X.

Konzerte im italienischen Theater.

[238] Äußerer Verlauf des Unternehmens, Angriffe der Pariser Presse. – Berlioz. – Rossini. – Notwendigkeit den geplanten Aufführungen zu entsagen. – Napoleons Befehl zur Aufführung des ›Tannhäuser‹. – Konzerte in Brüssel. – Mittwochs-Empfänge. – Projektierte Subskription zur Deckung des Konzert-Defizits. – Übersetzung des ›Tannhäuser‹ ins Französische. – Äußerste Notlage. – Frau v. Kalergis. – E. v. Erlanger.


Noch immer kann ich nicht von hohen Zielen ablassen, noch immer schweben mir Möglichkeiten, wie die Aufführung meiner letzten Werke, vor, und noch immer werde ich dadurch verhindert, der nächsten Lebenshindernisse praktisch Herr zu werden, weil ich immer mit von der Straße und dem Wege abgewandtem, weithinblickenden Gesichte gehe, und somit über Stock und Steine des Weges empfindlich straucheln muß.

Richard Wagner.


Die Sorge für eine zweifache Unternehmung, zunächst aber für die als Vorbereitung auf das Hauptunternehmen geplanten Konzerte, das Beschaffen der dafür erforderlichen Musiker und Sänger, das Ausschreiben der Chor- und Orchesterstimmen, nahm seit den letzten Wochen des ablaufenden Jahres 1859 seine Tätigkeit völlig in Beschlag. In bezug auf den geschäftlichen Teil der Vorbereitungen stand ihm sein alter Freund Belloni, ehemals Liszts Sekretär, als wohlgeübter und altbewährter chargé d'affaires in Konzertangelegenheiten, nachdem er sich hierfür eigens mit einem Herrn Giacomelli assoziiert, tatkräftig zur Seite. Indessen bewies gleich der erste Versuch, mit wie zahllosen Schwierigkeiten ein Hervortreten an die Pariser Öffentlichkeit verknüpft sei. Schritt für Schritt mußte alles und jedes auf das teuerste erkauft und bezahlt werden. Allein schon die Gewinnung eines passenden Lokals – bei allem Überfluß der Weltstadt an prunkenden Sälen – kostete weitläufige und schwierige Verhandlungen. Um nicht im voraus, zugleich für sein beabsichtigtes größeres Vorhaben, durch eine unerhörte Saalmiete von mehreren tausend Francs für den Abend sinnlos geschädigt zu werden, wandte er sich, auf den Rat seiner, mit den dortigen Verhältnissen vertrauten Freunde, [238] besonders Gasperinis und Bellonis, mit einer schriftlichen Eingabe an den Privatsekretär Napoleons, Herrn Mocquard, um durch die Gnade des Kaisers den Saal der großen Oper kostenfrei bewilligt zu erhalten. Doch schien es, als verspüre man in denjenigen Regionen, welche die Disposition über die Räumlichkeiten der Académie Impériale de musique hatten, kein erhebliches Interesse für den fremden Künstler. Die Ursache davon sollte ihm später klar werden. Er hatte den einflußreichen Staatsminister Fould gegen sich. Einstweilen verging Woche um Woche, ohne daß auch nur eine Antwort erfolgte. Als endlich die Bewilligung eintraf, war es zu spät; der Kontrakt mit Herrn Calzado, dem derzeitigen Pächter der Salle Ventadour und Direktor der italienischen Oper, war – unter bedeutenden Opfern – bereits abgeschlossen.1 Der sehr ansehnlichen Miete entsprechend, bot der Saal des italienischen Theaters Orchester und Chören einen hinreichenden Spielraum zu ihrer Entfaltung dar. Leider kam dieser Vorteil nicht auch schon den Proben zugute; diese mußten in anderen Lokalen stattfinden. Im Saale Herz, dem historischen Ausgangspunkt der nachmals berühmten populären Konzerte Pasdeloups, disziplinierte Wagner die Truppen der Instrumentisten und wußte sie bald völlig für sich zu gewinnen, – trotz mancher abweichenden Gewohnheiten, die es einem Pariser Orchester erschwerten, den Intentionen des deutschen Meisters zu folgen. Die Chöre leitete im Saale Beethoven Hans von Bülow, eigens zu seiner Unterstützung nach Paris geeilt. Seine Aufgabe war keine leichte: es handelte sich nicht um die Einübung eines wohlgeschulten Opernchores, sondern der männliche Teil des Chorkörpers bestand größtenteils aus Dilettanten, ›honnêtes Allemands amateurs, qu'on avait réunis à la hâte pour le concert:, hauptsächlich Mitgliedern eines deutschen Männergesangvereins, Liederkranz‹!2 – Das Programm umfaßte für alle drei Konzerte dieselben Nummern. Es brachte in seinem ersten Teil die Ouvertüre zum ›fliegenden Holländer‹, und Stücke aus dem ›Tannhäuser‹: Marsch und Chor, die Einleitung zum dritten Akte, den Pilgerchor und die Ouvertüre der Oper. Der zweite Teil enthielt das Vorspiel aus ›Tristan und Isolde‹ und drei Abschnitte aus dem ›Lohengrin‹: das Vorspiel, Hochzeitsmarsch und Chor, das Vorspiel zum dritten Akt und das Brautlied mit dem Züricher [239] Schluß (S. 16); sämtliche Nummern unter persönlicher Leitung des Meisters. Es war das modifizierte Züricher Programm von 1853. Zwei Wiederholungen waren im voraus angezeigt, im Zwischenraum von je einer Woche. Als Wochentag war der Mittwoch gewählt, einer der drei wöchentlichen Abende, an denen die italienische Oper keine Vorstellung hatte.

Am Mittwoch, den 25. Januar 1860, acht Uhr abends, strömte ein so ansehnliches Publikum in dem Saale des Italienischen Theaters zusammen, wie es dieser Raum bisher noch nicht erblickt. Die 1550 Sitzplätze desselben waren schon geraume Zeit vor Beginn des Konzertes dicht besetzt. Was Paris zur Zeit an künstlerischen und rezensierenden Celebritäten, Komponisten, Virtuosen, Professoren, Künstlern und Kunstkennern in sich schloß, war hier in glänzenden Reihen vereinigt. Die Akademie war durch Auber repräsentiert, der Hof durch den Marschall Magnan; in der vordersten Reihe erblickte man Berlioz, weiterhin Gounod, Gevaert, Ernest Reyer. Selbst Meyerbeer war, wie einst zum ›Lohengrin‹ in Weimar,3 in Person auf dem Schauplatz. Der Konzertgeber hatte es verschmäht, der Pariser Presse offizielle Einladungskarten zuzusenden, um auch den Schein zu vermeiden, als wünschte er ihr Urteil durch eine ihr erwiesene Aufmerksamkeit für sich günstig zu stimmen. Trotzdem war die Vertretung des öffentlichen Geschmackes ›au grand complet‹ erschienen. ›Wer den Saal der italienischen Oper an diesem Abend nicht gesehen, der hat gar nichts gesehen‹, schrieb der Berichterstatter des ›Ménestrel‹. ›Nur der Turmbau zu Babel oder die Sitzungen des Nationalkonvents können einen schwachen Begriff von der fieberhaften Erregung des ganzen Auditoriums geben, bevor noch der erste Ton erklungen war.‹ Als der Meister erschien, bildete mit einem Schlage seine Gestalt den einzigen Punkt, auf den aller Blicke sich richteten, auf welchen von allen Seiten eine förmliche Lorgnetten-Artillerie zielte, während ihm zugleich aus allen Räumen des Hauses grüßender Beifall entgegenscholl. Im unbewegten Antlitz den Ernst eines immerhin bedeutungsschweren Augenblickes, dankte er in stummer Verbeugung dem ihm noch fremden Publikum für den Empfang, um sich im nächsten Moment den ihn umgebenden Musikern zuzuwenden, und ihnen die letzten Instruktionen zu erteilen. ›Was geht in dem Geiste des Künstlers vor‹, fragt Champfleury ›der dem Publikum den Rücken kehrt, um fünf Minuten später sich von Parisern beurteilen zu lassen, d.h. von Wesen, die Allem zuvor »amüsiert« sein wollen, und deren unmittelbarste Vertreter, die Theaterdirektoren, von jeher gegen jede Neuerung protestiert haben?‹4 – Die Klänge der Ouvertüre [240] zum ›fliegenden Holländer‹ hoben an, und von der Person des Komponisten ging die Aufmerksamkeit alsbald auf das Tonstück und den Dirigenten über, an dessen Leistung auch diesmal wieder die imponierende Gedächtniskraft auffiel, mit der er das ganze Konzert ohne Partitur dirigierte. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte das dichtgedrängte Auditorium den Verlauf des Tonstückes und begleitete seinen Schluß mit ermunternden Beifallsbezeigungen. Die feierlichen Töne des Tannhäusermarsches leiteten zündend die Fragmente aus dieser Oper ein. Es blieb dem Meister der Eindruck davon in besonderer Erinnerung, wie das Pariser Publikum, nachdem es bis dahin aufmerksam der Entwickelung des melodischen Gedankens gefolgt war, nach den ersten sechzehn Takten des ersten Cantabiles mit vollstem spontanen Beifallsturme das Tonstück unterbrach, um, gleichsam bei dem Punktum der Phrase angekommen, auf das lebhafteste seine Freude daran zu bezeigen.5 Nach dem Ausklingen der Ouvertüre hallte das Haus von dem einmütig rauschenden Applaus der versammelten Menge wieder. Deutlicher als im Saale selbst, konnte im Foyer eine richtige Anschauung des Eindrucks gewonnen werden, wo die erregte Versammlung in immer wechselnden, neu sich bildenden Gruppen in eifrigen Diskussionen durcheinander wogte. Die leidenschaftliche Entschiedenheit, mit welcher die abweichenden Meinungen vertreten wurden, bewies, wie tief der Eindruck auf alle gewesen; zugleich aber auch, daß die geschworenen Gegner eben dadurch eine nur um so beunruhigendere Vorstellung von der Wirkung dieser von ihnen bekämpften Musik empfangen hatten. Bezeichnend, und zu den verschiedensten Deutungen herausfordernd, war der Umstand, daß zu den schärfsten und absprechendsten Beurteilern gerade die Pariser ›Deutschen‹ gehörten!! Im zweiten Teile des Programmes ließ das ›Tristan‹-Vorspiel das französische Publikum unberührt, es ›interessierte die Musiker, ohne sie zu gewinnen‹. Um so unwiderstehlicher wirkte das unmittelbar darauf folgende Vorspiel zu ›Lohengrin‹ und die Musik des Brautzuges, und am Schlusse des Konzertes schien es, als hätte der Tondichter das ganze Auditorium in seinen Bann gezaubert. Die tiefe Stille der gespanntesten Aufmerksamkeit wich nach dem Verhallen der rauschenden Hochzeitsmusik, mit der ritterlichen Jubelmelodie der Posaunen, dem Losplatzen des einmütigsten Beifallsturmes. ›Der Erfolg war vollständig, die Wirkung ungeheuer‹, ließ sich Gasperini darüber im ›Courrier du Dimanche‹ vernehmen. ›Ein imposantes Publikum hat gesprochen, ein Publikum, dessen Gunst, dessen Enthusiasmus nicht käuflich sind. Es hat im Namen Frankreichs anerkannt, daß ganz Deutschland sich nicht getäuscht, wenn es in Wagner einen großen Meister, ein mächtiges Genie begrüßte. Der Versuch war kühn, er ist vollständig gelungen. Die mitwirkenden Musiker waren ergriffen von der äußersten, durchdringenden Sorgfalt, mit welcher [241] Wagner alle Teile des kolossalen Ensembles überwachte. Allen Zweifel beiseite setzend, waren sie die ersten, welche dem »furchtbaren Revolutionär« Beifall spendeten, ihn begreifen und bewundern lernten‹.6 – Ein Nachspiel, welches weniger zu der beifallgekrönten Aufnahme im Konzertsaal, als zu den aufgeregten Szenen im Foyer im Verhältnis stand, bot in den folgenden Tagen die Flut von Berichten sämtlicher großer und kleiner Pariser Journale. Diese waren fast durchweg gegnerisch gehalten. Das Faktum eines alle Erwartungen übersteigenden Erfolges ließ sich nicht leugnen; wohl aber das Mögliche und Einiges darüber gegen die Kompositionen selbst vorbringen, gegen ihren Mangel an musikalischer Empfindung, an Melodie, Rhythmus und Harmonie; und zu alledem noch darauf hinweisen, wie die soeben beklatschten Stücke doch nur aus herablassender Rücksicht auf die Ohren der Pariser aus seinen Werken zusammengestellt seien und demnach mit Unrecht als die Quintessenz der ›Wagnerschen Musik‹ betrachtet würden; was der Komponist verschwiegen, sei schlimmer als was er gesagt, und die Musik, welche das Konzert nicht gebracht, die eigentlich gefährliche etc. etc.

Ganz dasselbe wiederholte sich bei und nach den beiden folgenden Konzerten am 1. und 8 Februar, deren im übrigen unverändertes Programm nur noch die Romanze an den Abendstern als Zugabe enthielt. ›Ich wohnte allen drei Konzerten bei‹, berichtet Malvida v. Meysenbug, ›und fühlte mich wie in einem seligen Traum befangen, als ich diese Klänge vernahm, die eine andere schönere Welt, voll idealer Gestalten, voll großer, reiner, menschlicher Empfindungen, voll erhabener Leidenschaft und tiefer aus dem innersten Kern des Herzens hervorbrechender Andacht vor mir aufschlossen. Eine Welt, wie sie in den heiligsten Träumen meiner Seele mir vorgeschwebt, aus der nur die Musik mir bisher schöne, aber schmerzliche Grüße gebracht hatte, wie aus einer unerreichbaren Heimat, die nie Gestalt gewinnen könne. Hier aber fühlte ich, daß sie Gestalt gewonnen‹. Der äußere Verlauf blieb bei allen drei Konzerten der gleiche. Während der Aufführung bot der Saal, selbst in den aristokratischen Rängen, denselben Anblick einer glänzenden und begeisterten Versammlung, einer lebhaft erregten, beifallsreichen Teilnahme; nach derselben fortgesetzte heftige Angriffe der öffentlichen Blätter jeder Färbung.7 [242] Mitten unter solchen ausschweifend oberflächlichen und feindseligen Auslassungen des größten Teiles der französischen Presse standen die begeisterten Zeugnisse seiner näheren Freunde und Kenner, wie die Gasperinis im ›Courrier du Dimanche‹, sehr vereinzelt da. Andere waren von dem Hochdruck der gewaltsamen Gegenströmung mit fortgerissen. Zu den entschieden für ihn Partei ergreifenden Stimmen gehörte u.a. auch die des, bis dahin ihm persönlich unbekannten, Emile Perrin in der ›Revue Européenne‹, des nachmaligen Direktors der komischen Oper. Wirklich überraschend und ergreifend wirkte auf ihn die, gerade durch diese Konzerte hervorgerufene Annäherung bedeutenderer Geister auf dem Gebiete der französischen poetischen Literatur. So diejenige des Dichters Charles Baudelaire, der ihm seine unbedingte Sympathie und Bewunderung zunächst auf dem Wege einer privaten Mitteilung kundgab, und des geist- und gemütvollen Dichters, Malers und Bildhauers Champfleury, welcher in seiner, sogleich nach den Konzerten im italienischen Theater herausgegebenen Broschüre einen ›wunderbar ergreifenden und ganz intuitiven Blick in die Seele des deutschen Meisters tat‹.8 Noch zehn Jahre später gedenkt Wagner mit Auszeichnung des besonderen Zartgefühls dieses letzteren, bis dahin ihm ebenfalls persönlich unbekannten französischen Schriftstellers, mit welchem ihm derselbe in seiner Schrift in rührendem Bilde den Zustand seines eigenen Innern vorhielt, den von seinen gleichzeitigen deutschen Freunden so wenig begriffenen Zustand eines, durch nun bald elfjährige Verbannung von der Anhörung und Aufführung seiner Werke ausgeschlossenen Künstlers!9

Unter den zahllosen Stimmen, die sich in der Pariser Presse damals für [243] und gegen den Meister erhoben, wurde der von Hector Berlioz im ›Journal des Débats‹ allgemein eine größere Bedeutung beigelegt, obgleich er sich in der Würdigung des befreundeten Künstlers nicht über das Äußerlichste hinaus zu erheben vermochte. Nichts charakteristischer für seine mühsam verhehlte Mißgunst, als das bei dieser Gelegenheit von ihm veranstaltete Additions-Exempel, wonach in der ›Tannhäuser‹-Ouvertüre die bekannte Violinpassage im Andante 24 mal, im Schlußallegro 118mal, also in der ganzen Ouvertüre 142mal begegne. Zu eigentlicher Wärme steigerte sich seine Anerkennung selbst nicht bei dem ›lieblich harmonischen, großen, starken und volltönenden‹ ›Lohengrin‹-Vorspiel, dessen Wirkung er auf die bloße geschickte Anwendung der dynamischen Formel10. Konzerte im italienischen Theater zurückzuführen versuchte. Vom ›Tristan‹-Vorspiel schrieb er: ›Ich habe dieses fremdartige Blatt gelesen und wieder gelesen, ich habe der Musik mit der größten Aufmerksamkeit gelauscht; ich muß aber gestehen, daß ich noch nicht die leiseste Idee habe, was der Komponist eigentlich damit sagen will.‹ So gewunden und rückhaltsvoll dieser kritische erste Teil seines Referates sich ausnahm, so wurde er doch noch durch das eigentümlich sophistische Glaubensbekenntnis am Schlusse übertroffen, dessen Ablegung gerade bei dieser Gelegenheit weniger von der Unparteilichkeit des Kritikers, als von seinem tiefbegründeten Übelwollen Zeugnis abgab. Ihm war eben wieder einmal das nächtliche Schreckbild der ›école de la musique de l'avenir‹ erschienen, eine drohende Gestalt, umringt von ihren Bekennern, unter denen er den Bändiger der musikalischen Heerscharen vom vergangenen Mittwoch und an dem wallenden Haupthaar den streitbaren Condottiere von Weimar, mit Entsetzen aber sich selbst als den dritten zu erkennen glaubte, während die übrigen Figuren des Bildes wie im Nebel verschwammen. Noch dröhnten die furchtbaren Sätze in seinen Ohren, wie jene Gestalt sie ihm entgegengedonnert: ›Man muß alle bekannten Regeln übertreten, man darf keine Melodien aufkommen lassen, man muß die Ohren der Zuhörer durch abscheuliche Modulationen mißhandeln, man darf keine Rücksicht auf die Sänger nehmen und nur die schwierigsten und häßlichsten Intervalle anwenden‹ etc. etc.. Um sich ihres beängstigenden Eindruckes zu entledigen, verleibte er sie in Eile dem Schlusse seines Konzertberichtes ein, den er dadurch zu einem Manifeste erhob, barock, wie das Traumbild, das sie ihm eingegeben. Er vermied jede bestimmte Erklärung darüber, ob diese bizarren Thesen von ihm selbst als die Glaubenssätze des deutschen Künstlers aufgefaßt würden, dessen Konzert er soeben besprochen, aber er ließ es zwischen den Zeilen lesen. Daß er selbst ihnen nicht ergeben sei, bezeugte das Pathos seiner feierlichen Lossagung davon ›je lève la main et je le jure: non credo‹. Paris und Deutschland waren gleichwohl der Ansicht, das sonderbare Glaubensbekenntnis sei ein feiger und zugleich boshafter Angriff gegen Wagner; und dieser selbst, nachdem er schon so manches Rätselhafte von [244] seinem französischen Freunde erfahren10, konnte es für nichts anderes halten, als für ›einen Dolchstoß in den Rücken, den ihm (in seiner damaligen Lage!) ein Mann versetzte, den er für sei nen Freund hielt und in keiner Weise herausgefordert hatte.‹11 Er würdigte deshalb das Berliozsche Schriftstück einer öffentlichen Erwiderung, welche allseitig den Erfolg errang, als das Muster einer seinen und leidenschaftslosen Erklärung, einer ebenso männlichen wie schonenden Zurückweisung anerkannt zu werden, und ihm eben dadurch eine Anzahl neuer Freunde zuführte. Sie erschien in der ›Presse théâtrale‹ vom 26. Februar, einem der wenigen Blätter, die von Anbeginn eine loyale Haltung gegen ihn eingenommen, und das gegen einige der zügellosesten auf ihn gerichteten Angriffe aus freien Stücken mit energischen Protestationen im Namen des Pariser Publikums für ihn eingetreten war.12

Noch eine andere persönliche Berührung, und von wohltuenderem Charakter, knüpfte sich für ihn an diese Konzerte. Sie führte ihn mit demjenigen Tonmeister zusammen, von dem ihn künstlerisch die unüberbrückbarste Kluft trennte, und mit welchem Berlioz, der den größten Teil seines Daseins mit ihm an demselben Orte verbracht, dennoch nie ein Wort gewechselt hat. Es war dies – der hochbetagte Rossini, seit seiner letzten Übersiedelung nach Paris der Gegenstand eines wahren Kultus seitens der Pariser Fremde und Einheimische gaben sich jede erdenkliche Mühe, bei ihm eingeführt zu werden, und das Eckhaus der Rue de la chaussée d'Antin und des Boulevard des Italiens erblickte in den von dem Maestro bewohnten Gemächern des ersten Stockes allabendlich und besonders des Sonnabends an seinen regelmäßigen großen Soireen die bunteste Versammlung von Berühmtheiten der Musik, Literatur, Diplomatie und Finanzen. Von hier aus ward gar manches Bonmot des sarkastischen Meisters in Umlauf gesetzt. Bald sollte ihn ein Freund mit der verkehrt auf den Knieen gehaltenen Partitur des ›Tannhäuser‹ getroffen und Rossini, darüber befragt, geantwortet haben, daß er auf geradem Wege das vielgerühmte Genie nicht zu erkennen vermöge und es nun auf diese Weise versuche; bald kolportierte man seinen angeblichen Ausspruch über die Ouvertüre der Oper: quel bonheur que ce n'est pas de la musique! Bei einem seiner Diners für nähere Freunde sollte nun der greise Mercadante eine Lanze für Wagner gebrochen haben; dafür habe Rossini ihm von einem [245] Fisch nur die Sauce servieren lassen, mit dem Bemerken: die bloße Zutat gebühre dem, der sich aus dem eigentlichen Gerichte, wie der Melodie in der Musik, nichts mache. Auch Wagner selbst waren Äußerungen dieser Art hinterbracht worden, zugleich aber so mancherlei Uneinladendes über die bedenkliche Nachsicht Rossinis gegen die ungewählte Gesellschaft seines Salons, daß er Anekdoten dieser Art, welche offenkundig die Pariser Presse durchliefen und namentlich auch in deut schen Blättern große Freude bereiteten, durchaus nicht für unwahr halten zu müssen glaubte. Keinerseits wurden sie anders als mit Lobsprüchen auf den seinen Geist des Maestro erwähnt. Dennoch hielt es Rossini für würdig, in einem Schreiben an einen Zeitungsredakteur sich gegen diese ›mauvaise blague‹ sehr ausdrücklich zu verwahren. Er versicherte, daß er sich ›kein Urteil über Wagner anmaße, da er nur zufällig von einem deutschen Bade-Orchester einen Marsch von dessen Komposition gehört, der ihm übrigens sehr wohlgefallen habe; und daß er zuviel Achtung für einen Künstler hege, welcher das Gebiet seiner Kunst zu erweitern suche, um sich über ihn Scherze zu erlauben.‹ Dieses Schreiben ward auf seinen Wunsch in dem einen bestimmten Blatte veröffentlicht, in allen übrigen Zeitungen jedoch – – sorgsam verschwiegen!

›Ich fand mich‹, so erzählt Wagner, ›durch dies Benehmen Rossinis veranlaßt, mich bei diesem zu einem Besuche zu melden. Freundlich wurde ich empfangen und mündlich von neuem über das Bedauern belehrt, welches jene kränkende Erfindung dem Meister verursacht habe. In der hieran sich knüpfenden längeren Unterhaltung versuchte ich dagegen ihn darüber aufzuklären, daß jenes Witzwort, selbst so lange ich es für wirklich von ihm ausgegangen hielt, mich nicht peinlich berührt habe, da ich nun einmal in der Lage sei, durch teils unverständige, teils absichtlich entstellende Beachtung und Besprechung einzelner Ausdrücke in meinen Kunstschriften zu einer Verwirrung selbst Wohlmeinender über mich Anlaß geworden zu sein, welche ich am geeignetsten nur durch sehr gute Aufführungen meiner dramatisch-musikalischen Arbeiten selbst berichtigen zu können hoffen dürfe. Bevor mir diese irgendwo geglückt, ergäbe ich mich geduldig in mein sonderbares Schicksal und zürne niemandem, der unschuldig in dasselbe verwickelt würde Meinen Andeutungen schien Rossini mit Bedauern zu entnehmen, daß ich Grund habe, auch der deutschen Musikzustände nicht mit Befriedigung zu gedenken, wogegen er eine kurze Charakteristik seiner eigenen künstlerischen Laufbahn dadurch einleitete, daß er mir seine bisher gehegte Meinung mitteilte, es hätte aus ihm das Rechte werden können, wenn er in meinem Lande geboren und gebildet worden wäre. »J'avais de la facilité«, äußerte er, »et peut-être jaurais pu arriver à quelque chose.« Aber Italien, so fuhr er fort, sei zu seiner Zeit nicht mehr das Land gewesen, wo ein ernsteres Streben, namentlich gerade auf dem Gebiete der Opernmusik, hätte angeregt und unterhalten [246] werden können; alles Höhere sei dort gewaltsam unterdrückt und das Volk eben nur auf eine Schlaraffenexistenz angewiesen gewesen. So sei auch er in seiner Jugend im Dienste dieser Tendenz unbewußt aufgewachsen, habe nach links und rechts greifen müssen, um eben nur zu leben zu haben. Als er mit der Zeit in bessere Lagen geraten, sei es für ihn zu spät gewesen; er würde eine Mühe haben aufwenden müssen, welche im reiferen Alter ihm beschwerlich gefallen wäre. Somit möchten ernstere Geister mild über ihn urteilen: er selbst beanspruche nicht unter die Heroen gezählt zu werden, nur sei es ihm aber auch nicht gleichgültig, wenn er so niedrig geachtet werden sollte, daß er unter die schalen Verspötter ernster Bestrebungen gehören könnte. Deshalb denn auch sein Protest‹.13 Durch die heitere, doch ernstlich wohlwollende Art, in welcher Rossini sich gegen ihn aussprach, hinterließ er in Wagner den Eindruck des ersten wahrhaft großen und verehrungswürdigen Menschen, der ihm bisher noch in der Kunstwelt begegnet war. Dennoch blieb diese ihre erste Begegnung zugleich auch die einzige, wozu die beständigen ungünstigen und mit Sorge und Tätigkeit jeder Art überhäuften Lebensumstände das Ihrige beitrugen, die ihn während seines ferneren Pariser Aufenthaltes ununterbrochen in Atem erhielten.

Die anderweitigen Folgen der Konzerte und aller darauf verwendeten Opfer und Anstrengungen waren keineswegs ermutigend. An einen materiellen Gewinn daraus hatte er von Hause aus nicht gedacht oder denken können. Schon der pekuniäre Mißerfolg des ersten der drei Konzerte ließ wegen der überaus großen Kostspieligkeit der Zurüstungen nur die Hoffnung übrig, die beiden folgenden, in ihrer Vorbereitung minder anspruchsvollen Konzerte würden das stark bedrohte Gleichgewicht zwischen Ausgabe und Einnahme wiederherstellen. Leider waren beide, infolge der kritischen Aufwiegelungen gegen das Unternehmen, in zu geringem Maße von dem eigentlichen, wirklich zahlenden Publikum besucht, und es war mehr das Verdienst seiner Entrepreneurs und Agenten, wenn durch ihre Geschicklichkeit in der Verteilung von Freiplätzen mindestens der Anschein eines in allen Rängen wohlbesetzten [247] Hauses gewahrt wurde.14 Der bedeutende Verlust von mehr als 11000 Francs, der sich als das pekuniäre Resultat des Ganzen ergab, belehrte ihn empfindlich über das Mißliche einer künstlerischen Unternehmung in Paris. Als daher auf besondere Verwendung des Marschalls Magnan der Kaiser endlich wirklich den Befehl erteilte, ihm die große Oper zu einem vierten Konzert zur Verfügung zu stellen,15 traf dieses Anerbieten bei Wagner selbst auf keine unbedingte Bereitwilligkeit. Es sollte am 28. Februar stattfinden und alsbald wurde auch diese neueste Wendung von vielgeschäftigen Pariser Korrespondenten auch nach Deutschland signalisiert,16 ohne daß es doch von dem Meister überhaupt erst ernstlich in Betracht gezogen wäre In sofern er wirklich seitens des kaiserlichen Hofes einer Begünstigung seiner Pariser Bestrebungen hätte gewärtig sein dürfen, auf welche entfernte Möglichkeit allerdings nunmehr manches hinzudeuten schien, hatte doch eine nochmalige Wiederholung seines Konzertes für ihn keinen sonderlichen Reiz. Mit einem Heroismus ohnegleichen hatte er seine drei Konzerte, eben weil sie einmal angekündigt waren, bis zu Ende geführt, obgleich jedes folgende die schon erdrückende Defizitlast des ersten nur vermehrte. Wie er im Grunde von Hause aus dazu stand, beweist ein noch aus der Zeit vor Beginn derselben an Giacomelli gerichtetes Billet in französischer Sprache, worin er das, von seinen sonstigen Pariser Freunden geteilte Mißverständnis abwehrt, als seien sie mehr als eine bloße Vorbereitung auf sein eigentliches Hauptunternehmen. ›Vous jugez les concerts utiles à ma cause; ce n'est pas trop mon opinion. Le »Tannhäuser« non plus que mes autres ouvrages ne sauraitêtre découpé et servi par morceaux. Mon idée ne jaillira pas de ces éléments épars.‹17 ›Ich suche nicht Applaus und Triumphe‹, schreibt er wenige Tage nach dem letzten Konzert,18 ›ich suche nur die Möglichkeit, meine [248] neuen Werke – Wenigen – aber deutlich zu erschließen, damit ich – ruhig sterben kann‹. Hierzu konnte ihm Applaus und Beifallssturm nur dann verhelfen, wenn er von ganz positiven Erfolgen begleitet war. Das war nun bei diesen Konzerten keineswegs der Fall: die aller Welt sorgsam verschwiegenen materiellen Schwierigkeiten und Enttäuschungen überstiegen alle Berechnung. Ein Hauptzweck des ganzen Konzertunternehmens war nun aber, wie wir uns entsinnen, der davon erhoffte Erfolg: eine bestimmte Persönlichkeit zur Übernahme der Garantie für seine deutsche Opernunternehmung zu gewinnen (S. 233). ›Unglücklicherweise war gerade dieser ältliche Herr gänzlich verhindert, den Konzerten beizuwohnen: die Berechnung meines Freundes scheiterte.‹19 Das schließliche Ausbleiben dieses einen wichtigsten Ergebnisses ließ mithin den ganzen Aufwand an Zeit, Kraft, Mühe und Mitteln als ein nutzlos gebrachtes Opfer erscheinen. Die begeistertsten Akklamationen des gesamten Pariser Publikums hätten ihn nicht dafür entschädigen können, daß er jenen eigentlichen Hauptzweck aufgeben und den Kern seiner Absicht unerfüllt lassen mußte. Auf dem durch die Konzerte gewonnenen Fundament konnte er den Bau seiner für den Sommer geplanten Aufführungen nicht errichten, und er sah sich demnach mit Schmerzen gezwungen, seinen deutschen Sängern, die mit Enthusiasmus seine Aufforderung akzeptiert hatten, abzuschreiben, und damit auf seinen wahren innersten Wunsch zu verzichten.

War ihm nun aber das für seine ganze nächste Existenz so entscheidend wichtige Unternehmen: die Erstaufführung von ›Tristan und Isolde‹ in Paris unter seiner Leitung, unmöglich gemacht, so mußte er dem entsprechend auf etwas völlig anderes, als eine Wiederholung jener Konzertaufführung bedacht sein. ›Ich bin nun daran, direkt auf die Annahme des »Tannhäuser« seitens der großen Oper loszusteuern. Fould, der unbeschränkte Machthaber der großen Oper und Meyerbeers intimer Freund, weicht mir aus: ich muß ihn durch den Kaiser selbst zu zwingen suchen, dessen – Zuführer er aber wiederum ist! Denken Sie mich in diesen meinen Bemühungen begriffen, ermessen Sie meinen Charakter und das, um was es mir einzig zu tun ist: welche Vorwände ich brauchen, welche Wege ich gehen muß, – und sagen Sie sich, wie mir dabei zu Mute sein muß!‹20 Die vorstehend bezeichnete prinzipielle Stellung des allmächtigen Staats- und Hausministers Napoleons III zu jeder möglichen und beliebigen seiner Pariser Unternehmungen, wie nicht minder das ihr zu Grund liegende Motiv, war ihm durch die bestunterrichteten Personen über alle Zweifel hinaus bestimmt versichert, und nun konnte er sich auch das Schweigen auf seine bisherigen Gesuche erklären, oder deren schließliche Bewilligung zu einer Zeit, wo ihm diese nicht mehr von Nutzen[249] sein konnte! Ein glänzender Pariser Erfolg des ›Tann häuser‹ mußte ihn, wo er in Wahrheit einzig seinen ›Tristan‹ im Sinn hatte, an sich kalt und gleichgültig lassen; aber er war unberechenbar in seinen ferneren Wirkungen. Je bedeutender er sich kundgab, desto gewisser mußte er die schnelle Verbreitung der Oper über die größeren Provinztheater Frankreichs und Belgiens, weiterhin wohl auch die Aneignung seitens der ersten italienischen Theater, wie in London etc. nach sich ziehen. ›Was ich gewänne, wenn ich hieraus allein, ohne alle weiteren künftigen Bemühungen auf diesem Terrain, meine vollkommen genügenden Subsistenzmittel für meine fernere Lebenszeit ziehen könnte, ist für mich von der entscheidendsten Wichtigkeit. ‹21 Unter diesem Gesichtspunkt konnte es ihm allerdings nicht gleichgültig sein, als er eines Tages zu seiner vollen Überraschung erfuhr, seine Lage sei am Hofe der Tuilerien zum Gegenstande eifriger Besprechung und Befürwortung geworden. ›Der bis dahin mir fast ganz unbekannt gebliebenen außerordentlich freundlichen Teilnahme mehrerer Glieder der hiesigen deutschen Gesandtschaften hatte ich diese mir so günstige Bewegung zu verdanken. Diese führte so weit, daß der Kaiser, als eine von ihm besonders geehrte deutsche Fürstin ihm die empfehlendste Auskunft über meinen am meisten genannten »Tannhäuser« gab, sofort den Befehl zur Aufführung der Oper in der Académie Impériale de musique erließ.‹ So erzählt Wagner selbst in seinem, ein Jahr später für seine deutschen Freunde verfaßten ›Bericht über die Aufführung des Tannhäuser in Paris‹.22 Unter den erwähnten Gliedern der Pariser deutschen Gesandtschaften ist besonders der durch Bülows ›diplomatische Gewandtheit‹23 ihm gewonnene preußische Gesandte Albrecht Alexander Graf v. Pourtalès zu verstehen, außerdem einige andere, auf gleichem Wege ihm bekannt gewordene Attachés der preußischen und sächsischen Gesandtschaft, darunter der junge Graf Hatzfeld. Die von ihm erwähnte deutsche Fürstin war bekanntlich die der Kaiserin Eugenie engbefreundete Fürstin Pauline Metternich, geb. Sandór, die Gemahlin des österreichischen Botschafters Graf Richard v. Metternich-Winneburg. Zwischen ihr und dem Kaiser war die Aufführung des ›Tannhäuser‹ infolge einer zwischen beiden geführten Unterhaltung zu einer Angelegenheit der Courtoisie geworden. Kam nun, wie wir soeben gesehen, der Befehl des Kaisers allerdings dem eigenen Wunsche des Meisters entgegen, und bekannte sich letzterer zugleich aufrichtig hoch erfreut durch ein so unerwartetes Zeugnis eines tätigen Interesses für ihn und seine Sache in gesellschaftlichen Kreisen, denen er persönlich so fern gestanden, so dürfen wir dabei doch nicht aus dem Auge lassen, wie sehr jener Wunsch selbst ihm nur durch die Not ein gegeben und von seinen eigentlichen tieferen Wünschen [250] und Bedürfnissen ablag. Zunächst versetzte ihn die wohlerkannte künstlerische Beschaffenheit des ganzen, ihm zur Verfügung gestellten, kaiserlichen Institutes, mit all seinem Prunk und Glanz, im Hinblick auf sein, ihm anzuvertrauendes Werk in eine zweifelvolle Beklemmung. Wem war es – durch schmerzliche Lebenserfahrungen – denn klarer geworden als ihm, daß dieses große Operntheater, die Brutstätte des ›Robert‹ und des ›Propheten‹, von je jeder ernstlichen Kunsttendenz fremd, ganz andere Forderungen als die der dramatischen Musik für seine Vorstellungen zur Geltung gebracht, und daß die ›Oper‹ selbst darin nur noch zum Vorwande für das Ballet herabgedrückt war? Auf eine ganz eklatante Weise zeigte sich dies sogleich bei seiner ersten Unterredung mit Mr. Alphonse Royer, dem Direktor der Großen Oper. Infolge des kaiserlichen Befehls ganz Untertänigkeit und Bereitwilligkeit, alles und jedes nach seinen Wünschen einzurichten, erklärte er doch mit Bestimmtheit die Einführung eines Ballets, und zwar eines Ballets im zweiten Akte, für die erste und nötigste Bedingung eines Erfolges! Da dies unmöglich war, so enthielt die erwirkte kaiserliche Gunst für ihn einen peinlichen Stachel. Auf der einen Seite das Rechte, ihm einzig Erwünschte, fortdauernd ›im deutschesten Nebel der Unmöglichkeit einge hüllt‹, auf der anderen – künstlich arrangierte, als neckende Fata morgana ihm vorschwebende Pariser Gloiren! ›Was aus diesem projektierten Tannhäuser wird, mag Gott wissen: ich glaube noch nicht daran, und zwar aus guten Gründen. Mr. Royer verlangt für den zweiten Akt des Tannhäuser ein großes Ballet! Meine Zuflucht gegen solche Zumutungen ist für jetzt die Fürstin Metternich, die sich bei Fould etc. ungemein in Respekt gesetzt hat. So will ich denn sehen, ob sie mir das Ballet vom Halse halten kann; sonst – natürlich – würde ich den »Tannhäuser« zurückziehen.‹

Einstweilen mußte er sich für das Erste und Nächste, zur Ausgleichung des durch die Konzerte erlittenen Verlustes, noch eine weitere, beschwerliche Anstrengung aufbürden lassen. Durch seine Konzertagenten war ihm von Brüssel her ein Anerbieten übermittelt worden: seine drei Pariser Konzerte mit der Aussicht auf einen beträchtlichen Gewinn im dortigen Opernhause zu wiederholen. Wenn auch solche Einladungen das eigentliche Motiv ganz übersahen, das ihn zu seiner Pariser Unternehmung bestimmt und keineswegs in dem Erfolge dieser Konzerte an sich selber lag, so wies er doch für diesmal aus rein praktischen Gründen das Brüsseler Angebot nicht zurück, sondern begab sich, in der zweiten Hälfte des März, trotz großer Angegriffenheit nach der belgischen Hauptstadt, in Begleitung seines Pariser Agenten Giacomelli, der das ganze Unternehmen verantwortete. ›Richard Wagner ist unter die reisenden Konzertgeber gegangen‹, berichteten höhnisch die deutschen Zeitungen. Das erste große Konzert mit Orchester und Chören fiel auf den 24. März. Es hatte ein übervoll besetztes Hans, trotzdem ließ ihn die verheißene ›große[251] Einnahme‹ gänzlich im Stich. Die ›Unkosten‹ sollten angeblich zu bedeutend gewesen sein! Mit dem zweiten Konzert ging es ähnlich; auf ein drittes verzichtete er unter diesen Umständen ganz. Über seine Brüsseler persönlichen Beziehungen berichtet er an Liszt. ›Frau Agnes Street-Klindworth stellte mir hier Dein Briefchen zu, was Du ihr vor 5 Jahren für London mitgabst.24 Ich war bei ihr und Papa Klindworth schnell ganz zu Hause, und danke diesen beiden Leuten die angenehmste Erinnerung. Der Alte hat mich mit seinem unglaublichen diplomatischen Anekdotenreichtum höchst ergötzlich unterhalten‹.25 Der ›Alte‹, von dem hier die Rede ist, war der aus Hannover gebürtige Staatsrat Klindworth, eine seltsame Ruine aus Metternichscher Zeit Nach einem romanhaft abenteuerlichen Leben, während dessen er zwei Jahre Theaterdirektor, dann Advokat, dann in London politischer Flüchtling gewesen, hatte er in seiner Glanzperiode als Diplomat in Paris bis z.J. 1848 einen fürstlichen Haushalt geführt und fristete nun sein Leben von den Pensionen seiner Gönner Guizot, Metternich, Thiers, König Wilhelm v. Württemberg etc. Lisztzitiert über ihn das Urteil eines hochgestellten Staatsmannes aus den fünfziger Jahren: ›Wer sich über irgend eine dunkle, verzwickte, verworrene Angelegenheit in der Diplomatie der Vergangenheit oder Gegenwart unterrichten will, muß sich an Klindworth wenden.‹26 Seine Tochter, die soeben erwähnte Mme. Street, hatte kurze Zeit in Weimar Liszts Unterweisung im Klavierspiel genossen und beteiligte sich dann, bei allerlei diplomatischen Missionen, wie auch bei der Redaktion politischer Zeitschriften, an dem Beruf ihres Vaters. Liszt unterhielt mit ihr jahrelang einen intimen Briefwechsel27 und vorübergehend hat sie auch mit Wagner in Korrespondenz gestanden. Ferner machte der Meister bei Gelegenheit dieses Brüsseler Aufenthaltes dem dort residierenden berühmten musikalischen Historiker und Theoretiker, Konservatoriums-Direktor und Musikkritiker Franz Joseph Fétis einen Besuch. Wir erinnern uns, daß dieser in der musikalischen Welt durch seine außerordentliche Gelehrsamkeit in großem Ansehen stehende ältere Herr seiner Zeit im Gefolge Meyerbeers der ersten Weimarer, ›Lohengrin‹-Aufführung beigewohnt28 und nicht lange darauf den Gesinnungen des großen Opernmusikkönigs über Wagner in einer Folge von Leitartikeln der Pariser Gazette musicale einen scharfen Ausdruck verliehen hatte.29 Wenn ihm der Meister trotzdem die Ehre seines Besuches zuteil werden ließ, so geschah es gewiß [252] nicht aus der Neugier, den ihm notorisch übelgesinnten Sonderling von Angesicht kennen zu lernen, oder gar in dem Wunsch, ihn eines Besseren zu belehren, sondern einzig und allein seinem getreuen Entrepreneur zulieb, dem er das Zugeständnis einer solchen Höflichkeitsbezeigung gegen den damals sechsundsiebzigjährigen alten Herrn um so weniger versagen wollte, als er sich dadurch ja nichts vergab. Rein erfunden, und von Anfang bis zu Ende aus der Luft gegriffen, ist die mehrfach reproduzierte alberne Anekdote, Fétis habe ihn bei diesem Anlaß unfreundlich empfangen, ihr Gespräch sei in einen Streit ausgeartet, bei dem er seinem Gast die Tür gewiesen etc.30 Dagegen ist es allerdings Tatsache, daß der künstlerische Erfolg der Brüsseler Konzerte ihn in hellen Zorn versetzte und er den Schülern des Konservatoriums ernstliche Verweise erteilte, weil sie ›laut und Aufsehen erregend Sympathieen für Wagner dokumentiert hätten‹. Aus einem ähnlichen Grunde soll er es versucht haben, die Entlassung des Professors am Konservatorium A. Samuel durchzusetzen, weil dieser nämlich ihm gegenüber für die Musik Wagners eingetreten sei!31 Gewiß ist nur, daß der Meister in einem Briefe aus Brüssel vom 29. März sich über eben diesen A. Samuel, der sich ›höchst liebenswürdig gegen ihn benommen‹, sehr freundlich ausspricht und ihn, da er soeben nach Deutschland verreiste, dem entsprechend sehr warm an Liszt empfohlen hat: er ›stehe obenan unter den liebsten Eroberungen, die er hier gemacht, und auch Liszt werde ihn schnell liebgewinnen‹. – Erschöpft und hoffnungslos, und ohne den ihm vorschwebenden pekuniären Zweck auch nur im mindesten erreicht zu haben, kehrte er tags darauf (30. März) nach Paris in sein dortiges ›glänzendes Elend‹ zurück.

In Wahrheit war es ein ›glänzendes Elend‹, das seiner bei der Rückkehr in die Seinestadt harrte! Denn während einerseits, neben allen fortlaufenden Bedürfnissen seines täglichen Haushaltes, wozu seltsamerweise stets erneute Reparaturen seines Häuschens sich gesellten, um deren Besorgung sein Propriétaire sich nicht kümmerte32, während neben diesen täglichen Bedürfnissen noch das ganze Defizit der Konzerte mit unverminderter Wucht auf ihm lastete, war er andererseits zu einer gewissen Glanzentfaltung in seiner Häuslichkeit durch seine Lage förmlich gezwungen. Was half ihm seine innerlichste Abneigung gegen ›jede Spur von etwa zu pflegender Koterie‹33, nachdem er einmal durch Veranstaltung seiner Konzerte an die Pariser Öffentlichkeit [253] getreten war und dadurch zu dem bereits bestehenden älteren Stamm seiner dortigen Freunde neue, wahrhaft sympathische Erscheinungen, wie Champfleury und Baudelaire, und im Laufe des Sommers 1860 auch der feingebildete Konservator der Kunstschätze des Louvre, Mr. Fréderic Villot, sich hinzugefunden hatten? Unmöglich konnte er diese aufrichtig von ihm geschätzten Annäherungen gleichgültig von sich stoßen; auch wäre es ihm allzu umständlich und beunruhigend gewesen, einen jeden von ihnen nach Zufall einzeln bei sich zu empfangen. So machte es sich vielmehr ganz von selbst, daß sein gastliches Haus allen denen, welche der Magnet seines Umganges anzog, an einem bestimmten Wochentage, dem Mittwoch, ein für allemal sich öffnete, und seinen Pariser Freunden sind diese ›Mittwochs-Empfänge‹ unvergeßlich geblieben. Sie erblickten in Wagners Wohnung mit großer Regelmäßigkeit einen auserlesenen Kreis französischer Künstler, Kunstfreunde und Schriftsteller, dazu einen Teil jener, durch Bülow ihm befreundet gewordenen, Glieder der verschiedenen deutschen Gesandtschaften. Gasperini nennt unter ihnen an erster Stelle den soeben erwähnten Konservator der Kaiserlichen Museen Fr. Villot, Emile Ollivier, den jungen Advokaten und Deputierten, und dessen anmutige und kunstsinnige Gattin Blandine, ferner Emile Perrin, damals noch nicht wieder Direktor der Komischen Oper, die Dichter Baudelaire und Champ fleury, den Musiker Leon Leroy, die Journalisten Jules Ferry und Lorbac. Auch der Philosoph Graf Fouché de Careil, der Verfasser eines vorzüglichen Buches über deutsche Philosophie, über Hegel und Schopenhauer, und der geistvolle Maler Gustave Doré werden uns als Teilnehmer dieser zwanglosen Zusammenkünfte genannt. Den ungarischen Maler Jaroslav Czermak, einen ›tief musikalischen Menschen‹, führte Malvida bei dem Meister ein. Sogar Hector Berlioz soll an diesen Abenden die Gastlichkeit des Wagnerschen Hauses genossen haben, ohne sich deshalb aus seiner chronischen eifersüchtigen Verbitterung reißen zu lassen. Ja selbst von Deutschland her ließ es Liszt nicht daran fehlen, seine Schüler oder Schülerinnen, soweit sie sich nach Paris begaben, mit Empfehlungen an Wagner auszustatten und dadurch seinesteils ebenfalls zur Frequenz des Salons der Rue Newton beizutragen!34 ›Gastlich öffnete sich sein Haus des Abends wöchentlich einmal‹, erzählt Malvida v. Meysenbug, ›und es drängten sich zu diesen Empfangsabenden bedeutende, freilich auch unbedeutende Menschen genug. Wagner aber beherrschte die Gesellschaft so völlig, daß man eigentlich nur ihn sah und hörte und die anderen darüber völlig vergaß. Ich erinnere mich eines Abends, wo er vor [254] mehreren Personen, zu denen auch ich gehörte, stand und über die Seltenheit dessen, was man Glück nennt, sprach, indem er schließlich die Worte der Prinzessin Eleonore anführte: »Wer ist denn glücklich?« Mein Herz klopfte jedem Worte, das er sagte, Beifall zu; ich verstand ihn, aber es war mir seltsam, daß er vor so Vielen so wundervolle Dinge sagte. Ich sah es den meisten Gesichtern an, daß sie ihn nicht verstanden, und ich dachte: »warum wirst er das Köstliche an die Unempfänglichen weg?«35 Freilich ist es so das Wesen des Genius, der schafft, sei es in Werken oder Worten, unbekümmert darum, wer ihn hört oder aufnimmt; gerade wie die Sonne scheint über Böse und über Gute.‹36

›Es traf sich‹, so fährt diese vortreffliche treue Freundin in ihren Erinnerungen fort, ›daß einer der wärmsten Anhänger Wagners und zugleich ein trefflicher Klavierspieler, Klindworth, nach Paris kam. Nun wurden die Empfangsabende in das Musikzimmer im oberen Stocke verlegt, und an einem jeden wurde etwas aus den Werken Wagners aufgeführt, wobei Klindworth die Begleitung übernahm, Wagner selbst aber die verschiedenen Stimmen sang. Keiner verstand es so, obgleich mit wenig Stimme, seine Intentionen und den ganzen ergreifenden Eindruck des neuen Gesanges klar zu machen. Ich begriff von vornherein, daß sich eine völlig neue Gesangsschule mit diesen Werken bilden müsse, daß es mit der bloßen Kantilene, zu der eine gute und geschulte Stimme aus reicht, vorbei sei.37 So lernte ich »Lohengrin« und »Tristan und Isolde« ganz, die »Walküre« und das »Rheingold« zum größten Teil kennen. Es war ein Glück für mich, daß ich auf diese Weise mit den lang ersehnten Werken bekannt wurde. Es ging mir dadurch von vornherein ein richtigeres Verständnis dafür auf, als wenn ich sie zuerst in den meist stümperhaften Ausführungen der deutschen Theater gehört hätte. Ich war auch noch besonders bevorzugt, da Wagner sehr gut gegen mich war und mir völlige Freiheit gab, auch am Morgen allein zu kommen und zuzuhören, wenn er mit Klindworth musizierte. So geschah es eben einmal, daß die Beiden »Tristan und Isolde« beinahe von Anfang bis zu Ende durchnahmen, vor mir, der einzigen Zuhörerin. Immer tiefer nahmen mich diese wundervollen Schöpfungen gefangen; immer heller wurde die Offenbarung in mir, daß dies allein der wahre Fortschritt der Kunst und ihr höchstes Ziel sei: die Vereinigung aller Künste zum musikalischen Drama38. Nun ging mir auch ganz [255] das Verständnis für den Mann auf, dessen gewaltiger Dämon ihn zwang, so unglaublich Großes zu schaffen. Von der Zeit an wußte ich, daß mich nichts mehr an ihm irre machen würde, daß er mir verständlich bleiben würde auch in dunklen Stunden, in heftigen Äußerungen seiner reizbaren Natur, in Sonderbarkeiten, welche die große Menge veranlassen würde, Steine auf ihn zu werfen; ich wußte es, daß er von nun an auf mich rechnen könne in Not und Tod.‹ Mit der Offenheit, wie man sie einer langjährigen Freundin zeigt, hatte sich Wagner ihr gegenüber eines Tages über seine schwierigen Verhältnisse ausgesprochen, was er seinen sonstigen Pariser Freunden gegenüber wohlweislich unterließ! Hatte er doch zur Genüge die bittere Erfahrung gemacht, wie derjenige, der sich an die Geldhilfe Anderer wendet, ›seine Lage, sie sei, welche sie wolle, nur nach einem Maßstabe bemessen lassen muß.‹ Mit Malvida war es anders. Eben das ihr bewiesene Vertrauen des feurig verehrten Genius brachte ihn ihr nun auch nach dieser Seite hin gemütlich nahe, und angelegentlich war ihr Geist mit der Sorge um sein Geschick beschäftigt. ›Tausend Pläne, wie ihm zu helfen sei, kreuzten sich in meinem Hirn‹, sagt sie von sich selbst und bekennt ihre eigene Mittellosigkeit nie mit bittererem Schmerz empfunden zu haben. Sie beschloß, die ihm zur Entschädigung für seine Konzertverluste nötige Summe auf dem Wege einer Subskription zu gewinnen, die zur Deckung jenes Defizits und darüber hinaus ihm als Huldigung dargebracht werden sollte. Zwei junge, sehr reiche Enthusiastinnen erklärten sich bereit, die Sache in die Hand zu nehmen und sie mit Eifer zu betreiben. Eine Hoffnung war damit geboten. Einstweilen gelang es ihr, auf dieses bloße Vorhaben hin einen Teil der erforderlichen Summe durch eine ebenfalls sehr begüterte englische Dame, in deren Begleitung sie nach Paris gekommen war, dem Meister als Darlehen anzubieten. ›Wenn ich mich entsinne‹, schreibt ihr Wagner einige Monate später, ›wie Sie an dem einen drängenden Tage zu mir kamen und die nötige bedeutende Summe mir einhändigen durften, so kann ich nicht anders als bekennen, daß sie (nämlich jene englische Dame) die Einzige war, die sich bewährt hat. Sagen Sie ihr das! Verwundern Sie sich nicht, daß ich Ihnen keine Lobsprüche sage, wiewohl ich in Mme. S. nur Ihr Werk zu erkennen hatte; das [256] verstand sich aber von selbst, während Mme. S. sich nicht von selbst verstand.‹39 Schlimmer erging es mit der beabsichtigten Huldigungsgabe. Die dafür erforderliche Sammlung hätte, wenn sie zustande kommen sollte, das Werk zweier Tage sein müssen! Statt dessen schleppte sie sich, nachdem die edle Urheberin des Gedankens gegen den Sommer Paris hatte verlassen müssen, durch zwei indiskrete Monate hindurch bis schließlich in die Zeitungsöffentlichkeit hinein, ohne zu einem anderen Erfolge zu führen, als daß der Meister eines schönen Tages selbst zu seinem peinlichsten Verdruß in den Journalen davon zu lesen bekam.40 – Einen hübschen kleinen Vorgang aus den Erinnerungen der ›Idealistin‹ schalten wir an dieser Stelle mit ihren Worten ein. Wie bereits erwähnt, war sie genötigt, im Mai Paris zu verlassen und nach London zurückzukehren. ›Es waren‹, so erzählt sie, ›schöne Frühlingstage, die meiner Abreise vorangingen, und ich verbrachte sie noch so viel als möglich im Wagnerschen Hause. Ein liebliches kleines Erlebnis kam zum Abschied. In der Nacht entlud sich ein heftiges Gewitter und am andern Morgen prangten, wie durch einen Zauberschlag, die Bäume der Champs Elysées, die Gärten und Büsche im frischen Schimmer des ersten Grüns. Wagner sagte mir, daß ihm diese Erscheinung große Freude gemacht habe. Im »Rheingold« nämlich schlägt Thor an den Felsen, worauf die Wolken sich zum Gewitter zusammenballen; als sie sich verziehen, prangen Walhall und die Erde im Frühlingsschmuck. Nun waren ihm gerade in jener Nacht Gedanken darüber gekommen, ob dies zulässig sei. Da hatte ihm denn die Natur auf die freundlichste Weise Recht gegeben.‹41

Die erste und nötigste Vorbereitung für die Aufführung des ›Tannhäuser‹ war die Übertragung der Dichtung ins Französische. Auf Roger war hierfür nach den gemachten Erfahrungen völlig zu verzichten. Dagegen fand sich die geeignete Kraft in eben jenem jungen Douanebeamten, zugleich Musikreferenten und Dichter, Edmond Roche. Leider war dieser des Deutschen nicht hinreichend mächtig, so daß es dafür, behufs einer zugrunde zu legenden französischen [257] Prosaübersetzung, noch einer Hilfskraft bedurfte. Eine sehr ungeschickte Unterstützung bot dem wackeren Roche eine Zeit lang ein Pariser Liedersänger, namens Rudolf Lindau, der wegen seiner völligen Unfähigkeit in der Folge durch den geschickten Charles Nuitter ersetzt wurde. Es galt die Arbeit in Eile zu fördern; dies hielt besonders schwer, so lange jener Lindau sie durch seine Mitwirkung mehr aufhielt als förderte.42 So zog sie sich tatsächlich, da vorherrschend nur des Sonntags daran gearbeitet wurde, wo Roche von seinem Dienste frei war, seit Anfang April durch zwei volle Monate hin. Die großen Schwierigkeiten, die er inzwischen in seinen Verhandlungen mit dem Direktor der großen Oper hinsichtlich des von diesem verlangten Ballets zubekämpfen hatte, bewirkten inzwischen, daß er schon mehrere Male drauf und dran war, das ganze Vorhaben fallen zu lassen. Bei der Erzählung der wechselnden Lebensfügungen des Künstlers sträubt sich die Feder weniger das Schmerzliche, Tragische, Bedrückende, als das vollendet Absurde, Groteske, Abgeschmackte zu verzeichnen! Es bedurfte seiner ganzen Widerstandskraft, um sich bei diesen Unterredungen des zu wiederholten Malen, ja buchstäblich jedesmal von neuem an ihn gerichteten Ansinnens zu erwehren, nach welchem dem zweiten Akte der Oper ein, dem Zusammenhang der Handlung völlig fremdes Tanzdivertissement eingeflickt werden sollte. Und wenn er hundertmal die Unmöglichkeit davon erklärt hatte, kam Direktor Royer zum hundert und ersten Male immer wieder darauf zurück. ›Hinter die Bedeutung dieser Forderung sollte ich erst kommen, als ich erklärte, unmöglich den Gang gerade dieses zweiten Aktes durch ein in jeder Hinsicht hier sinnloses Ballet stören zu können, dagegen aber im ersten Akte, am üppigen Hofe der Venus, die allergeeignetste Veranlassung zu einer choreographischen Szene von ergiebigster Bedeutung ersehen zu dürfen. Wirklich reizte mich sogar die Aufgabe, hier einer unverkennbaren Schwäche meiner früheren Partitur abzuhelfen, und ich entwarf einen ausführlichen Plan, nach welchem diese Szene im Venusberge zu einer großen Bedeutung erhoben werden sollte.‹ Der vollkommen ausgearbeitete poetische Entwurf dieser Szene, welche die später zur musikalischen Ausführung gelangte noch um einige charakteristische Details, wie die Gestalt des nordischen ›Störmkarl‹ mit seinen berauschenden Tanzweisen, übertrifft, trägt das Datum des 30. Mai 1860. ›Diesen Plan wies nun der Direktor entschieden zurück, und entdeckte mir offen, es handle sich bei der Aufführung einer Oper nicht allein um ein Ballet, sondern [258] namentlich darum, daß dieses Ballet in der Mitte des Theaterabends getanzt werde. Denn erst um diese Zeit träten diejenigen Abonnenten, denen das Ballet fast ausschließlich angehöre‹ (die Mitglieder des hocharistokratischen Jockeyklubs! –) ›in ihre Logen, da sie erst sehr spät zu dinieren pflegten. Ein im Anfange ausgeführtes Ballet könne diesen daher nicht genügen, weil sie eben im ersten Akte nie zugegen wären.‹ Von der Erfüllung der darin ausgesprochenen Bedingungen wurde jede Möglichkeit eines guten Erfolges abhängig erklärt, auf welchen im übrigen die Direktion, sobald nur der Meister nachgäbe, große Hoffnungen setzte.

Lebhafter als je dachte er unter diesen Umständen an eine Rückkehr nach Deutschland und spähte mit Sorge nach dem Punkte, der ihm zur Aufführung seiner neuen Werke als Anhalt geboten werden möchte. Zu gleicher Zeit in seiner äußeren Lage hart von Not bedrängt, ersah er zu ihrer Linderung kein anderes Mittel, als einen letzten und äußersten Versuch, sich gesuchsweise um das Recht zum Wiederbetreten des heimatlichen Bodens zu bemühen. Zu einer bald zu ermöglichenden Aufführung des ›Tristan‹ drängte ihn sein innerstes künstlerisches Interesse. Andererseits war er sich vollbewußt, wie seine neueren Werke, von aller gültigen theatralischen Routine abliegend, nur dadurch vor gänzlichem Mißverständnis zu schützen wären, daß er mindestens die ersten Aufführun gen nur unter gänzlich ausnahmsweisen Bedingungen vor sich gehen lasse, somit Begünstigungen abwartete, wie sie ›nur Demjenigen vorbehalten sein können, der nach Zeit und Geld nicht zu fragen hat.‹ In diesem Sinne blieb ihm Paris mit seinem sicher zu gewärtigenden Erfolge und allen daran geknüpften Aussichten für eine schnelle Verbreitung seines Werkes über die französischen und belgischen Provinz-Theater eine ›Frage der Macht‹ und es schien ihm, als wolle ihn sein Geschick – fast wider seinen Willen – diesen Weg führen. So teilt er sich vertraulich gegen Wesendonck mit. Ein großer, ungewöhnlicher Erfolg steht fast unzweifelhaft in Aussicht, – dagegen sperrt und schließt sich alles, was einer Aussicht auf die Aufführung des ›Tristan‹ ähnlich sieht. Nun urteilen Sie über meine innere Stimmung! Hier der ›Tannhäuser‹, mich kalt und teilnahmlos lassend, aber unter den günstigsten Aspekten sich mir aufdrängend; dort das Werk, das mich am lebhaftesten einnimmt, das einzig meiner bedarf, und alles sich da gegen stemmend! Und ich soll frei entscheiden? Ja, es gibt Kinder, die trotz eingänglicher Belehrung noch gern vom freien Wollen des menschlichen Individuums phantasieren. Stellen Sie einem solchen, wenn Sie zufällig es in Ihrer Nähe finden sollten, einmal die Frage, wie sich ungefähr hier etwa der freie Wille zu verhalten habe? Ob nicht dagegen das naive Sprichwort: ›Der Mensch denkt und Gott lenkt' eine sehr wichtige Wahrheit einschließe? Vielleicht diese: der Mensch will, aber Gott will noch mehr, er bemächtigt sich des menschlichen Willens, um durch ihn zu wollen, was nicht [259] ihm (dem Individuum), sondern ihm (dem Gotte) zu Gute kommt. Über den »Gott« könnten wir uns dann ein andermal verständigen und am Ende wohl finden, daß zwischen dem Individuum und Gott kein so gar großer Unterschied bestehe, namentlich wenn jenes eben von Gott besessen sei, d.h. etwas Außergewöhnliches, nur selten Gelingendes und allen zugute Kommendes zu leisten in den Stand gesetzt worden ist. – Doch genug der Überhebung, in der ich mich weniger stolz als leidend fühle!‹43

Somit fand er sich denn für diesmal an Paris geschmiedet, wo er, nach Vollendung der französischen Übersetzung der ›Tannhäuser‹-Dichtung und des vorerwähnten neuen Entwurfes des Bacchanales im Venusberge, mit völlig neu gefaßter Lust an seinem älteren Werke, nun auch die ganze Szene zwischen Venus und Tannhäuser einer neuen Bearbeitung unterzog. Unter der noch ganz frischen Erfahrung der enormen Schwierigkeit einer Übersetzung des bereits komponierten Textes schlug er diesmal den umgekehrten Weg ein, er übergab die neue Fassung der Szene unmittelbar nach der Niederschrift dem trefflichen Nuitter zur Übersetzung und wartete nur eine einigermaßen geeignete Stimmung ab, um den französischen Text komponieren und instrumentieren zu können und die ganze Szene dann schleunigst in Kopie zu geben. ›Den Pariser Tannhäuser anlangend‹, schreibt er am 4. Juni an seinen ärztlichen Freund Gasperini nach Marseille, ›so werde ich zuweilen durch den Direktor der großen Oper daran gemahnt; aber da ich nicht daran denken kann, mich mit der ansehnlichen Arbeit an der Partitur zu beschäftigen, wozu ich den Kopf recht ruhig und wohldisponiert haben müßte, so weiß ich noch nicht, was von dieser ganzen Sache zu halten, die trotzdem ganz gut vorwärtszuschreiten scheint, außer was von mir abhängt.‹ Wie zur Verhöhnung seiner eben jetzt so äußerst schwierigen Lage trat um diese Zeit noch eine neue Versuchung an ihn heran. Das ungewöhnliche Aufsehen seiner Pariser Konzertunternehmung war durch ganz Europa bis nach demfernen St. Petersburg gedrungen. Man hatte ihm von dort aus gemeldet, der Direktor der kaiserlich russischen Theater werde demnächst nach Paris kommen, um ihn gegen bedeutende Vorteile zum nächsten Winter für die nordische Metropole zu gewinnen. Gegen Ende Mai oder Anfang Juni traf nun dieser Direktor, in der Person eines stattlichen Mannes in russischer Generals-Uniform, eines Herrn v. Sabouroff, wirtlich ein, um das angekündigte Engagement in aller Form persönlich einzuleiten. Er stellte dem Meister die Alternative: entweder im nächsten September nach Petersburg kommen, den Winter dort bleiben, seinen ›Tannhäuser‹ aufführen, große Konzerte dirigieren, dafür 50000 Francs zugesichert und die [260] Hälfte sogleich bar ausgezahlt erhalten; oder – garnichts! Jede ihm vorgeschlagene Kombination mit der zu gleicher Zeit hier in Paris bevorstehenden Aufführung erwies sich als unmöglich, und für das nächste Jahr wollte er sich auf nichts einlassen. Als eigentliches Motiv dieser sonderbar obstinaten Einladung ließ sich ziemlich unverhüllt der ehrgeizige Plan seines, in Luzern gewonnenen russischen Freundes Sseroff erkennen, der, im gegebenen Falle weniger aus Teilnahme für ihn, als aus Widerwillen gegen Paris, dem er den Meister nicht gönnte, alles aufgeboten hatte, um ihn durch einen unwiderstehlich vorteilhaften Antrag von der Seine an die Newa zu entführen. ›Nun Freund‹, bemerkt Wagner dazu, als er den sonderbaren Zwischenfall in dem bereits zitierten Briefe an Wesendonck meldet, ›diesmal sprach der freie Wille noch etwas. So ganz und gar um des Geldes willen konnte ich mich nicht verkaufen. Ich blieb Paris treu, nahm das unabsehbare Elend meiner Pariser Existenz bis zur Periode der Aufführungen meiner Oper auf den Rücken und wanderte wieder in meine Newton-Straße zurück‹.44

Gerade mit dieser ›Newton-Straße‹ hatte er nun aber mitten in diesen drangvollen Sommermonaten des Jahres 1860 noch etwas ganz besonderes zu erleben! Wir erinnern uns, daß seine Pariser Notlage hauptsächlich durch die auf ihn ausgeübte Pression begonnen hatte, die Miete für diese seine häusliche Niederlassung auf drei Jahre voraus zu bezahlen (S. 219), während andererseits der Besitzer desselben eine auffallende Abneigung gegen jede Art von, daran vorzunehmenden, Reparaturen bewies (S. 253). Die Ursache von Beidem stellte sich ihm deutlichst heraus, als ihm eines schönen Tages, nachdem er kaum acht Monate darin gewohnt, die Eröffnung gemacht ward: das freundliche Häuschen, worin er sich auf Jahre hinaus geborgen geglaubt, sei, ohne irgend welche Spur von Baufälligkeit, trotzdem mit dem Schicksal der Niederreißung bedroht! Die stille Straße, in der es lag, sollte demnächst, den durchgreifenden Verschönerungsprojekten der Seine-Präfektur zufolge, um sie auf gleiches Niveau mit den sie durchschneidenden Boulevards zu bringen, um 31/2, Meter tiefer gegraben werden. Von dieser Absicht des Präfekten Hausmann behauptete sein Besitzer natürlich zu jener Zeit, als er den dreijährigen Kontrakt mit seinem Mieter unter so auffälligen Bedingungen abschloß, kein Wort gewußt zu haben. Die Höflichkeit gebot, seinen Versicherungen Glauben zu schenken. Trotzdem war von einer freiwilligen Rückerstattung der vorausbezahlten Summe nicht die Rede. Die Auflösung des Mietkontraktes [261] sollte vielmehr auf dem Wege des Prozesses vor sich gehen, damit der Besitzer dann wieder seinerseits auf dem gleichen Wege über die Regierung Beschwerde erheben könne. Da eine völlige Schadloshaltung ihm bei diesem Vorgehen mit großer Zuversicht in Aussicht gestellt war, vermeinte der Meister am Ende in dieser unerwarteten Entscheidung noch eine günstige Wendung seiner Angelegenheiten zu erkennen, indem sie den von ihm begangenen Fehler einer verfrühten (weil noch so ungesicherten!) definitiven Ordnung seiner häuslichen Verhältnisse korrigierte. War ja ohnehin bei dem verzweifelten Gedanken einer lebenslänglichen Niederlassung in Paris bei weitem mehr die Rücksicht auf seine Wiedervereinigung mit Minna, als seine eigene persönliche Neigung entscheidend im Spiele gewesen! Leider bestand der nächste Erfolg dieser neuen Wendung der Dinge bloß darin, daß er seine, bereits für längere Zeit vorausbezahlte Wohnung spätestens Anfang Oktober verlassen und sich eine neue Behausung suchen mußte. Außerdem sah er sich, nur um zu dem Seinigen zu gelangen, einen langwierigen, zugleich nach unten und nach oben hin sich verwickelnden Prozeß auf den Hals geladen! Noch im Oktober, mitten unter dem Beginn der ›Tannhäuser‹-Proben, hören wir ihn über die fortdauernden ›Verdrießlichkeiten mit seinem Propriétaire und Advokaten‹ klagen. Dann verstummt allmählich jede fernere Kunde, insbesondere über die ihm verheißene ›Schadloshaltung‹, und es scheint in der Tat, als wären nicht bloß die Nachrichten darüber, sondern auch die Fortführung des Prozesses selbst, zu einer Zeit, die ihn fast über seine Kräfte für die Arbeit an den Proben in Anspruch nahm, in den Strudeln der letzteren versunken und untergegangen. So sah er den zukünftigen glänzenden Einnahmen aus dem Pariser ›Tannhäuser‹ für den Augenblick unter unbeschreiblich gesteigerten Schwierigkeiten entgegen. Wir entnehmen dies aus seinen sämtlichen gleichzeitigen brieflichen Nachrichten. Gasperini, der ihm zwar nicht helfen konnte, beschwor ihn in einem Briefe von Marseille aus, sich ›dem Menschengeschlecht zu Liebe‹ in all seinen Nöten bis zu der unausbleibenden Wendung seines Schicksales aufrecht zu erhalten. ›Was das Menschengeschlecht betrifft‹, erwidert ihm darauf der Meister, ›so glauben Sie mir, daß es keinen Anspruch auf derartige Opfer hat, wie ich sie bringe, indem ich das Leben ertrage. Ich war auf dem Punkte der Entscheidung, von der Welt zu verschwinden; was mich in ihr zurückhält, ist einzig meine Pflicht gegen meine arme Frau, deren Leben in meine Hand gelegt ist.‹45 Selbst an Wesendonck, der sich soeben nach Zürich zurückwandte, nachdem er in vollen Zügen seiner römischen Muße gen offen, mochte er sich seit dessen großmütiger Bereitschaft, [262] ihm die drei fertigen Stücke seines ›Ring des Nibelungen‹ abzukaufen, mit einer neuen Bitte nicht wenden. Im Gegenteil, es hatte ihm eine peinliche Überwindung gekostet, in der Not seiner Konzerte, da diese, einmal angekündigt, notwendig fortgesetzt werden mußten, das ihm durch Schott bereits übermittelte ›Rheingold‹-Honorar darauf gehen lassen zu müssen. Da weder die geplante Subskription, noch auch das lange vorher ihm angekündigte Petersburger Projekt zustande gekommen war, sah er sich für jetzt jede Möglichkeit einer Rückerstattung desselben in barem Gelde abgeschnitten. Ihm blieb zu seiner Beruhigung nichts übrig, als den Freund nachträglich von dem Vorgefallenen zu unterrichten und ihm, an Stelle einer Rückzahlung der für das ›Rheingold‹ empfangenen Summe, vielmehr eine Quittung über den Empfang des zwischen ihnen stipulierten Preises auch für das noch nicht komponierte letzte Stück der Trilogie zuzustellen. ›Ich werde‹, so fügt er mit prophetischer Gewißheit hinzu, ›auch dieses letzte Stück noch ausführen; denn wäre mir dies nicht noch vorbehalten, so begreife ich nicht, welche Bestimmung mich jetzt noch im Leben erhält, wo ich täglich herzlich nach dem Tode verlange. Es ist sehr möglich, daß Sie mir Vorwürfe zu machen haben, unmöglich aber, daß Sie mir dieselben nicht bis auf eine spätere Periode aufsparen, wo sie nicht mehr dazu dienen können, die größte Lebensbitterkeit, die man empfinden kann, zu vermehren.‹46

Hatte der bedrängte Meister damals von einem Tage zum anderen lästige Forderungen von sich abzuhalten und manche peinliche Stockung in seinem Haushalt zu ertragen, so war es ihm doch das schwerste, daß er sich vergeblich nach Mitteln umsah, um seine Frau in die ihr durch Pusinelli47 verordnete Badekur nach Soden im Taunusgebirge zu schicken. So sehen wir ihn in seinen Briefen an Liszt und Dingelstedt um das Honorar für den in Weimar immer noch in der Schwebe befindlichen ›Rienzi‹ bemüht,48 wobei ihm Dingelstedt von den geforderten 1000 Francs wiederum fast die Hälfte (400 Francs) abhandelt, und auch Liszts Intervention daran nichts ändern kann, wiewohl er den Grund seines Drängens nicht verschweigt: daß er nämlich gern jeden Tag schon seine Frau abreisen lassen möchte und sonst garnichts hätte, um für sie zu sorgen.49 ›Eben jetzt‹, heißt es in einem Briefe an Malvida aus den gleichen Tagen (22. Juni), ›sind meine älteren Opern gänzlich erschöpft, meine neuen verhindert, enorme Verluste und – niemand der mir hilft! Alles, was ich verlange, ist Kredit währen deiner Stoc kung, – unmöglich! Ich vertraue mich, und ernte dafür nichts als Preisgebung. In den Journalen lese ich, ich habe 10000 Francs bekommen,50 und der Hohn, mit dem man dies begleitet, ist alles was ich davon habe. Und das wird mindestens [263] ein halbes Jahr noch dauern, wenn es überhaupt noch dauern kann. Und das begegnet mir, dem man von allen Seiten immer von neuem berichtet, welchen Enthusiasmus ich da und dort wieder errege etc.‹ Ganz den gleichen Gedankengang dieses letzteren Satzes enthält noch ein zweiter Brief von demselben Datum (22. Juni), worin er der freundlichen Zumutung seiner neuesten Brüsseler Bekanntschaft erwidert, ihr ein neues photographisches Portrait von sich zukommen zu lassen: ›Ich schreibe Ihnen wirklich nur, um Ihnen zu schreiben, daß ich Ihnen nicht schreiben kann. Und die Portrait-Karte habe ich auch noch nicht machen lassen: Gott weiß, wann ich dazu komme. Ich gehe nie aus, als in den allerwiderwärtigsten Geschäften, die einem Menschen auferlegt sein können, der weithin geliebt und bewundert ist, und um dessen eigentliches Dasein sich kein Mensch kümmert. Ich komme nicht dazu, weder meiner Kunst mich zu widmen, noch irgend ihrer zu gedenken: nicht einen Ton zu hören, noch zu denken. Selbst um die Vorbereitungen zur hiesigen Aufführung des »Tannhäuser« kann ich mich nicht kümmern. Wie aus dem Traum fahre ich auf, wenn ich irgend daran erinnert werde, wozu ich eigentlich geschaffen bin. Meine arme Frau vergeht vor Aufregung und Schlaflosigkeit: sie soll eine Badekur gebrauchen; – auch dazu komme ich nicht, sie dorthin zu schicken. Nichts höre ich, nichts erfahre ich, als Gedankenlosigkeit, Stumpfheit, Fehlschlagen, Unterliegen, Abgespanntsein, Achselzucken. Und wollen Sie auch wissen, was ich dann treibe? Ich sorge, laufe und versuche, um von Tag zu Tag einen Zustand hinzuhalten, der mir von Tag zu Tag immer unerträglicher wird. So komme ich denn müde und zerschlagen nach Hause, nachdem ich Diesen nicht getroffen, von Jenem eine abschlägige Antwort erhalten, um Berichte und Briefe vorzufinden, daß ich wieder auf Diesen oder Jenen nicht rechnen soll, daß es allen sehr leid tut, alles mir ergeben ist, niemand aber helfen kann. Dann finde ich wohl einen Brief wie den Ihrigen mit darunter: – wie glauben Sie wohl, daß mir zu Mute ist, wenn ich in die Welt blicke, der ich soviel sein könnte, und auf mich, dem einfach währenddem das Dasein zur Unmöglichkeit gemacht wird? – Glauben Sie mir, die Bitterkeiten, die unsereiner empfindet, weiß noch niemand zu ergründen; und daß der Welt nicht zu helfen ist in ihrer stupiden Blindheit, – dieser Welt, der jedesmal erst die Augen aufgehen, wenn ihr Schatz verloren ist, – das weiß ich: glauben Sie mir!‹51

Die via crucis des leidenden Genius war noch lange nicht bis zu ihrem Ende durchmessen. Wo er sich bewußt war, mit dem bisher von ihm Geschaffenen vollauf genug geleistet zu haben, um endlich die Vorteile davon zu ernten und sich in seinem äußeren Dasein einem, von seiner Natur dringend [264] erheischten, ausspannenden Behagen hinzugeben,52 das ja bei ihm dennoch stets mit der rastlosesten Tätigkeit Hand in Hand ging: – da stand ihm statt dessen Bitterkeit auf Bitterkeit, Anstrengung auf Anstrengung, Umweg auf Umweg bevor! Aber es gab Haltepunkte der Linderung und Erleichterung auf seinem Dornenpfade, und in höchster Not fand sich dann ab und zu wieder ein solcher außerordentlicher Zwischenfall. Für diesmal war es die Großmut einer edlen Frau, eben derselben Mme. Marie Kalergis (geb. Gräfin Nesselrode, nachmals Frau v. Muchanoff), die ihm zuletzt vor sieben Jahren in Paris in Liszts Begleitung begegnet war (S. 29). Sie hatte in der Ferne von seinen harten Nöten vernommen, und, eben jetzt in Paris eintreffend, war es ihr Erstes, bei sich ihm melden zu lassen und in aller Stille das zu tun, was alle geräuschvollen Subskriptionen nicht zustande gebracht hatten: nämlich ihm ganz schlicht und einfach die bei den Konzerten eingebüßte Summe von 10000 Francs aus ihren eigenen Mitteln als rein persönliche Huldigungsgabe zu erstatten. Sie tat das Ihre ganz in dem Sinne, wie der Meister es von ihr entgegennahm, in der tiefen Überzeugung davon: daß ›diejenigen, die sich um ihn kümmerten, mehr dabei gewännen, als er selbst.‹53 Sie tat es in so anspruchsloser Stille, daß niemand außer Liszt davon erfuhr,54 und noch fünfzehn Jahre später, bei dem ersten Versuch des Verfassers zur Erzählung der Lebensschicksale Wagners,55 er von dieser schönen Wohltat nichts wußte und ihm deren Nichterwähnung als eine der größten Lücken seiner Darstellung von dem Meister bezeichnet wurde. Dieser einsichtsvollen und zur rechten Zeit handelnden Gönnerin erstattete er bald darauf seinen künstlerischen Dank durch eine eigens für sie veranstaltete Vorführung größerer Bruchstücke seines ›Tristan‹ am Klavier. Zu ihrer Ermöglichung kam Klindworth eigens aus London herüber und Frau Viardot-Garcia sang die, in Karlsruhe für unmöglich erklärte, Partie der Isolde direkt vom Blatte. Es war bei dieser Gelegenheit, daß die berühmte Sängerin ihrer Verwunderung über die angeblich unüberwindlichen und von ihr mit Leichtigkeit überwundenen Schwierigkeiten dieser Rolle mit den Worten Ausdruck gab: [265] ›ob denn die Sänger in Deutschland nicht auch musikalisch wären?‹ – War durch das edelmütige Opfer der, bis dahin ihm ziemlich fernstehenden, großherzigen Freundin die tief begründete Schwierigkeit seiner Lage bis zu dem verhofften Momente der Pariser Aufführung keineswegs aufgehoben, so stand nun doch der endlichen Abreise Minnas nichts mehr im Wege, und doppelt erleichterten Herzens konnte er die Leidende aus seiner täglichen Umgebung an ihren Bestimmungsort entlassen. In wie hohem Grade während dieses ganzen schrecklichen Monates Juni seine wirtschaftlichen Verhältnisse nach allen Richtungen hin in Stockung geraten waren, das beweist wohl am besten der Umstand, daß ein am 10. Juni geschriebener ausführlicher Brief an Sseroff in Sachen seines beabsichtigten St. Petersburger Engagements mehr als vier Wochen liegen bleiben mußte, weil er – ›das Geld nicht hatte, um ihn zu frankieren!

Und noch eine weitere hoffnungerweckende Begegnung ward ihm in eben diesen Tagen, bald nach der Abreise Minnas, zuteil. Es war dies die, durch einen gemeinsamen Bekannten, einen Pariser deutschen Journalisten, der sich ›in jugendlicher Begeisterung ihm angeschlossen‹, vermittelte Beziehung zu dem liebenswürdigen Bankier Baron Emil Erlanger, der sich sehr ausnahmsweise die richtige Stellung zu ihm gab, daß nicht er sich durch Wagner aufsuchen ließ, sondern umgekehrt ihn aufsuchte, um ihm, im Hinblick auf die bevorstehenden Einnahmen des ›Tannhäuser‹ in Paris, seine Mittel innerhalb gewisser Grenzen zur Verfügung zu stellen. Wenn ihm der Meister auf sein direktes Anerbot, ihm auf Verlangen sofort einige Hilfe zu leisten, zunächst zögernd antwortete, so geschah dies nur, wie er selbst sagt, um nicht ›durch Nennung von Summen den Zauber der Stimmung sofort zu stören‹, den die ihm so unerwartete Begegnung auf beide Teile ausübte. Immerhin war ihm nach allem Überstandenen durch die günstigen Dispositionen seines freundlichen jungen Gönners der Mut neu erfrischt und gehoben. Er durfte hoffen, mit dieser Hilfe ›einen großen und entscheidenden Wendepunkt seiner Laufbahn frohen Mutes zu überschreiten‹, und fühlte sich für einige Zeit wenigstens gegen die gröbsten Nöte und Anfechtungen gesichert. Trotzdem verging ein volles Vierteljahr und darüber, und die Schwierigkeit seiner Lage mußte erst wieder einen gewissen, mit den ihm zunächstliegenden Mitteln unübersteiglichen Höhepunkt erreicht haben, bevor er sich dazu entschloß, von dem in so gefälliger Weise nahegelegten Anerbieten tatsächlich Gebrauch zu machen.

Fußnoten

[266] 1 ›Nächsten Mittwoch beginnt Richard Wagner seinen Zyklus von drei Konzerten im italienischen Theater. Der Kaiser hatte ihm das Opernhaus zur Verfügung gestellt; aber es war zu spät, der Kontrakt mit Calzado war schon abgeschlossen.‹ (A. Suttner in den ›Signalen‹ v. 26. Jan. 1860.) Es war dies seltsamerweise, unter verändertem Namen, eben derselbe Raum, in welchem – als dem ehemaligen Théâtre de la Renaissance – zwanzig Jahre zuvor Direktor A. Joly das ›Liebesverbot‹ hatte aufführen wollen!


2 Ein Jahr später, inmitten der ›Tannhäuser‹-Wirren, beging dieser ›deutsche Männergesang-Verein‹, hauptsächlich aus jungen deutschen Kaufleuten bestehend, unter dem Dirigenten A. Ehmant, seinen Stiftungstag mit der Aufführung einer – Parodie des ›Tannhäuser‹!


3 Vgl. Band II, Seite 368.


4Que se passe-t-il dans l'esprit de l'artiste qui tourne le dos au public et qui va dans cinq minutes être jugé par des Parisiens, c'est-à-dire des êtres qui veulent être amusés avant tout, et dont les représentants les plus immédiats, les directeurs de Théâtre, ont protesté de tout temps contre les tentatives nou velles?‹ (Champfleury, Richard Wagner, Paris 1860.)


5 Gesammelte Schriften Band X, Seite 102.


6 Vergl. Franz Müller, Richard Wagner und das Musikdrama Seite 3.


7 ›Wagner ist ein großer Musiker‹, rief der Berichterstatter des ›Ménestrel‹, ›nur seine Tendenz ist beklagenswert. Fünfzig Jahre dieser Musik, und die Musik ist tot; denn man hätte die Melodie getötet und die Melodie ist die Seele der Musik!‹ Derselbe Gedanke kehrt in allen möglichen Variationen, in den verschiedensten Spielarten und Nuancierungen wieder. ›Wagner macht Musik ohne Melodie, ohne Rhythmus, ohne Formeln, er verschmäht alle bisher angewandten Kombinationen‹, hieß es im ›Messager des théâtres‹! ›Er will nur reine Harmonie, nichts als Harmonie; er bemüht sich nichts festzuhalten, nichts zu erklären: und wenn zufälligerweise eine kleine Melodie es versucht aus dieser Masse von Harmonie hervorzutreten, so belastet er sie mit so vielen aufeinanderfolgenden Modulationen, daß alles wieder zur gewohnten Unordnung zurückkehrt. Es ist zu bedauern, daß Wagner nicht Musik machen wollte, wie alle Welt; er wurde einen hohen Platz in der Kunst einnehmen.‹ Der bekannte Rossini-Biograph und -Bewunderer Azevedo fand, der Komponist habe in drei Stunden tödlicher Sonorität nur zwei Phrasen zum besten gegeben, die eine im Tannhäusermarsch und die andere im Brautliede: ›die Phrase im Marsch hat Schwung und Wärme, die im Epithalame ist anmutig und frisch; beide sind wohlgebaut und ganz den Bedingungen der natürlichen Musik entsprechend. Aber zwei Phrasen in drei Stunden, das ist wenig.‹ Gustave Chadeuil im ›Siècle‹ kam zu dem bündigen Ergebnis: ›Wenn das die wahre Musik ist, so ziehe ich die falsche vor; denn dann ist die falsche die richtige.‹ Andere Kritiker nahmen sein angebliches ›System‹ zum Ausgangspunkt. So bedauert Prevost im ›Ami de la religion‹ daß ›ein Künstler von dieser Macht, groß durch den Gedanken, ausgezeichnet durch vollständiges Wissen‹ mit alt seinen Vorgängern gebrochen und sich durch absolute Verneinung der Vergangenheit einem Kampfe gegen die Unmöglichkeit gewidmet habe, in dem er unterliegen müsse. Dem ›Constitutionnel‹ mußte selbst die persönliche Erscheinung des Meisters zur Zielscheibe seines Witzes dienen. Den Beschluß machte der berühmte Herr Seudoin der ›Revue des deux mondes‹, der erbitterte Feind der ›Zukunftsmusik‹, in einem Artikel von ›vernichtender‹ Schärfe, während Louis Lacombe in der ›Revue Germanique‹ noch einmal im Namen der Anhänger des Meisters das Wort ergriff.


8 Chamberlain, Richard Wagner, S. 74.


9 Gesammelte Schriften, Band VI, Seite 377


10 Wagner hatte ihm bald nach seiner Ankunft in Paris die Partitur seines ›Tristan‹ mit der schönen Widmung übersandt: Au grand et cher auteur de Roméo et Juliette l'auteur reconnaissant de ›Tristan et Isolde‹. Drei Wochen vergingen, ehe Berlioz darauf in irgendwelcher Form reagierte! ›Ich kenne nichts Herzloseres, als dieses dreiwöchentliche Schweigen als einzige Antwort auf ein solches Geschenk und eine solche Widmung,‹ bemerkt dazu Bülow.


11 Die oben zwischen Anführungszeichen stehenden Worte sind eine treffende Bezeichnung der Situation durch H. T. Finck in dessen Buch: ›Wagner und seine Werke‹ II, S. 83


12 ›Ein Brief an Hector Berlioz‹, Ges. Schr. VII, S. 113/20.


13 Ges. Schr. VIII, S. 279/80. Fast buchstäblich so, wie hier gegen den Meister, hat sich Rossini schon fünfzehn Jahre früher (1846) gegen seinen einseitigen Verehrer, den russischen Staatsrat Grimm, ausgesprochen, nur daß dieser ihn schlechter verstanden hat. ›Sehr gütig, daß Sie mich mit den genannten Sternen (Mozart und Weber) auf eine Linie setzen!‹ ›Wenn ich in Deutschland meinen Wohnsitz für immer aufgeschlagen hätte, so würde ich wohl mehr in so deutscher Weise komponiert haben; aber in Italien mußte ich bei meinen ersten Versuchen dem Zeit- und Nationalgeschmack huldigen etc.‹ Den auf Deutschland bezüglichen, schlecht wiedergegebenen Vordersatz müssen wir geradezu nach Wagners Bericht erst zurechtstellen! Denn natürlich hat Rossini hier nicht chamäleontisch von einem bloßen ›Wohnsitz‹, sondern von Jugendeindrücken gesprochen! Vgl. Grimm, ›Gespräche mit Rossini‹ in Gutzkows ›Unterhaltungen am häusl. Herd‹, 1856, Nr. 12. S. 178ff.


14 Hier der Wortlaut eines für das dritte und letzte Konzert an sämtliche Mitwirkende gerichteten Briefchens: Monsieur, Mr. Wagner compte sur votre appui pour le concert de mercredi 8 Février; en même temps il vous prie d'accepter deux entrées, que sans doute vous serez heureux d'offrir à ceux de vos amis que vous jugerez les plus sympathiques à l'illustre compositeur. On se réunira au théâtre Impérial italien à 7 heures du soir. Votre tout dévoué Giacomelli. Paris, 4. Février.


15 ›Wie verlautet, hat Marschall Magnan sich in dem Maße für diese Musik begeistert, daß der Kaiser befohlen haben soll, dem deutschen Künstler die große Oper zu einem vierten Konzert zur Verfügung zu stellen. Herr Hans von Bülow tut redlich, was er kann, Wagners Musik Eingang zu verschaffen; in seinem zweiten Konzert ist die zweite Hälfte des Programmes ausschließlich Lisztschen Transskriptionen Wagnerscher Werke gewidmet‹ (›Signale‹ v. 9. Febr. 1860).


16 ›Richard Wagner hat sein drittes Konzert im italienischen Theater gegeben; das Haus war überfüllt und der Beifall ein lebhafter. Es heißt nun, Wagner werde am 28. Febr. noch ein viertes Konzert geben und zwar auf Allerhöchstes Verlangen.‹ (N. Berl. Musztg. v. 7. März 1860.)


17 Enthalten als Faksimile in Charles de Lorbac, ›Richard Wagner‹, Paris, Librairie moderne 1861.


18 12. Februar 1860, an Wesendonck.


19 Vgl. ›Einladung zur Aufführung des Tristan in München‹ (Bayreuther Blätter, 1890) S. 174.


20 Brieflich an Wesendonck, 12. Februar 1860.


21 Brieflich an Wesendonck, 5. Juni 1860.


22 Gesammelte Schriften Band VII, Seite 185.


23 An Liszt Band II, Seite 262.


24 Briefwechsel II, S. 65. 70.


25 An Liszt II, S. 263


26 Il y a 30 ans de cela, un diplomate de haute situation me disait: ›Quand on veut se renseigner sur quelque question obscure, embrouillée, épineuse de la diplomatie du passé et du présent, il faut s'adresser à Klindworth‹ (Liszt 12. Febr. 1882) Leider stand dieser sonderbare Politiker mit all seinen ungewöhnlichen Gaben fast einzig nur im Dienste der schlechtesten Reaktion.


27 Franz Liszts Briefe, herausgegeben von La Mara, Band III: Briefe an eine Freundin.


28 Band II, Seite 368.


29 Ebendaselbst Seite 433.


30 Vgl. H. T. Finck, Wagner und seine Werke II, S. 59.


31 Ebendaselbst


32 Noch in den letzten Tagen des Februar hatte ein starker Wind das Dach an mehreren Stellen abgedeckt, so daß der Regen bis in die von ihm bewohnten Zimmer des oberen Stockes eindrang! Vgl. das französisch geschriebene Billet vom 28. Febr. 1860 in Kastners ›Wiener Musikal. Zeitung‹ 1886, II, S. 252, und die Beziehung auf des Meisters wiederholten Verkehr mit Pariser Arbeitern, Ges. Schr. X, S. 163 (›Oh, monsieur, l'enfer est sur la terre!‹). –


33 An Wesendonck, 5. Oktober 1859.


34 Liszt an Wagner: ›Durch Frl. (Aline) Hundt, die Du mit ihrer Freundin Ingeborg Stark (nachmalige Frau v. Bronsart) so freundlich aufgenommen hast, ließ ich mir allerlei von Deiner Pariser Lebensweise erzählen‹ (Briefwechsel Band II, Seite 265/66).


35 In wie hohem Grade ganz das Gleiche so oft von Wagners brieflichen Mitteilungen gilt, ist schon wiederholt von uns hervorgehoben!


36 Memoiren einer Idealistin, III, S. 259.


37 ›Es war der wahre dramatische Gesang, der hiermit anfing, in dem das Wort von ebenso hoher Bedeutung ist, wie der es begleitende dramatische Ausdruck, und in dem daher eine ganz andere wahrere Deklamation stattfinden muß, als in dem bisherigen Gesange.‹ (Mem. e. Id. III, S. 264.)


38 ›An Urkraft der Empfindung, an Größe der Leidenschaft, an voller menschlicher Wahrheit der Gestalten konnte ich alles dies nur Shakespeare vergleichen; aber hier war außerdem noch die Musik, die den gewaltigen Gang der tragischen Handlung wie mit einem verklärten Äther umgab. Und welche Musik! Es verhält sich mit ihr auch wie mit Shakespeare – man vergißt, daß sie etwas von einem menschlichen Gehirn Geschaffenes ist. Sie scheint wie aus dem Wesen der Dinge selbst herausgestiegen, eine Naturnotwendigkeit, ein organisches Ganzes mit der Wahrheit der Gestalten Raum und Zeit verschwinden bei Anhörung eines solchen Kunstwerkes. Wir durchleben ein tragisches Verhängnis, aber umwoben von jenem idealen Zauber, der von allem Schmutz und allen Flecken der irdischen Existenz befreit und im tragischen Untergang, im heiligsten Leiden, die Seele erlöst.‹ (M. v. Meysenbug, Memoiren einer Idealistin III, S. 264/65.)


39 Es ist dies – beiläufig! – eben dieselbe ›ältliche Dame‹, von welcher der unglückliche Präger, als er einmal von London aus dem Meister einen seiner überflüssigen Besuche machte, behauptet, sie sei in Wagners Salon nach dem herumgereichten Tee regelmäßig eingeschlafen, weshalb er (!) Wagner geraten (!) habe, ihr seinen Salon zu verschließen!!


40 Signale v. 10. Mai 1860, aus Paris: ›Für Richard Wagner setzen sich in diesem Augenblicke viele schöne Füße in Bewegung‹ etc. etc. Neue Berl. Musikzeitung v. 30. Mai: ›In Paris sind einige Damen, welche sich durch ihre Verehrung der W.schen Musik auszeichnen, mit Erfolg bemüht, 10000 Francs zusammenzubringen und Herrn R. W. zuzustellen, als Ersatz des Verlustes, den ihm seine Konzerte zugezogen haben.‹ Und drei Women später, am 20. Juni: ›Die Pariser Zeitungen dementieren die von vielen deutschen Blättern allzu ungeprüft gebrauchte Nachricht, daß französische Enthusiastinnen etc. etc. die Summe von 10000 Francs aufgebracht hätten.‹


41 M. v. Meysenbug, ›Genius und Welt‹ a. a. O. S. 557. ›Memoiren‹ Band III, S. 267.


42 Die novellistisch-phantastisch karikierte Schilderung dieser Übersetzungsarbeit (und der nervösen Hast, mit der sie durch Wagner betrieben worden) durch Victorien Sardou in dessen Vorrede zu Roches hinterlassenen Schriften, bedürfte an dieser Stelle keiner besonderen Erwähnung, wäre sie nicht tatsächlich, nach dem Vorgang Gasperinis (!), von verschiedenen Biographen Wagners ganz ernsthaft als charakteristisches Moment in Verwertung gezogen!


43 An Wesendonck, 5. Juni 1860. Man halte zu diesen Gedanken die, unvergleichliche Abhandlung Schopenhauers: ›Über die scheinbare Absichtlichkeit in dem Schicksale des Einzelnen‹ und des Meisters bedeutsamen Hinweis auf diese Abhandlung in ›Was nützt diese Erkenntnis? Ein Nachtrag zu: Religion und Kunst‹ (Ges. Schr. Bd. X, S. 333/34).


44 Brieflich an Gasperini, 4. Juni 1860. ›J'ai refusé ces derniers jours l'offre du directeur des théâtres impériaux Russes qui m'offrait des avantages immédiats et très considerable pour abandonner l'exécution du Tannhäuser à Paris et pour venir dès ce mois de Septembre à St. Pétersbourg, où je devais monter mon opera cet hiver, au lieu de le faire à Paris. En refusant j'ai rejeté un dernier espoir pour cette époque si terrible de ma vie.‹ (1. autographische Beilage zu Gasperini ›R. Wagner‹.)


45J'étais au point de me décider à disparaître devant le monde. Ce qui me retient, c'est mon seul devoir envers ma pauvre femme, dont la vie est donnée entre mes mains. Quant au genre humain, croyez moi, il n'a pas besoin des sacrifices de la sorte de celui que je fais en supportant la vie.‹ An Gasperini, 4. Juni 1860.


46 An Wesendonck, 17. Juni 1860.


47 Brieflich an F. Leine S. 406.


48 Briefwechsel mit Liszt, Band II, Seite 267/69


49 Ebenda Seite 268.


50 S. 257 dieses Bandes.


51 Brieflich an Iran Agnes Street-Klindworth, 22. Juni 1860. Das Orginal dieses wundervollen Briefes befindet sich in der Kollektion des Herrn A. Bovet in Valentigney.


52 ›Ich für mein Teil versichere Ihnen, daß ich eigentlich nur der Welt zusehe, um zu erfahren, wie sie sich mit einem Menschen meiner Art anstellt, und wie sie von ihm zu profitieren versteht. Ob sie ihm den, nur aus den Gesetzen seines eigenen Wesens bestimmbaren Spielraum für die Entwickelung seiner Tätigkeit gönnt, oder wie viel sie ihm davon abknausert. Ich kann dabei oft lächeln, wenngleich ich nicht leugnen kann, daß ich als empfindendes Wesen genug selbst dabei im Spiele bin, um Schmerzen aller Art unter dem Experiment zu empfinden. So viel ist gewiß, daß ich schon viel mehr geschaffen habe als nötig wäre, wenn ich selbst dabei mich manchmal behaglich fühlen wollte.‹ (Brieflich an M. v. Meysenbug, 20. Mai 1860)


53 Brieflich an M. v. Meysenbug.


54 Vgl. Briefwechsel II, S. 269: ›Einzigster! Mme. Kalergis Intervenierung in Deiner Konzert-Angelegenheit bringt mir eine große Freude. Derartig schönen und edlen Zügen begegnet man nur zu selten!‹


55 In der ersten Ausgabe dieses gegenwärtigen Buches i. J. 1876/77.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 238-267.
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