VII.

[37] Es giebt manche gute Componisten und geschickte Virtuosen für alle Instrumente, welche nicht im Stande sind, das, was sie wissen oder können, andere zu lehren. Sie haben mit der Uebung, durch welche ihre natürlichen Anlagen entwickelt wurden, entweder nicht hinlängliche Aufmerksamkeit verbunden, oder sie sind durch guten Unterricht auf dem geradesten Wege zu einem gewissen Ziel geführt worden, und haben das Nachdenken über die Ursachen, warum etwas so und nicht anders gemacht werden müsse, ihren Lehrern überlassen. Wenn solche Künstler wirklich gut unterrichtet sind, so kann ihre Ausübung für Anfänger lehrreich werden, aber unterrichten können sie eigentlich nicht. Der mühsame Weg des Selbstunterrichts, auf welchem sich der Lehrling tausendmahl verirrt, ehe er das Ziel entdeckt oder erreicht, ist vielleicht der einzige, der einen vollkommen guten Lehrer hervor bringen kann. Die öftern fruchtlosen Versuche und Verirrungen machen nach und nach mit dem ganzen Kunstgebieth bekannt, und jedes Hinderniß des Fortkommens wird entdeckt und vermeiden gelernt. Freylich ist dieser Weg der längere; wer aber Kraft in sich hat, wird ihn dennoch vollenden, und zum Lohn seiner Anstrengungen sein Ziel auf einem desto anmuthigern Weg finden lernen. Alle diejenigen, welche je eine eigene Schule in der Musik gestiftet haben, sind auf solchen beschwerlichen Wegen dazu gelangt. Der von ihnen entdeckte neue, anmuthigere Weg war das, was ihre Schule von andern Schulen unterschied.

Eben so ist es mit der Bachischen Schule beschaffen. Ihr Urheber irrte lange umher, mußte erst ein Alter von mehr als 30 Jahren erreichen, und durch stete Anstrengungen an Kräften immer mehr wachsen, ehe er alle Schwierigkeiten und Hindernisse[37] überwinden lernte. Dafür hat er aber auch am Ende den schönsten und reizendsten Weg entdeckt, welchen es vielleicht im ganzen Kunstgebiethe giebt.

Nur derjenige, welcher viel weiß, kann viel lehren. Nur derjenige, welcher Gefahren kennen gelernt, selbst ausgestanden und überwunden hat, kann sie gehörig bemerklich machen, und seine Nachfolger mit Erfolg belehren, wie ihnen ausgewichen werden müsse. Beydes vereinigte sich bey Bach. Sein Unterricht wurde dadurch der lehrreichste, zweckmäßigste und sicherste, den es je gegeben hat, und alle seine Schüler traten, wenigstens in irgend einem Zweig der Kunst in die Fußtapfen ihres großen Meisters, ob gleich keiner ihn erreichte und noch viel weniger übertraf.

Ich will zuerst etwas über seinen Unterricht im Spielen sagen. Das erste, was er hierbey that, war, seine Schüler die ihm eigene Art des Anschlags, von welcher schon geredet worden ist, zu lehren. Zu diesem Behuf mußten sie mehrere Monathe hindurch nichts als einzelne Sätze für alle Finger beyder Hände, mit steter Rücksicht auf diesen deutlichen und saubern Anschlag, üben. Unter einigen Monathen konnte keiner von diesen Uebungen loskommen, und seiner Ueberzeugung nach hätten sie wenigstens 6 bis 12 Monathe lang fortgesetzt werden müssen. Fand sich aber, daß irgend einem derselben nach einigen Monathen die Geduld ausgehen wollte, so war er so gefällig, kleine zusammenhängende Stücke vorzuschreiben, worin jene Uebungssätze in Verbindung gebracht waren. Von dieser Art sind die 6 kleinen Präludien für Anfänger, und noch mehr die 15 zweystimmigen Inventionen. Beyde schrieb er in den Stunden des Unterrichts selbst nieder, und nahm dabey bloß auf das gegenwärtige Bedürfniß des Schülers Rücksicht. In der Folge hat er sie aber in schöne, ausdrucksvolle kleine Kunstwerke umgeschaffen. Mit dieser Fingerübung entweder in einzelnen Sätzen oder in den dazu eingerichteten kleinen Stücken, war die Uebung aller Manieren in beyden Händen verbunden.

Hierauf führte er seine Schüler sogleich an seine eigenen größern Arbeiten, an welchen sie, wie er recht gut wußte, ihre Kräfte am besten üben konnten. Um ihnen die Schwierigkeiten zu erleichtern, bediente er sich eines vortrefflichen Mittels, nehmlich: er spielte ihnen das Stück, welches sie einüben sollten, selbst erst im Zusammenhange vor, und sagte dann: So muß es klingen. Man kann sich kaum vorstellen, mit wie vielen Vortheilen diese Methode verbunden ist. Wenn durch das Vergnügen, ein solches Stück[38] in seinem wahren Charakter zusammenhängend vortragen zu hören, auch nur der Eifer und die Lust des Schülers angefeuert würde, so wäre der Nutzen schon groß genug. Allein dadurch, daß der Schüler nun auch auf einmahl einen Begriff bekommt, wie das Stück eigentlich klingen muß, und welchen Grad von Vollkommenheit er zu erstreben hat, wird der Nutzen noch ungleich größer. Denn so wohl das eine als das andere kann der Schüler ohne ein solches Erleichterungsmittel nur nach und nach, so wie er die mechanischen Schwierigkeiten allmählig überwindet, und vielleicht doch nur sehr unvollkommen kennen und fühlen lernen. Ueberdieß ist nun der Verstand mit in das Spiel gezogen worden, unter dessen Leitung die Finger weit besser gehorchen, als sie ohne dieselbe vermögen würden. Kurz, dem Schüler schwebt nun ein Ideal vor, welches den Fingern die im gegebenen Stücke liegenden Schwierigkeiten erleichtert, und mancher junge Clavierspieler, der kaum nach Jahren einen Sinn in ein solches Stück zu bringen weiß, würde es vielleicht in einem Monath recht gut gelernt haben, wenn es ihm nur ein einziges Mahl im gehörigen Zusammenhange und in gehöriger Vollkommenheit vorgespielt worden wäre.

So zweckmäßig und sicher Bachs Lehrart im Spielen war, so war sie es auch in der Composition. Den Anfang machte er nicht mit trockenen, zu nichts führenden Contrapuncten, wie es zu seiner Zeit von andern Musiklehrern geschah; noch weniger hielt er seine Schüler mit Berechnungen der Tonverhältnisse auf, die nach seiner Meynung nicht für den Componisten, sondern für den bloßen Theoretiker und Instrumentenmacher gehörten. Er ging sogleich an den reinen vierstimmigen Generalbaß, und drang dabey sehr auf das Aussetzen der Stimmen, weil dadurch der Begriff von der reinen Fortschreitung der Harmonie am anschaulichsten gemacht wird. Hierauf ging er an Choräle. Bey diesen Uebungen setzte er selbst anfänglich die Bässe, und ließ von den Schülern nur den Alt und Tenor dazu erfinden. Nach und nach ließ er sie auch die Bässe machen. Ueberall sah er nicht nur auf die höchste Reinigkeit der Harmonie an sich, sondern auch auf natürlichen Zusammenhang und fließenden Gesang aller einzelnen Stimmen. Was für Muster er selbst in dieser Art geliefert hat, weiß jeder Kenner; seine Mittelstimmen sind oft so sangbar, daß sie als Oberstimmen gebraucht werden könnten. Nach solchen Vorzügen mußten auch seine Schüler in diesen Uebungen streben, und ehe sie nicht einen hohen Grad von Vollkommenheit hierin erreicht hatten, hielt er es nicht für rathsam,[39] sie eigene Erfindungen versuchen zu lassen. Ihr Gefühl für Reinigkeit, Ordnung und Zusammenhang in den Stimmen mußte erst an andern Erfindungen geschärft und gleichsam zu einer Gewohnheit werden, ehe er ihnen zutrauete, dieselben Eigenschaften ihren eigenen Erfindungen geben zu können.

Ueberdieß setzte er bey allen seinen Compositionsschülern die Fähigkeit, musikalisch denken zu können, voraus. Wer diese nicht hatte, erhielt von ihm den aufrichtigen Rath, mit der Composition sich nicht zu beschäftigen. Daher fing er auch so wohl mit seinen Söhnen als andern Schülern das Compositions-Studium nicht eher an, bis er Versuche von ihnen gesehen hatte, worin er diese Fähigkeit, oder das, was man musikalisches Genie nennt, zu bemerken glaubte. Wenn sodann die schon erwähnten Vorbereitungen in der Harmonie geendigt waren, nahm er die Lehre von den Fugen vor, und machte mit zweystimmigen den Anfang u.s.w. In allen diesen und andern Compositionsübungen hielt er seine Schüler strenge an, 1) ohne Clavier, aus freyem Geiste zu componiren. Diejenigen, welche es anders machen wollten, schalt er Clavier-Ritter. 2) Ein stetes Augenmerk so wohl auf den Zusammenhang jeder einzelnen Stimme für und in sich, als auf ihr Verhältniß gegen die mit ihr verbundenen und zugleich fortlaufenden Stimmen zu haben. Keine, auch nicht eine Mittelstimme durfte abbrechen, ehe das, was sie zu sagen hatte, vollständig gesagt war. Jeder Ton mußte seine Beziehung auf einen vorhergehenden haben; erschien einer, dem nicht anzusehen war, woher er kam, oder wohin er wollte, so wurde er als ein Verdächtiger ohne Anstand verwiesen. Dieser hohe Grad von Genauigkeit in der Behandlung jeder einzelnen Stimme ist es eben, was die Bachische Harmonie zu einer vielfachen Melodie macht. Das unordentliche Untereinanderwerfen der Stimmen, so daß ein Ton, welcher in den Tenor gehört nun in den Alt geworfen wird, und umgekehrt; ferner das unzeitige Einfallen mehrerer Töne bey einzelnen Harmonien, die, wie vom Himmel gefallen, die angenommene Anzahl der Stimmen auf einer einzelnen Stelle plötzlich vermehren, auf der folgenden Stelle aber wieder verschwinden, und auf keine Weise zum Ganzen gehören, kurz das, was Seb. Bach mit dem Worte Mantschen (sudeln, Töne und Stimmen unordentlich unter einander mengen) bezeichnet haben soll, findet sich weder bey ihm selbst, noch bey irgend einem seiner Schüler. Er sah seine Stimmen gleichsam als Personen an, die sich wie[40] eine geschlossene Gesellschaft mit einander unterredeten. Waren ihrer drey, so konnte jede derselben bisweilen schweigen und den andern so lange zuhören, bis sie selbst wiederum etwas Zweckmäßiges zu sagen hatte. Kamen aber auf Ein Mahl mitten in der besten Unterredung ein Paar unberufene und unbescheidene fremde Töne in ihre Mitte gestürzt, und wollten ein Wort, vielleicht gar nur eine Sylbe eines Worts ohne Verstand und Beruf mit einsprechen, so hielt dieß Bach für eine große Unordnung, und bedeutete seine Schüler, daß sie nie zu gestatten sey.

Bey aller Strenge dieser Art, gestattete er dennoch auf einer andern Seite seinen Schülern große Freyheiten. Sie durften im Gebrauch der Intervallen, in den Wendungen der Melodie und Harmonie alles wagen, was sie wollten und konnten, nur mußte nichts vorkommen, was dem musikalischen Wohlklang, oder der völlig richtigen, unzweydeutigen Darstellung des innern Sinnes, um deswillen alle Reinigkeit der Harmonie gesucht wird, nachtheilig seyn konnte. So wie er selbst hierin alle Möglichkeiten versucht hat, so sah er es auch gerne, wenn seine Schüler es thaten. Andere Compositionslehrer vor ihm, wie z.B. Berardi, Bononcini und Fux gestatteten nicht so viele Freyheiten. Sie waren bange, daß ihre Schüler dadurch in Gefahren verwickelt werden möchten, veranlaßten aber dadurch offenbar, daß sie auch nie Gefahren überwinden lernten. Die Lehrart Bachs ist daher gewiß zweckmäßiger und führt weiter. Auch schränkt er sich überhaupt nicht so wie seine Vorgänger bloß auf den reinen Satz an sich ein, sondern nimmt überall Rücksicht auf die noch übrigen Erfordernisse einer wirklich guten Composition, nehmlich auf Einheit des Charakters durch ein ganzes Stück, auf Verschiedenheit des Styls, auf den Rhythmus, auf Melodie etc. Wer die Bachische Lehrmethode in der Composition nach ihrem Umfange kennen lernen will, findet sie in Kirnbergers Kunst des reinen Satzes hinlänglich erläutert.

Endlich durften seine Schüler, so lange sie unter seiner musikalischen Aufsicht standen, außer seinen eigenen Compositionen nichts als classische Kunstwerke studiren und kennen lernen. Der Verstand, durch welchen das wahre Gute erst erkannt wird, entwickelt sich später als das Gefühl, nicht zu gedenken, daß auch selbst dieser durch häufige Beschäftigung mit unechter Kunst irre gemacht und verwöhnt werden kann. Gewöhnung an das Gute ist daher die beste Lehrart für die Jugend. Die Begriffe davon folgen mit[41] der Zeit nach, und können dann die Anhänglichkeit an lauter echte Kunstwerke immer mehr befestigen.

Alle seine Schüler sind bey dieser so vortrefflichen Lehrart ausgezeichnete Künstler geworden, obgleich einer mehr als der andere, je nachdem einer entweder früher in seine Schule kam, oder in der Folge Aufmunterung und Veranlassung zur fernern Ausbildung und Anwendung des von ihm erhaltenen Unterrichts fand. Seine beyden ältesten Söhne, Wilh. Friedemann und C.Ph. Emanuel, sind indessen doch die ausgezeichnetsten unter ihnen geworden, gewiß nicht, weil er ihnen bessern Unterricht als seinen übrigen Schülern ertheilt hat, sondern weil sie schon von ihrer ersten Jugend an Gelegenheit hatten, im väterlichen Hause nichts als gute Musik zu hören. Sie wurden also schon frühe, selbst ehe sie noch Unterricht erhielten, an das Vorzüglichste der Kunst gewöhnt, anstatt daß die übrigen, ehe sie seines Unterrichts theilhaft werden konnten, entweder noch nichts Gutes gehört hatten, oder durch gemeine Compositionen schon verwöhnt waren. Man kann übrigens die Güte der Schule daran erkennen, daß, ungeachtet solcher Nachtheile, auch selbst diese Bachischen Schüler dennoch sämmtlich einen hohen Kunstsinn erhalten und sich auf eine oder die andere Art ausgezeichnet haben.1

Sein ältester Schüler war Joh. Caspar Vogler, der seines Unterrichts schon in Arnstadt und Weimar genoß, und, selbst nach des Lehrers Zeugniß, ein sehr starker Orgelspieler geworden ist. Er wurde anfänglich Organist in Weimar, zuletzt aber mit Beybehaltung seiner Organisten-Stelle Burgermeister daselbst. Einige Choralvorspiele für 2 Claviere und Pedal von ihm, sind im Jahr 1737 in Kupfer gestochen worden.


Die übrigen merkwürdig gewordenen Bachischen Schüler waren:


1) Homilius in Dresden, nicht nur ein vortrefflicher Organist, sondern auch ein vorzüglicher Componist für die Kirche.[42]

2) Transchel in Dresden. Er war ein seiner Clavierspieler und ein guter Musiklehrer. Man hat 6 Polonoisen fürs Clavier von ihm in Manuscript, die außer den Wilh. Friedemannischen vielleicht alle Polonoisen in der Welt übertreffen.

3) Goldberg aus Königsberg. Er war ein sehr starker Clavierspieler, aber ohne besondere Anlage zur Composition.

4) Krebs, Organist zu Altenburg. Er war nicht nur ein sehr guter Orgelspieler, sondern auch ein fruchtbarer Componist für Orgel, Clavier und Kirchenmusik. Er hatte Gelegenheit, Bachs Unterricht 9 Jahre lang zu genießen. Zur Bezeichnung seiner Vortrefflichkeit sagten zu seiner Zeit die witzigen Kunstliebhaber: es sey in einem Bach nur ein Krebs gefangen worden.

5) Altnikol, Organist zu Naumburg und Schwiegersohn seines Lehrers. Er soll ein starker Orgelspieler und Componist gewesen seyn.

6) Agricola, Preussischer Hof-Componist. Er ist weniger durch Compositionen als durch seine Kenntnisse in der Theorie der Musik bekannt. Tosi's Anweisung zum Singen hat er aus dem Italiänischen ins Deutsche übersetzt und mit sehr lehrreichen Anmerkungen begleitet.

7) Müthel in Riga. Er war ein starker Clavierspieler und Componist für sein Instrument. Sein gedrucktes Duett für 2 Claviere, so wie seine früher herausgekommenen Sonaten, können dieß beweisen.

8) Kirnberger, Hof-Musikus der Prinzessin Amalia von Preussen zu Berlin. Er war einer der merkwürdigsten unter Bachs Schülern, voll des nützlichsten Kunsteifers und wahren hohen Kunstsinnes. Außer der Entwickelung der Bachischen Lehrart in der Composition, hat ihm die musikalische Welt auch das erste und einzige haltbare System der Harmonie zu danken, welches er aus seines Lehrers praktischen Werken abstrahirt hat. Das eine that er in seiner Kunst des reinen Satzes, und das andere in den wahren Grundsätzen zum Gebrauch der Harmonie. Außerdem ist er der Kunst noch durch andere Schriften und Compositionen, so wie auch durch Lehren, nützlich geworden. Amalia selbst war seine Schülerin.

9) Kittel, Organist in Erfurt. Er ist ein sehr gründlicher (obgleich nicht sehr fertiger) Orgelspieler. Als Componist hat er sich durch mehrere Orgeltrios ausgezeichnet,[43] die so vortrefflich sind, daß sich selbst sein Meister ihrer nicht geschämt haben würde. Er ist der einzige noch lebende Bachische Schüler.

10) Voigt in Anspach und ein Organist Schubert sind mir von C.Ph. Emanuel noch als Schüler seines Vaters genannt worden. Von beyden wußte er aber nichts näheres zu sagen, als daß sie erst ins väterliche Haus gekommen sind, nachdem er es schon verlassen hatte.

Ich habe oben gesagt, daß Bachs Söhne sich unter seinen Schülern am meisten ausgezeichnet haben. Der älteste, Wilh. Friedemann, kam in der Originalität aller seiner Gedanken seinem Vater am nächsten. Alle seine Melodien sind anders gewendet als die Melodien anderer Componisten, und doch nicht nur äußerst natürlich, sondern zugleich außerordentlich sein und zierlich. Fein vorgetragen, wie er selbst sie vortrug, müssen sie nothwendig jeden Kenner entzücken. Nur Schade, daß er mehr fantasirte und bloß in der Fantasie nach musikalischen Delicatessen grübelte, als schrieb. Die Anzahl seiner schönen Compositionen ist daher nicht groß.

C.Ph. Emanuel folgt zunächst auf ihn. Dieser kam frühe genug in die große Welt, um noch zu rechter Zeit zu bemerken, wie man für ein ausgebreitetes Publikum componiren müsse. Er nähert sich daher an Deutlichkeit und leichter Faßlichkeit seiner Melodien schon etwas dem Populären, bleibt aber noch vollkommen edel. Beyde älteste Söhne gestanden übrigens offenherzig: sie hätten sich nothwendig eine eigene Art von Styl wählen müssen, weil sie ihren Vater in dem seinigen doch nie erreicht haben würden.

Johann Christoph Friedrich, Bückeburgischer Concertmeister, ahmte die Manier Emanuels nach, erreichte seinen Bruder aber nicht. Er soll jedoch nach Wilh. Friedemanns Aussage unter den Brüdern der stärkste Spieler gewesen seyn, und seines Vaters Claviercompositionen am fertigsten vorgetragen haben.

Johann Christian, der sogenannte Mayländische, nachher Londonsche Bach hatte als jüngster Sohn zweyter Ehe das Glück nicht mehr, seines Vaters Unterricht zu genießen. Der Bachische Originalgeist ist daher in keinem seiner Werke zu finden. Er ist dagegen ein Volkscomponist geworden, der zu seiner Zeit allgemein beliebt war.[44]

1

Es ist hier bloß die Rede von solchen Schülern, welche die Kunst zu ihrer Hauptbeschäftigung gemacht haben. Außer diesen hat Bach noch gar viele andere Schüler gehabt. Jeder in seiner Nähe lebende Dilettant wollte sich wenigstens rühmen können, den Unterricht eines so großen und berühmten Mannes genossen zu haben. Viele gaben sich auch für dessen Schüler aus, ohne es je gewesen zu seyn.

Quelle:
Forkel, Johann Nikolaus: Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig 1802 (Nachdruck Frankfurt am Main 1950), S. 37-45.
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