stimmungen hinein bohrend mit dem Bestreben, sie durch den Strahl eines lichten Gedanken zu erhellen. Und eben hierauf beruht die Faßlichkeit der Händel'schen Instrumentalmusik, ihre Popularität, weil augenblickliche Wirkung auf Alle; zugleich aber erklärt sich daraus auch ihre Unzulänglichkeit, sobald es sich um ein Verlassen des an die ursprüngliche Tonempfindung gerichteten Schaffens und um das Betreten des einzig möglichen Weges handelt, auf welchem die reine Instrumentalmusik fortgebildet werden konnte. Unzweifelhaft ist das, was Händel hier bietet, wirkliche und wahre Musik; aber eine andere[175] Frage ist, ob seine Concerte den Namen derjenigen Musikgattung verdienen, welcher sie ihrem Titel nach angehören, nämlich der Kammermusik: und dies muß verneint werden. Bei der Kammermusik, vom einfachen Solo bis hinauf zu ihrem Gipfel, der Symphonie, kommt eben vorzugsweise alles das in Betracht und zur Bethätigung, was sich in Händel's Musik nicht findet. Keimen und Wachsen, Entwickeln und Ausgestalten; ein gewisses Helldunkel, verschlungene Wege und scheinbare Irrgänge nach dem Grundsatze daß der gerade Weg nicht immer der beste sei; Erregung einer nicht in vergnüglicher Gedankenlosigkeit den Geist erfrischenden, sondern das Gemüth sättigenden, mit bedeutendem Gehalt erfüllenden und nach dem ersten Heraustreten wieder auf sich selbst zurückführenden Stimmung; Hineinbohren in persönliche Gefühle so weit daß der Hörer sich der Musik gegenüber ganz eigentlich als Subject empfindet; Suchen nach Gedankeninhalt um sich aus der von allem rein subjectiven Gefühlsleben erzeugten Enge und Irre wieder zu befreien; Versuche die ganze Sichtbarkeit nebst der Welt des Geistes in diese Kunstart hinein zu ziehen und darin künstlerisch zu bewältigen; endlich Fortschreiten bis zur Aufstellung eines »Programms« oder bis zur Objectivirung des seinem Wesen nach immer rein subjectiven und daher lediglich von dem einzelnen Hörer zu erkennenden und zu empfindenden »Inhaltes«: das sind die Wesenheiten, Aufgaben, Stufen und Wirkungen der wahren Kammermusik oder derjenigen Instrumentalmusik, welche entsteht, wenn das mehr natürliche, dem ursprünglichen Tonsinne gemäße Musiciren aufgegeben und ein neuer Weg eingeschlagen wird zur Verwirklichung eines unstreitig höheren, aber nicht rein ursprünglichen sondern der Vocalmusik entlehnten Ideals. Die instrumentalen Mittel und Tonformen erhalten dabei die weiteste Ausbildung, der Tonsatz nimmt nach und nach eine ganz andere Gestalt an; die Melodie oder die Oberstimme und der Baß geben einen großen Theil ihrer. Herrschaft auf, die Mittelstimmen erwachen zu neuem Leben und gewinnen als Sprache der in dieser Tonlage sich bewegenden Instrumente ihre volle Selbständigkeit; die sogenannte thematische Schreibart tritt an die Stelle der wechselweis contrapunktischen concertirenden und einfach harmonischen, und während der Gesang der Menschenstimme eben in seiner Krone und feinsten Blüthe verkümmert[176] und abstirbt, erlangt die Instrumentalmusik einen »Inhalt.« Die Ausbildung der Kammermusik ging überall von Musikern aus, welche sich dem Gesange mehr oder minder verschlossen: zum Beweise, daß dieselbe nur da üppig gedeiht, wo der Gesang verstummt. So war es schon bei Corelli, bei Geminiani, der Raphael's Bilder und Tasso's Gedichte durch Saitenspiel vorzustellen unternahm, und bei fast allen in dieser Richtung arbeitenden Größen, bis zuletzt die instrumentale Art der Composition so mächtig wurde, daß sie auch das Vocalgebiet beherrschte und dadurch der gesammten Tonkunst eine andere Richtung gab. An der Ausbildung einer solchen Musik hat Händel sich nicht betheiligt, selbst nicht in den Werken, welche dem Titel nach dahin gehören und die man daher insofern als mangelhaft bezeichnen muß, wie sich denn auch in ihnen, obwohl die erhaltenen Stücke den langen Zeitraum von 1705 bis 1740 umfassen, kein namhafter innerer Fortschritt nachweisen läßt.

Der Grund dieser Unzulänglichkeit aller seiner Kammermusik als solcher ist nun der, daß Händel niemals in den Kunstideen zweiten und abgeleiteten, sondern immer nur in denen ersten und ursprünglichen Grades schafft, auch da wo erst das Wirken in Gemäßheit einer Idee zweiten Grades den betreffenden Gegenstand oder die Kunstart zur reichsten Entfaltung zu bringen vermag. Deßhalb stehen in seinen großen Gesangwerken die einfachsten Instrumentalspiele neben den ausgebildetsten Liedern und Chören, und doch bewegt sich alles in Harmonie auf demselben Boden; ein fühlbarer Widerspruch würde jedoch sofort entstehen, wollte man die Instrumentalstücke durch größere Orchestersätze nach neuerem Muster ersetzen. Dies ist die vorhin erwähnte, einen höchsten Vorzug einschließende Kehrseite der Händel'schen Orchestermusik, und eben dadurch wird sie so überaus lehrreich. Man muß es aussprechen, daß Händel hier nicht weiter gehen konnte, auch wenn er gewollt hätte; wie man aber sieht, fehlte ihm der Wille dazu gänzlich, denn die Beschränkung, der er sich unterwarf, war die des Ideals. In solcher Ursprünglichkeit beharrte er mit Bewußtsein angesichts der schon in seinen Tagen sehr entschieden einer neuen Richtung zuschreitenden Kammermusik, ja trat hier selbst den Wünschen seiner Freunde offen entgegen, welche sich, wie fast alle Zeitgenossen,[177] von der neuen Art der Tonverbindung lebhaft angezogen fühlten; Jennens, der Ordner des Messiastextes, beklagte es, daß Händel sich »hartnäckig« geweigert habe, die Ouvertüre zum Messias nach seinen Wünschen zu ändern oder durch eine andere zu ersetzen. Jennens' Wünsche gingen unzweifelhaft auf etwas poetisch Inhaltliches, auf das, was neuere Ouvertüren bieten oder erstreben und was Händel, wie gesagt, hartnäckig ablehnte.

Vier der bedeutendsten der 12 Concerte für Streichinstrumente wurden bei Händel's Gedächtnißfeier aufgeführt im Jahre 1784, als schon eine ganz andere Luft wehte. Burney's Mittheilungen darüber nehmen ein erhöhtes Interesse in Anspruch, weil er die Stücke noch unter Händel selbst gehört hatte, und mögen daher hier zum Schlusse eine Stelle finden.

»Das erste große Concert. Wenn das Beiwort grand, anstatt ein Concert in vielen Stimmen oder für ein großes Orchester zu bezeichnen, wie es gewöhnlich thut, hier gebraucht wäre um Großartigkeit und erhabene Würde anzudeuten, so würde dieses Wort hier mit entschiedenstem Rechte an seinem Platze sein: denn ich erinnere mich keines Stückes dieser Art, welches hochfliegender und edler wäre, oder in welchem die Ober- und Unterstimmen der Tutti oder vollen Zusammenklänge einen so bestimmten und unverkennbaren Charakter hätten; beide kühn und contrastirend, nicht nur mit einander, sondern auch mit den anmuthigen und sangbaren Solosätzen. Auch sah ich nie so viel in so kurzer Zeit gethan. Der erste Satz besteht nur aus 34 Takten und doch scheint nichts darin ungesagt gelassen zu sein, und obwohl er stolz und übermüthig anhebt, zerschmilzt er doch zuletzt zu sanften Tönen und scheint da, wo er in Moll übergeht, Ermüdung, Schmachten und Hinsterben auszudrücken. Das Thema des nächsten Satzes ist munter und angenehm. Und wenn die erste Violine eine Folge von gebrochenen Noten in der Octave hat, wozu der Baß in Terzen spielt, so macht die zweite Violine sie interessant durch das Einschneidende der scharfen, zu Sexten aufsteigenden Quinten, welche als Appoggiaturen oder Geschmacksnoten gebraucht werden. Während in dem Adagio die beiden Violinen nach Art der Vocalduette der damaligen Zeit singen, wobei die Stimmen, obwohl nicht aus regelmäßigen Fugen bestehend, doch voll sind von fugirten Nachahmungen,[178] unterstützt der Baß mit einer Händel eignen Kühnheit und Charakteristik auf eine gelehrte und sinnreiche Art den ganzen Satz hindurch das Thema der beiden ersten Takte mit großer Klarheit, Deutlichkeit und Stärke, entweder gerade oder in Umkehrungen. Die Fuge mit einem ariosen angenehmen Thema ist dicht gearbeitet und von Anfang bis zu Ende in einer dem Grundtone und seiner Quinte beständig treuen Modulation durchgeführt, ohne fremdartige Einschaltungen und Absprünge: nur wer den Werth und die Schwierigkeiten dieser Setzart kennt, kann den Reichthum und das Uebergewicht Händel's da, wo es sich um Fugen handelt, recht begreifen. Das letzte Allegro, im Zeitmaaß einer schnellen Menuett, enthält viele anmuthige und gefällige Stellen, besonders in den Sologängen. Ich habe dieses Concert oft in Vauxhall, Ranelagh und an andern öffentlichen Orten bald nach seiner Veröffentlichung von einem damals für zahlreich gehaltenen Orchester sehr gut aufführen hören; allein die Stärke, Würde und Bedeutsamkeit, welche jede Stelle und jeder Uebergang durch dieses unvergleichliche Orchester [bei der Gedächtnißfeier] erhielt, erneuerte und übertraf alles Vergnügen welches es mir je vorher gewährte.

Das fünfte Concert. Der Anfang dieses Tonstückes machte mir allemal den Eindruck, als sei er der lebhafteste und eigenthümlichste von allen Sätzen Händel's oder irgend eines andern Componisten nach Lully's Ouvertüren-Muster, welches eine gewisse zuckende, entschlossene und kriegerische Haltung zu erfordern scheint.26 Die beiden folgenden Sätze, von welchen nur der erste gespielt wurde, enthalten nicht viel mehr als die leichten und alltäglichen Gänge der damaligen Zeit. Das Largo jedoch ist ein ausgezeichnetes Stück an Harmonie und Modulation in der natürlichen und gesunden Schreibart Corelli's; und in dem folgenden Satze haben wir eine sehr frühzeitige Probe von dem italienischen Symphonienstyl, in welch letzterem schnelle Wiederholungen der nämlichen Note mit einem besseren Etwas contrastiren sollen, welches aber auch oft nichts weiter ist als bedeutungsloses Geräusch und Füllwerk, wie so viele Beispiele lehren.[179] Händel's Thema ist neu, bestimmt und angenehm, und die Baßbegleitung zu den schnellen Brechungen der Oberstimmen ist kühn und interessant. Das Finale (oder die Menuett) dieses Concertes fand an den englischen Componisten aus Händel's Schule so viele Bewunderer, daß sie es zum öftern ihrer Nachahmung würdig gehalten haben. (p. 57.)

Das sechste Concert. Der erste Satz ist feierlich und schmerzvoll; und das Fugenthema ist von bewundernswerther Eigenthümlichkeit, nämlich hinsichtlich seiner Beantwortung so fremdartig und verschlossen und daher so schwer zu bearbeiten, daß kein Componist von gewöhnlichen Fähigkeiten in dieser gelehrten Setzart es gewagt haben würde, mit einer so unnatürlichen Folge von Tönen sich in ein Fugiren einzulassen. Die Musette oder vielmehr Chaconne dieses Concertes war beständig in Gunst bei dem Componisten wie auch bei seinem Publikum; denn ich erinnere noch sehr wohl, daß Händel sie häufig zwischen den Theilen seiner Oratorien anbrachte, sowohl vor als nach ihrer Veröffentlichung.27 Wirklich dünkt mir keine Instrumentalcomposition, welche ich während der langen Beliebtheit dieses Stückes gehört habe, dankbarer und angenehmer, besonders in Hinsicht auf das Thema; die Solosätze und Verbrämungen waren nicht sehr neu zu der Zeit da Händel sie niederschrieb, aber sie machen vielleicht die Wiederkehr des ersten Gedanken um so angenehmer. Der Rest des Concertes, welchen man bei der Aufführung überschlug, verdient wenig Lob; Händel scheint derselben Meinung gewesen zu sein, da diese beiden letzten Sätze unter seiner eignen Direction häufig ausgelassen wurden.(p. 54.)

Das elfte Concert. Der erste Satz desselben, obwohl meisterhaft und auf einem soliden Grunde erbaut, ist doch für die Zeit, in welcher derselbe erstand, ungewöhnlich wild und eigensinnig. Die Fuge hat ein entschiedenes und thätiges Thema, welches ein wenig an einige andere Instrumentalfugen unsers Verfassers erinnert. Aber die Symphonie oder Einleitung zum Andante ist äußerst angenehm,[180] und [das Andante selbst] nicht weniger bemerkenswerth wegen seiner Anmuth, als wegen der Kühnheit mit welcher der Componist, um die Antworten nachahmend anzubringen, sich zwiefacher Dissonanzen unvorbereitet bedient hat. Die Solosätze dieses Andante waren vor vierzig Jahren mehr glänzend als leicht und natürlich für Bogen und Griffbrett. Das letzte Allegro, welches arios und phantasiereich ist, hat wirklich Sologänge, die sich dem Verfasser mehr am Clavier, als mit der Violine in der Hand eingestellt zu haben scheinen. Das ganze Concert wurde [i.J. 1784] von Herrn Cramer in einer keuschen Weise und überaus vorzüglich gespielt.« (p. 66–67.)

Hören wir auch, was Burney hierbei über einen vorhin berührten allgemeinen Punkt zu sagen weiß. »Zu Händel's Lebzeiten war es Mode, seine Compositionen für Streichorchester für weit unbeträchtlicher zu erklären, als die von Corelli und Geminiani; nach meiner Ansicht sehr mit Unrecht. Wenn jene beiden großen Meister das Griffbrett und die Eigenheit ihres Instrumentes besser kannten, als Händel, so muß man doch auch dagegen einräumen, daß er unendlich mehr Feuer und Erfindung besaß, als irgend einer von ihnen. Corelli war von Natur anmuthig, regelmäßig und sauber, doch furchtsam; Geminiani, verwegener und rhapsodischer, war häufig mangelhaft im Rhythmus wie in der Melodie. Seine Musik hat so wenig Einschnitte und Perioden, daß, wenn ein Anfänger in einer der untergeordneten Stimmen einmal den Weg verliert, er nie wieder hinein finden kann; während Corelli's Melodie so abgemessen ist, daß die Zahl der Takte gleich den Versfüßen in der Poesie zusammen stimmen, was einem unerfahrenen Spieler, wenn er nur ein gutes Ohr besitzt, wenig Schwierigkeiten bereitet.... Die kühnen Ideen, die Massen der Harmonie, die Contraste und stets ergiebigen Quellen der Erfindung, wovon Händel's Werke so voll sind, erfordern eine machtvollere Hülfsarbeiterschaft, um sie zu entfalten und in das rechte Licht zu stellen, als das sanfte Saitengetön Corelli's oder die wilderen Ergießungen eines Geminiani. Händel spielt und schäkert mit dem Orchester und bringt es auf zahllose unvermuthete Dinge, von denen Corelli und Geminiani nie den geringsten Begriff hatten und auch kein Bedürfniß dafür empfanden. Unstreitig erwarb er sich dadurch, daß er so lange für den Gesang und die Oper schrieb, mehr Erfahrung[181] und Kenntniß von musikalischer Wirkung, als irgend einer dieser bewundernswerthen Violinisten: so daß, angenommen ihr Genie wäre gleich gewesen, schon dieser Umstand für ihn den Ausschlag geben müßte.«28

Dieses alles als wohlbegründet anerkannt, wissen wir doch aus unsern obigen Bemerkungen, daß die Bevorzugung Corelli's, Geminiani's und ähnlicher »Kammermusik« vor Händel andere als rein musikalische Ursachen hatte und nicht die Musik und ihre reine Wirkung im allgemeinen, sondern den Geist einer nachwachsenden Kunstgattung im besondern betraf. Auch hat es nichts Auffallendes, wenn man in der hierher gehörigen Musik Händel's mehreren Spuren von Flüchtigkeit und Eilfertigkeit begegnet, als in seinen sonstigen Werken: hier im Fache der instrumentalen Kammermusik, wo er so viele entschieden kundige und glückliche Mitbewerber hatte und wo er, wenn er sie überbieten wollte, gerade den kräftigsten Wetteifer und die größte Behutsamkeit in der Ausarbeitung hätte geltend machen müssen, gerieth er dennoch in ein bequemes Sichgehenlassen, so daß man ihn an manchen Stellen mit einem »Philister über dir, Simson!« aufrufen möchte. Wo Händel's natürliche Ungeduld und der immer zum Ueberstürzen geneigte Drang der Kraft in ihm nicht durch erhabene oder doch völlig reine Ideen, vor denen er die unbedingteste Ehrfurcht hatte, gezügelt wurde, verleitete ihn seine wunderbare Schnelligkeit im Arbeiten zur Abfassung unbedeutender Sachen; er war sich dessen wohl bewußt und konnte darüber scherzen, wie die folgende Anekdote lehrt. »Mein Großvater war, wie mir erzählt worden, ein Musikenthusiast, und bewarb sich hauptsächlich um die Freundschaft der Tonkünstler, namentlich Händel's, welcher ihn oft besuchte und eine große Vorliebe für seine Unterhaltung hatte. Und dies führt mich auf eine Anekdote, die ich aus der besten Quelle habe.... Zur Zeit der Blüthe der Sommervergnügungen in Mary-le-bone (Mary-le-bone Gardens) spielte das dortige Orchester oft die bezaubernde Musik von Händel, und auch wohl die von Arne. Eines Abends, als mein Großvater und Händel in den Gärten[182] selbander spazierten ohne weitere Gesellschaft in ihrer Nähe, fing das Orchester ein neues Stück an. ›Kommen Sie, Herr Fountayne, sagte Händel, lassen Sie uns niedersitzen und das Stück anhören, ich möchte Ihre Meinung darüber wissen.‹ Sie setzten sich also, und nach einiger Zeit wandte sich der alte Geistliche zu seinem Genossen und sagte ›Es ist nicht des Anhörens werth – es ist armseliges Zeug.‹ ›Sie haben recht, Herr Fountayne‹, sagte Händel, ›es ist armseliges Zeug, ich selber dachte so, als ich's niedergeschrieben hatte.‹ Der alte Herr, nicht wenig überrascht, wollte Entschuldigungen machen; aber Händel versicherte ihn, solches sei unnöthig, die Musik tauge wirklich nichts, sie sei in der Eile componirt, seine Zeit sei damals sehr beschränkt gewesen, und das abgegebene Urtheil sei so richtig als ehrlich.«29 Händel hatte eine große Neigung für derartige Gartenbelustigungen. In des jüngeren Schmidt's Abschrift findet sich ein Stück vor, überschrieben »Hornpipe, composed for the Concert at Vauxhall 1740«, welches indeß wohl das einzige seiner Art und nur verfaßt sein dürfte, um dem Manne, der ihm ein Denkmal setzen ließ, eine Gefälligkeit zu erweisen. In den Gärten zu Vauxhall, Mary-le-bone und anderswo konnte eine zeitlang kaum andere Musik neben der von Händel aufkommen; man muß zugeben, daß seine Orchesterwerke durchaus nicht entehrt, sondern in gewissem Sinne ganz richtig bezeichnet werden, wenn man sie Gartenmusik nennt. Gartenmusik, Wassermusik, Feuerwerksmusik – alle diese Namen erinnern uns an Natur-Festlichkeiten und -Vergnügungen, denen sein Instrumentalspiel sich eben deßhalb so passend anschloß, weil es stets mit festem Fuße in der Tonwirklichkeit d.h. im Bereiche des elementaren Klanglebens stand.

Daß seine gesammte Richtung und Thätigkeit als Tonsetzer, auch die rein instrumentale Seite derselben, geleitet wurde nicht durch zufällige Begabung, Willkür, Neigung oder Abneigung, sondern durch ein künstlerisches Gesetz, bestätigt namentlich auch ein Blick auf seine Instrumentation. Im Fache der bloßen Instrumentalmusik hielt[183] Händel mit Bewußtsein eine Grenze ein, welche er in seinen Begleitspielen ebenso bewußt als sicher überschritt. Was seine Instrumentalmusik, da wo sie allein und selbständig auftrat, nicht oder nur wie in leisem Anhauche besaß, ward ihr in reichstem Maaße zu Theil sobald sie, ihre Alleinherrschaft aufgebend, sich einem größeren, von anderer Seite hervor gerufenen Ganzen anschloß. Durch dienendes Anschmiegen erreichte sie ihre Selbständigkeit. Und so ist es die Ordnung der Natur. Denn hülf- und mittellos in der Bezeichnung eines Gegenstandes, entfaltet die Musik der Instrumente in der Ausmalung einer gegebenen Situation eine wunderbare Stärke und unerschöpflichen Reichthum, Licht empfangend durch Wort und Gesang und farbenreichsten Glanz zurück strahlend. Was an sinnvollen, malerischen und poetischen Beziehungen nur irgend gedacht werden kann, findet sich in seiner Instrumentalbegleitung; alles wird hier lebendig, in mehr- oder minderem Grade je nach der Stellung welche die einzelne Gestalt in dem Gemälde einnimmt, alle Tonwerkzeuge führen die beredteste Sprache, und eine Grenze dessen, was auf solche Weise dem Ausdrucke möglich, ist, wie bei allem wahrhaft Lebendigen, garnicht zu bestimmen. Wesentlich hierdurch erhalten Händel's schönste Gesänge ihre bedeutungsvolle, aber durch keine Deutung zu erschöpfende Tiefe. Auch die rein musikalische Form an sich scheint unter dieser Sonne erst ganz zu reisen und voll auszuwachsen, unter Mitwirkung des weiteren Gesetzes, welches ebenfalls Händel's gesammte Kunstgestaltung durchdringt, daß ihm nämlich die höchsten Aufgaben immer am besten gelingen und seine ganze Kraft erstda hervor bricht, wo es gilt, gegensätzliche Weisen und Seiten der Kunst, in deren gesonderter Ausbildung andere Meister ihre Stärke haben, zu vereinigen und als ein so Geeinigtes zu vollenden. Seine Instrumentation ist in ihrem Gesammtcharakter unendlich einfach, übersichtlich und leicht verständlich, oft nur typische Gewandung, aber immer ein dem Gesange selbständig gegenüber tretender Tonkörper und dadurch von so entschiedener Wirkung. Das Hauptgewicht und die größte Kunst liegt, wie bei seinen Gesangmelodien im Accent, so hier in dem Grundmotiv, welches Kraft und Charakter wie ein verdichteter Kern einschließt: daher bei ihm die in gewissen Lagen stereotyp, doch in bewußter Absicht, wiederkehrenden Figuren und die Kraftentfaltung[184] mit den allereinfachsten Mitteln. Was so in dem Styl seines Kunstwerkes fest gegründet dasteht und sich bei näherer Betrachtung in eine wahre Musterkarte von Vorzügen auflöst, wird freilich noch immer fast allgemein unterschätzt und ist von späteren umarbeitenden Händen vielfach gestört oder entstellt, eben wegen seiner Leichtigkeit und durchsichtigen Klarheit, seiner großen Einfachheit und Unscheinbarkeit. Auf einzelne charakteristische und besonders gelungene Züge Händel'scher Instrumentation hier einzugehen, dürfte unnöthig sein, da die Hauptsachen bei den betreffenden Werken an Ort und Stelle berührt werden. Die Instrumentalmusik an sich wie in ihrer Mitwirkung beim Gesange ist bei Händel das Zweite, aber dies auch ganz entschieden in dem Sinne, in welchem es an seiner Stelle so durchaus nothwendig ist wie das Erste, der Gesang, da durch beides vereint erst das Höhere entsteht, was über die Vollendung der reinen Vocalmusik hinausragt und von der bloßen Instrumentalmusik nicht gebildet werden kann.

Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1867, S. 145-185.
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