I.

Das Züricher Musikfest.

Züricher Entbehrungen. – Dortiger Umgang. – Umzug in die vorderen Escherhäuser: Wohnung am Zeltweg, Frau Stockar-Escher. – Das Züricher Musikfest. – Besuch Liszts. – Fackelzug und Ehrendiplome. – St. Moritz im Engadin. – Reise nach Italien. – Zusammensein mit Liszt in Basel und in Paris. – Rückkehr nach Zürich.


›Ich habe einen ganzen großen Lebensabschnitt hinter mir zu schließen, um einen neuen, wichtigen zu beginnen: dazu brauche ich neue Lebenseindrücke.‹

Richard Wagner.


Richard Wagners Züricher Aufenthalt zeigt uns während seiner ganzen Dauer, von zwei verschiedenen Seiten betrachtet, ein zwiefaches Antlitz. Was ihn in dieser Umgebung stets von Neuem erquickte, war die ruhige Größe der schweizerischen Natur. An den schneebedeckten Häuptern ihrer aufstrebenden Firnen hatte er stets ein, wie auf innerer Verwandtschaft beruhendes, Wohlgefallen. ›Nie würde ich‹, schreibt er im März 1853 an den Weimarer Freund ›mich dauernd wieder in Deutschland fixieren, sondern zu mei nem ferneren Lebens-, oder Arbeitsaufenthalt die ruhige, schöne und als Natur mir so teuer gewordene Schweiz beibehalten‹. Hingegen sah er sich durch das Unzureichende der örtlichen Kunstmittel und die hierin begründete Unmöglichkeit, das von ihm Geschaffene je sich zu Gehör zu bringen, die schmerzlichsten Entbehrungen auferlegt. Nicht minder durch die Sprödigkeit der vermögenden Züricher Gesellschaft, wenn es galt, die reichlich vorhandenen finanziellen Mittel in den Dienst seiner Idee zu stellen. Daher wiederholt sich in seinen Briefen aus dieser Periode so häufig die Klage über die Unerträglichkeit der ›Züricher Einöde‹, das immer wieder auftauchende Verlangen nach Amnestie, oder wenigstens zeitweiliger Suspendierung seiner politischen Verfolgung, die Sehnsucht nach irgend einem Orte – und wäre es selbst Paris – wo er sich von einem guten Orchester etwas aus ›Lohengrin‹ vorspielen lassen könnte. ›Könnte ich vor Allem Dich in Weimar [3] besuchen,‹ schreibt er an Liszt ›hier oder dort einer Aufführung meiner Opern beiwohnen.‹1 ›Sage mir, ob der Weimarische Hof einen definitiven Schritt tun will, bald und schnell den Wiedereintritt in Deutschland mir geöffnet zu sehen? Ich kann Dir versichern, daß ich gänzlich ohne allen Anteil an der Politik bleiben würde, und wer nicht albern ist, muß selbst sehen, daß ich kein Demagoge bin, den man polizeilich zu maßregeln hat. Wollen sie üb rigens, so können sie mich ja polizeilich beaufsichtigen lassen, so viel sie Lust haben!‹2. ›Ich fände alsdann ein Element der Anregung, des Reizes für meinen künstlerischen Lebenszustand; vielleicht klänge mir auch da und dort ein Wort der Liebe entgegen. Aber so – hier?? Hier muß ich in allerkürzester Zeit verderben, und Alles – Alles – wird zu spät kommen, zu spät!‹

Wohl durfte die Aussicht mächtig erhebend auf ihn wirken, seine vollendete gewaltige Nibelungen-Dichtung nun auch in Musik zu setzen. Der Form nach war diese Musik in seinem Geiste vollkommen fertig. Nie hatte er sich über die musikalische Ausführung eines seiner Werke so mit sich einig gefühlt, als jetzt und mit Bezug auf diese Dichtung. Aber er bedurfte dazu einer befriedigten heiteren Gemütsstimmung, aus welcher ihm die Motive willig und freudig hervorquellen sollten. Sie konnte ihm zu einer Zeit, wo er nach fünfjähriger Unterbrechung seines musikalischen Produzierens noch nicht einmal dazu gelangt war, einen Takt der Musik seines letzten Werkes (›Lohengrin‹) im Orchesterklange zu hören, nur durch eine erneute Berührung mit seinem künstlerischen Elemente zuteil werden, und die Züricher Verhältnisse waren dazu nicht angetan. Ein wenig Entgegenkommen seitens der Züricher Gesellschaft hätte selbst eine dortige Aufführung des ›Ringes‹ in nicht allzuferner Zeit in den Bereich des Möglichen treten lassen. Der freudig stolze Hinblick auf eine solche Aussicht hätte ihn leicht, wie auf Flügeln, der musikalischen Ausführung seines Werkes entgegengetragen. So hochgesteckt das Ziel, so war doch jeder Übergang, jeder vorbereitende Schritt dazu in seinem Geiste im voraus wohl erwogen. Schon im Herbst 1851, gleich nach der ersten Konzeption seines ungeheueren Werkes, stand alles, Ziel, Weg und Mittel, für ihn fest. Die einzelnen Stationen dazu: im nächstbevorstehenden Sommer ein großes Instrumental- und Vokalkonzert aus seinen Werken, gleichsam die musikalische Illustration seines autobiographischen Vorwortes zu den drei Operndichtungen;3 das Jahr darauf (1853) die vollständige mustergültige Vorführung seiner drei vollendeten Werke, des ›fliegenden Holländers‹, des ›Tannhäuser‹ und des ›Lohengrin‹.4 Sodann – die provisorische Errichtung seines Original-Nibelungen-Theaters aus dem einfachsten [4] Material ›aus Brett und Balken‹, auf irgend einer schönen Wiese bei Zürich. Selbst der Voranschlag für die Baukosten findet sich schon sehr früh: ›es handelt sich zur Erreichung meiner bewußten Lebensaufgabe um eine Summe von – vielleicht 10000 Talern‹.5 ›Allerdings dürfen dazu nicht meine Freunde ängstlich dasitzen und über Zinsen und Zinseszinsen brüten; es müssen einmal ein paar lumpige Taler Kapital gewagt werden.‹6 Seiner Musiker und Darsteller war er sich gewiß. Hatte er es doch noch kürzlich bei der Züricher ›Holländer‹-Aufführung erlebt, daß er seine Sänger ›so aus sich herausbrachte, daß sie nicht nur das Publikum durch die Neuheit ihrer Leistungen in Erstaunen setzten, sondern ihn selbst oft lebhaft befriedigten.‹7 Leider erwies sich sogleich der allererste in der Reihe dieser Schritte, das Zustandekommen des großen Züricher Musikfestes, bei den ersten Anknüpfungsversuchen als – ›graue Unmöglichkeit.‹ Als er zum Verzicht darauf gedrängt wurde, empfand er zugleich alle damit verknüpften weiteren Absichten ›durch das Leder seiner Freunde im voraus zunichte geworden.‹ Er hatte ›seine ganze Seele losgelassen und nur ein seufzendes Hm! Hm! zur Antwort erhalten.‹8 ›Alles, was ich berühre, seufzt, schweigt und fällt nach dieser Mühe ins alte Leder zurück.‹9 Seine besten dortigen Freunde begriffen nicht, oder wollten nicht begreifen, worauf es ihm ankam. Sonst hätte das nachmalige Bayreuther Festspielhaus sich schon zwanzig Jahre früher – wiederholt finden wir für die projektierte Erstaufführung des ›Ringes‹ das Jahr 1856 als Zeitpunkt angegeben – im gastlichen Zürich erhoben, dessen erster Empfang ihn so traulich angeheimelt hatte, und die freie Schweiz wäre auf lange hinaus der künstlerische Mittelpunkt Europas geworden! Es wäre dies das Gegengeschenk des Genius an die Stätte gewesen, die den Verfolgten in dem entscheidenden Augenblick bei sich aufnahm, da ihn das eigene Vaterland als ›politischen Verbrecher‹ grollend aus seiner Mitte stieß.

Es liegt viel naive Selbstüberschätzung darin, wenn jene wackeren Freunde der Züricher Epoche (soweit sie nachmals als Memoirenverfasser oder -Verfasserinnen aufgetreten sind) die Klagen des leidenden Künstlers über seine Vereinsamung mit Berufung darauf, daß er ja ihres Umganges, ihrer Freundschaft genossen, in ihren Erinnerungen angelegentlich zu desavouieren pflegen. ›Die Lage politisch Exilierter mit ihrer langen, herben Qual, mit ihrem hoffnungslosen Suchen nach Teilnahme,10 ihrem vielfach abgewiesenen Anklopfen11 habe [5] Wagner in Zürich nicht gekannt‹, sagt z.B. Frau Wille. ›Der Verbannte, den Alle hochhielten, den Viele verehrten, lebte in der Sicherheit des eigenen Herdes und hatte Freunde, die für ihn eintraten Jeder fühlte sich geehrt, dem er ein freundliches Wort sagte.‹ ›Öde hat er nie gekannt, Anregung brachte er dahin, wo er sie nicht fand,‹ lautet eine andere Züricher Erinnerungsstimme.12 Es ist seltsam sich auszumalen, in welchem Lichte Wagners Leben den Augen der Nachwelt sich darstellen würde, wenn wir es nur aus solchen einseitigen und verwischten Erinnerungen der Zeitgenossen und nicht zugleich – als unentbehrlichstes Korrektiv dazu! – aus den glücklicherweise erhaltenen, unmittelbar redenden Zeugnissen seiner gleichzeitigen brieflichen Äußerungen kennen würden. Das Vollgefühl eines erhöhten Daseins, wie es jene Bekannten und Freunde im Umgange mit ihm empfanden, wird in ihrer Erinnerung sehr mit Unrecht von ihnen, als den Genießenden, auf den Meister übertragen, der sie doch immer erst, wo er unter sie trat, durch den Zauber seiner Persönlichkeit aus lethargischem Alltagsdasein aufrüttelte und durch unbefangene Gleichstellung über jede Empfindung persönlicher Unzulänglichkeit hinaushob. Immer mußte dabei doch Er der anregende, der erhebende Teil sein Gelang ihm die Anregung, so war es doch nur das Echo seines eigenen Wesens, das ihm aus diesen Kreisen entgegenklang. Wie oft aber gelang sie ihm nicht! Wie oft bedurfte er selbst der Aufrichtung aus hoffnungsloser Niedergeschlagenheit und suchte sie dann von außen vergebens! ›Die Nahrungslosigkeit meiner Lage ist zu groß: all mein Umgang ist mir abgestorben; Alles mußte ich überleben und von mir werfen,‹ hören wir ihn dann klagen. Oder wir vernehmen von einem, ›Umgang, der mich nur peinigt.‹13 Das klingt anders als die selbstbewußten ›Erinnerungen‹ der Herrin von Mariafeld. Nicht allein, daß sie die unleugbaren Bedürfnisse des schaffenden Künstlers außer Acht läßt; auch der unausgesetzten Sorgen und Nöte, die er – zur Wahrung seiner Freiheit! – auf sich genommen, gedenkt sie nicht. Wie ein unfreiwilliger bitterer Hohn auf seine wirkliche Lage klingt ihre Behauptung, der Meister habe in Zürich, ›in der Sicherheit des eigenen Herdes gelebt‹ Wer sicherte ihm denn diesen ›eigenen Herd‹? Für einige Übergangsjahre die verständnisvolle Großmut der Dresdener mütterlichen Freundin Frau Julie Ritter, und einige unregelmäßige Zuflüsse aus den Aufführungen des ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ an den deutschen Theatern. Aufführungen noch dazu, an die er, wegen ihrer meistens entstellenden Beschaffenheit, als Künstler nicht ohne Scham und Schmerzen denken konnte! Aber, wenn diese vorübergehenden Hilfsquellen erschöpft waren? Sie konnten doch nicht ewig dauern, und erreichten auch wirklich in wenigen Jahren ihr Ende. ›Was ich jetzt einnehme, ist einmal und nie wieder; einen laufenden Gehalt werde ich nie wieder beziehen,[6] und außer diesen jetzigen Einnahmen bin ich auf den Wind angewiesen.‹14 Da seine ganze Natur es ihm unweigerlich abschnitt, Meyerbeersche ›Opern‹ für die modernen Theater zu komponieren, so war sein kühnster, scheinbar exzentrisch ausschweifender Gedanke, die Begründung eines provisorischen eigenen Theaters für sein Nibelungen-Werk, doch zugleich auch der einzig wirklich praktische, der ihm seine schöpferisch tätige Existenz für alle Zukunft sichern konnte, – so wenig er seinerseits auch seinen großen künstlerischen Plan mit irgend welchem rechnerischen Kalkül befleckte. Aber das Bewußtsein von der Größe seines Werkes sagte ihm, was die Erfahrung später bestätigt hat. Von einem solchen Ausgangspunkte konnten seine neueren Arbeiten, nach zweifelloser Feststellung ihres Aufführungsstiles, sich ungehindert weiter verbreiten, und es ist kein Grund ersichtlich, weshalb sie dies zwanzig Jahre früher nicht ebenso hätten tun sollen, als zwanzig Jahre später. Ohne diese Grundlage mußten sie in der Luft schweben, ihr Schöpfer den unerhörtesten Leiden und Entsagungen preisgegeben bleiben, die jemals ein Künstler gelitten. Es war daher sehr natürlich, daß er sogleich bei dem ersten Versuch der musikalischen Ausführung von ›Siegfrieds Tod‹, späterhin des ›jungen Siegfried‹, den Gedanken an die Errichtung eines eigenen Theaters in das Auge faßte. Wer aber verhalf ihm dazu? Wo blieben angesichts einer solchen Aufgabe die ›Freunde, die für ihn eintraten‹? Es ist wahrlich nicht die Schuld des Künstlers, daß Zürich um den Ruhm gekommen ist, die geschichtliche Heimstätte des Nibelungen-Werkes, der Ausgangspunkt für die Entstehung eines deutsch-originalen Stiles der szenisch-musikalischen Kunst zu werden, wozu es die Mittel reichlich besaß!

Trotzdem hat Wagner mit einem großen Aufwand an Geduld und Nachsicht15 nichts unterlassen, um sich die Neigung seiner dortigen Gönner zu bewahren und in weiteren Kreisen für seine höchsten Ziele zu gewinnen. Die Vorlesung seiner vollendeten Nibelungen-Dichtung vor einer größeren Anzahl eingeladener Zuhörer gehört zu diesen Bemühungen; desgleichen seine erneute Betätigung als Dirigent in den Züricher Abonnements-Konzerten. Am 11. Februar 1853 war die Versendung der gedruckten Exemplare erfolgt; ein großer Teil davon ging nach Weimar. Unter den Empfängern stand natürlich Liszt obenan; demnächst gehörten dazu die wenigen fürstlichen Häupter, die bis dahin ein wärmeres Interesse für den verbannten ›Revolutionär‹ an den Tag gelegt hatten: die Großherzogin von Sachsen-Weimar und die Prinzessin Augusta von Preußen. Ferner der liebenswürdige [7] Weimarische Intendant Herr von Zigesar, der gesinnungsvolle literarische Vorkämpfer für ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ Franz Müllerin Weimar, der arme gefangene Röckel u.a.m.; aus der Gruppe der Dresdener Freunde vor Allem die ehrwürdige Frau Julie Ritter, deren Sohn Karl Ritter noch außerdem mit einem besonderen Exemplare bedacht war. Kurz darauf brachte er an vier aufeinanderfolgenden Abenden in dem schönen großen Saale des Hotel Baur au lac die vier Dramen seiner ›Ring‹-Dichtung auf die ihm eigene unvergleichlich vergegenwärtigende Weise vor seinen Züricher Freunden und Bekannten zum Vortrag. Es ist nicht leicht, das eigentümlich Hinreißende eines solchen Vortrages seiner eigenen dichterischen Schöpfungen durch den Meister in seiner Wirkung auf den Zuhörer auch nur annähernd zu charakterisieren. Unendlich fern lag ihm jedes konventionelle Pathos unserer rednerischen oder schauspielerischen Rezitatoren; aber die Dichtung selbst mit all ihren Abgründen, mit der ganzen Skala ihrer erhabenen Seelenschwingungen, wurde in jedem Satz und Wort, mit jedem ihrer Akzente lebendig, ja zum persönlichen Erlebnis des Hörers; die begleitenden szenischen Vorgänge und die innere Bedeutung ihres Zusammenhanges mit der Handlung restlos mit inbegriffen. Nächst dem begünstigenden Umstande, daß Niemand die Dichtung in all ihren Tiefen besser kannte, stand ihm dazu allerdings noch ein ganz besonderes förderndes Element zu Gebote, worüber kein sonstiger Vortragender jemals verfügte: die überzeugende Macht der menschlichen Persönlichkeit, der ein Wotan und Siegfried mit jeder ihrer Lebensäußerungen unmittelbar entsproßten. Dieser seiner Gewalt über seine Zuhörer, und hingegen der Wehrlosigkeit des musiklosen, bloß geschriebenen oder gedruckten Wortes (weil es den Leser nicht hindern konnte, der wahren Natur eines Wotan oder Siegfried die eigene Unzulänglichkeit unterzuschieben) war er sich wohl bewußt.16 Von diesen Vorlesungen blieb einzig Herwegh fort, nachdem er sogleich am ersten Abend an der Beschaffenheit des, wie ihm schien, mit zu fremdartigen Bestandteilen gemischten Publikums einen unüberwindlichen Anstoß genommen. Dies teilte er zur Erklärung dem Meister mit, weil er befürchtete, dieser könnte durch sein Wegbleiben gegen ihn ›verstimmt‹ worden sein, worüber ihn denn Wagner leicht und gern beruhigen konnte. ›Beiläufig‹, fügt er hinzu ›die Leute, die Sie choquiert hatten, waren nicht von mir eingeladen, sondern von Anderen mitgebracht. Übrigens hatte meine Einbildungskraft vor diesem mir unsichtbaren Publikum einen weit günstigeren Spielraum, als vor dem mir leider zu sichtbaren der Familie Wille17: ich habe mir durch Hilfe meiner Illusion ganz wohl behagt.‹ In den Abonnements-Konzerten im großen Kasino-Saale [8] dirigierte er in diesem Winter und Frühjahr die siebente Symphonie Beethovens inA dur (15. Februar) und die Eroica (8. März). Der Gedanke an eine große Züricher Musikaufführung von Bruchstücken seiner älteren Werke, für den er seit bald zwei Jahren zu seinem wahren Kummer ›vergeblich angeklopft‹, war keineswegs von ihm aufgegeben. Nur konnte es ihm nach den bereits gemachten Erfahrungen nicht mehr beikommen, seine Durchführung als die tragkräftige Grundlage zur Erfüllung weiterer Pläne und Hoffnungen für die Verwirklichung seiner höchsten Absichten zu betrachten. Er beschied sich demnach, das projektierte ›Musikfest‹ mit allen davon unzertrennlichen Aufregungen, Mühen und Anstrengungen lediglich als den luxuriösen Apparat zur Erreichung des einen Wunsches anzusehen, einmal das Vorspiel seines ›Lohengrin‹ zu Gehör zu bekommen!

In seinem äußeren Leben vollzog sich zu Ostern 1853 eine Veränderung durch einen Wohnungswechsel, indem er das seit seiner Rückkehr aus Albisbrunn18 (Spätherbst 1851) innegehabte, zwar ›stille und trauliche‹, aber doch für die Dauer allzuenge Parterrelogis in den vorderen Escherhäusern mit einer anderen, geräumigeren Niederlassung im zweiten Stockwerk desselben Hauses vertauschte. Diese letztere wurde die eigentliche Züricher Wohnung Wagners, in welcher er während seines dortigen Aufenthaltes die längste Zeit, nämlich volle vier Jahre (1853 bis 1857), verbracht hat und die er – endlich – nicht ohne dringende Veranlassung wieder aufgab. Sie befand sich am sog. ›Zeltweg‹, einer am Fuße des Zürichberges sich hinziehenden vorstädtischen Straße mit hübschen Häusern und Gärten; ihr gegenüber führten schattige Wege nach der auf einer Anhöhe gelegenen, mit mächtigen Linden, Buchen und Kastanien bepflanzten sog. ›hohen Promenade‹, an deren Südabhang ein Privatfriedhof angebracht war. Dahin pflegte er bei günstiger Witterung seine täglichen Morgen-und Nachmittagsspaziergänge zu richten, so lange er in den Escherhäusern wohnte, und hier in der Dichte des Sommerlaubes gelegentliche Aufzeichnungen musikalischer Themen in sein Notizbuch zu machen.19 Die hellen und freien Räume der neuen Umgebung, durch eine phantasievoll vornehme, künstlerisch angeordnete Einrichtung gehoben, nahmen sich um so stattlicher aus, als die Hauptzimmer eine fortlaufende Flucht bildeten, deren Fensterreihe auf den Zeltweg blickte und die statt geschlossener Türen bloß durch Vorhänge voneinander getrennt waren. Der große breite Divan des Mittelzimmers, auf welchem ihn seine Besucher häufig lesend antrafen, war, ›gleich den reich ausgestatteten anderen Sitzen, [9] mit dunkelgrünem schweren Sammet überzogen, welcher Stoff sich auch in langen Vorhangteilen an Türen und Fenstern fand‹.20 ›Du wirst's bei mir ganz artig finden‹, schreibt er vier Wochen nach seinem Umzug in harmlosem Scherze an Liszt ›der Üppigkeitsteufel ist in mich gefahren und ich habe mir mein Haus so angenehm wie möglich hergerichtet. Wenn das Rechte fehlt, hilft man sich eben so gut wie möglich‹.21 Im Hinblick auf die ihm zunächst bevorstehende ungeheuere Arbeit der musikalischen Ausführung seiner großen Dichtung machte sich zum ersten Mal in seinem Leben das Verlangen in ihm geltend, sich durch den Aufbau einer, seinem Bedürfnis nach Wohnlichkeit schmeichelnden, Umgebung eine Welt in der Welt zu errichten. ›Ich habe seit einiger Zeit einen Narren am Luxus‹, schreibt er bald darauf mit gleicher Selbstironie an Frau Ritter. ›Wer sich denken kann, was er mir ersetzen soll, wird mich allerdings für sehr genügsam halten‹. Bei der erforderlichen Renovierung der von ihm bezogenen Räumlichkeiten war seine freundliche Hauswirtin, die liebenswürdige Züricher Patrizierin Frau Klementine Stockar-Escher, seinen besonderen Wünschen sorgsam und bereitwillig nachgekommen. Diese verständig resolute, dem Meister enthusiastisch ergebene Frau, der er auch in seinem späteren Leben stets eine gute Erinnerung bewahrt hat, war auch eine geschickte Dilettantin in der Portraitmalerei: in demselben Frühjahr, kurz vor seinem Umzug in die neue Wohnung, entstand das nachmals als Lithographie im Verlag von Breitkopf & Härtel erschienene Aquarellportrait des Meisters. ›Bei meiner großen Abneigung gegen das Sitzen‹, schreibt er am 9. März 1853 ›gab ich doch endlich den Bitten einer hiesigen Portraitiererin, einer wirklich sehr geistreichen und geübten Aquarellmalerin, nach und lasse mich jetzt portraitieren; das Portrait gerät, nach dem Urteile Aller, die es wachsen sehen, so besonders gut, daß wir jetzt auf die Idee kommen, endlich ein mal – und zwar eben danach – ein mir ähnliches gutes Bild für meine Freunde in Deutschland lithographieren zu lassen‹.22 Als Hauswirtin war sie um sein Wohlbefinden und seine Bequemlichkeit stets aufrichtig besorgt; um so weniger verdient sie es – da sie wirkliche Verdienste hat! – daß ihre redlichen Bemühungen, es ihrem Mieter nach Kräften recht zu machen, fast noch in jeder bisherigen Darstellung der Züricher Periode im Leben Wagners durch imaginäre Übertreibungen in ein falsches und schiefes Licht gestellt werden Sie habe, so lautet die stereotype Phrase, aus purer, ›Begeisterung für sein Talent und [10] Streben‹ (!) ihm, eine Reihe von Zimmern in einem ihrer Häuser ›prächtig eingerichtet, zur Verfügung gestellt‹.23 Es gehörte gewiß keine besondere ›Begeisterung‹ dazu, um dem Meister, der das seit zwei Jahren von ihm bewohnte Haus wegen Unzulänglichkeit der Räumlichkeiten seiner bisherigen Wohnung sonst ganz hätte verlassen müssen, die eben frei werdende größere Wohnung für den jährlichen Mietzins von achthundert Francs, ›zur Verfügung zu stellen‹; und was die ›prächtige Einrichtung‹ betrifft, so spüren wir es aus den gleichzeitigen Briefen Wagners, wie sehr er in der nächstfolgenden Zeit darauf bedacht sein mußte, das bischen ›Luxus‹ in der Ausschmückung seiner neuen Umgebung wieder einzubringen!

Rechnete er hierfür auf Einnahmen von seiten der deutschen Theater, die seine Werke in letzterer Zeit, nach Durchbrechung des auf ihnen lastenden Bannes, fast über sein Erwarten zahlreich zur Aufführung brachten, so blieben ihm doch die größten und einträglichsten darunter, die ihm jährlich namhafte Tantiemen hätten zuführen können, durch unbesiegbare Theaterintriguen hartnäckig verschlossen. So vor Allem die unter Meyerbeers Einfluß stehende Oper der preußischen Hauptstadt. In Berlin hatte bekanntlich Meyerbeer selbst alsbald nach dem Antritt seiner dortigen Generalmusikdirektionsstellung (1842) es sich angelegen sein lassen, das Prinzip der bis dahin in Deutschland unbekannten regelmäßigen Tantieme-Zahlungen nach französischem Muster an der Kgl. Preußischen Oper zur Geltung zu bringen, wonach den dramatischen Komponisten 10 Prozent von dem jedesmaligen Kassenertrage ihrer, einen ganzen Abend ausfüllenden, Werke als stehende Anteilseinnahme bewilligt wurden, unabhängig von dem außerdem stipulierten einmaligen Honorar für das Aufführungsrecht. Wohl hatte die Prinzessin von Preußen (die nachmalige Kaiserin Augusta) ihr lebhaftes Interesse an diesen Werken in [11] wiederholten Unterredungen mit Liszt rückhaltlos ausgesprochen; wohl glänzte um jene Zeit die berufene, vom Meister selbst einstudierte Darstellerin der Elisabeth, Johanna Wagner, als angesehenste dramatische Sängerin Deutschlands an der Berliner Oper: zu einer Aufführung des ›Tannhäuser‹ kam es dennoch nicht. Auch die beste Gesinnung einer gekrönten Gönnerin vermochte gegen die eigentlich entscheidenden Mächte mit ihren Wünschen so wenig durchzudringen, als einst König Friedrich Wilhelm IV. es vermocht hatte, der, um ›Rienzi‹ und ›Tannhäuser‹ zu sehen, jedesmal erst nach Dresden reisen mußte.24 ›Die Prinzessin von Preußen kann wünschen und wollen, was sie will, dieses wird sie nicht besiegen, und gewiß auch Herrn von Hülsen nicht. Mein Gott – ich kenne das!!!‹25 In deutlicher Voraussicht des Ausganges der Sache und um seine Ehre zu wahren, hatte er deshalb schon zu Beginn des Jahres nach mehrmonatlicher Verschleppung der Verhandlungen die Partitur lieber seinerseits völlig zurückgezogen, um die Berliner Angelegenheit nun einzig noch in Liszts Hände zu legen. ›Tannhäuser ist von meinem Onkel zurückgefordert worden‹, schreibt darüber Johanna Wagner an Lüttichau. ›Was in Dresden nicht möglich war26 ... das haben durch vierte oder fünfte Hand dieselben Leute hier durchgesetzt: die Oper zu verhindern; denn jetzt merken wir ganz deutlich, daß Tannhäuser doch nicht darangekommen wäre, wenn ihn mein Onkel auch nicht zurückgefordert hätte.‹ Übrigens war die Schreiberin dieser Zeilen mit all ihrer ungewöhnlichen Begabung damals – unter dem Einfluß ihres Vaters – dem Meister, dem sie Alles verdankte, so entfremdet, daß es diesen stets nur peinlich berührte, wenn er sah, daß einer seiner Freunde in seinen Angelegenheiten mit ihr verkehrte.27 Im Gegensatz zu diesem Verhalten der preußischen Hofoper mußte es einen eigentümlichen Eindruck auf ihn machen, von mancher mittleren Bühne, sobald nur der rechte gute Wille dazu vorhanden war, Wunderdinge über die Wirkung seiner Oper zu vernehmen: selbst aus so ›kleinen Nestern‹ wie Freiburg im Breisgau oder Posen, wo der ›Tannhäuser‹ in neun Tagen fünfmal gegeben worden war. An beiden letzteren Orten war die Oper durch den unternehmenden Theaterdirektor Franz Wallner zur Aufführung gebracht, dem in dem feurigen jungen Musikdirektor Schöneck (Wagner von Zürich her genau und vorteilhaft bekannt28) die geeignete Persönlichkeit dafür zur Seite stand. Es konnte dem Meister nur ganz recht sein, als sich derselbe Direktor durch [12] Schöneck mit dem Antrag an ihn wandte, den ›Tannhäuser‹ in Berlin ein paar Monate lang auf dem Krollschen Theater mit seiner Truppe geben zu dürfen. ›Bravo Schöneck und vivat Krolls Theater!‹ rief Liszt in freudiger Zustimmung aus,29 und in einem noch erhaltenen ausführlichen Schreiben Wagners an Schöneck (2. Mai 1853) finden wir die künstlerischen und materiellen Bedingungen des mit Wallner darüber abzuschließenden Kontraktes in einer Reihe von Punkten bereits genau stipuliert. Leider gelang es der Berliner Hoftheater-Intendanz, die ihr drohende Beschämung durch einen geeigneten Schachzug noch rechtzeitig zu hintertreiben. Das Mittel hierzu war die plötzliche Auswirkung eines bis dahin unvorhandenen, eigens zu diesem Zwecke erlassenen Verbotes der Aufführung ›großer Opern‹ an den kleineren Theatern Berlins. ›Zwar habe ich‹, berichtet der Meister an Liszt, ›den Schöneck autorisiert, Tannhäuser als »Singspiel« anzukündigen; doch zweifelt er selbst, daß die Sache noch zustande kommen möchte. Mir aber entgeht dadurch für diesen Sommer eine schöne Einnahme, denn ein paar tausend Francs hätte mir das Unternehmen doch eingebracht‹.30

Das Programm für das bevorstehende große Instrumental- und Vokalkonzert war mit geringer Modifikation fast völlig dasselbe, wie er es bereits seiner Zeit (Dezember 1851) an Uhlig mitgeteilt hatte; es enthielt in großen Zügen die musikalische Ausführung seines künstlerischen Entwickelungsganges, wie er ihn literarisch in jenem ›Vorwort zu den drei Operndichtungen‹ gegeben. Zur Eröffnung diente der Friedensmarsch aus ›Rienzi‹; dann folgten gleichsam als die drei Akte des idealen Dramas dieser bisherigen Entwickelung die drei Hauptteile des Programmes: sorglich ausgewählte Abschnitte aus dem ›fliegenden Holländer‹, ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹, die als reine Musiksätze je einen wichtigen Hauptmoment des dichterischen Ganzen in prägnanter Tonfarbe kundgeben sollten.31 Die Direktion der Musikgesellschaft, durch seine wiederholte Förderung ihrer Bestrebungen ihm seit lange zu Danke verpflichtet, übernahm die Geschäftsleitung; eine schnell eröffnete Subskription deckte die nicht unbedeutenden Kosten (9000 Francs). ›Wer das gute Zürich mit seinen echten Zöpfen und Philistern kennt, mußte über diese Tatsache allerdings in Erstaunen geraten, und auch ich kann nicht leugnen, daß mich dieser Beweis eines unerhörten Vertrauens und einer ungewöhnlichen[13] Liebe sehr rührte‹.32 Das Aufgebot der erforderlichen künstlerischen Heerscharen war nichts Geringes; die gewohnten musikalischen Kräfte reichten für die Verwirklichung so bedeutungsvoller Aufgaben nicht aus. Wir sehen demgemäß den Meister seit Mitte April damit beschäftigt, ihm wohlgesinnte Musiker aus Deutschland für diesen Zweck heranzuziehen. Er erhielt auf seine Aufforderung die begeistertsten Zusagen aus Weimar, Wiesbaden, Frankfurt a. M., vom Rhein und aus mehreren schweizerischen Städten. Auch nach München richtete er seine Einladungen, wozu ihn besonders der günstige Umstand bestimmte, daß die Preise für die Hin- und Rückfahrt zwischen München und Zürich ihm als besonders gering geschildert wurden. Aber während in Weimar, Wiesbaden, Frankfurt und an anderen Orten befreundete oder wohlgesinnte Dirigenten (Liszt, Schindelmeißer, Gustav Schmidt), den bestellten Musikern ihre Beurlaubung zuvorkommend erleichterten, schwang in der Isarstadt Mendelssohns Jugendfreund Franz Lachner als Hofkapellmeister den Taktstock, dem es durchaus nicht in den Sinn kam, einem Unternehmen Wagners sich förderlich zu erweisen. Demnach wurde er vierzehn Tage vor der Aufführung, nachdem sämtliche Abmachungen auch mit den Münchener Musikern bereits fest abgeschlossen waren, plötzlich durch die Nachricht überrascht, diesen letzteren sei ›der Urlaub nach der Schweiz verweigert.‹33

Um die Mitte Mai trafen die frohen Scharen deutscher Künstler aus allen Himmelsgegenden in Extrazügen zu dem Züricher Feste zusammen. Verschiedene Vereine aus Zürich und Umgegend boten dem Meister einen stattlichen Chor von 150 Sängern, achtzig Männer- und siebzig Frauenstimmen, natürlich Dilettanten; doch studierte er diesen ›sehr zahmen vierstimmigen Wesen‹ seine Chöre so ein, daß sie schließlich, ›sangen, als ob sie den Teufel im Leibe hätten‹. Als einzige Solistin wirkte in dem Vortrag der Senta-Ballade Frau Emilie Heim mit, Gemahlin des Musikdirektors Ignaz Heim, der seine ständige Wohnung ebenfalls in der zweiten Etage eines der Escherhäuser im Zeltweg innehatte, dem Meister gegenüber und nur durch einen schmalen Hofraum von ihm getrennt. Sie besaß eine umfangreiche klangvolle Sopranstimme und eine vorzügliche Aussprache; nach den Erinnerungen der Zeitgenossen sei sie damals durch ihre ganze Erscheinung, ihre seinen Gesichtszüge, ihre tiefblauen Augen und das lichte Blond ihrer Haare eine blühende Schönheit gewesen und der Meister habe sie gern mit dem Kosenamen ›mein Heimchen‹ benannt. Das Orchester bestand aus 72 Mann, darunter 60 auserlesene Fachmusiker. ›Ich hatte fast lauter Konzertmeister und Musikdirektoren: zwanzig ganz vorzügliche Violinen, acht Bratschen, acht vortreffliche Violoncelle und fünf Contrabässe. Alle hatten ihre besten Instrumente mitgebracht und in dem, nach meiner Angabe [14] konstruierten, Schallgehäuse klang das Orchester über die Maßen hell und schön‹.34 In der Woche vor der Aufführung brachte er im Konzertsaale der Musikgesellschaft öffentlich und gratis vor einem sehr großen Publikum von Konzertteilnehmern auf seine, oben geschilderte Weise die drei Operndichtungen an drei aufeinander folgenden Abenden zum Vortrag. Außerdem ließ er es sich angelegen sein, dem Verständnis der vorzuführenden Bruchstücke durch ein ausführliches Programm entgegenzukommen Dasselbe enthielt außer den Gesangstexten eine vollständige Einführung in die jedesmalige dramatische Situation, und für die reinen Instrumentalsätze die bekannten, bei diesem Anlaß entstandenen programmatischen Erläuterungen.

Der Verkehr mit den Musikern während der Proben war ein ungemein herzlicher, die Begeisterung stieg von einer Probe zur anderen. Zwischen ihnen und dem Meister wob sich bei diesem schönen Anlaß ein Band der Bewunderung, Verehrung und Liebe, das sich bei verschiedenen späteren Gelegenheiten, wo er einem oder dem anderen seiner damaligen Züricher Musiker an einem anderen Orte und unter wechselnden Verhältnissen wieder begegnete, immer noch als fest und innig erwies. Es war seiner sorgsamen, einzig auf das Gelingen gerichteten Auswahl der Mitwirkenden gelungen, sich für jedes einzelne Instrument ausschließlich oder doch vorherrschend tüchtiger Vertreter desselben zu versichern, was insbesondere für die Bläser nicht immer ganz leicht war. Die allgemeine Begeisterung tat das Übrige. Der Posaunist Thiele aus Bern, ganz ausgezeichnet und weit und breit in der Schweiz als ›Posaunen-Genie‹ bekannt, hatte zwei etwas schwache Posaunisten neben sich, und ›dennoch wußte dieser Mensch durch seine Energie sie so hinzureißen, daß man bei der Stelle:


1. Das Züricher Musikfest

ein ganzes Heer von Posaunen zu hören vermeinte‹.35 Am Mittwoch den 18. Mai fand das erste Konzert im Züricher Stadttheater vor überfülltem Hause statt. Die Bühne war in äußerst zweckmäßiger Weise zur Aufstellung des Chors und Orchesters als festumschlossene Tonhalle eingerichtet; terrassenförmig stiegen die Reihen der Pulte empor, bestrahlt durch die Flammen von acht Kronleuchtern. Die Begrüßung Wagners bei seinem ersten Erscheinen gestaltete sich zu einer, volle fünf Minuten anhaltenden, wahren Applaussalve, in welche die Musiker endlich mit einem dreimaligen Tusch einfielen; am Schlusse ward er mit Kränzen und Blumen förmlich überschüttet, so daß er bis zur Hälfte seines Körpers darin begraben stand. Die zweite Aufführung, am Freitag [15] den 20. Mai, brachte die gleichen Triumphe, an einem der Zwischentage veranstaltete die Züricher Musikgesellschaft den mitwirkenden Künstlern ein solennes Bankett, von welchem der Meister sich nicht ausschloß. Durch den vertraulichen Verkehr mit seinen Musikern und den begeisternden, unwiderstehlich gewinnenden Eindruck seiner Person hatte er ihrer aller Herzen im Sturm erobert, und das ungezwungene Zusammensein zog die Bande noch enger und fester zusammen. Das dritte und letzte Konzert siel auf den folgenden Sonntag, den 22. Mai, seinen vierzigsten Geburtstag: es gestaltete sich womöglich noch festlicher als die ihm vorausgegangenen und setzte der ganzen Feier die Krone auf. Der Jubel der Zuhörer machte sich in freudigen Zurufen Luft, und als zum Schluß Kranze mit Gedichten auf die Bühne herabflogen, mußte auf allgemeines Verlangen eines derselben von einem Mitgliede des Chores verlesen werden. Die ihm darin dargebrachte Huldigung wurde vom Publikum mit lautem Beifall aufgenommen, vom Orchester mit rauschendem Tusch bekräftigt. – Dann trat aus den Reihen der im Chore mit beschäftigten Musikgesellschaft ›Harmonie‹ eine junge Dame – die Tochter Alexander Müllers – hervor, um dem Meister im Namen dieses Vereins unter herzlicher Ansprache einen schweren silbernen Pokal zu überreichen. Vor sich das überfüllte Haus, applaudierend und ihm entgegenjubelnd, hinter sich den Tusch des vollen Orchesters, zur Seite die mit einstimmenden Sänger und Sängerinnen, konnte der Tiefgerührte nur wenige Worte des bescheidenen Dankes über die Lippen bringen. ›Der Eindruck auf mich war ungemein ergreifend‹, sagt er selbst ›ich mußte mich stark zusammennehmen, um ihm standzuhalten‹.36 War es ihm zunächst hauptsächlich darauf angekommen, etwas aus ›Lohengrin‹ und namentlich das Orchestervorspiel zu hören, so freute es ihn, auch in der Wirkung auf das Publikum die Wahrnehmung seines Eindruckes zu machen. ›Trotz der vorangehenden Tannhäuser-Ouvertüre wirkten die Stücke aus Lohengrin so, daß sie fast einstimmig für das Vorzüglichste erklärt wurden.‹ ›Zu dem Brautzuge hatte ich einen besonderen, sehr wirkungsvollen neuen Schluß gemacht, den ich Dir einmal mitteilen muß; nach dem Brautlied ließ ich – nach einem kurzen Übergange – das G dur-Vorspiel (Hochzeitsmusik) wiederholen und gab auch diesem einen neuen Schluß. Diese Stücke wirken ungeheuer populär. Alles schwelgte. Es war wirklich ein Fest für die Welt um mich herum: die Frauen sind mir alle gut geworden. – –‹37

Er hätte das Konzert sechsmal wiederholen können, es wäre immer voll gewesen. ›Zürich ist erstaunt, daß so etwas hat passieren können; die Philister tragen mich fast auf den Händen.‹ Doch hielt er an den drei Aufführungen fest, es war genug und Abspannung stand zu befürchten. Auch hätte er das Orchester nicht mehr halten können: viele mußten zurück, namentlich eine [16] Anzahl Wiesbadener Musiker, die ihm mit ihrer Hierherkunft große Freude gemacht. Bereits in den nächstfolgenden Tagen schieden die tapferen Scharen von der Stätte, an der sie unter des Meisters Führung so entscheidende Eindrücke empfangen und hervorgebracht, – um sich nach allen Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Bei einer am 24. Mai in seinem Hause stattfindenden Gesellschaft zur Einweihung des ›silbernen Bechers‹ waren nur noch die engeren Züricher Freunde gegenwärtig: Sulzer, Hagenbuch, Baumgartner, Alexander Müller mit Familie, Heim und Frau. ›Wenn ich äußeren Erfolg zählen wollte‹, sagte der Meister, ›so könnte ich mit der Wirkung meiner Aufführungen über und über zufrieden sein‹ Besonders erfreute ihn, daß die Bürgerschaft die nicht unbedeutende Garantiesumme aufgebracht hatte; diese Erfahrung bestärkte ihn für jetzt in dem Glauben, mit der Zeit in Zürich doch noch etwas Unerhörtes zustande zu bringen. Einstweilen fühlte er sich nach allen Anstrengungen recht zerschlagen und müde. Mit Erwartung sah er einem angekündigten Besuche Liszts entgegen, der leider das schöne Fest nicht durch seine Gegenwart hatte verherrlichen können. Er beklagte es, daß der Freund, der soeben noch durch eine Vorführung aller drei in Weimar einheimischen Werke, des ›Tannhäuser‹, ›Holländer‹ und des ›Lohengrin‹ (27. Februar, 2. und 5. März) seinerseits eine ›Wagner-Woche‹ veranstaltet, – erst im Juli bei ihm in Zürich eintreffen konnte, und er demnach den ganzen Monat Juni allein zu bleiben verurteilt war. ›Ich sehne mich‹, schreibt er, ›nach einem langen, langen Schlaf, aus dem ich nur wieder erwachen möchte, um Dich in meine Arme zu schließen‹.

Ein sehnsüchtiger Trieb nach Leben und Genuß hatte sich seiner schon seit einigen Jahren bemächtigt. Wie er bereits in den Briefen an Uhlig bedeutsam hervortritt,38 so wiederholt sich der Aufschrei danach in mehreren brieflichen Kundgebungen dieser Zwischenzeit. ›Ich muß mir nur immer aufrichtiger eingestehen, daß ich erst seit wenigen Jahren – zu spät! – gewahr werden mußte, wie ich eigentlich noch gar nicht gelebt habe‹, schreibt er am 8. Juni an den armen gefangenen Freund Röckel.39 ›Nur so viel muß ich Dir sagen, daß meine Kunst jetzt immer mehr das Lied der geblendeten sehnsüchtigen Nachtigall wird und daß diese Kunst plötzlich allen Grund verlieren würde, wenn ich eben die Wirklichkeit des Lebens umarmen dürfte. Ja, wo das Leben aufhört, da fängt die Kunst an: wir geraten von Jugend auf in die Kunst ohne zu wissen wie? Und erst wenn wir die Kunst bis an ihr Ende durchdringen, gewahren wir zu unserem Jammer, daß uns eben – das Leben fehlt!‹ ›Alles liegt mir daran‹, setzt er wenige Tage später in einer [17] brieflichen Mitteilung an Wesendonck auseinander, ›mich jetzt erst gründlich zu erfrischen, um – nach fast fünfjähriger Pause im Musikmachen – den nötigen jugendlichen Mut zu gewinnen, mit Lust und Heiterkeit mich an meine neue Riesenaufgabe zu machen. Ich habe einen ganzen großen Lebensabschnitt hinter mir zu schließen, um einen neuen wichtigen zu beginnen: dazu brauche ich neue Lebenseindrücke: ich bedarf einer gewissen Sättigung von außen her, um dann durch einen schönen Gegendruck mein Inneres freudig wieder nach außen zu werfen. So muß ich ganz ungehindert sein, reisen können, Italien besuchen, vielleicht auch Paris wieder besuchen dürfen, um dann zu der angenehmen Ruhe zu kommen, die mir jetzt eben fehlt‹.40 Da im Betreff der dazu erforderlichen Mittel für den Augenblick keine Schwierigkeit sich fand, entwarf und fixierte er schnell den Plan zu einer Reise nach Italien, soweit es dem politisch Verfolgten damals zugänglich war. ›Ach! wäre es doch bis Neapel!! der König von Sachsen kann's machen!‹ ruft er verlangend aus. Nur hatte er dafür erst den Herbst als geeignete Jahreszeit abzuwarten; bis dahin war ihm – für die zweite Hälfte des Juli – ein Kuraufenthalt in der schönen wilden Einsamkeit von St. Moritz verordnet, 5000 Faß hoch in nervenstärkender Luft, bei einem Mineralwasser, von dessen heilender Wirkung auf die Verdauungs Organe ihm Wunderdinge versprochen waren. Wie willkommen wären ihm für diese wechselnden Aufenthalte und ihre Anforderungen an seine Kasse die durch die Winkelzüge verborgener Gegner hintertriebenen Berliner Einnahmen gewesen!

Aber auch der ›König von Sachsen‹ war um jene Zeit einer dumpf reaktionären Polizeiherrschaft weiter als je davon entfernt, etwaigen Wünschen seines ehemaligen ›Kapellmeisters‹ die mindeste Konzession zu machen. Kaum hätte dies selbst in seiner Macht gestanden. Die politischen Geschäfte Deutschlands regulierte der wieder eingesetzte Bundestag, der ›Reaktions-Ausschuß‹, wie die Herren Bundestagsabgeordneten selbst ihre Schöpfung lächelnd zu nennen pflegten. Er hatte nichts anderes im Sinne, als die schrankenlose Bekämpfung jeder ›liberalen‹ oder ›demokratischen‹ Regung Absolutistische, feudale und klerikale Tendenzen arbeiteten dabei in wechselnder Gruppierung und Wirkungskraft neben- und durcheinander. Die herrschende Partei fühlte sich so siegesgewiß, daß keine ihr mißliebige Persönlichkeit auf Schonung rechnen durfte: nicht allein Wagner galt der sächsischen Regierung immer noch kurzweg als ein ›hervorragender Anhänger der Umsturzpartei‹, sondern selbst seine persönlichen oder künstlerischen Freunde waren politisch verdächtig und hatten ersichtlich darunter zu leiden. ›Es war eine umfassende und gründliche [18] Kur, welche den von der liberalen Epidemie ergriffenen Staaten durch die Bundesversammlung in Aussicht gestellt wurde: ein mobiles Truppenkorps zum Bundesschutz, eine Bundespolizei, Bundesverfügungen gegen die Presse, Bundesmaßregeln gegen mißliebige Landesverfassungen. Wurde dies Alles verwirklicht, so erhielt Deutschland in der Tat eine Zentralgewalt von einer Herrschermacht, wie sie die Majorität der Paulskirche ihrem deutschen Kaiser nicht entfernt zugedacht hatte, nämlich statt einer fest begrenzten kaiserlichen Regierung eine tatsächlich unbegrenzte Zentral-Bundespolizei.41 Wie sich die Polizeien der Einzelstaaten einstweilen gegenseitig spionierend in die Hände arbeiteten, davon legt unter tausend ähnlichen Beispielen das Schicksal des jungen Alexander Ritter ein sprechendes Zeugnis ab, als dieser, voll Enthusiasmus für seine Kunst und soeben mit der Nichte des Meisters, Franziska Wagner, glücklich verheiratet, durch Liszt als Konzertmeister in das Weimarer Orchester berufen wurde. ›Kaum war er in Weimar eingezogen und noch hatte er sich nicht einmal vollständig häuslich eingerichtet, als auch bereits die allenthalben liebevoll fürsorgende Polizeigewalt ihr Augenmerk ihm zuwandte, um mit allerhand Plackereien ihm die Freuden seines Honigmonates zu vergällen. Die großherzogl. sächsische Polizei in Weimar hatte nämlich die königl. sächsische in Dresden um geeignete Aufschlüsse aus den Personalakten Ritters gebeten und daraufhin von Dresden den Bescheid erhalten, Alexander Ritter sei ein höchst verdächtiges und gefährliches Individuum, sintemalen er 1. ein geborener Russe sei und 2. überdies einer Familie angehöre, deren gesetzes- und staatsfeindliche Beziehung ganz außer Zweifel stehe, da sie den steckbrieflich verfolgten politischen Flüchtling Richard Wagner materiell zu unterstützen die freventliche Dreistigkeit besitze.‹42 Kein Wunder demnach, wenn es dem Meister nicht besser erging als seinem begeisterten Jünger! Wie ernstlich man es in dem polizeilich reglementierten lieben Vaterlande mit seiner politischen Achtung nahm, davon erhielt er gerade in diesem Sommer einen neuen handgreiflichen Beweis. Um dieselbe Zeit, als er sich soeben von den Mühen seines Züricher Musikfestes erholte, hatten irgendwelche obskure Spione oder Agenten der sächsischen Polizei vermeintlich in Erfahrung gebracht, daß er einen ›Besuch in Deutschland‹ zu machen beabsichtige. Das gänzlich irrige Gerücht gab seinen Verfolgern im sächsischen Ministerkabinett sofort Veranlassung zur Erneuerung seines Steckbriefes in verschiedenen [19] sächsischen und außersächsischen Zeitungsblättern (der ›Freimütigen Sachsen-Zeitung‹, dem ›Allgemeinen Polizei-Anzeiger‹ etc. etc.) unter der Rubrik ›Politisch gefährliche Individuen‹ und unter Beifügung seines Portraits, – um ihn ›im Betretungsfalle sofort zu verhaften und an das Königl. Stadtgericht zu Dresden abzuliefern‹!43

Am 2. Juli traf Liszt über Karlsruhe in Zürich ein, nachdem er die Nacht im Postwagen von Basel aus durchfahren. In Karlsruhe hatte er für das im September bevorstehende große Musikfest einige nötige Vorkehrungen getroffen und sich die dafür bestimmten Lokalitäten angesehen. Wagner erwartete ihn frühmorgens an der Post und geleitete ihn im Triumph nach Hause. Leider war sein Aufenthalt in Zürich von kaum achttägiger Dauer, dafür aber von einer Gedrängtheit und Mannigfaltigkeit der beiderseitigen Beziehungen und Mitteilungen, daß er beiden Teilen auf lange hinaus Nahrung gab. ›Eine wilde, aufgeregte – und doch mächtig schöne Woche habe ich soeben mit Liszt verlebt‹, berichtet er unmittelbar danach an Wesendonck über dieses Zusammensein. ›Ein wahrer Sturm von Mitteilungen raste zwischen uns: meine Freude über den unsäglich liebenswürdigen Menschen war um so größer, als ich ihn sehr kräftig, ausdauernd und viel besser in seiner Gesundheit fand, als ich mir nach früher dies vermuten konnte. Wir hatten uns unglaublich viel zu melden; denn im Grunde lernten wir uns hier erst persönlich genauer kennen, nachdem ich früher immer nur kurze Tage flüchtig mit ihm verbracht. So füllten sich die acht Tage, die er diesmal mir nur schenken konnte, mit so starkem Inhalte an, daß ich jetzt fast davon betäubt bin. Sogleich in den ersten Tagen opferte ich meine Stimme, so daß dann Liszt einzig für Musik herhalten mußte: er hat unglaublich gespielt! Einen herrlichen Ausflug machte ich mit ihm an den Vierwaldstätter See, und endlich schied er mit dem freiwilligen Versprechen, nächstes Jahr auf mindestens vier Wochen wiederzukommen‹. Eines Tages mit seinem großen Freunde aus dessen Werken musizierend, brach Liszt in heiße Tränen der Ergriffenheit aus; diese zu trocknen, reichte ihm Wagner ein gelbes seidenes Taschentuch, welches Liszt jahrelang als teures Andenken aufbewahrte.44 Mit großer Begeisterung nahm er Wagners Plan für die Aufführung seines großen Werkes auf. ›Zu meiner befriedigendsten Überraschung‹, fährt daher Wagner in seinem Berichte an Wesendonck fort, ›kam mir Liszt mit meinem eigenen Plane für die dereinstige Aufführung meines Bühnenfestspiels entgegen: wir haben abgemacht, sie soll vom Frühjahr bis [20] Herbst eines Jahres in Zürich stattfinden: ein provisorisches Theater soll dazu gebaut, und was ich an Sängern u.s.w. gebrauche, eigens dafür engagiert werden. Liszt wird nach allen Himmelsgegenden hin und von überall her für das Unternehmen Beiträge sammeln, und er getraut sich, das nötige Geld dafür aufzutreiben‹. Von Wagners Züricher Freunden war der kaustische Dr. Wille schon von seinem Hamburger Aufenthalt her seit lange mit Liszt bekannt, mit Baumgartner, Sulzer, Herwegh war die Bekanntschaft und Freundschaft schnell geschlossen. In den Erinnerungen der Frau Wille findet sich die Erwähnung der damaligen Begegnung ihres Mannes mit Liszt in Wagners Hause in jenen glücklich erregten Tagen. Auf Liszts Auseinandersetzung, daß es für Wagner selbst im Falle einer Amnestie an den deutschen Bühnen keine taugliche Stellung gebe, er brauche eine eigene Bühne, Sänger, Orchester, kurzum Alles nach seinem eigenen Sinn, habe Wille, als hörte er zum erstenmal von des Meisters großem Plane, bedenklich gemeint: ›Das dürfte wohl über eine Million kosten?‹ Worauf Liszt plötzlich auf französisch, wie das bei besonderer Erregung seine Art war, ausgerufen habe: ›Il l'aura! le million se trouvera!‹ Charakteristisch ist dabei nicht allein Liszts enthusiastische Entgegnung, sondern namentlich auch das ängstlich besorgte Mißtrauen in Willes finanzieller Veranschlagung Offenbar nahm er Liszts begeisterte Zustimmung zu so überschwänglichen Plänen nur mit Besorgnis auf. So gemahnt uns sein zaghafter Einwand recht auffallend an jene naive Äußerung Gottfried Kellers nach einem anderen späteren Besuche Liszts in Zürich: ›Wagner sei durch die Anwesenheit Liszts, der seinetwegen nach Zürich kam, wieder sehr rappelköpfisch und eigensüchtig geworden, denn dieser bestärke ihn in allen seinen Torheiten.45 Der selbstgenügsamen Weisheit der Züricher galt gerade die Lebensaufgabe des befreundeten Künstlers als seine ›Torheit‹, die man ihm um seiner Genialität willen nachsah. Doch trug die Fülle berauschender Eindrücke in diesen bunten Tagen immerhin das Ihre zu glücklicher Verwischung der Grenzen von Weisheit und Torheit bei, und das Band einer wechselseitigen Anhänglichkeit schlang sich für alle Zukunft um Liszt und die aufrichtigen Schweizer Freunde des Meisters. Dem redlichen Baumgartner sendet er noch aus der Ferne brieflich durch Wagner einen ›ordentlichen shake hand‹; der ›Grütli-Bruder‹, dem er alles Freundschaftliche sagen läßt, ist Georg Herwegh, der gelegentlich ihres oben erwähnten gemeinschaftlichen Ausfluges an den Vierwaldstätter See in die Brüderschaft beider Meister mit aufgenommen worden war. Als nämlich das Boot, das die drei Eidgenossen der Künste trug, am Fuß des Grütli angelangt war, schlug Liszt vor, bei den drei Quellen des Grütli Brüderschaft zu trinken, was begreiflicherweise ein warmes Echo fand. Die Brüderschaft bezog sich speziell auf [21] Herwegh, der bis dahin sich noch nicht mit Wagner und Liszt geduzt hatte.46 Zu den Teilnehmern der Zeltwegtage gehörte auch das damals wiederum in der Schweiz weilende Kummersche Ehepaar und Emilie Ritter.47 Wie schnell waren die Stunden des Beisammenseins beider großen Freunde vorübergeeilt! Als nächste Vereinigung war für den Anfang Oktober, nach dem Karlsruher Musikfest, ein Zusammentreffen in Basel verabredet. Wie nahe Liszt gerade durch dieses erneute persönliche Leben, Hören und Mitteilen dem Meister getreten war, klingt in seinem nächsten an Wagner gerichteten Briefe nach: mit Beziehung auf dessen vielgeliebten vierfüßigen Freund und eigentlichen Intimus Peps, den er nun ebenfalls kennen gelernt, bezeichnet er sich darin in scherzhafter Unterschrift als ›Doppel-Peps‹ oder ›Double extract de Peps‹. In Gesellschaft Herweghs gab ihm Wagner das Abschiedsgeleit bis zum Posthaus. ›Nachdem wir Dich uns hatten entführen sehen, sprach ich mit Georg kein Wort mehr: still kehrte ich nach Haus zurück, Schweigen herrschte überall!‹ – Mit Wagners grauem Filzhut, den Liszt auf seinem Kopfe mit sich entführte, war dieser übrigens (in jenen Tagen vollster Blüte politischer Reaktion!) in Karlsruhe nahe daran, polizeiliche Schwierigkeiten zu erdulden. Zufällig davon avisiert, konnte er ihn gerade noch rechtzeitig mit einer anderen harmloseren Kopfbedeckung vertauschen, um nicht an der Grenze für einen ›roten Republikaner‹ gehalten zu werden!

Wenige Tage nach Liszts Scheiden von Zürich, am Vorabend seiner eigenen Abreise nach Graubünden, hatte der allein zurückgebliebene Meister noch eine große Feierlichkeit zu überstehen. Das Gerücht davon bewegte schon seit acht Tagen die Stadt. Zwei Züricher Gesangvereine, der Stadtsängerverein und die Harmonie, hatten ihn in Folge des Maifestes zu ihrem Ehrenmitgliede ernannt. Die solenne Überreichung der auf diese Ernennung bezüglichen Urkunde sollte mit einem ungeheuren Fackelzuge und verschiedenen gesanglichen Ovationen vor sich gehen, wozu sich die beiden genannten Gesangvereine mit dem Orchester des ›Harmonie‹-Musikvereins verbunden hatten. Eine ansehnliche Estrade für das Orchester und die Sänger war zu diesem Zweck vor seinem Hause mitten auf dem Zeltweg aufgezimmert, und dem Gefeierten konnten die Vorbereitungen auf etwas Ungewöhnliches nicht entgehen. ›Ich glaubte zuerst‹, so sagt er selbst ›mir würde ein Schaffott errichtet!‹ Gegen Abend begann sich die breite Straße mit einer wogenden Zuschauermasse zu füllen, dann nahten die Sänger unter rauschender Musik in feierlichem Fackelaufzuge. ›Es wurde gespielt und gesungen – Reden wurden gewechselt und von einer unabsehbaren Menschenmasse wurden mir Hochs [22] gebracht. Ich möchte fast, Du hättest die Festrede gehört; sie war ungemein naiv und treuherzig: ich ward als völliger Heiland gefeiert.‹48 Nach dem Bericht der ›Eidgenössischen Zeitung‹ war der Redende der Präsident des Stadtsängervereins, Professor Karl Keller. In schwungvoller, weithin schallender Ansprache brachte er im Namen der Versammelten dem ›Reformator‹ und ›Begründer einer höheren, würdigeren Kunst- und Geschmacksrichtung‹ seine Huldigung dar und sprach die Hoffnung aus: ›es möge der aus seinem Vaterlande Verstoßene ferner zum Stolz und zur Freude aller in der schönen freien Schweiz verweilen‹, worauf Wagner vom Fenster seiner Wohnung aus in herzgewinnender Gegenrede dankte und sein ferneres Wirken in Zürich zusagte.49 ›Es war recht hübsch und feierlich, und mindestens ist mir in meinem Leben so was noch nicht begegnet‹, schreibt er darüber an Liszt, und dieser erwidert ihm mit herzlichem Anteil: ›Die Züricher haben sich ganz vortrefflich benommen, – schade, daß Doppel-Peps nicht mehr da war, er hätte mitgetrommelt und mitgefackelt aus vollem Herzen!‹50

Anderen Morgens reiste er in Begleitung Herweghs an seinen Kuraufenthalt St. Moritz im Engadin. Der bis dahin sonnige Himmel hatte sich in ein ödes Gran gehüllt, der Regen goß in Strömen. Abends in Chur angelangt, fanden sie den einzigen Postwagen von Chur nach St. Moritz schon besetzt und mußten sich wohl oder übel dazu entschließen, bei fortdauerndem Regengrau zwei Nächte und einen Tag in der Hauptstadt des Kantons Graubünden zu verbringen, bevor sie die weitere Reise in die wilde Gebirgseinsamkeit von St. Moritz antreten konnten. Auch der Aufenthalt in St. Moritz selbst brachte nicht eben viel Erfreuliches mit sich. Die Umgebung war ›großartig, aber schrecklich reizlos.‹ Im Anfang machte er mit Herwegh Ausflüge auf die Gletscher und in benachbarte Täler. ›Den Julier‹, meldet Herwegh brieflich nach Zürich, ›haben wir bei Sonnenschein überstiegen, von dem hier (in St. Moritz) weniger zu sehen ist, was den Aufenthalt Wagners bedeutend abkürzen könnte. Wir waren heute (18. Juli) einige Stunden weiter gefahren nach Samaden, Bevers, Zutz, um den Bernina zu Gesicht zu bekommen. Der wollte sich aber auch nicht sehen lassen und so wollen wir ihm denn direkt zu Leibe.‹ Diese Absicht wurde bereits am folgenden Sonntag (24. Juli) ausgeführt. Der verwöhnte Herwegh nennt das Unternehmen eine ›fast gefährliche Tour‹; Wagner fühlte sich in diesen wilden Erhabenheiten ganz in seinem Elemente. ›Vorgestern‹, schreibt er an Liszt, ›trieben wir uns einen halben Tag auf Gletschern herum; Herwegh muß mit aushalten: ich lass' ihn nicht aus dem Garne‹.51 Aber diese Ausflüge sollten sich nun wieder mit der Mineralwasserkur nicht vertragen, und so blieb er endlich ausschließlich auf [23] den kleinen Ort mit seinen, damals noch recht primitiven Einrichtungen beschränkt. ›Ich sitze hier, zwischen Eis und Bären – wer mich lieb hat, holt mich weg!‹ meldet er dem alten Fischer nach Dresden. ›Jetzt glühe ich vor Sehnsucht, nach Italien zu kommen! Vor Ende August will ich aber die Reise nicht antreten: erst im September soll es für uns in Italien behaglich werden.‹52 Auch beschäftigte ihn der Gedanke an das geplante Wiedersehen mit Liszt, nach dem für den September angesetzten Karlsruher Musikfest. Als geeigneter Ort für das verabredete Rendezvous trat in seiner Vorstellung, anstatt des ›trivialen Basel‹, immer mehr Paris in den Vordergrund, wohin sich Liszt von seiner Rückkehr nach Weimar ohnehin, in Familienangelegenheiten, zuerst noch zu begeben hatte. Nach Liszts zustimmender Erwiderung stand es nun für ihn fest, daß er diese Gelegenheit dann ausnutzen wolle, sich dort erst noch eine kurze Zeit zu zerstreuen, bevor er, um seine große Arbeit aufzunehmen, sich wieder in seiner biederen Schweiz festsetzte

So kehrte er denn gegen die Mitte August, immer in Herweghs Begleitung, nach Zürich zurück, um schon zehn Tage später, am 24. abends, seine seit Monaten ersehnte Reise anzutreten. Über Bern, wo er mit dem französischen Gesandten über die Visierung seines Passes nach Frankreich verhandelte, begab er sich nach Turin, von Turin nach Genua Erfrischend, ja berauschend wirkte hier auf ihn der Anblick einer üppig herrlichen Natur, des bewegten südlichen Lebens; aber nicht auf die Dauer. Im Hinblick auf den eigentümlich zwingenden Zug und Drang, der auch Goethe so in den Süden geführt, schreibt er vielmehr noch in späterer Zeit (1871) von dieser Reise: ›Was Goethe, seufzend und tief trauernd, in unsere nordischen Gefilde zurücktrieb, ist gewiß nicht bloß aus seinen persönlichen Lebensverhältnissen zu verstehen Wenn auch ich zu verschiedenen Malen in Italien eine neue Heimat aufsuchte, so deute ich das, was mich davon zurücktrieb, vielleicht am glücklichsten an, wenn ich sage, daß ich den naiven Volksgesang, den noch Goethe auf den Straßen hörte, nicht mehr vernahm, und dagegen den heimkehrenden Arbeiter des Nachts in affektierten und weichlich kadenzierten Opernphrasen sich ergehen hörte. Gewiß mag es tiefer liegen (als in einer krankhaften Verstimmung), was meine Gehörphantasie in Italien so empfindlich machte. Sei es ein Dämon oder ein Genius, der uns oft in entscheidungsvollen Stunden beherrscht – genug: schlaflos in einem Gasthofe von La Spezzia ausgestreckt, kam mir die Eingebung meiner Musik zum »Rheingold« an; und sofort kehrte ich in die trübselige Heimat zurück, um an die Ausführung meines übergroßen Werkes zu gehen.‹53 ›In Genua wurde ich unwohl, fühlte mit Schrecken mein Alleinsein, wollte Italien noch forcieren, ging nach Spezzia; das Unwohlsein nahm zu: an Genuß war nicht zu denken. Da kehrte ich um, – um zu krepieren[24] – oder – zu komponieren – Eines oder das Andere: nichts sonst bleibt mir übrig. Da hast Du meine ganze Reisegeschichte, – meine »italienische Reise«!‹54 Über Mailand wandte er sich, plötzlich und unvermittelt, nach Zürich zurück, wo er – nach kaum dreiwöchentlicher Abwesenheit – wieder eintraf: ›unwohl, verstimmt, zum Sterben bereit!‹

Bei großer Sehnsucht, jetzt endlich an seine Arbeit zu gehen,55 hielt er trotzdem noch an dem verabredeten Rendezvous mit Liszt fest. In Zürich fühlte er sich allein, und – mochte doch Niemand sehen.56 Während ihm bereits die Themen und Melodieen der Rheingoldmusik aus dem Innern zu quellen beginnen, beschäftigt ihn während der nächsten Wochen, außer den unvermeidlichen geschäftlichen Korrespondenzen, zu denen ihn die Schicksale seiner Werke auf den deutschen Bühnen beständig veranlaßten, nur die Feststellung der Modalitäten des verabredeten Zusammentreffens in Basel und in Paris. Der Visierung seines Passes nach letzterem Orte stellten sich nun plötzlich noch unvorgesehene Schwierigkeiten seitens der französischen Regierung in den Weg. Polizei überall! Doch stammt aus dieser Wartezeit auch eine briefliche Erwiderung an Spohr (17. Sept.), der ihm mit bewährter Teilnahme über die Erfolge seines ›Tannhäuser‹ in Kassel berichtet, – Erfolge, die sehr wesentlich den eifrigen Bemühungen des ehrwürdigen Altmeisters zu danken waren!57 Dagegen blieb ein fünf Bogen starker Brief Röckels mit eingehenden kritischen Bemerkungen zu der, nun auch von dem armen Gefangenen gelesenen Dichtung des Nibelungenringes, unbeantwortet, – dazu fühlte er sich eben jetzt nicht in der Verfassung. Er lebte auf, als der Monat da war, der ihn aufs Neue in die Arme des Freundes führte. Man kann in seinen Briefen verfolgen, wie ungeduldig er die Tage bis dahin abzählt.58 Als eigentlichen Zweck der Zusammenkunft beider Meister bezeichnet Pohl die Verständigung darüber, wann und wo das Nibelungen-Theater errichtet werden sollte.59 Diese Behauptung ist ungenau. Aus allen gleichzeitigen brieflichen Zeugnissen geht mit unwidersprechlicher Bestimmtheit hervor, daß es beiderseitig allein das [25] freundschaftliche Verlangen nach fortgesetztem persönlichen Verkehr gewesen sei. Von Liszts Seite außerdem noch der Wunsch, dem Verbannten eine Anzahl begeisterter junger Künstler zuzuführen, die alle sehnlichst danach begehrten, den Meister von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Um ihretwillen bittet er Wagner angelegentlich: den langweiligen Weg von Zürich nach Basel nicht zu scheuen und jedenfalls am Abend des 6. Oktober sich in Basel einzustellen.60 Als Versammlungsort war der Gasthof zu den ›drei Königen‹ bestimmt, weil es dort ›hübsche Zimmer‹ gab und ›einen Balkon auf den Rhein hinaus‹.61

Liszt kam direkt vom Karlsruher Musikfeste,62 in seinem Gefolge Hans von Bülow, Joseph Joachim, Peter Cornelius, Dionys Pruckner, der ungarische Violinspieler Reményi, Richard Pohl, mit seiner ihm kürzlich angetrauten jungen Frau, der aus Karlsruhe gebürtigen Harfenvirtuosin Jeanne Eydt. Es waren die hauptsächlichsten Freunde und Schüler Liszts aus seiner Weimarer Periode, zu deren persönlicher Bekanntschaft mit dem verbannten Meister er durch diesen gemeinschaftlichen Besuch beitragen wollte. Das musikalische junge Weimar kam, um dem gemeinsam verehrten Heros seine Huldigungen darzubringen, voll sprühenden Lebens und flammenden Enthusiasmus, wie ihn Wagners Werke und Liszts tief anregende Persönlichkeit in jenen verheißungsvollen Jahren wachgerufen. ›Welche Studien enthielten die Proben zu den großen Musikaufführungen‹, ruft Cornelius in später Rückerinnerung daran, ›welche Wunder erlebte man an Liszts Gehör, an seiner leitenden und darstellenden Hand, an der Art, wie er sich mitzuteilen, wie er zu begeistern, zu elektrisieren wußte! Welche Freude gemeinschaftlichen Strebens und Zusammenwirkens bot das neidlose Verhältnis der jüngeren Kunstgenossen mit ihrem Anschmiegen an den leitenden Geist und Willen ihres Meisters! Wie fröhlich waren unsere Abende, wie laut unsere Nächte! Das Motiv des fliegenden Holländers war unser Erkennungszeichen im sternlosen Dunkel, die Königsfanfare aus dem Lohengrin unser letzter Gruß, wenn wir uns von Liszt trennten, und die siegestrunkene Posaunenmelodie [26] vor dem dritten Akt des Lohengrin sangen wir dem ersehnten Meister Wagner entgegen, als wir im Künstler-Extrazuge den Verbannten in der Schweiz aufsuchten!‹63

Für die Schilderung der Baseler Tage erteilen wir an dieser Stelle Richard Pohl das Wort, der zu wiederholten Malen ausführlich darüber berichtet hat.64 ›Den Gipfelpunkt der Karlsruher Festtage bildete jener gemeinschaftliche Besuch bei Richard Wagner, welcher von Zürich nach Basel kam, um dort mit Liszt zusammenzutreffen. Bülow, Joachim, Cornelius, Pruckner, Reményi und ich durften Liszt begleiten. Wagner durfte die Grenze nicht passieren, – das wußten wir, und wußten auch, daß alle Besucher Wagners überwacht und an der Grenze kontrolliert werden, wie wir auf der Rückkehr aus der Schweiz zu unserem Ergötzen erproben sollten.65 Daß uns dies nicht abhielt, mit Jubel in Basel einzuziehen, verstand sich von selbst. Wagner persönlich kennen zu lernen, von ihm selbst den Vortrag seiner Nibelungen-Dichtung zu hören, mit ihm in solcher Umgebung mehrere Tage verkehren zu dürfen, – soweit hatten sich meine kühnsten Wünsche niemals verstiegen.‹ Er berichtet des Näheren über die Begegnung mit dem Meister, der, zuerst am Orte, im Speisesaal des Gasthofes der Ankommenden harrte, und gedenkt insbesondere einer kleinen, harmlosen Episode, die wir ihm aus guten Gründen nicht nacherzählen,66 die ihm aber dazu dient, von der ›hinreißenden Herzensgüte und Teilnahme Wagners‹ ein sprechendes Zeugnis abzulegen, als ›eines von den vielen liebenswürdigen Zügen, welche beim persönlichen Verkehr mit dem Meister seine Umgebung oft rührte, oft entzückte.‹ So ward der erste Abend dieses frohen Zusammenseins mit Liszt und seiner jugendlichen Gefolgschaft in großem Jubel und begeisterter Erregtheit verbracht; die enthusiastische Ausgelassenheit Liszts kennzeichnet sich dadurch, daß er mit Bülow ›in Kirschwasser Brüderschaft trank.‹67 Am folgenden Tage (Freitag [27] 7. Oktober) traf dann auch die Fürstin Wittgenstein mit ihrer damals kaum fünfzehnjährigen Tochter, der Prinzessin Marie,68 und deren Cousin Eugene Wittgenstein69 in Basel ein. Dieser versammelten Gesellschaft habe dann Wagner aus seiner Ring-Dichtung vorgelesen. Pohl nennt zunächst die Dichtung des ›Siegfried‹, und fährt dann fort: ›ich erinnere mich jedoch deutlich, daß uns Wagner auch die Nornen-Szene aus der »Götterdämmerung« (damals noch »Siegfrieds Tod« genannt) vorlas. Dem allgemeinen Drängen, von der Musik zum »Rheingold« Einiges zu spielen, gab er nur widerstrebend und spärlich nach. Er war damals mit der dritten Szene, in Nibelheim, beschäftigt,70 spielte uns Mimes Lied,71 Alberichs Zauber- und einige andere Motive, sonst nichts.‹ Von des Meisters wenig ausgebildeter, aber ganz eigentümlicher Klaviertechnik bemerkt der Erzähler bei dieser Gelegenheit, sie sei namentlich ›durch seltsame Fingersätze charakterisiert gewesen.‹ ›Auf Wagners Wunsch spielte aber nunmehr Liszt ihm die große Sonate op. 106 von Beethoven so, wie sie niemand ihm jemals nachgespielt hat und nachspielen kann, und dies auf einem sehr mittelmäßigen Pianino, das wir in der Eile in Basel auftrieben.‹ Lange Zeit war es Wagners sehnlicher Wunsch gewesen, Jemanden anzutreffen, der ihm die große B dur-Sonate, op 106, zu Gehör bringen könnte. Erst von Liszt ward ihm bei diesem Anlaß sein Wunsch in einer Weise erfüllt, daß er in der Erinnerung daran noch nach Jahren ausrief: ›Ich frage alle die, welche im vertrauten Kreise z.B. das 106. und 111 Werk Beethovens, die zwei großen Sonaten in B und C, von Liszt spielen hörten, was sie vorher von diesen Schöpfungen wußten, und was sie dagegen nun von ihnen erfuhren?‹ Von der zukünftigen Aufführung des ›Ringes‹ war natürlich unausgesetzt die Rede, wodurch eben in dem jungen Zuhörer die bereits erwähnte irrige Vorstellung geweckt wurde, die Verständigung über das Wann und Wo dieser Aufführung sei der ›eigentliche [28] Zweck‹ dieser Zusammenkunft gewesen. ›Liszt hatte zunächst Weimar im Auge; dem stand aber einesteils der Mangel an disponibeln großen Mitteln, andernteils der Umstand entgegen, daß Wagner nicht nach Deutschland kommen durfte. Nun hoffte zwar Liszt alle Hindernisse zu überwinden, und namentlich durch den Großherzog von Weimar auch am Kgl. sächsischen Hofe die Amnestie Wagners schließlich erwirkt zu sehen, – indessen lag das noch in weiter Ferne. Wagner hatte anfänglich an Zürich gedacht, aber bald erkannt, daß die Schweizer ihm dabei nur wenig förderlich sein würden. In Basel kamen nun Wagner und Liszt auf den Gedanken, Straßburg, das so dicht wie möglich an der deutschen Grenze lag, und von überall her leicht zu erreichen war, zum »Nibelungenhort« zu wählen. Straßburg wäre überdies auch, als halb deutsche Stadt, zum internationalen Sammelpunkt vorzüglich geeignet gewesen.‹

Von Basel aus ging es tags darauf (Sonnabend) in voller Gesellschaft nach Straßburg, um sich dann nach verschiedenen Richtungen hin zu trennen. Die jugendliche Gefolgschaft begab sich von hier aus wieder auf deutsches Gebiet, während Wagner mit Liszt und den Frauen die Reise nach Paris fortsetzte. Eine Erinnerung an den ›heiligen Sonntag vor dem Münster‹ und die ›göttliche Turmspitze‹ findet sich in einem seiner nächsten Briefe an Liszt. ›Der Münster hat mir einen so erhebenden, einzig imposanten Eindruck gemacht, daß ich jetzt noch darüber glücklich bin‹, schreibt auch Bülow einige Tage darauf an seine Mutter. Spät abends kam man in Paris an, wo Liszt am folgenden Morgen seine Kinder besuchte, die damals mit ihrer Gouvernante (Mme. Patersi) in der Rue Casimir Perrier 6 wohnten: die Schwestern Cosima und Blandine im Alter von sechzehn und achtzehn Jahren; der Knabe Daniel vierzehnjährig. Eine Zeichnung Ary Schefers aus jener Zeit zeigt die beiden Schwestern innig verbunden in ihrer hold erblühenden ersten jungfräulichen Lieblichkeit. Die Kinder sahen nach achtjähriger Trennung den Vater wieder, der bis dahin aus der Ferne ihre Erziehung überwacht und geleitet. Es war am Montag den 10. Oktober; der Abend desselben Tages führte auch Wagner in die enge Wohnung der Rue Casimir Perrier. Berlioz kam hinzu, und hier, vor dem allerwunderbarsten Publikum, fand durch den Vortrag von ›Siegfrieds Tod‹ die in Basel begonnene, in Straßburg unterbrochene Vorlesung der ›Ring‹-Dichtung ihren Abschluß. Von ferneren gemeinsamen Erlebnissen, wie sie in jenen rauschenden Pariser Tagen sich gedrängt zu haben scheinen, finden wir in den brieflichen Rückerinnerungen Wagners nur eines Zusammenseins bei der Frau v. Kalergis-Nesselrode gedacht. Er musizierte dort auf die ihm eigene Art, indem er Bruchstücke aus seinen Werken am Flügel vorführte, ohne jedoch selbst eine rechte Befriedigung davon zu gewinnen. Die deutschen Journale erfuhren nicht sobald von seinem Aufenthalt – in Gesellschaft Liszts! – in Paris, als sie mit ihren [29] Kombinationen schnell hinterher waren. Das internationale Preßbureau Meyerbeers suchte diesen Aufenthalt sogleich mit der vermuteten Intention einer dortigen Aufführung seiner Werke in Zusammenhang zu bringen. Bereits wußte man Oper und Bühne, nämlich ›Tannhäuser‹ und Théâtre lyrique, namhaft zu machen. Zu keiner Zeit war er weiter von einer solchen Absicht entfernt. Mit Liszt gemeinsam wohnte er dagegen einer vollendeten Aufführung der letzten Beethovenschen Quartette (in Es dur und Cis moll) durch eine Gesellschaft französischer Musiker bei. Durch nichts konnten ihm die großen Nachteile des gesamten deutschen Musikwesens wieder deutlicher sich aufdrängen, als durch die vollendete Wiedergabe dieser wunderbaren Tonwerke in der französischen Hauptstadt. Sie galten damals den allermeisten deutschen Musikern noch für gänzlich problematisch: ›ich entsinne mich, von ausgezeichneten Virtuosen der Dresdener Kapelle, mit Lipinski an der Spitze, diese Quartette noch mit einer solchen Undeutlichkeit vorgetragen gehört zu haben, daß sich Reißiger für berechtigt halten konnte, sie für reinen Unsinn zu erklären.‹ Mit dem, hier durch französische Künstler erzielten Erfolge verhielt es sich dagegen ganz ähnlich, wie einst mit der neunten Symphonie unter Habeneck: sie verdankten ihn dem redlichen Fleiße, welchen sie jahrelang ihrer Aufgabe widmeten und der auch hier, von dem gleichen richtigen Gefühle geleitet, einzig auf den Gewinn des richtigen Vortrages für die gesangsmelodische Substanz dieser anscheinend so schwer verständlichen Werke gerichtet war.72 Schon am folgenden Sonntag, nach kaum achttägigem Aufenthalt, verließ Liszt mit seiner Gesellschaft Paris. ›Da stehe ich noch und starre Euch nach! – mein ganzes Wesen ist Schweigen,‹ ruft ihm Wagner in seinen brieflichen Zeilen vom 16. Oktober nach.73 ›Morgen reife ich zurück. Deine Kinder sehe ich noch. Die Kalergis traf ich nicht: ich zweifle, ob ich sie noch sehe. Entschuldige mich bei ihr.‹

Die Absicht, ›morgen‹ nach Zürich zurückzukehren, wurde allerdings wieder aufgegeben. Veranlassung dazu waren die alten Pariser Freunde Kietz und Anders, die ihn, einmal am Orte, nicht so leichten Kaufes wieder losließen. Im Gegenteil: anstatt abzureisen, berief er vielmehr, wie das Jahr zuvor auf seiner Reise an die oberitalienischen Seen, noch nachträglich Minna zu sich. Nach ihrer Ankunft verbrachte er mit ihr noch ungefähr acht Tage im Umgange mit den alten Genossen der schweren Zeit seines frühesten Pariser Aufenthaltes, ehe er – gegen Ende Oktober – nach Zürich zurückging. In einem Briefe an Liszt rekapituliert er die Erlebnisse dieser vierzehn Tage: ›Die Kinder sagten mir, sie hätten einen Brief von Dir bekommen, worin Du geschrieben, daß Ihr sehr schnell nach Weimar zurückgegangen, und dort bis zu Deinem Geburtstage [30] einsam, ohne Jemand zu sehen, geblieben wäret. An Deinem Geburtstage habe ich in Paris musiziert: meinen zwei bis drei alten Pariser Freunden (einen davon hast Du genossen!) mußte ich endlich einmal etwas von mir zum besten geben. Von Erard erhielt ich einen Flügel ins Haus, der mir die fanatische Sehnsucht beigebracht hat, mit einem solchen Flügel noch fliegen zu können, müßte ich auch erst den Fingersatz noch lernen! Da habe ich denn nun am Boulevard des Italiens getannhäusert und gelohengrint, als wenn Ihr dabei wäret: die armen Teufel wußten gar nicht, warum ich so außer mir wäre! Besser gings doch aber, als bei der Kalergis – trotzdem daß Ihr dort dabei waret: – warum?! – Sie, die Kalergis, habe ich richtig nicht wiedergesehen: ein paar Zeilen von mir haben mich, denke ich, entschuldigt. Außerdem erhielt ich noch den Besuch eines Agent de Police, der mir (nach glücklich bestandenem Examen) die Versicherung gab, ich dürfte mich einen ganzen Monat in Paris aufhalten. Die Antwort, daß ich schon früher abreisen würde, setzte ihn in Erstaunen, so daß er wiederholte, ich dürfte ja einen ganzen Monat bleiben. Ach, der gute Mann! Ach, das liebe Paris! – Den Kaiser sah ich auch noch: was will man mehr?‹

Auf der Rückreise über Straßburg erblickte er den Münster wieder; Minna stand mit ihm davor, es war trübes regnerisches Wetter. ›Die göttliche Turmspitze konnten wir nicht sehen, – sie war in Nebel gehüllt‹ – ›Vorgestern bin ich wieder hier (in Zürich) angekommen: Peps empfing mich freundlichst am Wagen; dafür hab' ich ihm auch ein schönes Halsband, mit seinem (so heilig gewordenen!) Namen darauf graviert, mitgebracht. Er kommt mir nun nicht mehr von der Seite: des Morgens weckt er mich am Bett; es ist ein liebes gutes Tier! –‹

Fußnoten

1 Briefwechsel mit Liszt I, S. 199.


2 Ebenda, S. 230.


3 Briefe an Uhlig, S. 132.


4 Ebenda, S. 134


5 Briefe an Uhlig, S. 59.


6 Ebenda, S. 134


7 Ebenda, S. 298.


8 Ebenda, S. 134.


9 Ebenda, S. 144.


10 Vgl. Wagner an Uhlig, 12. Jan. 1852: ›Das Einzige, was mich in glücklicher Täuschung erhalten könnte, bleibt mir aus: – Teilnahme, wirkliche, meinem Ohr laut werdende Teilnahme!‹


11 Ebenda: ›Da sitz' ich nun wieder, mit all meinem Wünschen, Dichten und Trachten: unerträglich klar seh' ich, daß alles mir unbefriedigt und zwecklos bleiben muß! Leider, leider – überall, wo ich anklopfe!


12 Allgem. Musikzeitung 1896, Nr 7, S. 94.


13 Briefwechsel mit Liszt I, S. 218. 230


14 An Fischer, 23. Aug. 53.


15 Es sind Züricher Erfahrungen, die sich in den monologischen Betrachtungen des Nachlaßbandes aussprechen, wie folgt: ›Der Umgang mit dem Genie hat das Unangenehme, daß seine übermäßige Geduld, ohne welche es in dieser Welt gar nicht auskommen könnte, uns in der Art verwöhnt und übermütigmacht, daß wir diese endlich einmal zu überreizen uns veranlaßt fühlen, was uns dann sehr erschreckt.‹ (Entwürfe, Gedanken, Fragmente S. 93).


16 Vgl. hierzu die drei charakteristischen Stellen im Briefwechsel mit Liszt, die über das Vorlesen seiner Dichtungen handeln: I, S. 135. 226. 271.


17 Die humoristische Anspielung auf die Familie Wille (Vorlesung der ›Ring‹-Dichtung im Willeschen Hause, Dezember 1852, vgl. Bd. II, S. 443) war Herwegh am besten verständlich, da sie sich gerade auf sein Urteil über die gemeinschaftlichen Freunde bezog, denen er keine erhebliche Fassungskraft für die Ideen des Künstlers zuschrieb.


18 Band III, S. 408.


19 ›Noch heute wird auf der hohen Promenade die steinerne Bank mit Tischen beim Nägeli-Denkmal als Wagnerhistorisches Plätzchen bezeichnet‹ (Hans Bélart in der Zeitschrift ›Die redenden Künste‹, III S. 1074/75.)


20 Dr. H. Rollet in seinem bereits zitierten ›Gedenkblatt‹.


21 An Liszt I, S. 237.


22 An Ferd. Leine, 9. März 53. Eine verkleinerte Kopie der damals erschienenen Lithographie ist der ersten Abteilung dieses Bandes als Titelbild vorgedruckt; auf diese lithographische Kopie mimt auf das Original! bezieht sich Wagners Kritik: ›ich finde die Augenbrauen und den Mund zu stark‹ (an Fischer, 1. Juli 53, nach dem Erscheinen der lithographischen Vervielfältigung).


23 Ein unklares Gefühl davon, daß es sich einem so außerordentlichen Genie gegenüber allerdings sehr wohl geziemt haben würde, ihm sein Dasein in jeder Hinsicht zu erleichtern, legt den verschiedensten Erzählern von Episoden aus Wagners Leben, mit Beziehung auf die verschiedensten Besitzer ›prächtig eingerichteter Läufer oder Villen‹ die gleiche wohlfeile Redensart in den Mund. Mit Beziehung auf die treffliche Frau Stockar hat sich unseres Wissens zuerst der bereits zitierte (Band II1, S. 425), über die Privatverhältnisse Wagners völlig unwissende, Dr. Rollet jener leichtfertigen Phrase bedient; buchstäblich die gleiche Wendung finden wir aber auch in dem Aufsatze ›Richard Wagner im Exil‹ (Allgem. Musikzeitung 1885, S. 190). Offenbar nur, weil sie so schön klingt; denn der Verf. des letzteren Berichtes hebt sie in einer erläuternden Anmerkung durch Erwähnung des regulären Mietverhältnisses selbst wieder auf! Dafür kann aber Jeder, der sich die Mühe nimmt, die zitierte Zeitschrift nachzuschlagen, sogleich in demselben Jahrgang auf der gegenüberstehenden Seite 191, mit Beziehung auf Wagner späteren Aufenthalt in Paris die ganz ebenso fabelhafte, total aus der Lust gegriffene Behauptung eines anderen Erzählers finden: der reiche Baron Erlanger, habe die Villa in derRue Newtonfür den Meister gemietet‹. Und so fort auf jeder Lebensstation des Vielgeprüften, zuweilen in schneidend grausamem Widerspruch zur Wirklichkeit: überall waren ihm Wohnungen oder Villen im voraus ›fertig gemietet‹, ›prächtig eingerichtet‹, ›zur Verfügung gestellt‹!


24 Band II, S. 92. 195. 206.


25 Wagner an Liszt, Briefwechsel I, S. 245.


26 Doch, – es war auch in Dresden möglich! Die obigen Worte sind unter dem täuschenden Eindruck der scheinbaren Wiedererweckung des ›Tannhäuser‹ in Dresden, im Oktober 1852 (vgl. Band II1, S. 437/39), geschrieben; tatsächlich wurde das Werk nach drei Aufführungen wieder fallen gelassen, und bis zum Jahr 1858 blieb Meyerbeer der unangefochtene Beherrscher auch der Dresdener Oper (ebenda S. 439 Anmerkung).


27 Wagner an Liszt I, S. 256 und 265.


28 Band II1, S. 417 ff.


29 Briefwechsel mit Liszt I, S. 239.


30 An Liszt I, S. 244.


31 Hier das vollständige Programm: Zur Eröffnung: Friedensmarsch aus ›Rienzi‹. – Erst er Teil: Der fliegende Holländer. I. a) Ballade der Senta. b) Matrosenchor. II. Ouvertüre. Zweiter Teil: Tannhäuser: I. Festlicher Marsch und Chor, Einzug der Gäste auf Wartburg. II. a), Einleitung zum dritten Akt: Tannhäusers Bußfahrt. b) Gesang der heimkehrenden Pilger. III Ouvertüre. Dritt er Teil: Lohengrin I. Vorspiel. II. Männerszene und Brautzug aus dem zweiten Akt. III. Hochzeitsmusik (Einleitung zum dritten Akt) und Brautlied, darauf die Hochzeitsmusik wiederholt. Vgl. Briefe an Uhlig S. 133.


32 Briefe an Röckel S. 17.


33 Vgl. die darüber geführte Korrespondenz mit dem Münchener Musiker A. Wilkoszewsky, mitgeteilt durch A. Heintz in der Allg. Musikzg. 1885 S. 221/22.


34 Briefwechsel mit Liszt I, S. 243.


35 An Liszt II, S. 254.


36 An Liszt I, S. 243.


37 Ebenda.


38 An Uhlig S. 147. 207. 247.


39 Briefe an Röckel S. 19. Vgl. die ganz parallelen Ausführungen eines späteren Briefes: ›Ich bin 36 Jahr alt geworden, ehe ich erriet, was eigentlich der Inhalt meines Kunstdranges sei: solange galt mir die Kunst als der Zweck, das Leben als das Mittel. Nun war die Entdeckung allerdings zu spät, und nur tragische Erfahrungen konnten meinem neuen Lebenstriebe antworten‹. An Röckel S. 30/31.


40 Briefe an Otto Wesendonck, mitgeteilt durch A. Heintz in der Allgem. Musikzeitung 1897


41 Sybel, die Begründung des deutschen Reiches II, S. 111.


42 Frau Julie Ritter schrieb hierüber ihrem Sohne am 8. Oktober 1854: ›Am schlimmsten ist, daß diese Verleumdungen an die russische Gesandtschaft berichtet wurden, wo sie uns vielleicht wirklich schaden können. Wollen wir hoffen, daß sie dort für das angenommen werden, was sie sind: vielleicht begreifen unsere Diplomaten, daß man Wagnersche Musik lieben kann, ohne Hochverräter zu sein. Für die deutsche Polizei scheint das zu hoch zu sein‹. Friedrich Rösch, ›Alexander Ritter. Ein Mahnruf als Gedenkblatt‹ im Musik. Wochenblatt 1898, S. 175.


43 Den Wortlaut dieses schmachvollen Dokumentes haben wir bereits in Band II, S. 470 gebracht: man vergleiche dazu die wohlgemeinte anonyme Warnung an Liszts Adresse im Briefwechsel I, S. 249.


44 Vgl. Liszt, Briefe an eine Freundin S. 3: ›Il est resté chez vous un gros foulard jaune: je n'y penserais certainement pas, si un souvenir particulier ne s'y rattachait ... Gardez donc cette vilaine pièce jaune!


45 Baechtold, Kellers Leben und Briefe II, S. 378.


46 Vgl. Liszts Briefe an die Fürstin Wittgenstein I, S. 148 (resp S. 140/48).


47 Briefwechsel mit Liszt I, S. 253, wo dieser der Frau Julie Kummer, geb. Ritter und ihrer Schwester seine gesinnungsvollsten Huldigungen darbringen läßt.


48 An Liszt, Briefwechsel I, S. 254.


49 H. Bélart ›Richard Wagner in Zürich‹, Allg. Musikz. 1886, S. 363


50 Briefwechsel zwischen Wagner u. Liszt I, S. 259.


51 Ebenda S. 265


52 An Liszt, Briefwechsel I, S. 261


53 Ges. Schriften IX, 343–314 (verkürzt).


54 An Liszt I, 273. Vgl. damit den genau entsprechenden Reisebericht an Röckel: ›Ende August zog ich nach Italien – soweit es mir offen steht: Turin, Genua, Spezzia; dann wollte ich nach Nizza, um dort mich einige Zeit aufzuhalten; meine abscheuliche Einsamkeit kam mir aber gerade in dieser Fremde so sehr zu Gemüt, daß ich plötzlich – infolge eines rein körperlichen Übelbefindens – in tiefe Melancholie sank und nicht schnell genug über den Lago maggiore und den St. Gotthard nach Hause reisen konnte.‹ Briefe an Röckel S. 22.


55 An Liszt I, S. 280.


56 Ebenda I, S. 274.


57 Man vergleiche dazu die beiden Briefe Spohrs an Moritz Hauptmann vom 11. Juni 1853 und vom 27. Juni 1857.


58 Am 27. Sept. heißt es: ›Übermorgen über acht Tage sollen wir uns also sehen! wäre es doch übermorgen!‹ Zwei Tage später (29. Sept.): ›Wie geht's? Heute über 8 Tage!!!!‹ Am 2. Oktober: ›Gestern hattest Du Generalprobe: ich bin immer bei Dir! Übermorgen sage ich: »übermorgen«!‹ Briefwechsel I, S. 280.281. 282.


59 In einem Aufsatz für die Allgemeine Zeitung 1883, Nr. 98: ›Bei Richard Wagner‹. Von R. Pohl I. ›Im Schweizer Exil.‹


60 Briefwechsel, I S. 279.


61 Ebenda S. 280.


62 ›Außer der neunten Symphonie‹, berichtet R. Pohl ›waren es vor Allem die Werke von Berlioz, Liszt und Wagner, welche diesem Feste ein so charakteristisches Gepräge gaben, daß die guten Pfälzer und Schwaben, welche noch nicht einmal die Neunte kannten, darob sich entsetzten und in der Presse die konfusesten Dinge zutage förderten. Da gab es dann auch für mich zu tun: ich hielt dieses Musikfest für wichtig genug, um darüber eine Broschüre zu veröffentlichen, welche durch einen inhaltschweren Brief, den Liszt an mich richtete, und worin er sein künstlerisches Glaubensbekenntnis niederlegte, eine unerwartete Bedeutung erhielt‹. (R. Pohl, Autobiographisches S. 19.) Seine bekannte Broschüre veröffentlichte Pohl unter dem Namen ›Hoplit‹, der ihm auch bei seinen mannigfachen Artikeln für die ›Neue Zeitschrift für Musik‹ als Kampfesname diente, und welchem entsprechend sich der ihm so nahe befreundete Bülowin seinen geistvollen Diatriben und mutigen literarischen Plänkeleien den Namen ›Peltast‹ beilegte.


63 Vgl. zu diesen letzten Worten die Stelle in Liszts Brief an Wagner vom 24. Dez. 1855, an welcher Liszt erwähnt, durch diese Posaunenmelodie immer ›an unsern pompösen Einzug in den Drei König zu Basel‹ erinnert zu werden, und auch der Bedeutung gedenkt, welche der Trompeten-Einsatz der ›König-Fanfare‹ in ›unserem Neu-Weimarer Verein‹ erhalten hatte (Briefwechsel II, S. 167). Eine der mehrfachen scherzhaften Bezeichnungen, welche dieser um Liszt sich gruppierende ›Verein‹ sich beilegte, war auch der der ›Murls‹ (Mohren, Teufelskerle, nämlich: Antiphilister); Liszt war Padischa, seine Schüler und Anhänger: Bülow, Cornelius, Pruckner, Reményi, auch Karl Klindworth, dem Wagner später in London begegnete, waren Murls. Vgl. Liszts Brief an Klindworth vom 2. Juli 1854.


64 Vgl. z.B. Richard Pohl ›Bayreuther Erinnerungen‹ (Leipzig 1877) S. 11. ›Autobiographisches‹ (Leipzig 1881) S. 10. Aufsatz der ›Allgemeinen Zeitung‹ 1883, Nr. 98 usw. usw. Aus den verschiedenen Berichten, von denen der letztgenannte der ausführlichste, ist die obige Erzählung zusammengestellt.


65 Vgl S. 18/19 dieses Bandes und auch Liszts drohendes Polizei-Abenteuer mit dem von Wagner geliehenen ›Heckerhut‹ S. 22.


66 Der Nachwelt wird sie trotzdem am gehörigen Orte nicht verloren gehen.


67 Bülows Briefe II, S. 99.


68 ›Prinzeß Marie von Wittgenstein, nachmals vermählt mit dem Fürsten Hohenlohe, k. k. Obersthofmeister in Wien. Bülows Mutter ist in ihren Briefen aus Weimar voll Entzücken über ihre damalige Anmut. Sie sei »reizend wie eine Peri oder Sakuntala«, heißt es einmal von ihr, ihr »liebliches Köpfchen sehe aus einem hellblauen Krepphut hervor wie eine Wunderblume aus dem Kelch«. Ein anderes Mal: »Sie ist reizend, schön und kindlich anmutig«. Mit dem letzteren Ausdruck stimmt überein, daß sie Wagner, nach dieser erstmaligen Bekanntschaft in seinen Briefen an Liszt, mit sichtlichem Wohlgefallen, wiederholt kurzweg als »das Kind« bezeichnet und grüßen läßt (Briefwechsel I, S. 202. 294. II, S. 31. 34. 136. 142. 143. 149. 155. 184.)‹


69 Bülows Briefe II, S. 99.


70 Hier ist der Erzähler stark zerstreut! Ihm war doch wohlbekannt, daß die Komposition des ›Rheingold‹ bis auf einige vorläufige Aufzeichnungen damals überhaupt noch gar nicht begonnen war und demnach nur erst in des Meisters Kopfe lebte. Es war also schon sehr viel, daß er den Baseler Freunden einiges davon zum besten gab.


71 Eine Anspielung auf ›Mime‹ findet sich auch gleich darauf in einem Briefe Bülows an einen der Baseler Genossen, Peter Cornelius, dem er von Karlsruhe aus eine in Basel vergessene Brieftasche nachschickt, – ›ich liebe voller Mime‹.


72 Ges. Schr. VIII, S. 208/209.


73 Briefwechsel I, 282, aber mit der unrichtigen Datierung des 26., anstatt des 16. Oktobers 1853.


Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 1-32.
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