Mein Abschied

[269] So hatte ich denn also mir selber die Last aufgeladen, beständig um den Fürsten sein zu müssen. Alle Abend, wenn ich ihn nach dem Souper in sein Schlafzimmer begleitete, mußte ich versprechen, morgens um acht Uhr wieder auf dem Schlosse zu sein, und so ging das alle Tage fort.

Bei dieser Gelegenheit nahm ich wahr, wie plump und ungeschickt die meisten schon zur Faulheit gewöhnten Bedienten sich dazu anstellten, wenn sie den Fürsten, der keinen Schritt allein gehen konnte, führen, tragen, heben und legen sollten. Ich zeigte ihnen daher ganz andere Handgriffe, wodurch sie es sowohl dem Fürsten als sich selbst erleichterten. Überhaupt fand ich, daß dieser Herr bei so vielen Bedienten, die er hatte, dennoch schlecht bedient war. Manchmal war die Antichambre von diesen Taugenichtsen voll, und gerade wenn man einen nötig hatte, war keiner zu sehen noch zu hören. Ich predigte ihnen öfter vor, aber es half nichts. Ich ließ sie daher einmal alle zusammen rufen und sagte ihnen: »Da ihr auf gute Worte nicht hört, so will ichs mit Schärfe erzwingen. Täglich müssen wechselsweise zwei von euch 24 Stunden hindurch um den Fürsten sein und auch des Nachts in der Antichambre schlafen. Da eurer acht sind, so kommt alle fünf Tage die Reihe herum, die andern aber müssen unausbleiblich bei der herrschaftlichen Tafel servieren. Sowie einer von euch vermißt wird, so zieh ich ihm einen Gulden von seinem Lohne ab und schicke diesen Gulden in das Armeninstitut.« Ebenso machte ich es mit einem Paar Windbeuteln von Kammerdienern; denn der Staub lag nicht nur in des Fürsten[270] Schlaf-, sondern auch Wohnzimmer oft fingerdick auf dem Ofen, anderer Unsauberkeiten nicht zu erwähnen.

Die Ordnung ward im Schlosse überhaupt wieder hergestellt, und das behagte dem Fürsten sehr gut. Dagegen aber hatte ich mir unter diesem Gesindel viele Feinde gemacht, auf die ich aber weiter nicht achtete.

Eines Abends war so garstiges stürmisches Wetter, daß der Fürst mir sagte, ich möchte lieber auf dem Schlosse bleiben, er wolle mir ein Bette neben seinem Schlafzimmer setzen lassen. Ich blieb. Der Fürst ging zu Bette; ich setzte mich neben ihm in einen Armstuhl und diskurierte mit ihm, bis er einschlief. Gewöhnlicherweise erwachte er gegen drei Uhr des Morgens, ließ sich heben, auf eine andere Seite wenden und blieb immer eine halbe Stunde wach; dann schlief er wieder bis gegen acht Uhr. Dies geschah auch in eben derselben Nacht. Da ich im Nebenzimmer hörte, daß der Fürst wach war, nahm ich meinen Schlafrock, ging zum Fürsten, setzte mich an sein Bette und blieb bei ihm, bis er neuerdings einschlief. Dies gefiel ihm so wohl, daß er mich öftermals beredete, bei ihm zu übernachten, und dies wurde am Ende zur Gewohnheit. Kurz, ich gutwilliger Narr blieb zwei Jahr und einen Monat ununterbrochen auf dem Schlosse und führte das für mich sehr unbequeme Leben, das an meinen jetzigen kränklichen Umständen den größten Anteil hat, um so mehr, weil es nicht nur in meinem vierundfünfzigsten Jahre meine Gesundheit untergrub, sondern mich auch in den elenden Zustand, worin ich mich gegenwärtig befinde, nämlich krank und arm zu sein, versetzte.

Kaum hatte ich dies Leben ein halb Jahr getrieben, so wurde es mir des ewigen Sitzens, des Mangels aller Bewegung und der immerfort unruhigen Nächte wegen sehr[271] lästig. Da ich aber mich einmal schon dazu entschlossen hatte, so wollte ich es auch damit aushalten, solange es mir nur irgend möglich wäre. Schon waren 25 Monate verstrichen, als ich die schrecklichsten Hämorrhoidal-Zufälle bekam und mich, um meine Gesundheit herzustellen, vom Schlosse in mein Haus begeben mußte. Dies war ein erwünschter Zeitpunkt für meine Feinde. Während meiner Abwesenheit wußte jener berüchtigte N. einen der fürstlichen Kammerdiener und etliche Lakaien, die der Fürst wohl leiden konnte, durch Bestechung zu meinem Schaden auf seine Seite zu ziehen. Ich könnte alle diese Lotterbuben mit Namen nennen, allein ich mag ihnen die Ehre nicht gönnen, daß sie in meiner Lebensgeschichte, in welcher ich so viele große und würdige Personen aufgeführt habe, mit ihren unwürdigen Namen stehen sollen.

Dieses nichtswürdige Komplott untergrub mich und brachte dem Fürsten einen Verdacht wider mich bei, so daß ich am 7. April 1794 eine Weisung erhielt, das Schloß nie wieder zu betreten und binnen acht Tagen mit Sack und Pack zu meinem Amtsposten nach Freiwaldau zu gehen. Gern wollte ich meinen Lesern den elenden Kunstgriff, durch den diese Feinde dem Fürsten meine Redlichkeit verdächtig machten, vor Augen legen, wenn nicht die Aufklärung der Sache dem Fürsten auch noch in der Grube zur größten Schande gereichen müßte. Ich will also lieber den Schleier darüber herziehen. Doch kann ich nicht umhin anzuführen, daß ich meine Unschuld selbst beim kaiserlichen Hofe erwiesen habe und durch ein höchstes Hofdekret, welches ich wie Gold aufhebe und jedem, der es verlangt, in der Urschrift vorzulegen bereit bin, von allem Verdachte einer unredlichen[272] Handlung gänzlich freigesprochen bin und auch hinlängliche Genugtuung erhalten habe. Ist es demnach ein Wunder, daß mich so viele Kränkungen und pathemata animi auf ein Krankenlager geworfen haben?

Leider begann mit Ende Oktober 1794 meine Krankheit und mit ihr mein Elend. Und seit diesem Augenblicke habe ich sozusagen keine gesunde Stunde mehr gehabt. So viele Mühe die Ärzte sich gegeben haben, mir das Podagra wieder zu Wege zu bringen, damit die Krankheit dadurch ihren gewöhnlichen Ausbruch nehmen könne, so wenig hat es bis heute, also gerade nach fünf Jahren, gefruchtet.

Der Fürst starb am 5. Januar 1795. Eine kaiserliche Administration trat ein, und diese wollte die diesseitigen Güter von dem Breslauer Bistume separieren. Aber der König von Preußen nahm sich des Bistums an. Nachdem beide Höfe deswegen lange Unterhandlungen gepflogen hatten, wurde man endlich einig, daß die Administration aufgehoben werden und die Güter wie vormals bei dem Bistume verbleiben sollten.

Da Prinz Joseph von Hohenlohe-Bartenstein schon vor Ableben des seligen Bischofs Koadjutor war, so wurde er nach dessen Hintritte Bischof von Breslau. Er hatte, wie das überall so gewöhnlich ist, seine eigenen Lieblinge, die er versorgen wollte, daher wurde ich, mein Schwager und noch einige alte Beamte mit Pension jubiliert.

Ungeachtet ich volle 26 Dienstjahre aufzuweisen hatte, so erhielt ich doch an jährlichem Pensionsgehalt nicht mehr als 333 Taler 8 Groschen (500 Gulden Kaisergeld). Mein Schwager von Gambsberg, der dem Bistume schon über 40 Jahre gedient hatte, bekam auch nicht mehr.[273] Vor einem halben Jahre starb der redliche Mann, und seine Gattin – meine Schwester – erhält nun einen kümmerlichen Witwengehalt von 133 Taler 8 Groschen.

Seit dieser für mich und meine arme Familie so schrecklichen Epoche hat sich meine Krankheit so verschlimmert, daß ich am Kreuz und an den Füßen ganz gelähmt bin und mich vom Bette in den Armstuhl und vom Armstuhl in das Bette tragen lassen muß. Doktor, Arznei, dreierlei Bäder, als das Ullersdorfer, Landecker und Teschner Bad, haben meinen ersparten Notpfennig ganz aufgezehrt, so daß ich, als mir im vorigen Jahre von einem der berühmtesten Ärzte das Badner Bad unweit Wien angeraten wurde, auf dieses Hülfsmittel aus Mangel Verzicht tun muß und meinem baldigen Ende entgegenseufze.

Ignaz Freiherr von Stillfried erfuhr durch eine dritte Hand mein großes Elend. Ganz unvermutet erhielt ich von ihm folgendes tröstliche Schreiben:


»Ich habe Ihre betrübte Lage erfahren. Auf meiner Herrschaft, die ich mir in Böhmen gekauft habe, habe ich drei Wohnhäuser. Kommen Sie mit Ihrer Familie in meine Arme. Erhungern will ich Sie samt Ihrer Familie nicht lassen, und wir wollen unser Leben beisammen beschließen.«


Mit Freuden nahm ich diese menschenfreundliche Offerte an und warf mich mit meiner Familie – sie besteht aus meiner Frau, zween Söhnen und einer Tochter, mithin aus fünf Personen – in die Arme des liebenswürdigsten Freundes. Gott weiß es, daß ich, wenn ich diesen Wohltäter nicht gefunden hätte, längst von Not und Kummer[274] aufgerieben worden wäre, und alsdann – meine Angehörigen? – o Gott! das fühle, wer es zu fühlen vermag.

Da sitze ich nun schon beinahe zwei Jahre in Böhmen auf der Freiherrlich Stillfriedischen Herrschaft Rothlhotta im Taborer Kreis unweit Neuhaus. Ungeachtet ich freien Unterhalt für mich und meine Familie habe, so bin ich doch eben in allem Betrachte ein Bettler. Da ich von meiner Pension jährlich:


An Interessen für hypothekarische Schulden

81 Fl.

An Kriegsbeisteuer

60 Fl.

An Haus- und Grundzins

9 Fl.

Für einen Bedienten, der mich mit Hilfe meines Sohnes heben, tragen, auch die ganze Nacht bei mir mehr wachen als schlafen muß

120 Fl.

Für eine Magd

36 Fl.

Für die Wäsche

45 Fl.

Mithin

351 Fl.


unumgänglich bar auslegen muß, bleiben mir noch übrig 149 Fl. Nun laß ich jeden beurteilen, ob ich mit diesem Überbleibsel im Stande bin, fünf Personen zu bekleiden und andere kleine und notwendige Ausgaben zu bestreiten.

Meine Nippes spazieren eines nach dem andern, um ein Drittel, auch wohl noch weniger, als der innerliche Wert davon ist, fort! Und was hernach, wenn sie vollends alle fortgeflogen sind? –

Seit den letzten fünf Jahren habe ich meine Geistes-und Sinnenkräfte, welche ersteren, gottlob! noch heute so[275] ziemlich sind, angestrengt und eine beträchtliche Sammlung ganz neuer Werke, als Opern, Sinfonien, eine große Anzahl Stücke für das Fortepiano verfertiget. Alle diese Sachen sind schon vor einem Vierteljahre in der neuen musikalischen Leipziger Zeitung angekündigt; aber – mein Gott! – bis jetzt hat sich noch kein Abnehmer eines einzigen Stückes gefunden; und leider kann ich auch so eine Unterstützung, ungeachtet ich gewiß gute Ware für Geld gebe, nicht finden.

Ich verehre meine liebe, gute, deutsche Nation; aber – wenn es auf Unterstützung ankommt, da – leider – sind wir nicht zu Hause.

Ich will, da ich gewiß weiß, daß mein Name und meine Werke in ganz Europa bekannt sind, annehmen, daß in diesem bevölkerten Weltteile ich einer halben Million Menschen Vergnügen gemacht habe. Wenn nun jeder dieser Menschen einen einzigen Groschen in omni et toto mir, oder besser zu sagen, meiner Familie – denn mir nützt es nicht mehr – zuwürfe (!!), welch eine geringe Beisteuer für den Geber, und welch eine beträchtliche Unterstützung für eine hinterlassene trostlose Familie eines Mannes, der, wie jener im Evangelio, sein Talent nicht vergraben hat!!

Lieber Leser! Halten Sie mich ja nicht im Verdachte, daß ich das Obige niedergeschrieben habe, um Ihnen für mich ein Almosen abzulocken. Vermutlich bin ich nicht mehr, wenn Ihnen dies Büchlein zu Gesichte kommt.

Will aber jemand nach der gänzlichen Zerstörung meiner schon morschen Hütte meiner armen Familie etwas Gutes tun – o dann werde ihm Gottes Lohn dafür!

Ich bin aufrichtig genug zu gestehen, daß ich meine Familie unglücklich und doppelt unglücklich gemacht habe.[276] Erstens wegen meiner Armut, zweitens durch meine Krankheit. Meine Armut ließe sich jedoch einigermaßen entschuldigen, da ich wider mein Verschulden auf eine gegen 26 Dienstjahre immer gar zu geringe Pension gesetzt worden bin und daher meinen ersparten Notpfennig, dessen größter Teil in den Säckel des Arztes, in das Gewölbe der Apotheker und die Gesundheitsbäder – wohl zu merken, ohne einige Hülfe – sich zerstreuet hat, habe hergeben müssen. Aber dagegen ist mein Leichtsinn in Schonung meiner Gesundheit unverzeihlich, um so mehr, als mir die gütige Natur einen festen und dauerhaften Körper geschenkt hat, auf den ich Tor so mutwillig eingestürmt habe. Leider, leider, muß ich mit Vater Horaz ausrufen:


Quae mens est hodie, cur eadem non puero fuit?

Vel cur his animis incolumes non redeunt genae?[277]

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 269-278.
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