XII.

Die drei Schlachtabende.

[290] Prozeß mit Lindau. – Erneute Beschwerden wegen des Tanzdivertissements für die ›Abonnenten‹. – Die Venusbergszene und das Balletpersonal. – Verkehr mit Auber. – Generalproben. – Vergebliche Kämpfe mit dem Orchesterchef Dietsch. – Erste, zweite, dritte Aufführung. – Der Jockeyklub. – Die Pariser Presse.


Mein Nichterfolg in Paris tat mir wohl: hätte ein Erfolg mich beglücken können, wenn ich ihn durch die gleichen Mittel meines durch mich beängstigsten, verborgen bleibenden Antagonisten erkauft haben würde?

Richard Wagner.


Vom 9. Januar ab begannen in den Vormittagsstunden die eigentlichen Mise-en-scène-Proben auf der wirklichen Bühne, mit den Solisten und den Chören, immer noch mit bloßer Klavierbegleitung; und vom 12. ab um 7 Uhr abends gleichzeitig die Orchesterproben unter Dietschs Leitung,1 bei denen aber immer erst Wagner von der Bühne aus das rechte Tempo und die jedesmaligen Eintrittszeichen zu geben hatte. Während so der Meister um das Gelingen sich mühte, figurierte gleichzeitig der ›Tannhäuser‹ im Palais de Justice vor den Richtern der ersten Kammer in einem, von dem Übersetzer Lindau angezettelten Rechtsstreit. Dieser Unglückliche, der durch seine leichtfertige Mitwirkung dem Meister vielen Ärger bereitet und die Hauptschuld an der Zurückweisung der Arbeit des armen Roche trug, stellte nun die Forderung, daß sein Name sowohl auf dem Theaterzettel als auf dem Textbuche gemeinschaftlich mit dem der Herren Roche und Nuitter genannt würde,[290] weil er an der Übersetzung teilgenommen. Emile Ollivier, als Vertreter Wagners, schlug alle Einwände seines Widerparts, des Anwalts Mr. Marie, mit glänzender Beredsamkeit siegreich zurück; doch zog sich der Prozeß von Termin zu Termin durch drei volle Monate, und sein ehrgeiziger Anstifter erreichte dabei wenigstens das, daß er aus seiner bisherigen Verborgenheit als mittelmäßiger musikalischer Dilettant plötzlich zum ›bekannten Liedersänger‹ avanciert wurde, als welchen ihn die gesamte, für ihn Partei nehmende, französische und deutsche Meyerbeer-Presse bei der häusigen Nennung seines Namens jetzt regelmäßig einführte. Im übrigen lehnte der Gerichtshof seine Forderung ab, und verwies ihn mit seinen etwaigen Ansprüchen an den Meister persönlich. Ein anderes Ergebnis des Prozesses war, daß Roche, auf Grund seiner eigenen Aussagen, ebenfalls vom Zettel gestrichen wurde.2 Näher, als durch diese, in ihrem ganzen Verlauf den Meister recht gleichgültig lassende Rechtsangelegenheit, ward er durch die Zumutung berührt, nach dem hergebrachten Brauch der großen Oper, das bataillon sacré der Clague unter ihrem Chef David zu der bevorstehenden Aufführungen seines Werkes zuzulassen. Welches auch immer der Erfolg desselben vor der französischen Öffentlichkeit sein mochte, es widerstand ihm, daß die erste Beifallskundgebung von den bezahlten Händen einer Schar von Mietlingen ausgehen sollte. Seine beharrliche Weigerung erschien der Direktion unbegreiflich; die Claque selbst, sonst von jedem Komponisten einer neuen Oper förmlich engagiert, schäumte vor Wut, und der ›Charivari‹ brachte eine Karikatur, welche sie mit auf den Rücken gebundenen Händen aus vollem Halse pfeifend darstellte. Man erinnerte daran, daß der bereits früher einmal gemachte Versuch, die applaudierende Truppe von ihrer weithin wirkenden Tätigkeit unter dem Lüstre zu entbinden, sehr übel abgelaufen war, so daß man sich am Ende in voller Verzweiflung wieder zu ihrer Zulassung verstehen mußte, und nannte Wagner einen ›musikalischen Goliath‹, der im Kampfe mit diesem ›David‹ notwendig unterliegen müsse. Wie sollte dies anders sein an dem Ausgangspunkt Meyerbeerscher Operntriumphe, auf derselben Bühne, auf welcher ›Robert‹ im Begriff stand, das erste halbe Tausend seiner Wiederholungen zu erfüllen, während es der ›Prophet‹ in dem einen Jahrzehnt seit seinem ersten Erscheinen bis zur zweihundert und vierzigsten Aufführung gebracht? War nicht das ›bataillon sacré‹ mit seinem handfesten Führer durch den großen Schöpfer der ›Hugenotten‹ in den historisch unentbehrlich gewordenen Apparat der großen Oper eingereiht und die erste Aufführung eines neuen Werkes ohne dessen Mitwirkung [291] eine herausfordernde Vermessenheit? Beide Angelegenheiten, der Lindausche Prozeß und die Verbannung der Claque, gaben der Pariser Journalistenwelt, besonders von Neujahr ab, fast täglich Gelegenheit eine jener Plattheiten loszulassen, für die der schöne Name ›mot d'esprit‹ gemißbraucht wird. Es war das Vorspiel zu allem noch Kommenden.

Das Schlimmste, den Künstler in Wahrheit Kränkende, womit ihm seitens der Direktion immer wieder ›das Leben schwer gemacht wurde‹, war und blieb aber die absurde Frage wegen eines Tanz-Divertissements im zweiten Aufzuge, die ihm immer von Neuem beunruhigend entgegengeworfen wurde. Er hatte geglaubt, es würde genügen, wenn er in seiner Oper wirklich eine Balletszene von origineller und bedeutender Wirkung böte. Man entgegnete ihm: da das Sujet erfordere, daß diese Szene im Anfang des ersten Aktes stattfinde und die Abonnenten erst zum zweiten Akte ins Theater kämen, so sei ihm demnach zu raten, diese Tanzszene eher zu kürzen, weil die eigentlichen Balletliebhaber sie doch nicht ansehen würden. ›Ich bin nicht blind‹, schreibt er in dieser Beziehung an die Fürstin Metternich, ›und erkenne an, daß die große Oper gegenwärtig in Paris so tief gesunken ist, daß der Erfolg eines Werkes dort nur von der Mitwirkung einer beliebten Tänzerin abhängt. Ich kann auch begreifen, daß die Abonnenten der großen Oper, welche eine Mitwirkung der Mme. Ferraris3 zum Beispiel nicht voraussetzen sollen, sich im voraus laut gegen einen Theaterabend erklären, an welchem ihnen die nach ihren Begriffen einzige Essenz desselben vorenthalten werden soll. Möge ich nur hoffen dürfen, daß man auch begreife, wie sehr es mir darauf ankommen muß, mein Werk gegen jede Entstellung zu verwahren‹. Er erneut demnach eine schon früher an die Fürstin gerichtete Bitte, in irgendwie geeignet dünkender Weise seine persönliche Bekanntschaft mit dem Staatsminister Walewski zu vermitteln, in der Hoffnung, ihn in mündlicher Unterredung eines Besseren zu überzeugen. Die Zusammenkunft fand statt, ohne daß irgend etwas in der Sache dadurch erreicht worden wäre. Der Staatsminister wiederholte ihm in verbindlichster und höflichster Weise einzig dasselbe, was ihm bereits der Direktor versichert. Er machte nur noch den neuen Vorschlag, am gleichen Abende, neben dem ›Tannhäuser‹, ein anderweitiges Ballett geben zu lassen. Gegen ein solches Anhängsel, am Schlusse der Oper, war dann schließlich nichts mehr einzuwenden; nur bedang sich Wagner aus, daß deshalb in derselben nichts ausgelassen werden dürfe, und in den drei ersten Aufführungen das Werk allein gegeben würde, so wie es sei. Er wollte [292] sich die Möglichkeit nicht abschneiden, daß durch den Erfolg dieser drei Aufführungen ein Umschlag in den Forderungen und Meinungen der Gesetzgeber der Oper stattfinden könne, so daß sie sich durch das Werk selbst genügend angezogen fühlten, um nicht noch ein unpassendes Beiwerk dazu zu verlangen. In einem Briefe an Wesendonck, dessen Datum leider bis jetzt noch nicht feststeht (zweite Hälfte Januar) wird die Vollendung der Venusberg-Tanzmusik gemeldet. ›Gestern‹, heißt es darin, ›nach durchwachter Nacht, früh 211/2, Uhr, beendigte ich erst den Rest meiner neuen Komposition zu »Tannhäuser«; und am selben Tage gewann ich die Nötigung zu dem Entschlusse, noch eine Änderung im Sängerkrieg vorzunehmen, zu der ich freien Kopf bedarf. Früh am Tage, und viermal wöchentlich abends Probe. Entsetzliche Schwerfälligkeit des ganzen Ganges eines Wagens mit unendlich vielen Rädern ohne Kutscher. Überall muß ich sein; denn Vieles, ja Alles ist den Leuten ungewohnt. Spezialproben oder persönliche Schindereien (wenn Sie wollen) mit den Sängern, die nun fühlen, was sie erst alles von mir lernen müssen. Dazu wachsender Andrang von Unabweislichkeiten. Ich hoffe auf eine schöne, sehr vollendete, wenn auch nicht durchgehends von den durchaus entsprechenden Talenten (unvorhanden) – wiedergegebene Aufführung. Meine neuen Arbeiten dazu sind sehr bedeutend ausgefallen und machen mir die erwartete Ausführung selbst sehr interessant.‹

Erst gegen Ende Januar waren die Dekorateure mit ihren Arbeiten soweit vorgerückt, daß am Sonntag, 3. Februar, die erste Dekorationsprobe stattfinden konnte.4 Die Dekorationen Desplechins erwiesen sich als mit Sorgfalt und Einsicht gearbeitet und entsprachen den Anforderungen nicht allein durch Reichtum und Pracht, sondern auch durch genaues Eingehen auf alle Intentionen der Dichtung und Komposition. Die Grotte der Venus, gebildet aus riesigen Felsen in phantastischen Formen, mit ihren herabhängenden Stalaktiten, deren glänzende Enden in goldigen Reflexen erschimmerten, während Kristallbildungen von mannigfachster Gestalt sich wie ungeheuerliche, nach einer Weltüberschwemmung versteinerte Vegetabilien nach allen Richtungen ausbreiteten und im Hintergrunde der Blick sich in die Tiefen unterirdischer Gänge mit bläulicher Atmosphäre verlor, der Wasserfall und der helle, von schwimmenden Nymphen belebte See, in welchen unzählige, natürliche Säulen von der Decke der Höhle herabhingen, alle die sein berechneten optischen und Beleuchtungseffekte der Pariser Dekorationsmeister waren nicht minder geeignet, dem Auge die geheimnisvollen Wunder der Unterwelt zu verkörpern, als nach der Verwandlung das frische Waldtal im vollen Frühlingsschmucke, [293] den Zuschauer in eine andere Welt zu führen: und besonders mußte die ernste Herbstlandschaft des dritten Aktes unwiderstehlich die für die Szenen desselben notwendige Stimmung erzeugen. Hingegen war das Wiedererscheinen der Venus im dritten Akte, das allmähliche Herannahen des Zauberspukes äußerst mangelhaft inszeniert. Eine Hauptschwierigkeit begann von dem Augenblicke an, wo in den reichen szenischen Apparat des Venusberges durch eine breite Entfaltung des Tanzes und der Aktion Leben und Seele, Feuer und Leidenschaft hineintreten sollte. Nie war bacchantischer Taumel, wildes Getümmel, Liebesdelirium, mit glühenderen Farben, hinreißender und verlockender zu musikalischem Ausdruck gebracht. Den Ballettmeister Petipa wies nun Wagner darauf hin, wie die jämmerlich gehüpften Pas seiner Mänaden läppisch zu dieser Musik kontrastierten und wie er dagegen verlange, er solle hierfür etwas den auf berühmten antiken Reliefs dargestellten Gruppen der Bacchantenzüge Entsprechendes, Kühnes und wild Erhabenes erfinden und von seinem Korps ausführen lassen. Da pfiff der Mann durch die Finger, und sagte: ›Ah, ich verstehe Sie sehr wohl, aber dazu bedürfte ich lauter erster Sujets;5 wenn ich diesen meinen Leuten ein Wort hiervon sagen und ihnen die von Ihnen gemeinte Attitüde angeben wollte, auf der Stelle hätten wir den »Cancan« und wären verloren!‹6 – Oster traf damals Wagner während der Zeit der ›Tannhäuser‹-Proben im Café Tortoni ›beim Gefrorenen‹ mit dem greisen Auber zusammen. ›Er trat dann immer um Mitternacht ein‹, erzählt Wagner, wenn er aus der großen Oper kam, deren dreihundert- und vierhundertsten Aufführungen er regelmäßig auf seinem Logenplatze, man sagte mir: meistens [294] schlafend, beiwohnte. Immer freundlich und vergnügt aufgelegt, erkundigte er sich nach der Angelegenheit des ›Tannhäuser‹. Besonders interessierte es ihn zu hören, ob darin auch etwas zusehen sein würde. Als ich ihm einiges vom Sujet meiner Oper mitteilte, rieb er sich lustig die Hände: ›Ah, il y aura du spectacle; ça aura du succès, soyez tranquille!‹ Von seinem jüngsten Werke, ›la Circasienne7, einem ungemein kindischen, im Hinblick auf den greisen Autor kaum begreiflichen Machwerke, wollte er nicht von mir reden hören: ›Ah, laissons les farces en paix!‹ Dagegen rieb er sich mit äußerster Vergnüglichkeit die Hände und blitzte mit den lustigen Augen aus dem dünnen Kopfe heraus, als ich ihm von dem Eifer berichtete, mit welchem ich einst als Magdeburger Musikdirektor seine Oper ›Lestocq‹ aufgeführt hätte8. Bei uns (in Magdeburg) gefiel diese Oper sehr und ich glaube, mit Recht: daß sie in Deutschland, neben den immer stärker grassierenden Platitüden und Grotesken Adams und Genossen, sich nicht erhielt, blieb mir nicht verwunderlich; daß sie aber auch in Paris dem ›Pré aux Clercs‹, und anderen wohlkonservierten Schätzen dieser Art nicht hatte Stand halten können, begriff ich weniger, und beklagte mich darüber bei Auber. Da lächelte er denn wieder schalkhaft: ›Que voulez-vous? C'est le genre!‹ – Was er schließlich von meinem ›Tannhäuser‹ gehalten hat, habe ich nicht erfahren: ich nehme an, er verstand ›kein Wort davon‹.9

Dieselbe weichlich geglättete Vorsicht und Behutsamkeit, welche den Ballettmeister zur Einhaltung der allernichtssagenden Tanzpas seiner Mänaden und Bacchanten bestimmte, machte sich nun aber leider auch in der ganzen übrigen Darstellung und namentlich im Orchester, auf die bedenklichste Weise fühlbar. Die geist- und schwunglose Führung des letzteren durch seinen angestellten offiziellen Taktschläger wirkte wahrhaft ertötend auf die gesamte Aufführung. Was – in den bisherigen acht Orchesterproben – diesem Instrumentalkörper, mit seinen zum großen Teil vortrefflich gebildeten Musikern zu entlocken gewesen war, hatte einzig die energische Beteiligung des Meisters von der Bühne aus bewirkt. Aber es war unmöglich, bloß auf diesem Wege eines gelegentlichen Eingreifens dem Dirigenten alle die wesentlichen, ihm völlig entgangenen Nuancen anzudeuten, ja einzuprägen. In durchaus freundschaftlicher Weise bewarb sich daher Wagner in persönlicher Rücksprache mit [295] Dietsch um die Bewilligung, an seiner Statt und in seiner Gegenwart auch nur eine Probe zudirigieren. Er stieß auf einen entschiedenen, grundsätzlichen Widerstand. Am Dienstag den 19. Februar abends ging endlich die erste vollständige Orchesterprobe vonstatten, nachdem die ihr vorausgegangenen immer nur Teile des Ganzen umfaßt hatten. Zu dieser lud er die ihm zunächst stehenden Freunde ein10. ›Es waren‹, erzählt Malvida von Meysenbug, ›nur wenige Bevorzugte im großen Opernhause gegenwärtig, von Damen nur Wagners Frau und ich. Es ging alles wunderschön, und nach dem herrlichen Septett, in welchem die Minnesinger den wiedergefundenen Tannhäuser begrüßen, erhob sich das Orchester wie ein Mann und brachte Wagner ein freudiges Hoch der Begeisterung aus. Es war 1 Uhr in der Nacht, als die Probe zu Ende war. Wagner war freudig erregt, weil alles so Herrliches zu versprechen schien, und forderte seine Frau auf, in der Maison d'or des Boulevard des Italiens ein Abendbrot einzunehmen. Wir saßen in einem kleinen Zimmer für uns allein. Es war eine schöne Nachtstunde, die der herrlichen Probe folgte. Wagner erzählte uns u.a., wie er der jungen Marie Sax, die er ihrer prächtigen Stimme wegen für die Elisabeth gewählt hatte, obgleich sie noch ganz Anfängerin war, diese idealisch schöne Partie erklärt habe, u.a. die Stelle, wie sie mit stummer Gebärde auf die Anfrage Wolframs, ob er sie begleiten dürfe, zu antworten habe: »ich danke dir für deine zarte Freundschaft, aber mein Weg geht dorthin, wohin mich Keiner begleiten kann«. Hätte es noch eines Beweises für mich bedurft, so hätte es mir jene Nacht klar gemacht, daß das höchste Kunstwerk allein uns den Schmerz des Lebens verklären kann. Indeß kurz nach dieser schönen Probe trübten sich leider die Aussichten auf ein schönes Gelingen‹11. Die Gründe davon haben wir bereits bezeichnet.

Vergeblich hatte er sich zur Erlangung auch nur ein er, von ihm selbst zu dirigierenden Probe an den Direktor Royer, wie auch an Dietsch persönlich gewendet; Letzterer verkannte den freundschaftlichen Charakter seines Wunsches und fühlte sich dadurch in seiner Musikerehre gekränkt. Bereits nach der nächsten Gesamtprobe aller drei Akte (am Sonntag, 24. Februar) faßte er daher den Entschluß, den er tags darauf in einem Schreiben an den Direktor kundtat. Er mußte, gerade infolge des ihm geleisteten Widerstandes, seine Forderungen höher stellen: er verlangte jetzt nicht nur die Leitung einer Probe, und zwar der letzten, sondern auch die der drei ersten Vorstellungen seines Werkes. ›Es ist nicht an mir,‹ heißt es in diesem Schreiben, ›die Schwierigkeiten zu prüfen, welche sich der Durchführung dieser Maßregel [296] entgegenstellen können, wohl aber, Ihnen zu bedeuten, daß sie unbedingt notwendig ist. Eine Verlängerung der Proben, wenn ich selbst einiges Gute davon für den Dirigenten erwarten will, ist unmöglich. Die Künstler sind erschöpft, und ich selbst finde nicht mehr den Mut in mir, die Erziehung des Dirigenten in einer anderen Weise vorzunehmen, als indem ich ihn einlade, der unter meiner Leitung stattfindenden letzten Probe und den drei ersten Aufführungen als Zuhörer beizuwohnen.‹ Der Direktor der Oper, wenn er es selbst gewollt hätte, konnte in dieser Frage nicht allein entscheiden. Wagner war demnach genötigt, an den Staatsminister, ja endlich an den Kaiser selbst zu schreiben. Vergebens. Alle seine Versuche scheiterten an der fest eingebürgerten Gewohnheit des Institutes der großen Oper wonach es den Komponisten theatralischer Werke untersagt war, dieselben persönlich zu dirigieren. Er mußte es trotz seines Drängens, seiner Energie, trotz des Einflusses, über den er verfügte, über sich ergehen lassen, daß ein anderer, und zwar in einer, seinen Intentionen entgegengesetzten Weise sein Werk dirigierte. Da ihm andererseits auch die Zurückziehung seiner Partitur nicht mehr bewilligt wurde, blieb nichts übrig, als die Zahl der Proben zum Zwecke der Belehrung des Dirigenten schließlich in dem Maße zu vermehren, daß dieselben fast täglich stattfanden, und dem Kommenden mit trübseliger Resignation entgegenzusehen. ›Wer den letzten Proben beigewohnt hat‹, sagt Nuitter, ›wird die Erinnerung daran stets bewahren. Der Orchesterchef an seinem Pult gab den Takt; der Komponist zwei Schritte von ihm entfernt auf der Bühne neben dem Souffleurkasten sitzend, gab seinerseits den Takt an, wie er ihn wollte, mit Händen und Füßen, indem er den Fußboden fürchterlich bearbeitete und eine Wolke von Staub aufwirbelte‹.

Welcher Art die schließliche Aufnahme seines Werkes sein würde, war ihm fast gleichgültig geworden; der Vorstellung aber sah er wie einer Befreiung entgegen. Nichts natürlicher; denn daß er in seiner faktischen Betätigung für ihr Gelingen nicht im mindesten anders verfuhr, als sehe er den glänzendsten Sieg für gewiß voraus, daß er bis zuletzt keine Sorge, keine Mühe für die innerlich längst von ihm aufgegebene Aufführung sparte: das ist einer der tiefergreifenden Züge seiner jedesmaligen vollkommensten Hingabe an seine künstlerische Aufgabe. ›Wagner hat kürzlich einen ganzen Akt alle Rollen ganz allein gesungen‹, war dann wieder einmal nach einer solchen aufreibenden Probe in den Zeitungen zu lesen. Um dieser letzten gemeinsamen Arbeit den vollständig intimen Charakter zu bewahren, hatte er es sogar seiner Frau abgeschlagen, der vorletzten Generalprobe beizuwohnen. Um so mehr war er erstaunt, den Saal ganz mit Personen gefüllt zu finden, die ihm völlig unbekannt waren. Der Generalstab der oppositionellen Pariser Presse hatte sich trotz angeblich ›verschlossener Türen‹ Eingang zu verschaffen gewußt. Die Gelegenheit zur Orientierung über das [297] Werk, zu dessen Sturz alles aufgeboten werden sollte, wurde von den zahlreichen Interessenten, die sich dazu im dunklen Hause einfanden, nach Kräften benutzt. Ihre Ausschließung lag nicht in dem Machtbereiche des Meisters; vielmehr hatte er auch in diesem Punkte seine Machtlosigkeit zu empfinden. Doch nahm er daraus Anlaß, zur letzten Generalprobe hundert Parterreplätze für seine längst auf diese Probe vertrösteten Freunde zu verlangen; nicht minder die Berücksichtigung der Wünsche von Mitgliedern der fremden Gesandtschaften für etwaige Logenplätze. Die ursprünglich auf Freitag den 8. März angesetzt gewesene Vorstellung verzögerte sich durch ein Unwohlsein der Mme. Tedesco um fast eine Woche12. Bei der letzten Probe, am 10. März, hatte Niemann einen Schwindelanfall und mußte die Bühne nach dem Ende des ersten Aktes verlassen. Die Probe wurde ohne ihn fortgesetzt. ›Das zahlreiche Auditorium‹, erzählt Malvida, ›bestand zum größten Teil aus Freunden, unter denen die Fürstin Metternich sich mit lebhaften Beifallsbezeigungen hervortat. Für mich war es ein himmlischer Abend, denn mir brachte er das Längstersehnte, obwohl ich fühlte, daß vieles in der Ausführung zu wünschen übrig blieb. Beim Herausgehen traf ich Wagner, der auf seine Frau wartete. Ich sah es an den Wolken des Unmutes auf seiner Stirn, wie wenig er befriedigt war, wie wenig er von dieser Aufführung den Sieg über die feindlichen Mächte erhoffte‹. Wenige Tage zuvor hatte er die abschlägige Antwort des Staatsministers erhalten, und auch sein, kurz darauf an den Kaiser persönlich (durch die Fürstin) gerichtetes Gesuch hatte keinen Erfolg gehabt. Proben waren ihm bewilligt, immer neue Proben, so viel er deren für gut finden würde; aber Dietsch blieb auf dem Platze! In gleichzeitigen Briefen an seinen Bruder Joseph Dietsch in Dijon rühmt sich dieser eitle und unbedeutende Mensch, er habe Wagner gegenüber eine große ›Würde und Entschiedenheit‹ behauptet13! Wie alle beschränkten Personen, hielt er um so eigensinniger an seiner vermeintlichen ›Würde‹ fest, als ihm das bestehende Herkommen dazu einen willkommenen Rückhalt bot, und schmeichelte sich mit der stolzen Vorstellung, durch seine Hartnäckigkeit nicht allein seine persönliche Dirigentenehre, sondern auch die Ehre und das Ansehen aller französischen Dirigenten zugleich mit gerettet zu haben. Du kannst Dir keinen Begriff machen, was er alles aufgeboten hat, um sein Ziel zu erreichen. Er hat sich anfangs an den Staatsminister, hierauf an den Kaiser gewendet. Am letzten Sonntag wurde ich in das Staatsministerium berufen und hatte eine halbstündige Unterhaltung mit dem Generalsekretär des Ministers. Dabei sah ich, daß ich viel stärker und geachteter bin, als ich es hoffen konnte. Er machte mir sein Kompliment wegen meiner Charakterfestigkeit [298] und Entschiedenheit, und ich gestand ihm: die ganze Oper, der Direktor an der Spitze, habe mir zur Nachgiebigkeit geraten. Aber ich habe gegen alle Welt gerungen. Als Wagner alle seine Intriguen (!) bei Hofe erschöpft hatte, versuchte er mich zu bewegen, indem er mir die Gesandten von Preußen und Österreich, den Fürsten Poniatowsky und verschiedene sehr hochgestellte Deutsche zuschickte. Diesen allen habe ich geantwortet: ›Nein, nein‹!14 ›Ganze Deputationen deutscher Studenten haben die Reise nach Paris gemacht, um Wagner gegen vorkommende Angriffe zu verteidigen‹, heißt es in einem anderen dieser Briefe, – ›also: Achtung vor den Rippenstößen am Tage der ersten Aufführung!‹15

Von allem angeblichen Sukkurs aus dem Vaterlande16 war einzig, gegen Ende Februar, Bülow treulich auf dem Platze. Ein Brief von ihm an Alexander Ritter, vom 9. März, am Tage vor der eben erwähnten letzten Generalprobe geschrieben, ist voll tiefer Bitterkeit, aber er kennzeichnet eben dadurch die Stimmung, in welcher sich schließlich, nach allen vorausgegangenen Enttäuschungen, auch der Meister selber befand. ›Jetzt ist alles entschieden‹, heißt es darin, ›Wagner dirigiert nicht. Usus tyrannus. Eins der schäbigsten Rindviehe, gegen das der erste beste Schindelmeißer gehalten ein Franz Liszt ist, ein Greis ohne Intelligenz, ohne Gedächtnis, gänzlich erziehungsunfähig, wie aus den unzähligen Proben hervorgegangen ist, die eigentlich nur für seine Instruktion abgehalten worden sind, ohne Gehör – wird den Taktstock führen. Morgen, Sonntag, letzte Probe bei verschlossenen Türen17. Mittwoch, 13. März, erste Aufführung; Donnerstag reife ich nach Berlin zurück. Erlaß mir die briefliche Schilderung aller der entsetzlichen Qualen, denen ich teils als Zuschauer, hier und da auch als tätiger Teilnehmer während drei Wochen beigewohnt habe. Es war eine furchtbare Zeit‹. Unter allen Mitwirkenden ist es besonders Niemann, über dessen Verhalten gegen Wagner er seine Unzufriedenheit in so scharfen Ausdrücken kundgibt, daß dieselben neuerdings, bei der Herausgabe seiner Briefe, lieber unterdrückt worden sind, – ein Beispiel, dem wir Folge zu leisten nicht Anstand nehmen18. Es [299] folgt eine Schilderung der übrigen mitwirkenden Kräfte, die zum Teil günstiger ausfällt. ›Und das alles‹, heißt es dann weiter, ›wird fast zu nichte gemacht durch den Esel von Chef d'orchestre (Wagner sagt: »Schöps d'orchestre«) der aus einem Violino principale dirigiert! der dem Orchester nie ein Eintrittszeichen gibt! Furchtbar! Mündlich will ich Dir das Nähere explizieren. »There are more things« etc. ... Meine Schweriner Exkursion ist nun also unmöglich geworden. Das tut mir und meinem Geldbeutel sehr leid. Aber ich habe, um hierbleiben zu können und Wagner durch meine Gegenwart etwas zu erheitern oder abzufallen, noch andere Opfer bringen müssen, die ich so anständig bin, ebenfalls nicht zu bereuen ... Liszt ist durch römische Fragen und Antworten19 per Telegraph an Weimar gefesselt, und denkt im Augenblick nicht entfernt daran, hierherzukommen. Gott, was hätte der mit seiner Menschenkenntnis und Liebenswürdigkeit für Wagner rätlich und tätlich nützen können!‹

So kam der Tag der Aufführung, der 13. März, heran. Gasperinis Behauptung, Wagner habe ›in den letzten Tagen vor der Entscheidung seine lieb sten Freunde vergessen‹ (!) ist nur ein Beweis seiner noch nach Jahren20 fortdauernden Empfindlichkeit darüber, daß ihm der Meister, wie auch anderen seiner allernächsten persönlichen Freunde, nicht von sich aus eine bevorzugte Loge zu dieser Aufführung verschaffen konnte. Dies war ihm eben ›durch die wunderliche Fürsorge derer, welche am ersten Aufführungstage einzig die Plätze zu vergeben haben, fast ganz unmöglich gemacht21. Wir sehen ihn in den erhaltenen Dokumenten22 mit der Direktion über die ihm noch nötigen Plätze handeln und feilschen, um wenigstens die Wünsche seiner Gönnerin, der Fürstin Metternich, und ihrer Angehörigen zu befriedigen.23 [300] Ebenso einseitig sind Gasperinis fernere Angaben: ›der unglückliche, gereizte, verwundete, kranke, mit sich selbst und aller Welt unzufriedene Komponist habe am Tage der Aufführung alle Hoffnung verloren und nur noch den Wunsch gehegt, ein Zusammensturz möge mit einem Schlage seinem Dasein ein Ende machen; er sei nicht ins Theater gegangen, wie ein Feldherr, der eine Schlacht liefern wollte, sondern habe sich wie ein zum Tode Verurteilter dahin schleppen lassen‹. Er war ja in diesem Moment gar nicht der kommandierende Feldherr, sondern hatte den Kommandostab wider Willen in die ungeeignetste Hand übergeben müssen! ›Selbst die glänzendste Aufnahme meiner Oper hätte mich nicht bewegen können, einer langen Reihe von Aufführungen selbst beizuwohnen, da ich gar zu wenig Befriedigung daraus gewann‹. Dieses eine Wort des Meisters charakterisiert seine Verfassung am Tage der Aufführung besser, als alle Hyperbeln seines französischen Freundes. Und daß gerade die Bitterkeit dieser Empfindung ihn die schließliche Ermüdung mehr empfinden ließ, muß sich ein Jeder sagen, der die unausgesetzte Überspannung seiner Kräfte während eines vollen Halbjahres und darüber des Näheren verfolgt hat. Ein Vorgefühl des Sturmes, wie er sich tatsächlich an diesem Abend gegen ihn und sein Werk erheben sollte, konnte er unmöglich haben; für ihn kam nur die Schwäche der Aufführung in Betracht.

Die Vorstellung begann um 8 Uhr; der glänzende Saal der großen Oper war in allen Rängen und Logen überfüllt, die Spannung außerordentlich. Ungeachtet alles dessen, was man über die systematische Opposition eines Teiles der Zuschauer im voraus aus den Zeitungen vernommen, wußte Niemand so recht, was vorgehen würde. Die gesamte musikalische Presse, deren feindselige Tendenz schon aus ihren Vorberichten zu erkennen war, hatte der bei solchen Anlässen gewöhnlichen offiziellen Einladung Folge geleistet. Nicht minder zahlreich als die Pariser Journalistik, war diejenige Klasse der Öffentlichkeit vertreten, wel che, von ihr besoldet, mit ihren ganzen Lebensinteressen von ihr abhing. Die Anwesenheit des Hofes und einiger fremder Gesandtschaften fiel dem gegenüber wenig ins Gewicht. Aber außer diesen Faktoren gab es doch eine große Masse, welche hören und sehen, sich ein eigenes Urteil bilden wollte. Für ihre äußerste Kälte und Voreingenommenheit war durch alle vorausgegangenen Journalmanöver gesorgt; aber es waren lebhafte empfängliche Franzosen, auf ihre Erregbarkeit konnte trotz aller Agitation schließlich fast ebenso im Guten, wie im Schlimmen gerechnet werden. Die erste Szene, obwohl sie mehr noch als der Rest des Werkes [301] das Fremdartige eines neuen und ungewohnten Stiles verkörperte, wurde ohne Widerspruch angehört. ›Die Ouvertüre und die erste Szene,‹ so erzählt Malvida, die sich mit mehreren befreundeten Damen und dem Maler Czermak in einer Loge befand, ›verliefen ohne Störung, und obwohl ihre Anordnung weit hinter Wagners Idee zurückblieb und die drei Grazien im rosa Ballettkleid erschienen, so war es doch so, daß ich aufatmete und hoffte, die Befürchtungen würden zu Schanden werden. Aber bei der Wandlung der Szene, bei dem hinreißend poetischen Wechsel aus dem wüsten Bacchanal da unten in die reine Morgenstille des Thüringer Waldtals, bei den Klängen der Schalmei und des Hirtenliedes, brach plötzlich der lang vorbereitete Angriff aus‹. Ein erstes Murmeln wurde laut. Wagner, der an der Seite Nuitters in der Loge des Direktors saß, begriff noch nicht den Sinn dieser Manifestation. Er beugte sich vor, um das Publikum zu betrachten, und sagte zu seinem Mitarbeiter: ›Es kommt wohl der Kaiser?‹ Nein, es war nicht der Kaiser, es war das erste Hohnlachen eines Teiles der Zuschauer24. Das Oboenritornell der Hirtenszene gab der Opposition den ersten Anhalt zu ihrem Vorgehen, während andrerseits sogar dem Pilgerchor die bezahlten Chuchotements nicht erspart blieben. Natürlich blieb auch die Gegenpartei nicht untätig, d.h. die Freunde und derjenige Teil des Auditoriums, der sich das Recht einer ruhigen Anhörung nicht gewaltsam nehmen lassen wollte. Das Septett und Finale des ersten Aktes ernteten großen und lebhaften Beifall, der alle Gegenprotestationen siegreich zu Boden hielt. Dies Zeichen von Gerechtigkeitssinn seitens eines fremden, seit Monaten systematisch gegen ihn aufgereizten Publikums konnte den Autor wohl mit einiger Wärme erfüllen. Um so gefahrdrohender erschien es den Tonangebern der feindlichen Partei, welches bis dahin ihr Möglichstes getan, das Publikum vom Hören abzulenken. Auch im Verlaufe des zweiten Aktes schienen ihre Bemühungen nicht recht zünden zu wollen, und gegen das Ende desselben gerieten sie in zunehmende Furcht, einem vollständigen und glänzenden Erfolge des verhaßten Werkes beiwohnen zu müssen. Es gab noch eine Waffe dagegen und eine für Paris gefährliche: nach gewissen verabredeten Stichworten erhob sich von verschiedenen Seiten des Hauses her ein lautes Gelächter. Dies Mittel wirkte durchschlagend, und als erst einige Witzwörter laut werden, griff die Lachlust bei einem großen Teile des Publikums ganz in dem Maße um sich, als Handlung und Musik tragischer wurden. Einer bedeutenden Manifestation beim Fallen des Vorhanges war damit die Spitze abgebrochen. Vergebens war der Kampf des billiger denkenden Teiles der Versammlung gegen diese Art des Angriffes. Die Fürstin Metternich wagte es, dem allgemeinen Tumulte aus der Loge des Staatsministers Walewski mit demonstrativen Beifallsbezeigungen [302] zu entgegnen. Ihr Heroismus zog ihr andauernde heftige Demonstrationen zu, die sich speziell gegen ihre Loge und ihre Person richteten. Vielleicht daß sie, dadurch geniert, sich mehr in den Hintergrund der Loge zurückzog, wo sie weniger sichtbar war; jedenfalls war die überall triumphierend ausgesprengte Nachricht, sie hätte ›schon im zweiten Akt das Theater verlassen‹, eine böswillig tendenziöse Unwahrheit. Dazu war die Fürstin Pauline nicht schüchtern genug25. Noch galt es, den Erfolg des dritten Aktes zu untergraben, dessen Szenen den Glanzpunkt der gesamten Leistung der Darsteller bildeten. Ganz unübertrefflich schön wurde der Pilgerchor gesungen und szenisch ausgeführt; das Gebet der Elisabeth, vom Dem. Sax vollständig und mit ergreifendem Ausdruck wiedergegeben, die Phantasie an den Abendstern, von Morelli mit vollendeter elegischer Zartheit vorgetragen, leiteten den besten Teil der Leistung Niemanns, die Erzählung der Pilgerfahrt, so glücklich ein, daß schon aus der Generalprobe ein ausnahmsweise bedeutender Erfolg dieses Aktes vorausgesehen werden konnte. Gerade an diesem Akte vergriffen sich die Häupter der Opposition, indem sie jedes Aufkommen einer gesammelten Stimmung durch Lärmen, Pfeifen und Schreien und heftige Ausbrüche eines lauten höhnischen Lachens zu hindern suchten. Als Niemann seine große Szene begann, rief man ihm zu: ›encore un pélérin!‹ und schallendes Gelächter folgte diesem Ausruf. Sobald die Situation einen Ruhepunkt bot, gab der Kaiser selbst das Zeichen zum Applaudieren, und das Publikum stimmte durch beifällige Gegendemonstrationen mit ein. Aber die Stimmung war unrettbar verdorben, und das mangelhaft inszenierte Wiedererscheinen der Venus steigerte die Lachwut bis zur Ausgelassenheit. Der Direktor harrte nur des kaiserlichen Winkes, um die Vorstellung noch kurz vor dem Schlusse abzubrechen. Aber der Wink erfolgte nicht, die Sänger blieben unerschrocken und taten ihr Bestes, und die Aufführung nahm ihren Fortgang. Aber freilich, sie war so grausam gestört und zerstückelt, daß auch den Wohlwollendsten nicht die Möglichkeit geworden war, sich eine richtige Vorstellung des Ganzen zu bilden. ›In welcher Aufregung und Empörung ich war,‹ erzählt Malvida, ›ist kaum zu sagen. Aber auch die anderen Gutgesinnten waren in einem ähnlichen Zustande Czermak war so wütend, daß er nur mit Mühe zurückgehalten werden konnte, sich an einigen der Hauptanführer tätlich zu vergreifen‹. Beim endlichen Fallen des Vorhanges erfolgte stürmischer Hervorruf der Darsteller und reichlicher Beifall drückte die [303] Opposition nach viertelstündigem Kampfe völlig darnieder. Daß dies möglich war, konnte für einen außerordentlichen Sieg gelten.

Was bei der Aufführung selbst noch nicht geglückt war, der völlige Sturz der Oper, – das suchten die Organe der ›öffentlichen Meinung‹ in den nächstfolgenden Tagen durch einstimmig ablehnende Haltung, durch offenkundiges Schüren und Hetzen, vollends zu bewirken. ›Les Français ont gagné tant de batailles, y compris celle du mercredi dernier à l'Opéra!‹ Ein Ausruf, wie dieser, sanktionierte die Zügellosigkeiten im Opernhause als eine Äußerung des Patriotismus. ›Il faillait presque n'être pas Français pour ne pas rire!‹ Völligem Unverständnis begegnete der poetische Gegenstand; die Kritik erklärte ihn für eine Absurdität, ›la chose la plus idiote qu'on ait jamais entendue.‹ Daß ein so schwaches Motiv, wie der Ton einer Kirchenglocke, vermögend sei, Tannhäuser aus den Armen der Venus zu reißen, war den meisten unerklärlich. Stimmführende Blätter behaupteten frech, Venus habe für ihre Zärtlichkeit mehr Dank verdient. Anderen erschien im Gegenteil die erste Szene zu unzüchtig, besonders solchen satirischen Blättern, denen die viel unmittelbareren Szenen des Bal de l'Opéra und des Quartier Bréda zur unerschöpflichen Fundgrube und zur unentbehrlichen Lebensbedingung geworden waren. Auch daß der Papst den ›péchés Venusbergeois‹ seine Absolution nicht erteilen könne, fand man im modernen Babel unbegreiflich. Das Urteil über die Musik lautete nicht anders, als bei den vorjährigen Konzerten. Berlioz' diesmalige Kritik war Schweigen. ›Courage négatif‹, bemerkt darüber Baudelaire, ›remercions-le de n'avoir pas ajouté à l'injure universelle‹. Vielleicht waren ihm doch die Hände gebunden?26 ›Am folgenden Tage‹, erzählte Malvida, ›ging ich zu Wagners. Ich [304] fand ihn männlich gefaßt; und so sehr war dies der Fall, daß auch die wütendsten Journale in dem Kampf, der gleichzeitig in der Presse entbrannte, es bekannten, daß er sich am Abend der Aufführung dem Sturm gegenüber auf das Würdevollste verhalten habe. Er hatte von Anfang an den Vorsatz, die Partitur zurückzuziehen und eine weitere Aufführung unmöglich zu machen; wir alle, die näheren Freunde, stimmten dagegen und für die Wiederholung, da wir bestimmt hofften, daß die Sache durchdringen müßte‹. Seine eigenen Äußerungen sind, in dem gleichen Sinne, fast nur beschwichtigend. ›Beruhigen Sie sich einigermaßen!‹ schreibt er an Mme. Street. ›In bezug auf mich lieben die Zeitungen immer nur das Nachteilige zu berichten. Sie gedenken nur der Kabale, nicht aber, daß ich siegte. Die erste Aufführung war eine Schlacht, in der ich aber das Feld behauptete, und sie könnte mir nur guten Mut machen, wenn ich – meines Tenoristen sicher wäre und das Ministerium für mich hätte. In dem Haß der Gräfin Walewski gegen die Fürstin Metternich liegt meine größte Gefahr.‹27

Die zweite Aufführung war für den dritten Tag, Freitag d. 15. März angesetzt, mußte aber infolge einer Erkrankung Niemanns auf den Beginn der nächsten Woche verschoben werden. Für die weiteren Schicksale des Werkes war dies ungünstig. Die Gegner konnten Kräfte sammeln, ihre Hilfstruppen verstärken. In der Zwischenzeit bemühte sich Mr. Royer angelegentlich darum, ›im Interesse des Werkes‹ Striche und Änderungen von dem Autor bewilligt zu erhalten. Der Unglückliche bildete sich ein, das höhnische Lachen, welches während der ersten Vorstellungen einzelnen Nummern folgte, sei durch die Musik hervorgerufen worden! Am Sonnabend d. 16. fand eigens noch im Beisein Wagners eine Klavierprobe im Foyer der Oper statt, welche sich ausschließlich auf diese Kürzungen bezog. Tags darauf erstattet der Direktor dem Minister einen Bericht, worin er ausdrücklich des ›großen Widerstandes seitens des Komponisten‹ gedenkt, dem er nur mit Mühe die Auslassungen abgerungen.28 Das Erscheinen der Hornbläser und der Meute von Jagdhunden ließ er auf eigene Autorität und Verantwortung fort. Das war natürlich vergebene Fürsorge. Die Ursache der feindlichen Demonstrationen lag weder in der Musik, noch in den armen Hunden, deren Erscheinen vielmehr wenige Jahre später in einem Schauspiel ›la jeunesse du Roy Henry‹ nicht unwesentlich zu dessen Erfolge beim Pariser Publikum beitrug.29

[305] Auf den nächsten Montag (18. März) fiel die zweite Aufführung. Während des ganzen ersten Aktes und bis in die Mitte des zweiten waren die Störungen gering, und ein anhaltender Applaus begleitete ungestört die am schnellsten beliebt gewordenen Stellen der Oper. ›Daß ich nicht geirrt hatte‹, sagt Wagner selbst, ›den Erfolg der ersten Aufführung als einen vollständigen Sieg anzusehen, bewies mir die Haltung des Publikums am Abende der zweiten; denn hier entschied es sich, mit welcher Opposition ich fortan es einzig nur noch zu tun haben sollte, da mit dem Rufe »à la porte les Jockeys!« das Publikum selbst laut und öffentlich meine Hauptgegner bezeichnete.‹ Die Mitglieder des Jockeyklubs, diese ebenso einflußreichen, als gewalttätigen Beherrscher der großen Oper, tiefverletzt durch die Abwesenheit des üblichen Balletts um die Stunde ihres Eintrittes in das Theater, waren mit Entsetzen innegeworden, daß der ›Tannhäuser‹ bei der ersten Aufführung nicht gefallen war, sondern in Wahrheit vielmehr triumphiert hatte. Von nun an war es die Sache dieser Kavaliere, zu verhindern, daß die ballettlose Oper ihnen Abend für Abend vorgeführt würde. Der Kampf wurde ein noch viel erbitterterer als das erste Mal. Auf dem Wege vom Diner zur Oper hatten sie sich in einem Waffenladen in der Opernpassage alle irgend austreibbaren Jagdpfeifen und ähnlichen Instrumente gekauft, mit deren Hilfe sie alsbald nach ihrem Eintritt auf die unbefangenste Weise gegen das verhaßte Werk manövrierten. Von jetzt ab half keine Beifallsdemonstration mehr. Vergebens demonstrierten selbst der Kaiser und seine Gemahlin zum zweiten Male zugunsten des Werkes. Von denjenigen, die sich als die Herren des Saales betrachteten und sämtlich zur höchsten Aristokratie Frankreichs gehörten, war die unwiderrufliche Verurteilung der Oper ausgesprochen. Bis an den Schluß begleiteten Pfeifen und Flageolets jeden Applaus des Publikums. Durch wiederholte lärmende Unterbrechungen während seiner großen Erzählung außer sich gebracht, schleuderte Niemann seinen breitrandigen Pilgerhut wie einen Fehdehandschuh über das Orchester hinweg in den Zuschauerraum, so daß er ins Publikum hineinfiel. Auf diese unerhörte Herausforderung von seiten eines Sängers entstand vorübergehend eine Totenstille. Vortretend, die Hand auf der Brust, machte dieser inzwischen zur kaiserlichen Loge hin eine Verbeugung, mit einer stummen Gebärde, die ihm der ehrliche Kietz, als Augenzeuge und Erzähler der Episode, mit den Worten auslegt: ›ich kann nichts dafür, wenn das Stück nichts taugt.‹30 ›Ich war‹, so erzählt Malvida [306] ›mit Wagners Frau und einer mir bekannten ungarischen Dame in einer Loge. Neben uns waren Franzosen, die sich durch Pfeifen, Zischen und Schreien besonders hervortaten. Ich war außer mir vor Empörung und machte nun auch laut, in französischer Sprache, meinem Zorne Lust. »Das ist das Publikum, welches sich anmaßt der Welt vorzuschreiben, was Geschmack, was schön und vortrefflich sei? Ein Haufen von Straßenbuben ist es, der nicht einmal Lebensart genug hat, Andersdenkenden Ruhe zum Hören zu geben.« In dieser Weise sprach ich ganz laut fort, so daß Wagners Frau mir erschrocken zuflüsterte: »Mein Gott, Sie sind zu kühn, Sie werden sich Unannehmlichkeiten zuziehen!« Ich dachte aber an nichts als an meinen Zorn und meine Verachtung eines solchen Publikums, und endlich wandte ich mich direkt an die Nachbarn und sagte: »Meine Herrn, wenn Sie auch auf nichts anderes Rücksicht nehmen, so bedenken Sie wenigstens, daß die Frau des Komponisten hier neben Ihnen sitzt.« Sie wurden einen Augenblick stutzig und etwas stiller. Dann aber singen sie von neuem an. Dennoch gelang es auch diesmal nicht, den Vorhang zum Fallen zu bringen, und die Aufführung wurde bis zu Ende durchgeführt.‹31 Der Prinz von Sagan, einer der damaligen Lions des Jockeyklubs, versuchte mehr als 30 Jahre später, als die Prophezeiung der Fürstin Metternich sich bereits erfüllt hatte, nachträglich die Miene der Unschuld aufzusetzen und sich und seine Genossen von dem, inzwischen durch den Griffel der Geschichte festgehaltenen, schmachvollen Vorwurf reinzuwaschen. ›Meine Freunde und ich waren jung. Man sagte uns, es werde Spektakel geben, und da gingen wir natürlich hin. Ich habe allen drei Aufführungen beigewohnt; von der Musik konnte ich nichts behalten, nur das Pfeifen klingt mir noch in den Ohren. Der Jockeyklub hatte keinen besonderen Grund, eine Kabale anzuzetteln; die meisten Mitglieder waren mit der Fürstin Metternich persönlich bekannt und einige davon waren bereits Verehrer der Wagnerschen Musik (!).‹32 Aber die offenkundigen Tatsachen konnte er durch diese verspätete Erklärung nicht mehr zurücknehmen oder ungeschehen machen.

Bei der gänzlichen Ohnmacht der Direktion gegen diesen mächtigen Klub, bei der offenbaren Scheu selbst des Staatsministers, mit den Gliedern desselben sich ernstlich zu verfeinden, erkannte Wagner, daß er den ihm so treu sich bewährenden Künstlern es nicht zumuten dürfe, sich länger und wiederholt den Aufregungen auszusetzen, denen man sie gewissenlos preisgab, in [307] der Absicht, sie gänzlich zum Abtreten zu zwingen. Er erklärte der Direktion, er ziehe seine Oper zurück und willige in eine dritte Aufführung nur unter der Bedingung, daß sie an einem Sonntag, also: außer dem Abonnement, stattfinde; somit unter Umständen, welche die Abonnenten nicht reizen und dagegen dem eigentlichen Publikum den Saal einräumen sollten. Mit dieser Entscheidung war dann auch die erneute Zumutung der Direktion erledigt, die sich aufs neue um Kürzungen beworben hatte, Kürzungen in dem Umfang, daß es ihr möglich würde, nach der Oper noch ein Tanzdivertissement einzuschalten.33 Sein Wunsch, diese Vorstellung auch auf der Affiche als ›letzte‹ zu bezeichnen, ward nicht für zulässig gehalten, und es blieb ihm nur übrig, sie seinen Bekannten persönlich als solche anzukündigen. Diese Vorsichtsmaßregeln hatten aber die Besorgnis des Jockeyklubs nicht zu stören vermocht. Vielmehr erblickte derselbe in dieser Sonntagsaufführung eine kühne und für seine Interessen gefährliche Wendung, nach welcher das angefochtene Werk, einmal mit unbestrittenem Erfolge zur Aufführung gebracht, ihnen leicht mit Gewalt aufgedrungen werden könnte. An die Aufrichtigkeit der Versicherung Wagners, gerade im Falle eines solchen Erfolges die Oper um so gewisser zurückziehen zu wollen, hatte man nicht den Mut zu glauben. Somit war die Losung der Gegner: alle Mittel aufzubieten, um eine weitere Aufführung rundweg unmöglich zu machen. Zu solchem Zwecke ließ der Jockeyklub silberne Pfeifchen verteilen mit der eingegrabenen Aufschrift: ›Pour Tannhäuser‹.34 Während sich der Meister und seine Freunde der Hoffnung hingaben, wenigstens diese Aufführung würde von den Ruhestörern verschont bleiben, und nur das Publikum, welches wirklich hören wollte, dazu im Theater erscheinen, bereiteten sich vielmehr systematisch die ausgesuchtesten Störungen dazu vor.

Die tumultuarischen Szenen am folgenden Sonntag Abend (24. März) hatten in der gesamten Kunst-und Theatergeschichte nicht ihresgleichen. Um sich für alle Fälle die unnütze Aufregung zu ersparen, hatte Wagner beschlossen, diesmal der Vorstellung nicht beizuwohnen, sondern sich mit seiner Frau ruhig zu Hause zu halten. Schon zu Beginn des Abends begannen [308] die Kundgebungen der von den Jockeys bezahlten Opposition. Ein Engländer beklagte sich, in seiner Umgebung hätten fünf, mit Pfeifchen versehene junge Leute von Beginn der Oper an fortwährend auf ihren Instrumenten konzertiert. Einer von ihnen konnte sich nicht enthalten, während der Szene zwischen Venus und Tannhäuser auszurufen: ›mais c'est beau!‹ – ›Tais-toi, imbécile!‹ habe ihm sein Nachbar zugeschrieen, ›sommes-nous ici pour applaudir?‹ Beim Beginn des zweiten Aufzuges wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Logen der Jockeys, welche ihren anderweitigen Vergnügungen für diesen Abend entsagt und sich selbst in vollster Rüstung in der Oper eingestellt hatten, um die Szenen des vorigen Abends zu erneuern. Sie hielten mit ihren boshaften Machinationen gar nicht zurück, sondern saßen recht geflissentlich sichtbar, in ihren mit Glacéhandschuhen bedeckten Händen die kleine Pfeife haltend, die dann auf ein gegebenes Signal die schrillen Töne hervorbrachte. Diesmal stieg die Erbitterung des Publikums, welches durchaus verhindert werden sollte, der Aufführung zu folgen, auf einen bisher unerreichten Grad. Es gehörte die unantastbare soziale Stellung der Ruhestörer dazu, sie vor tätlicher übler Behandlung zu schützen. Während zwei ganzer Akte kämpfte das ganze übrige Publikum vergeblich gegen diese brutalen Störungen. Die Sänger benahmen sich heldenmütig, sie mußten oft fünfzehn Minuten und noch länger anhalten, um den Sturm vorüberzulassen. Aber sie standen ruhig, sahen unerschüttert in den Zuschauerraum hinein, und sobald es still wurde, nahmen sie ihren Gesang wieder auf. Sie führten auch diesmal die Vorstellung zu Ende, obgleich das wahnsinnige Toben natürlich jede Freude an den einzelnen guten Leistungen verdarb. Zuhörer der Aufführung versichern nicht zu wissen, ob die Erzählung des Tannhäuser überhaupt gesungen wurde oder nicht. So sehr sei der ganze dritte Akt in dem allgemeinen Tumult erstickt worden. Eine hübsche Episode aus dieser Aufführung berichtet Malvida v. Meysenbug in ihren ›Memoiren‹. Da sie auf einen ruhigen Verlauf dieser letzten Vorstellung rechnete, hatte sie ihren Zögling, die kleine Olga von Herzen,35 zu dieser Aufführung mitgebracht. ›Sie hatte bereits eine große Verehrung für Wagner und war in den Tiefen ihrer jungen Seele bewegt von dieser Musik, mit der sie eigentlich in das Reich der Töne eintrat. Dieselbe übte eine so entschiedene, wunderbare Macht über sie, daß mir daran von neuem ihre innere Wahrhaftigkeit klar wurde.‹ Nun zeigte sich in dem Sturm dieses Abends das Kind nicht minder leidenschaftlich erregt, als seine begleitende Freundin und Erzieherin. ›Olga mischte sich mit wahrer Wut in den leidenschaftlichen Kampf der Parteien, lehnte sich über die Brüstung der Loge und rief mit aller Kraft: »à la porte, à la porte!« indem sie auf die pfeifenden eleganten Herren zeigte. [309] Zwei Herren, die neben uns in der Loge waren, schienen ganz entzückt von ihrem Eifer und sagten mehrere Male: »elle est charmante.«‹36

Der Meister hatte den Ausgang in seiner Wohnung abgewartet. ›Es war zwei Uhr in der Nacht‹, fährt Malvida in ihrer Erzählung fort, ›als wir uns im Foyer mit mehreren Freunden zusammenfanden und vereint zu Wagners gingen, die, wie wir voraussetzten, eines Berichtes harren würden. Auch hatten wir uns nicht getäuscht. Sie saßen gemütlich beim Tee, und Wagner rauchte eine Pfeife. Er empfing die Nachricht des abermaligen, und zwar des erbittertsten Kampfes von allen, mit Lächeln, und scherzte mit Olga, indem er ihr sagte, er habe gehört, sie hätte ihn ausgepfiffen. Aber an dem Zittern seiner Hand, als er mir dieselbe reichte, fühlte ich, daß das unnatürliche, heftige Begebnis ihn dennoch tief erregt hatte. Wenn auch alles Unschöne, Rohe, Hassenswerte des Vorganges auf das Publikum zurückfiel, das sich eines solchen Betragens schuldig gemacht, so war doch nun wieder eine Hoffnung für ihn dahin, und der rauhe Lebensweg, der sich gar nicht ebnen wollte, lag wieder düster, mühevoll und hoffnungslos vor ihm.‹37 ›Das Tragische für mich liegt darin‹, sagt er selbst, ›daß meine gewagtesten Unternehmungen zugleich zur Bestreitung der Mittel zu meinem Lebens unterhalt dienen sollen. Hierüber herrscht unter allen meinen Freunden, Protektoren und Bewunderern noch eine Blindheit, die mich mit verzweiflungsvoller Bitterkeit erfüllt‹.38 Nichtsdestoweniger zögerte er keinen Augenblick mehr, sein Werk nun ein-für allemal definitiv zurückzuziehen. Das an den Direktor der großen Oper gerichtete Aktenstück, wodurch dies geschah, ist vom Tage nach der dritten Aufführung: ›Paris, 25. März 1861‹ datiert und lautet, wie folgt: ›Die Opposition, die sich gegen den Tannhäuser kundgegeben, beweist mir, wie sehr Sie recht hatten, als Sie mir gleich anfangs über das Fehlen des Balletts und anderer herkömmlicher szenischer Gebräuche, an welche das Opernpublikum gewöhnt ist, Vorstellungen machten. Ich bedaure, daß der Charakter meines Werkes mir nicht gestattete, diesen Erfordernissen zu entsprechen. Jetzt, wo die ihm gemachte Opposition nicht einmal denjenigen Zuschauern, die es hören möchten, erlaubt, ihm die zur Würdigung desselben notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, bleibt mir anständigerweise nichts übrig, als meine Oper zurückzuziehen. Ich ersuche Sie, diesen meinen Entschluß Sr. Exzellenz dem Herrn Staatsminister mitzuteilen.‹

Beschämender noch als die Vorfälle im Opernhause selbst, war für die Beurteilung der Pariser Öffentlichkeit die Verbrüderung der verschiedensten publizistischen Parteien, die sich nach der Aufführung in den Spalten der öffentlichen Blätter wie über den Trümmern eines Schlachtfeldes einmütig [310] die Hände reichten. Nur wenige ehrliche Stimmen fanden sich bereit, der Entrüstung des unbeteiligten Publikums über die vorgefallenen Abscheulichkeiten Ausdruck zu geben. U.a. veröffentlichte der damalige ›König der Feuilletonisten‹, der alte Jules Janin, im ›Journal des Débats‹ einen sehr graziösen und geistreichen Artikel, worin er, an den Fächer der Fürstin Metternich anknüpfend, den diese im Zorn über das Vorgefallene auf der Logenbrüstung zerbrochen, das Verfahren der Tonangeber des Skandals auf das Blutigste geißelte. Er schlug darin für die Herren des Jockeyklubs ein neues Wappen vor: eine Pfeife auf einem mit brüllenden Rachen bedeckten Hintergrunde, und als umlaufendes Motto die Worte: ›Asinus ad lyram‹.39 ›Mögen die Herren‹, rief Baudelaire, ›die sich den Luxus einer Maitresse unter den Tänzerinnen der Oper gestatten können, immerhin den Wunsch hegen, daß man die Talente und Schönheiten ihrer Eroberungen möglichst oft an das Licht stelle; das ist gewiß ein gleichsam väterliches (!) Gefühl, welches alle Welt begreift und leicht entschuldigt; aber daß dieselben Herren, ohne sich um die öffentliche Neugier und das Vergnügen anderer zu kümmern, die Aufführung eines ihnen mißliebigen Stückes unmöglich machen, weil es den Erfordernissen ihrer galanten Gönnerschaften nicht entspricht, das ist nicht zu dulden! Behaltet euren Harem und bewahrt gewissenhaft seine Traditionen; aber gebt uns ein Theater, worin Andersdenkende ein ihrem Geschmacke entsprechendes Vergnügen finden können!‹40 Mit wenigen Ausnahmen solcher Art erklärte sich die gesamte Pariser Publizistik mit dem Schicksale des ›Tannhäuser‹ völlig einverstanden und gab, durch diesen Widerspruch zu den heroischen Anstrengungen des Publikums, dem Werke Gerechtigkeit zu verschaffen, einen neuen Beweis von der parasitischen, mit den wahren Empfindungen und Anschauungen des Publikums keineswegs solidarischen, oder in ihr wurzelnden, Beschaffenheit der musikalischen ›Presse‹ und ihrer aus ganz anderen Quellen, als einem allgemeinen nationalen Gefühl, fließenden Meinungsäußerungen. Diesen Widerspruch zwischen Presse und Publikum hatte Wagner bereits in London zur Genüge kennen gelernt. ›Mein Nichterfolg in Paris tat mir wohl‹, sagt er selbst in späterem Rückblick: ›hätte ein Erfolg mich erfreuen können, wenn ich ihn durch die gleichen Mittel meines durch mich beängstigten, verborgen bleibenden Antagonisten erkauft haben würde?‹41 So betäubend laut sich das nationale und patriotische Geschrei von einer, durch den Fall des ›Tannhäuser‹ gewonnenen ›séconde bataille de Solférino‹ erhob, – war es denn in der Tat das französische, [311] ja nur das Pariser Publikum, mit dem es der Meister und sein Werk zu tun gehabt, oder eben jene käufliche und verkaufte ›Presse‹, und eine durch sie künstlich aufgereizte und mißleitete Clique? Selbst die so vornehm und unabhängig sich dünkenden jungen Kavaliere des Jockeyklubs, waren sie sich wohl bewußt, wem sie mit ihren Jagdpfeifen in Wahrheit gehorsame Lakaiendienste leisteten? Mit Recht bemerkte Schelle schon damals, daß in Paris ›die zehn ersten Vorstellungen für den Geschmack des Publikums ebensowenig beweisen, als sie für eine günstige oder ungünstige Aufnahme den Maßstab bilden können.‹42 Und waren die Stimmführer jener ›Presse‹ überhaupt Franzosen? War der Stammesgenosse Meyerbeers, Albert Wolf,43 der die nächsten zwanzig Jahre hindurch bemüht blieb, die Person und das Schaffen Richard Wagners mit Spott und Hohn zu überschütten, ein Franzose? Mit Recht wurde es schon damals als schmachvoll und betrübend hervorgehoben, daß auch der ›deutsche Name‹ bei dieser traurigen Episode eines französischen Theaterskandals beteiligt erschien. ›Au foyer, un individu se pleignait d'avoir perdu sa contremarque et de ne pouvoir plus se placer,‹ erzählte die ›Patrie‹.44Voulez-vous une stalle?‹ lui demande quelqu'un qui vient à passer, ›en voici une, mais à une conditi on‹. – ›L'aquelle?‹ – ›C'est que vous sifflerez bien fort‹. – ›Laissez moi faire, vous verrez comme je m'en acquitterai‹. ›L'individu qui parlait ainsi était un Allemand, et de plus un artiste, un confrère de lauteur tombé!‹ Die Stimme der öffentlichen Meinung setzte mit der Person dieses jämmerlichen Helden, der den Ruf seiner Nation so gewissenlos an den Pranger stellte, einen ›berühmten Namen‹ in Verbindung. ›Es war in Paris, wo das verräterische Benehmen eines landsmännischen »Künstlers« gegen mich eine allgemeine Entrüstung selbst des mir feindseligst gesinnten Teiles des französischen Publikums erregte‹, mit diesen einzigen kurzen Worten gedenkt Wagner selbst – zehn Jahre später – in flüchtig streifender Bemerkung dieses Vorfalls, welcher, nach Schelles Wort, ›selbst die verdientesten Lorbeeren mit dem Schmutze der Verachtung für alle Zeit beflecken würde.‹45 Ein widerwärtiges Seitenstück hierzu aber bietet der wahrhaft zynische Ton, in welchem sich die meisten deutschen musikalischen (und politischen) Zeitungen über diese wüste Orgie des Parteihasses und Unverstandes berichten ließen. So entblödete der fruchtbare, für zahlreiche deutsche Zeitungen schreibende literarische Haupttrabant [312] Meyerbeers, Friedrich Szarvady, sich nicht, das Schicksal des ›Tannhäuser‹ in Paris für ein ›zwar grausames‹ aber ›in jeder Weise provoziertes‹ zu erklären. – Vous verrez comme je m'en acquitterai! – War aber andererseits dieser in Paris niedergelassene, deutsch sprechende und schreibende ungarische Jude ein Deutscher?46

Die durch Wagners Schreiben vom 25. März offiziell angekündigte Zurückziehung seiner Partitur versetzte die Direktion der großen Oper in eine wirkliche und große Verlegenheit. Sie bekannte, in dem Falle des ›Tannhäuser‹ einen der größten Erfolge zu sehen; denn sie konnte sich nicht entsinnen, das Publikum jemals mit solcher Lebhaftigkeit für ein angefochtenes Werk Partei ergreifen gesehen zu haben. Für die nächsten Aufführungen war der Saal schon im voraus verkauft und durch ein kräftiges Aufrechterhalten der gefährdeten Oper bis zu einem Umschwung der öffentlichen Meinung schienen ihr die reichlichsten Geldeinnahmen und damit die Rückerstattung der nicht geringen Kosten der Inszenierung gesichert.47 Erbittert war auch das große Publikum, welches sich in seinem Interesse für ein neues, vielbesprochenes Werk durch Parteiintriguen behindert sah. Im Hinblick auf dieses Interesse hielt es z.B. der Pariser ›deutsche Hilfsverein‹ für angebracht, Wagner um die Übernahme der Leitung eines Konzertes (zum besten dieses Vereins) anzugehen; die Concerts Musard brachten bald darauf die Ouvertüre zum ›Rienzi‹, und die Hauptnummern einer im September stattfindenden Benefizvorstellung des berühmten Roger in derOpéra Comique waren die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre und die ›große Arie‹ des Tannhäuser: beide Fragmente der von der Kritik verpönten Oper wurden mit ungewöhnlichem Beifall aufgenommen. Auch sonst fehlte es nicht an den unerwartetsten Zeugnissen der öffentlichen Sympathie. Unmittelbar nach der Aufführung zirkulierte unter den Pariser Musikern, Malern, Bildhauern, Künstlern und Schriftstellern ein an den Staatsminister gerichteter Protest in Sachen der ›unwürdigen Vorfälle im Opernhause‹. Der Kaiser blieb der Sache durchaus geneigt; die Kaiserin wollte sich zur Beschützerin der Oper aufwerfen und Garantieen[313] gegen fernere Ruhestörungen verlangen. Alles dies hätte den Meister wohl dazu bestimmen können, die Vorstellungen des ›Tannhäuser‹ wieder aufzunehmen. Kein Zweifel, daß mancher andere an seiner Stelle dies auch getan haben würde. Was ihn davon abhielt, war sein Bewußtsein von dem künstlerischen Unwert der Aufführung selbst, ihrer inneren Schwäche und Schwunglosigkeit. So lange er sich von dieser etwas Großes und Bedeutendes versprechen konnte, war er mit Aufopferung seiner selbst daran tätig gewesen. Daß sie schließlich seinen Anforderungen nicht entsprach, hatte ihm das Interesse daran geraubt. › Möge alles Ungenügende derselben unter dem Staube jener drei Schlachtabende gnädig verdeckt bleiben!‹ heißt es in seinem eigenen Bericht über die Pariser Vorgänge, den unmittelbar darauf die Leipziger ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹48 veröffentlichte.

Die eigenen Opfer, die er der ganzen Angelegenheit gebracht, waren unverhältnismäßig größere als die der Direktion. Für die monatelange aufreibende Tätigkeit im Dienst einer erfolglosen Unternehmung war seine Schadloshaltung durch die Unterbrechung der Vorstellungen illusorisch geworden. Erst von der 21. Vorstellung ab wäre ihm die volle Tantieme von 500 Francs pro Vorstellung zuteil geworden; bis dahin hatte er nach vertragsmäßiger Übereinkunft die Hälfte des Honorars den Übersetzern des Textes zuzuweisen. Somit waren alles in allem 750 Francs seine gesamte Entschädigung für die Ermüdungen und Aufregungen fast eines ganzen Jahres. Materielle Vorteile waren ihm bisher noch aus keinem seiner Versuche und Unternehmungen geflossen. Es sollte auch diesmal nicht anders sein. Er hatte es stets für den einzigen Gewinn ansehen müssen, wenn solche den Kreis seiner verständnisvoll ergebenen Freunde vermehrten. Und gerade in dieser Hinsicht ließ die Pariser Aufführung des ›Tannhäuser‹ doch hauptsächlich nur Erinnerungen erhebender Art in ihm zurück. ›War ihr äußerer Gang durchaus fehlervoll und von Mißverständnissen geleitet, so brachte mich ihre innere Bewegung dagegen in sehr bedeutende Beziehungen zu dem achtungswertesten und liebenswürdigsten Elemente des französischen Geistes.‹ Als er sich bald darauf nach Deutschland begab, hinterließ er in der französischen Hauptstadt eine Anzahl warm und herzlich ergebener Freunde und Anhänger. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, noch einmal in nähere Beziehungen zu Paris zu treten. Vorzüglich handelte es sich dabei um ein Projekt, welches nichts geringeres im Auge hatte, als die schleunigste Begründung eines besonderen Theaters zur Verwirklichung der von dem deutschen Meister angeregten Reformen. ›Wenn die Dinge so fortfahren‹, [314] konnte Baudelaire am 8. April (am Schluß seiner erwähnten Broschüre) schreiben, ›so ist anzunehmen, daß so manches Bedauern in nicht allzuferner Zeit getröstet werden und daß »Tannhäuser« wiedererscheinen wird, aber an einem Orte, wo die Abonnenten der großen Oper kein Interesse mehr haben werden, ihn zu verfolgen.‹

Daß diese Hoffnung sich nicht verwirklichte, ist bekannt. Aber die Bemühungen darum haben die französischen Freunde acht Jahre hindurch fast ununterbrochen beschäftigt, und waren kurz vor dem Ausbruch des großen Krieges ihrer Verwirklichung am nächsten.

Fußnoten

[315] 1 12. Januar: 1 Orchesterprobe (Leseprobe, 2 Akte, Doppelquartett); 15. Januar: 2. Orchesterprobe (für alle Streichinstrumente); 22. und 24. Januar: 3 und 4 Orchesterprobe (mit den Solisten und dem Chor)! 27. Januar: 5 Orchesterprobe (2 Mal das erste Tableau, sodann: Einzug der Gäste und Finale des II. Aktes) etc. etc.


2 Nuitter verzichtete dann darauf, allein auf dem Zettel neben Wagner genannt zu werden, und so war auf dem Zettel der ersten Aufführungen überhaupt kein Übersetzer erwähnt. Die finanziellen Ansprüche Roches blieben ihm übrigens gesichert und nur sein Tod schnitt ihm deren Nutznießung ab, – er starb bald nach der ersten Aufführung an der Schwindsucht.


3 Mme. Ferraris – damals die berühmteste französische Tänzerin. Zu seiner Zerstreuung, um die Pariser Tanzkunst innerhalb der ihr eigenen Sphäre kennen zu lernen, erbittet sich der Meister unterm 1. Febr. von Direktor Royer eine Loge zu dem Ballet ›L'heureux papillon‹ und verspricht ihm dagegen die Komposition eines Ballets, ›qui fera danser Mlle. Ferraris pendant treize heures sans cesse.


4 Es fanden deren im ganzen 4 statt; am 3. Februar: I. Akt., erstes Bild (Venusberg) und II Akt. (Wartburghalle); am 17. Februar: I. Akt, zweites Bild (Frühlingslandschaft); und III. Akt (Herbstlandschaft); am 21. Februar: I. Akt, erstes Bild (Venusberg) und III. Akt. (Annäherung des Zauberspukes); am 26. Februar: Alle 3 Akte.


5 Bezeichnend ist, daß die Rechnungsablegung des General-Administrators der Oper an den Minister über die verschiedentlichen Supplementauslagen anläßlich der Inszenierung des ›Tannhäuser‹ zwar alle möglichen anderen Posten für ›Erscheinungen und Bilder‹ im 1. und 3. Akt, für ›Pferde und Reiter‹, ›Hunde und Jäger‹ (letztere 40 frs. pro Vorstellung), keinen einzigen aber mit Bezug auf das Balletpersonal enthält!


6 Ges. Schr. VIII, S. 386. Erst nach vollen dreißig Jahren bewies die Bayreuther, ›Tannhäuser‹-Aufführung des Jahres 1891, wie großartig diese Szene auch ohne ein aus lauter ›ersten Sujets‹ bestehendescorps de ballet ausgeführt werden könne, bloß durch die beiden Elemente einer genialen Erfindung und selbstlosen Hingabe an den dichterischen Gedanken. Was geniale Anlage und wahrhaftes Talent vermögen, das zeigte damals Frau Virgine Zucchi, als sie, von Ehrerbietung für die Bayreuther Bühne durchdrungen, nichts Anderes an den Tag zu legen trachtete, als die Unterordnung ihrer eigenen, bis zur höchsten Virtuosität entfalteten Kunst unter die gemeinsame Arbeit an der szenischen Verwirklichung des von dem Schöpfer des Werkes innerlich Erschauten. ›Ihrem Beispiele, wie ihrem unvergleichlichen Talente verdankte es damals Bayreuth, die so schwierige choreographische Szene, zu deren Ausführung die Pariser Oper sich unfähig erklärte, so zustande zu bringen, daß allen dichterischen Anweisungen entsprochen und aus jedem der vorhandenen Themen der Rhythmus der Gebärde und seine gleichzeitige Steigerung entnommen werden konnte. Ihrem Eifer entsprangen denn auch die technischen Einfälle, welche im dritten Akt die so wohlvorbereitete Täuschung des Herannahens des Venusberges ermöglichte.‹


7La Circasienne‹, in der Reihe der Auberschen Opern die vierundachtzigste, ging am 2. Februar 1861 in der Opéra comique in Szene und brachte in den zehn Vorstellungen, die bis zur Aufführung des ›Tannhäuser‹ (13. März) stattfanden, ca. 60000 Francs ein. Damit war ihr Zweck erreicht, Weiteres hatte weder der Komponist noch die Direktion beabsichtigt.


8 Vgl. Bd. I, S. 247.


9 Ges. Schr. IX, S. 68. Bei den letzten Worten schwebt die Äußerung Aubers vor, wenn er als Direktor des Konservatoriums in seiner Ehrenloge sitzend, von der unten im Saale gespielten Beethovenschen Symphonie mit lächelnder Verwunderung sagte: ›Verstehen Sie etwas davon? Jen'y comprends mot!


10 In einen Briefchen an Baudelaire vom 15. Februar heißt es: ›Mardi soir il y aura une répétition, qui vous fera déjà un peu de plaisir.‹ Er dankt ihm darin des Weiteren für seine freundschaftlichen Sorgen; gegen den von ihm gefürchteten Fall seien alle Vorsichtsmaßregeln getroffen.


11 Memoiren einer Idealistin, Band III, Seite 290/92.


12 Ihres Unwohlseins halber mußte bereits in der Generalprobe vom 2. März die erste Szene ausgelassen werden.


13Tu as bien fait de ne pas croire à une querelle avec lui; j'ai toujours eu vis-à-vis de lui une grande dignité, et une grande fermeté.


14 E. Thomas, ›Louis Dietsch et Richard Wagner‹ im ›Guide musical‹ 1895, S. 607/10.


15 Vermutlich eben dieselben 200 Studenten, welche, nach der erfindungsreichen Darstellung der Meyerbeerschen Reklame-Kanzellisten, bereits i. J. 1845 am Abend der ersten Dresdener Aufführung des ›Tannhäuser‹ dem Meister einen Fackelzug nebst Serenade (aus Meyerbeers Werken!) veranstaltet hatten?! Vgl. Band I, S. 513 des vorliegenden Werkes!


16 Vgl. die aus Pariser Blättern geschöpften Notizen der N. Berl. Musikzeitung vom 23. Jan.: ›Zur Aufführung des Tannhäuser, Mitte Februar, werden die Herren Liszt, v. Bülow, Tausig erwartet,‹ oder vom 13. Februar: ›Paris. Liszt ist zur Aufführung des Tannhäuser hier eingetroffen.‹


17 Welcher Art dieser Thürenverschluß war, haben wir bereits gesehen. Alles, was dem Werke feindlich gesinnt war, hatte ungehinderten Zutritt.


18 Die Erbitterung Bülows über jede Art von Fahnenflucht und Liebäugeln mit der Gegenpartei läßt ihn sehr starke Ausdrücke wählen. Aber auch Herwegh zeigt sich in gleicher Weise empört über die Jämmerlichkeit, mit welcher ›Diejenigen, die der Protektion so viel Ruhm und Geld zu verdanken haben, ihrem Unabhängigkeitsdrang am lautesten Luft gemacht haben!‹ Der Niemann von 1876 war ein anderer, durch die Jahre Gereister, als der von 1861!


19 Die Fürstin Wittgenstein befand sich damals in Rom. Daß sie seit ihrem Züricher Besuche von 1856 ihren ganzen Einfluß nur in einem, der Freundschaft beider Meister nachteiligen Sinne ausgeübt hat, ist dem Leser vielleicht schon aus den bisherigen Andeutungen nicht entgangen. Alles darauf Bezügliche gehört, als eine tragische Lebenserfahrung, mehr in eine Biographie Liszts.


20 Sein interessantes Buch über Wagner, dem wir so manche gutbegründete Tatsache entnehmen, ist i. J. 1866 erschienen. An Irrtümern und Unrichtigkeiten fehlt es darin nicht, sowohl in seinen Urteilen als in den Tatsachen; trotzdem ist seine obige Angabe von manchen ›Wagner-Biographen‹ bona fide weiter verbreitet.


21 Die Pariser Journale kolportierten die freche Lüge, er habe ›durch seine Agenten eine ziemliche Anzahl von Logen und Sperrsitzen für die erste Vorstellungen zu hohen Preisen verkaufen lassen!‹ (In Deutschland weiter verbreitet z.B. durch die ›Signale‹ 1861, S. 262)


22 Vgl. das in der Allg. Musikzeitung teilweise faksimilierte Schriftstück an Dir. Royer, dessen Orginal sich in der F. Nikolas-Manskopfschen ›Musikhistorischen Sammlung‹ in Frankfurt a. M. befindet.


23Nuitter m'a dit hier‹, heißt es darin, ›que j'ai vraiment pas plus de places que celles que Vous me disiez – c'est a dire pour les 6 premiéres représentations – etdedroit; mais je disposerai en même temps de la moitié de celles des auteurs du poème.


24 Nuitter, Les 164 répétitions etc. (›Bayreuther Festblätter‹, 1884).


25 Als mot d'esprit eines Marschalls von Frankreich kursierten damals vielfach die Worte, mit denen sich dieser beim Hinabschreiten von der Stiege der Oper an sie gewendet habe: ›Madame, Sie haben sich heute für den Sieg von Solferino grausam an uns gerächt.‹ Aber die Antwort, mit der sie ungebeugten Mutes diesen Hohn erwiderte, fügte man nicht mit hinzu: ›Ihr habt jetzt Wagner verlacht; man wird ihm aber in 25 Jahren in Paris zujubeln.‹


26 In seinen privaten brieflichen Äußerungen zeigen sich in wahrhaft erschreckender Weise die Delirien eines schadenfrohen unversöhnlichen Hasses gegen den überlegenen Genius, der ihm stets mit so freundschaftlicher Noblesse begegnet war. ›Wagner macht Ziegenböcke aus den Sängern, dem Orchester und dem Chor der großen Oper‹, heißt es in diesen Ergüssen. ›Die letzte Massenprobe war, wie mir gesagt wird, scheußlich und endete erst um 1 Uhr morgens. Jeder, den ich treffe, ist wütend; der Minister kam neulich in hellem Zorn aus der Probe. Wagner ist augenscheinlich ein Narr ... Ich ließ d'Ortigue meine Kritik schreiben; ich ziehe es vor, durch mein Stillschweigen Protest einzulegen, bin aber bereit, später zu reden, wenn ich dazu gedrängt werde.‹ (Nach der 1. Vorstellung:) ›Welche Lachsalven! Der Pariser zeigte sich heute in einem ganz neuen Lichte; erlachte über den schlechten musikalischen Stil, über die Bocksprünge eines burlesken Orchesters, erlachte über die Naivetäten einer Oboe, und was die Scheußlichkeiten anbetrifft, so wurden sie ausgepfiffen.‹ (Nach der 2. Vorstellung:) ›Schlechter als die erste. Das Publikum lachte nicht mehr, es war wütend; es zischte genug, um die ganze Vorstellung unmöglich zu machen, trotzdem der Kaiser und die Kaiserin zugegen waren. Als Wagner die Treppe hinunterging wurde er öffentlich wie ein Lump, ein unverschämter Mensch und ein Narr behandelt. Was mich anbetrifft, so bin ich grausamgerächt.‹ Hinsichtlich des letzteren Ausdruckes fragt man sich verwundert: wofür? (Zitiert nach H. T. Fink, Wagner und seine Werke II, S. 84).


27 Das Orginal dieses Briefes befindet sich in den Händen des Mr. Alfred Bovet, Valentigney.


28 Sie betrafen einen Teil der Rolle der Madame Tedesco im ersten Tableau, das Ritornell des Hirtenliedes im zweiten, die ›famose Violinpassage am Schlusse des zweiten Aktes‹ und ›die ganze Szene von der Venus Wiederkehr.‹ Siehe das betreffende Dokument bei Nuitter, L, es 164 répétitions etc.


29L'a jeunesse du Roy Henry‹, von Lambert Thiborest und Ponson du Terrail, aufgeführt 1864 im Châtelet. ›Die Verfasser hatten einfach Wagners Gedanken geborgt und durften sich dazu Glück wünschen‹ (A. Jullien).


30 Nach einem anderen Bericht habe Niemann in den Tumult hinein ein Schmähwort an das Publikum ausgestoßen, worauf ihm aus dem Publikum zugerufen sei: der Skandal gelte nicht ihm! (Allg. Musikzeitung 1896, S. 276). Oder: Der Kaiser habe ihm durch den Staatsminister melden lassen, daß er mit dem größten Interesse seiner Darstellung gefolgt sei und ihn noch in anderen Partieen zu hören hoffe. (N. Berl. Musikzeitung 27. März 1861). Fast alle auf Niemann bezüglichen Berichte enthalten mit merkwürdiger Übereinstimmung derartige Züge, die ihn von dem Meister und seinem Werke auf eine wenig ehrenhafte Weise isolieren.


31 Memoiren einer Idealistin III, S. 296/97.


32 So zu lesen in dem einen jener Artikel des ›Journal des Débats‹ Mai 1895, in welchen dieses die Erinnerungen der Zeitgenossen der ersten Pariser ›Tann häuser‹-Aufführung zusammenstellte!


33 Nuitter teilt a. a. O. aus dem Archive der Oper den Entwurf einer vorläufig zustimmenden Antwort Wagners auf diese Zumutungen mit: ›Da es sich darum handelt, ein Werk Denjenigen zu erhalten, die ihr Interesse dafür offen an den Tag gelegt, so ermächtige ich Sie, alles zu tun, was Ihnen nützlich erscheint, um Die zufriedenzustellen, die darin nicht ihr ganzes gewohntes Vergnügen finden konnten. Zu diesem Ende wollen Sie annehmen, ich wäre nicht mehr auf der Welt und außer Stande, mich mit der Aufführung meines Werkes zu beschäftigen, sowie ich auch in diesem Sinne gleichsam tot bin für die Darstellung meines »Tannhäuser« auf den anderen Theatern.‹ Natürlich wurde diese vorläufige Zustimmung durch den späteren Beschluß einer letzten Aufführung ›außer dem Abonnement‹ hinfällig gemacht.


34 Allg. Musikz. 1885, S. 276.


35 Tochter Alexanders v. Herzen, nachmals verm. mit Prof. Gabr. Monod in Paris.


36 Memoiren einer Idealistin III, S. 298/99.


37 Ebenda, S. 299.


38 Brieflich an Mme. Street, Original im Besitze von Mr. A. Bovet.


39Un sifflet sur champ du gueules hurlantes, et pour exergue: Asinus ad lyram!‹ (Zitiert nach Chamberlain, Richard Wagner S. 74.)


40 Charles Baudelaire in seiner kurz nach den Aufführungen herausgegebenen Broschüre ›Richard Wagner et le Tannhäuser à Paris‹ (Paris, E. Dentu, 1861), neben Champfleurys Broschüre (von 1860) einem der genialsten Erzeugnisse der französischen Wagner-Literatur.


41 Ges. Schriften X, 177.


42 Ed. Schelle, der Tannhäuser in Paris, S. 12 u. 25. ›Es gehört eine umständliche Schilderung des ganzen Pariser Theaterwesens dazu, um durch den Nachweis alles Forcierten und Künstlichen darin deutlich zu zeigen, mit welchen Mitteln sich hier, wo das Stimmrecht an eine organisierte Klasse von Mietlingen vergeben ist, der Komponist den ersten Schritt erkaufen muß, und in welchem Nachteil der ehrliche Mann ist, der sich diesem Mißbrauch zu fügen weigert.‹


43 Damals Redakteur des ›Charivari‹.


44 La Patrie, No. 2 Mercredi 3 Avril 1861.


45 Schelle a. a. O. S. IV.


46 Vgl. dazu das Resümé Herweghs über die (wörtlich gleichlautenden!) schaden frohen Äußerungen der Pariser und der deutschen Presse über den Fall des ›Tannhäuser‹ im Anhange dieses Bandes; und auch Bülow bezeichnet als das eigentlich treibende Element der schmachvollen Bewegung kurzweg das ›deutsche (lies: jüdische) Lumpengesindel in Paris‹


47 Letztere wurden auf 250000 Francs veranschlagt; davon hatten allein die drei ersten Vorstellungen mehr als den zehnten Teil eingebracht. Die Einnahme des dritten Abends betrug allein 10790 Francs, die höchste Summe, die seit der ersten Weltausstellung erzielt worden war. Bis zum Monat Mai, dem Ablauf der Kontraktzeit Niemanns, wären demnach die gesamten Kosten reichlich gedeckt gewesen. Einstweilen glückte der Direktion die anderweitige Verwendung des Inventars und, wie natürlich, zog Meyerbeer daraus den Vorteil. Die für den ›Tannhäuser‹ angeschafften Kostüme funktionierten bereits am 1. April in einer Vorstellung des ›Robert‹.


48 Beilage zu Nr. 70 vom 7. April 1861. Vgl. Gesammelte Schriften Band VII, Seite 181/95: ›Bericht über die Aufführung des Tannhäuser in Paris‹.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 290-316.
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