Vorbericht des Herausgebers

Von der Entstehung und dem eigentümlichen Zwecke bei der Herausgabe des nachfolgenden biographischen Werks ist bereits in der Ankündigung gesprochen worden, welche mit so vielem Vertrauen auf Deutschlands Edelmut gegen die hinterlassene Familie Dittersdorfs ausgestreut wurde, aber – vermutlich des politischen und literarischen Geräusches wegen, das die schwache Stimme bescheidener Menschenfreunde übertäuben muß – nur wenig bemerkt worden zu sein scheint.

Gequält von langwierigen Leiden eines zerrütteten Körpers und daniedergebeugt von Kummer und Unmut über sein unverdientes Schicksal, das ihn und die Seinigen ein Opfer seiner Rechtschaffenheit werden und sein Leben, das einst so glänzend gewesen war, sich in Nacht verlieren und so gemein werden ließ, wandte er die letzten Momente desselben dazu an, zu seiner Erheiterung, zum Teil aber auch, um auf seine Familie noch einen kleinen Nachlaß zu vererben, der ihr nach seinem Tode zu Gute käme, sein Leben zu beschreiben und, da er selbst nicht mehr zu schreiben vermochte, dasselbe seinem ältesten Sohne in die Feder zu diktieren. Von seinem Lehnstuhle aus, von welchem er in dem weitläuftigen, vom Herausgeber unterdrückten Eingange einen spaßhaften, etwas altfränkischen Dialog mit der Dame Langeweile hält, scherzte er nun mit lächelndem Munde und der unwillkürlichen Miene des Schmerzes über seinen traurigen Zustand, nicht ahnend, wie nahe der Tod hinter ihm rauschte und bereits seine Sense über ihn schwang. Denn zwei Tage, nachdem er das Werk beendigt, starb er, und, wie es unter jenen Umständen hatte werden können,[9] übersandte es nun die hinterlassene Witwe nach dem Willen des Verstorbenen der Breitkopf-Härtelschen Handlung, die sogleich darauf bedacht war, den Wunsch des verdienstvollen unglücklichen Künstlers zu ehren und das Werk in einer etwas veränderten Gestalt zum Besten der Familie erscheinen zu lassen. Man gab dem Herausgeber diesen Auftrag und hatte das Vertrauen zu ihm, daß er diesen Zweck erfüllen würde, ohne dem Geiste des Werkes zu schaden und das Eigentümliche desselben zu verwischen.

Diesem Auftrage glaubt derselbe nun in jedem Sinne gewissenhaft nachgekommen zu sein. Er hat sich hin und wieder Freiheiten nehmen müssen; aber sie waren schlechterdings notwendig, weil, was ein kränkelndes Alter der Jugend mit aller Redseligkeit vorplaudert, sehr leicht dem Publikum zuwider werden und das Hauptinteresse einer Erzählung schwächen muß. Dem Ganzen ist dadurch nicht das Geringste von seinem Werte und seinem eigentümlichen Charakter entzogen worden, um so weniger, da wohl niemand mehr als der Herausgeber überzeugt sein kann, daß man den Nachlaß eines Schriftstellers ebenso sehr als dessen Produkte bei seinen Lebzeiten in ihrem Wesentlichen unverfälscht lassen müsse. Das Vergnügen, welches sich aus der Lektüre einer romantischern Komposition schöpfen läßt, macht gewiß nicht die verletzte Pflicht wieder gut, jeden nach seiner Weise reden zu lassen.

Demnach ist dies wirklich Dittersdorfs Lebensbeschreibung. Er hat so gesprochen, so erzählt, so empfunden und geurteilt; nur ist, wenn man will, etwas mehr Form, mehr Stil, mehr Zusammenhang und Raschheit in sein Werk gebracht worden; ein Dienst, den man den schriftstellerischen[10] Resten eines solchen Mannes, der kaum sich selber mehr angehörte, wohl erzeigen kann, ohne ihnen eben Gewalt anzutun, und der sogar eine Folge der Achtung ist, die man seinen Manen schuldig ist.

Es hält schwer, diesen zu begegnen, ohne sich zugleich lebhaft der Verdienste zu erinnern, welche Dittersdorf um die neuere dramatische Musik gehabt hat und die ihm, wie seine in vieler Hinsicht vortrefflichen Oratorien Esther und Hiob und mehrere seiner Instrumentalkompositionen, einen bedeutenden Rang unter Deutschlands bessern Tonkünstlern sichern.

In Absicht der Operette ist er für uns gewissermaßen, was Gretry für Frankreich ist. Seine dramatischen Werke haben größtenteils natürliches Leben, Anmut, Charakter und Wahrheit und insonderheit eine gewisse Freundlichkeit und Popularität, die geradehin die Empfindung anspricht wie ehemals, in kleinerer Gattung, die unvergeßlichen Hillerschen Operetten, von welchen wir nicht ohne merklichen Schaden, wenn nicht für die Kunst der Musik an sich, doch für die Reinheit des Dramas und für den guten Geschmack, schon viel zu weit abgekommen sind. Was den Dittersdorfschen Theaterstücken allenfalls hin und wieder an der höhern, innigern Wahrheit der Deklamation (dem eigentlich Poetischen) und mitunter in Absicht der korrekten Bearbeitung des Textes abgeht, wie sie die strengere Kritik von jedem musikalischen Gesangstücke, das auf Vollendung Anspruch machen will, unerläßlich fordert, das wird von der andern Seite wieder durch so manche Schönheit des deklamatorisch-theatralischen Ausdrucks, durch den Glanz des Orchesterspiels, das eben nicht in Überladung verfällt, durch Gründlichkeit im Satze, der bisweilen vernachlässigter[11] scheint, als er ist, weil er nur etwas leer gehalten ist, und vor allen Dingen durch schönen fließenden Gesang ersetzt, dem man es anhört, daß er nicht, wie in manchen unserer neuesten, insonderheit ursprünglich französischen Opern, zuletzt aus der Begleitung wie ein Fazit herausgerechnet und als eine notdürftige Zugabe in die Singstimme geschrieben, sondern aus der Seele hervorgequollen ist. Wenn alles dies Eigenschaften sind, die dem Gefühle zusagen, für welches jeder Künstler zunächst doch arbeitet; wenn Werken, die auf die Empfindung und die Phantasie der Menge wirken sollen, nichts wesentlicher ist als Gesang, als musikalische Handlung, als Popularität: wer ist, der Dittersdorf in einem gewissen Sinne das sehr ansehnliche Verdienst des gebildeten Volkskomponisten absprechen kann? Fern sei es von uns, dies zu vergessen und dem Künstler selber beizumessen, was endlich in der Zeit und – in dem Ekel sich gründet, der in Künsten, wie in der animalischen Ökonomie, eine natürliche Folge der Überladung und der Verkünstelung ist.

Noch schwerer ist es daher, den Wunsch zu unterdrücken, daß das Publikum durch warme Teilnahme an dem Schicksale der Nachgelassenen Dittersdorfs den Dank einigermaßen abtragen möge, welchen es dem lieben Verstorbenen für das viele Vergnügen wohl schuldig ist, das ihm die nicht geringe Anzahl seiner deutschen Opern so lange schon gewährt hat und immer noch fort gewährt. Wer, der ein menschliches Herz im Busen trägt, kann ungerührt den Schluß dieser Biographie (S. 273 bis 277) lesen; wer den Jammer eines unglücklichen Vaters, der, nahe am Ziele seines zuletzt höchst mühseligen Pilgerweges, einen schmerzlich gerührten Blick über sein[12] Grab hinaus auf seine unversorgte Familie hin wirft, gleichgültig mit ansehen; wer den Ausdruck der Selbsterniedrigung eines verdienten Künstlers ertragen, der, in der Blütezeit seines Lebens von großen Hoffnungen und Phantasien umgaukelt, in der glänzenden Periode seines männlichen Lebens wohl nicht auf einen so schalen Ausgang gerechnet hatte und nun in Gemeinheit versinkt, um sich von seiner lieben deutschen Nation für alles, was er ihr zu Gute tat, zuletzt noch das Recht zu erbetteln, in die Reihe der Unglücklichen gestellt zu werden, welche ihren Mitbrüdern, gern oder ungern, zum Gefühle der Großmut bei einer im Grunde sehr gemeinen Handlung verhelfen!!!

Doch es steht von dem edleren, insonderheit dem vermögenderen Teile der Nation, wofern er nur davon erfährt, daß hier eine brave Künstlerfamilie noch Trost und Hilfe bedarf, zu erwarten, daß er gern dazu tun werde, die Schmach von unserer Nation abwälzen zu helfen, über die so mancher verdiente Gelehrte und Künstler schon seufzte. Die nachfolgende kleine Zahl von Subskribenten, die sich besonders nach der Ankündigung im deutschen Merkur eingefunden hat, beweist genug, daß vieles nur recht gekannt zu werden braucht, um der Teilnahme gewiß zu sein.


Möchten doch auch diese Worte dazu dienen!


Leipzig, im Dezember 1800

Karl Spazier

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 9-13.
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