III.

Geyers letzte Jahre.

[66] Beziehungen zu K. M. v. Weber. – Mitwirkung in der ›deutschen Oper‹. – Gastspiel in Prag und Leipzig. – Geyers Tätigkeit als Maler. – ›Der bethlehemitische Kindermord‹. – Albert und Rosalie. – Wankende Gesundheit. – Aufführung des ›bethl. Kindermordes‹. – Reise nach Breslau. – Krankheit und Tod.


›Wer ihn kannte, war stets zweifelhaft, ob er seiner vielfachen Kunstfertigkeit, oder seiner geistreichen Unterhaltung, oder seinem tiefen Gefühl, wo es Liebe und Pflichterfüllung galt, seinen Beifall zunächst schenken sollte. Doch den Feinsinnigen, der sich ausgezeichneter und nach Vermögen ausgebildeter Naturanlagen bewußt war, der das Vollendete in sich gestalten und nach Idealen streben konnte, befriedigte nie das, was er wirklich leistete.‹

K.A. Böttiger über L. Geyer.


Der Erzähler hat bisher noch mit keinem Worte des Mannes gedacht, dessen Dresdener Wirken, der Kunstgeschichte für allezeit angehörig, eben in den frühesten Kinderjahren Richard Wagners seinen ersten Anfang nahm. Bereits zu Beginn des Jahres 1817 war Karl Maria von Weber in Dresden eingetroffen, um hier, dem Zwecke seiner Berufung gemäß, mitten in dem verzopften und italianisierten ›Elbflorenz‹ eine deutsche Oper zu begründen. Kaum hatte er in einem weinumrankten Häuschen des ›italienischen Dörfchens‹ Wohnung genommen, so mußte er auch schon die ersten Widerwärtigkeiten seiner neuen Stellung erproben: als Kapellmeister nach Dresden berufen, soll er nun vielmehr bloß Musikdirektor werden. Empört, erklärte er sofort wieder abreisen zu wollen, wenn er nicht seinem Kollegen an der italienischen Oper, Morlachi, in allen Stücken gleichgestellt würde. Er erwarb sich durch sein mannhaftes Auftreten alsbald die Sympathien seiner Kunstgenossen; aber die ersten ihm bereiteten Schwierigkeiten blieben für sein ferneres örtliches Wirken charakteristisch.

Alsbald nach dem Beginn seiner Tätigkeit in den Theaterproben erließ Weber in der ›Abendzeitung‹ eine öffentliche Ansprache, worin er sich über seine Ziele und Grundsätze bei der Begründung des neuen Unternehmens erklärte [67] und das Publikum zur Teilnahme aufforderte.1 Aber von der einflußreichsten Seite her, vom Hofe selbst, blieb ihm diese Teilnahme dauernd versagt. Kaum daß ihm die nötigen Kräfte für sein Unternehmen bewilligt wurden. Er sah sich des halb, in Ermangelung eigener Sänger für die ›deutsche Oper‹, auf die sangesbegabteren Glieder des Schauspielerpersonales angewiesen. Unter anderen mußte Geyer, im glücklichen Besitz einer ›nicht zu verachtenden‹ Tenorstimme, nachdem er als Heldenspieler mit Don Carlos, Max Piccolomini und Hamlet begonnen, dann zum Komiker und Charakterdarsteller übergegangen, neben der Ausübung der Schauspielkunst, Malerei und Dichtung nun auch noch ›Opernsänger‹ werden und ›während ihn gleichzeitig die Partien des Alba im Egmont, des Jago im Othello beschäftigten, daneben noch unter Webers Leitung den Lorenz im Singspiel, das Hausgesinde‹, den Farbenreiber Paul im ›Adrian von Ostade‹ (Weigl), den Thomas in der Solièschen komischen Oper ›das Geheimnis‹ und andere kleinere Gesangspartien übernehmen. Daß er auch dies mit Glück vermochte, bekundete aufs neue seine ungemeine Vielseitigkeit. Er reihte sich dadurch jener ›sehr rühmlichen Gattung älterer Darsteller‹ ein, die sich zugleich in Schauspiel und Oper Anerkennung erwarben und deren Richard Wagner in seiner Abhandlung über ›Schauspieler und Sänger‹ gedenkt. Eigene Engagements für die ›deutsche Oper‹ dagegen wurden ihrem Begründer oft auf die sonderbarste Weise verleidet oder verwehrt: ein Tenorist z. B., der ihm und dem Publikum wohlgefallen, wurde nicht engagiert, weil der König bei dessen erstem Anblick eine ihn unangenehm berührende Ähnlichkeit mit jener Persönlichkeit (dem Geheimen Rat von Anstetten) entdeckt zu haben vermeinte, die im verhängnisvollen Jahre 1813 ihm seitens der Verbündeten seine Gefangenschaft anzuzeigen gehabt hatte. Dafür setzte Geyers Mitwirkung in Singspiel und Oper ihn zu Weber, dem er von Anbeginn [68] eine tiefgehende Hochachtung und Verehrung entgegenbrachte, in gar manche erfreuliche nähere Beziehung, zu deren Anknüpfung sonst die Veranlassung sich nicht unmittelbar geboten hätte.

Neue Kabalen Morlachis begannen um die Zeit der Sommervorstellungen des Dresdener Personales auf dem kleinen Theater am Linkeschen Bade. Die reizende Lage des Theaters, die geringe Entfernung von der Stadt eignete es vorzüglich zu seinem Zwecke; die vorbeifließende Elbe erleichterte den Besuch, und Nachmittags gewährte der Zug leicht dahinschwebender Kähne einen heitern Anblick, während die Fußgänger, gleich Wallfahrenden, unter schattigen Alleen dem Theater am Bade zuströmten. Nun wollte Morlachi, um dadurch die deutsche Oper in den Augen des Publikums herabzusetzen, die italienischen Sänger der Verpflichtung auf dem Bade zu spielen enthoben sehen. Geyer, der sich für die Sommermonate einen ihm nötigen Kuraufenthalt im böhmischen Karlsbad vorgesetzt, ward dadurch mitbetroffen; er mußte seiner bereits durch anhaltende Anstrengungen angegriffenen Gesundheit noch vor seiner Abreise ein mehrmaliges Auftreten in Schauspiel und Oper zumuten. Er fand die Karlsbader Heilquellen von einer Flut fürstlicher und vornehmer Herrschaften überschwemmt; glänzende Bälle und Assembleen forderten die elegante Welt auf die Kampfplätze auserlesener Toilettenreize; ein regnerischer Sommer trieb zu Zerstreuungen durch Theater und Konzerte. Auch Geyer konnte sich einer mehrmaligen Mitwirkung an deklamatorischen Abendunterhaltungen nicht entziehen, bei deren einer er Goethes ›Der Gott und die Bajadere‹ vortrug. Im übrigen hielt er sich der bunten Menge fern, auf Spaziergängen und Ausflügen in der herrlichen Umgegend sich Erfrischung suchend. Derselbe Herbst führte den Künstler noch einmal über die böhmische Grenze: mit Grüßen Webers an seine dort als Sängerin engagierte Braut, Karoline Brandt, und seinen hochangesehenen Gönner, den Grafen Pachta, begab er sich zu einem vierzehntägigen Gastspiel nach Prag, wohin bald nach Geyers Rückkehr Weber selbst zu seiner Hochzeitsreise sich aufmachte. Ein weiteres Gastspiel rief ihn nach längerer Zwischenzeit wieder nach Leipzig. Hatte dieses zwar jetzt die Hauptanziehungskraft verloren, die es in vergangenen Tagen für ihn besaß, so war es ihm doch ein Ort teurer Erinnerungen geblieben; auch begrüßte ihn manches Zeugnis treu bewahrter freundschaftlicher Hochachtung und Anhänglichkeit. Vielen Familien war er als Maler, allen als hochgeschätzter Darsteller in warmer Erinnerung geblieben. So geschah es, daß, als bei seinem ersten Auftreten als König Philipp im ›Don Carlos‹ ein rauschender Beifallsgruß aus dem Zuschauerraume ihn empfing, dem also Bewillkommneten das überwallende Herz auf die Zunge trat: er vergaß sich und drückte in kurzen gerührten Worten dem Publikum seinen Dank aus; dann trat er zurück mit den Worten seiner Rolle: ›So allein, Madame?‹ Der sarkastische Regisseur Gottfried Wohlbrück, der (und hätte es seinen besten Freund betroffen) nie[69] einen Witz unterdrücken konnte, stand als Domingo an der Seite des jungen Genast als Herzog Alba, und flüsterte ihm zu: ›Da ist eben der König Philipp zum Geyer gegangen‹. Sobald der wackere Künstler seinem Dankbarkeitsgefühle Luft gemacht, konnte niemand die von ihm begangene Unschicklichkeit peinlicher empfinden; sie verdarb ihm den Abend und die Rolle.2 Er brach sein Gastspiel plötzlich ab und nahm es erst im folgenden Jahre in einer Reihe erfolggekrönter Darstellungen wieder auf.

Wir haben bisher der künstlerischen Tätigkeit Geyers als Maler nur nebenher und im allgemeinen gedacht, ohne Berücksichtigung der mancherlei Nachrichten, die uns darüber besonders seit seiner dauernden Dresdener Niederlassung vorliegen. So lenkte in der jährlichen Dresdener Kunstausstellung i. J. 1816 neben den Sigurdkompositionen Julius Schnorrs (nach Fouqué) die Kopie einer Himmelfahrt der Maria von Luca Giordano, gemalt von Geyer, die Aufmerksamkeit der Beschauer auf sich und erregte ein allgemeines Aufsehen. Als ein erfreulicher Beweis der Fortschritte seiner Kunst wird bei einer späteren Ausstellung als einer Hauptzierde derselben das schön und würdig angeordnete lebensgroße Bild der Königin von Sachsen erwähnt.3 Auch die liebenswürdige Prinzessin Augusta, deren musikalische Natur sie an Webers Bestrebungen ein näheres Interesse nehmen ließ, als dem deutschen Meister sonst von seiten des Hofes entgegengebracht wurde, saß Geyer zu einem wohlgelungenen Bilde. Von der Königin beauftragt, das Porträt ihres Bruders, des Königs von Bayern zu malen, begab er sich im Sommer 1819 mit einem achtwöchentlichen Urlaub nach München, wo er zugleich ein Gastspiel zu geben beabsichtigte. Er traf dort ›alle Magazine und Städel mit den aus Italien und Griechenland angekommenen Antiken überfüllt‹, während der mächtige Bau der Glyptothek unter dem regen Interesse des Kronprinzen Ludwig mit jedem Tage vorwärts rückte. Der König bewilligte ihm eine Sitzung zu dem verlangten Porträt, das aus Geyers Händen mit sprechender Ähnlichkeit [70] hervor ging und eine ›unbeschreibliche Sensation‹ erregte. Er malte nun auch die Königin; die Aufträge, Bestellungen und Wünsche aus den Hofkreisen mehrten sich so sehr, daß er sein, mit dem Rudolf in Körners ›Banditenbraut‹ begonnenes, Gastspiel aufgeben und wegen Ablauf seines Urlaubs noch eine Menge ihm zugemuteter Arbeiten ablehnen mußte.4 Der enge innere Zusammenhang in Geyers ungewöhnlicher Doppelbegabung für mimische Kunst und Malerei ist wiederholt bemerkt und ausgesprochen worden. Wie bei den Erwähnungen seiner mimischen Darstellungen neben seiner sicher treffenden Erfassung des Charakters jederzeit auch der wirksam und passend gewählten Maske besonders gedacht wird, so habe in seiner mit Recht bewunderten Auffassung der Gesichtszüge ›die Muse der Schauspielkunst unsichtbar den Pinsel ihres treuen Jüngers geleitet‹. Trotz aller auch als Maler errungenen Erfolge bei Kennern und Kunstfreunden genügte der bescheidene, nur gegen sich selber strenge Künstler seinen eigenen Anforderungen am wenigsten Bitter klagte er dann oft über den Mangel einer tüchtigen Schule in früheren Jahren Leider mußte ihm sein Lieblingswunsch unerfüllt bleiben, unter italienischem Himmel reichen Stoff und höhere Anregung für seine Kunst zu finden.

Diesen Lieblingswunsch einer letzten Ausbildung auf dem klassischen Boden Italiens, legt denn Geyer auch seinem ›Maler Klaus‹ in den Mund, dem Helden seines vortrefflichen Lustspieles ›der bethlehemitische Kindermord‹, [71] den er selbst so meisterhaft als Darsteller verkörperte, wie er ihn als Dichter erfunden hatte. ›Dramatisch-komische Situationen aus dem Künsterleben‹ nannte er dieses reifste und zu weitester Beliebtheit gelangte Werk seiner dichterischen Muse. Der Maler Klaus ist eine echte Künstlernatur, eine liebenswürdige Mischung von Begeisterung, Exzentrizität und genialem Gleichmut gegen des Lebens Mängel und Nöte. Nicht so weit in der Resignation auf irdisches Behagen hat es seine Frau gebracht: daß zu Mittag Gäste in Aussicht sind und kein Fünfgroschenstück im Hause, bringt sie in Verzweiflung, während es den Maler wenig kümmert. Aber auch Klaus kann aus aller seiner Fassung heraus zu heller Verzweiflung gebracht werden, als es sich um die Zerstörung der Skizze zu seinem Gemälde handelt, auf dessen Vollendung er all seine Hoffnung für Ruhm und Anerkennung gesetzt hat. Seit Goethes ›Künstlers Erdenwallen‹ sind die Kontraste und Kollisionen zwischen den Forderungen des täglichen Lebens mit Haushalt, Weib und Kind und dem idealistischen Drang eines echten Künstlerherzens, bei aller übermütigen Erfindung der Situationen, nicht mit so viel Lebenswahrheit und versöhnlichem Humor zur Darstellung gebracht.5

Geyers bewunderungswürdiger Fleiß auf allen Gebieten seiner vielseitigen Tätigkeit hatte es so weit gebracht, eigentliche materielle Lebenssorgen, wie sie in früheren Zeiten auch ihm – gleich seinem Maler Klaus – nicht fremd gewesen waren, sich und den Seinen fern erhalten zu sehen. Auch war es ihm gelungen, wenigstens die beiden ältesten Kinder, Albert und Rosalie, mit aller väterlichen Sorgfalt zu einiger Selbständigkeit heranzubilden. Mit Albert, der – nach Aufgabe seiner medizinischen Laufbahn – bei Mieksch in Dresden eifrigen Gesangstudien obgelegen, und nun seinen ersten theatralischen Versuch als Sänger machen sollte, begab er sich mitten im Winter des Jahres 1819 abermals nach Leipzig, wo der junge Künstler als Belmonte in der ›Entführung‹ zum ersten Male die Bühne betrat. Im Frühjahr 1820 versuchte er sich alsdann noch einmal als Tamino und Belmonte auf der Dresdener Bühne, unter Leitung Webers (der eben damals mit der Vollendung der Komposition des ›Freischütz‹ beschäftigt war), und nahm dann vom väterlichen Hause Abschied, um ein erstes Engagement in Breslau anzutreten, wo ihn Geyer unter dem Schutz und der Anleitung seines alten Freundes Bierey (S. 45) wohlgeborgen wußte. Seine Entfernung hinterließ, eine von Allen empfundene [72] Lücke; er wurde ›bei Tische besonders beim Brotschneiden vermißt‹, das nun wieder dem Vater zufiel. Aber auch Rosalie war durch eigenen Fleiß und väterliche Anleitung so weit gefördert, daß sie um die gleiche Zeit (seit dem 1. Mai 1820) mit einem Gehalt von 824 Talern dem Verbande der kgl. Hofschauspieler angehörte. Am Vorabend von Richards siebentem Geburtstag – 21. Mai – war sie zum ersten Male in dieser neuen Würde in einer Lustspielrolle aufgetreten. Über Richards eigene Entwicklung werden wir durch Geyers an Albert gerichtete briefliche Familiennachrichten nach verschiedenen Seiten hin belehrt; bald heißt es von ihm: ›Richard läßt täglich einen Hosenboden auf dem Zaune hängen‹, bald wieder: ›Richard wird groß und grundgelehrt‹. Mit ungetrübter Vaterfreude konnte er auf die körperliche und geistige Entfaltung des Knaben sehen, der in der Musik zwar noch kaum erst die Noten erlernt hatte, dafür aber sonst in allen Stücken eine so bemerkbare Lebhaftigkeit der Auffassung kundgab, daß es sich Geyer ganz besonders angelegen sein ließ, über seiner Erziehung zu wachen. Eine hervorragende Geschicklichkeit im Klettern, wie in allen akrobatischen Bewegungen, war ihm schon damals eigen: ehe er noch sieben Jahre alt war, erschreckte er seine Mutter dadurch, daß er rittlings auf dem gewundenen Treppengeländer saß und mit Blitzesschnelle hinunterglitt. Da er aber immer seiner Sache sicher war, so gewöhnten sich die Seinigen bald daran und verloren jede Spur von Angst; ja die Geschwister forderten ihn selbst zuweilen auf, besuchenden Freunden seine Gewandtheit in Purzelbäumen, Auf-dem-Kopf-Stehen und anderen gymnastischen Übungen zu zeigen. – Es ist eine bekannte Erfahrung, daß wir die eigenen unausgebildeten Naturanlagen in unseren Kindern vervollkommnet, das uns unerreichbar Gebliebene von ihnen erreicht und verwirklicht zu sehen wünschen. Für Geyer betraf dies die Malerei. Er wollte, Richard sollte Maler werden, und bemühte sich, ihm dazu Lust und Liebe einzuflößen; ›ich war aber ungeschickt im Zeichnen‹, berichtet uns Wagner selbst. Geyer hatte den Knaben so gern um sich, daß er sich nicht selten auch in die Theaterproben von ihm begleiten ließ. Hier übte denn eben das Theater, dem er nach des Vaters eigenem Wunsche fern gehalten werden sollte, dennoch unvermerkt seine erste unwiderstehliche magische Gewalt auf die kindliche Einbildungskraft aus.

In diese Zeit fallen die ersten besorgniserregenden Anzeichen der wankenden Gesundheit Geyers und einer eintretenden Erschöpfung seiner Kräfte. Im Winter 1820 befand er sich wieder auf kurze Zeit in Leipzig, wohin er sich allein begeben hatte; diesmal mehr als Maler, als zu schauspielerischen Leistungen. Er hatte bei dem Schwager Adolf Wagner Wohnung genommen, der seine einsame Junggesellenniederlassung seit dem Tode der Mutter mit der Schwester Friederike vereinigt hatte, und in den Räumen des Thomäschen Hauses mit der altbefreundeten Besitzerin Jeanette Thomä zu Dreien einen [73] gemeinsamen Haushalt führte Geyer malte viel und fühlte sich sehr unwohl, weshalb er sich auch allem auswärtigen Verkehr entzog und zu Wagners Verdruß an den von diesem gern gepflegten geselligen Lesungen dramatischer Werke – in den befreundeten Familien Träger und Lacarrière – keinen Anteil nahm. Aber ›Wohnung und Menschen waren ihm unheimlich‹. Er klagte über den ungesunden Geist des Hauses. ›Der schwarze Pudel und die verräucherten Gestalten (die lebensgroßen Bildnisse in den ihm angewiesenen kurfürstlichen Gemächern) haben etwas Finsteres, das sich einem unwillkürlich mitteilt‹. Durch sein Unwohlbefinden beunruhigt, traf die Mutter zu seiner Pflege in Leipzig ein. ›Er arbeitet zu viel, und macht sich zu wenig Bewegung‹, sagte der Schwager, ›das ist eine furchtbare Hypochondrie!‹ Aber es war mehr als das, es war das erste Symptom einer Abnahme der Kräfte, von der er sich eigentlich nicht mehr erholt hat.

Eine mehrwöchentliche Kur, mit notwendiger Enthaltung von jeder anstrengenden Tätigkeit, stellte den Leidenden zwar vorläufig soweit her, daß er Mitte Februar wieder in einer Lustspielrolle auftreten und ›eine zahlreich versammelte Zuhörerschaft durch sein echt komisches Spiel erheitern konnte‹. Inzwischen war auch der ›bethlehemitische Kindermord‹, nachdem sich Tieck als dramaturgischer Beirat der Intendanz sehr anerkennend darüber ausgesprochen, durch den Grafen Könneritz zur Aufführung angenommen. Mit Eifer betätigte sich Geyer an der Inszenierung seines Stückes, in welchem er selbst die Partie des Malers Klaus übernahm, die 13jährige Klara aber eine der darin vorkommenden Kinderrollen inne hatte. Die Aufführung ging (am 20. Februar 1821) glücklich und erfolgreich von Statten, mit unvermeidlichem Hervorruf des Autors usw.6 Doch mochte sie auf den kaum völlig Erholten, als Dichter, Regisseur und Darsteller Beteiligten, in gleichem Verhältnis an- und aufregend wirken, worauf wenigstens die kritische Bemerkung Böttigers hinzudeuten scheint, die in einer ausführlichen Erörterung über das [74] Stück und seine Darstellung Geyers Wiedergabe des von ihm selbst geschaffenen Charakters in dem einen Punkte zu meistern versucht, daß er diese minder reizbar beweglich, ›ruhiger gehalten‹, wünscht. Wenn nicht vielleicht bloß dazu auszurufen ist: O Rezensentenweisheit, die immer noch etwas Apartes für sich will! Die nächste Wiederholung des Stückes kam durch Geyers Unwohlsein erst mehrere Wochen später zustande.

Zu Ostern 1821 bezog die Familie eine neue geräumigere Wohnung in einem hohen Eckhause alter Bauart am Jüdenhof (jetzt Galerieplatz), vis-à-vis der alten Gemäldegalerie. Es lag am Ausgang der großen Frauengasse auf den Neuenmarkt und bildete somit eine Ecke desselben. Mit Sorgfalt war Geyer auf eine geschmackvolle Einrichtung der neuen Umgebung bedacht und freute sich über die behaglichere, geräumigere Kunstwerkstätte. Bei eintretendem Frühjahr widmete er sich mit besonderer Liebe der Pflege seines Gartens, in welchem er, dem Familienfreuden über alles gingen, seine Lieben noch oft um sich zu versammeln hoffte. ›Wenn ich nichts zu tun habe, gehe ich nicht ins Theater, sondern bußle in meinem Gärtchen‹, schreibt er an Albert, als dieser ihn um eine Theaterangelegenheit befragt. Für die in Breslau stattfindende Aufführung seines Stückes gab er brieflich eingehende szenische Vorschriften, über die Länge und Breite des umzuwerfenden Bildes usw. Mit Teilnahme vernahm er die Nachrichten von der glänzenden Aufnahme des ›Freischütz‹ in Berlin (18. Juni), dessen Dresdener Aufführung er nicht mehr erleben sollte! Weber hatte sich dazu schon frühzeitig – am 1. Mai – an Ort und Stelle aufgemacht, aber wegen äußerster Anspannung des Personales durch Spontini (für seine ›Olympia‹) die Proben erst drei Wochen später beginnen können. Nun war der große entscheidende Erfolg gewonnen; gleich um Mitternacht nach der Aufführung war der Regisseur Hellwig von dem, Weber zu Ehren veranstalteten, Festbankett nach Dresden zurückgekehrt, und hatte den dortigen Freunden die Kunde von dem errungenen Triumph gebracht.

Mitten im Hochsommer begab sich Geyer noch einmal, in Rosaliens Begleitung, nach Breslau, wo kurz zuvor der ›Bethlehemitische Kindermord‹ mit Glück zur ersten Aufführung gelangt war. Er sah die Stadt nach zwölf Jahren zum ersten Male wieder; trotz mancher erfreulichen Begrüßung mit alten Freunden und Bekannten, wie Bierey und Mosevius, bekam ihm aber der dortige Aufenthalt nicht gut. Als er nach vierwöchentlicher Abwesenheit nach Dresden zurückkehrte, war seine Gesundheit sehr angegriffen. Bei einer Theateraufführung am 28. August hatte er mit heftigem Übelbefinden zu [75] kämpfen, trat aber doch noch einmal auf, und nahm auch noch an der Leseprobe eines neuen Stückes, des ›Bürgermeisters von Saardam‹ teil.7 Dann begab er sich zu seiner Erholung, in Begleitung Rosaliens ›auf Befehl, aber nicht auf Kosten der Königin‹, nach Pillnitz aufs Land; aber das anhaltend stürmische und rauhe Wetter war seiner Genesung nicht förderlich. Auf den 19. September fiel der dreiundvierzigste Geburtstag der Mutter, ein festlicher Tag in der Familie, der sonst nie ohne heitere Überraschungen, von Geyer selbst erfunden und inszeniert, vorübergegangen war; zum ersten Male war er an diesem Tage von ihr getrennt. Von Pillnitz aus sendet er ihr seine Grüße: es betrübe ihn, ihr dazu keine Freude bereiten zu können; es sei ›seine Grille und sein Vorhaben, ihn nachträglich im häuslichen Kreise recht herzlich zu feiern‹. Da nötigt ihn das rauhe Wetter, den Erholungsaufenthalt vorzeitig abzubrechen. Bei völliger Ruhe bessert sich in der Stadt sein Befinden; aber schon tags darauf trat eine Verschlimmerung seines Zustandes, ein heftiger Brustkrampf ein. Immer aber noch erfüllen ihn bei nachlassenden Beschwerden Gedanken an Leben und Tätigkeit; so beschäftigte ihn mitten in aller Erschöpfung der Wunsch, sein wohlgelungenes Bild des Königs von Sachsen durch Steindruck zu vervielfältigen. Zu seiner Zerstreuung muß ihm Richard zeigen, was er auf dem Klavier gelernt hat; er spielt: ›Üb' immer Treu' und Redlichkeit‹ und die damals ganz neue Melodie des ›Jungfernkranzes‹. Aus dem Nebenzimmer hörte er da den Kranken mit schwacher Stimme zur Mutter sagen: ›Sollte er vielleicht Talent zur Musik haben?‹ – – Bereits am folgenden Tage, den 30. September um neun Uhr abends, hatte das Herz des Trefflichen zu schlagen aufgehört. Ein noch erhaltener Brief des Kriegsrats Georgi an den alten Breslauer Freund Bierey8 gedenkt mit tiefer Teilnahme des trostlosen Jammers, der Verzweiflung der Hinterbliebenen, von denen allein Rosalie eine schwer errungene Fassung bewahrte. Er erwähnt auch der Anwesenheit Richards unter den Geschwistern, zu denen und zur Mutter gewendet, Rosalie den Schwur ablegte, dem Dahingeschiedenen ihre Tochterpflicht erfüllen und ihnen allen eine Stütze sein zu wollen. Am frühen Morgen war die Mutter in die Kinderstube getreten, sie hatte jedem der Kinder etwas gesagt und zu Richard sagte sie: ›Aus dir hat er etwas machen wollen‹. Mit der Erinnerung an den allzu früh Geschiedenen blieben im Gedächtnis des Knaben diese Worte, wie ein letztes Vermächtnis, verknüpft. ›Ich entsinne mich‹, sagt Wagner, ›daß ich mir längere Zeit eingebildet habe, es würde etwas aus mir werden‹.

[76] ›Am besonnensten war Rosalie‹, heißt es in dem oben erwähnten Bericht des alten Hausfreundes, über den lauten Schmerz der tiefgebeugten Familie, ›ihr Betragen war höchst feierlich. Sie beschwor Mutter und Geschwister ruhig zu sein und sich in die Fügung des Himmels zu ergeben. »Er war zu gut für uns«, sprach sie, »darum hat Gott ihn von uns genommen und über uns erhoben – aber wir wollen ihn noch zu verdienen suchen. Ich schwöre dir, Mutter«, fuhr sie nun fort, daß ich meine Tochterpflicht redlich erfüllen will; Gott wird mir Kraft verleihen und mein Bestreben segnen. Ihr alle, sagte sie zu den Geschwistern (auch Richard war zugegen) »sollt mir beistehen, und Gott wird euch segnen, wie mich, wenn ihr es tut«. Und so gibt sie sich fortan das Ansehen von Festigkeit und Beruhigung, um dadurch auf das Gemüt ihrer Mutter und ihrer Geschwister zu wirken, indessen sie abwärts sich ausweint und, da sie den Vater immer so sehr geliebt, ihren tiefen Schmerz auf Augenblicke frei ausspricht‹. Bei fortdauernd rauher herbstlicher Witterung wurden die irdischen Reste des Entseelten wenige Tage später, früh um sieben Uhr morgens, zu Grabe getragen; Paar um Paar geleiteten ihn seine Kollegen vom Dresdener Bühnenpersonale nebst einigen engverbundenen Freunden zur letzten Ruhestatt. Zum zweiten Male verwaist, stand die Familie an dem offenen Grabe des liebevollen Erhalters, der ihr den ersten schmerzlichen Verlust zu ersetzen mit seinen edelsten Kräften bestrebt gewesen war.

Es gehört zu den geheimnisvollen Fügungen in dem Leben des Genius, daß sein Geschick ihn zum zweiten Male des Vaters beraubte. Des wirklichen Erzeugers sogleich nach seiner Geburt, des liebevollen zweiten Vaters in seinem frühen Kindesalter, als mit dem ersten Erwachen seines geistigen Lebens er sich an diesen zu schließen und einen Begriff von seiner Persönlichkeit zu empfangen begann. Alle die Empfindungen, welche einen Sohn mit seinem Vater verknüpfen, Liebe, Ehrfurcht, Dankbarkeit, Pietät, – da er sie dem leiblichen Vater, den er nie gekannt, nicht widmen konnte, hat er sie mit der vollen Wärme seines Gefühles zeitlebens auf den Stiefvater übertragen. So erfreute und rührte es ihn während seiner Züricher Verbannung, daß ein Bekannter, der von Zürich nach Leipzig reiste und mit den Söhnen seines späteren Schwagers Hermann Brockhaus befreundet war, ihm eine vortrefflich gelungene Photographie von dem Porträt Geyers ausgewirkt hatte. Dieses kleine Bild hatte seitdem immer einen Platz auf seinem Schreibtisch, und gehörte zu dem sehr Wenigen, das er im Jahre 1858 aus Zürich mit sich nach Venedig mitnahm: ›es zeigt‹, so schreibt er von dort aus, ›ein weiches, leidend sinnendes Gesicht, das mich unendlich rührt‹. Wiederum zehn Jahre später (Jan. 1870) taucht der Schöpfer der ›Meistersinger‹ und des ›Siegfried‹ rückblickend tief in die Vergangenheit ein, – bei Durchlesung des brieflichen Nachlasses des Verewigten. Seine ganze Persönlichkeit steigt sichtbar, vernehmlich vor ihm auf: das Gewesene erneut sich in seiner einstigen Wirklichkeit. ›Der [77] Inhalt jener Briefe‹, schreibt er da an die Schwester Cäcilie ›hat mich nicht nur gerührt, sondern wahrhaft erschüttert. Das Beispiel vollständigster Selbstaufopferung für einen edel erfaßten Zweck tritt uns im bürgerlichen Leben wohl selten so deutlich vor das Auge, als es hier der Fall ist. Ich kann sagen, daß ich über diese Selbstaufopferung unsres Vaters Geyer fast untröstlich bin, und daß namentlich seine Briefe an Albert mich geradesweges mit Bitterkeit erfüllt haben. Ganz besonders ergreift mich auch der zarte, feinsinnige und hochgebildete Ton in diesen Briefen, namentlich in den an unsere Mutter (gerichteten). Zugleich aber war es mir möglich, eben aus diesen Briefen an die Mutter einen scharfen Einblick in das Verhältnis dieser beiden in schwierigen Zeiten zu gewinnen. Ich glaube jetzt vollkommen klar zu sehen, wenngleich ich es für äußerst schwierig halten muß, darüber, wie ich dieses Verhältnis sehe, mich auszudrücken. Mir ist es, ob unser Vater Geyer durch seine Aufopferung für die ganze Familie eine Schuld zu verbüßen glaubte‹. – Eine Schuld? Welche Schuld? Die Schuld, der Welt einen Richard Wagner geschenkt zu haben? Wir gehen nicht weiter in unseren Vermutungen, als es, in zartester Andeutung, diese Briefstelle tut. Den Gedanken daran, daß der Verstorbene vielleicht gar auch sein leiblicher Vater gewesen sein könne, hat er gegen intime Freunde, deren wir hier mehrere namhaft machen könnten, wiederholt als Möglichkeit mündlich ausgesprochen. Und doch: wenn hier ein Geheimnis zu bewahren war, so hat seine Mutter es mit sich in das Grab genommen und dasselbe weder ihm, noch jemals einem von den erwachsenen Kindern anvertraut.

Unverbrüchlich getreu aber hielt Rosalie, bis zu ihrem eigenen allzu frühen Ende, den am Totenbette des Vaters abgelegten Schwur. Sie erfüllte dem Dahingeschiedenenen die Tochterpflicht, sie war von jetzt ab die Versorgerin der Ihrigen, die Stütze der trauernden Mutter; und diese hat sie – nach eben jenem Georgischen Brief – ›laut vor aller Welt einen Engel des Trostes für ihr bekümmertes Gemüt genannt‹. Nicht anders hat auch der heranreifende Knabe und Jüngling Richard Wagner die Schwester gekannt und ihr dieses Andenken für immer bewahrt.

Fußnoten

1 ›Die Kunstformen anderer Nationen‹, heißt es darin, ›haben sich von jeher bestimmter ausgesprochen als die der Deutschen. Der Italiener und der Franzose haben sich eine Operngestalt geformt, in der sie sich befriedigt hin und her bewegen. Nicht so der Deutsche. Ihm ist es eigentümlich, das Vorzügliche aller übrigen, wißbegierig und nach stetem Weiterschreiten verlangend, an sich zu ziehen; aber er greift alles tiefer. Wo bei den anderen es meist auf die Sinnenlust einzelner Momente abgesehen ist, will er ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk, wo alle Teile sich zum schönen Ganzen runden und einen‹. Für die wichtigste Forderung erklärt Weber die Herstellung eines schönen ›Ensembles‹. Wahrheit des Ausdruckes, Zusammenspiel, abgeschlossenes Kunstwerk – es hat etwas tief Ergreifendes, hier durch den Feuereifer eines wahrhaft deutschen Meisters fast mit denselben Worten dieselben Forderungen aufgestellt zu sehen, wie sie später machtvoller und entschiedener, tiefer und allseitiger begründet Richard Wagner stellte, der das von ihm gemeinte, alle Künste in sich vereinigende, abgeschlossene Kunstwerk kühn und siegesgewiß das ›Kunstwerk der Zukunft‹ nannte. Armer Weber, der das ihm vorschwebende künstlerische Ziel unter den kümmerlichsten, in der sächsischen Residenz ihm gebotenen Verhältnissen zu erreichen bestrebt war, in welcher das Parasitengewächs der italienischen Oper jedes abweichende Bemühen vereitelte und am Aufkommen hinderte!


2 Wir berichten den Vorfall mit seinen Einzelheiten nach den sonst rühmlichst bekannten, für die Theatergeschichte so vielfach merkwürdigen Aufzeichnungen Eduard Genasts (›Aus dem Tagebuch eines alten Schauspielers‹); andere gleichzeitige Nachrichten über diese Aufführung freilich wissen von der Stegreifrede Geyers und ihren (jedenfalls nur von dem Künstler selbst empfundenen) Nachwirkungen auf seine Darstellung – nichts, sondern nur so viel, daß, Herr Wolf als Marquis Posa, Dem. Böhler als Königin Elisabeth, Herr Geyer als König Philipp, Herr Stein als Don Carlos und Mme. Wolff als Eboli die deutlichsten Beweise allgemeiner Anerkenuung ihrer rühmlichen Verdienste erhielten, der Alba – Genast – aber in Hinsicht auf Kostüm und Darstellung sehr getadelt worden sei.


3 ›Das ganze, sehr große Gemälde ist schön und würdig angeordnet und trefflich in Haltung gebracht‹, heißt es in einem Bericht über diese Ausstellung in der ›Wiener Zeitschrift für Kunst‹. Mit dem ihr so eigenen Ausdruck von Majestät und Milde steht hier unsere teure Landesmutter an einem Tisch, auf welchem im Halbdunkel die Büste unseres Königs sich befindet. Mit Vergnügen verweilten unsere Augen auch auf dem holden Bilde der Prinzessin Augusta.


4 Wir lesen darüber in einer Münchener Korrespondenz vom 25. August 1819 in der, Dresd. Abendzeitung (Nr. 221/22): ›Von Ihrer Majestät der Königin von Sachsen beauftragt, das Porträt ihres durchlauchtigsten Bruders, unseres Königs, zu malen, hatte Herr Geyer eine von Stielers Land verfertigte Abbildung dieses Monarchen vor sich, als er, bei seiner richtigen Auffassung und Vergleichung des Bildes mit der erhabenen Person des Königs bemerkte, daß die Ähnlichkeit doch nicht in dem Grade erreicht sei, wie er sie sich wohl herzustellen getraute, wenn er das Glück haben sollte, von Seiner Majestät auch nur eine einzige Sitzung, die nicht über eine Stunde dauern sollte, zu erhalten. Sein Wunsch wurde erfüllt, und das Bild des Königs ging aus seinen Händen mit einer Ähnlichkeit hervor, wie sie vollkommener wohl nicht erreicht werden kann. Es ist unbeschreiblich, welche große Sensation dieses Bild machte. Er malte nun auch Ihre Majestät die Königin, und vereinigte auch durch dieses Bild die Stimmen der unparteiischen Kenner für sich. Herr Geyer wurde nun mit Bestellungen überhäuft und es ist kaum glaublich, wenn man hört, daß er im Laufe von sechs Wochen an 30 Porträts gemalt hat, worunter sich die Bildnisse des Herzogs Wilhelm, des Feldmarschalls Fürsten Wrede, des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten Grafen von Rechberg mit Familie, des Oberzeremonienmeisters Karl Grafen von Rechberg, des Generalleutenants Grafen Anton von Rechberg, des preußischen und französischen Gesandten u. a. befinden. Er mußte zuletzt, da sein Urlaub zu Ende ging, eine Menge Bestellungen ablehnen. Es muß dem Künstler zur besonderen Ehre gereichen, diese Auszeichnung in einer Stadt zu genießen, wo die Hauber, Kellerhofen, Ettlinger in diesem Fache der Malerei doch so berühmt sind; aber ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß in dem Punkte der Ähnlichkeit, gleich auf die erste Anlage, es keiner Herrn Geyer gleichtut. Diesen schnellen Blick, diese richtige Auffassung, habe ich kaum bei einem Künstler für möglich gehalten.‹


5 Eine Inhaltsangabe dieser bekanntesten unter Geyers Lustspieldichtungen können wir uns an dieser Stelle billig ersparen. Im Drucke erschien ›Der bethlehemitische Kindermord‹ ebenfalls erst nach dem Tode des Dichters, und zwar in den folgenden Ausgaben: 1) als Separatausgabe, Weimar, 1823, Hoffmann; 2) im ›Weimarischen dramatischen Taschenbuch‹, 1. Jahrgang (mit dem Bildnis Durands als Maler Klaus); 3) in der ›Deutschen Schaubühne‹, Band XIV, Wien 1825; 4) in Reclams ›Universalbibliothek‹, Nr. 1979, herausgegeben von C. Fr. Wittmann, 1885.


6 Geyer gab bei dieser Darstellung seines Werkes den Maler Klaus, Frau Sophie wurde durch Mme. Schirmer, der Theaterdiener Texel durch Pauli, Magister Stockmann durch Geiling dargestellt. Von der Leistung der kleinen Klara heißt es dabei; ›Ein recht erfreuliches Talent entwickelte auch diesmal die junge Klara Wagner, von der wir schon mehr als einmal kleine Rollen mit wahrer Kindlichkeit, Unbefangenheit und regem Leben haben darstellen sehen. Die Bühne kann sich, recht liebe Hoffnungen von der jungen Pflanze machen‹. – Von den auswärtigen Aufführungen des Stückes hat Geyer nur die in Breslau (Juni 1821) noch erlebt; von den ihr folgenden können wir hier nur einen lückenhaften Überblick geben: Hamburg (Oktober 1821); Weimar (Frühjahr 1821, mit Dürand als Maler Klaus); Berlin (14. Januar 1823, wo das humoristische Spiel des berühmten Pius Alexander Wolff und seiner Gattin es längere Zeit auf dem Repertoire erhielt); Stuttgart (März 1823); Prag (seit September 1823 in mehrfachen Wiederaufnahmen); Leipzig (November 1824); Kassel (1828); Aachen (Juli 1829) usw.; zuletzt Bayreuth (22. Mai 1873). Die Rolle des Theaterdieners Texel gab überall zu den mannigfächsten Extempores willkommenen Anlaß. Das Exemplar des Rigaer Stadttheaters ist durchweg mit rätselhaften handschriftlichen Text-Varianten versehen, die keinesfalls vom Verfasser herrühren. Z. B. ist darin der Satz: › die Juden haben uns noch niemals Glück gebracht‹ sinnloser Weise entstellt in: ›ein Heidenbild hat uns noch niemals Glück gebracht‹.


7 Die kleineren Pariser Theater hatten seit dem Jahre 1801 die angeblichen Abenteuer des Zar Peter in Saardam in mehr als zehn verschiedenen Stücken auf die Bühne gebracht; aus der Verdeutschung eines derselben machte sich Lortzing später das Buch zu seiner bekannten Oper.


8 Seit 1870 im Besitz des Meisters, gegenwärtig des Hauses Wahnfried.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 66-78.
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