Siebenundzwanzigstes Kapitel
Krankheit des Fürstbischofs • Meine Unterredung mit demselben

[260] Johannisberg hatte viel von seiner vorigen Lebhaftigkeit verloren. Der Fürstbischof (von Breslau) wurde immer trauriger. Es kränkte ihn, daß er an einem Orte, wo er sonst zu befehlen hatte, gleichsam als Pensionist leben und es mit ansehen mußte, wie man die Einkünfte seiner Beamten immer mehr beschnitt und fremde Dienstleute bei den Ämtern so wie bei der Jägerei ohne sein Zuziehen anstellte. Etliche Male hatte er Versuche beim Kaiser Joseph II. gemacht, die Aufhebung der Administration zu bewirken und die eigene Verwaltung seiner Güter wieder zu erhalten, aber alles war umsonst gewesen.

Joseph starb, und nun wandte sich der Fürst an Kaiser Leopold. Wider alles Vermuten hob dieser Monarch die Administration auf und räumte ihm die eigene Verwaltung wieder ein. Sein Agent in Wien schickte ihm diese frohe Nachricht durch eine Estafette, die frühmorgens ankam. Noch an dem nämlichen Tage gab er große Tafel und setzte alle ehemaligen Beamten in ihren vorigen Gehalt und in Aktivität.

Allein der vorige Gram hatte seine Gesundheit schon zu sehr untergraben, und er verfiel einige Monate nach dieser Katastrophe in eine große Krankheit, die am Ende in ein Faulfieber ausartete. Sein Leibarzt Stolle, ungeachtet er von der Möglichkeit ihn zu retten überzeugt war, willigte auf unser Verlangen in eine Zusammenberufung mehrerer Ärzte, und es ward demnach ein consilium medicum[261] veranstaltet, wovon die übrigen alle, außer Stolle sechs an der Zahl, die Krankheit des Fürsten für unheilbar erklärten. Allein dieser gab die Hoffnung nicht auf. Es bewies sich auch, daß er Recht hatte; denn auf die Medizin, die die andern Sechse einstimmig verordnet hatten, wurde der Fürst immer schwächer. Stolle rief uns alte Beamte zusammen und erklärte, daß so der Fürst zu Grunde gehen müsse, daß er aber seine Herstellung verspreche, wenn wir in seine Methode, den Patienten zu behandeln, willigen wollten. Wir gaben seiner Meinung nach, und schon am dritten Tage darnach nahm die Besserung des guten Fürsten so augenscheinlich zu, daß er bereits nach fünf Tagen außer aller Gefahr war. Unterdes verblieb ihm eine Mattigkeit und Schwäche in den Füßen, so daß er nicht mehr allein gehen konnte, sondern von zween Menschen geführt werden mußte. Stolle konservierte ihn so noch gegen fünf Jahre.

»Das Übelste, was mir Kummer macht«, sagte damals der würdige Arzt zu mir, »ist, daß, während der Fürst noch einige Jahre sich so leidlich hinbringen wird, seine Sinnes- und Geisteskräfte allmählich eine solche Abspannung erleiden werden, daß er weder seinen häuslichen noch Regierungsgeschäften wird vorstehen können. Er wird nicht nur den Geschmack an Unterhaltungen, die ihn aufmuntern sollen, an Musik z.B., verlieren, sondern er kann wohl gar noch kindisch werden. Da ist denn zu befürchten, daß gewisse Leute, die ihn umgeben, ihn zu mancher Torheit verleiten werden. Solange der Landeshauptmann, Sie und der Präsident von Gambsberg, Ihr Schwager, um den Fürsten sein werden, hat es wenig Gefahr. Aber des erstern Lunge hält es nicht drei[262] Monat aus, und Gambsberg hat zu viel Geschäfte. Sie sind also der einzige, auf dessen Stütze ich Rechnung mache.«

Nie hat ein Prophet mehr Wahrheit vorher verkündigt als der wackere Stolle. Der Landeshauptmann starb noch vor der Zeit, und ohnerachtet ich das Versprechen des Fürsten hatte, statt meiner Freiwaldauer Amtshauptmannschaft jene einträglichere von Johannisberg zu erhalten, so wußte doch ein anderer mich unter gehässigen Vorspiegelungen beim Fürsten darum zu bringen und die Stelle an sich zu reißen.

Noch war der Verstorbene nicht begraben, so bemerkte ich an dem Fürsten, der mir seit vielen Jahren die innersten Falten seines Herzens aufgetan hatte, eine plötzliche Gleichgültigkeit und Kälte gegen mich. Nicht nur mir, sondern jedem Gutgesinnten war es handgreiflich, daß man mich bloß deswegen von des Fürsten Vertraulichkeit verdrängt hatte, um des guten Herrn Schwäche zu benutzen und, während man im Rohre saß, Pfeifen zu schneiden. Sowohl Herr von Gambsberg als ich machten dem Fürsten Vorstellungen hierüber; aber es war bereits eine Rotte gegen uns verschworen, die dem Fürsten die Antwort, die er uns zu geben hatte, in den Mund zu legen wußte. Sie lautete: Wir sollten uns nicht unterstehen, einen ungeforderten Rat zu erteilen noch ungerufen zu erscheinen!

Eine Hauptmaxime dieses Komplotts war, von dem Fürsten nicht nur alles, was ihm Aufmunterung gewähren konnte, zu entfernen und ihm einen Ekel davor beizubringen, sondern auch den guten Herrn beständig in einer Todesangst zu erhalten, um ihn von der Aufmerksamkeit auf ihre niederträchtige Handlungen abzulenken.[263] Man wußte ihm beizubringen, daß er stündlich in Gefahr sei, an einem Schlagflusse zu sterben. Dieses machte den Herrn so kleinmütig, daß er wirklich anfing kindisch zu werden.

Diese schlechte Behandlung zog mir einen Anfall von Podagra zu; allein durch Stolles Beihülfe konnte ich nach vierzehn Tagen wieder auf einen Stock gestützt gehen. Bei den täglichen Besuchen erzählte mir Stolle allen den Unfug, den man mit dem Fürsten trieb. »Gehen Sie doch auf das Schloß«, sagte er ein mal, »und reden Sie dem Fürsten zu; er hat sonst immer Vertrauen zu Ihnen gehabt. Sagen Sie ihm die Wahrheit so derb Sie können, vielleicht erschüttert ihn das!« – »Wenn er mich aber ungnädig behandelt?« – »Nun, dann können Sie ja wieder einlenken.« Ich entschloß mich dazu.

Nun wußte ich aus langer Erfahrung, daß man, wenn man den Fürsten aufmerksam machen wollte, denselben auf eine ganz ungewöhnliche Art sprechen mußte.

Statt der sonst gewöhnlichen Musik wurden des Abends im Salon von seinen Tischgenossen an zweien, auch mehrern Tischen Kommerzspiele gespielt, und man trug den Fürsten in einem Tragsessel dahin, um zuzusehen.

Auf meinen Stock gestützt trat ich ein und hinkte gerade zu des Fürsten Stuhl. Die ganze Gesellschaft, insonderheit jener saubere Herr, der an einem Tischchen Tarok spielte, stutzte und machte große Augen. Sogleich begann folgendes Gespräch zwischen mir und dem Fürsten.

Der Fürst: Was willst du? Ich habe dich nicht rufen lassen.

Ich (im festen und ernsten Tone): Schlimm genug, daß[264] Ew. Durchlaucht mich nicht rufen lassen und zu einem Zeitpunkte, wo Sie mich am meisten nötig haben, mich so wegwerfend behandeln. (Zu einem Bedienten, der hinter dem Stuhle des Fürsten stand:) He! Grobian! Was steht Er da wie ein Maulaffe! Sieht Er nicht, daß mir das Stehen sauer wird? Bring Er mir einen Stuhl! (Der Bediente brachte einen.) Daher! Dicht neben den Fürsten! (Ich setzte mich.)

Der Fürst: Du tust verzweifelt familiär.

Ich: Wo es einem Menschen wie jenem dort erlaubt ist zu sitzen, da gebührt es mir mit zehnmal größerm Rechte.

Der Fürst: Du hast dir wohl vorgenommen, mir einige Impertinenzen zu sagen?

Ich: Gott behüte mich! Wie wäre das möglich! Aber man hat mir gesagt, daß es mit Ew. Durchlaucht zu Ende geht, und da dachte ich bei mir, der Herr könnte dir jäh wegsterben, ohne daß du mit ihm versöhnt wärest. Ich beschloß also, mich, sobald ich nur könnte, hierher zu schleppen, um Ew. Durchlaucht zu sagen, daß ich Ihnen alles verzeihe, damit Sie meinetwegen nicht in jener Welt leiden sollen.

Der Fürst (tief erschüttert und betroffen): Was? – Wie? – Du mir verzeihen? – Was hab ich dir denn getan?

Ich (kalt): Ich bin nicht hergekommen, Ew. Durchlaucht Vorwürfe zu machen. Aber – (ich sahe dem Fürsten starr ins Gesicht) – wie ich sehe, hat es mit dem Sterben noch einige Jahre Zeit. (Zum Bedienten:) Bring Er die Lichter vom Tische! – Sehen mir Ew. Durchlaucht in die Augen! (Nach einer Pause:) Die Augen sind frisch – die Gesichtsfarbe ist lebhaft – der Atem frei. Wie ist, wenn ich fragen darf, der Appetit?[265]

Der Fürst: Essen kann ich.

Ich: Und der Schlaf?

Der Fürst: Mit dem gehts auch so ziemlich.

Ich: Nun, so möcht ich in aller Welt wissen, wo denn die Todesgefahr herkommen sollte.

Der Fürst: Ja! Ein Schlagfluß kommt just, wenn man ihn am wenigsten vermutet.

Ich: Ew. Durchlaucht sind vom Schlagfluß so weit entfernt als ich von Nova Zembla.

Der Fürst: Wie kannst du das sagen?

Ich: Aus Erfahrung. Der Prinz Hildburghausen hat schon neunzehn Jahre dieselbe Krankheit; er kann weder gehen noch stehen; dennoch lebt er noch und ist in seinem achtundachtzigsten Jahre immer noch frisch und munter.

Der Fürst (seufzend): So ein Schicksal wird mir nicht zu Teil werden!

Ich: Warum denn nicht?

Der Fürst: Meinst du?

Ich: Ganz gewiß; wenn Ew. Durchlaucht eine andere Lebensart anfangen; denn durch das jetzige Leben sperren Sie dem Tode Tür und Angel auf, statt daß Sie ihm jedes Loch verriegeln und verrammeln sollten.

Der Fürst: Aber wie kann ich das?

Ich: Durch selbst-eigene Aufmunterung; denn – verzeihen mir Ew. Durchlaucht – sich fürchten, wo keine Gefahr ist, ist unmännlich und ich möchte sagen kindisch, und Ew. Durchlaucht sind so ein kluger braver Herr! Schlagflüsse haben nur Leute zu besorgen, die dickes Blut haben, und das haben Sie ganz und gar nicht; werden es aber bekommen, wenn Sie immer wie eine Bruthenne dasitzen und eine Grille nach der andern aushecken.[266] Das macht dickes Blut, Aufheiterung aber verdünnt es.

Der Fürst: Wie soll ich mich aber aufheitern?

Ich: Eine Frage, die Ew. Durchlaucht sich gewiß selber beantworten können.

Der Fürst: Will aber deine Meinung hören.

Ich: Nun, da müssen Ew. Durchlaucht gerade das Gegenteil von alle dem tun, was man Sie jetzt betreiben läßt.

Der Fürst: Und das wäre?

Ich: Erstens sich wenigstens eine Zeitlang Ihrer fürstlichen und bischöflichen Geschäfte enthalten. Erstere könnte Herr von Gambsberg versehen, letztere aber Ihre braven geistlichen Räte. Zweitens die Besorgung Ihres Hausetats, denn dies ist ein Geschäft, das Ew. Durchlaucht schon unzähligen Verdruß gemacht hat, einem Manne übertragen, von dessen Redlichkeit ...

Der Fürst: Das wäre eine Sache für dich.

Ich: Ich habe schon ein anderes Plätzchen für mich.

Der Fürst: Und das ist?

Ich: Ich will bloß aus Liebe zu Ew. Durchlaucht Ihr Mentor sein, vorausgesetzt, daß Sie mir versprechen, alles, was ich zum Besten rate, nicht wie bisher mit Kaltblütigkeit und Verachtung zu lohnen.

Der Fürst: Dann müßtest du aber beständig um mich sein.

Ich: Von Herzen gern.

Der Fürst: Dann könntest du ja auch die Besorgung des Hausetats übernehmen.

Ich: Es sei! Aber mit der ausdrücklichen Bedingnis, plein pouvoir zu haben.

Der Fürst: Das sollst du haben.[267]

Ich: Drittens müssen Ew. Durchlaucht Ihrem würdigen Leibarzt Stolle, der Ihnen das Leben gerettet hat und noch lange konservieren wird, blinden Gehorsam leisten.

Der Fürst: Gern, gern – von Herzen gern!

Ich: Was aber die Zerstreuungen, durch die sich Ew. Durchlaucht aufheitern sollen, betrifft, davon ist noch viel zu sprechen; denn ich habe noch so manches in petto, was Ew. Durchlaucht gewiß behagen wird.


Nun kannte ich den Fürsten zu wohl, als daß ich nicht vorhersehen sollte, daß mein in petto seine Neugierde reizen würde. Ich war dadurch sicher, daß er wenigstens so lange, als ich ihm dies Geheimnis vorenthielt, sich nicht wieder umlenken lassen würde; daher stand ich mit den Worten auf: »Ich bin ein Rekonvaleszent und muß mich schonen. Erlauben Ew. Durchlaucht ...«

Der Fürst: O bleib noch. Du hast gleich dem barmherzigen Samariter Balsam in meine Wunden gegossen.

Ich (nachdem ich mich wieder gesetzt hatte): Wie kommt es, daß heute keine Musik ist?

Der Fürst: Es ist schon viele Tage keine mehr.

Ich: Das ist nicht gut. Aber warum denn nicht?

Der Fürst: Ach! sie macht mich nur noch trauriger.

Ich (lächelnd): Das sollt ich nicht meinen. Gerade das Gegenteil würde sie auf Ihre Stimmung bewirken.

Der Fürst: Nun, wenn du meinst? Ich wills auf deinen Rat versuchen. Von morgen an soll wieder, wie vorher, alle Abend Musik sein.

Ich: Das hieß Sie Gott sprechen! Es wird gewiß alles gut gehen. (Und nun empfahl ich mich.)

Der Fürst: Wann kommst du wieder?[268]

Ich: Wann die Witterung wie heute ist, komme ich morgen wieder in die Musik und bringe eine neue Sinfonie mit.

Ich küßte dem Fürsten die Hand, und er entließ mich sehr gnädig.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 260-269.
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