b) Opera buffa

[464] Im Spätsommer 1774 erhält Mozart den Auftrag, für München eine Opera buffa zu schreiben – nicht für das glanzvollere München des Kurfürsten Karl Theodor, für das er den »Idomeneo« komponiert hat, sondern noch für das bescheidenere des Kurfürsten Maximilian Joseph, der drei Jahre später »keine Vakatur« für ihn gehabt hat. Mozart schrieb das Werk halb in Salzburg, halb in München zwischen September 1774 und Januar 1775; die erste Aufführung fand statt am 13. Januar. Mozart schrieb, am folgenden Tag, der Mutter zwar nach Hause: »... Gottlob! Meine opera ist gestern als den 13ten in scena gegangen; und so gut ausgefallen, daß ich der Mama den lärmen ohnmöglich beschreiben kann. Erstens war das ganze theater so gestrozt voll daß vielle leute wieder zurück haben müssen. Nach einer jeden Aria war alzeit ein erschröckliches getös mit glatschen, und viva Maestro schreyen. S: Durchlaucht die Churfürstin, und die verwitwete (welche mir vis à vis waren) sagten mir auch bravo. wie die opera aus war, so ist unter der zeit wo man still ist, bis der ballet anfängt, nichts als geglatscht und bravo geschryen worden; bald aufgehört, wieder angefangen, und so fort ...« Aber in Wirklichkeit war es kein Erfolg, so wenig wie der »Lucio Silla« zwei Jahre vorher. Keine italienische Bühne kümmerte sich um das Werk; erst im Winter 1779 nahm sich eine deutsche Wandertruppe, die Böhmsche, die damals in Salzburg war, seiner an und trug es in der Fassung als deutsches Singspiel, das heißt unter Ersetzung der Rezitative durch gesprochenen Dialog und in einer leidlich geschickten und treuen Übersetzung des Schauspielers Stierle, durch ganz Süd- und Westdeutschland. (Bei dieser Gelegenheit ist das Autograph des ersten der drei Akte verlorengegangen; doch können wir ihn glücklicherweise, ausgenommen die Rezitative, vollständig rekonstruieren.) Noch 1789 wurde »Das verstellte Gärtnermädchen« in Frankfurt am Main als »komische Oper« aufgeführt. Bei einer der Münchner Aufführungen war der schwäbische Dichter, Journalist, Musikant Chr. Fr. Daniel Schubart anwesend; er berichtet in seiner »Deutschen Chronik« vom 27. April 1775: »Auch eine Opera buffa hab' ich gehört[465] von dem wunderbaren Genie Mozart; sie heißt: La finta giardiniera. Genieflammen zuckten da und dort; aber's ist noch nicht das stille ruhige Altarfeuer, das in Weihrauchswolken gen Himmel steigt – den Göttern ein lieblicher Geruch ...« Schubart hielt Mozart offenbar für einen »Stürmer und Dränger«. Oder er konnte einfach der Fülle von Musik nicht folgen, die Mozart über sein Werk ausgeschüttet hat: – das war ja die allgemeine Wirkung Mozarts auf die Zeitgenossen.
In der »Finta semplice« von 1768 war Mozart der neuesten Librettistik um vier Jahre nachgehinkt; diesmal, in der »Finta giardiniera« war er ihr unmittelbar auf den Fersen. Der Text, anonym, aber vermutlich von Calzabigi, dem einstigen Mitarbeiter Glucks, war erst ein halbes Jahr, bevor Mozart mit seiner Arbeit begann, von Pasquale Anfossi komponiert worden. Anfossis Oper, zuerst in Rom am Teatro delle Dame aufgeführt, hatte großen Erfolg: schon 1775 war sie nicht nur bereits in ganz Italien verbreitet, sondern auch schon nach Dresden gelangt. Mozart hat Anfossis Partitur, natürlich, sehr genau gekannt. Und er wäre ein Narr gewesen, wenn er sie nicht ganz unbefangen als »Sprungbrett« benutzt hätte. Er ist ihr, wie der Vergleich lehrt, auf Schritt und Tritt gefolgt, er hat nur seine wundersame, Mozartsche musikalische Erfindungskraft frei spielen lassen, wo Anfossi nicht viel mehr gibt als leichte Routine. Er ergriff die Gelegenheit, für bessere Sänger und ein besseres Orchester zu schreiben, als sie durchschnittlich bei italienischen Buffonisten zu finden waren. Es finden sich in seiner Partitur so hinreißende Dinge, daß man teils geglaubt hat, er habe nach 1775 manches in ihr geändert, und teils sie als Anlauf für »Nozze« oder »Don Giovanni« genommen hat. Das eine ist so unrichtig wie das andre. Keine Nummer der Partitur, mit Ausnahme von ein paar Rezitativen für die deutsche Fassung, ist nachkomponiert oder verändert. Und das Werk gehört nicht schon auf die Seite des »Figaro«, sondern, trotz allem, noch auf die Seite der »Finta semplice«. Es ist, sozusagen, noch völlig im Stand der Unschuld geschrieben. Es dauert noch etliche Jahre, bis Mozart Texte wie diesen in die Ecke feuert. Aber er ist so besessen von Musik, daß er auch diesen wiederum mit Haut und Haaren verschluckt hat.[466] Dieser Text gehört einer ganz andern Gattung an als der der »Finta semplice«. Im Druck des Librettos findet sich eine merkwürdige Einteilung der Darsteller, die wörtlich zu zitieren wertvoll ist:
Parti serie Arminda Gentildonna Milanese Amante del Cav. Ramiro, ed ora promessa sposa al Contino Belfiore. Il Cavaliere Ramiro, Amante di Arminda, dalla stessa abbandonato. Parti buffe La Marchesa Violante Amante del Contino Belfiore creduta morta sotto nome di Sandrina in abito di Giardiniera. Il Contino Belfiore primo amante di Violante, ed ora d'Arminda. Serpetta Cameriera del Podestà innamorata del medesimo. Don Anchise Podestà di Lagonero, Amante di Sandrina. Roberto servo di Violante, che si finge suo cugino sotto nome di Nardo da Giardiniero, Amante di Serpetta da lei non corrisposto. Diese Unterscheidung von parti serie und parti buffe deutet auf eine neue Entwicklung der Opera buffa. Die »Finta semplice« war noch ein reiner Abkömmling der Commedia dell'arte gewesen. Aber diesmal, in der »Finta giardiniera«, mischt sich mit dem Buffonesken das Tragische – wenn man diesen Begriff durch die Anwendung auf die Opera buffa nun einmal mißbrauchen oder beleidigen will. Der Podestà – das ist natürlich noch immer Pantalone: der alte Narr, der sich noch immer in junge Mädchen verliebt; als Amtsperson, als »magistrato«, die aufgeblähte Wichtigkeit; eine Karikatur. Und die Kammerzofe Serpetta, die gern Frau Podestà wäre, kokett, herzlos, unverschämt, ist natürlich eine Nachfolgerin der Serva padrona und mehr ein Begriff, ein Typus als eine Person; ebenso wie Nardo der Begriff des Pulcinella, hier nur mehr ein ehrlicher Tölpel. Aber was, unter den sieben Personen, mit den vier[467] übrigen? Was mit dem Contino, der in einem Anfall von Eifersucht seine Braut, Violante, schwer verwundet hat und sie für tot halten muß? Was mit Sandrina, die den Mörder noch immer liebt und den Aufenthalt des Flüchtigen als »verstellte Gärtnerin« im Dienst des Podestà auszuforschen versucht? Es ist gar keine spaßhafte Situation für sie, die Nachstellungen des alten Esels abzuwehren und den Haß der Zofe zu ertragen. Sie gehört viel eher in die Kategorie der Parti serie als Arminda, die Nichte des Podestà, eine eitle, kapriziöse, boshafte und brutale Person, die den Contino ihrem alten Liebhaber Ramiro vorzieht und ihre Rivalin Sandrina einfach auf die Seite schaffen läßt. Ramiro ist auf der richtigen Seite der Kategorien: er ist der beständige, treue, verzweifelte Liebhaber.
Man sieht: die Einteilung richtet sich nicht nach der inneren Tragik oder Komik der Personen, sondern nach der Konvention, nach der Kategorie der Darsteller. Und es ist betrüblich, aber wahr, daß Mozart diese Kategorien ohne Bedenken respektiert hat. Er sieht vor sich die Darsteller, die Konvention; statt seinen Personen ins Herz zu sehen. Sandrina singt eine Arie in Rondoform mit nachfolgendem zweiten Allegro-Teil (Mozart liebt diese Form) »Noi donne poverine« (4), die ins Gebiet der Soubrette, der Zerlinen gehört. Der Contino, der Mörder aus Eifersucht, zählt in einer burlesken Aria (8, »Da scirocco a tramontana«) seine noblen Ahnen auf, die bis auf Caracalla und Numa zurückgehen. Nicht einmal der Podestà nimmt diesen Narren ernst. Eine andre Aria (15, »Care pupille«) des Contino beginnt im amourösen und gefühlten Ton, muß aber im burlesken schließen. Eine wirksame Szene findet sich im zweiten Akt. Ramiro bringt dem Podestà einen Brief aus Mailand, in dem der Contino als Mörder Violante-Sandrinas namhaft gemacht wird; der Podestà ist gezwungen, den Contino zu verhören, in einem sehr komischen Recitativo secco – wobei dieser sich so jämmerlich benimmt wie ein ertappter Taschendieb. Sandrina rettet ihn, indem sie erklärt, sie sei in Wahrheit Violante, nur verwundet, aber nicht getötet worden – worauf der Contino entzückt ihr von neuem seine Liebe erklärt. Das Spiel könnte nun aus sein; aber Sandrina leugnet plötzlich von neuem ihre Identität und stößt ihren traurigen Liebhaber von sich,[468] wodurch sie ihn in halben Wahnsinn stürzt. Das Ende des zweiten und der Beginn des dritten Aktes sind erfüllt mit wirklichen Irrsinnsszenen der beiden Liebenden: im Finale des zweiten glauben sie Hirten zu sein, dann Medusa und Herkules, dann proponieren sie einen Tanz – all das vor den erstaunten Augen der fünf andern Herrschaften – erst der dritte Akt heilt sie von ihrem Wahnsinn.
Haftet nicht auch Paminas Wahnsinnsszene in der »Zauberflöte« ein wenig Komik an – zum mindesten soweit Schikaneder in Frage kommt? Wobei man sich zu erinnern hat, daß das 18. Jahrhundert Äußerungen des Irrsinns äußerst komisch fand – auch in Glucks »Rencontre imprévue« muß die Figur eines verdrehten Malers, Vertigo, für eine Heiterkeit sorgen, die uns anwidert. Und es ist ja bekannt, wie interessant die Opera seria des beginnenden 19. Jahrhunderts die koloratursingenden Närrinnen in »Lucia di Lammermoor« und den »Puritani« fand. Es herrscht eine seltsame Mischung des »serio« und des »buffo« in dieser Opera buffa. Eine unmögliche Mischung. Wenn im »Don Giovanni« die arme Donna Elvira in eine komische Lage gerät, wenn sie zum Beispiel an Leporello, der die Rolle Don Giovannis übernommen hat, all ihre Zärtlichkeit verschwendet, wird sie uns doppelt tragisch. In der »Finta giardiniera« sind solche Situationen einfach verletzend. Und weil keine wirklichen Figuren vorhanden sind, kann Mozart auch keine großen Ensembles schreiben, wozu er ohnedies nur in der Introduzione und den Finali Gelegenheit hat; denn außer einem Duett und einem Terzett besteht die »Finta giardiniera« nur aus Abgangsarien, gehört also auch im dramaturgisch-technischen Sinn einem veralteten Genre an. Die Introduzione und die Finali sind dialogisch, nicht kontrapunktisch, wie später in den drei großen Wiener Opere buffe. Mozart faßt die einzelnen Szenen, aus denen sie bestehen, durch obstinate Begleitungsmotive bereits zur Einheit zusammen, und eines, im ersten Finale, gewinnt sinfonische Größe:
b. Opera buffa

[469] Jede Person spricht, so gut es geht, in ihrer Weise, aber im Nacheinander; und nur im zweiten Finale sind natürlich die Gruppen, zwei gegen fünf, gegeneinandergeführt.
Aber nachdem man den Grundfehler dieser Oper ausgesprochen hat, daß Mozart sie komponiert hat, muß man seinem Entzücken Ausdruck geben, wie er sie komponiert hat. Wieviel Witz in den karikierten Arien, der des Podestà (Nr. 3, »Dentro il mio petto«), die sich zu einem Spaß der Instrumentation auswächst, oder 17 (»Una damina«), die in ihrer aufgeblähten Wichtigkeit wie eine Vorstudie zur großen Aria Bartolos in den »Nozze« erscheint; Nardos Imitationen des italienischen, französischen und englischen Stils (14)! Welche Erfindung in den »großen« Arien, etwa der Armindas in g-moll (13, »Vorrei punirti indegno«)! Welche Innigkeit in den Stücken, in denen Mozarts Seele erregt ist: in der Zärtlichkeit von Sandrinas Aria »Geme la tortorella« (13), oder ihre große Scena (21, »Crudele fermati« in c- und a-moll, würdig jeder Opera seria, oder vielmehr jeder echten großen Oper! Für jeden Musiker, der die Voraussetzungen dieses Werkes kennt und ihre innere Schwäche als gegeben hinnimmt, ist sie ein Entzücken von Anfang bis zu Ende. Erst in Wien nähert sich Mozart wieder dem Gebiet der Opera buffa. Es ist ein Glück, daß er das erst getan hat, als er ganz reif geworden war; daß er seinen Genius nicht mehr an unwürdige oder minderwertige Stoffe verschwendet hat. Er hat den »Idomeneo« und die »Entführung« hinter sich. Nach der Vollendung der »Entführung« macht er sich zunächst an die Komposition einer andern deutschen Oper, von der uns nur Fragmente erhalten sind (K. Nr. 433, 435) und die viel burlesker im Charakter gewesen sein muß – sozusagen[470] eine Opera buffa in deutscher Sprache. Aber er läßt sie bald liegen, und es scheint sich ihm die Aussicht eröffnet zu haben, mit einer wirklichen Buffo-Oper bei der neuen italienischen Truppe in Wien ankommen zu können. Jedenfalls: sein Drang nach der Schaffung eines solchen Werks wird so mächtig, daß er trotz aller Erfahrungen bei der Arbeit am »Idomeneo« seine Hoffnungen wieder auf den Salzburger Hofkaplan setzt, nachdem er vergebens »... leicht 100 – Ja wohl mehr bücheln« – libretti – »durchgesehen – allein ich habe fast kein einziges gefunden mit welchem ich zufrieden seyn könnte; – wenigstens müßte da und dort vieles verändert werden. – und wenn sich schon ein Dichter mit diesem abgeben will, so wird er vieleicht leichter ein ganz Neues machen. – und Neu – ist es halt doch immer besser ...«
(an den Vater, 7. Mai 1783). »... mithin dächte ich, wenn nicht Varesco wegen der Münchner Opera noch böse ist – so könnte er mir ein Neues buch auf 7 Personen schreiben. – basta; sie werden am besten wissen ob das zu machen wäre; – er könnte unterdessen seine gedanken hinschreiben. und in Salzburg dann wollten wir sie zusammen ausarbeiten. – Das nothwendigste dabey aber ist. recht Comisch im ganzen. – und wenn es dan möglich wäre 2 gleich gute frauenzimmer Rollen hinein zu bringen. – Die eine müßte seria, die andere aber Mezzo Carattere seyn, aber an güte müßten beyde Rollen ganz gleich seyn. – Das dritte frauenzimmer kann aber ganz Buffa seyn, wie auch alle Männer wenn es nötig ist ...« Es sieht so aus, als ob Mozart noch in Kategorien dächte, in typischen Rollen, für die in Wien die typischen Darsteller vorhanden waren. Aber unter diesen Darstellern war Benucci, Mozarts späterer Figaro, der viel mehr war als ein bloßer Arlecchino oder Pantalone. Es war ein Unglück, daß Mozart mit Ansprüchen an Varesco herantrat, die auch durch das Libretto zu einer zweiten »Finta giardiniera« hätten befriedigt werden können. Und so, nur noch viel schlimmer, wurden sie auch befriedigt. Als Mozart im Sommer 1783 nach Salzburg kam, besprach er mit Varesco den Plan der ganzen Oper, Varesco führte den ersten Akt vollständig aus, und Mozart, in[471] seiner blinden Begierde, machte sich sogleich ans Komponieren, so daß er Entwürfe von einem Teil dieses Aktes mit nach Wien nehmen konnte. Dann kommen ihm Bedenken. Am 6. Dezember schreibt er dem Vater: »... es fehlen nur noch 3 arien, so ist der erste Act von meiner opera fertig. – Die Aria Buffa – das Quartett – und das finale kann ich sagen, daß ich ganz vollkommen damit zufrieden bin, und mich in der That darauf freue. – Drum wäre mir leid, wenn ich eine solche Musique müßte umsonst gemacht haben, das heißt wenn nicht das geschieht, was unumgänglich nöthig ist ...« Und nun folgen eine Reihe von eingreifenden Änderungsvorschlägen, die Mozart in zwei weiteren Briefen, vom 10. und 24. Dezember, noch ergänzt. Das Erstaunliche dabei ist, daß Mozart die Unmöglichkeit von Varescos Machwerk als Ganzem noch immer nicht ganz eingesehen hat, obwohl er schon am 6. Dezember dem Vater bekennt: »... übrigens muß ich ihnen sagen, daß ich über die ganze ganshistorie nur deswegen nichts einzuwenden hatte, weil 2 Männer von mehr Einsicht und Überlegung, als ich, sich nichts dagegen einfallen ließen, und das sind sie und varesco ...« Aber der Grund ist: Mozart hat einen vorgefaßten Begriff von Opera buffa. »... wie Komischer die welsche opera ist, desto besser«! (6. Dezember). »... auf ihren guten Einfall dem Biondello in thurm zu bringen, bin ich sehr begierig. – wenn er nur komisch ist, wir wollen ihm gerne ein bischen unatürlichkeit erlauben ...« (24. Dezember). Und dann ist nicht weiter von dem Werk die Rede. Entweder war Varesco nicht imstande oder nicht willens, Mozarts Vorschläge ins Werk zu setzen, oder Mozart selber ist bei weiterem Nachdenken über die Ausführung der Handlung darauf gekommen, daß er seine Arbeit an eine Unsinnigkeit verschwende. Hätte Konstanze die Antworten Leopolds nicht vernichtet, so wüßten wir vermutlich darüber Bescheid.
Es ist nicht notwendig, Varescos Libretto, dessen Plan vollständig erhalten ist, im einzelnen zu zergliedern. Wieder genügt die Vorführung der Personen: Don Pippo Marchese di Ripasecca innamorato die Lavina, e credutosi vedovo di[472] Donna Pantea sotto nome di Sandra, sua moglie.
Celidora loro unica figlia destinata sposa al Conte Lionetto di Casavuota, Amante di Biondello, Gentiluomo ricco di Ripasecca. Calandrino Nipote di Pantea, Amico di Biondello, ed Amante corrisposto di Lavina, Compagna di Celidora. Chichibio, Mastro di casa di Don Pippo, Amante di Auretta, Cameriera di Donna Pantea. Der Kern der Handlung ist eine Wette, wie später – aber was für ein Unterschied – in »Così fan tutte«. Der alte Narr Don Pippo hält seine Tochter Celidora samt ihrer Gefährtin Lavina in einem Turm eingesperrt und verspricht sie Biondello, der Celidora liebt, zur Frau, wenn es ihm gelänge, innerhalb Jahresfrist zu ihr zu gelangen. Der Versuch, mittels einer Brücke in den Turm zu kommen, mißlingt: Don Pippo überrascht die Liebenden im letzten Augenblick (Finale I). Da fertigt Biondellos Freund Calandrino, ein geschickter Mechanikus, seinerseits verliebt in Lavina, inzwischen heimlich eine künstliche Gans an und schickt sie übers Meer an Pantea, die verkleidet nach Ripasecca kommen soll, um das Wunderwerk auf dem Jahrmarkt zur Schau zu stellen. Der Plan ist, Biondello in ihr zu verstecken; Don Pippo, so rechnen die Verschwörer, werde das Kunstwerk den armen Mädchen im Turm nicht vorenthalten und Biondello so seine Wette gewinnen. Nach hundert unsinnigen, tollen Verwicklungen glückt der Plan, und am Schluß präsentieren sich vier mehr oder minder glückliche Paare. Das ist die »Gans von Kairo«, die »Oca del Cairo«. Mozart hat zwei Duette, einige Arien (darunter zu einer nicht vollständig erhaltenen des Don Pippo sogar das einleitende Rezitativ), ein Quartett und das Finale des I. Aktes so sorgfältig in Singstimmen und Baß skizziert, daß er zur Ausfüllung der leeren Systeme im Orchesterpart nur noch weniger Tage bedurft hätte. Er hatte recht, mit seiner Arbeit zufrieden zu sein. Das einleitende Duett, eine Eifersuchts- und Versöhnungsszene zwischen Auretta und Chichibio, wäre in seiner Frische und seinem Charme Susannens und Figaros würdig – es ist offenbar,[473] daß Mozart bei Chichibio an Benucci dachte, und so ist auch seine Aria (3, »Ogni momento«) ein Meisterstück der Zungengeläufigkeit – man denkt unwillkürlich an Rossinis »Barbiere di qualità«. Das Quartett, zwei Soprane und zwei Tenöre, malt die amorose Einigkeit hoffnungsvoller und entschlossener Liebespaare, es ist voll innerer Erregtheit. Und das Finale, mit allen sieben Personen (natürlich noch ohne Pantea), sollte mit Ehrfurcht betrachtet werden: es ist Mozarts erstes großes Buffo-Finale, meisterhaft aufgebaut und bis zum Ende gesteigert, zuletzt noch durch einen Chor; mit klarstem Contrapposto der beiden Parteien: hier der erboste Don Pippo mit seinen Helfern, dort die drei Liebespaare, und von diesen jedes wieder besonders charakterisiert. Liest man diese Stücke und die andern erhaltenen Skizzen des Werkes durch, so wagt man doch wieder es nicht als ein Glück zu betrachten, daß Mozart es nicht beendigt hat.
Er hat es wohl auch aus dem Grunde nicht beendigt, weil er inzwischen ein anderes Libretto erhalten oder wohl gar schon heimlich nach Salzburg mitgebracht hatte, den »Sposo deluso« – o sia »La rivalità di tre donne per un solo amante«. Man kannte bisher den Verfasser dieses Librettos nicht, aber es ist so gut wie sicher, daß es von keinem andern stammt als von Lorenzo da Ponte. Es war die erste Verbindung Mozarts mit dem Librettisten der »Nozze«, des »Don Giovanni« und von »Così fan tutte«, der dank diesen drei Werken von Mozart mit in die Unsterblichkeit hinübergenommen worden ist. Da Ponte war sieben Jahre älter als Mozart. Er war 1749 im Ghetto zu Ceneda, im Veneto, zur Welt gekommen und hieß damals Emmanuele Conegliano. Sein Vater, Geremia, war ein Corduan-Gerber, seine Mutter hieß Ghella (Rähel) Pincherle und ist wohl nach der Geburt eines jüngeren Bruders unseres Emmanuele-Lorenzo 1754 gestorben. Am 29. August 1763 ging der Vater zur Taufe mit seinen Söhnen Emmanuele, Baruch und Anania, durch den Bischof zu Ceneda, Lorenzo da Ponte; aus Geremia wurde nun Gasparo, und aus Emmanuele Baruch und Anania wurden Lorenzo, Girolamo und Luigi; aus Conegliano, dem Wohltäter zu Ehren und nach altem Brauch, wurde da Ponte. Der gute Bischof übernahm auch die Kosten der Ausbildung der drei Täuflinge, was notwendig war, da der[474] Vater ein paar Tage nach der Taufe eine zweite Heirat mit einer Christin einging, die ihm noch zehn Kinder, drei Söhne und sieben Töchter, schenken sollte. Lorenzo besuchte die Priesterseminare zu Ceneda und Portogruaro, erhielt 1770 und 1771 die niederen Weihen und las am 27. März 1773 seine erste Messe. Er war nun ein Abate, bekleidete in Portogruaro einige Lehrstellen, kam im Herbst 1773 vermutlich nicht zum erstenmal nach Venedig, wird aber im folgenden Jahr Professor »di grammatica inferiore« in Treviso und bleibt es fast zwei Jahre. Dann wird er entlassen, geht wieder nach Venedig, wo er sich literarischen und galanten Abenteuern hingibt und sich in den trüben Gewässern der verfaulten Republik wohlfühlt wie ein Fisch im Wasser. Wer Lust hat, diesen Abenteuern nachzugehen, lese sie in seinen Memoiren, womöglich im Original, aber zusammen mit den Korrekturen in der vortrefflichen deutschen Ausgabe von Gustav Gugitz (Dresden 1924) – wobei er sich nicht langweilen wird. Drei Jahre lang kann Da Ponte dies Treiben fortsetzen, bis ihn der Skandal, den sein Verhältnis mit einer verheirateten Frau aufrührt, zur eiligen Flucht zwingt: er wird auf fünfzehn Jahre aus Venedig und dem Veneto verbannt und bekäme, ergriffen, sieben Jahre finsteren Kerkers. Nun, das würde ihm nicht gefallen; er wendet sich nach den österreichischen Erblanden, bleibt ein paar Monate in Görz und wagt sich wohlweislich nach Wien erst ein paar Tage nach dem Tod Maria Theresias (Dezember 1780), die ihn ganz bestimmt so schnell ausgewiesen hätte wie seinen Freund Casanova. Ehrfurchtsvoll und fröhlich besingt er ihren Tod in einem Sonett, das der Edle von Trattnern druckt. Aber vorläufig ist in Wien seines Bleibens nicht. Im Winter 1780/81 ist er in Dresden, wo der Hofdichter Mazzolà ihn protegiert und ihn in die »Dramaturgie der Oper« einweiht. Dann kehrt er nach Wien zurück, vielleicht in der Hoffnung, die Nachfolgerschaft Metastasios antreten zu können, den er nicht versäumt zu besuchen und der im April 1782 stirbt. Das wäre nun allerdings eine sonderbare Nachfolgerschaft geworden, der nicht einmal der große Reformer Joseph II. zugestimmt hätte. Aber es eröffnet sich eine andere Aussicht für da Ponte. Das Wiedererstehen der Italienischen Oper in Wien, die am 12. April 1783 mit Salieris »La[475] scuola de' gelosi« eröffnet wurde, belebt in ihm die gleichen Hoffnungen wie in Mozart. Salieri empfiehlt ihn, und so wird der Abate Lorenzo da Ponte am 1. März 1783 als Theaterdichter mit einem Gehalt von 600 Gulden angestellt. Eine seiner ersten Taten ist, von Glucks »Iphigénie en Tauride« eine italienische Übersetzung zu liefern, die mit Alxingers deutscher gedruckt wird – zum Nutzen der Wiener Theaterbesucher, die des Deutschen nicht mächtig waren! Sein erstes Libretto schreibt er natürlich für Salieri: »Il ricco d'un giorno« (1784), ein Mißerfolg.
Mozart schreibt schon am 7. Mai 1783 an den Vater: »... wir haben hier einen gewissen abate da Ponte als Poeten. – Dieser hat nunmehro mit der Correctur im theater rasend zu thun. – muss per obligo ein ganz Neues büchel für den Salieri machen. – Das wird vor 2 Monathen nicht fertig werden. – dann hat er mir ein Neues zu machen versprochen; – wer weis nun ob er dann auch sein Wort halten kann – oder will! – sie wissen wohl die Herrn Italiener sind ins gesicht sehr artig! – genug, wir kennen sie! – ist er mit salieri verstanden, so bekomme ich mein lebtage keins – ...« Aber da Ponte scheint eben doch Wort gehalten zu haben, und wenn er sich wirklich nach der Vollendung des Librettos zum »Ricco d'un giorno« gleich für Mozart an den Schreibtisch gesetzt hat, so hat Mozart nach seiner Rückkehr aus Salzburg im Herbst den »Sposo deluso« in Händen gehabt und sich an die Komposition machen können. Daß er in den Briefen an den Vater vom Dezember nichts davon erwähnt, ist erklärlich: denn Varesco hätte sofort die Arbeit an der »Oca del Cairo« eingestellt, wenn er erfahren hätte, daß Mozart sich bereits mit einem andern Libretto beschäftige. Und daß da Ponte in seinen Memoiren diese erste Gemeinschaftsarbeit mit Mozart verschweigt, ist ebenfalls kein großes Rätsel. Ganz abgesehen davon, daß seine Memoiren, ein Produkt höchsten Alters (1823–1827), voll sind von Vergeßlichkeiten und Ungenauigkeiten – absichtlichen und unabsichtlichen –, ist der »Sposo deluso« kein Ruhmesblatt in seinem Schaffen. Man mag einwenden, daß es noch andre Libretti von da Ponte gibt, die ihm keine Ehre machen; aber er war nicht ohne literarischen Ehrgeiz. Wiederum[476] gibt den besten Begriff von dieser merkwürdigen Opera buffa das Personenverzeichnis, dem Mozart eigenhändig die Namen der Sänger beigefügt hat, die er für die einzelnen Rollen im Auge hatte:
Primo buffo caricato: Sempronio, uomo sciocco e facoltoso, promesso in marito ad Emilia. Signore Benucci. Prima buffa: Emilia, giovane Romana di nobili natali, alquanto capricciosa e promessa in consorte a Sempronio, ma fida amante di Annibale. Signora Fischer (= Nancy Storace). Primo mezzo carattere: Annibale, uffiziale Toscano, molto coraggioso ed amante di Emilia. Signore Mandini. Seconda buffa: Laurina, nipote di Sempronio, ragazza vana, ed innamorata die Annibale. Signora Cavallieri. Secondo buffo caricato: Fernando, sprezzator delle donne ed amico di Sempronio. Signore Bussani. Secondo buffo mezzo carattere: Geronzio, tutore di Emilia, che poi innamorasi di Metilde. Signore Pugnetti. Terza buffa: Metilde, virtuosa die canto e ballo, anch'essa innamorata di Annibale e finta amica di Laurina, Signora Teiber. Oh, Shakespeare hätte mit diesen sieben Charakteren etwas anfangen können. Im Mittelpunkt stehen Emilia und Annibale, zwei stolze und leidenschaftliche Menschen, die durch ein Mißverständnis auseinandergekommen sind – und Emilia muß Annibale für tot halten. Als höchst unwillige Braut durch ihren Vormund Geronzio dem alten Gecken Sempronio in Livorno zugeführt, trifft sie Annibale wieder, aber als Gatte beansprucht von der Närrin Laurina und der schlauen Komödiantin Metilde: Gelegenheit zu den schönsten Eifersuchtsszenen. Fernando entspricht[477] durchaus dem Shakespearischen Benedikt aus »Much Ado About Nothing«. Da Ponte gibt nicht mehr als ein Mittelding zwischen Commedia dell'arte und Intrigenstück, an dessen Ende natürlich der arme Sempronio als Gefoppter (»il sposo deluso«) dasteht und Annibale, der Gegenstand der »Rivalität dreier Frauen«, die richtige heimführt, nicht ohne daß auch Laurina und Metilde befriedigt werden, die erste mit dem Weiberfeind, die zweite mit dem alten Geronzio. Wie immer bei da Ponte ist der erste Akt der beste, er enthält eine reizende Szene: wenn die stolze Römerin Emilia in dem Provinznest Livorno ankommt, vermißt sie einen entsprechenden Empfang und gibt ihrem Unmut Ausdruck in einer Arie (»Nacqui all'aura trionfale«), die Mozart denn auch im pseudoheroischen Stil herrlich skizziert hat, etwa der »Felsen-Aria« Fiordiligis in »Così fan tutte« vergleichbar. Und nach dieser Aria übersieht sie hartnäckig den armseligen Idioten Sempronio und hält lieber jeden andern für den ihr bestimmten Bräutigam. Diesen Idioten überraschen wir, beim Aufgehen des Vorhangs, bei den letzten Toilettevorbereitungen, verhöhnt von Laurina, Annibale und Fernando – ein großes Quartett von feinster, vielleicht zu lang ausgesponnener Ausführung. Es nimmt, nach einem entzückenden, empfundenen Andantino, das triomphale Allegro der Ouvertüre auf. Dann ist noch, skizziert, eine ironische Arie des Frauenverächters Fernando vorhanden, ein wahres Unikum (man könnte es sich im Munde eines jungen Basilio denken), und, wiederum voll ausgeführt, ein Terzett Emilia-Annibale-Sempronio, wiederum ein Stück ersten Ranges. Emilio und Annibale, nach dem unverhofften Zusammentreffen, suchen ihrer Gefühle Herr zu werden, indes der alte Bräutigam seiner Ratlosigkeit Ausdruck gibt, einmal wörtlich eine Melodie Bartolos antizipierend. Es ist ein zugleich leidenschaftliches und komisches Stück, kurz und dramatisch, alle drei Personen scharf gesehen.
Aber Mozart muß bereits nach der Beendigung dieser vier Stücke eingesehen haben, daß er so nicht weiterfahren könne, daß er mit seiner Idee des »Buffonesken« auf falschem Wege sei. Nur noch einmal folgt er diesem Weg, indem er die Introduzione aus einem Libretto von Giuseppe Petrosellini komponiert,[478] »Il regno delle Amazzoni«, das, von Agostino Accorimboni komponiert, Ende Dezember 1783 in Parma und dann auch in Florenz aufgeführt worden war. Es ist ein Beweis seiner Verzweiflung, denn Petrosellinis Text ist eher noch unsinniger als der des »Sposo deluso« – es genügt, die Anfangsszene, ein Quintett, zu betrachten, in der ein Liebhaber mit der Gesellschaft zweier alter Narren, eines Archäologen und eines Meteorologen, sich unwillig abfindet. Mozart hat die Szene feurig und konzertant angefaßt; aber wir sind froh, daß er sie nach hundert Takten abschließt, bevor sie die Fünfstimmigkeit erreicht, und so sein Genie nicht nutzlos verschwendet hat.
Wir sind an einem entscheidenden Punkte angelangt. Mozarts grenzenloses musikalisches Vermögen meistert längst die Formen, in denen der Triumph der Opera buffa gipfelt: die Ensembles, die Terzette und Quartette und Finales, in denen jede Person auf ihre Weise ihre Eigenart ausspricht, in denen er seine kontrapunktische Kunst zeigen könnte. Aber er findet nicht den geeigneten Stoff. Da ereignet sich ein Glücksfall, vergleichbar nur der Bekanntschaft mit den Werken Bachs, die ihm zwei Jahre vorher durch den Baron van Swieten vermittelt worden war: am 23. August 1784 wird am Burgtheater, mit Musik von Paisiello, der »Re Teodoro in Venezia« des Abate Giovanni Battista Casti aufgeführt. Mozart besucht die erste Aufführung. Diesmal gibt es keine Krise in seinem Schaffen wie Anno 1782 und 1783 nach der Bekanntschaft mit dem »Wohltemperierten Klavier« und der »Kunst der Fuge«. Aber immerhin eine schwere Erkrankung, die vielleicht noch etwas andres war als eine Erkältung, nämlich die Bewältigung der Erregung, die Castis Libretto in ihm hervorgerufen haben mußte. Über den Namen Casti kann man in italienischen Literaturgeschichten und Lexika nur wenig und widerwillig Geschriebenes erfahren. Nur die neueste Enciclopedia italiana schließt den Artikel über ihn schamhaft mit der Andeutung, daß er vielleicht besser war als sein Ruf. Die Bibliotheken bewahren seine Werke im »Giftschrank« auf, und es ist leichter, sich über Leben und Werke des langweiligsten, aber literaturhistorisch abgestempelten Dichters zu orientieren als über einen der lebendigsten und feinsten Köpfe Italiens im 18. Jahrhundert. Dies[479] Jahrhundert war weniger prüde als das 19., und Goethe zum Beispiel hat in Rom die Vorlesung einer der »Novelle galanti« des Dichters lächelnd genossen. Da Ponte hat Casti gleichzeitig gehaßt und bewundert –, beides, weil er in ihm den überlegenen Kopf anerkennen mußte, der ihm im Wege war. Äußerlich war wenig Unterschied zwischen den beiden nur daß Casti etwa 25 Jahre älter war. Er war ebenfalls Abate; seine Priesterschaft hat ihn ebensowenig gehindert, der Geliebte einer Marchesa zu werden; aber er war von ganz anderem Kaliber der Persönlichkeit als da Ponte und hatte die langjährige Erfahrung als Poet und Mann der Gesellschaft vor ihm voraus. 1764 wurde er in Florenz, bei Erzherzog Leopold, Poeta di corte; 1769 zog Joseph II., entzückt von seiner Unterhaltung, ihn nach Wien, wo er Freund und Reisebegleiter des jungen Kaunitz wurde, des Sohnes des allmächtigen Ministerpräsidenten; 1778 ging er auf ein paar Jahre nach Petersburg, gehätschelt von der Großen Katharina – was ihn nicht hinderte, sie in seinem »Poema tartaro« aufs schrecklichste bloßzustellen –, was ihn hinwiederum die Protektion durch Joseph kostete. Von 1782 bis 1786 war er wieder in Wien, bis er nach Italien zurückkehrte, als Reisebegleiter des Grafen Fries, des späteren Trägers der Dedikation von Beethovens C-dur-Quintett op. 29. – 1790, nach einer Reise in die Levante, kam er wiederum nach Wien und wurde, dank der Gunst Leopolds und des Grafen Rosenberg, als Poeta Cesareo der wirkliche Nachfolger Metastasios. Aber 1796 wurde auch er aus Wien verwiesen; er endete in Paris, wo er sein Hauptwerk, »Gli animali parlanti«, vollendete und am 7. Februar 1803 starb. Nicht alle seine Libretti sind gedruckt oder erhalten. Das schönste und witzigste ist vielleicht eine Opera buffa »Catilina«, die – mit Cicero in der Rolle des politischen Trottels –, alle parodistischen Wirkungen Offenbachs vorwegnimmt. Den Haß da Pontes hat er redlich vergolten: – in einer seiner »Novelle galanti« finden sich drei blutige Spottverse über den »Don Giovanni«.
Für seinen »Re Teodoro« hatte Casti den Stoff aus Voltaires »Candide« entnommen: es ist das Kapitel, in dem Candide und sein alter Freund Martin mit nicht weniger als einem halben Dutzend entthronter Majestäten zusammen speisen. Der Held[480] ist eine historische Persönlichkeit: jener westfälische Baron Theodor von Neuhoff, der eine Zeitlang wirklich erwählter König von Korsika war und im Schuldturm endigte: noch heute ist sein Grabstein am Portal von St. Anne's, Soho, in London zu sehen. Casti stellt den Anfang seines tragikomischen Endes dar: wie er, trotz den Bemühungen seines ihm treugebliebenen Majordomus, sich durch Heirat mit einer reichen Wirtstochter zu rangieren, im Schuldturm zu Venedig sein Schicksal beklagt. In diesem – trotz manchen kleinen Mängeln – meisterhaften Libretto gibt es keine Puppen mehr, sondern nur noch Personen, wenn auch von Karikatur nicht ganz freie Personen. Der tragikomische Exkönig, gezwungen, den Liebhaber zu spielen; der steife, aber treue Haushofmeister; der venezianische Wirt, der ungeheuer stolz darauf ist, Schwiegervater eines richtigen Königs zu werden; das widerstrebende Mädchen und ihr wütender Liebhaber, der denn auch den verschuldeten Rivalen ins Gefängnis bringt – dazu die Nebenfiguren: ein phlegmatischer Pascha, ebenfalls entthront, der sein Exil so angenehm als möglich in Venedig verbringt, und Theodors Schwester, Kurtisane geworden, zurzeit Geliebte des Paschas, ein kluges und sympathisches Wesen: das waren andre Gestalten als die alten Idioten, die schnippischen Zöfchen, die verstellten Gärtnerinnen oder Unschulden vom Lande, die Gänse von Kairo, die Mozart zu seinem Unglück bisher unter die Finger geraten waren. Das Werk muß ihn und da Ponte getroffen haben wie ein Blitzschlag.
Es war nicht das einzige seiner Art. Am 25. November 1785 wurde in Wien eine Opera buffa »La villanella rapita« von Francesco Bianchi aus Cremona, einem der vielen »internationalen« Buffo-Komponisten der Zeit, aufgeführt, die im Herbst 1783 an San Moisè in Venedig aus der Taufe gehoben worden war und großen, ganz ungewöhnlichen Erfolg hatte. Das Libretto stammte von Giovanni Bertati, dessen Name kein Verehrer Mozarts oder Cimarosas ohne einige Reverenz betrachten sollte, denn ohne ihn besäßen wir weder den »Don Giovanni« noch das »Matrimonio segreto«. Seinem Lebensalter nach steht er ungefähr zwischen Casti und da Ponte (1735–1815). Wie Casti und da Ponte zum Priester bestimmt, hat auch er die Laufbahn als Librettist vorgezogen und hauptsächlich das Teatro[481] Giustiniani di San Moisè mit seinen Produkten versorgt. Das Schicksal hat es gewollt, daß er da Pontes Nachfolger als Theatraldichter bei der Italienischen Oper in Wien werden sollte; er hat das allerdings auch nur wenige Jahre ausgehalten (1791 bis 1794) und ist dann wieder nach Venedig zurückgekehrt.
Der Biograph und Bibliograph Bertatis, Albert Schatz, zieht (Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft V, 270) über seine Tätigkeit folgendes Fazit: 66 Textdichtungen innerhalb 35 Jahren, die 91 Opern von 45 Komponisten – den berühmtesten ihrer Zeit – zur Grundlage gedient haben. 41 dieser Opern »gingen über die Grenzen ihrer Geburtsstätte hinaus, doch nur dreien gelang es, wirkliche Repertoire-Opern zu werden ...« Eine davon ist die »Villanella rapita«, gewiß nicht dank der Musik Bianchis, sondern dank dem Libretto, das in der Kühnheit seiner sozialen Kritik kaum hinter andern »Vorboten der Revolution« zurücksteht; doppelt verwunderlich im Rahmen der Opera buffa. Aber – gerade in diesem Rahmen konnte man manches sagen, was in Pamphleten und Büchern den Verfasser ins Gefängnis gebracht hätte. Da ist ein Graf, der seine Augen auf ein Bauernmädchen in seiner Herrschaft geworfen hat – Mandina, Tochter des Bauern Biagio, versprochen dem Bauernjungen Pippo, der seine Braut eifersüchtig bewacht. Da beschließt der Graf, Mandina am Tag der Hochzeit zu rauben. Er macht die Hochzeitsgesellschaft mit Hilfe von Drogen betrunken und führt die betäubte Braut auf sein Schloß, wo sie am nächsten Morgen in einem Prachtbett erwacht, neben sich neue, damenhafte Kleider. Aber Pippo und Biagio sind nicht gesonnen, die aristokratische Untat hinzunehmen. Sie dringen ein ins Schloß, Pippo in Verkleidung, und entführen ihrerseits das Mädchen; die Drohungen des Grafen im zweiten Finale bleiben wirkungslos, denn Pippo und Mandina sind bereits getraut. Man sieht: die Gestalten aus den »Nozze« und dem »Don Giovanni« erscheinen bereits am Horizont: Bertatis Conte ist nah verwandt mit Almaviva, nur noch brutaler und unbedenklicher; Pippo ist der Prototyp Masettos, Mandina der Zerlinas, nicht weniger naiv und leicht verführbar. In den Dialogen der Bauern spürt man bereits ein wenig das unterirdische Grollen, das Anno 1789 zur Eruption führen sollte.[482] In die Wiener Aufführung der »Villanella rapita« hat Mozart, der reizenden Sängerin Celeste Coltellini zuliebe (sie war die Tochter des Dichters Marco Coltellini und wurde später in Neapel die Gattin des reichen Schweizer Bankiers Mörikofer oder Meuricoffre), zwei Szenen hineinkomponiert, ein Terzett (K. 480, »Mandina amabile«) und ein Quartett (K. 479, »Dite almeno, in che mancai«). Das erste Stück ist genauer ein Duett, das sich zum Terzett erweitert: der Graf beschenkt das hübsche Mädchen, das sich in seiner Naivität über soviel Freundlichkeit kaum zu fassen weiß, mit Geld, aber Pippo unterbricht die zärtliche Szene, und das Terzett entwickelt die sehr verschiedenen Gefühle der Beteiligten: Mandinas Verwunderung, des Grafen heimlichen Triumph, Pippos rasendes Mißtrauen. Das Quartett, ebenfalls erst Terzett, das sich zum Quartett erweitert, schildert die Szene, da Vater und Bräutigam, am Morgen ins Schloß eingedrungen, Mandina in ihrer verdächtigen Situation überraschen: Vorwürfe, weinende Verteidigung, Grobheiten und Drohungen des über dem Lärm dazukommenden Grafen, und endlich Übereinkunft aller darüber, die Entscheidung bis zu einem ruhigeren Moment zu verschieben. Wie gewöhnlich hat Mozart nicht die geringste Rücksicht auf Bianchi genommen. Es sind zwei Ensembles von einer berückenden Fülle der Musik, von einer Meisterschaft der Charakteristik, die nur ihm allein eigen war. Das Duett zwischen Mandina und dem Grafen, in A-dur wie jenes besser bekannte Duett Zerlina – Don Giovanni, ist voll der gleichen verführerischen Süßigkeit:
b. Opera buffa

[483] Alles Musikalische drängt zum Ausbruch; es bedarf nur noch der großen Gelegenheit. Sie kommt mit Beaumarchais' »Mariage de Figaro«, die nach nicht geringen Schwierigkeiten 1784 auf die Pariser Bühne gelangt war und sofort in ganz Europa gewaltigen Widerhall verursacht hatte. Man wende nicht ein, daß Beaumarchais' »Barbier de Seville« ja seit 1775 vorhanden und 1782 von Paisiello in Petersburg als Opera buffa komponiert worden war – nicht ohne Entschuldigungen für seine Kühnheit. Der »Barbier de Seville« war eine prädestinierte Opera buffa und war von Beaumarchais ursprünglich ja auch als Opéra comique konzipiert worden. Der geprellte Alte, der sein Mündel heiraten will, der gräfliche Liebhaber in Verkleidung, der listige Bediente, diesmal in Gestalt eines Barbiers – das sind ja typische Figuren der Commedia dell'arte, und es bedurfte erst des Genies Rossinis, seiner diabolischen Buffonerie, um den Stoff für die Opernewigkeit zu retten. Was den »Barbier de Seville« von einer gewöhnlichen Opera buffa unterschieden hätte, wäre die Beibehaltung des schlagenden, witzigen, funkensprühenden Dialogs im Original gewesen; aber den hat der Handlanger Paisiellos, G. Petrosellini, gründlich verwässert und zerstört.
Nein, die »Mariage de Figaro« war eine durchaus andere Angelegenheit. Mit Recht ist bemerkt worden, daß in Susanne immer noch ein Stückchen Colombina stecke, in Figaro immer noch ein Stück Arlecchino, daß Don Bartolo und Marcellina reine Buffo-Figuren seien. Aber die Gräfin? Aber der Graf? Aber Cherubino? Aber, in ihren winzigen Rollen, die kleine Barberina und ihr Vater, der Gärtner Antonio? Und der Intrigant Basilio? Es gehörte Mut dazu, die Möglichkeiten für eine Opera buffa in diesem Werk zu erfassen und zu verwirklichen – ein Mut, mit dem nur Stücke wie die Bertatis und Castis Mozart und da Ponte erfüllt haben konnten. Sie waren sich ihrer Tat auch durchaus bewußt. Nichts häufiger in Opern-Librettos als fade Dedikationen an Obrigkeiten und Adelige oder gekrönte Häupter; nichts seltener als Vorreden. Nun, da Ponte gibt dem sehr selten gewordenen Original-Libretto (ich kenne nur zwei Exemplare) folgende Bemerkung bei: »Die Zeitdauer, die der allgemeine Gebrauch einer Bühnenaufführung vorschreibt, eine bestimmte Anzahl von Personen,[484] auf die man durch denselben Gebrauch beschränkt ist; und einige andre wohlbedachte Gesichtspunkte und Rücksichten auf Kostüm, Ort und Publikum, haben mich bestimmt, an Stelle einer Übersetzung dieser ausgezeichneten Komödie eher eine Nachahmung oder besser gesagt einen Auszug aus ihr zu geben.
Daher war ich gezwungen, ihre sechzehn Personen auf elf zu reduzieren, von denen zwei durch einen einzigen Schauspieler gegeben werden können, und – außer einem ganzen Akt – viele höchst anziehende Szenen und viele witzige Aussprüche auszulassen, von denen sie wimmelt. An ihre Stelle habe ich setzen müssen: Canzonetten, Arien, Chöre und andere Gedankengänge und Worte, die der Musik zugänglich sind – Dingen, denen man nur mit Hilfe der Poesie und niemals der Prosa beikommen kann. Aber trotz allen Eifers und aller Sorgfalt des Komponisten und meiner Wenigkeit, gedrängt zu sein, ist die Oper nicht eine der kürzesten für das Theater geworden. Wir hoffen, zur Entschuldigung werde uns dienen die kunstvolle Verwicklung dieses Dramas, seine Ausdehnung und Größe, die Vielfalt der notwendig gewordenen Musikstücke, um die Darsteller nicht müßig gehen zu lassen und um die Langeweile und Monotonie der langen Rezitative zu vermindern. (So mag es uns viel leicht gelungen sein), Zug um Zug mit verschiedenen Farben die verschiedenen Gemütszustände zu malen, die darin hervortreten, und unsere besondere Absicht (zu verwirklichen), eine sozusagen neue Art von Schauspiel einem Publikum von so verfeinertem Geschmack und so sicherem Verständnis darzubieten. Der Dichter.« (»Il tempo prescritto dall'uso alle drammatiche rappresentazioni, un certo dato numero di personaggi comunemente praticato nelle medesime; ed alcune altre prudenti viste, e convenienze dovute ai costumi, al loco, e agli spettatori, furono le cagioni per cui non ho fatto una traduzione di quella eccellente comedia, ma una imitazione piuttosto, o vogliamo dire un estratto. Per questo sono stato costretto a ridurre a undeci attori i sedeci che la compongono, due de' quali si possono eseguire da uno stesso soggetto, e ad ommettere, oltre un intiero atto di quella, molte graziosissime scene, e molti bei motti, e saletti ond'è[485] sparsa, in loco di che ho dovuto sostituire canzonette, arie, cori ed altri pensieri, e parole di musica suscettibili, cose che dalla sola poesia, e non mai dalla prosa si somministrano. Ad onta però di tutto lo studio, e di tutta la diligenza e cura avuta dal maestro di cappella, e da me per esser brevi, l'opera non sarà delle più corte che si sieno esposte sul nostro teatro al che speriamo che basti di scusa la varietà delle fila onde è tessuta l'azione di questo dramma, la vastità e grandezza del medesimo, la moltiplicità de' pezzi musicali, che si son dovuti fare, per non tener di soverchio oziosi gli attori, per scemare la noja, e monotonia dei lunghi recitativi, per esprimere tratto tratto con diversi colori le diverse passioni che vi campeggiano, e il desiderio nostro particolarmente di offerire un quasi nuovo genere di spettacolo ad un pubblico di gusto sì raffinato, e di sì giudizioso intendimento.
Il Poeta.«) »Eine Nachahmung – ein Auszug!« Da Ponte hat nicht das richtige Wort für die Art seiner Bearbeitung gefunden. Wir würden sagen: eine Transfiguration des Originals. Es war eine Vereinfachung, die dem Werk Beaumarchais' nichts von seinem Leben genommen und es auf einen neuen, reineren, idealeren Boden verpflanzt hat: auf den der Musik. Ich weiß nicht, ob man Victor Hugos »Le roi s'amuse« noch aus der romantischen Rumpelkammer hervorholen kann, nachdem Verdis »Rigoletto« einmal vorhanden ist. Aber wie Shakespeares »Othello« und »Die lustigen Weiber« bestehen bleiben neben den zwei Alterswerken Verdis, so bleibt auch Beaumarchais' »Mariage« neben Mozarts »Nozze« bestehen. Es bewahrt für alle Zeiten die revolutionäre Tendenz, die Schlagfertigkeit des Wortes. Mozarts und da Pontes Werk ist etwas anderes: eine »Commedia per musica« (so der Titel des Librettos, nicht mehr »opera buffa«), ein Spiel, dem der soziale Unterton auch durchaus nicht fehlt, aber doch ein heitereres, unbeschwerteres, menschlicheres, göttlicheres Spiel. Es war in der Tat eine »sozusagen neue Art von Schauspiel« für die Wiener. Der Erfolg am 1. Mai 1786 scheint denn auch nicht überwältigend gewesen zu sein, trotz glänzender Besetzung mit der Storace (Susanne), Laschi (Contessa) und mit Benucci (Figaro) und Mandini (Conte). Erst in Prag stellte er sich wirklich ein. Die Anforderungen[486] an die Hörer waren zu ungewöhnlich. In Florenz gab man, 1788, das Werk an zwei aufeinanderfolgenden Abenden, und bei der italienischen Erstaufführung in Monza bei Mailand im Herbst 1787 ließ der Erzherzog den 3. und 4. Akt von Angelo Tarchi neu komponieren, sicherlich, weil sie ihm zu lang waren. Wir wollen uns darüber nicht entrüsten; bei der Wiederaufnahme des Werkes im Spätsommer 1789 in Wien ist Mozart selber aufs grausamste mit ihm umgesprungen. Genau so, wie er seinen »Don Giovanni« für Wien an entscheidenden Stellen vergewaltigt hat – bei seinen Opern gilt die Regel: die ursprüngliche Fassung ist die beste.
Wir wissen, aus den Erinnerungen des irischen Tenors Michael Kelly, der in der ersten Aufführung den Basilio und Don Curzio sang, welches Stück seiner Oper Mozart selber das liebste war: es war das Sextett im III. Akt, in dem Don Bartolo und Marcellina sich als Vater und Mutter Figaros entpuppen und sich aus Todfeinden in Schutzengel verwandeln. Susanne, nichtsahnend in die Umarmungen der Familie hineinplatzend, mißversteht die Situation, bis auch sie aufgeklärt wird und in die dreifache Seligkeit über die Lösung des Knotens mit einstimmt – eine Seligkeit, mit der nur der Graf (und Don Curzio) nicht einverstanden sind. Es ist eine typische Buffoszene – die Wiederfindung des verlorenen Kindes, so uralt wie die Komödie des Plautus und Terenz, in tausend Komödien tausendmal wiederholt und variiert. Und zwei der Beteiligten, Bartolo und Marcellina, waren vorher Karikaturen – insbesondere Bartolo mit seiner »Professions-Aria« (Nr. 4, »La vendetta«), die die Krone aller Buffo-Arien ist. Aber hier werden sie zu Menschen. Zwei Liebende äußern echte Freude, zwei neugebackene Eltern echte Liebenswürdigkeit, und der genasführte Graf echten Groll. Das ist die historische Bedeutung der »Nozze«, daß sie dank da Pontes Geschicklichkeit und dank Mozarts musikalischer Größe nicht mehr in die »Categorie« der Opera buffa gehören, daß sie, um ein Wagnersches Lieblingswort zu gebrauchen, die Opera buffa zur musikalischen Komödie »erlösen«. Nichts mehr ist buffonesk, was die Hauptpersonen singen. Welch ein Ausbruch der Leidenschaft im Rezitativ und in der Arie des Grafen (17, »Vedrò, mentr'io[487] sospiro«) bei der Vorstellung, daß ein Knecht ein Glück genießen soll, das ihm, dem Hochgebornen, versagt bleibt! Welche rührende Gestalt, die Gräfin, in all ihren Äußerungen! Figaro, der in seiner ersten Aria (der Cavatina »Se vuol ballare«) das Leitmotiv der Oper anschlägt, »List wider Gewalt«, mit unerhörter Kürze, Schlagkraft, drolligster Symbolik! Der mit seiner militärischen Aria einen gloriosen Aktschluß zuwege bringt! Susanne – was für ein gescheites, liebenswertes Wesen von echter Weiblichkeit! Cherubino, von dem man – ich glaube, es war Kierkegaard – mit Recht gesagt hat, er sei Don Giovanni als Knabe: seine Gefühle für das ganze weibliche Geschlecht, in allen Vertreterinnen, zusammengedrängt in zwei unsterbliche Arien! Man begreift die ganze einsame Größe Mozarts, wenn man sich vergegenwärtigt, wie ein Italiener sie komponiert hätte; besonders die Arietta, eine »Einlage« (»Voi che sapete«). Ein italienischer Komponist hatte immer die Möglichkeit, Nutzen aus dem Volkslied zu ziehen, er hätte hier etwas Neapolitanisches oder Venezianisches geliefert. Mozart hatte auf den Nutzen solcher Anklänge zu verzichten; er holte alles aus sich selber. Es ist bezeichnend, daß mit Ausnahme des Fandango im III. Akt Mozart auf alles Spanische, auf alles Lokalkolorit verzichtet hat, er bedarf seiner nicht.
Die Bewunderung steigert sich, wenn man an die Ensembles denkt. Das Briefduett Susannes und der Gräfin, mit dem sublimen »Echo«; das kleine Prestissimo Susanne-Cherubino, bevor der Page aus dem Fenster springt; die Introduktion, in der die beiden Liebenden sich auch in musikalischer Symbolik mit so verschiedenen Hochzeits- und Ehevorbereitungen beschäftigen; das Duett Susanne-Graf, in dem Susanne, Freudsche Psychoanalyse vorausnehmend, auf die dringenden Fragen des Grafen so falsche Antworten gibt! Der größte Triumph Mozarts sind freilich die größeren Ensembles und die beiden großen Finali; vor allem das erste, das in tausend Takten sich steigert vom Duett zum Septett; zum Septett, in dem nicht bloß zwei Parteien sich gegenüberstehen – hie Gräfin, Susanne, Figaro, dort Graf, Marcelline, Bartolo, Basilio; sondern in dem auch jede einzelne Person aufs feinste charakterisiert ist. Es ist eine Meisterschaft des Kontrapunkts der Charaktere und Gefühle,[488] die von wenigen erreicht und von niemand übertroffen worden ist. Man mache im Quintett der »Meistersinger« die Probe, ob man Magdalene und David aus der allgemeinen Ges-dur-Seligkeit des Szenenschlusses aussondern kann: es wird nicht gelingen. Mozart macht niemals solche Fehler, er opfert niemals einen Charakter. Und wo die Stimme neutral geführt ist, gibt das Orchester in seiner Beweglichkeit den feinsten Kommentar. Dieser Kommentar geht manchmal über den Rahmen des Szenischen hinaus ins Tief-Persönliche oder ins Metaphysische. Bevor Susanne, im ersten Finale, aus dem Kabinett tritt, schiebt – molto andante – Mozart einen Takt der Besinnung ein; einen Augenblick der Trauer über Welt und Menschen, der Schwermut über die Nichtigkeit alles Geschehens. Sagen wir zuviel? Ich glaube nicht. Dergleichen ist allerdings nur zu fühlen und niemals zu beweisen.
Da Ponte hat angedeutet, wie sehr er und Mozart sich der Kürze, der Prägnanz beflissen hätten. Das ist wahr. Die »Nozze« sind, bei allem Umfang der Partitur, nicht zu lang. Man kann nur zwei Arien streichen, die der Marcelline und die des Basilio zu Beginn des IV. Aktes, die Mozart den zwei »Sekondariern« zulieb geschrieben hat – die zweite (Nr. 25, »In quegli anni«) übrigens sehr merkwürdig und noch kaum von jemand gedeutet. Sonst ist das ganze Werk, jeder der vier – oder vielmehr zweimal zwei – Akte eine Einheit aus Arien, Ensembles, Rezitativen, Chören, dem herrlichen pompösen Marsch, der den III. Akt beschließt, der Ouvertüre, die den »tollen Tag« im Prestissimo einleitet. Schließt sich, nach dem vierten Akt mit seinem Qui pro quo, das Susannes »Deh vieni non tardar« und die Erkennungsszene der beiden Liebenden gebracht hat, so sind wir zwar durchaus nicht beruhigt über das künftige Eheglück der armen Gräfin, aber wir wissen, daß mit diesem Werk ein Stück weisester Menschenkenntnis und höherer Heiterkeit in die Welt getragen worden ist. Der »Don Giovanni« ist die Frucht des Beifalls, den die »Nozze di Figaro« in Prag gefunden hatten. Schon Mozarts »Entführung aus dem Serail« war 1783, nicht lange nach der Wiener ersten Aufführung, nach Prag gelangt; und im Dezember 1786, also nur wenige Monate nach Wien, hatten die[489] Prager durch die Bondinische Gesellschaft auch den »Figaro« kennengelernt und ihm eine Aufnahme bereitet, die noch kein Opernwerk gefunden hatte: »der Enthusiasmus ... war bisher ohne Beispiel; man konnte sich nicht genug satt daran hören ... Figaros Gesänge widerhallten auf den Gassen, in den Gärten, ja selbst der Harfenist bei der Bierbank mußte sein ›Non più andrai‹ ertönen lassen, wenn er gehört werden wollte« (Niemtschek, pag. 26). Es ist verständlich, daß Mozart, bei der Erstaufführung der »Nozze« durch die Wiener nicht verwöhnt, seinen Triumph auskosten wollte und einer Einladung Bondinis nach Prag Folge leistete. Vom 11. Januar bis in den Februar 1787 weilt er dort mit Konstanze und schloß mit Bondini einen Vertrag, um 100 Dukaten für die kommende Spielzeit eine neue Oper zu schreiben.
Die Zeit drängte. Mozart und da Ponte griffen nach einem der ältesten Stoffe, der ihnen zugleich in der allerneuesten Bearbeitung in die Hände geriet, nach dem »Convitato di pietra« des Giovanni Bertati, der mit der Musik von Giuseppe Gazzaniga als zweite Carnevalsoper soeben in Venedig über die Bretter gegangen war. Es muß wieder wie eine Erleuchtung über Mozart gekommen sein, daß dies das Richtige war – das Richtige auch für da Ponte, der gleichzeitig mit dem »Don Giovanni« noch an zwei andern Libretti zu arbeiten hatte. Denn bei der Arbeit für Mozart konnte er sich in weitgehendem Maße an Bertati anlehnen – wenn wir sagen würden, er hat Bertati aufs schamloseste bestohlen, hätten wir ebenso recht wie unrecht: recht, weil da Ponte tatsächlich Bertatis Vorlage benutzt hat, soviel er sie brauchen konnte; unrecht, da die Begriffe von geistigem Eigentum im 18. Jahrhundert andre waren als heute und da da Ponte tatsächlich in seinem »Don Giovanni« weit über Bertati hinausgegangen ist. Man kann die Kühnheit und das Verdienst Mozarts bei dem Gedanken, den »Don Giovanni« zu komponieren, nur würdigen, wenn man seine Weisheiten nicht etwa aus den Phantasien Sören Kierkegaards über »Don Juan« oder aus andern Büchern des 19. und 20. Jahrhunderts holt, sondern die Stellung des 18. Jahrhunderts zu dem Stoffe kennt. Goldoni hat sie formuliert (Memoires 1787, I, 39):[490] »Tout le monde connoît cette mauvaise Piece espagnole, que les Italiens appellent il Convitato di Pietra, et les François le Festin de Pierre.
Je l'ai toujours regardée, en Italie, avec horreur, et je ne pouvois pas concevoir comment cette farce avoit pu se soutenir pendant si long-temps, attirer le monde en foule, et faire les delices d'un pays policé. Les Comédiens Italiens en étoient étonnés eux-mêmes; et soit par plaisanterie, soit par ignorance, quelques-uns disoient que l'Auteur du Festin de Pierre avoit contracté un engagement avec le diable pour le soutenir. Je n'aurois jamais songé a travailler sur cet Ouvrage; mais ayant appris assez de françois pour lire, et voyant que Moliere et Thomas Corneille s'en étoient occupés, j'entrepris aussi de régaler ma Patrie de ce même sujet, afin de tenir parole au diable avec un peu plus de décence. Il est vray que je ne pouvois pas lui donner le même titre; car, dans ma Piece, la Statue du Commandeur ne parle pas, ne marche pas et ne va pas souper en ville; je l'ai intitulée Don Jouan, comme Moliere, en y ajoutant, ou le Dissolu. Je crus ne devoir pas supprimer la foudre qui écrase Don Jouan, parce que l'homme méchant doit être puni; mais je ménageai cet événement de manière que ce pouvait être un effet immediat de la colère de Dieu, et qu'il pouvoit provenir aussi d'une combinaison de causes secondes, dirigées toujours par les loix de la Providence. Comme dans cette Comédie, qui est en cinq actes et en vers blancs, je n'avois pas employé d'Arlequin, ni d'autres masques italiens, je remplaçai le comique par un Berger et une Bergère ...« Diese »Tragicommedia« »Don Giovanni Tenorio« von Goldoni, der an S. Samuele den Karneval von 1736 abschloß, ist wohl der Tiefpunkt unter allen Bearbeitungen des Stoffes, gerade weil Goldoni ihn »retten« wollte. In Spanien war er ursprünglich das gewesen, was man eine »Commedia di cappa e spada« nennt, das heißt ein improvisiertes Stück mit skrupellosen Liebesabenteuern, Duellen, Mordtaten, als dessen Held sich die Gestalt des Don Juan herauskristallisierte. Zugleich aber war es ein Stück voll von religiösem Pathos: der Held[491] wächst empor zu so infernalischer Frivolität und großartiger Kühnheit, daß die irdische Gerechtigkeit nicht mehr mit ihm fertig wird. Die himmlische muß eingreifen in Gestalt des von Don Juan ermordeten Komturs, dessen Statue die übermütige Einladung des Mörders zum nächtlichen Gastmahl annimmt und ihn der Hölle überantwortet: der »Convitato di pietra«, der »Steinerne Gast«. Bei der Verpflanzung nach Italien und Frankreich verliert der Stoff teilweise den moralischen oder religiösen Charakter und bereichert sich um burleske Szenen – verkörpert in Don Juans Diener, Pasquariello, Arlecchino, Leporello, dem Sganarelle Molières; Mischung von Witz, Frechheit, Feigheit, Gefräßigkeit und hundert andern Eigenschaften des »Dieners«; eine Urgestalt der Komödie.
Ein solcher Stoff wendet sich auch an die Urinstinkte des Theaterbesuchers: an die Lust an der kühnen Frivolität eines Herrenmenschen, an den Reaktionen seiner weiblichen Opfer, an den Frechheiten seines Dieners, an das Grauen über das Eingreifen überirdischer Gerechtigkeit, das endigt mit einer Höllenfahrt mit allen denkbaren Theatereffekten. Goldoni, und mit ihm ein Teil der Gebildeten des aufgeklärten Jahrhunderts, sahen ihn an als Speise für den Theaterpöbel. Gluck hat ihn zu einem Ballett verwendet (1761), das ein Meisterstück der Stilisierung ist und natürlich der Komik durchaus entbehrt. Es ist auf die einfachste dramatische Formel gebracht; und trotz der Einfachheit nicht auf die geschickteste, da der steinerne Gast zweimal erscheint, beim erstenmal ohne weitere Folge. Mozart hat Glucks Ballett sehr wohl gekannt, hat aber von ihm mehr musikalische als dramaturgische Eindrücke empfangen. Aber: in einem Ballett konnte man manches wagen, was in anspruchsvolleren dramatischen Formen sich verbot. Jedenfalls: Bertati und Gazzaniga präsentierten ihren »Convitato di pietra« mit einer Entschuldigung. Sie stellten ihrem Einakter ein dramatisches »Capriccio« voran, das in die Mitte einer Schauspielertruppe hineinführt (seit Marcellos Satire »Il teatro alla moda« einer der beliebtesten Stoffe der italienischen Commedia): die Geschäfte gehen schlecht, man steht vor dem Ruin; da schlägt der kluge Impresario seinen Akteuren vor, die alte Geschichte vom steinernen Gast wieder[492] hervorzuholen, die immer wieder ziehe. Und so geschieht es.
Vielleicht ist klar geworden, welcher Mut und welche Einsicht in die Kräfte des Stoffes dazu gehörten, den »Don Giovanni« als große Opera buffa zu gestalten und zu komponieren. Da Ponte hielt sich zunächst ganz an Bertati. Es genügt, zum Beweis seiner Abhängigkeit die beiderseitigen Registerarien zu konfrontieren: Dell'Italia, ed Allemagna Ve ne ho scritto cento, e tante. Della Francia, e della Spagna Ve ne sono non sò quante: Fra Madame, Cittadine, Artigiane, Contadine, Cameriere, Cuoche, e Guattere; Purchè basta che sian femmine, Per doverle amoreggiar. Vi dirò ch'è un'uomo tale, Se attendesse alle promesse, Che il marito universale Un dì avrebbe a diventar. Vi dirò ch'egli avrà tutte, Che sian belle, ò che sian brutte: Delle vecchie solamente Non si sente ad infiammar. Soweit Bertati; nun Da Ponte: Madamina, il catalogo è questo Delle belle che amò il padron mio, Un catalogo egli è che ho fatto io; Osservate, leggete con me. In Italia sei cento e quaranta, In Lamagna duecento e trent'una, Cento in Francia, in Turchia novant'una, Ma in Ispagna son già mille e tre.[493] V'han fra queste contadine,
Cameriere, cittadine, Marchesane, principesse, E v'han donne d'ogni grado, D'ogni forma, d'ogni età. Nella bionda egli ha l'usanza Di lodar la gentilezza, Nella bruna la costanza, Nella bianca la dolcezza; Vuol d'inverno la grassotta, Vuol d'estate la magrotta; E la grande maëstosa, La piccina è ognor vezzosa, Delle vecchie fa conquista, Pel piacer di porle in lista: Ma passion predominante E la giovin principiante. Non si picca se sia ricca, Se sia brutta, se sia bella: Purchè porti la gonella, Voi sapete quel che fa! Ganz abgesehen davon, daß bei Bertati die Aria in ein Duett mündet, was ihren niederschmetternden Eindruck aufhebt: – das verhält sich zueinander wie Skizze und Ausführung. Ja, da Ponte ist abhängig von Bertati; aber es ergibt sich beim Vergleich, daß kein Satz vorhanden ist, den er nicht witziger, schlagender, geprägter formuliert hätte; daß jede einzelne Figur schärfer, feiner, plastischer gesehen ist. Dabei ist Mozarts Mitarbeit evident. Ohne Mozart wären in eben diese Registerarie niemals die zwei Zeilen von der verführten Unschuld gekommen, die in so unheimlichem Pianissimo komponiert sind. Wieder denkt man an das Sprichwort: facile inventis addere; aber es ist nur leicht für eine leichte Hand. Noch glücklicher ist Mozart-Da Pontes Reduzierung der Personenzahl von zehn auf acht. Bei Bertati wird eine weitere Dame, Donna Ximena, ein Opfer Don Giovannis; und Don Giovanni hat noch einen[494] zweiten Diener, den Koch Lanterna. Bondini hatte nur sieben Darsteller, Masetto und der Komtur mußten einem Sänger anvertraut werden. Die eigentliche Tat aber bei der Umformung des Librettos war die Schöpfung der Donna Anna. Bei Bertati verschwindet sie nach der Ermordung des Vaters im Dunkel des Klosters und erscheint nicht wieder. Bei da Ponte-Mozart ist sie die Hauptfigur unter den drei Frauen und die eigentliche Gegenspielerin Don Giovannis. Keine Figur des Werkes ist durch das 19. Jahrhundert mehr mißdeutet worden als die der Donna Anna. Der eine erklärt sie für kalt und unliebenswürdig; der andere – zum Beispiel der deutsche romantische Dichter E.T.A. Hoffmann, glaubt sie zu enträtseln mit der Annahme, sie liebe Don Giovanni. Das ist natürlich Unsinn; aber sicher ist, daß sie ein Opfer des Helden ist, daß Don Giovanni im Dunkel der Nacht, in der Verkleidung als Don Ottavio, bis ans Ende seiner Wünsche gelangt ist, daß sich der Vorhang hebt in dem Augenblick, da Donna Anna der schrecklichen Gewißheit ihrer Täuschung inne wird. Im 18. Jahrhundert war sich darüber niemand im unklaren. Es versteht sich von selber, daß in dem berühmten Recitativo accompagnato, in dem sie ihrem Verlobten Don Giovanni als den Mörder ihres Vaters bezeichnet, sie Don Ottavio nicht die letzte Wahrheit sagen kann: sein »Respiro« hat immer den Charakter des Tragikomischen für jeden wissenden Zuhörer gehabt. Alles erklärt sich so: Don Giovannis Gleichgültigkeit gegen sie, denn er hat sie ja besessen wie Donna Elvira und so viele andre; ihr Verlangen, daß Don Ottavio sie rächen müsse (für die Verfolgung eines Mörders war auch in Spanien die heilige Hermandad vorhanden); ihre Weigerung, ihm anzugehören, obwohl sie ihn liebt; noch im Finale, nachdem der Verführer tot ist, ihre Vertröstung Ottavios auf ein weiteres Jahr. Einen Anhaltspunkt für die Gestalt der Donna Anna mag da Ponte übrigens doch in der elenden und instinktlosen Tragicommedia Goldonis gefunden haben. Der merkwürdigste Zug in dieser ist nämlich, daß Donna Anna den ihr als Verlobten aufgedrungenen Don Ottavio verabscheut. Auch der Vergleich der Schlußmoral deutet darauf hin, daß Goldonis Stück da Ponte nicht unbekannt war:
[495] »Che l'uom muore qual visse, e il giusto cielo
Gli empi punisce, e i dissoluti abhorre.« (Goldoni) »Questo è il fin di chi fa mal, E de' perfidi la morte Alla vita è sempre ugual.« (da Ponte) In einem wichtigen Punkt in der Umgestaltung des Einakters von Bertati zur großen zweiaktigen Opera buffa waren da Ponte und Mozart zur Selbständigkeit gezwungen. Bei Bertati folgen auf die Rettung Zerlinas aus den Klauen des Verführers durch Donna Elvira sogleich die Kirchhofszene und das Festmahl mit Don Giovannis Untergang. Nicht bloß das große Finale des I. Aktes ist da Pontes Eigentum; er hatte auch die größere erste Hälfte des II. Aktes mit Handlung auszufüllen. Wir wissen, wie er es gemacht hat. Es sind lauter Allotria, lauter dramatische Verzögerungen. Die neuerliche Verführung Elviras, mit dem Kleiderwechsel unterm Balkon; die Verprügelung Masettos, die Entlarvung Leporellos: – lauter Verlegenheiten. Aber es waren keine Verlegenheiten für Mozart. Ohne sie hätten wir nicht das wundersame Terzett in A, Don Giovannis unsterbliches Ständchen, Zerlinas »Vedrai carino«, das den Konflikt Masetto-Zerlinas für immer abschließt, das grandiose Sextett, in dem soviel Trauer und Würde zu Musik wird. Mozart fürchtete solche dramatischen Schwächen nicht. Hier wird ein Überschuß an reiner, irrationaler Schönheit offenbar; ein »Verweile doch«; es sind die Momente, wo die Vorgänge auf der Bühne Unwirklichkeit und Spiel werden. Wir sind in der Oper – und in der Oper hat die Poesie die gehorsame Tochter der Musik zu sein. Nicht als ob Mozarts Ziel nicht gewesen wäre: höchste dramatische Wahrheit. Es gibt im »Don Giovanni« noch ein paar Stücke, die Arien im alten Stil sind: Don Ottavios »Il mio tesoro« und Donna Annas »Non mi dir«, mit dem großen einleitenden Rezitativ. Die erste Arie hat Mozart selber in der Wiener Fassung ausgelassen und den Tenoristen an andrer Stelle durch ein kürzeres Stück befriedigt, das wundersame[496] »Dalla sua pace« – die einzige Wiener Änderung, die man als Verbesserung gelten lassen kann. Aber im übrigen wird sich bei den entscheidenden Stücken noch niemand im »Don Giovanni« gelangweilt haben. Die beiden Finale sind Wunder der Rapidität: das zweite ungemein einfach in drei oder vier geschlossenen Szenen; das erste voller buntem Ereignis, Leporellos Einladung, der festliche Tanz mit den drei Orchestern, die Explosion – in der Mitte die feierliche Zäsur des Maskenterzetts. Die Frage des Tempos in der Oper wird hier brennend, des Ausgleichs zwischen Musik und Handlung. Es gibt mehrere geschichtliche und prinzipielle Lösungen. Oh, die Opera seria hat es ebenso leicht wie das Wagnersche Musikdrama: – in jener herrscht reinliche Scheidung zwischen der Aria, in der die Musik verweilt und sich ausbreitet, und dem Secco-Rezitativ, in dem sie vorwärtsgeschoben wird. Und Wagner hat sein sinfonisches Orchester, unter dessen Deckung die Stimme wenn nötig so rapid deklamieren kann, als sie will. Mozart hat den Ausgleich gefunden, der so selten ist in der Geschichte der Oper. Seine Introduzione ist mir immer als eins dieser seltenen Wunder erschienen: Leporellos Aufundabschreiten vor den Fenstern Donna Annas, seine Bemerkungen zu dem leidenschaftlichen Dialogduett des Verführers und des Opfers, das Einschreiten des Komturs, das Duell und der tragische Ausgang. Ohne Übergang das Geflüster des Recitativo secco und der Aufschrei der zurückgekehrten Donna Anna. Es ist keine Sekunde, kein Takt zuviel oder zuwenig. In einem gesprochenen Drama »Don Giovanni« müßte der Spielleiter das Tempo herstellen; Mozart gibt es so vollkommen, daß Drama und Musik befriedigt sind. Und sein Geheimnis ist nicht: Kürze, sondern Fülle in der Kürze. Und diese Fülle in der Kürze steigert sich im zweiten Finale beinahe zu explosiver Kraft: Elviras letzter Versuch, Don Giovanni zu retten; die furchtbare d-moll-Szene, da der Komtur das Gericht des Himmels vollzieht, eine Szene, die immer als der Gipfel dramatischer, szenischer Gewalt angesehen worden ist.
In dieser tragischen Szene, in der Don Giovanni, was er auch sonst sein mag, sich zur vollen Höhe seines Charakters erhebt, darf Leporello ein paar Lazzi anbringen: »Dite di nò, dite di[497] nò«, warnt er seinen Herrn unterm Tisch hervor, die Einladung des Komturs anzunehmen. Man hat sich viel herumgestritten über den Stil dieser Oper, und in Ausführungen unserer Zeit neigt sie bald mehr nach der heiteren, bald mehr nach der tragischen Seite. Bald respektiert man das Final-Sextett, das das moralische Fazit aus Don Giovannis Untergang zieht, bald läßt man es aus. Mozart selber hat diese Unsicherheit sanktioniert, indem er in der Wiener Fassung des Werkes von 1788 selber mit der Höllenfahrt Don Giovannis Schluß gemacht hat. Im Libretto heißt das Stück »Dramma giocoso«, »Heiteres Drama«; aber das besagt wenig, da viele zeitgenössische Librettisten die unsinnigsten Farcen so etikettiert haben. Mozart selber, im thematischen Tagebuch, sagt einfach: »opera buffa in due atti.« Für uns ist das Werk, historisch, kein Rätsel; es ist eine Opera buffa mit drei Parti serie, dem Commendatore, Donna Anna und Don Ottavio, und vier Parti buffe. Donna Elvira steht zwischen den Kategorien. Das Historische versagt freilich einem solchen Werke gegen über. Aber wollen wir uns darüber wirklich den Kopf zerbrechen? In einem Stoff wie diesem, in dem, wie beim Faust, so uralte, ungeheure, dämonische dunkle Kräfte sich vermischen und verwirren, geht die Rechnung nie ganz rein auf. Es ist ein Werk sui generis, unvergleichbar und rätselhaft, vom Abend seines Erscheinens bis auf den heutigen Tag.
Jener Abend führte das Datum 29. Oktober 1787. Mozart war im Spätsommer nach Prag gekommen, bereits mit dem größeren Teil der Partitur, denn wieder galt es Eile, da die Erstaufführung für den 14. Oktober als Festoper zur Durchreise der Erzherzogin Maria Theresia zu ihrem Bräutigam, einem sächsischen Prinzen, geplant war. Es ist wahrscheinlich, daß da Ponte und Mozart das mit Fleiß verhindert haben, was aus der Existenz eines in Wien 1787 gedruckten Librettos hervorgeht. Offenbar hatte das Oberhofmeisteramt die vorherige Vorlegung des Textes verlangt und damit die beiden Autoren in nicht geringen Schrecken versetzt. So ließen sie ein unvollständiges Textbuch drucken, in dem alle verfänglichen Stellen fehlen: die ganze zweite Hälfte des I. Aktes, der mitten im Quartett (Nr. 8) abbricht. Dann aber hat Mozart es trotzdem mit der Angst bekommen; er spricht in seinen Briefen von den[498] Kabalen einer vornehmen Dame. Und damit erklärt sich auch die – vermutlich wahre – Anekdote von der Niederschrift der Ouvertüre am Vorabend der Aufführung. Mozart hat sie absichtlich verzögert, bis die Erzherzogin, die sich mit den »Nozze« begnügen mußte, die Tore Prags wieder hinter sich hatte. Unter den Zuhörern der ersten Aufführungen befand sich der alte Casanova, der aus dem nahen Dux nach Prag herübergekommen war und der bei der Aria von den »mille e tre« sich eigentümlich berührt fühlen mochte, obwohl seine Verführungskunst auf andern Methoden beruhte als die Don Giovannis. Er scheint mit da Ponte nicht ganz zufrieden gewesen zu sein, denn unter seinen Papieren hat sich eine neue Fassung des Textes zum Sextett des II. Aktes erhalten.
Mehr als zwei Jahre vergingen ohne einen Opernauftrag für Mozart – eine Zeit, innerhalb deren er uns und die Kunstewigkeit um drei oder vier dramatische Werke hätte bereichern können. Endlich, im Herbst 1789, erhält er wieder eine Aufgabe. Es heißt, daß der nicht ungünstige Erfolg der Wiederaufnahme der »Nozze« im August 1789 den Kaiser Joseph II. veranlaßt habe, Mozart und da Ponte wieder mit einer neuen Opera buffa zu beauftragen. Und es heißt, daß den Stoff zu ihr eine wirkliche Begebenheit in der Wiener Aristokratie geliefert habe: eine Wette zwischen einem alten Zyniker und zwei jungen Offizieren. Nämlich, daß ihre Bräute, auf deren Treue sie schworen, innerhalb vierundzwanzig Stunden zu Fall zu bringen seien, und zwar jede durch den Verlobten der andern. Voraussetzung: Verkleidung der beiden Offiziere bis zur Unkenntlichkeit und unbedingter Gehorsam gegen die Strategie des Alten. Und der Alte gewinnt die Wette: »Così fan tutte« – »So sind sie alle!« »Eine macht's wie die andre«, oder die »Schule der Liebhaber« hieß der deutsche Titel des rasch übersetzten und sehr erfolgreichen Werkes. Kein Werk Mozarts hat soviel Widerspruch erfahren und »Rettungen« verursacht wie »Così fan tutte«. Der Komponist des »Fidelio« soll es abgelehnt haben wegen seiner stofflichen Frivolität. Der Komponist des »Tannhäuser« und »Lohengrin« macht andre Bedenken geltend: seine These ist, daß man zu einem schlechten Libretto unmöglich eine so gute Musik schreiben[499] könne wie zu einem guten, da ja in einer Oper das Drama das männliche, zeugende Element sei, die Musik das weibliche, empfangende. »Die große, edle und sinnige Einfalt seines« (Mozarts) »rein musikalischen Instinktes, das heißt des unwillkürlichen Innehabens des Wesens seiner Kunst, machte es ihm sogar unmöglich, da als Komponist entzückende und berauschende Wirkungen hervorzubringen, wo die Dichtung matt und unbedeutend war. Wie wenig verstand dieser reichstbegabte aller Musiker das Kunststück unserer modernen Musikmacher, auf eine schale und unwürdige Grundlage goldflimmernde Musikthürme aufzuführen, und den Hingerissenen, Begeisterten zu spielen, wo alles Dichtwerk hohl und leer ist, um so recht zu zeigen, daß der Musiker der wahre Hauptkerl sei und Alles machen könne, selbst aus Nichts Etwas erschaffen – ganz wie der liebe Gott! O wie ist mir Mozart innig lieb und hochverehrungswürdig, daß es ihm nicht möglich war, zum ›Titus‹ eine Musik wie die des ›Don Juan‹, zu ›Così fan tutte‹ eine wie die des ›Figaro‹ zu erfinden: wie schmählich hätte dieß die Musik entehren müssen!« (Gesammelte Schriften III³, S. 247.)
Hier hat man den Theoretiker Wagner in seiner vollen Glorie als ästhetischer und historischer Falschmünzer. Seine Beweisführung wäre etwas mehr berechtigt, wenn er sie auf die »Euryanthe« seines Idols C.M. Weber angewandt und dies Werk mit dem »Freischütz« verglichen hätte. Nun aber ist das Libretto da Pontes zu »Così fan tutte« als Handwerk die beste Arbeit, die er geliefert hat, besser als das zu den »Nozze« oder zu »Don Giovanni«. Ganz abgesehen davon, daß es eine selbständige Leistung ist, daß es diejenigen Lügen straft, die da Ponte nur als Arrangeur, als literarischen Freibeuter gelten lassen: hier ist kein toter Punkt, die ganze Handlung entwickelt sich logisch und lustig, und am Ende haben wir das ästhetische Vergnügen wie an einer gut gelösten Schachaufgabe, einem geglückten Zauberkunststück. Und das Kunststück ist um so schwieriger, die Lösung um so sauberer, als da Ponte nur mit sechs Figuren zu spielen hatte: die beiden Liebespaare, von den Damen die eine, Fiordiligi, mehr »heroisch«, die andre, Dorabella, mehr leichtherzig; von den beiden Offizieren der eine, Guglielmo, mehr ein Draufgänger (Bariton), der andre, Ferrando,[500] der Tenor, weicher und lyrischer. Die Fäden der Handlung liegen in den Händen des alten Zynikers oder »Weltweisen«, wie es im 18. Jahrhundert hieß, und der Zofe Despinetta.
Vor allem aber: Mozarts Musik ist um nichts schlechter oder »weniger gut« als die zu den »Nozze«. Sie ist anders, aber ebenso gut. Mozart war auf der Höhe seines Schaffens, er hat mit Lust und Liebe geschrieben; er hat am 29. Dezember 1789 seinen Logenbruder Puchberg und Joseph Haydn zu einer »kleinen Opernprobe« in seiner Wohnung und am 20. Januar 1790 zur »ersten Instrumentalprobe im Theater« eingeladen, was er nicht getan hätte, wenn er sein Werk nicht für ganz vollwertig gehalten hätte. Es gibt zwei Wege – und vielleicht noch mehr; denn ein großes Kunstwerk ist immer von unerschöpflichem Geheimnis und widerstrebt jeder formelhaften Lösung –, sich »Così fan tutte« zu nähern. Der eine: man vergißt den »moralischen« Standpunkt des 19. und 20. Jahrhunderts, läßt sich nicht schockieren durch die »unmögliche« oder »läppische« Handlung, sondern lächelt. »Alles ist möglich«, hat Stendhal gesagt, der auf diesem Gebiet einige Erfahrung hatte. Der andre, den man am besten mit dem ersten kombiniert, ist der historische. Goldoni gibt uns wieder den Schlüssel. Er schreibt (Mémoires, I, 43): »C'étoit un usage invétéré parmi les Comédiens Italiens, que les Soubrettes donnassent tous les ans, et a plusieurs reprises, des Pièces qu'on appelloit de transformations, comme l'Esprit follet, la Savante Magicienne, et d'autres du même genre, dans lesquelles l'Actrice paroissant sous différentes formes, elle changeoit plusieurs fois de costume, jouoit plusieurs personnages, et parloit différens langages.« Hier hat man die Erklärung der Figur der Despina, die im Finale des I. Aktes als Doktor erscheint, der magnetische Wunderkuren vollführt, und im zweiten als Notar. Und von dieser Figur aus erklären sich die andern. Sie sind durchaus keine Marionetten, deren Bewegungen mit Drähten regiert werden. Sie haben nicht die gleiche »Realität« wie Tosca und Scarpia, aber, um innerhalb der heiteren Oper zu bleiben, die gleiche wie Eva und Beckmesser, Mrs. Alice Ford und Falstaff – eine Opernrealität. Wer sich in diese Opernrealität[501] nicht hineinversetzen kann, der sollte überhaupt kein Theater besuchen.
Daß Mozart das echte »Drama« gewollt hat, dafür haben wir einen Beweis. Er hatte für Guglielmo, den Bariton, die übermütig-burleske Aria »Rivolgete a lui lo sguardo« in so großen Ausmaßen komponiert, daß sie ihm den dramatischen Fluß des I. Aktes zu hemmen schien; und so hat er sie durch eine kürzere (Nr. 15, »Non siate ritrosi«) ersetzt und als »eine Arie, welche in die Oper: Così fan tutte bestimmt war; für Benucci« als eigene Nummer in seinen thematischen Katalog aufgenommen (K. Nr. 584). Man darf ruhig behaupten, es ist die großartigste Aria buffa, die je geschrieben worden ist. Aber es kam Mozart in dieser so buffonesken Oper nicht allein an aufs Buffoneske. Ja, es gibt reine Buffostücke in dieser Partitur; die Arien der Despina, das ganze tolle erste Finale gehört dazu. Aber Mozart behält sich die Freiheit vor, seinen Standpunkt fortwährend zu wechseln. Wenn die beiden Liebhaber ihren militärischen Abschied genommen haben, gibt Dorabella, die impulsivere der beiden Damen, ihrem Gemütszustand Ausdruck in einer Aria (Nr. 11, »Smanie implacabili«), die jeder ihrer Schlangen beraubten Furie Ehre machen würde. Wenn der erste Angriff auf die Festigkeit der bräutlichen Treue gemacht wird, antwortet Fiordiligi mit einer Aria (Nr. 14, »Come scoglio«), die in der pathetischsten Opera seria am Platze wäre. Es ist reine Parodie. Aber nicht alles ist Parodie. Wenn es Ernst wird, schlägt Mozart ganz andre Töne an. Im ersten Akt singt Ferrando, zum Preis der Standhaftigkeit seiner Schönen, eine Arietta (Nr. 17, A-dur, »Un'aura amorosa«), deren lyrische Weichheit genau der sinnlichen Atmosphäre des I. Aktes entspricht. Aber als er den Beweis für den Verrat Dorabellas hat, singt er die Arietta »Tradito, schernito« (Nr. 27, c-moll), in der sein echter Schmerz ebenso wahren wie kurzen Ausdruck findet. Man beachte die genaue Entsprechung der Tonarten in ihrer Beziehung zu C-dur! Wenn Fiordiligi den heroischen Entschluß faßt, dem Verlobten ins Feld zu folgen, singt sie ein großes Rondo in E (Nr. 25, »Per pietà, ben mio, perdona«), das echter Kampf mit sich selber, echte Zerknirschung, echte Entschlußfreudigkeit ist. Es ist kein Zufall, daß Beethoven diese Aria in der großen Arie der »Leonore« nachgeahmt[502] hat, nur daß er statt der zwei konzertierenden oder obligaten Hörner Mozarts natürlich drei genommen hat. Denn er muß Mozart überbieten.
Diese Oper irisiert, wie eine herrliche Seifenblase, in den Farben der Buffonerie, der Parodistik, des echten und des geheuchelten Gefühls. Aber dazu kommt noch die Farbe der reinen Schönheit. Wir haben als solch eines ewigen Augenblicks reiner Schönheit schon jenes Quartetts As-dur im zweiten Finale gedacht: drei der Liebenden singen im Kanon, indes der vierte, Guglielmo, der sich mit seiner Niederlage nicht abfinden kann, einen wütenden Kommentar murmelt. Ein andres Stück dieser Art ist das Abschieds-Quin tett im I. Akt (Nr. 9, »Di scrivermi ogni giorno«). Was sollte Mozart hier tun? Die beiden jungen Damen vergießen echte Tränen; die Offiziere wissen, daß es nicht ernst ist. Er läßt reine Schönheit aufsteigen, ohne den im Hintergrund lachenden, »vor Lachen sterbenden« Zyniker zu vergessen. Ein abendlicher Glanz der Schönheit liegt über dieser ganzen Partitur. Mozart hat Mitleid mit seinen beiden Opfern, den Vertretern der schwachen Weiblichkeit; ungleich dem alten Verdi des »Falstaff«, der dem Zappeln seiner Figuren so unbeteiligt und grausam zusieht wie ein Olympier. Ein Hauch der Wehmut liegt über dem Fazit der burlesken Begebenheit, das schon im Andante der Ouvertüre anklingt:
b. Opera buffa

Wer Ohren hat zu hören, der wird diese persönliche Anteilnahme Mozarts an seinen Gestalten auch in dieser buffoneskesten seiner Opere buffe nirgends vermissen. Und niemand wird deshalb auch diese scheinbar italienischste aller italienischen Opern Mozarts für wirklich »italienisch« halten. Nicht weil Mozart ein Deutscher war, sondern weil er ein großer Dramatiker war und nicht bloß ein großer »melodista«. Das waren Paisiello und Cimarosa auch.
Quelle:
Einstein, Alfred: Mozart. Sein Charakter, sein Werk. Zürich, Stuttgart 31953, S. 464-503.
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