d) Die Synthesis: Das Klavierkonzert

[329] So herrliche Beispiele der Konzertform Mozart für Saiten- und Blasinstrumente geliefert hat: sein Ideal erreicht er doch erst in seinen Klavierkonzerten. Sie sind die Krönung und der Gipfel seines instrumentalen Schaffens überhaupt, zum mindesten auf dem Gebiete des Orchestralen. Das Konzert für Violine hat Mozart nach kurzer, wenn auch eifriger Pflege wieder liegen lassen; dem Konzert für einzelne Bläser – Flöte, Oboe, Fagott, Hörn, Klarinette – und der Sinfonia concertante wendet er zwar manchmal sehr ernstliche, aber doch nur gelegentliche Aufmerksamkeit zu. Mit dem Klavierkonzert aber hat er sich von frühester Jugend an bis zum Ende beschäftigt, und wir hätten sicherlich auch aus den letzten vier oder fünf Jahren seines Lebens mehr als nur zwei Klavierkonzerte, wir könnten zehn oder zwölf solcher Meisterwerke mehr haben, wenn das Wiener Publikum damals Mozart einige größere Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Denn natürlich komponiert Mozart keine neuen Klavierkonzerte, wenn er keine Gelegenheit hat, sie zu spielen. Unter den fünfzig und mehr Sinfonien Mozarts sind es, streng genommen, vier, die in die Kunstewigkeit hineinragen; unter den etwa dreißig Streichquartetten zehn. Unter den dreiundzwanzig Konzerten für Klavier und Orchester ist nur ein einziges, das nicht als ganz »vollwertig« gelten kann: es ist das Konzert für drei Klaviere (K. 242), das Mozart nicht[329] für sich selber oder eine tüchtige Solistin geschrieben hat, sondern für drei gräfliche Dilettantinnen. Dazu kommt die innere Überlegenheit des Klaviers über die andern Soloinstrumente, auch wenn diese Instrumente sich vereinigen zum »Concertino«, wie in der Sinfonia concertante für vier Bläser oder in dem Doppelkonzert für Violine und Viola. Nur im Klavierkonzert stehen sich zwei Kräfte gegenüber, die wirklich fähig sind, sich miteinander zu messen, und von denen keine der andern sich unterzuordnen braucht. Hier endlich ist das Soloinstrument nicht im Nachteil, entweder durch sein begrenztes Tonvolumen wie die Violine, Flöte, Klarinette, oder durch die Beschränktheiten der Intonation und Modulation wie das Horn. Es ist ebenso mächtig wie das Orchester, und ein selbstsicherer Opponent auch durch die Verschiedenheit seiner Tonerzeugung, als ein verfeinertes Schlaginstrument. Es sei auch hier, nebenbei, wiederum bemerkt, daß Mozart seine Klavierwerke, auch die Konzerte, von Anfang bis Ende nicht für das Cembalo geschrieben hat, sondern für das Pianoforte, und daß man alle die Damen oder Herren vom Podium jagen sollte, die etwa das c-moll-Konzert oder das C-dur-Konzert K. 503 für ihr Cembalo in Anspruch nehmen möchten. Man sollte allerdings auch alle Dirigenten vom Podium verjagen, die ein Mozartsches Konzert durch ein Streichorchester begleiten lassen, das »gefüttert« ist von zehn Kontrabässen, und die den Solisten dadurch zu einer Tongebung zwingen, wie sie nur auf unsern Mammutflügeln möglich ist.
Im Klavierkonzert hat Mozart sozusagen das letzte Wort in der Verschmelzung des Konzertanten und des Sinfonischen gesagt, eine Verschmelzung zu einer höheren Einheit, über die kein »Fortschritt« möglich war, weil das Vollkommene eben vollkommen ist. Mit Recht hat der feinsinnige Monograph des Mozartschen Klavierkonzerts, C.M. Girdlestone (»Mozart et ses concertos pour piano«, Paris 1939) betont, daß die »emancipation de l'orchestre«, die manchmal dem Beethovenschen Konzert zugeschrieben wird, sich völlig ausgebildet schon bei Mozart finde. Beethoven setzt die beiden Klangkörper vielleicht in eine »dramatischere« Beziehung, er pflegt ein anderes Ideal der Virtuosität als Mozart; aber er hat im Grunde nur einen[330] einzigen Typus des Mozartschen Konzerts weiterentwickelt, den wir vorläufig den »militärischen«, den »martialischen« nennen wollen – Mozarts Konzertform ist ein Gefäß mit viel reicherem, feinerem, sublimerem Inhalt. Es gehört zu den Vollkommenheiten Mozartscher Musik, daß ihre »Dramatik« latent bleibt, daß sie tiefere Tiefen kennt als den »Kampf« auseinanderstrebender Kräfte. Der Wettstreit geht auch bei ihm manchmal sehr weit, aber nie so weit, daß man ihn nicht auch ein »zweieiniges« Zusammengehen in einer höheren Harmonie nennen könnte. Sein Klavierkonzert ist im Grunde seine ureigenste Schöpfung; das Ideal, die Vollendung dessen, was in einigen seiner Klaviertrios, den beiden Klavierquartetten nur deshalb nicht zu so vollem Ausdruck gelangt, weil das Klavier dort immer noch der mächtigere Redner bleibt, gegen den die Streicher nicht ganz aufkommen. Mozarts Klavierkonzert: es ist die Apotheose des Klaviers im richtigen, breiten Rahmen. Es ist die Apotheose des Konzertanten, aber das Konzertante ist eingebettet ins Sinfonische. Oder man könnte auch sagen: das Sinfonische schafft sich einen Protagonisten, das Klavier; es gefährdet seine Einheit durch einen Dualismus; es überwindet diese Gefahr. Mozarts Klavierkonzert scheint nie die Grenze des Gesellschaftlichen zu sprengen – wie könnte es das, da ihm ja wesentlich ist, vorgeführt zu werden, da ihm Intimität verwehrt ist! Und doch läßt es sich immer die Türen offen, das Dunkelste und Strahlendste, Ernsteste und Heiterste, Tiefste zu sagen; aus dem »Galanten« ins Sinfonische vorzustoßen; die Hörerschaft auf eine höhere Ebene zu heben. Die Hörerschaft, die dem Mozartschen Klavierkonzert gewachsen ist, ist die beste, die es gibt.
Wenn hier gesagt worden ist, das Klavierkonzert sei Mozarts ureigenste Schöpfung, so heißt das nicht; er habe in dieser Gattung keine Vorgänger gehabt oder keine gekannt. Sie war eine junge Gattung, für deren Entwicklung die Familie Bach, der große Vater und zwei seiner Söhne, der zweitälteste und der jüngste, am meisten getan haben. Johann Sebastian überträgt um 1720 die Vivaldische Konzertform aufs Klavier – eine Folge von drei Sätzen, als deren Typus man die Folge: Allegro maestoso – Andante oder Largo – Presto bezeichnen kann –;[331] der erste Satz imitiert oder erweitert die Form des Hauptteils einer monumentalen Aria – A a = d D = a' A', wenn wir mit großen Buchstaben die Tutti, mit kleinen die Soli bezeichnen wollen und mit A den »filo« der Themen, mit D eine Art von modulierendem thematischem Mittelteil, der mehr oder minder den Charakter einer Durchführung annimmt. Der zweite Satz hat manchmal dieselbe Form, nur in kantabler melodischer Fassung, oder einfache zweiteilige Liedform; der dritte ist meist ein Rondeau und fast immer von geringerem spezifischem Gewicht als der erste. Es ist selten, daß ein Konzert einen so großartigen Abschluß findet wie durch die gloriose Fuge in Johann Sebastians C-dur-Konzert für zwei Klaviere, oder in dem berühmten d-moll-Konzert Philipp Emanuels von 1748. Nun ist es sicher, daß der junge Mozart keins der Klavierkonzerte Johann Sebastian Bachs gekannt hat, und mehr als fraglich, ob eines der siebenundvierzig Konzerte Carl Philipp Emanuels. Möglich, daß er in späteren Jahren das erwähnte d-moll-Konzert kennengelernt hat, dessen Finale mit dem ersten Satz seines d-moll-Konzerts in einer sonderbaren, kaum jedoch mit Händen zu greifenden Relation steht. In der Bibliothek van Swietens war Philipp Emanuel sicherlich auch mit Klavierkonzerten vertreten. Aber abgesehen davon, daß Philipp Emanuels Eigenart der Eigenart Mozarts nicht »kongenial« war, so sind alle Klavierkonzerte Philipp Emanuels spezifische Cembalokonzerte; so sehr cembalistisch in Erfindung und Dynamik, daß er am Ende seines Lebens (1788) ein Doppelkonzert für ein Cembalo und ein Pianoforte mit Orchester schreiben kann.
Philipp Emanuel war ein viel zu geistreicher und innerlich bewegter Musiker, um nicht dem Orchester neben dem Cembalo seine gewichtige Rolle zuzuteilen, um nicht die Konzertform immer wieder zu variieren. Aber – Mozart ist nicht oder zum mindesten unmittelbar nicht von ihm beeinflußt. Der Meister, mit dessen Klavierkonzert er als Kind zunächst bekannt wurde, war ein Süddeutscher, Georg Christoph Wagenseil, der alte und hochgeachtete Musiklehrer der habsburgischen Erzherzoginnen, dessen Klavierwerke Mozart schon 1764 in London vorgelegt bekommt und von dem Leopold ein Konzert für zwei Klaviere ausdrücklich als im Besitz der Familie erwähnt (Nov.[332] 1767) – ein liebenswerter Musiker, der eine viel einfachere Form des Klavierkonzertes pflegt als der Berliner Bach. Aber mit dem Einfluß Wagenseils mischt sich sehr bald der Johann Christian Bachs. Bach gibt auch auf diesem Gebiet für einige Zeit wiederum der Phantasie Mozarts die stärkste Anregung – oder, wenn dies zu apodiktisch ausgedrückt sein sollte: von Bachs Konzertform nimmt seine Phantasie den Ausgangspunkt. Wir haben dafür die Dokumente. Als ein Knabe von zehn Jahren, im Sommer oder Herbst 1765, adaptiert Mozart drei Sonaten aus Johann Christians Opus 5 zu Konzerten: »Tre Sonate del Sgr. Giovanni Bach ridotte in Concerti dal Sgr. Amadeo Wolfgango Mozart« (K. Nr. 107). Mozart übt an Johann Christians Melodik die Konzertform. Sein Verfahren ist ungemein primitiv: er verteilt den musikalischen Stoff zwischen den beiden Partnern und verkürzt oder erweitert den Umfang der dreimal drei Sätze, indem er Tutti und Solo alternieren läßt; das Tutti besteht einfach aus zwei Violinen und Baß. Aber es war nicht bloß Übung: die drei Werke waren auch Repertoire für kommende Kunstreisen. Zwei Violinen und ein Baß waren immer und überall, auch an dem ärmlichsten Hof und in der amusischsten Stadt Hollands, Frankreichs und der Schweiz zu finden, wenn Mozart sich als Konzertspieler produzieren wollte – indes die gangbaren Konzerte Bachs doch meist ein Orchester mit Oboen- und Hörnerpaar verlangten.
Mozart hat die drei Werke durchaus nicht nur als Wunderkind gespielt, sondern auch in späteren Jahren, wie zwei der Handschrift und dem Stile nach viel reifere Kadenzen zu dem ersten der Konzerte in D beweisen. Später, im Jahr 1767 in Salzburg, hat Mozart das gleiche oder ein ähnliches Verfahren angewendet auf eine Reihe von Sonatensätzen meist »Pariser« Musiker: Hermann Fr. Raupach, Leonzi Honnauer, aber auch Schobert, Eckard und Philipp Emanuel Bach. Ein ähnliches Verfahren: denn diesmal wird der Solopart etwas anspruchsvoller, und das Tutti hat die übliche Besetzung mit vollem Streichorchester und den zwei Bläserpaaren. Die Stileinheit in der Galanterie ist so überzeugend, daß man bis auf die Entdeckungsarbeit von Wyzewa und Saint-Foix diese vier Konzerte (K. Nr. 37, 39, 40, 41) für »echten Mozart« hat halten können.[333] Es sind die einzigen, die vielleicht die Ausführung des Soloparts auf dem Cembalo vertragen.
Ende 1773 schreibt Mozart sein erstes, wirkliches Klavierkonzert, in D (K. Nr. 175). Es geht nach Besetzung – zu Oboen und Hörnern treten noch Trompeten und Pauken –. Verhältnis von Solisten und Orchester und Umfang bereits weit hinaus über Johann Christian Bach, und es ist, als ob er sich dessen bewußt gewesen wäre und es hätte betonen wollen. Denn in der Durchführung setzt nach sechs Takten des Solos bereits das Tutti mit einer sogenannten »fausse reprise« ein, die Mozart sonst nicht häufig betont und die bei ihm nicht die Bedeutung hat wie bei Haydn. Nun, Johann Christian hätte hier die wirkliche Reprise begonnen, es kam in seinem gesellschaftlich gestimmten Konzert mehr auf ein elegantes und liebenswürdiges Solo an als auf eine ernstliche Auseinandersetzung zwischen Soli und Tutti. Bei Mozart geht es auch nur noch zweiundzwanzig Takte weiter, aber in ihnen werden ein paar gefährlichere und trübe Regionen betreten, durch die die Reprise erst wieder den ihr eigenen Charakter königlicher Majestät gewinnt. Es gibt kaum einen Takt, in dem nicht eine rege klangliche und oft auch eine motivische Beziehung zwischen Solo und Tutti herrscht, obwohl sich alles in den Grenzen der »Galanterie« abspielt. Und das gleiche gilt für das trotz aller Galanterie sehr innige Andante (ma un poco adagio!) in G. Im Schlußsatz aber begnügt sich Mozart nicht mehr mit Galanterie. Es wird ein »gelehrtes«, ein kontrapunktisches Finale, wie in zweien der Wiener Streichquartette von 1773; aber diesmal gelingt, was dort nicht hat gelingen wollen. Das kanonisch einsetzende Thema des Tutti
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

verwandelt sich in folgenden Eintritt des Solos:
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[334] Und diese ins Galante gemilderte Fassung einer »gelehrten« Rigidität war vorbereitet durch ein Seitenthema, das noch im Finale der Jupiter-Sinfonie seine Stelle hätte finden können:
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Der Witz und die Grazie, die mit diesen Gegensätzen spielen, sind unnachahmlich – Mozart hat damit beim ersten Anlauf sowohl Johann Christian wie Philipp Emanuel nicht nur weit hinter sich gelassen, sondern überwunden. Gefiel ihm der Satz später selbst nicht mehr oder war er der Wirkung auf das Publikum nicht mehr sicher? Zögernd berichtet er aus Mannheim (14. Februar 1778): »Dann hab ich mein altes Concert ex D gespiellt, weil es hier recht wohl gefällt ...«; aber für die Wiener ersetzt er, 1782, ihn durch einen Variationensatz (K. 382): Mozart selber nennt ihn ein »Rondo«, der ein kleines humoristisches Wunderwerk ist, wenn man bedenkt, was alles sich aus dem Wechsel von Tonika und Dominante machen läßt (und wenn man sich vorstellen kann, wie Mozart ihn gespielt hat), aber als Abschluß dieses Konzerts doch nicht mehr den Stil einhält. Es war Mozarts erster Tribut an den Geschmack des Wiener Publikums. Zwei Jahre lang schreibt Mozart kein Klavierkonzert mehr. Erst im Januar 1776 macht er sich an ein neues (B, K. Nr. 238), aber die Pause ist ausgefüllt durch ein Konzert für das Fagott[335] und fünf für die Violine. Und in diesem Konzert, das bescheidener ist in der Besetzung als das erste in D, wirkt denn auch im allgemeinen die Grazie der Violinkonzerte und im Rondo speziell das »Popolare« in ihren Finales ein wenig nach:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

– wenn es sich auch keineswegs steigert zum Zitat oder gar die Einheit des Tempos sprengen darf wie in den Violinkonzerten. Das Klavierkonzert ist für Mozart eine höhere Gattung, und eins der feinsten und intimsten Motive des ersten Satzes fällt ihm denn auch in der Auftrittsszene der Donna Elvira in schmeichlerischer, verführerischer Fassung wieder ein:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

Das nachfolgende Konzert in C-dur (K. Nr. 246) – wir befassen uns nicht weiter mit dem bloß »galanten« Konzert für drei Klaviere – ist fast ein Duplikat des ihm vorangehenden, nur daß das Andante mehr pastoral, mehr »innocente« ist und das Rondo, ein Tempo di Menuetto mit pikantem Thema, seine besten Trümpfe erst nach der Kadenz ausspielt, die Mozart hier, im Gegensatz zu den beiden vorangehenden Sätzen, gleich in der Partitur niedergeschrieben hat. Das Werk ist geschrieben für die Gräfin Antonia Lützow, die zweite Gattin des Kommandanten[336] der Feste Hohensalzburg, Johann Nepomuk Gottfried Graf Lützow; da sie eine Schülerin Leopolds war, konnte Mozart für sie fast so gut schreiben wie für sich selber und brauchte keine oder nur wenig Konzessionen zu machen. Jedenfalls hat er selber es noch in Wien gespielt oder spielen wollen, denn er bittet am 10. April 1782 den Vater, ihm die Partitur zu schicken.
Im Januar 1777 – Mozart feiert seinen einundzwanzigsten Geburtstag – schreibt er ein Konzert, das nichts weniger mehr ist als ein Duplikat oder ein Triplikat (Es, K. Nr. 271). Mozart hat es zwar in Paris zusammen mit den beiden vorangehenden veröffentlichen wollen (11. Sept. 1778): »... ich werde 3 Concert, das für die jenomy« (Jeunehomme), »litsau« (Lützow) »und das aus dem B, den stecher der mir die Sonaten gestochen hat, um pares geld geben – ...« Aber das ist dem Stecher, Monsieur Sieber, der ein ebenso guter Geschäftsmann wie Musiker war, nicht im Traume eingefallen, und schuld daran war vermutlich gerade dies Konzert für Mlle Jeunehomme oder Jenomy, wie Mozart sie nennt. Denn die Käufer, die die beiden andern Konzerte vielleicht goutiert hätten, hätten dieses letzte sicherlich zurückgewiesen. Es steht in Mozarts Schaffen ebenso überraschend wie einzig da. Durch nichts in der Produktion des Jahres 1776 wird es angekündigt, denn das Divertimento K. 247 ist zwar ein Meisterwerk auf seinem Gebiet, aber eben nur eine fröhliche »Finalmusik«. Dies aber ist eines der monumentalen Werke Mozarts, in denen er ganz er selber ist und sein Publikum nicht mehr durch Gefälligkeit und Entgegenkommen zu gewinnen sucht, sondern durch Originalität und Kühnheit. Er hat es nie übertroffen. Es gibt im Schaffen großer Meister dergleichen Würfe, die Jugendlichkeit und Reife vereinen: die Tizianische Hochzeitstafel, die als »Himmlische und irdische Liebe« bekannt ist, der »Werther« Goethes, die »Eroica« Beethovens. Dies Klavierkonzert in Es-dur ist die »Eroica« Mozarts. Es besteht zwischen den drei Sätzen nicht nur ein tieferer Gegensatz und infolgedessen eine höhere Einheit, sondern auch eine innigere Verbindung des Solisten mit dem Orchester; und das Orchester ist in sich feiner und reicher belebt – es ist ein sinfonisches Orchester. Der Mittelsatz, ein[337] Andantino, ist ein schlagendes Beispiel. C-moll: der erste Mollsatz in einem Mozartschen Konzert, Vorläufer des C-moll-Andantes in der Sinfonia concertante von 1779 für Violine und Viola; con sordino; Kanon zwischen erster und zweiter Violine. Das Solo wiederholt nicht etwa das Tutti, sondern ergeht sich über ihm in freier Kantabilität; die Melodik des ganzen Satzes ist so beredt, daß sie jeden Augenblick in wirkliches Rezitativ übergehen kann. In den letzten Takten verschwinden die Dämpfer, die Verhaltenheit bricht aus in offenes Recitativo. Und dem Gehalt dieses langsamen Satzes entsprechen die beiden Außensätze. Gleich am Aufbau des Themas nehmen Orchester und Solist gemeinsam teil; der Solist führt mit voller und stolzer Souveränität, aber zum erstenmal läßt er sich auch dazu herbei, ein Glied des Orchesters, es ist die erste Oboe, mit bloßen Akkorden zu begleiten. Was für ein Gegensatz zu den Konzerten Johann Christians, in denen bloße Akkorde manchmal die Führung haben, während im Orchester – nichts geschieht, in denen das Ideal des Konzerts nicht hinausgeht über den Begriff: Solo mit Begleitung! Die innere Erregung Mozarts bei der Schöpfung dieses Konzerts führt zu immer neuen Überraschungen in der Form und in der kleinsten Einzelheit; nichts, auch nicht die Kadenzen, ist dem bloßen Zufall überlassen. Die größte Überraschung ist, im Finalpresto, der Einbau eines echten Menuetts, in As, mit vier Variationen, in den virtuosen Glanz dieses Rondos. Aber es ist hier kein Ausflug ins »Popolare« wie in den Violinkonzerten. Dies Menuett ist ernst, elegant, ritterlich, ausdrucksvoll; all das zugleich; die tiefe Erregung des Andantino zittert nach und sucht nach Ausgleich. Nirgends ist Virtuosität gesucht; dennoch stellt dies Konzert auch in technischer Beziehung höhere Ansprüche als die vorangehenden Konzerte. Man möchte gern etwas Näheres wissen über Mlle »Jenomy«, die Mozart zu solchem Werk inspiriert und die er in Paris wohl wiedergetroffen hat; aber sie bleibt, vorläufig, eine legendäre Erscheinung.
Dennoch: in Paris fühlt sich Mozart nicht gedrängt, ein neues Klavierkonzert zu schreiben; und auch für Mannheim, vorher und nachher, genügt ihm sein Vorrat. Aber die Beschäftigung mit der »Sinfonia concertante«, das große Werk für[338] die vier Mannheimer Bläser; das Konzert für den flötenspielenden Duc de Guines und seine harfenspielende Tochter; der großartige Anlauf zu dem Doppelkonzert für Klavier und Violine – all das hat doch Frucht getragen. Nach der Heimkehr komponiert Mozart das Konzert für zwei Klaviere, für sich und Nannerl (K. Nr. 365), in Es-dur. Es ist zugleich ein Gegenstück zu der etwas späteren Sinfonia concertante in der gleichen Tonart (K. Nr. 364), die es nicht ganz erreicht, und zu der Wiener Sonate für zwei Klaviere in D von 1781 (K. Nr. 448), die ebenfalls ein unerreichbares Unikum ist. Ein glänzender Wetteifer herrscht zwischen den beiden Spielern, und das Orchester mit seinem majestätischen Beginn spricht bedeutsam hinein in diesen eifrigen Dialog – vor allem unvergeßlich ein Hornsignal in der Kadenz eines Seitenthemas:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

Aber es herrscht nicht bloß ein glänzender Wetteifer. Neben Stellen von, man möchte sagen, »mechanischer« Beglückung, wie etwa:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

steht eine merkwürdige Verdunkelung des Horizonts bei der Rekapitulation; in dem pastoralen Andante zittert doch auch eine sehnsüchtige Stimmung, sogar mit Wendungen von ungewohnter Überschwenglichkeit; und auch im Rondo, das einfach fröhlich ist, begibt sich der Mittelteil in c-moll in scheinbar gefährliche und unheimliche Regionen; auch Regionen kontrapunktischen[339] Ernstes. Aber daß es nicht ganz so gefährlich ist, zeigt eine Entlehnung: Mozart hat eine dieser c-moll-Wendungen später seinem Papageno in den Mund gelegt, gerade, wenn dessen komische Ängstlichkeit den Gipfel erreicht. Im ganzen ist das Konzert ein Werk des Glückes, der Heiterkeit, des übersprudelnden Reichtums der Erfindung, der Freude an sich selber – ein Zeugnis, wie wenig das Geheimnis des Schaffens zusammenhängt mit biographischem Erlebnis: denn es ist entstanden nach den herbsten Enttäuschungen in Mozarts Leben. In den ersten Wiener Jahren hat er es dann zusammen mit Fräulein Aurnhammer noch mehrmals vorgetragen und dabei den Orchesterteil der Außensätze durch Hinzufügung von Klarinetten, Trompeten und Pauken glänzender gestaltet. Wir kennen es nur in dem bescheideneren Salzburger Gewande, das das Orchester nur im Rondo stärker beteiligt. Mir scheint, in der einfacheren oder vielmehr im Verhältnis des Solos zum Orchester einfacheren Haltung des Salzburger Doppelkonzerts klingt eine musikalische Bekanntschaft nach, die Mozart im Sommer 1778 in Paris gemacht hatte: die mit den sechs Klavierkonzerten op. 3 des Johann Samuel Schröter. »... schreiben Sie mir doch ob sie die Concerts von schrötter zu salzbourg haben? – die sonaten von hüllmandel? – ich wollte sie kaufen, und ihnen überschicken, beyde œuvre sind sehr schön ...« Ein solches Urteil wiegt schwer im Munde Mozarts. Wer war Johann Samuel Schröter? Er war der Sohn eines sächsischen Musikanten, eines Oboisten in Warschau, der um 1763 mit seiner Familie, vier Kindern, im heimatlichen Sachsen ein Unterkommen suchte. Für seine Tochter Corona, damals ein Mädchen von zwölf Jahren, fand er es rasch: und wir brauchen Corona Schröter, die später in Weimar unter andern auch Goethes Herz entzündete, nicht weiter vorzustellen. Johann Samuel, der wohl etwas älter war als Corona, bildete sich zum Klaviervirtuosen aus und kam 1772 noch London, wo er zuerst in den Bach-Abel-Konzerten auftrat und, wie sechs oder sieben Jahre vorher Mozart, von Johann Christian unter Protektion genommen wurde. Er wurde 1782 auch Johann Christians Nachfolger als Musikmeister der Königin und starb wie Mozart in jungen Jahren, am 2. November 1788. Aus der Öffentlichkeit zog er[340] sich sehr bald zurück, da dies die Bedingung war für seine Heirat mit einer Schülerin, einem reichen Mädchen aus guter Familie. Diese Dame hat dann im Leben Joseph Haydns, bei seinem ersten Londoner Aufenthalt, noch eine romantische Rolle gespielt: sie nahm Stunden bei ihm, verliebte sich in den jugendlichen Greis, und auch Haydn scheint gegen ihre Reize nicht ganz gleichgültig gewesen zu sein, wenigstens hat er alle ihre Liebesbriefe säuberlich abgeschrieben. Nun, Mozart konnte technisch von Schröter gewiß nichts lernen. Diese Konzerte op. 3, Soli mit bloßer Begleitung von armseligen zwei Violinen und Baß, sind von einfachster Struktur, ganz im Charakter der Konzerte Johann Christians, und eher noch primitiver und leichter in der Haltung. Aber sie sind von größter melodischer Anmut und Simplizität. Man meint manchmal Mozart selber zu hören, und mir scheint, zwischen dem Larghetto aus Schröters op. 3, Nr. 6
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und Mozarts Andante in unserm Doppelkonzert
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

besteht eine unmittelbare Beziehung. Zu dreien der Konzerte Schröters hat Mozart einige Kadenzen geschrieben: Beweis, daß er sie selber spielte oder zum mindesten seine Schüler spielen ließ. Und noch für einen andern Zug scheint Mozart in Schröters Opus 3 die Anregung gefunden zu haben – zu einem seiner tiefsten Züge. Schröter schrieb seine Klavierkonzerte für sich,[341] aber auch für dilettierende britische Ladies, und so verzichtete er im ersten Satz auf jede Durchführung, auf jede Auseinandersetzung zwischen Solo und Tutti. An ihre Stelle setzte er ein freies Solo, ganz unthematisch, das zur Reprise zurückleitet; meist von großer, ja berückender Schönheit. Das hat tiefen Eindruck gemacht auf Mozart, und er ahmt es nach. Aber nicht im ersten Satz seiner Klavierquartette, Klaviertrios, Klavierkonzerte, in denen ein so großer und ernster Meister wie er auf Durchführung nicht verzichten kann, sondern im Finale. Von dieser höchsten Kunstweisheit und Kunstwirkung Mozarts ist an mehreren Stellen dieses Buches die Rede.
Es ist, als ob Mozart noch das gefällige Ideal des Schröterschen Klavierkonzerts im Sinn gehabt hätte, als er im Herbst 1782 und Anfang 1783 seine ersten drei Wiener Werke dieser Art schrieb. Oder daß er eben sein Publikum kannte und es durch Gefälligkeit kaptivieren, nicht durch allzu große Eigenwilligkeit vor den Kopf stoßen wollte. Er dachte von Anfang an an Publikation, und zwar an Publikation in Paris, wo er die Schröterschen Konzerte kennengelernt hatte und auf besonderen Anklang hoffen durfte. Zunächst, im Januar 1783, bot er sie um den Subskriptionspreis von vier Dukaten in Abschrift in Wien an; aber schon am 26. April bietet er sie dem Verleger J.G. Sieber an, als Werke, die man sowohl mit hinzugefügten Oboen und Hörnern begleiten könne, aber auch mit bloßen Streichern – Artaria wolle sie stechen, aber er, Mozart, gebe Sieber die Vorhand ... Aber Sieber wollte entweder die dreißig Louis-d'or, die Mozart verlangte, nicht zahlen, oder hat überhaupt keine Antwort gegeben, und so sind die drei Konzerte zwei Jahre später, im März 1785, doch bei Artaria in Wien herausgekommen, als Opus 4. Die doppelte Möglichkeit, die Mozart in diesen Konzerten der Ausführung zugesteht, nämlich entweder mit vollem Orchester, mit Oboen und Hörnern (im dritten, in C, auch noch mit Trompeten und Pauken) oder mit bloßem Streichquartett, zeigt allein schon an, daß es sich hier nicht um »große« Konzerte handeln kann. Die Bläser sind nicht wesentlich, sie können nichts vorbringen, was nicht schon die Streicher vollauf zum Ausdruck bringen; sie haben nur eine koloristische Funktion[342] oder geben eine rhythmische Betonung. Ein Pianist kann die drei Werke sehr gut in der Kammer mit Begleitung eines Streichquartetts spielen. Niemand hat sie besser charakterisiert als Mozart selber (28. Dezember 1782) an der oben (p. 163) bereits zitierten Stelle. Was für ein naiver und zugleich tiefsinniger Ästhetiker, dieser W.A. Mozart! Welche künstlerische Moralität liegt hinter dieser Ästhetik: es sich selber schwer und dem Genießer leicht zu machen! Daß Mozart es sich schwer gemacht hat, beweist das Vorhandensein eines zweiten Rondos (K. 386) für das früheste der drei Konzerte, in A-dur (K. 414), das Mozart in so vollständig skizzierter Fassung hat liegen lassen, daß es mit Leichtigkeit zu ergänzen ist; liegen lassen vielleicht nur, weil es einige melodische Wendungen des ersten Satzes wiederholte. Denn uns erscheint es in seiner Anmut dem endgültigen Rondo mindestens gleichwertig und eher überlegen. Der innigste und blutvollste Satz dieses zierlichen Konzerts ist das Andante, mit dem Schubertschen Vorhalt in der Kadenz:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

und mit einer romantisch mit Terzen murmelnden Begleitungsfigur. Man möchte annehmen, es sei nach dem Konzert in F (K. 413) entstanden, das in allen drei Sätzen reine Gefälligkeit atmet und nur in der feinen kontrapunktischen Fassung des Rondos, eines Tempo di Menuetto, den »connoisseurs« etwas Besonderes bietet; freilich auch im Tripeltakt des ersten, der für einen ersten Satz etwas sehr Ungewöhnliches ist. Mozart wollte offenbar drei sehr verschiedene Typen des Konzerts geben; kontrastierend in der Tonart, aber typisch im Rahmen der Tonart: – ist das erste mehr naiv und pastoral, das zweite mehr poesievoll »amourös«, so scheint das letzte in C-dur, mit seinen Trompeten und Pauken, das glänzendste und konventionellste, aber es steckt ebenfalls voller Eigentümlichkeiten und Feinheiten. Den zweiten Satz wollte Mozart ursprünglich[343] in c-moll schreiben – hat aber bald bemerkt, daß das viel zu ernst für den Charakter dieser Werke ausfallen würde, und nun allerdings einen der am wenigsten ehrgeizigen langsamen Sätze geliefert, die er je geschrieben hat. Dafür schrieb er ins Finale, in dem schon Sechsachtelmotive Papagenos auftauchen, eine c-moll-Episode ein, die in diesem Rahmen, und mit übertriebener Ornamentierung, einen fast komisch wehklagenden Ausdruck gewinnt. Das Prinzip der »Überraschung« steigert sich in diesem Finale fast zum Capriccio.
Jedenfalls, Mozart hatte den Geschmack der Wiener getroffen. In einem Bericht in Cramers Magazin vom 22. März 1783 heißt es (I, 578): »Heute gab der berühmte Herr Chevalier Mozart eine musicalische Academie zu seinem Antheil im National-Theater, in welcher Stücke von seiner ohnehin sehr beliebten Composition aufgeführt wurden. Die Academie war mit außerordentlich starkem Zuspruch beehret, und die zween neuen Concerte und übrigen Fantasien, die Hr. Mozart auf dem Forte Piano spielete, wurden mit dem lautesten Beyfall aufgenommen. Unser Monarch, der die ganze Academie, gegen seine Gewohnheit, mit seiner Gegenwart beehrte, und das ganze Publikum ertheilten denselben so einstimmig Beyfall, daß man hier kein Beyspiel davon weiß. Die Einnahme der Academie wird im ganzen auf 1600 Gulden geschätzt.« Welche beiden von den drei Konzerten Mozart gespielt hat, wissen wir nicht. Am 9. Februar 1784 beginnt Mozart in eine Art von Taschenbuch – denn für ein wirkliches Taschenbüchlein ist es vielleicht zu groß – von vierundvierzig Blättern alle seine vollendeten Werke nach Datum, Gattung und mit Incipits in zwei Systemen einzutragen. Bis auf einige Wochen vor seinem Tod hat er es fortgeführt; achtundfünfzig Seiten hat er beschrieben, neunundzwanzig sind leer geblieben. Das erste Werk, das er verzeichnet, ist ein Konzert für Klavier in Es (K. 449), mit Begleitung von Streichern und mit Oboen und Hörnern ad libitum. Der Umstand, daß er die Beteiligung der Bläser freigestellt hat, scheint dies Konzert noch mit der Gruppe der drei Konzerte von 1782/83 zu verbinden; aber das ist nur Schein. Mozart hat das[344] Werk seiner Schülerin Barbara Ployer gewidmet, der Tochter eines in Wien lebenden Landsmanns, und wollte ihr offenbar nur die Möglichkeit nicht rauben, es auch mit kleiner Besetzung in der Kammer zu spielen. In Wirklichkeit sind die Bläser, trotz scheinbar sparsamer Verwendung, kaum zu missen; und in Wirklichkeit ist dies Konzert nicht eine Fortsetzung der Salzburger und drei ersten Wiener Konzerte, sondern ein Beginn: der Beginn einer neuen Reihe, die von diesem 9. »Hornung« 1784 bis zum 4. Dezember 1786 nicht weniger als zwölf große Konzerte umfaßt – den Höhepunkt von Mozarts instrumentalem Schaffen. Dieser Reihe folgen nur noch zwei Nachzügler, das Krönungskonzert in D und das letzte in B vom Januar des Jahres, dessen Ende Mozart nicht mehr erleben sollte.
Mozart hat unmittelbar nach diesem Konzert zwei weitere, das in B (K. 450) und das in D (K. 451), komponiert und ihnen, nach dem Klavierquintett (K. 452) ein weiteres (K. 453, in G) folgen lassen – ein Wunder der Produktionskraft, das dem Wunder der drei Sinfonien von 1788 nicht das mindeste nachgibt. Denn alle diese Werke sind voneinander so verschieden wie möglich. Er hat in einer aufschlußreichen Stelle eines Briefes an den Vater (26. Mai 1784) sich selber kurz darüber ausgesprochen. – Er erwähnt die beiden Konzerte in B und D und fährt fort: »... Ich bin nicht im Stande, unter diesen beiden Concerten eine Wahl zu treffen – ich halte sie beide für Concerte, welche schwitzen machen. – Doch hat in der Schwierigkeit das ex B den Vorzug vor dem ex D. – Übrigens bin ich sehr begierig, welches unter den 3 Concerten B.D. und G. Ihnen und meiner Schwester am besten gefällt. – Das ex Eb gehört gar nicht dazu. – Das ist ein Concert von ganz besonderer Art, und mehr für ein kleines als großes Orchester geschrieben – also ist die Rede nur von den 3 großen Concerten.« Es ist wirklich ein Concerto »von ganz besonderer Art«. Mozart hat dergleichen weder vor- noch nachher mehr komponiert. Doch halt: zwischen dem Finale und dem ursprünglichen Finale von Mozarts erstem Konzert (K. 175) besteht eine Beziehung. Mozart hat inzwischen seine kontrapunktische Krise durchgemacht, und so schreibt er ein Finale, von Anfang bis Ende belebt von kontrapunktischem Geist:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

[345] Aber was damals, elf oder zwölf Jahre vorher, noch ein wenig kontrapunktischer Prunk war, ist jetzt freies Spiel, natürliche Mundart, höchste Meisterschaft geworden, ein Wunder der Verschmelzung der Stile; von einer thematischen Mannigfaltigkeit und Einheit, von einem Geistreichtum der Form, der höchste Schöpferlust atmet. Auch der erste Satz steht ziemlich einsam in Mozarts Schaffen da: er spricht von Unruhe, die sich kaum genug tun kann in Erfindung kontrastierender Themen; er steht wieder einmal im Dreivierteltakt, und man möchte sagen, daß er in Es-dur zum Ausdruck zu bringen sucht, was ein späterer Satz in dieser Taktart in einem Klavierkonzert, das in c-moll (K. 491), wirklich zum Ausdruck bringt. Die Unruhe steigert eine alte Neigung in Mozarts Sprache: die chromatische; in Melodik und Harmonik. Eine tiefe innere Erfahrung, von deren Gründen und Untergründen wir nichts wissen, äußert sich im rascheren Wechsel der Dynamik, in feinerer und zugleich kühnerer Chromatik, in zwar versteckter, aber nachweisbarer stärkerer Einheit der Motivik – kurz in einer neuen Sensibilität. Dabei – und ein Zeugnis dessen ist gerade auch der langsame Satz, ein Andantino – scheint Mozart einfacher zu werden, Pathos oder Sentimentalität immer mehr zu meiden. Es ist symptomatisch, daß er betont: keins dieser Konzerte enthalte ein Adagio. Der oberflächliche Hörer dieser Konzerte soll sein Vergnügen haben, ohne zu merken, was Tieferes in ihnen vorgeht.
In den folgenden beiden Werken, die Zwillinge sind, in B (450) und D (451), kehrt Mozart auf gebahntere Wege zurück. Großes Orchester, in dem zweiten sogar Trompeten und Pauken, und im Finale des ersten, zum ersten Male, die Flöte in einem Finale. Und die Bläser sind wesentlich, als Solisten und als geschlossene Masse. Das Orchester ist sinfonisch, dialogisch in sich selber, und daraus ergibt sich ohne weiteres die glänzendere Fassung auch des Klavierparts. Man weiß nicht, soll man diese Werke, und besonders das zweite, Klavierkonzerte mit obligatem[346] Orchester oder Sinfonien mit obligatem Klaviersolo nennen. Beide Konzerte sind im höchsten Grade glänzend und persönlich zugleich. Mozart will sein Publikum erobern, aber ohne sich selber etwas zu vergeben. Das B-dur-Konzert scheint ganz regelhaft: auch die freie Fantasie »in tempo« – Mozart nennt dergleichen »Eingang« –, die im ersten Satz dem Eintritt des Themas im Solo vorangeht, ist nichts Ungewöhnliches. Der zweite Satz besteht aus simplen Variationen einer simplen Liedmelodie, die Wiederholungen verteilt zwischen Solo und Orchester, mit freiem Ausklang; das Finale ist eine »Chasse«. Das D-dur-Konzert scheint nichts weiter als ein heroisch übermütiger Geschwindmarsch, das Andante ein liedhaftes Rondo, das Finale ein Rondo alla Joseph Haydn. Alles scheint bekannt und populär; aber es ereignet sich in jedem Augenblick eine Abweichung, ein Übermut des Geistes und des Könnens, eine unerwartete Feinheit – wie das Piano in der Rekapitulation des triumphalen und doch leidenschaftlichen ersten Satzes, die kontrapunktische Steigerung am Schluß des zweiten, der sehr ernsthafte Durchführungsteil im Rondo. Das Verständnis für dergleichen ist dem 19. Jahrhundert allmählich verlorengegangen, da es keinen festen Rahmen, keine gegebene Form mehr anerkannte; aber im Publikum Mozarts befand sich eine Schicht, die jede Feinheit der »Abweichung« würdigte. Dies ist die Eigentümlichkeit dieser Konzerte, daß sie, nach Mozarts eigenem Ausdruck, »für alle Arten von Ohren geschrieben sind, nur nicht für die langen«. Nebenbei: zu den Besitzern der besten Ohren gehörte Mozarts Schwester Marianne. Sie beanstandete eine allzu kahle Stelle im Andante des D-dur-Konzerts, und Mozart gab ihr recht und versprach ihr am 9. (12.) Juni 1784 eine verzierte Variante zu schicken. Sie ist erhalten – und ist ein Beispiel dafür, daß Mozart seinen Solopart durchaus nicht immer so spielte, wie er uns überliefert ist. Wir werden auf das Problem beim Krönungskonzert Nr. II zurückkommen.
Die Reihe der Klavierkonzerte aus diesem erstaunlichen Winter 1784 hat Mozart gekrönt durch ein Konzert in G (K. Nr. 453), das er wiederum für seine Schülerin Babette Ployer bestimmt hat: »per la Signora Barbara Ployer« steht auf dem Autograph. Am 10. Juni ist in Döbling auf dem Lande beim[347] Agenten Ployer »Academie«, das heißt ein Konzert, »wo die Fräulein Babette ihr Neues Concert ex g – ich das Quintett« (K. 452) »– und wir beyde dann die große Sonate auf 2 Claviere spiellen werden ...« Dies Konzert steht wiederum ganz für sich. Es ist intimer als die drei Vorgängerinnen; es mischt Solo und Orchester noch inniger; in freundlicher Tonart steckt es voll geheimen Lächelns und geheimer Trauer: – die Worte fehlen, um dies fortwährende Irisieren des Gefühls im ersten Satz, die leidenschaftliche Innigkeit des zweiten zu beschreiben. Es ist lediglich ein äußeres Zeichen dieser Leidenschaftlichkeit, wenn dieser C-dur-Satz sich bis nach Gis-dur verrennt. Das Finale sind Variationen über ein ganz naives, vogelhaftes, papagenohaftes Thema mit einem grandiosen, polyphonen Abschluß. Mit Recht ist bemerkt worden (Mr. Girdlestone), daß Beethovens liebenswertestes Konzert, in derselben Tonart, von diesem Werk Mozarts seinen Ausgang genommen hat: aber Beethoven, dem Naivität versagt war, ist gewaltsam und robust im Vergleich zu den Mischfarben dieses einzigen Werks, das auch in Mozarts Produktion nicht seinesgleichen hat.
Noch zwei Konzerte hat das Jahr 1784 gezeitigt – zwei wiederum von den vorhergehenden und untereinander sehr verschiedene Werke. Das erste von ihnen, wiederum in B (K. Nr. 456), vollendet nach einer schweren Erkältungskrankheit, die Mozart sich in der Premiere von Casti-Paisiellos »Re Teodoro« zugezogen hatte, steht schon deshalb wieder für sich, weil Mozart es weder für sich selber noch für eine so fähige und ihm nahestehende Schülerin wie Babette Ployer geschrieben hat, sondern für eine andre Wiener Virtuosin, Maria Theresia Paradies. Er hätte für sich oder Babette sicherlich auch nicht wieder zu B-dur gegriffen. Die Paradies, damals fünfundzwanzig Jahre alt, Tochter eines niederösterreichischen Regierungsrats und Patenkind der Kaiserin, war blind seit ihrer Kindheit und in der Musik Schülerin Leopold Kozeluchs, von dem sie, laut Gerber, »über 60 Clavierconzerte mit der größten Genauigkeit und dem feinsten Ausdrucke, ihres Lehrers vollkommen würdig« spielen konnte. Es spricht für Mozarts Unbefangenheit oder – Gleichgültigkeit, daß er für die Schülerin eines Todfeindes ein neues Konzert schrieb, und zwar für den Vortrag in Paris, wohin Maria[348] Theresia zu einer Kunstreise eben im Herbst 1784 aufbrach. Für Paris reichten offenbar Kozeluchs 60 Konzerte doch nicht aus. Kozeluch war – wir geben wiederum Gerber das Wort: »ohne Widerrede, bei jung und alt, der allgemein beliebteste unter unsern jetzt lebenden Componisten, und das mit allem Rechte. Den Character seiner Werke bezeichnen Munterkeit und Grazie, die edelste Melodie mit der reinsten Harmonie und gefälligsten Ordnung in Absicht der Rhythmik und Modulation, verbunden.« Nun, Mozart hat den ihm verhaßten Parisern doch zugetraut, daß sie etwas mehr verlangten. Und so greift er ein wenig zurück auf Schobert, Johann Christian Bach, Schröter. Die Beziehung von Solopart und Orchester ist zwar rein mozartisch, nur ihm selber eigen, und eher noch inniger als vorher, aber das Solo hat einen anderen, »weiblicheren«, sinnlicheren Charakter als die vorangehenden Konzerte, und jenes Irisieren des Ausdrucks, so bezeichnend für das zweite Ployer-Konzert, ist fast ganz vermieden; ebenso wie der Ausflug in entferntere Regionen der Harmonik. Ja, im Finale findet sich ein solcher Ausflug nach h-moll, noch obendrein betont durch die Kombination von Sechsachtel- und Zweivierteltakt; aber dergleichen Pseudodramatik war auch Schroeter eigen: die Pariser estimierten dergleichen. Der langsame Satz besteht aus Variationen mit Coda in g-moll, deren Larmoyanz bereits etwas zu tun hat mit der »kleinen Nadel« Barberinas im »Figaro«; sie ist sehr französisch. Überall ereignen sich zauberhafte Dinge des Klangs; aber keine der großen und kleinen »Überraschungen« der großen Konzerte.
Das letzte Konzert von 1784, in F (K. Nr. 459), vollendet am 11. Dezember, hat Mozart jedoch wieder ganz für sich selber geschrieben. Es zeigt eine Klimax: jeder folgende der drei Sätze ist schöner als der vorangehende; man möchte von einem »Finalkonzert« sprechen. Der erste steht, stärker als irgendein andres Konzert Mozarts, mit seinem durchgeführten Marschrhythmus unter dem Einfluß der Violinkonzerte des G.B. Viotti. Wir wissen (siehe oben p. 377), daß Mozart für ein Konzert Viottis, das sechzehnte, einen neuen Mittelsatz komponiert hat, und das wird schwerlich seine erste Bekanntschaft mit den Werken des großen piemontesischen Geigenspielers gewesen sein, der, wie Gerber sagt, »seit 1783 berühmt« war und schon den ganzen[349] Kontinent bereist hatte. Nun, für den Charakter des ersten Konzertsatzes bei Viotti ist der »ideale Marsch« typisch; man wird unter seinen neunundzwanzig Konzerten kaum eines finden, das nicht alle Merkmale eines solchen idealen Marsches trüge: den festen Schritt, die punktierten Rhythmen, die militärische Haltung. Auch der Ernst mancher dieser Konzerte muß auf Mozart Eindruck gemacht haben: so steht eins der ersten Viottischen, das sechste, um 1782 oder 1783 publiziert, in d-moll. Das Militärische ist nun allerdings auch vorher dem Mozartschen Konzert nicht fremd gewesen; nie aber hat er es so stark betont wie in diesem Satz, in dem Motive wie:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

oder:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

fast allgegenwärtig sind. Freudige Bestimmtheit – das ist der Charakter dieses Satzes. Er ist freilich nur wie ein festlicher Auftakt zu dem Allegretto in C – nicht etwa in B –, der in seiner anmutigen und manchmal wehmütigen Schwärmerei anmutet wie eine instrumentale Fassung oder wie eine Projektion ins unbegrenzte Reich des Instrumentalen all der Empfindungen, die später in Susannas Arie »Deh vieni, non tardar« ausgesprochen sind. Und im letzten Satz treiben all die Geister ihr Spiel, über die Ariel gebietet, und auch Colombina, Arlecchino, Papageno sind manchmal dabei. Es ist ins Instrumentale transponierte Opera buffa, dabei aber auch meisterhaftes Spiel mit der »Gelehrtheit«, Verschmelzung von Homophonie und Polyphonie – einer der seltenen Fälle, in denen Mozart den Kontrapunkt in burleskem Sinn verwendet. In diesem Finale treiben ein paar der Rhythmen ihr Spiel, die man in Mozarts Pantomime vom Karneval 1783 (K. 446) wörtlich antreffen wird. – Sonderbar, daß Brahms einmal (1878) Viottis in Verbindung gerade mit Mozartschen Konzerten gedacht hat: »Daß die Leute im allgemeinen[350] die allerbesten Sachen, also Mozartsche Konzerte und das a-moll-Konzert von Viotti, nicht verstehen und nicht respektieren – davon lebt unsereiner und kommt zu Ruhm.« Und hoffentlich hat Richard Wagner einen Satz wie diesen nicht zu jenem »absoluten Allegro« gerechnet, das er von dem »eigentlichen Beethovenschen Allegro« unterscheidet, wenn er schreibt (»Über das Dirigieren«, Gesammelte Schriften und Dichtungen VIII3, 288): »Was nun jenes Mozartsche absolute Allegro noch besonders als der naiven Gattung angehörig erkennen läßt, ist, nach der Seite der Dynamik hin, der einfache Wechsel von forte und piano, sowie, im Betreff seiner formellen Struktur, die wahllose Nebeneinanderstellung gewisser, dem Piano- oder Forte-Vortrage angeeigneter, völlig stabil gewordener rhythmischmelodischer Formeln, in deren Verwendung (wie bei den stets gleichartig wiederkehrenden rauschenden Halbschlüssen) der Meister eine fast mehr als überraschende Unbefangenheit zeigt. Hier erklärt sich jedoch alles, auch die größte Achtlosigkeit in der Anwendung gänzlich banaler Satzformen, aus dem einen Charakter eben dieses Allegros, welcher gar nicht durch Kantilene uns fesseln, sondern vielmehr nur durch rastlose Bewegung uns in eine gewisse Berauschung versetzen soll ...« Armer »Meister«! Es scheint, daß mehr die Ouvertüren Mozarts durch diese »verständnisvolle« Beschreibung Wagners ausgezeichnet sind – was jedoch wenig ausmacht. Denn sie trifft auch auf die Ouvertüren nicht zu. Man könnte im Gegenteil sagen, daß kein Meister sich weniger der Formeln bedient hat als Mozart, daß keiner Formeln mehr in Ausdruck verwandelt hat – freilich nicht in den Ausdruck des romantischen 19. Jahrhunderts. Wagner bezog seine musikgeschichtlichen Kenntnisse aus einer Darstellung des G.W. Fink, des berufenen Herausgebers der »Allgemeinen Musikalischen Zeitung«, und daraus konnte er allerdings nicht erfahren, daß Mozart den »einfachen Wechsel von forte und piano« den billigen Crescendi der Mannheimer bewußt vorzog.
Mozart hat dies Konzert, gelegentlich der Krönung Leopolds II., am 15. Oktober 1790 in Frankfurt am Main neben dem sogenannten Krönungskonzert (K. 537) gespielt, mit Trompeten und Pauken im Tutti, die jedoch nicht erst damals[351] hinzugefügt sind, sondern schon ursprünglich zur Partitur gehörten. Sie sind verloren, aber man sollte sie den Ecksätzen vorsichtig hinzufügen: der erste bedarf ihrer unbedingt für seinen »militärischen« Glanz, und der Humor des Finales könnte da und dort an Wirkung noch durch sie gewinnen.
Kein stärkerer Kontrast zu diesem Werk als das folgende, vom 10. Februar 1785, also kaum um acht oder neun Wochen jüngere. Es ist das Konzert in d-moll (K. 466), das erste Klavierkonzert Mozarts in Moll überhaupt und das dem 19. Jahrhundert geläufigste – man möchte sagen: das einzig geläufige. Was sehr charakteristisch ist für das 19. Jahrhundert. Es verstand zwar nicht den sublimen Humor des F-dur-Konzerts; aber was das d-moll-Konzert unter allen Klavierkonzerten Mozarts auszeichnet, das verstand es: Leidenschaft, Pathos, Dramatik. Es war möglich, dank diesem Konzert, Mozart zum »Vorgänger Beethovens« zu stempeln, und es ist ja in der Tat kein Zufall, daß gerade Beethoven zu den beiden Ecksätzen Kadenzen geschrieben hat – eine ganz herrliche, mozartisch-beethovensche zum ersten, eine etwas schwächere zum letzten Satz. Zum erstenmal treten sich im Allegro Tutti und Solo ganz scharf gegenüber; es ist ein unversöhnter Dualismus; zwischen der anonymen drohenden Kraft und der sprechenden Klage des einzelnen; und es bedarf lediglich der Beobachtung, daß das Orchester niemals das erste Thema des Solos, ein »Recitativo in tempo«, oder die zweite Hälfte des zweiten Themas übernimmt. Die Auseinandersetzung erlaubt keine Verständigung; sie verschärft sich nur noch in der Durchführung. Auch die Reprise bringt keine Lösung – wenn der Satz im Pianissimo aus klingt, ist es, als ob die Furien sich lediglich ermüdet, aber immer noch grollend, zur Ruhe legten, bereit, in jedem Augenblick wieder aufzufahren. Und sie fahren wieder auf: im Mittelteil (g-moll) der Romanze, die mit so himmlischer Beruhigung einsetzt und abschließt. Nie hat Mozart stärkere Kontraste in einem Werk vereinigt; sowohl im Rahmen der drei Sätze wie in den drei Sätzen selbst: bezeichnend schon die Wahl der Tonart des Andantes, nicht F-dur oder D-dur, sondern die Unterdominant der Paralleltonart, wie später wiederum in der g-moll-Sinfonie. Im Finale wieder chromatisch gesteigerte und verfeinerte Leidenschaft[352] und Dramatik, angekündigt schon im raketenhaft auffahrenden Hauptmotiv. Diesmal aber will Mozart seinen Pessimismus, seine Trostlosigkeit lächelnd überwinden. Nach der Kadenz wendet er sich nach Dur: es ist eine Coda von hinreißender Liebenwürdigkeit, ein rührender Lichtblick, und zugleich wohl auch eine kleine Rückkehr ins Gesellschaftliche – die chevalereske Geste eines Grandseigneurs, der seine Gäste mit einem freundlichen Eindruck entlassen will; nicht aber etwa der kindliche oder grandiose Optimismus Haydns und Beethovens.
Man kann nicht sagen, daß Mozart in dem unmittelbar nach diesem Werk der Leidenschaft geschriebenen Konzert in C (K. Nr. 467, 9. März 1785) zur »Normalität« zurückgekehrt wäre: Normalität, Klassizismus im gewöhnlichen Sinn ist eine Charakteristik, mit der man Mozarts Musik wenig beikommt, am allerwenigsten dem Mozart der Wiener Jahre. Aber zur stolzen, triumphalen Bestätigung seiner selbst kehrt Mozart zurück, symbolisiert wieder in einem idealen Marsch mit dem Themenbeginn:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

– ein Motiv, das gleichsam durch den ganzen ersten Satz hindurch immer darauf wartet, sich zu dokumentieren; symbolisiert durch die Fanfaren der Bläser; symbolisiert durch ein Nebenthema von einer letzten Einfachheit, nur den großen Menschen möglich, Menschen im Besitz jener zweiten Naivität, der letzten Errungenschaft künstlerischer und menschlicher Erfahrung. Und: Mozart kehrt von der dialogischen Dramatik zurück zur sinfonischen Gestaltung. Er hatte noch keine großartigere Gegen-Melodie zum Hauptmotiv geschrieben als die in Takt 13 bis 20 des Tutti – und man muß die Stelle ganz und in allen Stimmen zitieren, um ihre Bedeutung klarzumachen:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

[353] Das ganze Konzert, insbesondere aber die Durchführung mit ihren Modulationen durch dunkle Regionen ins Helle, ist eins der schönsten Beispiele für Mozarts irisierende Harmonik, für die Weite des Bezirkes, den die Tonart C-dur für ihn umfaßte. Das Finale, wieder ein Buffo-Finale, ist ganz aufgebaut auf chromatisch belebte Harmonik, auf heitere Motivik, diesmal ohne »Gelehrtheit«; das Andante, mit seinen sordinierten Streichern, den zitternden Triolen, dem Pizzicato der Begleitung zu der weitgeschwungenen Kantilene des Solisten, ist wie eine von[354] allen Rücksichten auf die Menschenstimme befreite ideale Aria. Man begreift, daß Mozart in diesen ersten Wiener Jahren keine Sinfonien schrieb: denn diese Konzerte sind sinfonisch im höchsten Sinn, und Mozart brauchte sich der reinen Sinfonie erst wieder zuzuwenden, als ihm das Feld des Konzerts verschlossen wurde.
Zur Zeit der Arbeit an der »Nozze di Figaro«, im Winter und im Karneval 1785/86, vollendet Mozart wieder drei Klavierkonzerte: in Es (K. 482), in A (K. 488), und in c-moll (K. 491). Die zwei ersten muten an, als ob er gefühlt hätte, er sei zu weit gegangen, er habe den Wienern zuviel zugemutet, er habe die Grenzen des »Gesellschaftlichen« überschritten – oder einfach: er fühlte die Gunst des Publikums ihm entgleiten und suchte sie wieder zu gewinnen durch die Anknüpfung an die Werke sicheren Erfolges. Besonders das erste dieser zwei Werke ist eine Rückkehr; eine Rückkehr in den Kreis seiner früheren Es-dur-Konzerte, seines Konzerts für zwei Klaviere und des Konzerts Nr. 271. Es ist eine handgreifliche Anknüpfung, äußerlich nachweisbar im Allegro in den Motiven der Hörner – die Bläser, unter denen zum erstenmal die Oboen durch die Klarinetten ersetzt sind, spielen überhaupt eine gesteigerte Rolle –, oder im Schlußsatz, einer zum Reigen transfigurierten »Chasse«, die menuettartige Episode in As, die auf das Finale von K. 271 zurück- und auf den Kanon im zweiten Finale von »Cosi fan tutte« vorausdeutet. Alles atmet eine gewisse Routine – Routine nicht des Handwerks, sondern des Geistes. Aber das gilt nur von den Ecksätzen. Der langsame Satz, ein Andante in c-moll, eine Kombination von Lied und Variation, bringt etwas Gewaltsames: die nackte Expression, beinahe eine Exhibition der Trauer, des falschen Trostes, der Verzweiflung, der Resignation. Mozart nützt den Kontrast von Moll und Dur aus in einem ganz neuen Sinn – dem des 19. Jahrhunderts. Es ist ein kulturell bedeutsames Faktum, daß die Wiener in einem Subskriptionskonzert Mozarts vom 23. Dezember den unmittelbaren Appell des Satzes verstanden und ihn zur Wiederholung verlangten. Mozart selbst ist erstaunt darüber; Leopold berichtet der Tochter (13. Januar 1786), Wolfgang habe ihm zwei Wochen vorher geschrieben »... daß er ein neues Clavierconcert[355] ex Eb ... gemacht, wo er (das etwas seltsammes ist) das Andante repetieren muste ...«
Im A-dur-Konzert ist es Mozart wieder gelungen, seinem Publikum entgegenzukommen, ohne sich etwas zu vergeben. Niemals sonst hat er einen ersten Satz geschrieben von solcher Einfachheit der Struktur, von solcher »Normalität« in der thematischen Relation von Tutti und Solo; von solcher Klarheit der thematischen Erfindung, auch wo sie Ausflüge macht ins Kontrapunktische und in rhythmische Eigenwilligkeiten. A-dur: das ist bei Mozart die Tonart der Farbigkeit, der Transparenz eines Kirchenfensters; zwischen dem ersten Satz dieses Konzerts und dem Klarinettenquintett bestehen Beziehungen. Nicht ohne Grund fehlen ihm die Trompeten und Pauken. Aber es fehlen auch nicht die trüben Färbungen und die passionierten Verstecktheiten, die der bloße Genießer überhört; fis-moll kündigt sich bereits in diesem Satz an mit halber Drohung. Das Andante (er überschreibt es irrtümlich Adagio) steht ganz in fis-moll, einer Tonart, die Mozart sonst gemieden hat. Es ist kurz und dennoch die Seele des Werks. Es ist das Moll-Gegenstück zum Andante der Prager Sinfonie, auch in der »Auflösung« alles Polyphonen zu einem neuen Stil. Hier ist die Passion verschleiert, die im Andante des vorhergehenden Konzerts sich fast bis zur Nacktheit enthüllt hatte; aber die Resignation ist von der gleichen Untröstlichkeit. Und wenn Mozart diesen Eindruck überwindet, mit dem Eintritt des Rondothemas, so ist er wahrhaft ein Zauberer. Es ist, als ob mit diesem Presto ein frischer Luftzug und ein Sonnenstrahl in einen dumpfen und dunklen Raum eindringe. Die Heiterkeit dieses bis zum Schlußgedanken ununterbrochenen Stroms von Melodie und Rhythmus ist unwiderstehlich, aber es ist keine banale Heiterkeit. Wieder, wie im Klarinettquartett in Es oder im Klaviertrio in B, führt die Klarinette eine jener »unthematischen« Melodien ein (in D), in denen die Welt im Gleichgewicht steht und die Weltordnung sich rechtfertigt. Das Werk geht den umgekehrten Weg eines andern A-dur-Werks: der Violinsonate K. 526, wo das Larghetto die Funktion der seligen Beruhigung hat und das Finale alle Dämonien entfesselt – Beweis für den weiten Umfang von Mozarts Begriff der Tonarten.[356] Die Passion, die im Andante des A-dur-Konzerts verschleiert ist, bricht mit Vehemenz aus in dem Konzert in c-moll, vollendet am 24. März 1786, dessen Köchel-Nummer (491) der der »Nozze« unmittelbar vorausgeht. Es ist, als ob Mozart die Tonart habe erschöpfen wollen, die er kurz vorher im Andante des Es-dur-Konzerts zu einer – für seinen Begriff von Kunst als erhöhtem Ausdruck des Gefühls – nicht ganz legitimen Wirkung benutzt hatte. Dabei besteht eine geheimnisvolle Beziehung dieses finstern und großartigen Werkes zu der Serenade für Bläser in c-moll von 1782. Es verhält sich zu den »Nozze« wie die Serenade zur »Entführung«, wenn diese Serenade auch kurz nach der Vollendung des Singspiels entstanden ist. Aber auch die »Nozze« waren im März 1786 so gut wie fertig. In beiden Fällen bedurfte Mozart offenbar der Explosion der Leidenschaft, der dunklen, tragischen Gefühle. Eine andre Beziehung besteht zu dem Klavierkonzert in d-moll, in dem Mozarts Konzertform sich so dramatisch gebärdet, als es ihr überhaupt möglich ist. Auch dies Konzert ist ein wenig »beethovenisch«, insofern als Beethoven es bewundert und in seinem eigenen c-moll-Konzert (op. 37) ihm einige Opfergaben dargebracht hat. Aber das c-moll-Konzert Mozarts steht über dem in d-moll. Es ist nicht dialogisch, sondern sinfonisch; daß es den reichsten Orchesterapparat in Bewegung setzt, den Mozart überhaupt jemals in einem Konzert verwendet hat, Oboen und Klarinetten, daß die Bläsergruppe und die Bläsersolisten bedeutsamer hervortreten als je, ist dessen nur ein äußerliches Zeugnis. Seine Leidenschaft ist tiefer; die Bestätigungen der Tonart – und alle Modulationen, soweit sie sich entfernen, scheinen immer nur die Tonart zu bestätigen – sind unvermeidbarer, unerbittlicher; auch wo Es-dur erreicht ist, ist der Weg mühsam, verkrampft, erkämpft. Nichts mehr von idealem Marsch; Dreivierteltaktschritt. Nichts mehr von einem Kompromiß mit dem Gesellschaftlichen wie im Finale des d-moll-Konzerts: das Finale ist hier ein revolutionärer, unheimlicher Geschwindmarsch, Variationen mit freien »Episoden« (die nichts weniger sind als Episoden), wohl Wendungen ins Weiche, Himmlisch-Friedliche, aber Abschluß mit dem Unvermeidlichen. Man kann sich nicht recht vorstellen, was für Gesichter die Wiener gemacht haben,[357] als, am 7. April 1786, Mozart in einem seiner Subskriptionskonzerte ihnen dieses Werk vorspielte. Vielleicht haben sie sich an das Larghetto gehalten, das sich in der reinsten und rührendsten Region bewegt und von einer letzten Simplizität des Ausdrucks ist.
Die große Zeit seiner Konzertproduktion hat Mozart abgeschlossen mit einem C-dur-Konzert (K. 503, 4. Dezember 1786). Unmittelbar auf dies Werk folgt die Prager Sinfonie, als die erste einer neuen illustren, wenn auch kurzen Reihe, und ein paar Monate später beginnt Mozart mit seinem C-dur-Quintett, einer Werkgattung, von der man behaupten kann, daß sie das Konzert verdrängt hat, denn die beiden Klavierkonzerte, die noch folgen, sind gleichsam Hors-d'œuvres und nicht mehr Produkte prinzipiellen Schöpfungsdranges. Es ist ein grandioser Abschluß. Das Werk steht sowohl in Beziehungen zum C-dur-Konzert K. 467 wie zum vorangehenden c-moll-Konzert: es steigert das erste ins Machtvolle; es ist die notwendige Selbstbestätigung nach der desperaten Leidenschaft des zweiten. Der Sieg ist erreicht. Er symbolisiert sich am einfachsten und unwidersprechlichsten in dem triumphalen Marschthema des ersten Satzes, das, bezeichnenderweise, sich erst in Moll einführt und des »Forte« entbehren kann:
d. Die Synthesis: Das Klavierkonzert

Der Sieg ist erkämpft; alle Schatten und Dunkelheiten sind Erinnerung selbst in der leidenschaftlichsten und erregendsten Episode des Rondos, das kein humoristisches, sondern ein selbstsicher-ernsthaftes Rondo ist. Kein Werk Mozarts sonst hat solche[358] Dimensionen, die in ihrer Weite der Gewalt der sinfonischen Durchbildung und den Abstürzen in harmonische Ausweichungen entsprechen. In keinem wechselt das Verhältnis des Solisten zum Orchester so fortwährend und so unschematisch. Das Adagio – es ist ein Adagio und nichts weniger als, laut Überschrift, ein Andante – ist an Großartigkeit der Gesangsfülle und Belebung des Details vielleicht nur dem der C-dur-Sinfonie zu vergleichen. Es ist wahr, der Großartigkeit der Konzeption entspricht nicht immer ganz die Durchbildung der Ausführung: es ist, als ob Mozart manchmal Eile gehabt hätte, und mit Recht hat Mr. Girdlestone aufmerksam gemacht auf die verhältnismäßige Gleichgültigkeit Mozarts beim Abschluß des Rondos, an einer konstruktiven Stelle, an der Mozart sonst seinen letzten Trumpf ausspielt. Aber was will das sagen bei Betrachtung der Höhepunkte dieses Werks, in der die thematische Verdichtung auf die Spitze getrieben ist, ohne seinem Schwung zu schaden!
Das vorletzte Konzert, vierzehn Monate später geschrieben (24. Februar 1788, K. Nr. 537), in D-dur, kann wirklich mit einigem Recht ein Hors-d'œuvre genannt werden. Es heißt Krönungskonzert, da Mozart es neben K. 459 am 15. Oktober 1790 in Frankfurt während der Krönungsfeierlichkeiten für Leopold II. gespielt hat, und es ist wahrscheinlich, daß es schon damals mehr Beifall davongetragen hat als das frühere, viel feinere, individuellere, anspruchsvollere Werk. Geschrieben ist es für die Konzerte der Fastenzeit von 1788; wir wissen nicht, ob Mozart dazu gekommen ist, es in Wien vorzutragen; aber auf der Reise nach Berlin hat er es mitgeführt und im April 1789 am Dresdner Hof gespielt. Ob er die Trompeten und Pauken für diese Gelegenheit oder erst für Frankfurt der Partitur eingefügt hat, ist ebenfalls nicht mehr festzustellen. Aber es war das rechte Werk für festliche Anlässe. Es ist sehr mozartisch, ohne den ganzen oder auch nur den halben Mozart zu geben; es ist so »mozartianisch«, daß man sagen möchte, Mozart habe sich in ihm selber nachgeahmt, und das wäre ihm nicht sehr schwer gefallen. Es ist glänzend und liebenswürdig, zumal im langsamen Satz; es ist sehr einfach, ja primitiv im Verhältnis von Solo und Tutti; es ist so unmittelbar einleuchtend, daß es sogar dem 19. Jahrhundert immer unmittelbar eingeleuchtet hat:[359] denn, neben dem d-moll-Konzert, ist es das bekannteste Konzert Mozarts geworden. Diese Vorliebe beleuchtet wieder einmal die seltsame Tatsache, daß Werke für besonders charakteristisch gehalten werden, die in nicht ganz echter Fassung überliefert sind. Mozart hat nämlich den Solopart dieses Konzerts in ungewöhnlich skizzenhaftem Zustand hinterlassen. Nun wissen wir zwar von keinem seiner Konzerte ganz genau, wie er sie gespielt hat – nur vier sind zu seinen Lebzeiten veröffentlicht worden, und in seinen Autographen hat er wohl das Orchester mit aller Sorgfalt aufgezeichnet, nicht immer aber den Solopart – ja es wäre in seinem Interesse gelegen, ihn gar nicht aufzuzeichnen, um unredliche Kopisten nicht in Versuchung zu führen. Er selber wußte ja, was er zu spielen hatte. Der Part des Solisten, so wie er uns vorliegt, ist in allen Fällen nur eine Andeutung der wirklichen Ausführung, eine stete Aufforderung, ihn zu beleben. Im Falle unseres D-dur-Konzertes aber ist er nicht mehr als eine dürftige Skizze, von Mozart offenbar nur zur Auffrischung seines Gedächtnisses in die Partitur eingetragen, meist lediglich eine Linie, nur die Stellen mehr polyphoner Haltung manchmal in beiden Händen ausgeführt. Es genügt, zu sagen, daß nur die Begleitung des Rondothemas in der authentischen Fassung Mozarts vorliegt. Von wem stammt die Fassung des Soloparts, die von sämtlichen Pianisten widerspruchslos hingenommen wird? Ich vermute, von J. André, der 1794 die Erstausgabe in Stimmen herausgebracht hat. Sie ist meist simpel und nicht geradezu beleidigend, aber manchmal, zum Beispiel für die Begleitung des Larghettothemas, von großer Plumpheit; sie könnte durch Veränderung und Verfeinerung im Mozartschen Sinne unendlich gewinnen. An keinem andern Beispiel – es müßte denn die Partitur der »Nozze« sein – zeigt sich deutlicher, wie notwendig eine neue Ausgabe der Mozartschen Werke ist.
In einem ganz andern Sinn ein Hors-d'œuvre ist das Klavierkonzert in B (K. Nr. 595), das letzte, das Mozart vollendet hat, am 5. Januar des Jahres, dessen Ende er nicht mehr erleben sollte. Er hat es am 4. März 1791 noch selber gespielt – beileibe nicht in einer eigenen Akademie – dazu ließen es die Wiener nicht mehr kommen, sondern in einem Konzertabend des Klarinettisten Jos. Bähr, im Konzertsaal des Hoftraiteurs Jahn in der[360] Himmelpfortgasse. In der Tat, es steht »an der Pforte des Himmels«, vor den Toren der Ewigkeit. Es ist nichts weniger als das Ergebnis sentimentaler Betrachtung oder Verführung durch die Vorstellung »letztes Konzert für Klavier«, wenn wir dies Werk ein Werk des Abschieds nennen. Mozart hat in den ihm verbleibenden elf Monaten noch vieles und Verschiedenartiges geschrieben, aber es ist nicht das Requiem, in dem er sein letztes Wort sagt, sondern dies Werk einer Gattung, in der er auch sein Größtes gesagt hat. Es ist das musikalische Gegenstück seiner brieflichen Bekenntnisse, daß das Leben jeden Reiz für ihn verloren habe. Er hatte zwei furchtbare Jahre hinter sich, Jahre der Enttäuschung in jedem Sinne, und das Jahr 1790 war noch furchtbarer gewesen als das Jahr 1789. Und er lehnt sich nicht mehr auf gegen sein Schicksal wie in der g-moll-Sinfonie, zu der dies Konzert eine Art von Komplement ist, und nicht bloß in der tonartlichen Beziehung. (Beide und nur beide beginnen mit einem vorausgeschickten Takt, der die »Atmosphäre« der Tonart feststellt, wie die »Eroica« oder eine Brucknersche Sinfonie.) Die Resignation bedient sich nicht mehr lauter oder starker Ausbrüche; alle Regungen der Energie werden abgewiesen oder abgedämpft; aber um so unheimlicher sind die Abgründe der Trauer, die in den Schattierungen und Ausweichungen der Harmonik berührt werden. Über dem Larghetto schwebt eine religiöse, »franziskanische« (Girdlestone) Milde; das Finale atmet eine verschleierte Fröhlichkeit – wie wenn selige Kinder in Elysium spielten –, fröhlich, aber ohne Haß und Liebe. Das Thema dieses Rondos hat Mozart, ein paar Tage später, für ein Lied verwendet mit dem Titel: »Sehnsucht nach dem Frühlinge«. Es ist die resignierte Heiterkeit, die sich bewußt ist: es ist der letzte Frühling. Aber, und das ist das Ergreifendste: ein Gott gab Mozart, »zu sagen, was er leide«. Dies letzte Klavierkonzert ist auch wiederum ein Werk letzter Meisterschaft in der Erfindung – Erfindung von jener uns bekannten »zweiten Naivität«, reichster und innigster Beziehung zwischen Solo und Tutti, des transparenten Klanges, der Verschmelzung von »Galant« und »Gelehrt«. Sie ist so vollkommen, daß die Frage des Stils wesenlos geworden ist. Der Abschied ist zugleich die Gewißheit der Unsterblichkeit.

Fußnoten

1 Das entspricht sehr genau dem Zweizeiler E.A. Poes (»A Romance«, erste Fassung):
I could not love, exept where Death Was mingling his with Beauty's breath. 2 Mein Herr: ich erkenne meinen liebenswürdigen Signor Rutini wieder in der (mich) verpflichtenden Aufmerksamkeit, mir seine so artigen Klavier-Sonaten zukommen zu lassen. Ich habe in ihnen nicht bloß Gefallen gefunden an ihrer klaren, feinen und korrekten Harmonie, sondern vor allem die Einsicht und das Geschick bewundert, mit der er das Anziehende verbunden hat mit der Leichtigkeit der Ausführung, um den Schüler zu einem vergnüglichen Üben zu verlocken und ihm die Schwierigkeiten zu verhehlen, die ihn abschrecken könnten ...
3 Es ist denn auch jüngst (Paul Hirsch in: »Music and Letters«, XXV, 4) nachgewiesen worden, daß Mozart es als Fragment hinterlassen und die letzten Takte von anderer Hand ergänzt worden sind.
Quelle:
Einstein, Alfred: Mozart. Sein Charakter, sein Werk. Zürich, Stuttgart 31953, S. 361.
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