XI.

Vollendung des ›Rienzi‹.

[368] Beziehungen zu Avenarius. – Laubesche Unterstützung. – Die ›Freundschaft der Armen‹: Abendliche Zusammenkünfte bei Wagner. – Rückkehr zu ›Rienzi‹. – Musikalischer Frohndienst für Schlesinger. – ›Tagebuchblätter‹. – Der ›fliegende Holländer‹ für die Pariser Oper bestimmt. – Mitarbeit an der Gazette musicale. – Begegnung mit Liszt. – Komposition des ›Rienzi‹ vollendet.


Mit der musikalischen Ausführung des Rienzi suchte ich der Richtung, die mich eigentlich nach Paris geführt hatte, und für die ich mir nun Alles verschlossen sah, ihr künstlerisches Recht angedeihen zu lassen, indem ich sie für mich abschloß: mit dieser Vollendung stand ich jetzt gänzlich außerhalb des Bodens meiner bisherigen Vergangenheit.

Richard Wagner.


Wir greifen hier, an der Hand einiger an Avenarius gerichteten Briefchen, auf diese, über anderen Dingen aus dem Auge verlorene Beziehung zurück, um aus den vorliegenden schriftlichen Kundgebungen noch ein nachträgliches Licht auf die bisher geschilderten Leidensstationen fallen zu lassen. Zwei davon gehören noch in die Tonnelleriestraße und in den Beginn des Jahres 1840. Das neue Jahr war für ihn in der trübsten, hoffnungslosesten Stimmung angebrochen. Keine Aussicht bot sich ihm dar. Jeder kleine Luxus ihres Haushaltes war längst in das Leihhaus gewandert und blieb dem, aus einem harten Existenzkampf in den anderen Geschleuderten tatsächlich für die ganze Dauer seines Pariser Aufenthaltes entzogen Einstweilen hatte er bloß darauf bedacht zu sein, mit erneuerten Unkosten in regelmäßigen Terminen ›den Versatz zu erneuern‹, damit ihm seine Sachen nicht ganz verloren gingen. Leider war ihm die silberne Tabatière der Schröder-Devrient, wie wir uns entsinnen, schon auf eine andere Art, und für immer, abhanden gekommen (S. 329), sonst wäre sie mit dem anderen ›Silberzeug‹ auf das Pariser Versatzamt des Mont de Piété ›mit seinen düsteren unbegreiflichen Rechnungen‹ geraten! Erst von Dresden aus konnte er an die Auslösung seiner hinterlassenen [369] ›Pfänder‹ denken.1 So war der dritte Tag des neuen Jahres, Freitag der 3. Januar, herangekommen: soeben hatte er mit dem letzten Entbehrlichen seines kleinen Haushaltes das Leihhaus aufgesucht, um seine fällige Miete etc. zu bezahlen; alles übrige war schon den gleichen Weg gegangen. Und nun reichte das auf diesem Wege Gewonnene nicht einmal aus: es fehlten am nötigsten Bedarf immer noch – 50 Francs! Jede andere Quelle für einen etwaigen Bezug derselben war ausgenutzt; seinem Schwager gegenüber war er bereits nicht mehr frei, und gerade an ihn, den allzu Nahestehenden, nochmals heranzutreten, mußte seinem seinen Taktgefühl äußerst peinlich bedrückend sein Hatte dieser gewiß auch an der hinter ihm stehenden reichen Brockhausschen Firma einen Rückhalt, der dem ringenden Künstler seit jener mehrerwähnten Begegnung mit Friedrich Brockhaus (S. 238) ein – für allemal abgeschnitten war, – so war er doch für seine Person nicht vermögend und angesichts seiner bevorstehenden Vermählung für die Einrichtung eines eigenen bescheidenen, aber freundlichen Nestes für sich und seine junge Frau in Anspruch genommen. Mit solchen und ähnlichen Gedanken hatte Wagner an jenem 3. Januar auf dem Nachmittagsspaziergange mit Minna auf den Boulevards in der Rue Richelieu vorgesprochen und man verbrachte den Abend gemeinschaftlich. Man unterhielt sich über mancherlei, über Cäcilie, an welche Minna ein Briefchen mitgeben wollte, und den Zeitpunkt ihres Eintreffens in Paris, über die Möglichkeit, durch die Schwester Luise einen Einfluß zu seinen Gunsten auszuüben Schließlich überkam ihn ein jäher Anfall von Zahnschmerz und machte dem Besuch ein plötzliches Ende. Unmöglich aber war es ihm den ganzen Abend über gewesen, über die ihn augenblicklich am heftigsten quälende Sorge ein Wort über die Lippen zu bringen. Sie waren ihm während des ganzen mehrstündigen Besuches wie verschlossen geblieben, sobald er nur an diesen Gegenstand dachte. Die ganze eben geschilderte Episode mit Leihhaus, Besuch, Zusammensein, Unterhaltung, Reden und Schweigen, plötzlichem Zahnweh usw. ist, ohne die geringste Hinzufügung unsererseits, in den beiden erwähnten Billets aus der Tonnelleriestraße – wenn auch nicht in erzählender Form enthalten, so doch Zug für Zug daraus zu entnehmen! Und nun mußte er sich anderen Tages, am Morgen des 4. Januar, doch dazu entschließen, [370] seinen ›werten Freund und Gönner‹ schriftlich darum anzugehen: er möchte ihm doch nur ganz einfach mit Ja oder Nein beantworten, ob es in seiner Macht stehe (›wollte Gott, es stehe nur bei Ihrem Willen!‹), die bewußte Summe seiner Schuld noch um 50 Francs zu vergrößern; die Summe selbst (wir erinnern uns, daß sie gerade 350 Francs betrug!), ›würde auch dann gerade rund, oder doch viereckig werden‹. ›Ich fühle im übrigen wohl‹, heißt es weiter ›daß diese Anfrage, wie die Sache hinsichtlich der Schuld gerade jetzt steht, etwas an Unverschämtheit grenzt; – indessen – Not lehrt nicht nur beten, sondern auch einen gewissen Grad von Unverschämtheit, die jedoch Sie vielleicht eher als jeder an dere zu entschuldigen wissen werden‹. Da es sich nun gerade um nicht mehr als netto fünfzig Franken handele, so nehme er also nochmals zu ihm seine (diesmal letzte) Zuflucht. Könne er die bejahende Antwort zugleich mit dem nervus rerum begleiten, so könne er sich wohl denken, daß es ihm (dem Antragsteller) lieb sein werde. Das vergilbte, mit einer Oblate zugesiegelte Blatt enthält zugleich auf der Rückseite die flüchtige Skizze der prompt erfolgenden Antwort. Sie klingt immerhin reserviert, Ich schicke Ihnen, lieber Freund, die gewünschten 50 Frs. – nun im ganzen 400 Frs. – und werde sehen, zu was ich Ihre Frau Schwester – Luise Brockhaus – ›geneigt finde. Weiter kann ich aber bei dem besten Willen nicht gehen, was ich (zur Vermeidung von) möglichen Mißverständnissen Ihnen nicht verhehlen darf. Ganz der Ihre E. A.‹

Ein zweites, fünf Tage später geschriebenes, Billet vergegenwärtigt uns die schon im vorigen Abschnitt unserer Erzählung erwähnte Zahnwehepisode (S. 357), die von jenem Abend ab ihren Ausgang genommen zu haben scheint, – wenn es sich nicht um einen Rückfall in überstandene Leiden handelt – immer unter den gleichen Bedingungen eines nicht zugfreien Wohnzimmers und einer zweifellos mangelhaften Heizung! Es belehrt uns auch, daß bereits der vorige Brief unter denselben Belästigungen entstanden ist. ›Werter, lieber Freund – Sie werden sich nicht haben erklären können, weshalb Sie nicht schon längst den bewußten Brief meiner Frau an Cäcilien zur gefälligen Besorgung erhielten‹. Indem er nun seine Frau wegen dieser Verzögerung entschuldigt, bezeichnet er zugleich seine Krankheit als die Ursache derselben Jener Zahnschmerz, der ihn am letzten Abend ihres Zusammenseins überkam, sei nur der Anfang gewesen. ›Ein paar Tage darauf wurde ich beinahe wahnsinnig vor Reißen; nachher bekam ich Fieber, mußte das Bett hüten; jetzt leide ich bloß noch an steifem Hals, darf aber noch nicht ausgehen; meine Frau fühlte sich nun nicht eher als endlich heute disponiert, einen vernünftigen Brief zu schreiben, was Sie sich wohl denken können. Voilà tout! – Danke noch herzlichst!! – Gruß von uns Beiden!‹

Wir haben im Vorausgehenden des Näheren verfolgt, wie die einzelnen Phasen der ›Liebesverbot‹-Entreprise, die feierliche Audition von Bruchstücken[371] durch ausgewählte Pariser Sänger, die verheißungsvollen Zusagen Anténor Jolys usw. den jungen Meister zunächst aus der Tonnelleriestraße in die Rue du Helder, dann aber zu einem unvermuteten Zusammenbruch aller und jeder auf dieses Unternehmen gesetzten Hoffnung führten. Das alles liegt zwischen diesem und dem folgenden Briefchen – aber noch mehr. Inzwischen nämlich war Avenarius nach Deutschland gereist und hatte daselbst (5. März) im Kreise der Brockhausschen Familie Hochzeit gefeiert. Seit seiner Rückkehr war er nun nicht mehr allein, sondern hatte eine neuvermählte junge Frau, die Spielgefährtin Wagners in seinen frühesten Kinderjahren, an seiner Seite. Nichtsdestoweniger empfand es Letzterer, daß sich das junge Paar ihnen gegenüber eine gewisse, in ihren Ursachen ihm nur allzu begreifliche Zurückhaltung auferlegte, welche die Unbefangenheit ihres Verkehrs zu verkümmern drohte. Als er daher endlich, am 29. April, sich wieder in einer geschäftlichen Angelegenheit an ihn zu wenden hat – es handelte sich um die Avancierung einer ihm von Leipzig aus zugedachten kleinen Summe – sieht er sich veranlaßt, das darauf bezügliche Schreiben an seinem Schluß mit den zartsinnigsten Erwägungen in dieser Beziehung zu begleiten, Wie sehr, und wie aufrichtig ich Sie beklage, daß Sie bis jetzt in Ihrer Bekanntschaft mit mir nur noch Beunruhigungen zu finden hatten, – (davon) seien Sie überzeugt! Denn ich weiß, daß diese Art von Beunruhigungen für das regelhafte Leben eines Geschäftsmannes gerade die unerfreulichsten sind. Mit wirklicher Betrübnis habe ich denn auch bereits gesehen, wie störend und entfremdend sie auf zwei Paare einwirkten, die ohnedem vielleicht in dem offensten und gemütlichsten Verkehre stehen würden. Da nun aber niemand mehr als ich dies fühle, niemand auch mehr und inniger wünscht, daß dieser Verkehr ebenso sein möge, wie er leider jetzt nicht ist, – so bitte ich Sie hiermit, vollkommen versichert zu sein, daß es nicht leere Prahlerei ist, wenn ich Ihnen sage, daß ich hiermit, wenigstens von der unangenehmen Seite, die letzte Berührung mit Ihnen in pekuniärer Hinsicht gehabt habe; – daß ich mich herzlichst freue, mit dem Aufhören dieser Berührungen in ein offeneres und traulicheres Verhältnis zu Euch treten zu können, das wenigstens durch Eingriffe dieser Art nicht mehr unterbrochen werden soll. In dieser Hinsicht weist er auf eine ihm verheißene außerordentliche Unterstützung hin, die ihn, bis dahin, wo er einnehmen werde ›mit allem Nötigen versorgen‹ wolle, – wenn er auch zunächst sich verpflichtet fühle, nicht sogleich anzugeben, woher ihm diese außerordentliche Unterstützung komme. Unseres Wissens rühren die wirklich herzlichen und ungezwungen freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Paaren trotz alledem aus einer etwas späteren Zeit her; wie denn auch der Briefwechsel von jetzt ab auf längere Zeit – bis zum 22. Februar des folgenden Jahres – unterbrochen ist, wenn auch gewiß nicht der mündliche und persönliche Verkehr. Charakteristisch ist es jedenfalls, daß das unter den [372] nächsten Verwandten so natürliche trauliche ›Du‹ der Anrede sich im Verkehr mit dem Schwager erst gegen das Ende seines Pariser Aufenthaltes, ja in dessen allerletzten Monaten, einstellt. Bis dahin hatte weder Avenarius, noch auch Wagner – wenn auch aus noch so abweichenden Gründen! – es für angezeigt gehalten, es dem anderen Teile anzutragen.

Und nun diese geheimnisvolle ›Unterstützung‹ selbst! Wie sehr wäre sie jetzt am Platze gewesen! Ja es war die allerhöchste Zeit dafür, nach diesem furchtbaren ersten Pariser Winter. Ganz gewiß sind wir auch, da sich der junge Meister so entschieden gegen den Einwurf einer ›leeren Prahlerei‹ verwahrt, nicht zu der Annahme berechtigt, es habe sich dabei seinerseits nur um einen zartfühlenden Vorwand gehandelt, um den durch seine Nöte beängstigten Freunden von nun ab seine Sorgen nicht mehr mitteilen, sondern – verschweigen zu dürfen. Es kann darunter vielmehr nur jener geplante, jedenfalls nicht sehr weitreichende, Beitrag zu seinem Unterhalt gemeint sein, den ihm Laube bei seinem Fortgang von Paris aus den vermögenden Leipziger Kaufmannskreisen zu erwirken in Aussicht gestellt hatte. Laube selbst gedenkt in seinen, mehr als vierzig Jahre später publizierten Erinnerungen2 an die hauptsächlich von ihm ins Auge gefaßte Persönlichkeit, die er dafür zu gewinnen willens war, und welche sich wirklich, auf seine Anregung hin, zu solchen Beiträgen zeitweilig verstanden haben soll. Er nennt nicht den Namen des Mannes, er bezeichnet ihn nur mit seinem freundschaftlichen Spitznamen des ›Starosten‹; wer aber dieser ›Starost‹ war, darüber belehrt uns eine andere, in bezug auf Laube und seinen Leipziger Verkehr schon wiederholt von uns zitierte Quelle.3 Nämlich – ein schwerreicher Leipziger Jude aus Brody, ein ›vortrefflicher Hebräer‹, der seine blanken Dukaten von jenen, dem Leser schon bekannten ›walachisch-moldauisch-polnischen Juden‹ gewann, die zu jeder Messe den Brühl belebten (S. 107) und denen er seit Jahren als privilegierter Agent und Dolmetscher diente.4 Diesen hatte Laube seiner Freundschaft gewürdigt und sogar einmal mit ihm eine Reise durch Salzburg, Tirol und Oberitalien gemacht, mit dem jungen Gutzkow als Drittem im Bunde. Letzterer rühmt den ›komischen Kauz‹ als, eine gute, praktische Seele, die sich nebenbei auch unseren Übermut gefallen ließ. An so mancher buchhändlerischen Entreprise Leipzigs soll er Tausende verloren haben. Aber – ›eine Erinnerung an die Schröder-Devrient und die Fühlung war bei ihm gegeben für alles Große [373] und Erhabene‹. Mit ihm wollte sich Laube bei seiner Rückkehr nach Leipzig ins Einvernehmen setzen. So weit – bis an die Leipziger Börse – reichten die beängstigenden Leiden des jungen deutschen Künstlers in Paris : tantae molis erat Romanam condere gentem!

In diese Zeit der ersten Niederlassung in der Helderstraße fallen neben dem fortdauernden, ununterbrochenen Verkehr mit dem ›Dreiblatt‹, die ersten Berührungen mit dem jungen Pecht, über welche dieser späterhin sich so eingehend verbreitet. ›Da ich, angezogen von dem unwiderstehlichen Reiz seines Umganges, bald mit ihm vertraut ward, so besuchte ich ihn öfters in der kleinen Wohnung, die er in der Rue du Helder vier Treppen hoch gemietet und auch gleich – natürlich auf Kredit – möbliert hatte. Erst sechsundzwanzig Jahre alt, besaß er schon eine Weltgewandtheit und Unerschöpflichkeit der Hilfsmittel, die mir nicht wieder so erschienen sind, dazu eine magische Anziehungskraft und einen angeborenen Adel der Natur, die ihn bei aller Leidenschaftlichkeit und allem sprudelnden Witz niemals gemein oder trivial werden ließ. Immer mußte ich die Unerschöpflichkeit und Willenskraft dieses Mannes bewundern, den keine Not anders als vorübergehend zu entmutigen, kein Mißgeschick im Vertrauen auf sein Talent wankend zu machen vermochte! Und doch hatte er dasselbe noch an keinem großen Werk erproben können, da sein Rienzi ja nicht angenommen ward, und alle Hoffnungen, die er deshalb auf Meyerbeer und andere gesetzt, ihn täuschten. Ja nicht einmal wir Freunde konnten ihn trösten, da wir zu wenig Musik verstanden, um seinen Genius würdigen zu können, und nur an ihn glaubten, weil uns der Reichtum und die Macht dieses Geistes fesselten. Zunächst bildete er den Mittelpunkt eines kleinen Kreises von jungen Deutschen, unter denen der Maler Kietz die Rolle der lustigen Person spielte, die, das Französische noch ärger als Wagner mißhandelnd, uns ewigen Stoff zum Lachen bot, aber mit unverbrüchlicher Treue an ihm hing Ebenso ein junger Prager Kaufmann, Herr Brix, den ich ihm zugeführt hatte, weil er ein sehr guter Flötenspieler‹ (die Begründung ist recht sonderbar!) ›und nicht unvermögend war, wie wir anderen, die ihm wenig mehr zu bieten hatten, als etwa eine gelegentliche Aushilfe in der bittersten Verlegenheit‹. Dagegen läßt den vortrefflichen Beobachter sein erstaunliches Gedächtnis etwas im Stich, wenn es sich um die Persönlichkeiten von Anders und Lehrs handelt, die er in seiner Erinnerung auffällig durcheinanderwirft!5 In betreff des von ihm Wagner zugeführten jungen Handelsreisenden Herrn Brix, des ›leidenschaftlichen Musikfreundes und ausgezeichneten [374] Flötenspielers‹ präzisiert er an anderer Stelle das Verhältnis deutlicher, in welches dieser zu dem jungen Meister trat; er sei nämlich zu Wagner gezogen, weil dieser, zur Linderung seines Notstandes, darauf bedacht sein mußte, die entbehrlichen Räumlichkeiten seiner kleinen Wohnung an einen Miteinwohner zu vermieten. Der ›Flötenbläser‹ Brix figuriert auch in einer durch Kietz überlieferten Anekdote. Wagner habe sich nämlich beim Beziehen seines Logis besonders darüber gefreut, daß er keinen musizierenden Nachbar befürchten zu müssen glaubte. ›Er erschrak deshalb nicht wenig, als er nach einiger Zeit dicht an der Wand seines Studierzimmers Klavier spielen hörte und zwar immer dieselben drei Stücke. Er untersuchte das Haus und fand ein ganz kleines, über der Treppe eingebautes Kabinett, das er nicht beachtet hatte, und in welchem gerade nur Platz für ein Bett, einen Tisch und ein Instrument war. Dieses Kabinett hatte ein Jüngling gemietet, der darin diese drei Stücke zu einem bevorstehenden Konzert üben wollte. Einige Tage hielt Wagner diese Musik aus, dann aber riß ihm die Geduld. Er rückte sein Klavier an die Wand und nahm daran Platz, Brix setzte die Flöte an den Mund, Kietz bekam eine Trommel, und als nun jener Unglückliche zur gewöhnlichen Stunde sein Stück zu üben anfing, klang es ihm von den drei Instrumenten vorgetragen und mit den schönsten Überladungen und Extraverzierungen ausgestattet, von der anderen Seite her entgegen. Das grausame Spiel hatte die erwünschte Wirkung; der unheimliche Konzertvirtuos zog aus. Nun hatte Wagner Ruhe zum Arbeiten‹.6

In rührender Weise äußert sich Wagner, in einem bald darauf von ihm verfaßten Aufsatz ›Pariser Fatalitäten für Deutsche‹ über die ihm zuteil gewordene treue Freundschaft des ganzen kleinen Kreises, der sich um seine, auch in äußerster Bedrängnis immer lebensprühende Person ansammelte. ›Die vortrefflichsten, echtesten Deutschen (in Paris) sind die Armen‹, heißt es daselbst aus persönlichster Erfahrung. ›Sie lernen in Paris ihre Muttersprache von neuem schätzen und vergessen darüber, französisch zu lernen. Ihr oft schwach gewordener patriotischer Sinn wird hier von neuem gestärkt, und so sehr sie gewöhnlich die Rückkehr nach der Heimat scheuen, so vergehen sie doch vor Heimweh. Diese armen Deutschen haben gewöhnlich viel Phantasie und Talent, vor allem sind sie treue Freunde; ich für mein Teil habe erst hier erfahren, was Freundschaft ist‹. Und noch einmal erteilen wir im Anschluß an diese Worte dem Einzigen aus diesem Kreise das Wort, dessen Erinnerungen an jenen Verkehr auf uns gekommen sind. ›Wir junge Deutsche, die ihn kannten‹, fährt Pecht in seinen fesselnden Schilderungen fort7, ›und uns, angezogen [375] durch den ewig sprudelnden Reichtum seines Geistes, nicht minder auch aus Mitleid mit der liebenswürdigen Frau, um ihn bekümmerten, – wir waren, wie gesagt, alle arm wie die Kirchenmäuse. Wir konnten ihm darum lediglich den Trost gewähren, daß er nicht absolut verlassen sei, daß er Leute habe, die an ihn glaubten und eine kleine Gemeinde um ihn bildeten, deren unbestrittener Mittelpunkt er doch blieb. Denn während er bereits unsterbliche, wenn auch noch in ihrem Werte unerkannte Werke schuf, waren wir ja alle nur Schüler, die wohl fühlten, daß er sie hoch überragte. Die Art, wie er bei unseren Abendunterhaltungen, trotz der Misère, in der er sich befand, trotz der vollständigen Aussichtslosigkeit, die ihn umgab, sich mit wunderbarer Elastizität über die Bedrängnis des Augenblickes erhebend, uns mit unerschöpflicher Laune unterhielt und uns nach und nach alle großen Musiker so scharf charakterisierte, daß sie uns alle ganz individuelle, lebensvolle Gestalten wurden, – setzt mich heute noch in Erstaunen. Denn weder ich, der doch für einen Künstler viel zu sehr das Bedürfnis hatte, sich die Dinge begrifflich klar zu machen, noch irgend einer meiner künstlerischen Kollegen wären in diesem Alter auch nur annähernd imstande gewesen, über irgend einen Maler so richtig und scharf zu urteilen. Von bloßem Absprechen, was der Jugend ja immer am nächsten liegt, war bei ihm gar keine Rede, sobald dieser beständig lodernde Feuergeist einmal ruhig und nicht in Aufregung gesetzt war. Schon seine Vertrautheit mit der gesamten musikalischen Produktion aller Zeiten war für einen so jungen Mann fast unbegreiflich. Die frühesten Italiener, wie Palestrina, Pergolese u. a., kannte er ebenso genau wie die älteren Deutschen; von Sebastian Bach bekam ich durch ihn überhaupt erst einen Begriff. Gluck beschäftigte ihn schon damals unaufhörlich; Haydns Naturmalerei, Mozarts Genie, wie die unglücklichen Einflüsse seiner Stellung in Salzburg und Wien; die Eigentümlichkeiten der Franzosen, des Lully, Boieldieu, Auber; endlich seines Lieblings Weber wunderbar volkstümliche Art, Beethovens sie sämtlich überragende Gestalt, Mendelssohns zierliche Salonmusik: sie alle schilderte er uns, immer einzelne Melodien vorsingend, mit einer solchen Lebendigkeit, solcher plastischen Kraft, daß sie mir bis heute so im Gedächtnis geblieben sind, wie er sie vor uns hingestellt. Merkwürdig ist mir auch, daß er damals behauptete, die Musik sei eine Sprache, an der sehr vieles, wenn nicht alles, unfehlbar veralte und ungenießbar oder unverständlich werde. So sei an Mozart schon sehr vieles zopsig – und dabei trällerte er uns die Stellen immer vor – eine Behauptung, die mich damals entsetzte, mir aber heute ganz richtig erscheint. Die fortwährende Umbildung der Instrumente bedinge allein schon notwendig das Veralten; gerade die Instrumentation werde sich noch ganz ändern, da sie bei den älteren noch viel zu dürftig sei und erst Beethoven das Orchester richtig zu benützen verstehe, und dergleichen mehr, was er jetzt selber großenteils herbeigeführt‹. ›Bei dieser Gelegenheit erstaune ich jetzt noch oft,[376] mit welcher Schärfe er uns den spezifischen Charakter eines jeden Instrumentes und die Dinge, für welche es vorzugsweise verwendbar sei, auseinandersetzte, die Lokalfarbe seines Tones uns erklärte, wobei ich denn freilich noch keine Ahnung hatte, daß gerade Kolorit und Stimmung zu den Haupteigenschaften seines Talentes gehörten, was man aus seinem verzweifelten Klavierspiel unmöglich entnehmen konnte, obwohl er beständig mit größter Bestimmtheit davon sprach Nicht minder von der Absurdität unserer heutigen Oper, gegen die er bereits sich in Opposition setzte. Wie mich denn die frühe Reise dieses Geistes heute in der Erinnerung viel mehr in Erstaunen setzt als damals, weil man die Äußerungen des Genies so leicht als etwas Natürliches hinnimmt, selbst wenn vorher kein Mensch dasselbe gesagt hätte. So wüßte ich nicht, daß ich jemals Rossini so scharf und treffend hätte beurteilen hören, als er es mit voller Würdigung seiner Genialität und seines Reichtums schon zu dieser Zeit tat. Unwillkürlich aber behandelte er, der junge, völlig unbekannte Mann, diese musikalischen Berühmtheiten alle durchaus als seinesgleichen, und wir, die wir das bei einem jungen Maler gewiß als höchst anmaßend verurteilt hätten, fanden es bei ihm so völlig in der Ordnung und gerechtfertigt, daß es uns gar nie einfiel, das als Selbstüberhebung zu betrachten. Offenbar nur darum, weil es eben auch absolut keine war!‹

Ohne jede nähere oder fernere Aussicht auf Paris, ergriff er – im Juni 1840 – wieder die Komposition seines ›Rienzi‹. Entsagte er damit jedem nochmaligen demütigenden Versuch einer Anknüpfung mit einem der kleineren Pariser Theater, so durfte er dafür in der Fortsetzung dieser Arbeit desto unabhängiger seinem wahren künstlerischen Glauben folgen. Eine zu ermöglichende Aufführung seines Werkes in Paris hatte er nicht mehr im Sinne; er sah mit Sicherheit voraus, daß er wenigstens fünf bis sechs Jahre hätte warten müssen, bevor selbst im glücklichsten Falle solch ein Plan ausführbar geworden wäre. Er bestimmte es nunmehr für Dresden. Hier war soeben der Bau eines glänzenden neuen Opernhauses nach Sempers Plänen im Gange, dessen eben errichteter Dachstuhl um die Zeit seiner Seefahrt nach London den äußeren Bau zur Vollendung brachte, während die innere Ausschmückung noch längere Zeit in Anspruch nahm. An den Dekorationen, die an Pracht Paris nichts nachgeben sollten, arbeiteten die namhaftesten Pariser Dekorationsmeister, deren Leistungen so oft seine Bewunderung herausgefordert und die zu diesem Behuf eigens nach Dresden eingeladen waren. Die hervorragendsten Sangeskräfte, die Schröder-Devrient, Tichatscheck u. a. wußte er der dortigen Bühne eigen; außerdem durfte er, auf Bekanntschaften aus frühester Zeit sich stützend, dort am ehesten Eingang zu finden hoffen. – Nichtsdestoweniger gab er Paris nicht auf, aber er richtete sein Augenmerk nun einzig noch auf die ›Große Oper‹ selbst, ohne niederdrückende und entwürdigende Kompromisse. Fand er dort für seinen ›Rienzi‹ keine Aufnahme, [377] so hatte er für diesen Zweck doch schon einen anderen Stoff in Bereitschaft. Der ›fliegende Holländer‹, dessen innige Bekanntschaft er auf der See gemacht, fesselte fortwährend seine Phantasie. Ihn gedachte er – unter Meyerbeers verhofftem Beistand – in Gestalt eines bloßen Einakters in 3 Szenen, dem Direktor jenes Institutes zur Annahme zu überreichen. Aus dem Mai 1840 stammt demnach der allererste Entwurf dieses Werkes, in welchem Senta noch Anna, Daland – Donald, Erik – Georg heißt, und die Handlung noch an der schottischen Küste, statt an der norwegischen spielt.

Das Datum des Wiederbeginnes der musikalischen Ausführung des ›Rienzi‹ mit dessen drittem Akt finden wir in unseren Aufzeichnungen nach der Originalpartitur als den 6. Juni 1840 angegeben;8 nach der gleichen Quelle soll derselbe erst am 11. August vollendet worden sein Durchaus unerinnerlich ist es uns geblieben, aus welcher Quelle wir uns schon vor längerer Zeit den 15. Februar des gleichen Jahres für den Beginn dieses Aktes (mit dem Schlußdatum des 7. Juli) notiert haben; wonach die Wiederaufnahme noch in die Umgebung der Tonnelleriestraße gefallen und durch die im vorhergehenden geschilderten Zwischenfälle stets aufs neue unterbrochen worden sein müßte.9 Offenbar sind bei diesen Datierungen die eigentliche Komposition und die Ausarbeitung in Partitur zu unterscheiden; in der Komposition scheint der dritte Akt in der Tat bereits am 7. Juli beendet und der vierte Aufzug drei Tage später, am 10. Juli, aufgenommen zu sein. (S. d. Anm.) Die Vergleichung der musikalischen Ausführung der drei letzten Aufzüge mit den nach Paris mitgebrachten beiden ersten Akten bekundet einen unverkennbaren Fortschritt in des Tondichters innerer Entwickelung. Er ist in der dazwischenliegenden unruhvollen Leidenszeit seinem eigenen Wesen um einen merklichen Schritt näher gekommen. Wenn überhaupt in dem ganzen Werke die überlieferten Formen der Duette, Terzette usw. noch beibehalten sind, so stehen sie doch jederzeit in enger Verbindung mit der dramatischen Situation. Von [378] diesem Gesichtspunkte aus ist auch die einzige ›Arie‹ des Adriano, im dritten Akt, zu betrachten: sie ist eng mit der Handlung verknüpft und entwickelt sich in ihrem Verlaufe aus dieser weiter. In dem Vorspiel zum vierten Akte ist schon wie in den späteren Werken, die Stimmung für den ganzen Akt eindringlich angedeutet; noch mehr ist dies in dem Vorspiel und dem daran sich schließenden Gebete des fünften Aktes durch den stimmungsvollen Ausdruck der Frömmigkeit und demütigen Ergebung in Gottes Willen der Fall. ›Die letzten, der höchsten Verzweiflung abgerungenen Fragen an das Volk bewegen sich in der Melodie des Treueschwurs am Schlusse des ersten Aktes, worauf jedesmal das Orchester in vollstem Glanze im Stile des dortigen Chores antwortet. Nach dem verdammenden Fluche Rienzis verwandelt sich das leuchtende B-dur der Schlachthymne in ein düsteres G-moll mit verminderten Septimenharmonien, in welchen das Geheul des entarteten Volkes über dem Grabe der vernichteten Freiheit austobt. Diese Behandlung der Motive in der letzten Szene erinnert schon völlig an den Stil der späteren Werke‹.10 Während er aber so, in seiner inneren Welt lebend, voll Begeisterung ihrer Gestaltung sich hingab, konnte er sich dessen nicht erwehren, daß die Dornenkrone des Genius ihm ihre Stacheln blutiger als je in die wehrlose Stirn drückte.

›Mannigfacher Kummer und bittere Not bedrängten um diese Zeit mein Leben‹, berichtet er selbst über diese Periode. Die musikalische Ausführung des ›Rienzi‹ ging unter fortwährender Tagesbeschäftigung mit ›musikhändlerischer Lohnarbeit‹ vor sich. Von sämtlichen Empfehlungen Meyerbeers an Pariser Operntheaterautoritäten und geschäftige Kunstagenten und -Vermittler war eine einzige in ihren Wirkungen nachhaltig gewesen. Allerdings bedeuteten gerade diese Wirkungen für den zu gleicher Zeit Schaffenden und um seine Erhaltung Ringenden nur ein neues tiefes Elend! Es war dies die Beziehung zu dem betriebsamen Verleger der Gazette musicale in der Rue Richelieu 97, jenem Mann ›mit denn schwarzen Haare und geschäftig umherstreifenden Blicke‹:11 Maurice Schlesinger, ebenfalls einem Stammesgenossen des großen Maestro, – in den Pariser artistischen Kreisen bloß der ›Goldschmied‹ genannt.12 Für ihn mußte Wagner Melodienarrangements aus ›beliebten Opern‹ für alle Instrumente der Welt übernehmen. Die Zeit, welche ihm diese Arrangements übrig ließen, verwendete er auf die Ausführung der zweiten Hälfte seines Rienzi. ›Ich erinnere mich noch recht gut‹, sagt Pecht ›wie er es hundertmal verwünschte, für den reichen Musikverleger Schlesinger Klavierauszüge von Donizettischer Musik machen zu müssen, deren süßliche Trivialität er uns dann abends mit komischer Wut, aber so deutlich auseinandersetzte, [379] daß selbst ich als vollständiger Laie in der Musik es begriff‹. Verzweifelte Stoßseufzer, wie sie seinem gepreßten Innern damals sich entrangen, finden sich neben anderen Federproben auf den zerstreuten Notizen- und Skizzenblättern, mit deren mannigfach erhaltenen Resten heute – unsere ›Autographenhändler‹ ihre einträglichen Geschäfte machen.13 Aber auch ganze Blätter eines in den Sommertagen 1840, während der Arbeit am dritten Akte des ›Rienzi‹, begonnenen Tagebuches aus ›dieser trüben, bangen Zeit‹ sind bis auf unsere Tage gelangt, zeugenlose monologische Ergießungen, deren sorgenvolle Traurigkeit einen erschütternden Einblick in seine tief leidende Seele gewährt. ›Unwillkürlich waren mir eben wieder Tränen gekommen‹, heißt es in einem dieser Selbstgespräche (vom 23. Juni 1840). ›Ist man feig oder ist man unglücklich, wenn man sich gern den Tränen hingibt?‹ – ›Ein kranker deutscher Handwerksbursche war da; – ich bestellte ihn zum Frühstück wieder; Minna erinnerte mich bei dieser Gelegenheit, daß sie eben für Brot das letzte Geld würde wegschicken müssen. Du Ärmste! Wohl hast du Recht – es steht schlimm mit uns; denn wenn ich alles recht überlege, so kann ich mit Sicherheit eigentlich nur die größterdenkliche Misère für meine Lage voraussehen‹. ›Die einzige Hoffnung‹ (auf Menschen, die aus freien Stücken Interesse für ihn zeigten) ›wäre schmählich, wenn ich überzeugt sein müßte, daß ich gerade nur auf Almosen rechnete! Glücklicherweise muß ich annehmen, daß Leute, wie Meyerbeer und Laube – nichts für mich tun würden, wenn sie nicht glaubten, daß ich es verdiene‹. Dann wieder ängstigt ihn die Vorstellung, durch Laune, Schwäche und Zufall diese sich entfremdet zu sehen! Ja ihr wirklicher ernster Wille, ihm helfen zu wollen, sei noch durch nichts bestätigt; dieser zehrende Zweifel mache seine Seele krank. (Montag den 29. Juni:) ›Was den künftigen Monat werden soll, weiß ich nicht‹. ›Habe jetzt zwar Aussicht, mir durch Artikel und Aufsätze in der Gazette musicale etwas zu verdienen, will auch Artikel an Lewald nach Stuttgart für die »Europa« schicken; aber selbst im glücklichsten Falle ist das unmittelbar Bevorstehende doch immer zu mächtig, als daß es mich nicht niederziehen sollte‹. Es folgt eine sorgenschwere Bilanz: ›25 Franken habe ich nur noch. Davon soll ich am ersten einen Wechsel von 150 Frks., am fünfzehnten aber auch noch die Vierteljahrsmiete zahlen!‹ ›Meiner armen Frau halte ich immer [380] noch geheim, daß es schon so schlimm mit uns steht; – ich hoffte immer, Laube sollte mir bis dahin schicken; ich hätte ihr dann erst entdeckt, wie wir ohnedem auf nichts zu rechnen gehabt hätten und ich's ihr verheimlicht habe, um ihr von Sorgen schon ganz zerrüttetes Wesen nicht noch mehr zu ängstigen. ›Den ersten kann ich es nicht mehr verheimlichen. Hilf Gott, das wird ein schrecklicher Tag werden, wenn nicht Hilfe kommt!‹ ›Tags darauf, am 30. Juni, abends: »Habe heut« meiner Frau auf dem Spaziergange erklärt, wie wir mit unseren Geldangelegenheiten stehen; ich bedauere die Arme im Grunde der Seele! Es ist ein trauriger Akkord! – Will arbeiten!‹14

Die erneute Nennung Meyerbeers in den vorstehenden Tagebuchnotizen bezieht sich auf das immer noch nicht aufgegebene Zutrauen, durch seinen Einfluß eine tatsächliche Förderung seiner Pariser Unternehmungen zu gewinnen. Wirklich sollte er von dieser Seite her noch einmal durch einen Hoffnungsschimmer erregt und – enttäuscht werden! Plötzlich erschien der lange Vermißte wieder auf kurze Zeit in Paris. Mit verbindlichster Teilnahme erkundigte er sich nach dem Stande der Angelegenheiten seines Schützlings; er setzte ihn nun mit dem neuen Direktor der ›großen Oper‹, Leon Pillet, in Verbindung. Es war dabei auf eine einaktige Oper abgesehen, – ›wenigstens nicht dazu bestimmt, einen ganzen Theaterabend zu füllen, sondern vielmehr zu einem kurzen Ballet oder einem kleinen Stücke gegeben zu werden‹ und deren Komposition für dieses Theater ihm anvertraut werden sollte. Bereits hatte sich er für einen ähnlichen Fall mit einem Sujetentwurfe vorgesehen. Wir haben soeben hervorgehoben, daß dies der ›fliegende Holländer‹ war. Er verständigte sich mit Heine über die Benutzung der, von diesem herrührenden, eigentümlichen Behandlung der Erlösung dieses Ahasverus des Ozeans, verfaßte den Entwurf, und übergab ihn Pillet, der ihm danach ein französisches Textbuch anfertigen lassen wollte. ›Soweit war alles eingeleitet, als Meyerbeer abermals von Paris fortging und die Erfüllung meiner Wünsche dem Schicksal überlassen mußte‹. Wir werden sehen, welche unvorhergesehene neue Wendung auch diese letzte auf Paris gerichtete Hoffnung zum Scheitern brachte!

[381] So geschah es, daß in die Arbeit an dem noch unvollendeten ›Rienzi‹ die frühesten Klänge der Musik des ›fliegenden Holländers‹ mit ihrem geheimnisvollen Zauber hereintönten. ›Ich entsinne mich‹, sagt Wagner, ›noch ehe ich zur eigentlichen Ausführung des fliegenden Holländers schritt, zuerst die Ballade der Senta im zweiten Akte entworfen, und in Vers und Melodie ausgeführt zu haben. In diesem Stücke legte ich unbewußt den thematischen Keim zu der ganzen Musik der Oper nieder: es war das verdichtete Bild des ganzen Dramas, wie es vor meiner Seele stand. Bei der späteren Ausführung der Komposition breitete sich mir das empfangene thematische Bild ganz unwillkürlich als ein vollständiges Gewebe über das ganze Drama aus; ich hatte nur die verschiedenen, in der Ballade enthaltenen thematischen Keime nach ihren eigenen Richtungen hin weiter und vollständig zu entwickeln, so hatte ich alle Hauptstimmungen dieser Dichtung ganz von selbst in bestimmten Gestaltungen vor mir‹. Auch von den Eindrücken, die er aus des jungen Meisters eigener Musik gewonnen, ›wie er sie uns des Abends mit hinreißender Lebendigkeit auf dem Klavier vorspielte und vorsang‹, weiß uns wiederum Pecht zu berichten, wenngleich mit der Hinzufügung, er habe zu wenig davon verstanden, da Wagner ›mit leidenschaftlicher Ungeduld das Instrument wie einen elenden Sklaven behandelt habe‹, Ich habe so im Laufe der achtzehn Monate, die ich mit Wagner damals verkehrte und wo er abwechselungsweise am ›Rienzi‹ und dem ›fliegenden Holländer‹ arbeitete ›nach und nach beide Werke fast vollständig gehört‹. Mit Beziehung auf den Holländer enthält die letztere Angabe ja jedenfalls einen Irrtum, da Pecht um die Zeit seiner wirklichen musikalischen Ausführung nicht mehr in Paris geweilt hat. Seine Erinnerungen können sich demnach nur auf die Ballade der Senta, und einzelne im voraus konzipierte, kaum niedergeschriebene oder doch bloß skizzierte Fragmente beziehen. ›Die ganze dämonische Musik, mit der er beim letzteren das Heulen des Sturmes im Takelwerk nachahmte, wie er es eben noch in Norwegen gehört, und uns Matrosenlieder vorsang, klingt mir heute noch, nach mehr als vierzig Jahren, im Ohr. Ja, ich sehe ihn noch vor mir, wie er bei solchen Produktionen förmlich von Jener zu sprühen, eine Welt mit sich fortreißen zu können schien‹. Dabei ›trug alles, was er machte, denselben edlen Charakter, den er selbst in den Ausbrüchen heftigster Leidenschaft zu bewahren wußte. Ich habe Wagner später in allen möglichen Lebenslagen, in der größten Aufregung des Zornes wie im tollsten Übermut gesehen; aber nie verließ ihn die eigentümliche Anmut, das durchaus Vornehme, was auch seine Musik charakterisiert. Ja, ich wüßte absolut gar keinen Künstler, bei dem das Kunstwerk immer so ganz er selber gewesen wäre‹.

Inzwischen hatte jedoch die Angelegenheit des ›fliegenden Holländers‹ an der großen Oper, für die er zunächst bestimmt war, eine ganz unerwartete Wendung genommen. Bei einem seiner Besuche bei Leon Pillet hatte er [382] zu seinem großen Erstaunen erfahren, der überreichte Entwurf gefalle dem Direktor so gut, daß er sich ihn zu anderweitiger Verwendung abgetreten wünschte. Er sei nämlich genötigt, einem älteren Versprechen gemäß einem anderen Komponisten baldigst ein Opernbuch zu übergeben: der in seinen Händen befindliche Entwurf scheine ihm ganz zu solchem Zwecke geeignet, und Wagner würde wahrscheinlich kein Bedenken tragen, in die erbetene Abtretung einzuwilligen, wenn er überlegte, daß er vor dem Ablauf von vier Jahren sich unmöglich Hoffnung machen könnte, den unmittelbaren Auftrag zur Komposition einer Oper zu erhalten, da zuvor noch Zusagen an mehrere andere Kandidaten zu erfüllen seien. Bis dahin dürfte es ihm doch natürlich auch zu lange werden, sich mit diesem Sujet herumzutragen. Er würde ein neues auffinden, und sich gewiß über das gebrachte Opfer trösten. Hartnäckig bekämpfte der junge Meister diese Zumutung, ohne doch etwas anderes, als die vorläufige Vertagung der Frage ausrichten zu können. Er rechnete auf eine baldige Wiederkunft Meyerbeers, und schwieg.

Zu einer noch vielseitigeren Anspannung war seine Tätigkeit um diese Zeit noch durch den Umstand gesteigert, daß er neben der Arbeit an der Komposition und Instrumentation seines ›Rienzi‹ und den fatalen Schlesingerschen ›Arrangements‹ seit dem Monat Juli auch unter die literarischen Mitarbeiter (Sousredakteure) der von diesem herausgegebenen, ›Gazette musicale‹ eingetreten war.15 ›Der Verleger der Gazette musicale gab mir außer den Arrangements von Melodien, um mir Geld zu verschaffen, auch auf, Artikel für sein Blatt zu schreiben‹, erzählt er selbst in der ›Mitteilung an meine Freunde‹. ›Ihm galt beides vollkommen gleich: mir nicht. Wie ich in jener Arbeit meine tiefste Demütigung empfand, ergriff ich diese, um mich für die Demütigung zu rächen. Was ich schrieb, war in jedem Zuge ein Schrei der Empörung gegen unsere modernen Kunstzustände: es ist mir versichert worden‹, fügt er mit bitterer Ironie hinzu, ›daß dies vielfach amüsiert habe‹. Die oben mitgeteilte Tagebuchnotiz vom 29. Juni erwähnt diese Mitarbeiterschaft als noch bevorstehend; nicht volle vierzehn Tage später, am Sonntag den 12. Juli, er scheint bereits Wagners erster Beitrag: De la musique allemande(›Über deutsches Musikwesen‹) in den Spalten des Schlesingerschen Blattes.16 Er trägt noch nicht den soeben bezeichneten Charakter der Empörung an der Stirn, sondern ist von allgemein einführender Beschaffenheit: deutsche Innigkeit und Tiefe, deutsches Gemüt und deutscher Ernst, sind nie herrlicher gepriesen [383] worden, als hier aus dem heimatsehnsüchtigen Herzen des jungen deutschen Künstlers! Für die eigentümlich hinreißende Wirkung, welche dieser Aufsatz seinerzeit auf den romanischen Ausländer gemacht, spricht der charakteristische Umstand, daß derselbe, wie auch einige seiner Nachfolger, in der mailändischen ›Gazetta musicale‹ (1842, Nr. 5 ff.) unter den schmeichelhaftesten Komplimenten für den Autor in italienischer Übertragung ab-, resp. nach gedruckt wurden.17 Mitten in die Arbeit am vierten Akte des ›Rienzi‹ fällt ein, offenbar auf Bestellung abgefaßter Artikel, über eine Bearbeitung des Stabat mater von Pergolese.18 Tiefer greift dann schon der Aufsatz: Du métier de virtuose et de l'indépendance des compositeurs, fantaisie esthétique d'un musicien (›Der Virtuos und der Künstler‹), in welchem jene Abgötter der Pariser Gesellschaft, der angebetete Rubini und die bezaubernde Persiani, als die eigentlichen Typen der Pariser Luxuskunst, an dem Maßstabe von Mozarts ›Don Juan‹ gemessen, einer so schonungslosen Kritik des wahren Wertes ihrer Leistungen unterstellt werden, daß der Herausgeber, Herr Edouard Monnais, sich veranlaßt sah, das Original des Aufsatzes gelegentlich der Übertragung ins Französische bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln.19

Eingeleitet durch die, in Erfindung und Durchführung entzückend poesievolle ›Bergmannssage‹ von dem verschütteten Wunderjuwel der Musik und den beiden Bergleuten aus Salzburg und Bonn, verweilt der letztere Artikel u. a. – ohne Namensnennung – bei der Erscheinung Liszts und seinem in den Oktober 1840 fallenden Auftreten in mehreren aufeinanderfolgenden Privatmatineen in der Salle Erard.20 ›Es gibt unter den Virtuosen wahre, ja große Künstler: sie verdanken ihren Ruf dem hinreißenden Vortrage der edelsten Tonschöpfungen der größten Meister. Wo schlummerte die Bekanntschaft des Publikums mit diesen, wären jene vorzüglich Berufenen nicht wie aus dem Chaos der Musikmacherei entstanden, um der Welt erst zu zeigen, wer jene waren und was sie schufen?‹ Aber nun die Umgebung eines solchen Pariser Konzertsaales, in welcher der Virtuose den Genius Beethovens heraufbeschwört: ›Rings herum sitzen vornehme Damen, in langen Reihen nichts wie[384] vornehme Damen, und dahinter in weitem Umkreise lebhafte Herren mit Lorgnetten im Auge. Aber Beethoven ist da, mitten unter der duftenden Angst einer träumerisch wogenden Eleganz: es ist wirklich Beethoven, nervig und wuchtvoll in wehmutreicher Allgewalt. Aber, wer kommt da mit ihm? Herr Gott: – Guillaume Tell, Robert der Teufel, und – wer nach diesen? Weber der Innige, Zarte! Gut! Und nun: – ein »Galopp«! O Himmel! ich erkannte die ganze schreckliche Not, die auch heute zu Galoppaden und Potpourris trieb, um Beethoven verkünden zu können; und mußte ich heute den Virtuosen bewundern, so verfluchte ich die Virtuosität!‹

In diese Zeit, noch vor der gänzlichen Vollendung des ›Rienzi‹, fällt die erste persönliche Bekanntschaft beider Künstler. Wie es dazu kam, entnehmen wir den vorliegenden eigenen Angaben Wagners: Schlesinger hat ihn in seinem Bureau dem gefeierten Klavierspieler flüchtig vorgestellt; Laube, der in Karlsbad die Bekanntschaft eines Freundes und Landsmannes von Liszt gemacht und diesem manches von Wagner erzählt, hat ihm brieflich gemeldet, daß er durch diesen bei Liszt gut empfohlen sei.21 Genug für den deutschen Künstler, der inmitten des kalten Glanzes des artistischen Paris sehnsuchtsvoll nach einem Menschen, einer großen Seele verlangt. Er macht dem Allbewunderten einen Besuch, von dem er – in tiefer Unbefriedigung heimkehrt. Liszt trat ihm in dieser Begegnung als der vollendetste Gegensatz zu sei nem Wesen und seiner Lage gegenüber. ›In dieser Welt, in der aufzutreten und zu glänzen es mich verlangt hatte, als ich aus kleinlichen Verhältnissen heraus mich nach Größe sehnte, war Liszt vom jugendlichsten Alter an unbewußt aufgewachsen, um ihr Wunder und Entzücken zu einer Zeit zu werden, wo ich bereits durch ihre Kälte und Lieblosigkeit so weit von ihr abgestoßen war, daß ich, gedemütigt und von tiefem Ekel ergriffen, ihre Hohlheit und Nichtigkeit mit der vollen Bitterkeit eines Getäuschten zu erkennen vermochte‹. Weder fand er bei dieser oberflächlichen Begegnung Gelegenheit, sich Liszt seinem Wesen und seinen Leistungen nach bekannt zu machen, noch zeigte ihm dieser ein anderes Entgegenkommen, als jene, seiner liebenswürdigen Natur eigene, gleichmäßige Freundlichkeit, die er einer jeden der mannigfachen und wechselnden Erscheinungen erwies, die sich ihm täglich zudrängten. Was jeden bezauberte, war – eben damals – für Wagner zu wenig: ›ich war nicht in der Stimmung, mit Ruhe und Billigkeit den einfachsten Erklärungsgrund eines Benehmens aufzusuchen, das, an sich freundlich und zuvorkommend, nur gerade mich zu verletzen imstande war‹. Er besuchte Liszt, außer diesem ersten Male, nicht wieder, und, ohne ebenfalls auch ihn zu kennen, ja mit Abneigung gegen seine nähere Bekanntschaft, blieb Liszt für ihn eine von den Erscheinungen, die man als von Natur sich fremd und feindselig betrachtet. Bei dieser ausgesprochenen [385] ›Abneigung‹ bleibt die Gerechtigkeit um so rühmlicher, mit welcher er bei dem ganzen damaligen Auftreten Liszts dessen künstlerische Persönlichkeit von ihrer Umgebung absondert. So bei seiner zugleich bewundernden und bedauernden Erwähnung des von Liszt im folgenden Frühjahr (1841) veranstalteten Konzertes für das Beethovendenkmal. ›Was würde und könnte Liszt nicht sein, ruft er bei dieser Gelegenheit aus, wenn er kein berühmter Mann wäre, oder vielmehr, wenn ihn die Leute nicht berühmt gemacht hätten! Er könnte und würde ein freier Künstler, ein kleiner Gott sein, statt daß er jetzt der Sklave des abgeschmacktesten Publikums, des Publikums der Virtuosen ist. Dieses Publikum verlangt von ihm um jeden Preis Wunder und närrisches Zeug; er gibt ihm, was sie wollen, läßt sich auf den Händen tragen und – spielt im Konzert für Beethovens Denkmal eine Fantasie über Robert den Teufel! Dies geschah aber mit Ingrimm. Das Programm bestand nur aus Beethovenschen Kompositionen; nichtsdestoweniger verlangte das hinreißende Publikum mit Donnerstimme Liszts vortreffliches Kunststück, jene Fantasie, zu hören. Es stand dem genialen Manne gut, als er mit den in ärgerlicher Hast hingeworfenen Worten: »Je suis le serviteur du public; celà va sans dire!« sich an den Flügel setzte und mit zerknirschender Fertigkeit das beliebte Stückchen spielte. So rächt sich jede Schuld auf Erden! Einst wird Liszt auch im Himmel vor dem versammelten Publikum der Engel die Fantasie über den Teufel vortragen müssen! vielleicht wird es dann aber das letzte Mal sein!‹22

In die Zeit der letzten Arbeit am ›Rienzi‹ fällt die Ausführung der humorerfüllten, innig ergreifenden Kunstnovelle: Une visite à Beethoven, épisode de la vie d'un musicien allemand (›Eine Pilgerfahrt zu Beethoven‹), die poetische Verdichtung eigener schwärmerischer Seelenerlebnisse, auch wohl, in der Schilderung Wiens und der herrlichen böhmischen Natur, wirklicher Lebenserinnerungen aus einer glücklichen Jünglingszeit (S. 161 ff., 207, 217 f.). Am 19. November 1840 erschien der Anfang der Novelle in der Gazette musicale im Druck, um in drei Fortsetzungen (am 19., 22. Nov., 3. Dez.) zum Abschluß zu gelangen. Ihr Eindruck auf die weitere Pariser Öffentlichkeit war nicht gering, Berlioz sprach mit bewundernden Lobeserhebungen davon [386] in dem Journal des Débats23 und selbst Heine soll – nach Pecht – davon entzückt gewesen sein. An dem gleichen Tage, an welchem der erste Abschnitt seiner Novelle in der Gazette musicale das Licht der Welt erblickte, am 19. November, machte er aber auch den letzten Federzug an der Partitur seines endlich beschlossenen großen Werkes, dessen letzte drei Akte trotz aller äußeren Widernisse und Hemmungen in verhältnismäßig kurzer Zeit zur Vollendung gelangt waren. Alsbald nach dem Abschluß seiner Arbeit zögerte er keinen Augenblick, das erschreckend umfängliche fünfbändige Paket, an dessen Inhalt sich all seine ferneren Hoffnungen knüpften, mit der Adresse an das Bureau des Kgl. Hoftheaters zu Dresden, dem Postamt zu übergeben. Welches würde nun das Schicksal seines Werkes sein? Soviel in seinen Kräften stand, sehen wir ihn bestrebt, zu einer günstigen Wendung dieses Schicksales beizutragen. Mehrere erhaltene Briefe an solche Dresdener Personen, von deren Einfluß er sich eine Förderung seiner Absichten versprechen konnte, legen davon beredtes Zeugnis ab. Obenan steht unter diesen das vom Ende November datierte Gesuch an den König von Sachsen, ein in seiner Art prächtiges, ganz des jungen Meisters würdiges Schriftstück, dessen vorschriftsmäßige Devotion von jener aufrichtigen Zuneigung durchwärmt ist, wie sie Wagner diesem wirklich geliebten Regenten von dessen erstem Regierungsantritt an (S. 125) bis in die späteren Revolutionsstürme hinein und darüber hinaus bewahrt hat.24 Ihm schließt sich am 4. Dezember ein ausdrucksvolles Schreiben an den Generaldirektor von Lüttichau an, mit dem Hinweis darauf, daß gerade dieses Werk eines Sachsen, der sich redlich bemühte, seine besten und gereiftesten künstlerischen Kräfte seinem Vaterlande zu widmen, im Repertoire des Hoftheaters nicht unpassend einen schmeichelhaften Platz unter denjenigen Werken einnehmen würde ›die zunächst bestimmt sein werden, nach Eröffnung des neuen Hauses in Szene zu gehen‹. Diese Eröffnung fand vier Monate später, am 12. April 1841, mit Goethes ›Tasso‹ und (in der Oper) mit Webers ›Euryanthe‹ statt, – ›Rienzi‹ hatte danach noch volle anderthalb Jahre zu warten!

Fußnoten

1 Dies geschah durch einen wohlerhaltenen Brief an Avenarius vom 5. Januar 1843, laut seiner eigenen Aufstellung hatte er dabei für das ›Silberzeug‹ nicht mehr als 250 Francs, für eine Uhr 100 Francs erhalten. Jeder einzelne Posten vergegenwärtigt uns einen schweren, bitteren Moment seines Pariser Daseins! Bei derselben Gelegenheit übermittelt er, der auch in den bedrängtesten Lebenslagen so sorglich auf eine korrekte, selbst elegante äußere Erscheinung gehalten (vgl. Pechts Bericht auf S. 361 dieses Bandes) auch seinem ›armen braven Schneider Mr. Loizeau‹ einen ihm schuldig gebliebenen Betrag von 400 Francs: ich kann mir, fügt er hinzu, ›die Freude nicht versagen, ihn durch beiliegendes Briefchen einzuladen, zu Dir zu kommen und sich das Geld zu holen‹.


2 1883 in der Wiener ›Neuen freien Presse‹.


3 Gutzkow, Rückblicke auf mein Leben S. 99/100. 102.


4 Der ›Starost‹, mit seinem bürgerlichen Namen Axenfeld geheißen, lebte noch wenigstens bis z. J. 1869 und hoffentlich weit darüber hinaus; dabei erlebte er noch das ›von ihm natürlich nicht entfernt begriffene, Judentum in der Musik‹. Vermutlich hat er es nicht einmal gelesen, sondern nur davon gehört, doch packte er damals, nach Laubes Bericht, diesen am Rockknopf, mit dem komischen Ausruf: ›darum also Räuber und Mörder‹?


5 ›So nennt er den aus Bonn gebürtigen Anders einen, Königsberger Gelehrten‹ und behauptet von ihm: ›Anders, der große Anonymus und Menschenhasser (?!), habe sich eines Tages (noch während Wagners Verweilen in Paris), hingelegt und sei auf seinen Büchern gestorben‹. Da hat er natürlich den armen Lehrs gemeint, von dessen frühzeitigem Tode er nachträglich vernahm!


6 ›Nach Kietz‹ mündlicher Erzählung von seinen Verwandten aufgezeichnet und dem Verfasser brieflich zur Verfügung gestellt.


7 ›Aus Richard Wagners Pariser Zeit‹, Augsb. Allg. Zeitung v.. 22. März 1883.


8 Eduard Reuß ›Rienzi‹. (Bayr. Blätter 1889, S. 161.)


9 Ohne nähere Quellenangabe, in zu sicherem Vertrauen auf unser Gedächtnis. Die gleichen Daten finden wir nun aber in einem Artikel des Berliner Tageblattes (1886,) ›nach den Originalmanuskripten Wagners‹, offenbar den Skizzenblättern des ursprünglichen Kompositionsentwurfes angegeben. Sie seien hier den in der Partitur enthaltenen, auf die letzte Ausarbeitung der Instrumentation bezüglichen Daten gegenübergestellt, wie sie sich der Zeit nach mit jenen durchflechten:

Dritter Akt: beg. 15. Februar 1840, beendet am 7. Juli.

Dritter Akt: beg. am 6. Juni 1840, beendet am 11. August.

Vierter Akt: beg. am 10. Juli, beendet am 29. August.

Vierter Akt: beg. am 14. August. Weitere Zeitangaben fehlen!

Fünfter Akt: beg. 5. September, beendet am 19. September.

Ouvertüre: beendet 23. Oktober 1840.

(Abschluß des ganzen Werkes in letzter Ausführung am 19. November 1840).


10 E. Reuß, a. a. O. S. 159.


11 Ges. Schr. I, 301.


12 Abendzeitung (Dresden) 1844, Nr. 150 vom 14. Dezember.


13 ›Vor etwa acht Jahren fanden‹, schreibt Santen-Kolff, ›jene so unsäglich ergreifenden Tagebuchblätter ihren Weg in die Tasche des Meistbietenden, der sie dann in einem Hauptorgane der deutsch-israelitischen Presse der liebelosen Öffentlichkeit als etwas »Interessantes«, »Pikantes« zur Unterhaltungslektüre preisgab. Diese von schmerzlich-verzweiflungsvollem Seelenleiden eingegebenen, zur Erleichterung der gepreßten Brust nur für sich selber niedergeschriebenen Herzensgeständnisse, welche zu dem Intimsten, fast hätte ich gesagt, Heiligsten gehören, was der Mensch hinterlassen kann, von Hebräern unter den Hammer gebracht und veröffentlicht, – wahrlich, in derart tückischen Launen ist das Schicksal unübertrefflich!‹


14 Vgl. Kürschners ›Jahrbuch‹ für 1886, S. 289 f. – Ebendaselbst findet sich, auf einem Blättchen vom 4. August 1840 (eine Woche vor dem Abschluß des dritten Rienzi-Aktes) die hmmoristisch-elegische Aufzeichnung:

›Nun ist es aus, das schöne Lied, das Lied von meiner Jugend;

die ich geliebt, ist nun mein Weib, ein Weib voll Gut' und Tugend.


Ein gutes tugendhaftes Weib ist eine gute Gabe;

sie ist mir mehr als Zeitvertreib, sie ist all' meine Habe.


Ich wünsche Jedem gleiches Glück, ich gäb' es selbst nicht weiter;

doch denke ich zehn (?) Jahr' zurück, so macht' ich's doch gescheidter‹.


15 Durch drei Jahrgänge der ›Gazette musicale‹ hindurch (1840, 1841 und 1842) findet sich der Name Wagners regelmäßig auf dem Titelblatte unter den Mitarbeitern angeführt (Revue et Gazette musicale de Paris. rédigée par M. M..... Richard Wagner).


16 Die vorausgehende Nummer bringt zur Anzeige:Musique nouvelle publiée par Maurice Schlesinger: Les deux Grenadiers. Mélodie de Richard Wagner. Prix: 5 frcs. Ein Honorar für diese Komposition hat Wagner nicht erhalten.


17 Vgl. darüber O. G. Sonneck in den, Sammelbänden der Internationalen Musikgesellschaft Jahrg. I, 1900, S. 648 (in dem Aufsatz: ›Zur Wiederbelebung des italien. Musiklebens‹). Nur können wir uns der Meinung des Autors nicht anschließen, daß hierin eine ›wohlwollende Beachtung der ersten Schritte Wagners‹ gelegen habe, da es sich dabei vielmehr doch nur um eine wohlfeile Ausbeutung der französischen Kollegin handelte, ohne eine Ahnung von der wirklichen Bedeutung des Verfassers. Auch die wenigen dort erwähnten späteren Notizen über ›Rienzi‹ in demselben Blatte entstammen ausschließlich dem Pariser Blatte.


18 ›Stabat mater de Pergolèse, arrangé pour grand orchestre avec choeurs par Alexia Luoff, membre des Académies de Bologne et de St. Pétersbourg‹. (Gaz. mus. 1840, S. 492.)


19 Die französische Version derselben ist heute in der englischen Ausgabe der Ges. Schr. (Prose Works, translated by Wm. Ashton Ellis, Vol. VII, pag. 123/33) jedermann leicht zugänglich.


20 L. Ramann, Franz Liszt als Künstler und Mensch, Bd. II, S. 96.


21 Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt Erster Brief, vom 24. März 1841.


22 Mit diesem Urteil über Liszts übelgewählte Programme stimmt übrigens dessen eigenes Urteil aus späterer Zeit in buchstäblichster Genauigkeit überein. In einem Briefe an G. W. v. Wasiliewski (9. Jan. 1857) klagt er sich ausdrücklich dessen an, daß er, die so rasch aufeinanderfolgenden Konzertprogramme seiner klavierspielerischen Glanzperiode teils aus Zeitmangel, teils aus Nachlässigkeit und Überdruß nur in äußerst seltenen Fällen selbst angegeben und bald diesem ›bald jenem zur beliebigen Wahl überlassen habe‹. ›Das war ein Fehler‹ fügt er hinzu ›den ich später erkannt und aufrichtig bereut habe, als ich einsehen lernte, daß für den Künstler, der dieses Namens würdig sein will, die Gefahr, dem Publikum zu mißfallen, eine weit geringere ist als die, sich durch dessen Launen bestimmen zu lassen‹.


23 So meldet Gasperini: ›Une Visite à Beethoven fut très-remarquée par Berlioz, qui en parla avec éloge dans le Journal des Débats‹ – aber auch noch in seiner späteren Schrift ›Musikalische Reise in Deutschland‹ (1843) gedenkt Berlioz dieser Wagnerschen Artikel in der Gazette musicale mit warmer Anerkennung.


24 Der Wortlaut ist vollständig mitgeteilt in Prölß ›Geschichte des Dresdener Hoftheaters‹ S. 252 ff.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 368-387.
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