Vierzehntes Kapitel
Schlechter Gewinn bei Josephs II • Königskrönung • Graf Spork und ich im Mißverstande • Der Bischof von Großwardein • Mein Engagement

[128] Die Zeit der Krönung des Erzherzogs Joseph nahete heran. Graf Durazzo, der selbst mit nach Frankfurt ging, beorderte Gluck, den Kastraten Quadagni, mich und noch zwanzig Personen von der kaiserlichen Hofkapelle zu dieser großen Feierlichkeit. Die beiden ersten erhielten 600 Gulden Reisekosten und täglich 6 Gulden Diäten; ich aber und die andern zwanzig von allen nur die Hälfte. Man kann sich leicht vorstellen, daß niemand von uns weder bei der Reise noch bei der Verteuerung der Lebensmittel, die bei einem solchen Zulauf eine ganz natürliche Folge ist, Seide spinnen konnte. Statt etwas zu gewinnen, mußten wir zusetzen.

Da ich nun in der Qualität eines kaiserlichen Hofvirtuosen, wie mein Paß lautete, in Frankfurt zum erstenmal auf dem Römer, zum zweitenmal aber in des Kaisers Quartier, jedesmal bei öffentlicher Tafel, mit einem Konzert auftreten mußte, so wollte ich doch auch dem kaiserlichen Hofe Ehre machen und schaffte mir zwei prächtige Kleider an, die mir gegen 700 Gulden zu stehen kamen, in der Hoffnung, daß ich, wie mir vom Kameralzahlamte versichert wurde, ein beträchtliches Douceur bekommen würde. Allein, wie es denn in der Welt zu gehen pflegt, daß der das Wenigste erhält, der es am ersten verdient, so ging es hier. Gluck und Quadagni bekamen bei unserer Zurückkunft in Wien, außer jenen Diäten, annoch jeder 300 und ich armer Teufel nicht[129] mehr als 50 Dukaten. Es ist also offenbar, daß mir die Ehre, als Titularvirtuos bei der größten Feierlichkeit Deutschlands figuriert zu haben, einen Schaden von 400 und etlichen Dukaten verursachte. Selbst Graf Durazzo war hierüber aufgebracht, als er davon hörte. Da er aber reich genug dazu war, so schenkte er mir aus seinem Beutel 50 Dukaten.

Schon waren wir, da mein Kontrakt in einigen Monaten zu Ende ging, übereingekommen, daß ich nunmehr eine jährliche Gage von tausend Gulden haben, dafür aber, wie bisher, sooft es befohlen würde, im Theater und bei Hofe Konzert spielen, auch bei der italienischen Oper das Orchester als erster Violinist anführen sollte, als er mir drei Tage nachher bekannt machte, daß er zum kaiserlichen Botschafter nach Venedig ernannt worden sei, mich aber seinem Nachfolger, dem Grafen Wenzel Spork, sobald er von Prag hier eingetroffen sein würde, kräftig empfehlen und ihn zu bewegen suchen wolle, mir den mündlich verabredeten Akkord zu halten.

Vierzehn Tage nachher kam Graf Spork und übernahm die Direktion. Ich meldete mich bei ihm, und er ließ mich vor. Als ich eintrat, lag er auf einem Sofa hingestreckt und rückte und rührte sich nicht. »Hör Er«, fing er an, »ich weiß schon, daß Sein Kontrakt mit dem Theater nun bald zu Ende geht; will Er sich neuerdings um den nämlichen Gehalt, den Er vorhin gehabt hat, engagieren?« Mir fuhr das Er gewaltig vor den Kopf. »Ew. Exzellenz halten mir zur Gnade«, antwortete ich; »ich weiß nicht, wie ich dazu komme, daß Sie mich Er heißen. Ich habe öfters die Ehre gehabt, bei Ew. Exzellenz Vorfahr und andern kaiserlichen Geheimen Räten zu speisen, und keiner von ihnen hat mich Er geheißen. So eine Herabsetzung[130] bin ich nicht gewohnt und beleidigt mich!« – Der Graf stutzte, und indem er sich verlegen das Kinn strich, sagte er in einem drollig betroffenen Tone: »So? – Seht doch, welch stolzes junges Herrchen! Doch – es kommt mir auch darauf nicht an: Also wollen Sie einen neuen Kontrakt eingehen?«

»Für das bisherige Bagatell kann ich nicht mehr dienen.« Er wollte zulegen, aber es fehlte noch viel an jenen tausend Gulden. »Wenn er Sie«, sagte Graf Durazzo, dem ich das erzählte, »gehört haben wird, wird er sich wohl dazu verstehen; wenn nicht, so gehen Sie mit mir nach Venedig, und ich gebe Ihnen 200 Dukaten, meine Tafel und freie Wohnung.« Da ich aber wußte, daß weder die Botschafter selbst noch die Leute von ihrem Gefolge irgendeinen Umgang mit eingeborenen Venezianern haben dürfen, weil dieses ihren Staatsmaximen entgegen ist, so deprezierte ich mit aller möglichen Bescheidenheit.

Um aber sowohl den Grafen Spork als das Wiener Publikum nach mir lüstern zu machen, erfand ich folgenden Kunstgriff. Ich sah vorher, daß künftigen Freitag die Tour ein Konzert im Theater zu spielen an mich kommen würde; daher nahm ich mir vor, mich krank zu stellen und wenigstens unter vier Wochen kein Konzert zu spielen, damit ich Zeit gewönne, ein paar Konzerte, die ich skizziert hatte, ins Reine zu bringen und einzustudieren. Da ich aber bei jeder andern vorgeblichen Krankheit Gefahr lief, entdeckt zu werden, so verfiel ich auf eine Verrenkung der Achsel. Auf die Treue meines Bedienten so wie auf die Verschwiegenheit meines Barbiers konnte ich mich verlassen. Ich blieb also zu Hause, und sooft jemand sich bei mir melden ließ, bespritzte[131] ich das Zimmer mit Kampfergeist und schob ein Kissen unter meinen Schlafrock gerade über die rechte Achsel. Niemand zweifelte an der Wahrheit meines Unglücks.

Noch waren nicht drei Wochen verstrichen, als ich mit allem fertig war. Der freiwillig mir aufgelegte Hausarrest ward mir zuwider, und ich fing an auszugehen. Mein erster Gang war zum Grafen Spork, dem ich plausibel zu machen wußte, daß ich unter vierzehn Tagen noch nicht spielen könne, und er erteilte mir diese Frist sehr gerne.

Endlich erschien der Abend, an welchem ich auftreten sollte. Das Theater war gepfropft voll. Mein neues Konzert gefiel so, daß ich das letzte Allegro wiederholen mußte, das ich sodann wieder rascher nahm und variierte. Der Beifall war allgemein.

Am folgenden Morgen ließ der Graf mich rufen. »Ich sehe ein«, sagte er, »daß ich Ihnen etwas zulegen muß.« Er bot 700, er bot 800 Gulden. Ich nahm sie nicht an. »Nun«, sagte er, »mehr kann und will ich nicht geben.« – »Wie es Ew. Exzellenz beliebt!« versetzte ich, machte meine Verbeugung und ging.

Zu dieser Zeit kam der Bischof von Großwardein von der berühmten Familie Patachich in Kroatien, der, wie die meisten ungarischen Magnaten und Obergespanne zu dem Landtage nach Preßburg berufen war, nach Wien. Er hörte mich bei Hofe spielen, ließ mich rufen und erzählte mir, daß er nicht nur ein außerordentlicher Freund der Musik sei, sondern auch seine eigene Kapelle habe; da aber sein bisheriger Musikdirektor Michael Haydn (ein Bruder von Joseph Haydn) nach Salzburg als Konzertmeister gehe, so offeriere er mir dessen Stelle mit einem jährlichen Gehalt von 1200 Gulden,[132] der herrschaftlichen Tafel, freier Wohnung und freier Besoldung, Kost und Livree für meinen Bedienten. Ich antwortete dem Bischof, daß ich dies Anerbieten auf der Stelle annehmen würde, wenn ich nicht gerade mit der Theaterdirektion in Unterhandlung stünde, versicherte aber zugleich, daß ich, falls die Sache sich nicht machte, ihm zu Befehl stehen wolle. Da er mir sagte, daß er noch drei Tage in Wien bleiben wolle und alsdann Gewißheit davon haben müßte, so versprach ich ihm, mich binnen dieser Zeit kategorisch zu erklären.

Am dritten Tage ging ich zum Grafen Spork. Er akkordierte nach einem langen Gespräch bis auf 900 Fl. hinauf. Ich ließ nicht nach. »Es tut mir leid«, sagte ich endlich, »um so einer Kleinigkeit willen meinen Geburtsort verlassen zu müssen.« – »Nun«, versetzte er, »damit Sie nicht sagen können, ich habe Sie daraus verdrängt, so will ich so räsonabel sein und Ihnen noch 50 Fl. zulegen.« – »Und wenn mir«, fuhr ich im übereilten Unwillen zu, »Ew. Exzellenz 999 Fl. 59 Kreuzer geben und es fehlt der sechzigste Kreuzer, so dien' ich nicht.«

Er (sehr aufgebracht): Ei seht doch! Das junge Bürschchen hat viele Eigenschaften eines Virtuosen, hauptsächlich aber eine ziemliche Portion Impertinenz.

Ich (kalt): Haben Ew. Exzellenz die Gnade, sich jetzt gleich zu erklären; denn es liegt mir daran, heute noch zu wissen, woran ich bin.

Er: Heute noch?

Ich: Ja, Ew. Exzellenz.

Er (zornig): Und heute ist es mir gerade nicht gelegen. Scheren Sie sich Ihrer Wege, und erscheinen Sie nicht eher bei mir, als bis ich Sie rufen lasse![133]

Ich machte eine Verbeugung und ging, aber gerade in den Gasthof, wo der Bischof von Großwardein logierte. Ich schloß mit ihm ab und versprach, daß ich mit Anfang des folgenden Monats mit Sack und Pack in Preßburg eintreffen wolle, worauf er mir einen Vorschuß von hundert Dukaten auf die Hand zahlte.

Als ich an demselben Abend mit eben der Wirkung wie das vorige Mal mein zweites neues Konzert gespielt hatte, winkte mir Graf Spork aus seiner Loge, daß ich zu ihm kommen sollte. »Ungeachtet mich Ihre trotzige Antwort sehr beleidigt hat«, sagte er, »so will ich doch darüber hinaussehen, und ich akkordiere Ihnen jetzt die verlangten tausend Gulden.« Ich erklärte ihm aber die nunmehrige Lage der Umstände, und so leid es ihm tat, so ersahe er doch wenigstens zugleich, daß ich ihn durch meine ungestüme Forderung nicht hatte beleidigen wollen, und hatte die Güte, mich für den morgenden Tag zur Tafel zu bitten. Nach aufgehobener Tafel nahm er mich ans Fenster und sagte: »Sollte es Ihnen in Ungarn nicht behagen, so finden Sie hier immer ein Gehalt von tausend Gulden wieder. Unterdes, da Sie durch die etlichenPas des deux, die Sie für die Turchi und den Paganina gemacht, gezeigt haben, daß Sie Talent für die Balletkomposition besitzen, so will ich Ihnen alljährlich vier solcher Ballette zu komponieren geben, wodurch Sie einen Zuschuß von hundert Dukaten haben. Übrigens tut es mir leid, Sie verlieren zu müssen; aber mir sind vom Hofe die Hände gebunden, und ich muß mich einrichten. Auch habe ich allen von der Hildburghausischen Kapelle, die Zulage oder Entlassung begehrten, die letztere aus eben dem Grunde geben müssen.«

Ich erstaunte, den Grafen, der sich erst so brüsk gegen[134] mich geäußert hatte, in einem so gütigen vertraulichen Tone mit mir sprechen zu hören. »Verzeihen Ew. Exzellenz«, sagte ich zu ihm, »wenn ich Sie durch meine dreisten Antworten beleidigt habe; ich kannte damals Ihr vortreffliches Herz nicht.« Er lächelte, drückte mir die Hand und antwortete: »Auch ich kannte Ihren musikalischen Wert und Ihren festen Charakter nicht; es ist daher das Beste, wir vergessen, was unter uns vorgefallen ist. An mir sollen Sie jederzeit einen Mann finden, der es gut mit Ihnen meint.«

Wer hätte denken sollen, daß wir so gut auseinander gehen würden!

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 128-135.
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