Achtes Kapitel
Demoiselle Starzer • Therese Teiber • Vorbereitungen • Bauernballet • Die Geschichte mit vier Dudelsäcken

[66] Bei unserer Ankunft in Schloßhof wimmelte schon alles von Professionisten und Künstlern, Zimmerleuten, Tischlern, Malern, Lackierern, Vergoldern etc., und überall, wo man ging, stieß man auf Leute, die geschäftig durcheinander liefen und sichs um die Herrschaften, die da kommen sollten, herzlich sauer werden ließen.

Bonno hatte schon längst den Auftrag vom Prinzen, zwei dramatische Stücke von Metastasio in Musik zu setzen, und Gluck hatte ebenfalls ein Metastasisches Stück, Il ballo chinese, zu komponieren übernommen, welches letztere nur so lange sich zögerte, weil der Dichter es noch einmal auf Verlangen des Prinzen umarbeiten mußte, der außer den drei Weiberrollen, woraus das Stück nur bestand, noch eine Männerrolle hinzugesetzt haben wollte. Gluck kam daher erst mitten im Mai nach. – Außer den gewöhnlichen Sängerinnen kam auch noch eine Mlle. Starzer mit, eine Schwester des berühmten Balletkomponisten gleichen Namens, dessen Arbeiten nicht nur in Wien und Paris, sondern auch in Petersburg, woselbst er über acht Jahre war, erstaunendes Glück und Beifall fanden und reichlich belohnt wurden. Diese Sängerin hatte eine tiefe Contr'Altstimme und sang vortrefflich. Bonno hatte sie gebildet, und damit ist alles gesagt. Welche außerordentliche Gabe dieser Mann gehabt habe, Sänger zu bilden, davon könnte ich viele seiner Lehrlinge zum Beweise anführen; um aber alles mit einem Male gesagt zu haben, will ich nur die einzige[67] große – große Sängerin Therese Teiber nennen, die nicht nur in Wien und Dresden, sondern auch in London und selbst in Italien die unerhörteste Sensation gemacht hat und ebenfalls seine Schülerin war.

Je näher die Zeit des kaiserlichen Besuchs heranrückte, je größer wurde unsere Beschäftigung, und die Opernproben kamen in lebhaften Gang. Unter andern Spektakeln hatte der Prinz beschlossen, ein Bacchantenfest zu geben, wobei ein komisches Karoussell, ein Ballet und eine cuccagna vorgestellt werden sollte. Die Rollen der Karoussell-Ritter, Tänzer und Tänzerinnen, Satyrn usw. sollten Bauernbursche und Bauerndirnen übernehmen. Zum Ballet wurden einundzwanzig Paare bestimmt, und Pompeati hatte dasselbe erfunden und komponiert. Um aber dem Bauernvolk die vielen und wirklich schweren Touren begreiflich zu machen, mußten vierzig Personen vom Hofstaat das Ballet erst einstudieren; alsdann nahm jeder von uns, je nachdem wir zu Männern oder Weibern bestimmt waren, seinen Burschen oder seine Dirne und trippelte so oft und so viele Tänze mit denselben herum, bis sie alle die Touren vollkommen begriffen hatten. Ungeachtet tagtäglich daran gearbeitet wurde, so verstrichen doch über drei Wochen, ehe das zu Stande kam. Die Melodie, die ganz simpel war, hatte ich nach dem Zeitmaß, das mir unser Balletmeister Pompeati vorträllerte, aufgesetzt, und bei den Proben wurde sie auf einer solitären Violine gespielt.

Einstmals, als wir wieder probierten, sagte der Prinz: »Nun müssen wir doch auch auf ein Orchester, das ebenso komisch als das Ballet ist, bedacht sein.« Er ließ die Kapelle vortreten und forderte jeden auf, seine Meinung zu sagen. Selbst Gluck und Bonno wurden zu[68] Rate gezogen. Einer schlug dies, der andere jenes vor. Als nun die Reihe an mich kam und ich meine Stimme geben sollte, sagte ich, ich wäre im vorigen Jahre mit Baron Beust nach dem Dorfe, Hof an der March genannt, spazieren geritten, und als wir an das Wirtshaus gekommen, sei eine Hochzeit da gewesen, bei welcher zwei Dudelsäcke zum Tanz gespielt hätten; der eine große, den man sonst einen polnischen Bock nennt, sei um eine Oktave tiefer gewesen als der kleine und beide hätten zusammen einerlei Melodie gespielt. »Wie wäre es«, fuhr ich fort, »wenn man alle große und kleine Dudelsäcke, die auf den umliegenden Dörfern zusammen zu bringen sind, dazu nähme? Es würden sich leicht viere darunter finden lassen, die zusammen stimmten; – und diese würden hinlänglich sein, den ganzen Schloßplatz auszufüllen.« –

»Dein Einfall ist unter allen der beste«, sagte der Prinz; »aber ich befürchte nur, daß die Kerls die nämliche Melodie zu blasen nicht im Stande sein werden.« – »Darüber habe ich keinen Kummer«, antwortete ich; »denn die Melodie besteht ja nur samt der Repetition in zweiunddreißig Takten.« – »Gut«, sagte der Prinz; »besorge das, so will ich dich darum loben.«

Nach geendigter Balletprobe gab ich dem Verwalter den Auftrag, daß er sogleich auf jedes Dorf einen Expressen schicken, alle Dudelsäcke und polnischen Böcke auf der ganzen Herrschaft zusammentreiben und sie um fünf Uhr nachmittags in die Taverne bestellen möchte. Dieser Auftrag ward so gut ausgerichtet, daß ich um die festgesetzte Zeit wirklich mehr als ein Dutzend solcher Dudelsack-Virtuosen beisammen hatte. Es glückte mir sogar, zwei kleine und zwei große darunter zu finden,[69] die genau stimmten. Diese behielt ich, und die andern schickte ich wieder fort. Nun holte ich meine Violine und spielte den vier Leuten die Melodie so lange vor, bis sie selbige vollkommen inne hatten. Als es damit richtig war, befahl ich ihnen, über Nacht hierzubleiben, bis ich sie morgen frühzeitig abholen würde.

Am folgenden Morgen früh um fünf Uhr – denn um halb sechs fing immer die Balletprobe an – lief ich in das Wirtshaus, fand meine vier Windbeutels, ließ mir die Melodie von ihnen noch etlichemal vorrasaunen, und siehe, sie ging nach Wunsch. Nun nahm ich sie mit mir, versteckte sie hinter einem der Schloßflügel, die den Platz formierten, und befahl ihnen, ganz stille zu sein und zu warten, bis ich sie rufen würde.

Endlich kam der Prinz zur Probe. Sogleich rief er mich und sagte: »Vergiß nicht deine Kommission mit den Dudelsäcken!« – »Schon alles richtig, Ew. Durchlaucht«, antwortete ich; »sie sind schon da.« – »Wo?« fragte der Prinz. – »Ich will sie gleich herbringen«; und damit lief ich spornstreichs um die Ecke herum. »Holla! kommt mit mir«, sagte ich zu den Dudlern, »und blast immer hinter mir her!« Gesagt, geschehen. Sie strengten sich mit entsetzlicher Wut an, und der Prinz konnte die Melodie schon von weiten hören. Wie wir um die Ecke waren, brach ich jubilierend los und machte lustige Bockssprünge vor ihnen her. Als sie mich so tanzen sahen, glaubten die Narren, sie müßten es ebenso machen, und hopsten wie toll hinterdrein. Das machte mich selber so ausgelassen, daß ich, um sie zu äffen, die Sprünge in die Kreuz und Quer verdoppelte, und je ärger ichs trieb, desto ärger machten sie mirs nach. Ihr respektvoller Diensteifer war ohne Grenzen. Kurz, wie musizierende[70] tolle Böcke kamen wir alle fünfe daher gesprungen, daß dem Prinzen die Tränen vor Lachen in den Augen standen. Das Chor der Ballettänzer schrie laut auf, und alles wieherte umher. »Brav, närrischer Junge!« sagte der Prinz höchst erfreut, »du hast deine Sache vortrefflich gemacht«; und damit griff er in die Börse und verehrte mir sechs blanke Dukaten. – Nun gings über das Ballet her, und nach fünf bis sechs Proben stimmten die Dudelsäcke und Bauernfüße gar herrlich zusammen. Kurz, die Sache war im besten Gange.

Bald nachher erhielt ich einen Auftrag, der mehr Schwierigkeiten zu haben schien, den ich aber ebenso glücklich ausführte.

Bei einer Probe von Bonnos Drama: Il vero omaggio sagte der Prinz: »Es ist schade, daß der letzte Vers nicht von einem Chore wiederholt wird.« – »Wohl freilich«, antwortete Bonno, »aber wo nehmen wir Sänger her?« – »Ich habe«, sagte der Prinz, »fünf Pfarreien auf meiner Herrschaft, folglich auch so viele Schulmeister; jeder hat doch, außer ihm, noch Buben und Mädel, auch einen Schulgehülfen, und da wären leicht zwanzig Choristen aufzubringen.« – »Für den Platz, für den sie bestimmt sind«, antwortete Bonno, »möchten aber wohl ihrer vierzig nicht zu viel sein.« – »Nun wohl, so läßt man dergleichen Sänger um die letzten Tage von Preßburg kommen. Indes will ich die Kommission, die Schulmeister mit ihren Leuten abzurichten, dem Karl auftragen.« – Ich erhielt sie und besorgte alles so gut, daß der Prinz nicht nötig hatte, Sänger von Preßburg kommen zu lassen, wie man später ersehen wird.

Nun wurden die nötigen Arrangements zur Aufnahme der kaiserlichen Familie getroffen. Zur Sicherheit und[71] zur Erhaltung der guten Ordnung bat sich der Prinz vom kommandierenden General zu Wien zwei Kompagnien Infanterie und eine Eskadron Kavallerie aus. Vierzig von den ersten besetzten die Posten, und die Kavalleristen wurden zu den Spektakeln bestimmt, die in entlegenen Orten gegeben werden sollten, wovon beständig viere Tag und Nacht um den Bezirk patrouillieren und auf Feuersbrunst Acht haben sollten. Diese kleine Brigade kampierte auf der Hutweide.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 66-72.
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