Zwanzigstes Kapitel
Das ovale Theater im Turm • Mein Oratorium: Davide • Meine komische Oper: Il viaggiatore americano • Demoiselle Nicolini • Meine ehrbare Heirat

[192] Ob ich gleich alle schleunige Anstalten machte, so verging doch eine geraume Zeit, ehe ich meine sehr kleine Kapelle einigermaßen in Stand brachte. Sie bestand, mich mit eingerechnet, aus 17 Personen, davon 11 ordentlich salariert waren; die andern aber waren Leute, die zum gewöhnlichen Hausetat gehörten.

Mein Steckenpferd wieherte und stellte sich so lange ungebärdig, bis ich einen Versuch machte, dasselbe besteigen zu können. Ich will sagen, ich konnte vor der Idee nicht ruhen, ein Haustheater zu errichten. Nur war es um einen Platz zu tun.

Mit dem alten verwünschten Schlosse ließ sich nichts anfangen. Schon die Überschrift: »Johann Turso, Bischof von Breslau, hat dieses vom Zahn der Zeit zerstörte Schloß aus eigenem Säckel wieder hergestellt, dem heiligen Johannes dem Täufer geweihet und ihm den Namen Johannes beigegeben. Im Jahre Christi 1509« – läßt begreifen, daß in einem Schloß, das schon damals vom Zahne der Zeit zerstört gewesen und, wie man die Vermutung hatte, im neunten oder zehnten Jahrhundert erbaut worden war, für meinen Plan nichts Tröstliches habe gefunden werden können. Unterdes, wer nur recht will, der kann auch.

Hart an den Gebäuden des Schlosses stand ein hoher und ovaler massiver Turm, der in seinem längern Durchmesser ohngefähr acht Klaftern hatte. Auf diesen[193] richtete ich meinen Anschlag. Es kam nur darauf an, ihn bis zum Fußboden der andern Zimmer abtragen und einen ovalen Saal darauf setzen zu lassen, so war die Schwierigkeit gehoben. Der Fürst, dem man die Sache vortrug, fand den Vorschlag ausführbar und ließ sich den Kostenanschlag davon, der sehr gering ausfiel, vorlegen. Alle dazu erforderlichen Materialien fanden sich nämlich auf den bischöflichen Gütern im Überfluß, und da nun die Untertanen zu allen und jeden unentgeltlichen Diensten beim Schloßbau verbunden waren, so hatte der Fürst weiter nichts als die Handwerksleute zu bezahlen. Kurz, der Bau wurde über Hals, über Kopf betrieben, und man war noch nicht in der Hälfte des Herbstes, so stand der Salon fertig und ausgemalt da. Er fiel für das Gehör so schön aus, daß ich noch heute jedem großen Herrn, der eine Kapelle hält, rate, einen Salon von gleicher Größe, Höhe und Rundung zu bauen; er wird finden, daß so eine Bauart viel beiträgt, die Musik ohne gellenden Widerschall zu verstärken.

In diesem Saale nun wurde ein Theater aufgesetzt, und ich machte Anstalt zu einem Theaterpersonale. Durch Korrespondenz mit meinem Busenfreund Pichel in Wien erhielt ich Renner, dessen Frau unterdes gestorben war, mit seiner Tochter, und Ungericht, der gerade ohne Dienst und Brot herumirrte. Überdem, so war der Fürst nicht nur zufrieden, daß ich meine Schwester kommen ließ, sondern bestimmte auch ein eigenes Zimmer im Schlosse und seine eigene Tafel für sie.

Nun hatte ich wieder ein Theaterpersonal, mit dem ich Ehre einlegen konnte. Padre Pintus war ein guter italienischer Dichter. Er schrieb mir für die Fasten ein schönes Oratorium: Davide, und für den ersten Mai eine[194] komische Oper: Il viaggiatore americano. Mlle. Nicolini hatte sich, während ich sie gesehen, sowohl in der Musik als auch an Wuchs und feiner Lebensart so ausgebildet, daß sie von jedermann geschätzt wurde. Sie spielte die Rolle des David meisterhaft. Und welche Rolle ich spielte und wie, sollen meine Leser gleich hören.


Es sollte wohl nun eigentlich hier ein neues Kapitel anfangen, denn es ist von einem wichtigen Schritte meines Lebens die Rede. Allein da weiter nichts Romantisches und Abenteuerliches dabei vorkommt, sondern alles beinahe fein spießbürgerlich dabei ab geht, so wollen wir ungestört in unserm vorigen Gange bleiben.

Da ich nämlich der guten Nicolini täglich Unterricht gab, so – verliebte ich mich in sie? – Nun, wenn mans so nennen will, meinethalben. Aber das wars eigentlich nicht, was ich sagen wollte. Ich fand vielmehr so viel Gelegenheit, ihre guten Eigenschaften und ihren soliden Charakter zu entdecken, daß ich bei mir selber beschloß, ihr rundweg einen Heiratsantrag zu machen, doch aber damit vorher noch eine Zeitlang inne zu halten, bis ich mich selber genug geprüft hätte, ob ich mit ihr und sie mit mir wohl ein vergnügtes Leben würde führen können. Als ich endlich mit mir selber aufs Reine war, machte ich ihr eines Morgens während der Lektion den Antrag, sagte ihr aber auch zugleich, daß sie sich Bedenkzeit nehmen könne, solange es ihr beliebe, und wenn es auch ein Jahr wäre. Sie gab mir zur Antwort, daß bei ihr gar keine Bedenkzeit nötig wäre, nur müsse ihr Stiefvater, Herr Renner, seine Bewilligung dazu geben. Damit hatte es nun aber nicht die geringste Schwierigkeit. Ich suchte die Szene in das Zimmer des[195] Fürsten zu verlegen, brachte in dessen und meiner Erkorenen Gegenwart mein feierliches Bewerbungswort an, und die Sache war augenblicklich gemacht. Der Fürst war gleich bereit, uns vom Aufgebot zu dispensieren und die Trauung am folgenden Sonntag selbst zu vollziehen. Allein ich verbat zu meiner und zur Ehre meiner Braut die Dispensation und jede Eil und setzte selber die Verbindung auf sieben Monate hinaus, womit denn der Fürst und insonderheit seine Schwägerin, die Gräfin Schaffgotsch, die gerade in Johannisberg war, sich sehr zufrieden bezeugten, meine Braut darauf ein für allemal bei der Tafel des Fürsten einführte und sie – auf den Mund küßte.

Am dritten März des folgenden Jahres – so lange hatte ich seit dem vorigen Juli richtig und ehrbar ausgehalten – ward ich vom Fürsten in seiner Schloßkapelle getrauet. Er räumte mir fünf Zimmer daselbst für uns alle ein und überreichte mir einen Schenkungsbrief, kraft welchem die ganze Einrichtung und das Meublement in denselben mein Eigentum wurde.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 192-196.
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