2. Compositionen für Clavier und Orgel.

[185] Den Anfang der Herausgabe seiner Instrumentalwerke machte er im beginnenden Mannesalter und zwar mit einem herrlichen Werke für das Clavier, mit Compositionen die er in ihrer Art gleich unübertroffen setzte und ausführte.


Erste Sammlung. 1720.


Den vollständigen Titel dieser »Suites de Pièces pour le Clavecin« genannten Sammlung findet man schon im Vorworte der Ausgabe der deutschen Händelgesellschaft (Band II. 1859). Es war das erste Werk, welches er gemeinsam mit seinem Freunde Schmidt oder, richtiger gesagt, zum Besten desselben herausgab. Eine vorläufige Anzeige vom 2. Nov. '20 im Daily Courant verheißt »Mr. Handel's Harpsichord Lessons neatly Engraven on Copper Plates« zum 14ten; und am neunten wird hinzu gefügt, der Autor habe die Stücke in den Druck gegeben, um zu verhüten, daß das Publikum belästigt werde mit fehlerhaften Ausgaben, wie solche auswärts schon von[185] einigen derselben hinterrücks veranstaltet worden30; eine Bemerkung, welche das Vorwort fast mit denselben Worten wiedergiebt: »Ich bin veranlaßt worden einige der folgenden Stücke heraus zu geben, weil von denselben im Auslande hinterrücks fehlerhafte Exemplare in Umlauf gesetzt sind. Ich habe mehrere neue hinzu gefügt, um das Werk noch nützlicher zu machen, und wenn dasselbe sich einer günstigen Aufnahme zu erfreuen hat, werde ich fortfahren mehreres der Art heraus zu geben, es für meine Pflicht erachtend, mit meinem geringen Talente einer Nation zu dienen, von welcher mir eine so edle Protection zu Theil geworden ist. G.F. Händel.«31 In ihrer Bescheidenheit und Kürze eine ächt Händel'sche Ansprache, und namentlich auch noch darin, daß er das Werk der »Nation« darbrachte zu einer Zeit, wo italienische und leider auch viele deutsche Musiker höchstens bis zum Adel sich herab ließen, aber niemals bis zur Nation sich erhoben. Am 14. November wurde das Werk ausgegeben und für eine Guinee verkauft.32

Nach allgemeiner Annahme hätte Prinzessin Anna die Anregung zu diesen schönen Compositionen gegeben. Hawkins hat solches zuerst ausgesprochen, da wo er die etwas wunderliche Ansicht zum besten giebt, nach welcher die Tonsetzer einen zwiefachen Geschmack hätten, einen für sich, einen andern für das Publikum, und bekräftigend hinzusetzt: »Auch von Händel mag dieses gesagt werden, welcher, um nichts weiter zu nennen, ein Specimen von dem Styl, welcher ihm der liebste war, in einem Bande von Clavierstücken gegeben hat, von welchen keiner sagen wird, daß sich ihnen irgend eine andere Composition dieser Art gleichstellen läßt. Diese, gemacht für den[186] Gebrauch einer erlauchten Person, deren Geschmack und Urtheil ebenso sein und richtig war als ihre Hand zierlich und behende, können als Compositionen con amore angesehen werden und waren es in der That.«33 An einer andern Stelle sagt er deutlich, daß sie »für die Uebung der Prinzessin Anna componirt wurden.«34 Aber Prinzessin Anna war erst elf Jahre alt, als diese Musik im Druck erschien und höchst wahrscheinlich bis dahin noch garnicht von Händel unterrichtet (vgl. II, 175). Eher noch könnte man an seine damalige, ihm in großer Verehrung ergebene Schülerin Melusina von Schulenburg (II, 16) denken; doch liegt es viel näher, will man einmal nach äußeren Anregungen suchen, so hochgebildeten feinsinnigen Kennern wie Arbuthnot und Andern in den Kreisen des Grafen Burlington und des Herzogs von Chandos einen Einfluß auf die Entstehung dieser Stücke zuzuschreiben.

Auf eine Anregung ganz eigenthümlicher Art hat man die Melodie zurück geführt, welche mit ihren fünf Variationen den Schluß der fünften Suite bildet. Sie ist bekannt unter dem Namen »Der harmonische Grobschmied (The harmonious blacksmith)« und führt diesen Namen, weil Händel – so lautet die Erzählung –, als er eines Tages, in der Umgegend von Cannons spazierend, von einem Regenschauer überfallen wurde und in der Werkstatt des Grobschmieds und Kirchschreibers Powell Schutz suchte, hier den muntern Schmied dieses Lied singen und auf dem Amboß eine Art von einklingender Grundharmonie dazu anschlagen hörte. Aber dieses Geschichtchen wird nirgends glaubwürdig bestätigt; es scheint in einer verhältnißmäßig späten Zeit (um 1790) lediglich durch gedankenlosen Mißverstand oder absichtliche Täuschung entstanden zu sein. In Richard Clarke hat es einen Vertheidiger gefunden, der seiner würdig ist; der Schmiedemeister Powell ist von ihm in einer Person entdeckt worden, welche 1719, also wahrscheinlich erst nach Händel's Composition, geboren wurde, höchstens im Jahr vorher. Auch der unschätzbare Amboß ist als Lohn seiner tiefsinnigen Forschung endlich noch zu Tage gekommen, und alles zusammen hat Clarke sodann in einem[187] besondern Buche mit Wort und Bild ausführlich beschrieben.35 Powell's Amboß trieb sich in den letzten Jahren auf Londoner Auctionen herum und wurde endlich von einem Musikliebhaber erstanden, dem er jetzt fast ebenso theuer ist, als die in seinem Besitze befindliche Originalhandschrift von Händel's Testament! Dergleichen verliert an Lächerlichkeit und gewinnt sehr an Bedeutung dadurch, daß sich in England noch niemand fand, welcher Clarke's Narrheiten zurückgewiesen hätte, wohl aber gar mancher der es ihm in ähnlichen Dingen gleich zu thun sucht; überhaupt ist dort eine Leichtfertigkeit in der Behandlung historischer Fragen eingerissen, wodurch der Segen einer wahren geschichtlichen Erkenntniß völlig verloren geht. Nur unter solchen Verhältnissen vermochte ein Richard Clarke sich auch das weitere Verdienst zu erwerben, seinen Landsleuten (vielleicht durch Lüge und absichtliche Fälschung) den Ursprung ihres God save the King bis auf unsere Tage zu verhüllen.

Wäre die Frage nur, ob Händel diese »Air« als Thema seiner Variationen ganz neu geschaffen, oder nach einer schon vorhandenen bekannten Weise nur umgebildet habe, so müßte man letzteres für wahrscheinlicher halten. Und handelte es sich lediglich darum, ob Händel für dergleichen natürliche Phänomene und musikalische Straßenvorgänge ein Ohr gehabt habe, so könnte man dieses nicht bloß zugeben, sondern es sogar noch mit sichern Beweisen belegen. Selbst den Ausrufern in London horchte er ihre Töne ab; auf einem Blatte, welches ich im Fitzwilliam-Museum zu Cambridge fand, hat er (um 1735) über den Zündholzverkäufer John Shaw bemerkt: »John Shaw, near a brandy shop St. Giles's in Tyburn Road sells matches about«


2. Compositionen für Clavier und Orgel

36


Und Lady Luxborough schreibt an den Dichter Shenston, als dieser ihr seine Ansichten mitgetheilt hatte, wie die Puppentheater künstlerisch[188] zu verwerthen sein möchten, die merkwürdigen Worte: »Anlangend Ihren Einfall zur Verbesserung des Puppentheaters, so verachte ich ihn keineswegs etwa weil Sie an die bekannten Londoner Rufe und Gestalten, welche Kinder spielen, gedacht haben mögen; denn der große Händel hat mir erzählt, daß er die Anregungen zu manchen seiner allerbesten Gesänge dem Getön der Straßenrufe in seinen Ohren verdanke: und warum sollten also Ihre Augen nicht eine gleiche Anregung von der Art der Darstellung in der vorgenannten kleinen Bude empfangen können?«37 Was uns das Märchen vom harmonischen Grobschmied, wenn es gegründet wäre, lehren könnte, wissen wir also auch ohnehin.

Obwohl dieses Lied mit seinen Variationen von allen Stücken der Sammlung in England die weiteste Verbreitung gefunden hat, ist es doch nur das Eingänglichste und Leichteste, keineswegs das Gehaltvollste des ganzen Buches. Auf den musikalischen Gehalt gesehen, sind ihm fast alle Suiten und fast alle Sätze und Sätzchen derselben ebenbürtig. Voll von den anmuthigsten Melodien, in den Fugen von sprudelnder Lebendigkeit, außerordentlicher Freiheit und dem feinsten Gepräge, in den verschiedenen Tanzweisen von der vollkommensten Charakteristik und in dem ganzen Tongange von funkelndem Glanze, wurden sie bald den kunstgeübten Spielern und Hörern Englands und des europäischen Festlandes ein unerschöpflicher Quell des Vergnügens, mehr und allgemeiner als ein anderes Clavierwerk der damaligen Zeit. Hawkins sagt: »Händel's Clavierstücke bestehen aus Suiten, mit Fugen untermischt; letztere sind vielleicht mehr für die Orgel geeignet, und weil sie eine Meisterhand erfordern, werden sie nur wenig gespielt. Von den andern Stücken sind die Allemanden in der dritten, fünften und achten Suite wegen der Süßigkeit der Melodie und der reichen Ader der Phantasie welche sie durchströmt, unnachahmlich, gleich den Fugen in der zweiten, vierten und sechsten wegen der Enge der Harmonie und kunstvollen Verwendung ihrer betreffenden Subjecte. Kurzum, ohne Widerspruch zu[189] befürchten oder eine Ausnahme machen zu müssen, darf von diesen Compositionen behauptet werden, daß sie in ihrer Art die meisterhaftesten Erzeugnisse sind, die wir in der Welt kennen.«38 Diesen Vorrang gewann Händel, weil auch das genannte Werk im kleinen Rahmen alle diejenigen Eigenschaften wiederspiegelte, welche er vereint besaß. Und sodann kam hinzu, daß es in dem günstigsten Augenblicke erschien. Die ehrenhaften deutschen Meister um 1700 mit ihrem gründlichen Contrapunkte und ihrer Anlehnung an das deutsche weltliche oder geistliche Lied (Buxtehude, Kuhnau, Krieger u.a.) waren seit 1710 von den Franzosen (mit Couperin als ihrem Haupte) überholt, die einen ungleich geringeren harmonischen und contrapunktischen Gehalt in einer ungleich größeren Eleganz der Ausführung darreichten, während im Melodischen die Wage fast gleich stand. Höher und freier erhob sich zu dieser Zeit Domenico Scarlatti; doch als ein echter Schüler seines großen Vaters legte er den Vocalsatz, nämlich den Bau der Opernarien desselben, seinen Clavierarbeiten zu Grunde, und drang deßhalb vorläufig auch nicht weiter vor, als diese Opern. Nun kam Händel, der Zeit nach der Erste in welchem die Vereinigung der Setz- und Spielweisen der drei Völker vorhanden war, auf deutschem Grunde mit einer Hinneigung zum Italienischen um so viel, als Bach auf demselben Grunde zum Französischen neigte; daher beide auch in ihrer Art einzig geschaffen waren, Händel um vor Italienern mit dem Ersten der Ihren um die Wette zu streiten, Bach aber um einen der ersten Franzosen von einem französirten deutschen Hofe zu vertreiben. Fast zehn Jahre bevor Bach mit seiner großen Kunst allgemein den Norden und Muffat mit seinen seinen musikreichen Arbeiten den Süden Deutschlands beherrschte, war Händel auf dem Platze und legte den gebildeten Musikfreunden ein Werk vor, in welchem sie den gründlichsten Kunstsatz fanden ohne eine Spur jener Pedanterie, welche bislang von contrapunktischer Gründlichkeit untrennbar schien und ihnen deßhalb die Fugenkunst verleidet hatte. Hier war Schönheit, Leben und Freiheit, mehr als bei den freien oder, wie sie sich nannten, »galanten« Componisten.[190]

Die Form der Suite oder Partite ist von Händel nur deßhalb beibehalten, weil sie erlaubte eine große Mannigfaltigkeit von Tonsätzen unter die Einheit der Tonart zusammen zu fassen; aber die Reihe der Tanzweisen, welche sie herkömmlich bildete, ist durchbrochen und ganz nach freier Wahl eine neue Ordnung beobachtet, und bei jeder der acht Suiten eine andere. Das Ergebniß der Freiheit, mit welcher Händel hier schaltet, und seine Berechtigung dazu tritt aber erst bei einem richtigen Vortrage deutlich hervor. Alles unter eine Suite d.i. unter dieselbe Tonart Befaßte geht in einem einheitlichen Zuge vorüber, und zwar so, daß die verschiedenen Stücke Absätze bilden, welche im Laufe der Bewegung einander hervor rufen, ergänzen und heben. Nicht zur Darlegung irgend welcher Kunst, nicht für das Studium, nicht zwecks allseitiger Erschöpfung der eingeführten Tongedanken, sondern für den lebendigen Vortrag sind diese Suiten geschrieben: so sehr, daß der Vortrag den Eindruck eines unstudirten freien Ergusses hinterläßt. Als ein Extempore, geistig verstanden, ist diese Musik geschaffen, hierin allein findet die Kunstform, in der sie auftritt, ihre Erklärung, und als ein solches muß sie daher auch vorgetragen werden. Dies ist die Eigenthümlichkeit der Händel'schen Claviermusik, und durch ein derartiges Vorwalten schöpferischer Unwillkür und unbekümmert freier Phantasie unterscheidet sie sich – wenn wir Scarlatti ausnehmen, der sich dann aber auch in einem einzigen, ununterbrochen fortgehenden Satze auszusprechen pflegt – von den übrigen Claviercompositionen der damaligen Zeit. Ihre Haltung und die Mannigfaltigkeit ihrer Ordnung wird schon ein kurzer Ueberblick erkennen lassen.

Suite I, Adur, besteht aus vier Sätzen: Prélude, Allemande, Courante und Gigue. Hier sind es das eine tiefe Stimmung anschlagende, in jeder Hinsicht schöne und reiche Musterpräludium und die lebhafte Gigue, welche sich im Vortrage von dem Uebrigen gegensätzlich und glänzend abheben müssen.

Suite II, Fdur, besteht ebenfalls aus vier Sätzen, welche aber ganz freie Bezeichnungen erhalten haben, nämlich: Adagio, Allegro, Adagio, Allegro. Letzteres ist die glänzende Fuge


2. Compositionen für Clavier und Orgel

[191] auf welche wir S. 201 noch zurückkommen werden; sie bildet den Kern und Endpunkt einer Suite, die in einem kleinen Rahmen große und natürliche Contraste entfaltet.

Suite III, Dmoll, besteht aus sechs Sätzen: Prélude, Allegro (Fuge), Allemande, Courante, Air mit fünf Variationen, und einem auf dem Grunde der Arie entstandenen Presto. Die Suite sticht hervor durch Einheit in der Mannigfaltigkeit, und ein feurig-kräftiger Vortrag des längeren Schlußsatzes vermöchte dieser Suite gewiß den wirkungsvollsten Ausgang zu bereiten. Dieser letzte Satz bildet den Schluß des letzten der sogen. Oboenconcerte (S. 153) und wurde als eins seiner Haupt- und Leibmotive in dem Schlußsatze des vierten Orgelconcertes der dritten Sammlung (S. 161) abermals benutzt.

Suite IV, Emoll, hat fünf Sätze: Allegro (Fuge), Allemande, Courante, Sarabande, Gigue. Der Schwerpunkt ist hier nicht, wie bei den drei ersten Suiten, an das Ende gelegt, sondern in die lange bewundernswerthe, dem letzten Satze des fünften seiner Kammerduette ähnliche Fuge, welche den Zug eröffnet; die vier noch folgenden Sätze von geringem Umfange bilden gleichsam nur ein Nachspiel derselben.

Suite V, Edur, hat vier Sätze: Prélude, Allemande, Courante, und den harmonischen Grobschmied mit fünf Variationen. Richtiger gesagt, besteht diese Suite aus zwei völlig ebenbürtigen Hälften, die durch kunstvolle prangende Fülle auf der einen und kindliche Einfachheit auf der andern Seite in den wirksamsten Gegensatz gestellt sind. Das Vorspiel ist seiner Melodie nach nur ein vom Grundtone zur None sich erhebender und wieder absenkender Gang, aber die Art wie diese Stufen vorbereitet und theils steigend theils springend erreicht werden, liefert ein neues Beispiel des seinen Händel'schen Tonsinnes; und so anscheinend einfache, wie ungesucht aus den Fingern quillende Tonreihen sind wahre Kunststudien auch für den gewandtesten Spieler.

Suite VI, Fismoll, hat ebenfalls nur vier Sätze: Prélude, Largo, Allegro (Fuge) und Gigue, von denen der Fuge die größte Bedeutung zukommt und die Gigue ein munteres Nachspiel bildet.

Suite VII, Gmoll, besteht aus sechs Sätzen: Ouvertüre, Andante,[192] Allegro, Sarabande, Gigue und Passacaille. Je pomphafter der Einleitungssatz, desto einfacher ist die Passacaille am Schlusse; sie besteht aus nichts als sechzehn ungetrennt fortlaufenden Veränderungen über denselben Grundgedanken, deren jede nur vier Takte lang ist. Und es ist gewiß höchst merkwürdig, sowohl den Weg zu verfolgen, auf welchem der Componist nach dem Aufschwunge im ersten Satze in völlig naturgemäßem Laufe seiner Phantasie zu diesem Ziele gelangt, als auch zu sehen, wie er es anfängt, um anscheinend ein Uebungsexempel für angehende Compositionsschüler mit Anstand und sogar höchst wirkungsvoll einzuführen. Hier sieht man abermals, daß Händel seinem innersten Gefühle nach an die Einhaltung gewisser hergebrachter Kunstformen so wenig gebunden ist wie an die Darlegung eines programmatischen Inhaltes, und dennoch Form und Inhalt zu bewahren weiß.

Suite VIII, Fmoll besteht aus fünf Sätzen: Prélude, Allegro (Fuge), Allemande, Courante und Gigue; sie bietet wahrhaft Bedeutendes und hat an den beiden herrlichen Stücken Fuge und Allemande einen doppelten Mittelpunkt.

Ein solches Werk mußten alle Kunstfreunde, welche der Ausführung desselben gewachsen waren oder den rechten Spieler zur Hand hatten, dankbarst willkommen heißen, und sie haben solches vielfältigen Lobeserhebungen zufolge auch unzweideutig gethan. Aber wie sollten sich die Musiker als schaffende Künstler dazu verhalten? Sollten sie die Freiheit, mit welcher die hergebrachte Suitenform hier behandelt wurde, zum Muster nehmen? Gewiß sehr willig versuchten dies manche, und an Aufmunterung konnte es nicht fehlen. Aber wer vermochte wie Händel der tonkünstlerischen Phantasie eine solche Führerschaft anzuvertrauen, wenn der Strom derselben bei ihm nicht in Händel'scher Stärke floß? oder wer konnte eine gleiche geistreiche Verschmelzung der verschiedenen Setz- und Spielweisen zu Stande bringen, der nicht in gleichem Grade über die Besonderheit sich erhob und vollständig alle Style beherrschte? Und ferner, wie durfte die völlige Einlenkung in diesen Weg gut geheißen werden, so lange die vorhandenen Weisen noch so wenig erschöpft und diejenigen Formen, in denen die Kunst des Clavierspiels ihren zugleich gehaltvollsten und natürlichsten Ausdruck finden sollte, noch so ungenügend entwickelt[193] waren? Es war daher noch etwas anderes, als das Bekenntniß der Unfähigkeit, Händel im »fantastischen Styl« gleichkommen zu können, es war ein ganz richtiger Trieb der Entwicklung, wenn man sich hier, genauere Nachahmer Händel's wie Schmidt, Martini u.a. bei Seite lassend, an Scarlatti, Muffat und Bach, später namentlich an dessen Sohn Philipp Emanuel, hielt und Händel's Werk als eine klassische Besonderheit bestehen ließ. Diese Stellung wird es immer behaupten; zu allen Zeiten wird es die Menschen erfreuen und seine unverwüstliche jugendliche Frische offenbaren. In vielen Sätzen ist es kinderleicht zu spielen; aber wer die ganzen Suiten so vorzutragen weiß, wie sie im Geiste des Componisten, ihrer frei willkürlichen Gesammthaltung wegen, vorgetragen werden müssen, nimmt als Spieler einen sehr hohen Rang ein, denn in dieser Hinsicht gehören sie zu den schwierigsten Werken welche vorhanden sind.

In ihrer Kunstform sind Händel's Clavierstücke also den vorhin besprochenen Orchesterwerken gleich; beide stellen sich dadurch dem Strome der Entwicklung ruhig zur Seite, anstatt sich von ihm zu neuen Aufgaben und Versuchen forttragen zu lassen. Daß Händel trotz der begeisterten Aufnahme dieser ersten Sammlung sich nicht beeilte, die verheißene und theilweise schon zu Papier gebrachte Fortsetzung nachfolgen zu lassen, ja daß er auf dieselbe, nachdem sie einmal bei Seite gestellt war, nie wieder zurück kam, mag sich ebenfalls aus der besprochenen Sonderstellung erklären, welche er hier seinen mitlebenden, mitschaffenden Kunstgenossen gegenüber einnahm, und derzufolge er wenig Neigung spüren mußte, auf diesem Gebiete mit ihnen Schritt haltend in die Breite der Entwicklung einzugehen, weil für ihn kein irgend namhafter Gewinn dabei zu hoffen war. Wer nach einer äußern Erklärung sucht, weßhalb die Fortsetzung nicht zu Stande kam, der wird sie leicht in der unerwartet großen und aufregenden Thätigkeit finden, welche seit 1720 alle seine Kraft in Anspruch nahm, sowie in dem baldigen Aufhören des schutzlos dastehenden und daher nicht sehr gewinnreich ausschlagenden Selbstverlages. Erwerbsüchtige Verleger sorgten indeß für eine Fortsetzung, und natürlich für eine solche, die zunächst mehr für die Käufer als für die Kunst berechnet war.


[194] Zweite Sammlung. 1733.


Bereiten manche Sätze der Suiten, namentlich die fugirten, noch jetzt den Ausführenden große Schwierigkeiten, wie viel mehr mußte dies damals der Fall sein, wo die überwiegende Zahl der Spieler sich über den zweistimmigen Satz, hin und wieder durch vollgriffige Cadenzen unterbrochen, eigentlich nicht hinaus wagte! In demselben Geiste gehaltene, nur leichtere und deßhalb zur Einführung in die erste Sammlung geeignete Clavierstücke wurden vielfach gewünscht. Nun traf es sich, daß Händel bald nach der Herausgabe des ersten Theiles zum Abfassen eben solcher Compositionen eine natürliche Veranlassung hatte. Als Lehrer der Prinzessinnen zeichnete er nach und nach mehreres der Art auf, oder stellte es aus seinen früheren Arbeiten zusammen, Sätze, die, mit Ausschluß großer Präludien und Fugen aus den bekannten Tanzweisen der Suite, namentlich aber aus Gebinden kleiner Variationen bestehend, überaus anmuthig, melodisch und wohllautend wie auf Blumenpfaden zu einer höheren Stufe der Kunst hinleiteten. Was von diesen abschriftlich zu erlangen war, ließ Walsh durch einen seiner musikalischen Leibdiener zusammen stellen und brachte es im Jahre 1733 als zweiten Theil der Suiten (Suites de pièces pour le Clavecin, composées par G.F. Handel, second volume) zum Druck. Es geschah zu einer Zeit, wo er mit Händel in nahem geschäftlichen Verkehr stand. Nach unsern Begriffen erscheint ein Raubdruck unter solchen Umständen doch etwas zu abenteuerlich und die Thatsache würde zu bezweifeln sein, wenn sie nicht ebenso wohl durch den Druck selbst, als durch die Versicherung Händel'scher Freunde bestätigt wäre. Bernhard Granville, ein vertrauter Freund Händel's, hat auf seinem Exemplare (jetzt im Besitz von Lady Hall) bemerkt, dieses zweite Buch sei nicht von Händel selber herausgegeben, sondern voller Fehler zum Druck gebracht. Mit einem Fehler hebt gleich der erste Accord an. Versehen dieser Art habe ich in unserer Ausgabe leicht berichtigen können; aber ein völlig richtiger Text wäre nur zu gewinnen, wenn sich die wahrscheinlich seiner Zeit mit der Prinzessin Anna nach Holland gekommenen Originale oder authentische Abschriften erhalten hätten. Und vielleicht dann nicht einmal: denn es läßt sich annehmen, daß[195] für Händel die Fehlerhaftigkeit dieser Sammlung zum Theil in der Ordnung und Auswahl der Stücke bestand, obwohl die Freude an der reichen und schönen Musik uns schwer erkennen läßt, welche Stücke er hier bei etwaiger Herausgabe dürfte geändert oder ganz ausgeschieden haben. Vermuthlich war er namentlich darüber unwillig, daß der Raubdruck ihm die Möglichkeit nahm, den zweiten Theil durch Einfügung kunstvoller Präludien und Fugen dem ersten völlig gleich zu machen. Die Sätze sind zum Theil nicht leichter, Melodienreichthum und Mannigfaltigkeit sind ebenso groß als in der früheren Sammlung, ja der Gigue am Schlusse der sechsten Nummer (Ausgabe S. 92–96) kommt an Länge und Reichthum der Entwicklung keine der im ersten Theil enthaltenen gleich. Das Leichtere liegt in den kleinen Variationen, die hier massenhaft auftreten; sie sind so gehaltvoll, daß sie unstreitig eine besondere Zierde dieser Sammlung bilden. Unter denselben kann das köstliche gesangreiche Thema in Bdur (Nr. 1, Ausg. S. 66) mit dem harmonischen Grobschmied in die Schranken treten; und die neunte oder letzte Nummer, bestehend aus einem Thema von 8 Takten mit 62 achttaktigen Variationen (Ausg. S. 110–122), ist, wenn auch ein geringfügiger doch immerhin erstaunlicher Beweis von dem Formenreichthum und der Rhythmenfülle Händel'scher Phantasie, um so mehr, da ein melodisch wie harmonisch sehr ähnliches Thema (ebenfalls Chaconne genannt) in der zweiten Nummer (Ausg. S. 69–74) mit 21 Variationen erscheint.39

Der Einfachheit wegen druckte Walsh kaum ein Jahr später auch den ersten Theil nach, mit demselben Rechte, wie wir annehmen müssen, mit welchem der Hase in der Fabel den ihm nahe gewachsenen Kohl seinen Kohl nannte.


[196] Dritte Sammlung.


Der Zeitraum, in welchem die als »dritte Sammlung« vereinten Compositionen entstanden, ist ein sehr großer; er umfaßt vielleicht funfzig Jahre, und es ist mir noch gelungen, das Alter der meisten Stücke annähernd bestimmen zu können.

Der Gröningische Organist Lustig berichtet in einer alphabetisch angelegten Sammlung verschiedener Nachrichten über Musiker der damaligen Zeit: »Hendel, unter dessen Namen hat Witvogel 5 Clavierpiecen in Landchartenformat drucken lassen. Hendel pflegte zu sagen, er habe sie in seiner ersten Jugend gemacht.«40 Der schon in der vorigen Anmerkung erwähnte Witvogel war Organist und ein rühriger Verleger zu Amsterdam, ein Originaltaugenichts und großer Trunkenbold.41 Er druckte nicht fünf, sondern nur vier Stücke von Händel und zwar Ende 1732; denn am 19. Januar '33 kündigt ein Londoner Musikhändler als in Holland soeben erschienen an »Fünf Stücke für das Harpsichord, vier von Händel, das andere von Fiocco.«42 Lustig's Irrthum entstand also daraus, daß er meinte,[197] Händel habe das ganze, nur fünf Sätze enthaltende Werk componirt. Die Ausgabe von Witvogel war nicht aufzufinden, sie wurde uns entbehrlich durch die Abschriften, welche Lord Fitzwilliam von diesen Händel'schen Stücken nehmen ließ mit Hinzufügung der Nummer des Witvogel'schen Druckes. Es geht daraus hervor, daß der erste Satz der Sammlung von Fiocco war; die Stücke von Händel waren folgende:


Fantasia: Nr. 5 bei Witvogel, S. 133 der Ausg. d. Händ.-Ges. (p. 13 bei Arnold).

Capriccio: Nr. 3 bei Witvogel, S. 144 der Ausg. d. Händ.-Ges.

Preludio ed Allegro: Nr. 4 bei Witvogel, S. 148 der Ausg. d. Händ.-Ges.

Sonata: Nr. 2 bei Witvogel, S. 151 der Ausg. d. Händ.- Ges.


Dies also waren die Sätze, welche Händel »in seiner ersten Jugend« machte. Sie sind sämmtlich in einem lebhaften Zeitmaaße und von ziemlicher Länge, ausgezeichnet durch Geist, Munterkeit und das schönste Ebenmaaß in der Form. Dem humoristischen Capriccio in Four muß der Preis zuerkannt werden, auch in künstlerischer Hinsicht. Hatte Händel sich schon in Hamburg diese außerordentliche Klarheit und Sicherheit im Claviersatze errungen, so mußte ihm die Unreife seines Vocalsatzes nur um so mehr zum Bewußtsein kommen und dessen Durchbildung sodann seine volle Kraft in Anspruch nehmen.

Von den beiden Suiten, welche Nr. 1 und 2 unserer dritten Sammlung bilden, befinden sich die Originale im Fitzwilliam-Museum (die Gigue der ersten Suite ausgenommen), von zwei Stücken sogar die Reinschriften nebst den ersten Entwürfen. Beide Suiten sind ferner vollständig erhalten in der Abschrift des jüngern Schmidt im Buckingham-Palast, mit der Ueberschrift »Lessons Composed for[198] the Princess Louisa.« Dem Papier und der Handschrift Händel's zufolge müßten diese Stücke um 1736 entstanden sein, und genau in dieselbe Zeit weist uns Schmidt's Bemerkung, denn Prinzessin Luise, 1724 geboren, war etwa in ihrem zwölften bis dreizehnten Jahre soeben reif für diese verhältnißmäßig einfachen, kurzen Sätze.

Die ersten Takte des Capriccio in Gmoll (Ausg. S. 131) erscheinen im Alexanderfest zu Anfang des zweiten Theiles als Begleitung zu den Worten »Now strike the golden lyre again«; das Stück ist jedenfalls nicht nach der Ode d.h. nicht nach 1736 geschrieben, höchst wahrscheinlich aber nur kurze Zeit vorher. Auch von diesem besitzt das Fitzwilliam-Museum das Original.

Die Sonate in Cdur (Ausg. S. 154) führt uns hinsichtlich ihrer Entstehung in eine bedeutend spätere Zeit. Sie ist vorhanden in einem ersten Entwurfe (im Fitzw. Museum) und in einer ebenfalls von Händel gefertigten Reinschrift (im Buckingham-Palast), welche beide erst um oder kurz vor 1750 geschrieben sind. Die Reinschrift trägt eine Bemerkung von der Hand des älteren Schmidt: »by Mr. Handel. | the originall & His own Handwriting.« Sicherlich schrieb Vater Schmidt dies erst nach Händel's Tode, vielleicht als er den Bogen einem Freunde zum Geschenk machen wollte. Die Sonate geht im Basse nicht über die Tiefe der gewöhnlichen Violine hinaus, auch ist der Baß durchgehends im Violinschlüssel aufgezeichnet, wodurch das Ganze als Clavierstück ein etwas fremdartiges Ansehen gewinnt und auf ein Instrument von zwei Manualen berechnet scheint. Da eine Ueberschrift fehlt, bleibt die eigentliche Bestimmung der Composition ungewiß. Wichtiger ist uns zu sehen, daß diese Composition, die zu Händel's letzten Instrumentalsätzen gehört, keine irgend erheblichen Fortschritte gegen seine 30–40 Jahre älteren Arbeiten aufweist; denn der Sonatenform und ihrer Art der Melodiebildung im ersten Satze scheint er sich mehr gewohnheitsmäßig angeschlossen zu haben, bringt aber gerade ihrem wichtigsten Stücke, dem Finale, gegenüber den bei ihm als Schlußstück so beliebten Tanzsatz zur Geltung, zeigt hier also mehr Stillstand der Bildung und spröde Zurückhaltung von der neuen Richtung, als lebendiges Eingehen in dieselbe. Ganz anders war es auf diesem Gebiete bei Bach.[199]

In derselben Aufzeichnung, also wohl zu einem ähnlichen Zwecke geschrieben, begegnen wir einem Satze mit folgendem Anfange:


2. Compositionen für Clavier und Orgel

von welchem indeß nur die ersten 41 Takte erhalten sind (im Fitzwill. Museum), der Ueberschrift zufolge entstanden am »25. August 1738.«43


Vierte Sammlung. 1735.


Gleichsam als einen Nachtrag zu dem zweiten Theile der Clavierstücke gab Walsh, unstreitig mit Händel's Bewilligung, im Jahre 1735 sechs Fugen heraus, die er als »troisième ouvrage« bezeichnete, so daß nun zwei seiner Instrumentalwerke die Bezeichnung op. 3 führen, nämlich außer diesen Fugen auch noch die ein Jahr zuvor erschienenen[200] Oboenconcerte (s. S. 153). Ebenfalls um 1720 in Cannons entstanden, Nr. 2 in Gdur (Ausg. S. 163) etwa schon in der ersten englischen Zeit, verbreiteten sie sich bald abschriftlich auch nach Deutschland, denn Mattheson führt schon 1721 in der bald folgenden Stelle der Critica Musica die Fuge Nr. 4 ausdrücklich als eine »von seinen neuesten Fugen« an. Händel's Fugen, von jeher den Meisterwerken dieses Faches beigezählt, sind ebenso bemerkenswerth durch ihre geistvolle und eigenthümliche Behandlung, als durch ihren künstlerischen Werth. Gewöhnlich die Form der Doppelfuge beobachtend und an die gediegenen Arbeiten braver deutscher Fugenmeister, namentlich Joh. Krieger's und Kuhnau's, anscheinend einfach anschließend, gestaltet sich doch etwas ganz anderes, wie schon Mattheson sehr richtig erkannt hat. Mattheson's Paragraphen im Vollkommenen Capellmeister, die von Händel's Doppelfugen handeln, gehören zu den geistreichsten und schönsten Stellen des großen Werkes. Er sagt zunächst: »Zu Mustern dieser Arbeit der Doppel-Fugen, mit mehr als einem Haupt-Satze, und zwar, was erstlich die Ausführung mit zweien Subjectis anlanget, will ich von gedruckten Sachen die Kuhnauischen und Händelischen Werke auf alle Weise angepriesen haben.« Und nachdem er sodann Meister Kuhnau ausführlich durchgenommen hat, fährt er fort:

»§. 58. Ein paar Proben aus Händels Werke, oderSuites pour le Clavecin, die Ao. 1720 zu London gar sauber in Kupfer gestochen herausgekommen sind, dürfften hier nicht undienlich seyn, indem doch ein gantz andrer Geist daraus hervorleuchtet, und zwar ein solcher, der alle Auswege der Harmonie dergestalt kennet und besitzet, daß er nur damit zu schertzen oder zu spielen scheinet, wenns andern arbeitsam vorkömmt. Er macht sich so verbindlich nicht mit seinen Sätzen und Gegensätzen, als Kuhnau; sondern springet ab und zu. Indessen führet er das Hauptthema galant ein, und bringt es sehr offt an solchen Stellen an, da es keiner vermuthet noch suchet.

§. 59.


2. Compositionen für Clavier und Orgel

[201] Wer sollte wol dencken, daß in diesen wenig Noten, als einem dicken kurtzen Gold-Drat, ein Faden verborgen wäre, der sich hundertmahl so lang ziehen läßt?

§. 60. So kurtz die Sätze sind, so lang und wol hat sie doch der berühmte und geschickte Verfasser ausgeführet. Wir finden darin alles, was zu einer Doppelfuge mit zween Subjecten erfordert wird. Erstlich: die Länge, und noch dazu eine verschiedene, ist die bequemste, so man wehlen kan, nehmlich von andert halb Tacten. Zum andern, so ist der Umfang zwar in dem einen Satz bis auf die Septime gerathen; im andern aber macht er nur eine Qvart aus.

§. 61. Drittens ist das Leben, oder die Lebhafftigkeit so groß, daß die Noten gleichsam mit einander sprechen und schwatzen. Viertens thun die unisoni continuati, welche der Gleichförmigkeit des punctirten Satzes entgegen stehen, den rechten Abwechselungs-Dienst, der so angenehm als nothwendig ist. Fünfftens ist die Gegenbewegung auf das genaueste in Acht genommen, worauf alles ankömmt.

§. 62. Sechstens erscheinen die Gänge, Läuffe und Sprünge just eins ums andre; auch fehlet es an einer Bindung nicht, die zum Eintritt Anlaß giebt. Siebendens wechseln die Intervalle sein ab, nehmlich so: 3, 6, 8, 6, 3. Zum achten ist der Noten Geltung, oder der rhythmus in den Klängen, durch die Puncte sehr natürlich und nett ausgedrückt. Wozu neuntens noch kömmt, die Vermeidung der Schlusse, und zehntens der hie und da veranlaßte, unvermuthete Eintritt dieses oder jenes Thematis.

§. 63. Eine neue Art, da zwar erst mit einem Subjecto angefangen, dasselbige aber alsobald, als ob es nicht gefiele, verlassen wird; dahingegen zwei andre eingeführet werden, die in der Verwechselung Stand halten, gibt uns folgendes Exempel an die Hand:


2. Compositionen für Clavier und Orgel

2. Compositionen für Clavier und Orgel

[202] §. 64. Es bleibt aber nicht dabei, sondern das verlassenscheinende Thema wird wiederum [Takt 6] hervorgesucht, und zum Zwischenspiel, als eine einfache Fuge behandelt; in der That aber, dem ungeachtet, mit der doppelten fortgefahren: welches gewiß sehr artig herauskömmt.«44 Dennoch hat der Verfasser der neuesten Fugenlehre, Professor Lobe, sich eben diese Fuge erkoren, um uns die Schärfe seiner Beurtheilung zu zeigen. Er hat aber nicht bedacht, daß Händel voll ist von Zügen, die für überweise Schulmeister Selbstschüsse und Fußangeln sind.45 Mattheson führt noch ein anderes Thema an, welches in künstlerischer Freiheit mit Glück über eine Fugenregel hinaus schreitet. Er bringt gegen das Verbot, die Quarte bei zwei Stimmen frei anzuwenden, zuerst ein eignes Beispiel vor, und sagt dann: »Doch wir wollen unserm eignen Machwerk nicht trauen, sondern den weltberühmten Händel anführen, der gewiß, mit Ehren, in der Contrapunct-Schulen erster Classe sitzen kann, und wider dessen besondere Geschicklichkeit, in diesem Stücke fürnehmlich, niemand hoffentlich das geringste einzuwenden haben wird. Derselbe hat, in einer von seinen neuesten Fugen, folgenden schönen Satz


[Ausg. S. 168.]
[Ausg. S. 168.]

Hier ist die Quarta nicht als cambiata, auch nicht als eine durchgehende Note eingeführet; sondern als eine Ligatur, mit zwo Stimmen, also bloß hingesetzet. Wo bleiben denn die ohnmächtigen Contrapunct-Regeln, die mir solches verbieten?«46 Namentlich merkwürdig ist diese einfache Fuge in Hmoll wegen ihres Anfanges, denn die beiden ersten Takte lassen die Tonart unentschieden und verstoßen damit gegen ein bekanntes Gesetz, aber eben aus solcher Abweichung ist die melodische Schönheit des Themas entsprungen. Auch hierüber hat Mattheson sich erklärt: »Ungeachtet aber des erwehnten Zweifels wegen der Ton-Art, welcher bey erster Anhörung dieses Thematis erreget wird, ja,[203] ungeachtet der Satz im Endigungs-Ton anhebet und schließt; gibt er doch sonderbare Gelegenheit zur glücklichen Ausführung, und hat ihn Händel auf eine unverbesserliche Weise durchgearbeitet. So gewiß ist es, daß keine Regel ohne Ausnahme bleiben kan.«47 Das besprochene Beispiel lehrt deutlich, wie sehr Händel die Melodie über die erlernte Fugenregel setzte und durch Abweichung vom Gewöhnlichen zu verschönern wußte. Bedeutungsvollen Melodien begegnen wir hier überall; als eine solche führt Mattheson auch noch die der Fmoll-Fuge im ersten Theile der Suiten


[Ausg. S. 55.]
[Ausg. S. 55.]

namentlich an, indem er bemerkt: »Alle oberzehlte zehn gute Eigenschafften sind hier wiederum anzutreffen, und noch die elffte dazu, nehmlich die edle Einfalt und Ernsthafftigkeit des ersten Hauptsatzes, welche durch die zwischentretende kleine Pause klüglich unterbrochen wird.« Und die Sangbarkeit dieser Fugenmelodien ist so groß, daß Händel sie zu Vocalsätzen ausprägen konnte wovon zwei Chöre im ersten Theile des Israel lehrreiche Beispiele sind.[204]

Aus der ersten Nummer dieser Sammlung, der Doppelfuge in Gmoll


2. Compositionen für Clavier und Orgel

bildete er den Chor »Er schlug alle Erstgeburt Aegypten's« (S. 70):


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[205] Die Fuge hat 70 Takte, der Chor 66, mit dem Nachspiele 72, ist in den Hauptgedanken vocalmäßiger ausgebildet und also auch im Ganzen etwas verkürzt. Wie sehr der Contrapunkt hier zusammen gedrängt, dort lichter und gegensätzlicher gestaltet ist, wird erst bei einer genauen Vergleichung beider Sätze recht ersichtlich. Die ersten acht Takte verlaufen wesentlich gleich, soweit es die veränderten Motive und Tonlagen zulassen. Die Fuge zeigt im neunten und zehnten Takt einen fließenden Zwischensatz, im Chor aber das verkürzte, zuerst von zwei Stimmen in Decimen, sodann von zwei anderen Stimmen in Sexten gesungene Gegenthema


2. Compositionen für Clavier und Orgel

wodurch der Chor nicht nur sangbarer, sondern bei aller Einfachheit und Durchsichtigkeit auch kunstvoller geworden ist als die Fuge, weil er das Grundthema zu reicherer Entfaltung bringt. Der Eintritt des Hauptsatzes erfolgt sodann im Chore (Takt 11) einen halben Takt früher, was aber durch den um ebenso viel verspäteten Eintritt des Gegensatzes (Takt 15) wieder ausgeglichen wird; doch ist der Tongang des Chores anders und ruhiger, der Zusammenklang massenhafter. Bis hier haben Fuge und Chor wesentlich zusammen gehalten, mit Takt 15 beginnt eine längere Abweichung, in welcher der Chor wieder eine größere Kunst und Mannigfaltigkeit voraus hat, auch erst T. 28 mit T. 25 der Fuge zusammen trifft, aber durch das Beharren bei den Grundgedanken sich hier sogleich wieder von derselben unterscheidet. Auf's neue begegnet Takt 34 des Chores Takt 30 der Fuge zu einem gleichmäßig kunstvollen Gange durch mehrere Takte, worauf die Fuge (T. 34) mit dem Hauptthema in die entfernte Tonart Fmoll ausweicht, der Chor aber (T. 40) einem Ruhepunkte auf der Dominante der Tonart zueilt und hierauf die beiden Subjecte fünf Takte lang in Engführungen vorbringt, welche wieder auf der Dominante ihren Abschluß finden. Hier, Takt 45–53, wird sodann die Fugenarbeit des Chores durch einen einfach harmonischen, stoßweise


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vorgetragenen Gang unterbrochen, welcher ebenfalls auf der Dominante endigt; hart und nachdrücklich verkündet er, wie Gott die Häupter der Macht Aegypten's schlug, und erweckt zugleich[206] das Verlangen nach dem Hauptthema und dem ganzen Fugengewebe, so daß dieses nunmehr (T. 53–62) in noch kunstvolleren Engführungen wiederholt werden kann, bis es Takt 62 seinen Abschluß findet. Was dann noch darauf folgt, ist das choralartig langsam und feierlich wiederholte, fast einfach harmonisch begleitete Hauptthema, welches, alle Worte dieses Chores noch einmal zusammen fassend, hiermit das würdigste Ende erreicht.

Wie ganz anders die Orgel- und Clavierfuge! Durch reichen Tonwechsel und angenehme Bindungen schreitet sie in mannigfach kunstvoller Gestaltung zum Ziele hin, aber ohne die in dem Chore statt findende Unterbrechung des contrapunktischen Gewebes, und sie bildet zwar ebenfalls aus dem höchst klar und wirkungsvoll entfalteten Hauptthema ihren Schluß, aber nur so wie es sich für eine echte Meisterfuge ziemt, nämlich in gedrängter Vereinigung und kunstvoller Verbindung der beiden Hauptgedanken. Wäre es Händel nur um Contrapunktskünste zu thun gewesen, so würde er auf keinen Fall unterlassen haben, diesen Trumpf auch in dem Chore auszuspielen; auch hätte der Contrapunkt seiner Chöre dann wohl mehr Gnade gefunden vor jenen weisen Männern von Gotham, die sich zu Lehrern unserer musikalischen Jugend aufwerfen und selber noch die ersten Grundbegriffe einer Vocalfuge zu lernen haben. Wo es sinnvoll und sangbar ist, bringt er die Nachahmungen im Chore gern dichter zusammen, als in einer für Tasteninstrumente gesetzten Fuge, weil in der Breite des Chores mehr Melodien neben einander Platz haben und zu Gehör gebracht werden können, als auf einem einzigen Instrumente von gleicher Klangfarbe; in dieser Hinsicht kann also eine Singfuge mehr Künste enthalten als eine Clavierfuge. Aber aus demselben Grunde, um Wort und Vocalmacht vollauf zur Geltung zu bringen oder, dem Hörer gegenüber, um die Sänger nicht nur als eine Anzahl von Einzelpersönlichkeiten sondern auch als eine große Gesammtpersönlichkeit erscheinen zu lassen, bricht am geeigneten Orte der einfach harmonische Vollklang durch; und dieser ist bei Händel nicht nur überall, wo er zur Anwendung kommt, vollkommen berechtigt, sondern in einem höheren Sinne oft ebenso kunstvoll gestaltet, wie der verfeinertste Contrapunkt. Ein solcher Fall liegt hier vor, denn der vorhin bemerkte harmonische Zwischensatz kurz vor dem[207] Schlusse ist seinem Wesen nach nichts anderes, als ein Durchbruch des strengen und rhythmisch heftigen Grundbasses in der Singstimme, ein allgemeines Umsichgreifen dieser Stimmung, vor welcher das Hauptmotiv plötzlich ganz verstummt und das zweite Motiv sich theilweis in die obere Begleitung flüchtet: und man muß gestehen, daß der Chor erst durch den also hergestellten innerlichen Zusammenhang zwischen dem Basse und dem Gesange ein einheitliches Charakterbild geworden ist, erst hiermit eine feste abgerundete Gestalt gewonnen hat. Dieser letzte große Zug der Meisterhand war nöthig, um aus dem Chore etwas ganz neues ent stehen zu lassen, etwas anderes als seine contrapunktische Unterlage, die schöne Instrumentalfuge, enthielt oder ahnen ließ.

Viel einfacher ist das Verhältniß der originellen Fuge Nr. 5:


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zu dem andern Chore in Israel »Mit Ekel erfüllte der Trank nun: des Stromes Gewässer ward zu Blut« (S. 64):


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Beide bleiben bis Takt 15 wesentlich zusammen, eine große Kürzung des Chores verursacht sodann ein weites Auseinandergehen, bei welchem Takt 22 des Chores erst dem Takt 46 der Fuge einigermaßen[208] wieder begegnet; von hier bis zum Schlusse gehen sie einander zur Seite, doch mit größter Freiheit. Die Fuge ist 73 Takte lang und läßt das Hauptthema (1), siebzehn mal hören. Der Chor bringt es in seinen 42 Takten nur sieben mal vor, hält sich dagegen mit Recht an das Nebenthema (2) welches hier für den Ausdruck besonders ergiebig war und vielfach verwandt, versetzt und erweitert werden konnte; je seltener der Hauptgedanke dazwischen tritt, einen desto größeren Nachdruck verleiht er dem Ganzen, wie besonders aus seinem letzten Auftreten im Basse (Takt 33) zu ersehen ist. Auch dieser Chor, obwohl dem vorigen an Reichthum, Kunst und Originalität nachstehend, ist seiner Vorlage gegenüber durchaus selbständig, und beide Bildungen nach einer schon vorhandenen Musik sind wahrhaft goldne Muster, die in allen Lehrbüchern für Vocalfugen obenan stehen sollten. An solchen Lehrbüchern für dieses Fach mangelt es im Deutschen freilich noch so sehr, daß bisher unter uns kaum die Ahnung, viel weniger ein volles Verständniß von der Grundverschiedenheit des Baues der Instrumental- und der Vocalfugen geweckt worden ist.

Wie Bach der einfachen, so bedient Händel sich mit Vorliebe der Doppelfuge. Aber auch wo sie beide in Doppelfugen arbeiten, ist eine merkliche Verschiedenheit zu erkennen. Ueber ihre Behandlung derselben bei Einführung des Gegensatzes sagt Marpurg im trocknen Lehrtone: »Man brauchet nicht so lange zu warten, bis die anhebende Stimme ihr Thema durchgeführt hat; sondern man kann den Satz schon vorher eintreten lassen. So sind die meisten Händelischen Doppelfugen beschaffen.« Eine andere Art, fährt er fort, ist diese: »Wenn die anhebende Stimme ihr Thema vollendet hat: so läßt man sie, sobald die folgende Stimme dasselbe wiederhohlet, und zwar insgemein nach einer kleinen Pause, damit der Unterschied der Sätze desto merklicher sey, ein neues dagegen ergreiffen. Nach dieser Art findet man viele Doppelfugen vom Herrn Kuhnau und auch dem Herrn Capellmeister Bach gesetzt.«48 Auf eine weitere Vergleichung Händel's mit Bach und andern Fugenmeistern jener Zeit dürfen wir uns hier nicht einlassen, weil das instrumentale Fugenwesen nach[209] seiner ganzen Breite besprochen werden müßte, um namentlich Bach gerecht zu werden; es genüge daher die Anführung des Hauptergebnisses, welches dieses ist, daß die Fuge für Händel, sofern er sie instrumental verwandte, das wirksamste Mittel der Stegreifcomposition war, und ihm im übrigen diente Material für den Vocalsatz künstlerisch zuzubereiten, daß Bach hingegen mit Hülfe der Fugenkunst vollständig und erschöpfend das ganze Gebiet der Instrumentalcomposition auf seine strengste Form zurück führte, dadurch der Durchgangs- und Knotenpunkt der Instrumentalmusik wurde, von welchem die fernere Entwicklung derselben größtentheils ihren Ausgang nahm.

Das Stegreifspiel, welches wir vorhin (S. 191) als den Charakter des Händel'schen Claviersatzes bezeichneten, dehnt sich also auch auf seine Fugen aus und ist in der Form derselben wahrnehmbar, eben in dem häufigen Gebrauche der Doppelfuge und dem Zusammendrängen von Satz und Gegensatz, auch hie und da in den längeren Zwischengängen. Namentlich aber gehört dahin die Einführung der Hauptgedanken »wo man sie gar nicht vermuthet«, wie Mattheson versichert; in diesen Eintritten, welche den Hörer überraschen und zur Aufmerksamkeit anfeuern, ist eine Hauptwirkung der Händel'schen Fugen gelegen, und das leitet uns wieder auf das Vorwalten der Phantasie, deren eigentliches Wesen in dem Unwillkürlichen, dem Unberechenbaren liegt, selbst da wo sie sich im Gewande der strengen Fugenform ausspricht. Die Fugenentwürfe, welche sich in Händel's Handschrift erhalten haben, sind geschrieben wie man einen Brief schreibt, ein deutliches Bild des lebhaften Springquells seiner Phantasie; wie gründlich, wie unübertrefflich kunstvoll dennoch die Sätze ausgearbeitet sind, wird jede eingehende Untersuchung lehren.

Trägt nun Händel's Kunst im Clavier- und Orgelspielen wie im Setzen für diese Instrumente ganz eigentlich den Charakter eines unwillkürlichen freien Ergusses, hat sie hierin ihren Mittelpunkt, war auf eine derartige lebendige und unmittelbare Wirkung seine ganze Kraft gerichtet: so läßt sich erwarten, daß ihm bei seiner feurig vorschreitenden Natur und Ideenfülle in dieser Hinsicht das Außerordentlichste möglich war. Es wird uns denn auch ausdrücklich versichert, er habe hierin nicht seines Gleichen gehabt, und zwar bezeugt solches der einzige Zeitgenosse welcher wenigstens in diesem Fache sachkundig[210] und völlig unparteilich war, Mattheson. Die Vorzüge der Fuge vor dem Canon erörternd, sagt er: »Ich habe es mit beyden versucht, und finde die Doppelfugen viel schätzbarer, als die Canones: zumahl da sie auch grössern Nutzen, hauptsächlich in der Instrumental-Music haben, und nicht nur den Zuhörer ergetzen, sondern auch den Componisten und Spieler warm halten können. Von alten braven Maitres wüste ich keinen, der den Herrn Capellmeister Johann Krieger in Zittau darinn überginge. Und unter den jüngern ist mir noch niemand vorkommen, der eine solche Fertigkeit darinn hätte, als der Herr Capellmeister Händel: nicht nur im Setzen; sondern so gar im extemporisiren, wie ich solches hundertmahl, mit grössester Verwunderung, angehöret habe.«49 Einige Nebenumstände verleihen Mattheson's Worten erst das eigentliche Gewicht. Händel's Fugenextempore kann er seit dessen Abreise von Hamburg, also seit dem Jahre 1706, nicht wieder gehört haben, mithin hatte Händel sich den beschriebenen Grad von Kunstfertigkeit schon in so jungen Jahren angeeignet: eine Thatsache, auf welche uns auch die Betrachtung seines normalen, von Stufe zu Stufe aufsteigenden Bildungsganges[211] führt, denn erst dann wandte er sich nach Italien als er alles gelernt und überflügelt hatte was im Vaterlande zu lernen und zu überflügeln war, und das fugirte Clavier- und Orgelspiel war nebst dem Generalbasse auf dem protestantischen Boden seiner deutschen Heimath damals schon freier und vollkommner gediehen, als drüben im musikalischen Italien. Noch merkwürdiger ist aber, daß Mattheson obige Worte nieder schrieb ein Jahr nachdem er Bach in seiner vollen Reise und Stärke gehört hatte. Die betreffende Stelle ist anfangs 1723, frühestens Ende 1722 geschrieben; im Jahre vorher, 1721, war Bach in Hamburg und bewarb sich um den Organistendienst zu St. Catharinen, bei welcher Gelegenheit er sich auf allen namhaften Orgeln der Stadt hören ließ, die Bewunderung aller Kenner erregte, den bekannten ehrenvollen Ausspruch des hundertjährigen Reinken davon trug, aber wegen elender Käuflichkeit der Kirchenvorsteher des begehrten Dienstes verlustig ging. Mattheson war unter den Zuhörern; nur durch seinen Bericht (im Musikal. Patrioten S. 316): ist das schimpfliche Verfahren bei der Besetzung dieses Organistendienstes bekannt geworden; seit jener Zeit hegte er eine aufrichtige Bewunderung für Bach's Fugen- und Orgelkunst und strich sie passenden Ortes in seinen Schriften heraus; Parteinahme blendete ihn nicht, wo es sich um Bach oder Händel handelte; daß er hinreichend sachkundig war, zeigen seine Lehrbücher und seine beiden Sammlungen von Fugen, welche er 1735 und '37 als »klingende Fingersprache« herausgab. Dennoch hat er hier Bach nicht an Händel's Seite, viel weniger über ihn gestellt. Hätte er Bach etwa um 1705, also in seiner Jugend, Händel dagegen um 1721 d.h. in völliger männlicher Reise gehört, so könnte man einwenden (und ich würde diesen Einwand gelten lassen), daß der Abstand der Jahre und des Alters einen Vergleich billiger Weise nicht zulasse; die Sache liegt aber anders, nämlich anscheinend ungünstig nicht für Bach sondern für Händel. Den Worten Mattheson's vollen Glauben schenkend, auch aus inneren Gründen, bin ich doch aus eben solchen Gründen überzeugt, daß Bach in der Fertigkeit des Pedals, in der allseitigen Behandlung der Orgel, in der kunstvollen Variation über den Cantus firmus, in der Durchführung eines gegebenen Fugenthemas im fünf- und sechsstimmigen Satze, in der Sauberkeit eines[212] rein orgelmäßigen Spiels, und überhaupt in allem, das freie Extempore ausgenommen, Händel überlegen war und insofern der größte Orgelspieler bleibt; weil aber jeder von ihnen etwas besaß, was der andere nicht völlig erreichte, stehen sie wieder als ebenbürtig da. Mattheson hat sich auch hierüber unübertrefflich ausgedrückt. Die besten Organisten seiner Zeit aufzählend, beginnt er: »Insbesondere gehet wol Händeln so leicht keiner im Orgelspielen über; es müste Bach in Leipzig sein: Darum auch diese beyde, ausser der Alphabetischen Ordnung, oben an stehen sollen. Ich habe sie in ihrer Stärcke gehöret.«50 Alles das, was wir soeben als das Unterscheidende in Händel's und Bach's Orgelkunst angeführt haben, aus eigner Anschauung kennend, mußte er die Neigung verspüren, Bach in kunstvoller Behandlung dieses Instrumentes den Preis zuzuerkennen: aber die Erinnerung an die große Gewalt, mit welcher Händel's wie aus dem Nichts hervor gerufenes Doppelfugenspiel ihn ergriff, machte ihn wieder bedenklich, und so ließ er sie denn als Gleiche neben einander und über allen Andern stehen. Eine geschichtliche Wahrheit ist in diesem Urtheil ausgesprochen und die Grenze bezeichnet, welche hier in der Abschätzung der beiden großen Männer als Orgelspieler von Unparteiischen eingehalten werden muß.

Die Kunst der Stegreifcomposition, nicht mit der Feder sondern mit Händen und Füßen, konnte nur so hoch gedeihen in einer Zeit, wo dieselbe einen unerläßlichen Theil der Kunstübung bildete. Ihre unterste Stufe war das vierstimmige Spiel auf Grund eines gegebenen Basses, und hierin durfte Kuhnau's Ausspruche zufolge »kein Organist ohne Schande stolpern«; ihre höchste die kunstvolle freie[213] Begleitung und Leitung des Gesanges und das um-die-Wette-spielen mit ihm aus freier Erfindung. In dieser Kunst des Generalbasses war Händel vollkommen, als er aus Halle ging; wir dürfen annehmen, daß sein Lehrmeister Zachau, aller Mängel in der höheren Composition unbeschadet, den Generalbaß aus dem Grunde verstand und auf die trefflichste Weise zu lehren wußte. Schon in Berlin als Knabe leistete Händel hierin außerordentliches (I, 53), und später wird er uns immer als derjenige beschrieben, dem auch die schwierigst auszuführenden Stücke keine Verlegenheiten bereiteten. »Glaubet mir, ihr Meister von grosser Suffisance«, ruft Mattheson aus, »so viel eurer mir bekannt sind, einen eintzigen ausgenommen, man kan euch einenBass vorlegen, der gar nicht bunt seyn soll; er soll gantz langsam gehen; aus halben Schlägen, Vierteln und Achteln bestehen; dabei auch accuratissimè bezeichnet seyn; und wenn ihr sine haesitatione, die 5 ersten, ja die 2 ersten Noten recht treffet, so will ich euch loben. Gelt! solche Avanturen können unsern Stoltz ein wenig moderiren?«51 Der Organist, welcher gedungen war diesen Erstling Mattheson's schlecht zu machen (Buttstedt), verlangte den Baß zu sehen. Mattheson antwortet: »Mit dem verlangten General-Baß soll dem Gegner gedienet werden, so bald meine, schon vor 2 Jahren fertig liegende, Organisten-Probe das Licht sehen wird.... Aus der Frechheit aber, mit welcher der Opponens davon spricht, solte man bald schliessen, er bilde sich ein derjenige eintzige zu seyn, den ich p. 65 des Orchestre ausgenommen habe. Aber ich rede daselbst von solchen Künstlern, die mir bekannt sind, weil ich nun die Ehre nicht habe, den Herrn Organisten und seine Stärke imAccompagnement oder General-Baß zu kennen, so kan er versichert seyn, daß ich ihn nicht, sondern den Herrn Capellmeister Hendel gemeynet habe.«52[214]

Die höchste und allseitigste Ausbildung fand die dem Geschicke des Ausführenden anheim gegebene freie oder, wie man sie damals wohl nannte, phantastische Kunstweise auf der Bühne, sowohl im Gesange wie in dem begleitenden Clavierspiele, und dies war eine der Ursachen, weßhalb Händel's künstlerische Neigung sich so früh und andauernd der Bühne und dem auf dieser basirenden oratorischen Concerte zuwandte. Es ist wieder Mattheson welcher uns auch über Händel's »ad libitum« in der Oper (wie im Oratorium) lehrreiche Mittheilungen macht. Er sagt: »Der phantastische Nahm ist sonst sehr verhaßt; allein wir haben eine Schreib-Art dieses Nahmens, die wol beliebt ist, und hauptsächlich ihren Sitz im Orchester und auf der Schaubühne, nicht nur für Instrumente, sondern auch für Sing-Stimmen behauptet. Er bestehet eigentlich nicht sowol im Setzen oder Componiren mit der Feder, als in einem Singen und Spielen, das aus freiem Geiste, oder, wie man sagt, ex tempore geschiehet.... Aber es gehören tüchtige Köpffe dazu, die voller Erfindungen stecken, und an allerhand Figuren (bisweilen mehr als gar zu) reich sind. Andrer Künstler zu geschweigen, so hat der berühmte Händel [der ihm eben an allerhand Figuren ›bisweilen mehr als gar zu reich‹ war] offt, in seinen Schauspielen, solche Accompagnements gesetzet, dabey das Clavier allein, nach des Spielers Gefallen und Geschicklichkeit, ohne Vorschrifft [d.h. ohne ausgeschriebene Noten] in diesem Styl hervorragte: welches seinen eignen Mann erfordert, und etlichen andern, die es haben nachthun wollen, nur schlecht von der Faust gegangen ist; ob sie gleich sonst ziemlich Sattelfest waren.«53

Gleich groß muß die Kunst gewesen sein, mit welcher er die Singstimme auf dem Flügel begleitete, eine Kunst, die in ihrer Art mindestens ebenso werthvoll ist als das frei phantasirte Zwischenspiel, wenn auch weit unscheinbarer. Hier war er ganz nur der helfende Freund des Sängers, und dessen Fähigkeiten hervor zu locken und in das glänzendste Licht zu stellen, blieb sein einziges Augenmerk, und eben in solcher Rücksichtnahme gelang ihm bei aller Einfachheit eine wahrhaft mustergültige Begleitung von großer Schönheit. Die ausgesetzten Begleitstimmen seiner Partituren lassen uns diese Kunst noch[215] deutlich erkennen, denn ein wesentlicher Punkt der Händel'schen Instrumentation ist Hervorrufung des Gesanges, auch da wo sie, über eine bloße Verstärkung der Singstimmen weit hinaus gehend, das Tonbild selbständig ausbildet und dem Satze des Sängers seinen natürlichen Gegensatz frei gegenüber stellt; unerreicht bleiben Händel's oft so einfache Vor- und Zwischenspiele in der Art, den Gesang zu wecken, zu stärken, zu dämpfen und wieder neu zu beleben. Doch ganz abgesehen hiervon, muß schon ein Blick auf seine Wirksamkeit in der Opern-, Concert- und Oratorienleitung erkennen lassen, daß auch dem größten Studium und Fleiße etwas Derartiges nicht möglich gewesen wäre, hätten ihn nicht wunderbare Fähigkeiten unterstützt, Fähigkeiten im Begleitspiel wie in der Direction die so erstaunlich waren, daß er bei der oft gänzlichen Zertrümmerung seiner Gesellschaft in wenigen Wochen oder gar Tagen nicht nur neue Tonwerke sondern auch neue Organe zu ihrer Ausführung schuf. Schöpferisch im eigentlichen Sinne muß auch hierin seine Thätigkeit genannt werden, und wenn Händel als ausübender Künstler irgendwo unbestritten den obersten Platz einnehmen darf, so ist es in der Begleitung und Aufführung von Gesangwerken.

Die unermüdlichste und bescheidenste Thätigkeit ging hierbei mit dem größten Geschicke Hand in Hand. Es wird Manche, die immer nur von dem stolzen tyrannischen Händel gehört haben, in Verwunderung setzen zu vernehmen, daß er, die neuen Arien in der Tasche, zu seinen Sängerinnen wanderte, um sie ihnen am Clavier einzuüben, und das in einer Stadt von meilenweiter Ausdehnung. Auch noch im Alter beobachtete er diese Zuvorkommenheit, wohl wissend, wie vortheilhaft hier nicht nur sein Lehrgeschick, sondern auch seine natürliche Einfachheit und humoristische Gutherzigkeit wirkte und die bei den öffentlichen Aufführungen vorgefallenen Wunderlichkeiten wieder gut zu machen geeignet war. So hatte es vor Zeiten schon der treffliche, im hohen Alter auch noch mit Händel's Kunst sich befreundende J.S. Cousser54 gehalten, den Mattheson das vollkommenste Muster eines Dirigenten nennt; gleich diesem »zitterte und[216] bebte« auch vor Händel Alles sowie es zu der öffentlichen Probe oder Aufführung kam, und »da wußte er manchem seine Fehler mit solcher empfindlichen Art vorzurücken, daß diesem die Augen dabey offt übergingen.«55 Burney erzählt: »Im Jahre 1745 spielte ich mit in seiner Gesellschaft, mitunter auf der Violine und mitunter auf der Viola, und durch den Besuch der Proben, welche gewöhnlich in seinem eignen Hause in der Niedern Bachstraße (Lower Brook-street), mitunter aber auch, und zwar auf Wunsch seines beständigen Patrons, des Prinzen von Wales, in Carlton-House stattfanden, stillte ich meine sehr erpichte Neugier, Person und Benehmen eines so außerordentlichen Mannes zu sehen und zu beurtheilen, wie auch ihn auf der Orgel spielen zu hören. Er war bei diesen Gelegenheiten ein barscher und entschiedener Befehlshaber, hatte aber einen Humor und Witz im Aussprechen seiner Anweisungen und selbst im Schelten und Fehler ausfindig-machen, der ihm ganz eigenthümlich und Allen äußerst ergötzlich war, diejenigen ausgenommen welche der Hieb gerade traf.«56 Selbst in Carlton-House nahm er keine Rücksicht, nicht einmal gegen den fürstlichen Besitzer, wohl aber war dieser wie die liebenswürdige Gemahlin desselben rücksichtsvoll gegen ihn. »Die Stimme, mit welcher er am Schlusse einer Arie ›Chorus!‹ zu rufen pflegte, war wirklich fürchterlich; und bei den Proben seiner Oratorien in Carlton-House pflegte er sehr heftig zu werden, wenn der Prinz und die Prinzessin von Wales nicht zu rechter Zeit in den Musiksaal traten; doch so groß war die Verehrung mit welcher Se. kön. Hoheit ihn behandelte, daß man den Prinzen, indem er zugab Händel habe Grund gehabt sich zu beschweren, äußern hörte: ›Wirklich, es ist hart, diese armen Leute (er meinte die Spieler) so lange vom Stundengeben und andern Geschäften abgehalten zu haben.‹ Wenn aber die Ehrendamen oder sonstige weibliche Begleiter des Hofes während der Aufführung plauderten, so fürchte ich daß der moderne Timotheus nicht bloß fluchte sondern auch Namen rief; doch die Prinzessin von Wales pflegte dann mit gewohnter Milde und Sanftmuth zu sagen: ›Still, still! Händel ist böse.‹«57[217]

Die harmonische Vereinigung wunderbarer Geistes- und Körperkräfte, welche seine imposante Persönlichkeit bildete, verlieh einem solchen Auftreten erst den rechten Nachdruck und bei allem Ungewöhnlichen eine maßvolle Würde. Seine Körperkraft war so groß, daß er stundenlang mit gekoppelter Orgel spielen konnte. Hatte er, was anfangs in England häufig der Fall war, eine Orgel unter Händen, welche zwei Claviere besaß aber kein Pedal, so bildete er sich ein solches mit Hülfe eines Stückes Blei58: ein Verfahren welches nur bei einer Händel'schen oder Bach'schen Beweglichkeit möglich war. Seine spätere Corpulenz gab seinem Ansehen zwar etwas Bärenhaftes, was in Witzen und Spottbildern ausgebeutet wurde, scheint aber seinem Spiele nicht im mindesten hinderlich gewesen zu sein. »Im Hause der Sängerin Cibber pflegte er Sonntags Abends den Schauspieler Quin zu treffen, welcher trotz seiner angebornen Rauhheit ein großer Liebhaber der Musik war. Gleich das erste Mal, als Quin gegenwärtig war, bat Frau Cibber den großen Tonkünstler sich an's Clavier zu setzen, und ich erinnere mich daß er die Ouvertüre aus Siroe (II, 180) spielte und uns alle durch die außerordentliche Nettigkeit entzückte, mit welcher er die Jigg am Schlusse derselben vortrug. Als Händel weg gegangen war, wurde Quin von Frau Cibber gefragt, ob er nicht meine, daß Händel eine allerliebste Hand habe. ›Eine Hand, Madame?‹ versetzte Quin, ›Sie irren, 's ist ein Fuß.‹ Ach was! sagte sie, hat er nicht einen schönen Finger (Anschlag)? ›Zehen, Madame, bei meiner Treu!‹ Wirklich war seine Hand damals so fett und rund, daß die Knöchel, die doch gewöhnlich hervor stehen, bei ihm, wie bei kleinen Kindern, Grübchen bildeten und im Fleische lagen; sein Anschlag war dessen ungeachtet so sanft und der Ton des Instrumentes so gemäßigt, daß seine Finger an die Tasten anzuwachsen schienen. Sie waren so gebogen und dicht an einander, wenn er spielte, daß man keine Bewegung und kaum die Finger selbst wahrnehmen konnte.«59

Händel's Arbeitsfreudigkeit und Fleiß, wenn man auch nur die auf das Clavier- und Orgelspiel sowie auf die Einübung und Aufführung[218] der Musik verwendete Zeit in Anschlag bringt, war recht eigentlich ein deutscher Fleiß und zeigt ihn als Abkömmling eines Volkes, welches noch immer, in der Heimath wie in der Fremde, am andauerndsten und wohl auch am reinsten bemüht gewesen ist, den Fluch Adam's, im Schweiße des Angesichtes Brod zu essen, sich in einen Segen zu verwandeln. »Er hatte ein Lieblingsharpsichord von Rücker, dessen Tasten durch unaufhörliche Uebung ausgehöhlt waren wie ein Löffel.«60 »Wie man mir erzählt hat, übte er sich während der Oratorienzeit fast unaufhörlich; und das muß entweder der Fall, oder sein Gedächtniß ungewöhnlich stark gewesen sein, denn in seiner Blindheit spielte er verschiedene von seinen alten Orgelconcerten, die er durch vorherige Uebung seinem Gedächtnisse eingeprägt haben muß. Zuletzt jedoch zog er es vor, sich lieber auf seine Erfindung als auf seine Erinnerung zu verlassen: denn indem er dem Orchester nur das Gerippe oder die Ritornelle eines jeden Satzes gab, spielte er alle Solosätze aus dem Stegreif, während die übrigen Instrumente ruhten und auf das Zeichen eines Trillers warteten, bevor sie die Bruchstücke der Symphonie abspielten welche in ihren Büchern standen.«61 Derartige Orgelconcerte wurden nicht in allen Oratorien angebracht, dagegen fehlte in keinem derselben das Orgelsolo mit welchem Händel seine Versammlung in einem der Zwischenakte regalirte. Es war eine freie Phantasie, ein Capriccio oder, wie es die Engländer bezeichnend aber schwer übersetzbar nennen, Voluntary oder ein Freispiel, also das, worin er von jeher auf der Orgel seine Stärke hatte, nur von den Doppelfugen, welche einst Mattheson und später die Besucher des Nachmittagsgottesdienstes in der St. Paulskirche in Erstaunen setzten, jetzt darin sich unterscheidend, daß es sich noch rücksichtsvoller der Fassungskraft der Zuhörer anbequemte und mehr dem Angenehmen und Lieblichen, als dem Gelehrten nachging, ohne die Fugenkunst gerade auszuschließen. Ein Zuhörer Händel's aus seinen letzten Jahren führt Rousseau's Beschreibung des Präludiums an, in welcher es heißt: »Auf der Orgel und dem Clavier ist die Kunst des Präludiums von besonderer Wichtigkeit: hier ist es[219] die Fähigkeit, aus dem Stegreif Stücke zu componiren und auszuführen, welche voll sind von allem was nur die künstlichste und gelehrteste Composition enthalten kann, sei es in der Anlage, in Fugen, Nachahmungen, Modulationen und Harmonien. Es ist vornämlich solch ein Präludium, in welchem große Musiker, befreit von den engen Fesseln, welche das kritische Auge ihnen bei der Ausführung geschriebener Musik anlegt, jene glänzenden und kunstvollen Tonmassen erzeugen welche die Zuhörer in Erstaunen setzen. Um dieses zu können, ist eine vollkommne Meisterschaft auf dem Instrumente und eine zarte und geläufige Hand keineswegs ausreichend; das Feuer des Genies muß hinzu kommen, der schöpferische Geist der in demselben Augenblicke solche Tonreihen zu schaffen und auszuführen vermag, welche am meisten die Gesammtharmonie und die Freude der Zuhörer erhöhen« – – Und setzt hinzu: »Das ist Rousseau's Idee von einem guten Präludium, und wenn irgend einer meiner Leser alt genug ist um sich zu erinnern, wie der große Händel jenes Capriccio ausführte, welches er gewöhnlich zwischen einem der Akte seiner Oratorien im Coventgarden-Theater spielte, der wird, glaube ich, mit mir überein stimmen, daß die unübertreffliche Vorzüglichkeit dieses Spiels durch keine Worte vollkommner ausgedrückt werden kann, als durch die des angeführten Schweizer Kritikers. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß die ungleich bessere Weise, in welcher seine Oratorien beides in vocaler und instrumentaler Hinsicht seitdem in der Westminsterabtei und anderswo aufgeführt sind, mir jenes Orgelsolo nicht zu ersetzen vermag, welches nun leider! nicht mehr gehört wird.«62 Das sagt jemand, der weit entfernt war, ein Bewunderer Händel'scher Kunst zu sein, so weit daß er bei einer früheren Gelegenheit an Horaz Walpole schreiben konnte: »Laß Händel's Musik auf dem harten Trommelfell königlicher Ohren [Georg's III.] vibriren; ich bin nicht dafür gemacht.«63[220]

Doch ein anderer Freund Walpole's, unser Sir John Hawkins, war einer der wärmsten Verehrer des großen Mannes und hat uns ebenfalls eine Schilderung seines Orgelspiels hinterlassen. »Sein Spiel auf der Orgel anlangend«, beginnt Sir John, »ist das Bereich der Sprache so beschränkt, daß es fast eine vergebliche Unternehmung ist, dasselbe auf andere Weise beschreiben zu wollen, als hinsichtlich seiner Wirkung. Ein schöner und zarter Anschlag, ein fliegender Finger und ein fertiger Vortrag der schwierigsten Gänge ist das was man bei untergeordneteren Künstlern zu preisen pflegt: an diese Dinge dachte man bei Händel nicht, dessen Vortrefflichkeiten von einer weit höheren Art waren; denn seine erstaunliche Gewalt über das Instrument, die Fülle seiner Harmonie, die Großheit und Würde seines Styles, seine unbegrenzte Einbildungskraft und die Fruchtbarkeit seines Erfindungsvermögens waren Eigenschaften, welche die genannten geringeren Zeichen der Künstlerschaft gänzlich absorbirten. Gab er ein Orgelconcert, so war es gemeiniglich sein Verfahren, dasselbe einzuleiten mit einem freien Präludium in den Octaven64, welches sich in einer langsamen und feierlichen Folge in das Ohr einstahl; die Harmonie dicht gewebt und so voll wie es nur auszudrücken möglich war, die einzelnen Perioden erstaunlich kunstvoll mit einander[221] verbunden, wobei dennoch das Ganze vollkommen verständlich blieb und den Anschein einer großen Einfachheit hatte. Einem solchen Präludium folgte sodann das Concerto selbst, welches er mit einem Grade von Geist und muthiger Sicherheit ausführte, dem niemals einer gleich zu kommen sich vermaß. Dies war im allgemeinen die Art seines Spieles; aber wie soll man die Wirkung desselben auf die entzückte Versammlung beschreiben! Stille, der wahrste Beifall, erfolgte in dem Augenblicke, in welchem er sich anschickte die Orgel zu berühren, eine so tiefe Stille, daß sie das Athmen hemmte und über den Lauf der natürlichen Functionen Gewalt zu üben schien, während seine wunderbare Hand die Aufmerksamkeit der Hörer wach erhielt nur um jene bezaubernden Töne zu vernehmen welche sie hervor brachte65.... Zu den Zeiten wo die Musik noch weniger allgemein verbreitet war als sie es jetzt ist, waren manche, sowohl Männer als Frauen, naiv genug zu gestehen, daß ihnen der Sinn dafür fehle, indem sie sagten ›Ich habe kein Ohr für Musik‹: und eben solche Personen, welche, wären sie sich selbst überlassen geblieben, die Aufmerksamkeit Anderer durch Geschwätz unterbrochen hätten, wurden durch Händel's Spiel nicht nur in Stille und Entzücken versetzt, sondern waren auch gewöhnlich die lautesten im Beifallklatschen. Dieses, wenn man es auch nicht für einen kunstverständigen Beifall halten kann, war doch ein viel stärkerer Beweis von der Macht der Harmonie, als dieselbe Wirkung bei einer nur aus einsichtigen Kennern und vernünftigen Bewunderern der Tonkunst bestehenden Versammlung gewesen wäre«, – und zwar besonders deßhalb, weil Händel eine solche Wirkung erzielte ohne, wie so viele andere berühmte Virtuosen früherer und späterer Zeit gethan haben, die Würde der Kunst zu verletzen. Denn niemals rief er mit irgend einer Seite seines Spiels je den Spott hervor, was doch in seiner Umgebung sicherlich geschehen wäre, hätte er den unerhörten Beifall irgendwie durch äußerliche Kunststücke erreicht; sein Spiel war vielmehr so rein und auch in sittlicher Hinsicht so vollgehaltig,[222] daß es, wie das angeführte Lied v.J. 1735 sagt, selbst die Grollenden bewegte und Feinde versöhnlich stimmte, und seine gebildetsten und strengsten Zuhörer haben nie etwas anderes darin vernommen als das Flügelrauschen des ächten Kunstgeistes.

»In Händel's Person«, fährt Hawkins fort, »schienen sich alle Vollkommenheiten der musikalischen Kunst zu vereinigen. Er hatte es niemals bis zu einem meisterhaften Violinisten gebracht und die Uebung auf diesem Instrumente unterlassen seit er in der Hamburger Oper den Flügel spielte; jedoch, wenn es ihm einfiel die Wirkung irgend eines von seinen Violinstücken zu versuchen, war sein Geigenton ein solcher, den sich die fähigsten Meister zum Muster nehmen konnten. Ja was noch außerordentlicher ist, ohne eine besondere Stimme zu haben war er ein vorzüglicher Sänger solcher Musik, welche mehr einen gefühlvollen Ausdruck der Melodie, als einen schnellen und gewandten Vortrag erforderte. In einer Unterhaltung mit dem Verfasser dieses Werkes lieferte er einstmals den Beweis, daß eine schöne Stimme nicht das Haupterforderniß des Gesanges ist; das Gespräch betraf den Kirchengesang (psalmody), wobei Hr. Händel behauptete, daß einige der herrlichsten Melodien, welche in deutschen Kirchen üblich sind, von Luther componirt seien, namentlich diejenige, welche man in England zu dem hundertsten Psalm singe66, und noch eine andere welche er mir darauf vorsang67 und dadurch obige Bemerkung veranlaßte. In einem Hausconcerte bei Lady Rich ließ er sich bewegen einen langsamen Gesang vorzutragen und that dies in einer Weise, daß Farinelli, welcher gegenwärtig war, kaum dazu gebracht werden konnte, nach ihm zu singen.«68 Farinelli kann es unmöglich gewesen sein, da nichts gewisser ist, als daß Händel mit keinem Sänger der Gegenoper gesellschaftlich verkehrte, und am allerwenigsten mit Farinelli. Hawkins wird hier, wie so oft, die Namen verwechselt haben.

Die hier über Händel's Spiel angeführten Berichte von Mattheson bis Mason und Hawkins befassen aus des Meisters Leben[223] einen Zeitraum von fünf und funfzig Jahren und zeigen dennoch die merkwürdigste Uebereinstimmung. Sie alle legen das Hauptgewicht auf das ächt Künstlerische und Unwillkürliche und auf die hervor gebrachte Wirkung. Ist die Art und Stärke der Wirkung der Prüfstein aller musikalischen Virtuosität, so besaß Händel diese in einem Grade, der so unübertroffen wie segenbringend war; denn er entzückte und begeisterte die, welche musikalisch hochgebildet waren, und öffnete denen das Ohr, die für diese Kunst keinen Sinn zu haben meinten. Das ist aber erst die rechte und geschichtlich bedeutende Wirkung, welche die Grenzen der Tonkunst erweitert indem sie selbst die bisher unempfindlichen Gemüther bewegt.

Fußnoten

1 »On Wednesday the 17th. of July, in the evening, the King, attended by their Royal Highnesses the Prince and Princess of Wales, and a numerous train of lords, gentlemen, and ladies, went up by water to Chelsea, and was entertain'd with an excellent Consort of Musick by Count Kilmanseck: after which, His Majesty and their Royal Highnesses supp'd at the Lady Catherine Jones's, at the house of the late Earl of Ranelagh's; and about three o' clock in the morning, return'd by water to Whitehall, and thence to St. James's palace.« The political State of Great-Britain. London, 1717. 8. Julinummer, vol. XIV p. 83. Händel's Wohlthäter Kielmannsegge starb noch in demselben Jahre, am 15. November; das angeführte Jahrbuch schreibt hierüber: »On the 15th. in the morning, dy'd the Baron de Kilmanseck, master of the horse to his Majesty, as Elector of Hanover; a gentleman of parts, who had a good taste of literature and learning, and great skill in musick and painting, and who was a great encourager of arts and sciences.« p. 508.


2 Malcolm, Manners and customs p. 145. Der Bericht lautet:


»London, Juli 19.


On Wednesday evening at about 8. the king took water at Whitehall in an open barge, wherein were also the dutchess of Bolton, the dutchess of Newcastle, the countess of Godolphin, Madam Kilmanseck and the earl of Orkne Y. And went up the river towards Chelsea. Many other barges with persons of quality attended, and so great a number of boats, that the whole river in a manner was cover'd; a city company's barge was employ'd for the Musick, wherein were 50 Instruments of all sorts, who play'd all the way from Lambeth, (while de barges drove with the tide without rowing, as far as Chelsea) the finest Symphonies, compos'd express for this occasion, by Mr. Hendel; which his Majesty liked so well, that he caus'd it to be play'd over three times in going and returning. At eleven his Majesty went ashoar at Chelsea, where a supper was prepar'd, and then there was another very fine Consort of Musick, which lasted till 2; after which, his Majesty came again into his barge, and return'd the same way, the Musick continuing to play till he landed.« Daily Courant Nr. 4913 v. 19. July 1717.


3 »A new Concerto, compos'd by Mr. Hendel, and perform'd by Mr. Dubourg,« Concert am 18. Febr. in Hickford's Great Room in Jamesstreet. Daily Courant v. 16. Febr. 1719.


4 Tonstücke für das Clavier von Herrn C.P.E. Bach, und einigen andern classischen Musikern. Berlin, 1762. S. 23–24.


5 Der Titel dieser Sammlung lautet: »Sonatas, or Chamber Airs, for a German Flute, Violin, or Harpsichord. Being the most celebrated Songs and Ariets, collected out of all the late Oratorios and Operas. Compos'd by Mr. Handel. London. Printed for J. Walsh.« Fol.


6 Mitgetheilt von Macfarren in seiner 1859 erschienenen Broschüre A sketch of the life of Handel, p. 22; das betreffende Blatt enthält hiernach, angeblich in »treuem Abdruck«, die Angabe dessen, was Walsh an Händel für folgende Werke gezahlt hat:


Money paid Mr. Handel for copy –

1722,Sept. 28th.,Opera Otho,£4200

1721,Sept. 28th.,Opera Floridan,£7200

1723,Sept. 28th.,Opera Flavio,£2650

1729,Sept. 28th.,Opera Parthenope,£2650

1730,Sept. 28th.,Opera Porus,£2650

1736,Sept. 28th.,Opera Armenius,£2650

1736,Sept. 28th.,Opera Atalanta,£2650

1737,Sept. 28th.,Opera Berenice,£2650

1737,Sept. 28th.,Opera Justin,£2650

1732,Sept. 28th.,Opera Orlando,£2650

1732,Sept. 28th.,Opera Ætius,£2650

1737,Sept. 28th.,Opera Faramondo,£2650

1737,Sept. 28th.,Opera Alexander's Feast,£10500

1738,Sept. 28th.,Opera Xerxes,£2650

1738,Sept. 28th., six organ concertos in p£2650

1738,Oct. 7th., six new sonatas,£2650


7 History V, 358.


8 Commemoration of Handel, p. 48.


9 »This Day is publ. Compos'd by Mr. Handel. 1.Twelve grand Concertos... op. 6. 2. Twelve Concertos... op. 3 & 4. 3. Select Harmony, 4th. Collection; to which is prefix'd that celebrated Concerto in Alexander's Feast. [Folgen noch 12 Nummern.] All Compos'd by Mr. Handel... John Walsh.« London D. Post. v. 11. Nov. '41.


10 Hawkins, History V, 361.


11 Ueber das dort S. 256–57 besprochene, von Castrucci eingeführte neue Instrument Violetta Marina fand ich nachträglich noch eine Notiz von früherem Datum, in welcher der Name des Instrumentes nicht genannt sondern nur umschrieben ist, woraus denn hervorgeht, daß es wirklich nach der alten Tromba marina benannt wurde und der Trompete im Klange verwandt gewesen sein muß –: »At Mr. Hickford's Great Room in Panton-street near the Haymarket,... 19th. of March, will be an Entertainment of Musick, for the Benefit of Mr. Castrucci, first Violin to the Opera, with several new Compositions, particularly one called the Feasts of the Piazza y Spagnia, in which Mr, Castrucci will make you hear two Trumpets on the Violin. To begin at Seven o' Clock.«Daily Courant v. 17. März '25.


12 »Es gab zwei Personen Namens Powel, Vater und Sohn, welche beide sehr schön auf der Harfe spielten. Der Vater wurde von dem Herzoge von Portland patronisirt, und als dieser Edelmann zum Statthalter von Jamaica ernannt wurde, begleitete er ihn dorthin. Der jüngere Powel blieb in England, und da Hr. Händel ihn bekannt zu machen suchte, setzte er für ihn das genannte Stück und ließ es in einem oder zweien seiner Oratorien spielen; deßgleichen den Gesang in Esther ›Tune your harps in chearful strains‹, welcher mit einer Begleitung für die Harfe ausgestattet ist.« Hawkins, history V, 357.


13 »Sept. 23, 1738. To all Lovers of Musick. Whereas there are Six Concerto's for the Organ by Mr. Handel, published this day, some of which have been already printed by Mr. Walsh and the others done without the knowledge or consent of Mr. Handel. This is to give notice, that the same six are now printing, and will be published in a few days, corrected by the Author. Pr. 3 s. J. Walsh.« Lond. Daily Post v. 25. Nov. '38.

Der Raubdruck ist betitelt »Six Concertos for the Harpsichord or Organ by Mr. Handel. Sold at the Musick Shops


14 »This day is published, price 3 s. Six Concertos for the Harpsichord, or Organ. Compos'd by Mr. Handel. 2. Compositionen für Clavier und Orgel These Six Concertos were Publish'd by Mr. Walsh from my own Copy Corrected by my Self, and to Him only I have given my Right therein. GEORGE FRIDERIC HANDEL. London, printed for and sold by John Walsh.... In a few days will be publ., the Instrumental Parts to the above Six Organ Concertos.« Lond. Daily Post v. 4. Oct. '38. Erst am 2. Dec. wird hinzugefügt, daß die Orchesterstimmen erschienen seien »Where may be had the Instrumental Parts to the above Six Organ Concertos.« Das Orgel- oder Clavierbuch füllt 48 Seiten in Folio. Alsop. 4 ist das Werk, wie oben bemerkt, nur auf dem Titel der Instrumentalstimmen und in den Anzeigen bezeichnet, und zwar in letzteren (in Lond. Daily Post) erst seit dem 18. Januar '39.


15 »This day is publ., A Second Set of Six Concertos for the Harpsichord or Organ. Compos'd by Mr. Handel. London, J. Walsh.« Lond. Daily Post v. 8. Nov. '40. Das Clavier- oder Orgelbuch mit der Verlagsnummer »No 681« enthält 61 Seiten in Folio.


16 »A Third Set of Six Concertos for the Harpsicord or Organ compos'd by Mr. Handel. London, J. Walsh.« Das Orgelbuch 51 Seiten in Fol. In dem Privilegium wird die Musik, welche »Our Trusty and Welbeloved John Walsh, Our Musical Instrument maker... hath at a great Expence and Labour Purchased and Collected«, bezeichnet als »several Pieces of Vocal and Instrumental Musick Composed by the late George Frederick Handel Esqr. (viz) Six Concertos for the Harpsicord and Organ with the Instrumental Parts for Concerts, Entitied A Third Set, and a Selected Collection of Songs from his Operas and Oratorios for the Harpsicord and Concerts, never before Collected, & Published together


17 Burney, history IV, 429.


18 Hawkins, history V, 355–56.


19 »Tamn your seluf, and go to der teiffela barson make Concerto! why he no make sermon?« etc. Burney, Sketch in Commemoration p. 32–33. Weil übrigens Brown ein Windbeutel und Aufschneider war, dem Wahrheit nicht sehr am Herzen lag, muß man von seiner Erzählung immer ein Erhebliches abziehen, um den Nettoertrag der Wahrheit herauszubekommen.


20 »For the benefit of a Gentlewoman lately arrived. At Mr. Hickford's Great Room in Panton-Street, Febr. 4, a Concert of Musick, in which she'll perform on several Instruments, particularly on the Violin, she having been approv'd by Mr. Handell, and will play (besides Corelli's, Vivaldi's etc.) some pieces of her own composing. Tickets at 5 sh.« Daily Journal v. 2. Febr. '31.


21 Burney, Sketch in Commemoration p. 34.


22 Burney history IV, 665. Ann Granville schreibt am 22. Aug. '39 an Lady Throckmorton in Scarborough: »Haben Sie Hrn. Kellaway auf dem Harpsichord gehört? er ist in Scarborough und ein entzückender Spieler, der Händel fast erreicht.« Mrs. Delany, Autobiographie and Correspondence II, 61. Er war auch ein ausgezeichneter Lehrer und muß eine besondere Methode gehabt haben, denn Frau Delany schreibt am 27. Nov. '36:, »My brother has tied me down at last to learn of Kellaway; he has paid him the entrancemone V, which is two guineas, and has made me a present of Handel's Book of Lessons. I don't find Kellaway's method difficult at all, and I believe a couple months' learning will be of use to me, at least 'twill make me practice.« Aut. and Correspondence I, 578–79.


23 Dieses Concert besitzt angeblich der Capellmeister. Lwoff in Petersburg ebenfalls im Original, was ich bezweifeln muß. Ist die Anführung in Dwight's Journal of Music (v. 20. Nov. Boston, 1858 p. 269) richtig, so besteht es nur aus vier Sätzen, von denen die drei ersten in dieses 4. Concert gehören, der letzte aber den vorletzten Satz des folg. 5. Concertes bildet; demnach enthielte Lwoff's Manuscript nicht einmal eine zusammenhängende Composition, viel weniger eine Originalhandschrift.


24 »This day are publish'd, Proposals for printing by subscription, with his Majesty's Royal licence and protection, Twelve Grand Concertos, in Seven Parts, for four Violins, a Tenor, a Violoncello, with a Thorough-Bass for the Harpsichord. Compos'd by Mr. Handel. 1. The Price to Subscribers is Two Guineas, One Guinea to be paid at the time of subscription, and the other on the delivery of the book. 2.The whole will be engraven in a neat character... and ready... by April next. 3. The Subscribers Names will be printed before the Work. Subscriptions are taken in by the Author, at his House in Brook-Street, Hanover-Square; and John Walsh, in Catherine-Street in the Strand.« London Daily Post v. 29. Oct. '39.


25 »This day is publish'd (with His Majesty's license and protection,) Twelve Grand Concertos for Violins, in seven parts. Composed by Mr. Handel.« NB. Those Gentlemen who are Subscribers are desired to send for their books to the Author, or J. Walsh. Lond. Daily Post v. 21. April '40.

Der Titel der gedr. Ausgabe lautet »Twelve Grand Concertos for Violins, etc. in seven parts compos'd by Mr. Handel. Opera Sexta.« Fol.

Die große Nachfrage nach diesen und derartigen Concerten veranlaßte den Verleger, auch Händel's Gesänge ähnlich arrangirt herauszugeben. Außer der vorhin erwähnten Sammlung hatte Walsh schon früher einen großen Mischmasch veranstaltet, den er i.J. 1749 also ankündigt:

»For Concerts. 80 Songs selected from Mr. Handel's latest Oratorios, for Violins, etc. in 6 Parts; the song part with the Words for a voice, Hoboy, German Flute or Harpsichord, done in the original key, to be performed either by voice or instruments; being the most capital Collection of Songs ever published, with an index.... The song part may he had separate, without the instrumental parts, which is intended for the improvement of young Ladies and Gentlemen in singing and on the Harpsichord.« General Advertiser v. 24. Juni '49.


26 Ein guter Theil des Lobes gebührt G. Muffat, von dem Händel ein Clavierstück für diesen Satz entlehnte.


27 Hier erinnert Burney zu viel: denn er war ein Knabe von 13–14 Jahren und noch in Chester, seiner Vaterstadt, als die Concerte componirt und gedruckt wurden, und kam erst fünf Jahre später nach London.


28 Burney, Commemoration p. 54. 57. 66–67. 102–3. 105–6.


29 »Written by the Grandson of the Rev. Mr. Fountayne.« Thom. Smith, a typographical and historical account of the Parish of St. Mary-le-bone. London, 1833. 8. p. 34–35.


30 »Note, The Author has been obliged to publish these Pieces to prevent the Publick being imposed upon by some Surreptitious and incorrect Copies of some of them that has got abroad.« Daily Courant v. 9. Nov. '20.


31 Englisch ist dieses Vorwort in der Ausg. der Händelges. mitgetheilt.


32 »This day is published, Mr. Handel's Harpsicord Lessons neatly Engraven on Copper Plates, and may be had at Christopher Smith's the Sign of the Hand and Musick-Book in Coventry-street the Upper-End of the Hay-Market, and at Mr. Rich. Meare's... Brice one Guinea.« Daily Courant v. 14. Nov. '20.


33 Hawkins, History I, prelim. discourse p. LXXV.


34 Hawkins, History V, 418.


35 Reminiscences of Handel, etc. Vgl. Bd. I, 488.


36 »Johann Shaw verkauft Zündhölzer neben einer Brannteweinschenke St. Giles in der Tyburnstraße unter (der Melodie) ›Kauft meine Hölzer, meine Hölzer kauft‹.« Fitzwilliam Museum X. 3. 32.


37 Brief aus »Barrels, Sunday, October 16th. 1748« in: Letters written by the late R.H. Lady Luxborough [ / 1756] to Wm. Shenston, Esq. London, J. Dodsley. 8. 1775. p. 58–59.


38 Hawkins, History V, 418. Von Bach kannte Hawkins die in vier Theilen gedruckte »Clavierübung«; s. V, 254–58.


39 Von dieser Chaconne mit den 62 Variationen nebst Präludium erschien bei Witvogel in Amsterdam eine besondere Ausgabe, die der Verleger op. 1 zu nennen beliebte: »Prelude et Chaconne avec LXII Variations composées par M. Hendel, Opera prima. Imprimé aux dépens de Gerhard Fredrik Wil-Vogel chez le quel on les trouve à Amsterdam.« kl. Fol. Das einzige bis jetzt zu Tage gekommene Exemplar dieser Ausgabe befand sich in Prof. Taylor's Nachlaß und wurde am 3. Dec. '63 bei Puttick & Simpson in London verkauft; obiger Titel ist dem Auctionskataloge entlehnt, die Ausgabe selber ist mir nie zu Gesichte gekommen.


40 Kritische Briefe über die Tonkunst [herausgeg. von Marpurg]. Berlin, 1762. 4. II, 467.


41 Lustig erzählt ebendaselbst: »Witvogel (Ger. Frid.) ist, nachdem er sich durch seine wilde Lebensart die Wassersucht zugezogen, etwa im Jahr 1742 nach Acken [Aachen] gereiset, und daselbst plötzlich gestorben, da denn sein Körper, weil er nichts weniger als ein frommer Catholik war, außerhalb der Stadt auf einem Hügel begraben worden. Er selbst hat bloß herausgegeben, zwey Choralbücher von den 150 Psalmen, so wie dieselben in der lutherischen und hiesigen reformirten Kirchen gebräuchlich sind. Er bildete sich immer ein, er wäre durch eine göttliche Eingebung aufs Noten drucken lassen gerathen. Allein seine Dienstmagd wird wohl den meisten Vortheil davon gezogen haben. Seine Besoldung war 600 Gulden; für ein kleines Haus gab er 500 Gulden Miethe, und zum Unterweisen stand ihm der Kopf nicht. Er war sonst ein genereuser Mann, und wenn er im Leben blieben wäre, hätte ich alles können im Druck kriegen, was ich nur wünschen könnte; welches mir jetzo bey Olofsen, Hummel und Jan Covens gar nicht gelingen will.« Krit. Briefe über die Tonk. II, 476–77.


42 »This day is published neatly printed in Amsterdam.


1. Six Concertos in 7 parts... by de Fesch... op. 5.

2. Six Solos.... by de Fesch... op. 6.

3. Six Solos.... by Gio. de Santis of Naples.

4. Six ditto by Giuseppe Tartini of Padua.

5. Six Solos.. by Antonio Berari.

6. Six Solos by Roberto Valentini.

7. Six Solos for Violoncell by B. Marcello.

8. Six Sonatas.... by Carlo Tessarini.

9. Five Sets of Lessons for the Harpsichord, Four by

G.F. Handel, the other by Joseph Hector Fiocco.

10. A choice Collection of Minuets, Marches and

Polish Dances.

Sold by Benj. Cooke

Daily Journal v. 19. Jan. '33.


43 Auf die »Lessons for the Harpsichord« welche bald nach Händel's Tode, aus Melodien seiner Werke zusammen gestoppelt, bei Walsh erschienen (ich sah davon ein Heft bezeichnet als »4th Book« und kindisch trivial arrangirt), können wir uns hier ebenso wenig einlassen, als auf die schon oben erwähnten vielfachen Uebertragungen seiner Gesänge auf Clavier, Flöte und Streichinstrumente oder Orchester.

Außer den aufgeführten erschienen noch einige andere Stücke für Clavier im Druck. Folgende sind mir davon bekannt geworden. 1) »VI Fugues faciles pour l'Orgue ou Piano composées par le celébre G.F. Haendel. Vienne, chez A. Diabelli et Comp. Graben No. 1133. No. 368. Pr. 54 x. C.M.« (11 Seiten obl. Folio.) Diese Fugen, ohne Zweifel von Händel, und zwar in seiner Jugend, componirt, stehen in C-, C-, A-, D-, F- und C-dur; eine neue Ausg. erscheint jetzt von Em. Krause. 2) eine Fuge in Rimbault's »Pianoforte« (1860), angeblich nach einem Manuscript von J. Chr. Schmidt. 3) eine Partite oder Suite in Adur, Leipzig B. Senff, von M. de Fontaine nach einer in seinem Besitz befindlichen Handschrift herausgegeben, angeblich ebenfalls von J. Chr. Schmidt, und zwar Ao 1720, geschrieben. Diese Handschrift stammt aus Nägeli's Nachlaß (in welchem sich noch 12 kleine Fantasien befinden, die ebenfalls, und wahrscheinlich mit Recht, Händel zugeschrieben sind); bevor Dr. M. de Fontaine dieselbe erwarb, sah ich sie auf einer Londoner Auction (am 23. Juni '60) und fand, daß sie weder von J. Chr. Schmidt geschrieben, noch mit einem Datum versehen ist.


44 Vollkomm. Capellmeister S. 439–40. Nur die ersten viertehalb Takte sind von Mattheson in Noten angeführt; ich habe das folgende hinzugesetzt, um die Beantwortung des Anfanges erkennen zu lassen.


45 »Seine Fugen sind freier behandelt, als die irgend eines anderen großen Meisters.« A. v. Dommer, Musikalisches Lexicon (Heidelberg, 1864) Art. »Fuge«, S. 333.


46 Critica Musica I, 45.


47 Vollk. Capellmeister S. 369–70.


48 Marpurg, Abhandlung von der Fuge. (Berlin, 1753–54. 2 Bde. 4.) I, 133.


49 Critica Musica I, 326. – Seine Verwandtschaft mit Johann Krieger in diesem Punkte hat Händel selber bezeugt. Unter den wenigen deutschen Musikalien, welche Händel mit nach England nahm, befand sich Krieger's »Anmuthige Clavier-Uebung« (Nürnberg, 1699), die er später seinem Freunde Bernard Granville schenkte und als ein Theil von dessen Sammlung sich im Besitz von Lady Hall (jetzt Lady Llanover) befindet; der im 1. Bande S. 247 Anmerk. erwähnte öffentliche Verkauf dieser Werke hat zwar statt gefunden, aber da die Forderung von £ 200 nicht erreicht wurde, hat die Familie dieselben wieder an sich genommen. Für elende £ 200 also wäre einem adligen Hause, dessen Reichthum nach Hunderttausenden zählt, der schönste Kunstbesitz und das beste Zeugniß der hohen Bildung seiner Vorfahren feil! Dies ist nur eins der vielen Zeugnisse von der Verkommenheit des englischen Adels. Bernard Granville hat über das Buch die Bemerkung aufgezeichnet, Krieger sei einer der berühmtesten deutschen Orgelspieler, nach dessen Weise und Arbeiten Händel zu einem guten Theile sich gebildet und dessen Stücke er zur Uebung sehr empfohlen habe, nur müsse man mit dem Clavichord und nicht mit so schweren Instrumenten wie Orgel und Harpsichord beginnen – »The printed book is by one of the celebrated Organ players of Germany; Mr. Handel in his youth formed himself a good deal on his plan, and said that Krieger was one of the best writers of his time for the Organ, and, to form a good player, but the Clavichord must be made use of by a beginner, instead of Organ or Harpsichord


50 Vollk. Capellmeister S. 479. Mizler, ein Freund Bach's, umschreibt diese Worte bei der Besprechung des »Capellmeisters« also: »Die zwei größten [Orgelspieler] in der Welt sind ohne allen Streit Händel in Engelland und Bach in Leipzig.« Musikal. Bibliothek, 1745. III, 531. Schon früher hatte er, das Clavierspiel dieser Männer anlangend, gefragt: »Wo können andere Nationen solche Clavieristen aufweisen als Händeln und unsern Bach allhier.« Mus. Bibl., 1738. I. 3, 9. Ein Sohn Bach's, Joh. Christian der sogen. Londoner Bach, faßte Mattheson's Worte dagegen als eine Bevorzugung seines Vaters auf, denn auf seine Aussage hin schreibt Hawkins »Mattheson says that on this instrument he [J.S. Bach] was even superior to Handel.« History V, 255.


51 Das Neu-Eröffnete Orchestre, Oder, Universelle und gründliche Anleitung, wie ein Galant Homme einen vollkommnen Begriff von der Hoheit und Würde der edlen MUSIC erlangen, seinen Gout darnach formiren, die Terminos technicos verstehen und geschicklich von dieser vortrefflichen Wissenschaftraisonniren möge. Durch J. Mattheson, Secr. (Hamburg, 1713. 12.) S. 65.


52 Das Beschützte Orchestre, oder desselben Zweyte Eröffnung, S. 93–94.


53 Vollk. Capellmeister S. 87–88.


54 starb 1727/28 als Capellmeister in Dublin; s. über ihn Bd. I S. 115–16 und Hawkins, History V, 249–50 u. 362.


55 Worte Mattheson's über Cousser im Vollk. Capellmeister S. 481.


56 Burney, History V, 666–67.


57 Burney, Sketch in Commemoration p. 36.


58 Mattheson, Critica Musica II, 150.


59 Burney, Sketch in Commemoration p. 35.


60 Hawkins, History V, 412.


61 Burney, Sketch in Commemoration p. 30.


62 Essays, historical and critical, on English Church Music. By William Mason. York, 1795. 8. p. 43–46.


63 Brief an H. Walpole v. 6. Febr. 1778. »As to Giardini, look you, if I did not think better of him than I do of Handel, my little shoemaker would not have had the benefit he will have (I hope) from this labour of my brain. Let Handel's music vibrate on the tough drum of royal ears; I am for none of itWalpole, Letters ed. by Cunningham V, 26. Es handelte sich hier um den von Mason gedichteten Operntext »Sappho«, welchen der Geiger Giardini componirte; obige frivole Worte sind durch eine Aeußerung Walpole's hervor gerufen. Letzterer erwidert: »I sent your Act to Giardini, and wish he may make it discourse most eloquent music. His violin to be sure will make a long soliloquy; but though I like Handel, I am not bigoted. I thought Dryden's Ode more harmonious before he set it than after, yet he had expression; and I prefer Charles Fox's ›native wood notes‹ to Burke's feigned voice, though it goes to the highest pitch of the gamut of wit.« Letters V, 29. Bei diesen recht trefflichen Worten des geistvollen Mannes, der in jungen Jahren auch weidlich über Händel gewitzelt hatte, ist nur zu bemerken, daß Händel Dryden's Alexanderfest componirte, als H. Walpole noch auf der Schulbank saß, letzterer daher wohl schwerlich einen selbständigen Eindruck von dieser Dichtung vor ihrer Composition empfangen haben kann und nur das Urtheil oder Vorurtheil seiner Lehrer wiederspiegelt.


64 soll wohl heißen: mit einem Vorspiele, welches seiner Melodie nach die Octave der Tonart des betreffenden Concertes auf eine kunstvolle Weise langsam auf und ab stieg, wie es u.a. bei dem schönen Präludium zur 5. Suite im 1. Theil der Clavierstücke der Fall ist; s. oben S. 192.


65 Wer denkt hier nicht an das schöne, im zweiten Bande S. 375 mitgetheilte Lied, in welchem die Wirkung seines Orgelspiels fast mit denselben Worten geschildert wird!


66 vermuthlich meinte er »Nun lob mein Seel den Herren«, an welchem Gesange aber Luther keinen Antheil hat.


67 unzweifelhaft war dies »Ein feste Burg ist unser Gott.«


68 Hawkins, History V, 413–15.

Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1867, S. 185-224.
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