II.

Das Liebesverbot.

[195] Rückkehr nach Leipzig. – Verhandlungen wegen der ›Feen‹. – Direktor Ringelhardt und Regisseur Hauser. – Die Aufführung der Feen wird hinausgeschoben. – Die Schröder-Devrient als Romeo. – Artikel über ›die deutsche Oper‹: Kampf gegen die ›Gelehrtheit in der Musik‹. – Beziehungen zu Robert Schumann. – Dichtung des ›Liebesverbotes‹ in Teplitz. – Nach Magdeburg.


Dem heiligen Ernst meines ursprünglichen Empfindungswesens (in den ›Feen‹) trat in dem ›Liebesverbot‹ eine kecke Neigung zu wildem sinnlichem Ungestüm, zu einer trotzigen Freudigkeit entgegen, die jenem auf das Lebhafteste zu widersprechen schien. Die Ausgleichung beider Richtungen sollte das Werk meines weiteren künstlerischen Entwickelungsganges sein.

Richard Wagner.


›Von Schritt zu Schritt wußt' ich's mir zu erörtern.‹

Faust.


Mit den besten Hoffnungen auf sein vollendetes Werk und dessen bald zu ermöglichende Aufführung kehrte Wagner Anfang des Jahres 1834 nach Leipzig zurück, von Mutter und Schwestern mit um so wärmerer Freude empfangen, als der lange Entbehrte für das Mutterherz zugleich der Gegenstand eines zwiefach berechtigten Stolzes war. Er trat ja nun als der Komponist einer vollendeten großen Oper wieder in den Kreis der Seinen und hatte sich in einer ersten praktischen Musikertätigkeit mit Anerkennung als brauchbar bewährt: es ist schwer zu sagen, was in den Augen der Mutter damals mehr gegolten habe.

Natürlich war es für den Heimgekehrten das Erste, an das Schicksal seines neuen Werkes zu denken und die für dessen Annahme erforderlichen Schritte zu tun. Die Leipziger Theaterverhältnisse hatten sich seit der Auflösung des provisorischen Hoftheaters geändert. Direktor des wiederhergestellten Stadttheaters war seit zwei Jahren Friedrich Sebald Ringelhardt, ein gewitzigter Geschäftsmann, der das ihm übergebene Institut unter Bevorzugung der französischen und italienischen Oper und mit vielen ›Novitäten‹, sofern sie nur eben nicht deutscher Herkunft waren, zur großen Befriedigung des Stadtrates [196] unter den vormals Küstnerschen Bedingungen mit unfehlbarem Kassenerfolg leitete: nämlich mit stetigen Überschüssen statt des sonst gewohnten jährlichen Defizits. Im Schauspiel waren seine Klassiker Kotzebue, Schröder und Iffland, sowie sonstige verjährte spießbürgerliche Fabrikanten, in deren Stücken er selbst die Väter und Alten mit Vorliebe spielte; als Darsteller hatte er, wie die alten Griechen, eine stehende Maske für die Tragödie: den Stadtmusikus Miller; die Poesie des Dramas hielt er, wie Napoleon manche andere Dinge, für Ideologie. Mit ihm trat Richard Wagner in Unterhandlung. Er mußte die Erfahrung machen, daß der ›deutsche Komponist durch die Erfolge der Franzosen und Italiener auf seiner heimischen Bühne außer Kredit und die Aufführung einer Oper für den deutschen Autor eine zu erbettelnde Gunst sei‹.

Zwar erklärte Ringelhardt anfänglich seine Bereitwilligkeit, dem durch Rosalie unterstützten Andrängen Wagners zu willfahren, und Freund Laube konnte schon im März in einer kurzen Notiz der ›Eleganten‹ neben Aubers Maskenball, der Oper eines jungen Komponisten, Richard Wagner ›dessen wir schon früher rühmlichst in diesen Blättern gedachten‹ als demnächst an die Reihe kommend erwähnen. Aber noch hatte es mit der Verwirklichung der gegebenen Zusage gute Weile. Und gerade da, wo das Interesse des jungen Künstlers in der nächsten Umgebung des Direktors durch ein nachdrückliches Eintreten hätte gefördert werden können, bei Kapellmeister und Regisseur, ward ihm durch Beschränktheit und Eigensinn – immer unter der äußeren Form des Wohlwollens und der Gewogenheit – eine gänzlich absprechende Beurteilung zuteil. Wiederholt haben wir im Vorhergehenden auf ein bis auf heute erhaltenes Dokument dieser frühesten Kämpfe und Leiden Bezug genommen, einen Briefentwurf an den damaligen Bassisten und Opernregisseur am Leipziger Stadttheater, Franz Hauser.1 Der Regisseur Hauser wird uns in gleichzeitigen Berichten2 als ein ›vielseitig gebildeter, u. a. auch mit unserer älteren, namentlich mit Bachscher Musik vertrauter Mann‹ geschildert; auch erfahren wir von seiner besonderen Vorliebe für alte Musikmanuskripte, deren er eine ganze Sammlung besaß.3 Und gerade einem solchen doktrinären, exklusiven Sonderling mußte die Beurteilung der ›Feen‹-Partitur überwiesen sein! Aber der Mann galt als musikalische Autorität und von seinem Urteil gab es kaum noch einen Appell an eine höhere Instanz.4 Das [197] erwähnte, von dem jungen Meister an ihn adressierte, eingehende Schriftstück in Sachen der ›Feen‹ ist bloß in Gestalt eines flüchtig hingeworfenen Konzepts, mit mannigfachen sprachlichen Nachlässigkeiten, auf uns gekommen; es bietet uns aber ein um so treueres Abbild der gepflogenen mündlichen Verhandlungen, als wir darin beständig beide Teile zu Worte gelangen hören. Man merkt ihm deutlich die Widerwilligkeit des Schreiben den an, der sich dazu gezwungen sieht, seine Zeit und Beredsamkeit an den ihm geleisteten Widerstand zu verschwenden. Doch hat er den Glauben an den guten Willen seines Antagonisten noch nicht aufgegeben und läßt sich die Geduld nicht ausgehen; er behandelt die Einwendungen eines beschränkten und verschrobenen Kopfes durchweg als wohlgemeinte, freundschaftliche Ratschläge und müht sich mit ihrer sachlichen Widerlegung ab. ›Ihnen gefällt meine Oper nicht; noch mehr, Ihnen gefällt meine ganze Richtung nicht, indem Sie dieselbe Ihrer eigenen Kunstansicht für zuwider erklären. Sie finden in ihr alle Gebrechen unserer Zeit, indem Sie zugleich jedes Berufen auf dieselbe für nichtig erklären. Sie halten nur jene Formen für zulässig, in denen sich jene unerreichbaren Vorbilder der älteren Zeit aussprachen, und finden selbst schon bei Mozart eine überladene Anwendung der äußeren Mittel, wonach es mir scheint, daß Sie nur diejenige Glucks für angemessen erklären. Sie fragen mich, warum ich nicht so instrumentiere wie Haydn?... Sie werfen mir gänzliche Unkenntnis der Mittel, Unkenntnis der Harmonie, den Mangel des gründlichen Studiums vor; Sie finden nichts aus dem Herzen Gedrungenes. Sie gehen auf nichts ein, was von einer innigen Begeisterung geschaffen sein könnte. Wenn ich nicht irre, ist dies ungefähr, was den Wert der Arbeit betrifft, die Summe Ihrer Einwürfe, die mir als das Resultat Ihres Urteils erscheint. Ich habe mich bemüht, sie hiermit etwa zusammenzustellen – und finde nichts – was ich Ihnen entgegnen könnte! Es ist dies die Stellung des Getadelten gegen den Tadler und den Tadel selbst. Die Bemühung, den Tadel zu widerlegen, selbst nur sich gegen ihn zu entschuldigen, ist für den Getadelten wohl unzulässig und unmöglich. Ich schweige – denn jedes Auflehnen erscheint mir Anmaßung‹. Dagegen wendet er sich nun von der Frage nach dem künstlerischen ›Wert‹ seiner Arbeit der andern Seite, ihrer ›Praktikabilität‹ zu; denn auch gegen ihre Aufführungsmöglichkeit waren die gleichen Einwendungen erhoben. Er bittet ihn zum Schlusse, inständigst ›die Sache ein wenig leichter zu betrachten‹. ›Für meine Stellung und den Weg, den ich mir bahnen muß‹, fährt er fort ›fühle ich und fühlen es die Meinigen durchaus nötig, diese Bahn einzuschlagen, und – die Täuschung siegt zwar überall – aber ich [198] denke: sie soll mich nicht ganz zum Verderben führen. Legen Sie, ich bitte, dem jetzt betretenen Weg der Unterhandlungen kein entschiedenes Hindernis entgegen, und genehmigen Sie, um auf der gleichsam amtlichen Bahn ruhig fortzufahren, daß ich die Partitur abholen lasse, um sie in die offiziellen Hände des Herrn Kapellmeisters zu legen. Lassen Sie mich diesmal noch Gott versuchen‹.

Dies geschah, die Partitur ging in die Hände des Kapellmeisters Stegmayer über, aber ohne wesentliche Förderung der Angelegenheit. Das ungünstige Votum des ›intelligenten‹ Vorkritikers scheint auch diesen Beurteiler mit beeinflußt zu haben. Man kann nicht bescheidener, wärmer und herzlicher gegen einen voreingenommenen prinzipiellen Widersacher vorgehen, als es in dem obigen Briefe geschieht, ohne sich dabei irgend etwas von seiner Würde zu vergeben. Aber alle unverdrossenen Bemühungen scheiterten an bornierter Schrullenhaftigkeit und einem unverhohlenen, schroffen und zähen Widerstande.5 Die Sache blieb unentschieden und zog sich in die Länge. Es gibt so manche Wendung im Lebensgange Wagners, auf die es, bei nur einiger Vergegenwärtigung ihrer Ursachen und ihrer Wirkungen, nicht möglich ist, anders als mit einer stets erneuten Empfindung der Bitterkeit zurückzublicken. Das grausame Schicksal der ›Feen‹ gehört mit dazu – das völlige Versinken einer schwärmerisch-lebensvollen Jugendschöpfung ins klanglose Leere! Wäre das Werk damals durchgedrungen, zunächst nur zu einer Leipziger Aufführung gebracht, wie entscheidend würde es dem nächstbevorstehenden Schaffen, Leben und Streben seines Autors die Bahn geebnet haben! Unmöglich wäre es in der Vaterstadt des noch so jugendlichen Tondichters eindruckslos verhallt. Einmal zur Anerkennung und Verbreitung gelangt, hätte es dann aber auch nicht leicht wieder beseitigt und unterdrückt werden können, und wir würden Wagner von je, statt erst vom ›Rienzi‹ aus, von dieser bedeutungsvollen früheren Entwicklungsstufe ab gekannt haben. Was besagt dagegen seine verspätete Aufnahme in München, als Kuriosität, drei Jahre nach dem Tode des Meisters, zu einer Zeit, da seine eigenen Schöpfungen es rettungslos in den Schatten stellten? Damals aber hätte es, frischen Lebens voll, als ein hoffnungsvolles Glied in die Entwicklungsgeschichte der deutschen Oper sich [199] einreihen können und seine Behauptung auf der Bühne den jungen Schöpfer desselben vielleicht vor manchem verzweifelten Schritt seiner nächstfolgenden Lebensjahre bewahrt.

Für jetzt blieb es – nominell – bei einer Vertagung. Wäre der Schaffenstrieb des jungen Meisters bei den ›Feen‹ stehen geblieben, hätte er in den nächsten zwei bis drei Jahren kein neues Werk produziert und konsequent auf der Aufführung des ersten und einzigen bestanden, vielleicht wäre dann sein Stillstand und seine Unproduktivität nach Ablauf dieser Frist durch eine gnädige Annahme seiner Oper belohnt worden! Laube hatte zugleich die ›Feen‹ und Aubers ›Maskenball‹ als bevorstehend angekündigt. Um letzteren würdig zu inszenieren, scheute die Direktion die Ausgabe von 2000 Talern nicht, für durchaus neue Garderoben, üppige Dekorationen und Maskenanzüge; Direktor Ringelhardt wurde zum Dank dafür nach der ersten Aufführung auf die Bühne gerufen und die Leipziger waren stolz ›als die ersten unter allen Deutschen den Auberschen Maskenball gehört zu haben‹!6 Und noch vorher, noch in demselben Frühjahr, eben um die Zeit, als dem hoffnungsvollen einheimischen Talent der Zugang zur Bühne so sorgfältig verbaut und abgeschnitten wurde, setzten Bellinis ›Montechi und Capuleti‹ ganz Leipzig in die größte Erregung. Sie wurden mit rauschendem Beifall aufgenommen und das Jubelfinale des zweiten Aktes mußte jedesmal wiederholt werden, um das entzückende Unisono Romeos und Juliens noch einmal zu hören. In nächster Zeit sollte die Schröder-Devrient eintreffen, um den ›Romeo‹ zu singen – Romeo war überall zu hören und Bellini der Beweger der Stadt.

Wohl zuckten die Anhänger klassischer Musik die Achseln und flüsterten im Parterre bedenkliche Dinge über die nachlässige Arbeit der Chöre und des übrigen Drum und Dran der Musik, und dem jungen Schöpfer der ›Feen‹ konnte die schwächliche Verarbeitung des Shakespeareschen Werkes, um dessen willen er einst das Englische erlernt hatte, nur gar geringe Sympathien einflößen. Da erschien die erwartete Königin der Bühne, im Zenit ihres Ruhmes und ihrer Künstlerschaft. Laube schildert uns den schillernden Märztag des Jahres 1834, an welchem sich Sonne und Schatten, gleich mutwilligen Kindern, auf dem Marktplatze jagten und ein richtiger deutscher Nachmittag ihm die Lust an den Büchern verdarb. Heute Abend sollte die Schröder-Devrient singen, und das Publikum strömte schon zum Theater, als der Zeiger der Rathausuhr noch nicht fünf zeigte und es bis zur Kassenöffnung noch reichlich Zeit hatte. Es waren so staubwürdige alte Perrücken, die heute um den Rathausplatz nach dem Theater stapften: die Schröder-Devrient begeisterte selbst den Philister. Der Eindruck, den Wagner von dem Romeo der großen Künstlerin gewann, war unauslöschlich. Nie hatte er mehr mit dem literarischen [200] Freunde übereingestimmt, als wenn dieser Wilhelmine Schröder für die unmittelbare Tochter William Shakespeares und die ganze Familie von den alten griechischen Göttern abstammend erklärte. ›Erinnern wir uns‹, schreibt Wagner noch im Jahre 1872 ›der wohl noch vielen Mitlebenden unvergeßlichen Darstellung des »Romeo« in der Bellinischen Oper, welche uns einst die Schröder-Devrient vorführte. Jedes Gefühl des Musikers mußte sich gegen die Anerkennung irgend eines künstlerischen Wertes der durchaus seichten und ärmlichen Musik sträuben, welche hier über ein Opernpoem von grotesker Dürftigkeit geworfen war; und dennoch fragen wir einen jeden, der dies erlebte, welchen Eindruck ihm der »Romeo« der Schrö der-Devrient, gegenüber etwa dem Romeo unseres besten Schauspielers selbst im Stücke des großen Britten, gemacht habe?‹ Blitzartig durchzuckte ihn die Vorstellung davon, welch unvergleichliches Kunstwerk dasjenige sein müßte, das in allen seinen Teilen des Darstellungstalentes einer solchen Künstlerin und überhaupt eines Vereines von ihr gleichen Künstlern vollkommen würdig wäre. Also das Ideal! Das Ideal, nicht mehr der ›Oper‹, sondern des wirklichen Tondramas, ward unter diesem Eindruck zum erstenmal in ihm wach. Zwar erst nur wie beim Blitzesleuchten im vollen Dunkel der ihn umgebenden Opern-Wildnis; aber sein Blick hatte erschaut, was kein anderer vor ihm gesehen.

Wie aber verhielt sich die Innigkeit und hinreißende Schönheit dieser Darstellung zu der so schwächlich unbedeutenden textlichen und musikalischen Unterlage? Offenbar stand jenes erschaute Ideal in keinem notwendigen inneren Zusammenhang mit ›schönen Versen‹ und sogenannter ›schöner Musik‹! Der junge Künstler, soeben mit einem edel ernsten Werke zurückgewiesen, geriet in Zweifel über die Wahl der Mittel zu großen Erfolgen. Weit entfernt, dem Komponisten ein Verdienst zuzuerkennen, welches einzig der Darstellerin zukam, schien ihm dennoch, der Stoff, aus welchem diese Musik gemacht war, glücklicher und geeigneter, warmes Leben zu erwecken, als die ängstlich besorgte Gewissenhaftigkeit, mit welcher der deutsche Komponist doch meist nur eine gequälte Scheinwahrheit zustande brachte. ›Die schlaffe Charakterlosigkeit unserer heutigen Italiener, sowie der frivole Leichtsinn der neuesten Franzosen schienen mir den ernsten, gewissenhaften Deutschen aufzufordern, sich der glücklicher gewählten und ausgebildeten Mittel seiner Nebenbuhler zu bemächtigen, um es ihnen dann in Hervorbringung wahrer Kunstwerke entschieden zuvor zu tun‹. Für die Wendung, welche sein ganzes künstlerisches Wesen unter solchen Einflüssen nahm, und die Stimmung, in welche er gegen die deutsche Opernmusik geriet, ist seine erste schriftstellerische Kundgebung bezeichnend – ein Glaubensbekenntnis, unter welches er seinen noch unberühmten Namen nicht setzen zu sollen glaubte. Er war damals einundzwanzig Jahre alt, zu Lebensgenuß und freudiger Weltanschauung aufgelegt; an die Stelle Hoffmanns war ihm Heinses ›Ardinghello‹ getreten, der, wie er mit grellen Farben und [201] weichem Pinsel den dunkelblauen Himmel des Südens und eine wollustatmende, überwogende Poesie des Lebens und der Kunst malte, auch Laube in literarischer Form als Vorbild diente. Das ›junge Europa‹ spukte ihm durch die Glieder und setzte ihm das Blut in üppigere Wallung. Deutschland schien ihm nur ein sehr kleiner Teil der Welt. ›Aus dem abstrakten Mystizismus war ich herausgekommen und lernte die Materie lieben; Schönheit des Stoffes, Witz und Geist waren mir herrliche Dinge. Was die Musik betraf, fand ich beides bei den Italienern und Franzosen‹. Alles um ihn her kam ihm wie in Gärung begriffen vor, und er hielt es für das Natürlichste, sich der gleichen Gärung widerstandslos zu überlassen und seine bisherigen Vorbilder aufzugeben.

So lebhaft war bei seinem feurigen Temperament dieser Gärungsprozeß eines musikalischen Kosmopolitismus, daß er seine unter solchen Einflüssen ausgebildeten Gedanken in einem besonderen Artikel über ›Die deutsche Oper‹ für die Zeitschrift des Freundes zusammenfaßte, um die ›Begriffsverwirrung unserer deutschtümelnden Musikkenner über deutsche Musik‹ wo nicht zu heilen, so doch in ein helles Licht zu setzen.7 ›Wir haben allerdings ein Feld der Musik, das uns eigens gehört‹, heißt es hier ›und dies ist die Instrumentalmusik. – eine deutsche Oper aber haben wir nicht, und der Grund dafür ist derselbe, aus dem wir ebenfalls kein Nationaldrama besitzen. Wir sind viel zu geistig und viel zu gelehrt, um warme menschliche Gestalten zu schaffen... Darin haben die Italiener einen unendlichen Vorsprung vor uns; bei ihnen ist Gesangsschönheit zweite Natur und ihre Gestalten sind ebenso sinnlich warm als im übrigen arm an individueller Bedeutung. Wohl haben die Italiener in den letzten Dezennien mit dieser ihrer zweiten Natursprache einen ähnlichen Unfug getrieben, als die Deutschen mit ihrer Gelehrtheit – und doch werde ich nie den Eindruck vergessen, den in neuester Zeit eine Bellinische Oper auf mich machte, nachdem ich des ewig allegorisierenden Orchestergewühles endlich satt war und sich endlich wieder ein einfach edler Gesang zeigte‹, – freilich, wenn eine Schröder-Devrient in ihren Rahmen trat! Und nun bricht der junge Künstler mit dem Eifer des[202] künftigen Reformators eine Lanze gegen die unwahre deutsche Gelehrtheit in der Musik. ›Dies ist ein übel, das dem Charakter unseres Volkes ebenso angemessen ist, als es auch ausgerottet werden muß; und es wird sich auch selbst vernichten, da es nur eine Selbsttäuschung ist. Ich will zwar keineswegs, daß die französische oder italienische Musik die unsrige verdrängen soll; – auf der andern Seite wäre diesem als einem neuen übel eher zu steuern, – aber wir sollen das Wahre in beiden kennen und uns vor jeder selbstsüchtigen Heuchelei hüten. Wir sollen aufatmen aus dem Wust, der uns zu erdrücken droht, ein gutes Teil affektierten Kontrapunkt vom Halse werfen, keine Visionen von feindlichen Quinten und übermäßigen Nonen haben und endlich Menschen werden... Warum ist jetzt so lange kein deutscher Opernkomponist durchgedrungen? Weil sich keiner die Stimme des Volkes zu verschaffen wußte, – das heißt weil keiner das wahre, warme Leben packte, wie es ist. Denn ist es nicht eine offenbare Verkennung der Gegenwart, wenn einer jetzt Oratorien schreibt, an deren Gehalt und Form keiner mehr glaubt? Wer glaubt denn an die lügenhafte Steifheit einer Schneiderschen Fuge, eben weil sie gerade jetzt von Friedrich Schneider komponiert ist? Das, was bei Bach und Händel seiner Wahrheit wegen ehrwürdig erscheint, muß uns jetzt notwendig lächerlich werden. Wir müssen die Zeit packen und ihre neuen Formen gediegen auszubilden suchen; und der wird der Meister sein, der weder italienisch, französisch – noch aber auch deutsch schreibt!‹

›Nicht deutsch!‹ – wir sehen dabei das Auge des jungen deutschen Musikers flammen, sofort bereit, auf das ›Deutsche‹ ganz zu verzichten, wenn es sich ihm nicht anders als in ausgelebter Steifheit und verknöcherter Ausschließlichkeit darbieten soll Betrachten wir genau den Ursprung dieser bewußten Abwendung von dem bisher Hochgehaltenen: es ist nur der drängende Trieb zu wahrhaft dramatischem Schaffen. Volle warme menschliche Gestalten wollte er hervorbringen, die einer lebendig fühlenden Künstlernatur, wie der großen Meisterin Wilhelmine, in jedem Augenblick würdig wären; was ihn daran hindert, zaudert er keinen Augenblick über den Bord seines Schiffes zu werfen. Nicht ein Wort seines Angriffs auf die deutsche Opernmusik darf uns in diesem Sinne leichtfertig oder ungerecht erscheinen; hier dringt bereits alles aus tiefer künstlerischer Empfindung und enthält den vollen Keim der künftigen Meisterlehre.8 Es ist hochbezeichnend, zu beobachten, wie sich mit [203] der Abwehr einer verkehrten ›Deutschtümelei‹ doch gleich in den Eingangsworten ein ersichtliches Hindrängen zu einer wahrhaft ›deutschen Oper‹ und zugleich einem wahrhaft deutschen ›Nationaldrama‹ verknüpft. Mit andern Worten: der Feuereifer des jungen Reformators wendet sich keineswegs gegen das wirkliche deutsche Wesen, sondern gegen dessen einseitige Verkümmerung zur ohnmächtigen Karikatur und die in dieser Ohnmacht verborgene Gefahr. Viel schlimmer als die versuchte kraftvolle Aneignung der assimilationsfähigen Eigenheiten der italienischen und französischen Musiker, die insbesondere in dem Entwicklungsgange der deutschen dramatischen Musik ein folgerecht unvermeidlicher Schritt war,9 war diese kraftlos gebrechliche Ohnmacht deutscher ›Musikgelehrtheit; sie ermöglichte – unter dem beibehaltenen Namen einer, deutschen Musik‹ deren gänzliche Verfälschung durch den Zutritt des Allerfremdartigsten. Eine durch Geist und Begabung bestechende, aber vollends undeutsche Erscheinung, wie diejenige Mendelssohns, knüpfte gerade bei der hier gerügten Schwäche des deutschen Musikers an, um der Entwicklung deutscher Musik auf ein halbes Jahrhundert hinaus den Hemmschuh anzulegen und eben jene ausgelebten Kunstformen der ›Fuge‹ und des ›Oratoriums‹ – unter allgemeiner Akklamation des Philistertums und der künstlerischen Impotenz – zum Inbegriff der eigentlich ›soliden‹ Musik zu erheben. Noch gab sich Wagner der Hoffnung hin, das übel werde sich als eine Selbsttäuschung aus sich allein vernichten. Nur allzubald sollte jene merkwürdige Erscheinung dem ringenden und strebenden deutschen Musiker in persönlicher Begegnung in den Weg treten und sich als den unangefochtenen Beherrscher des Terrains dokumentieren, dessen Besitzergreifung ihm durch eben jene deutsche Neigung zur ›Gelehrtheit‹ so ungemein erleichtert war!

In bezug auf die im Vorhergehenden (S. 176) von uns erwähnten Gedanken Laubes über deutsche Musik und speziell die deutsche Oper ist im übrigen[204] es wichtig zu bemerken, daß sie erst nach Wagners Aufsatz, und nicht etwa vorher an die Öffentlichkeit getreten sind.10 Wenn wir trotzdem um jene Zeit eine von dem Meister späterhin selbst zugestandene Beeinflussung seiner Ideen durch seinen Freund annehmen dürfen, so kann es sich nur um häufige mündliche Diskussionen über diesen Gegenstand gehandelt haben, und in allem, was Laube Richtiges vorbringt, so z. B. in dem, was er über den poetischen Kern der Dinge sagt ›wo ihr ganzes Wesen mit einem Griffe zu packen sei‹, – dürfte er leicht – umgekehrt – von Wagner beeinflußt worden sein!

Unter den jüngeren Musikern seiner Leipziger Umgebung ist an dieser Stelle Robert Schumann zu erwähnen. Kam es auch zwischen beiden damals zu keinem eigentlich intimen persönlichen Verkehr, so bestanden doch zwischen ihnen schon in dieser Periode entschieden freundschaftliche Beziehungen. Wir haben Schumanns bereits bei Erwähnung Dorns als dessen Schüler gedacht. Bekanntlich war er von der Rechtswissenschaft aus einem innig deutschen Drange zur Musik übergangen. Friedrich Wieck war sein erster Lehrer gewesen, als er sich unter der ›Musik‹ als Beruf noch eine Virtuosenlaufbahn vorstellte. Ein eigenartiges Unglück, ein unheilbares Handübel, drängte ihn aus der erfolgreich betretenen Bahn des Klavierspielers in die des Komponisten und Musikschriftstellers. So verschieden das Naturell beider war – Wagner von Natur heiter, mitteilsam, nach außen gerichtet, Schumann grüblerisch-melancholisch, schweigsam, vorwiegend nach innen gekehrt, – fand sich doch zwischen beiden mancher Berührungspunkt: die Vereinigung dichterischer und musikalischer Gaben, z. B. auch die ausgesprochene Vorliebe Schumanns für Hoffmann, mit der sich bei ihm freilich eine, von Wagner nicht in gleichem Maße geteilte unbegrenzte Schätzung Jean Pauls verband. Zwar war er um diese Zeit, als die bei weitem lebhaftere Produktionskraft des zwei Jahre jüngeren Kunstgenossen bereits eine große Symphonie und eine vollständige dreiaktige Oper aus sich hervorgebracht hatte, nur erst mit wenigen Erstlingen seiner Klavierkompositionen an das Tageslicht getreten; dafür zeigte sich in diesen seine Eigentümlichkeit deutlich enthüllt. Der Öffentlichkeit gegenüber war seine Position allerdings eine ungleich günstigere; während Wagners Schaffen noch auf lange Jahre hinaus wie vergraben lag, brach das seinige sich ungehindert Bahn: die Rot des dramatischen Musikers blieb ihm fremd. Er bedurfte, um bekannt zu werden, nicht erst einer Bühne und eines Sängerpersonals, sondern nur eines Verlegers, und hierfür kam ihm seine Stellung als Redakteur einer vielgelesenen Musikzeitung sehr zu statten. ›Sie können glauben‹, schreibt er an Dorn, ›daß, fürchteten die Verleger nicht den Redakteur, [205] auch von mir die Welt nichts erfahren würde!‹ Begegnete es ihm trotzdem, noch von manchem nicht gekannt zu sein (wie z. B. noch auf einer der späteren Konzertreisen seiner Gattin Klara der König von Holland, dem er als der Gatte seiner Frau vorgestellt wurde, die Frage an ihn richtete: ob er auch musikalisch sei?), so war dies von seiten Wagners schon damals nicht der Fall. Wagner hat Schumann von je nicht allein als begabten und sinnvollen Musiker11 geschätzt, sondern auch als ›tüchtige Natur‹, als den ›lieben deutschen Kerl mit Anlage zur Größe‹, der eben denjenigen, auf die er in seiner zweiten Periode (unter Mendelssohns Einfluß) mißgünstig, verdrossen und mürrisch blickte, in seiner ersten Periode als Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Musik, so warm und deutsch liebenswürdig die Hand reichte!12 Und eben die ›Neue Zeitschrift für Musik‹, für welche Schumann neben den Beiträgen seiner eignen geistvollen Feder an geist- und temperamentvollen Mitarbeitern gelegen war, scheint um diese Zeit einen Anlaß zu näheren Beziehungen beider gegeben zu haben. Nachdem Schumann bereits vor drei Jahren, anläßlich des Erscheinens Chopins in der musikalischen Welt, mit einem originellen literarischen Erstlingsversuch debütiert hatte, eröffnete er eben im Sommer 1834, von einigen Freunden (Friedrich Wieck, Ludwig Schunke und Julius Knorr) unterstützt, mit der Begründung eines eigenen Organs seine eigentliche, gewiß bedeutungsvolle schriftstellerische Tätigkeit. Er suchte auch Wagner dafür als Mitarbeiter zu gewinnen, und wenn auch diesem gerade im Stande seiner damaligen Entwicklung, abgesehen von einem vereinzelten schriftstellerischen Losbrechen (wie zur Fixierung seines Programms), eine künstlerische Tätigkeit näher, ja ausschließlich nahe lag und er zu ferneren literarischen Äußerungen in sich für jetzt keinen Antrieb fühlte, so finden wir doch seinen Namen durch mehrere Jahrgänge der Schumannschen Zeitschrift entweder auf dem Titelblatt oder in den beigegebenen Programmen unter den Mitwirkenden regelmäßig aufgeführt.

Um die Mitte Juni begab er sich in Begleitung seines Freundes Theodor Apel (S. 146/47) auf eine Vergnügungsreise in die böhmischen Bäder, zunächst nach dem lieblichen Teplitz. An Stelle eines Passes diente ihm eine Bescheinigung der ›Sicherheitsbehörde13 der Stadt Leipzig‹, daß, der von hier [206] gebürtige Herr Wilhelm Richard Wagner als stud. music ›bei der hiesigen Universität inskribiert worden sei‹. Das Schriftstück trägt das Datum des 7. Juni 1834 und erweist somit ungefähr die Zeit seiner Abreise aus Leipzig; dagegen verzeichnet die Teplitzer Kurliste vom 17. Juni ihrerseits sub Nr. 777: ›Wilh. Rich. Wagner, Tonkünstler aus Leipzig‹, und sub Nr. 778: ›Guido Theodor Apel, Bürger aus Leipzig, beide im »König von Preußen« abgestiegen‹. Durch beide Dokumente zusammen bestimmt sich genau die Zeit des Ausflugs; eine briefliche Nachricht des jungen Meisters ergibt das Weitere, nämlich daß sie sich vierzehn Tage lang in Teplitz aufgehalten ›besonders der Bäder wegen, die Theodor im Ernst und ich mehr zum Vergnügen gebrauchte‹. ›Dieser Aufenthalt hat mich entzückt und an den Milleschauer werde ich wohl Zeit meines Lebens gedenken.‹ ›Wir haben unverwüstlich schönes Wetter, und das macht mir in der jetzigen schönen Jahreszeit alles heiter und klar.‹ Doch war es nicht allein diese Heiterkeit von außen her, die ihn in die übermütig freudigste Stimmung versetzte; auch in seinem Innern regte sich ein neuer künstlerischer Gegenstand und verlangte nach Gestaltung. An einigen schönen Morgen stahl er sich daher aus seiner Umgebung, um allein die Stufen zur Schlackenburg hinaufzuklimmen. Man konnte schon damals von Absatz zu Absatz, teils auf Treppen, teils auf bequem gewundenen Wegen, immer im sonnig durchleuchteten Grün, bis zur Höhe des ›Judenbergs‹ – jetzt Königshöhe genannt – hinansteigen, wo mitten auf dem Plateau ein barocker Bau, eine Restauration stand, die wegen der an ihr angebrachten, aus Schlacken geformten Zierraten, die ›Schlackenburg‹ hieß. Auf jeder Terrasse gab es Lauben oder Sommerhäuschen als Aussichtspunkte, mit Kletterrosen, Efeu und Nachtschatten umrankt; den herrlichsten Ausblick aber hier von der Höhe: weithin über das Städtchen, das üppige Tal im hellsten Sonnenglanze, die unzähligen Dörfer in engen Tälern und auf mäßigen Höhen, vom Schloßberg bis zum waldbekränzten Haupte des Milleschauers. Hier auf heiterer Höhe saß er für sich allein und während er inmitten aller Herrlichkeit der Natur sein einsames Frühstück zu sich nahm und sein aufblickendes Auge weithin in die lachende Ferne schweifte, zeichnete er in sein Notizbuch den Entwurf zu einem Operngedicht ein, das aller in ihm sprudelnden ›jung-europäischen‹ Lebenslust Ausdruck verleihen sollte.

Es war dies die Textdichtung zu der Oper in 2 Akten: ›Das Liebesverbot‹, oder: ›die Novize von Palermo‹. Ihr Gegenstand ist folgender:

Ein ungenannter König von Sizilien verläßt zu einer Reise nach Neapel sein Land, und setzt inzwischen einen puritanischen rigorosen Deutschen, Namens Friedrich, als Statthalter ein, mit der Vollmacht, alle Mittel zu einer gründlichen Reform des Sittenzustandes der Hauptstadt anzuwenden. Beim Beginn des Stückes sieht man die Diener der öffentlichen Gewalt in voller Arbeit, Volksbelustigungshäuser in einer Vorstadt Palermos teils zu schließen, teils [207] niederzureißen. Im stärksten Volksgedränge verliest der Chef der Sbirren, Brighella, die Verordnung des Statthalters, das Verbot von ›Liebe, Wein und Karneval‹. In dem nun ausbrechenden allgemeinen Spottchor


›Der deutsche Narr, auf, lacht ihn aus!

das soll die ganze Antwort sein!

Schickt ihn in seinen Schnee nach Haus,

dort laßt ihn keusch und nüchtern sein!‹


scheint sich ein junger Edelmann, Luzio, zum Volksführer aufwerfen zu wollen. Er findet sofort dazu Veranlassung, als er seinen Freund Claudio auf dem Wege ins Gefängnis dahergeführt sieht und von diesem erfährt, daß er nach einem, von Friedrich hervorgesuchten uralten Gesetze, wegen eines Liebesvergehens mit dem Tode bestraft werden soll. Die unbesiegbar feindselige Gesinnung der Eltern seiner Geliebten hat das Paar zur Verheimlichung ihres Bundes veranlaßt; sie sei, berichtet er, von ihm Mutter geworden und zu dem Haß der Verwandten geselle sich Friedrichs drakonischer Sittlichkeitseifer; er fürchte das Schlimmste und hoffe Rettung einzig auf dem Wege der Gnade, sobald es der Fürbitte seiner Schwester Isabella gelingen dürfte, das Herz des Statthalters umzustimmen. Luzio gelobt dem Freunde, Isabella sofort im Kloster aufzusuchen, in welches sie vor kurzem als Novize eingetreten. Dort, in den stillen Mauern des Klosters der Elisabethinerinnen, lernen wir in der zweiten Szene diese Schwester im traulichen Gespräch mit ihrer Freundin Marianne näher kennen. Marianne entdeckt ihr, sie sei von einem hochstehenden Manne, unter der Versicherung ewiger Treue, zu geheimer Liebesverbindung vermocht, habe sich aber in höchster Not von ihm verlassen und sogar verfolgt gesehen; denn der Verräter erweise sich ihr zugleich als der mächtigste Mann im Staate, kein Geringerer als der Statthalter des Königs selbst. Isabellas Empörung macht sich in feuriger Weise Luft; als ihr nun aber Luzio die Kunde vom Schicksal ihres eigenen Bruders bringt, geht ihr Zorn in helle Entrüstung über die zwiefache Schändlichkeit bes. heuchlerischen Statthalters über. Ihre heftige Aufwallung zeigt sie unvorsichtiger Weise Luzio in verführerischem Lichte; schnell von heftiger Liebe entzündet, dringt dieser in sie, das Kloster für immer zu verlassen und seine Hand anzunehmen. Den Kecken weiß sie würdevoll in Schranken zu halten, beschließt aber ohne Zögern, sein Geleit zu Friedrich anzunehmen. Die nun folgende Gerichtsszene wird durch ein burleskes Verhör verschiedener ›Verbrecher gegen die Sittlichkeit‹ durch den Sbirrenchef Brighella eingeleitet; dann tritt die finstere Gestalt Friedrichs Ruhe gebietend durch das tobend eingedrungene Volk. Das Verhör Claudios wird durch ihn selbst in strenger Form vorgenommen; schon will der Unerbittliche das Urteil über ihn verhängen, – da kommt Isabella hinzu, und verlangt eine einsame Unterredung mit ihm. Die Halle wird geräumt, Isabella [208] fleht mit warmer Beredsamkeit des Herzens um Verzeihung für den so menschlichen Fehltritt ihres Bruders:


Kennst du das Leid der Elternlosen, die um des Brudes Leben fleht,

du könntest nie zurück sie stoßen, die trostlos dann verlassen steht.

O öffne der Schwesterliebe dein Herz, – löse durch Gnade meinen Schmerz!


Friedrich.

Die Schwesterliebe ehre ich, doch Gnade hab' ich nicht für dich.


Isabella.

Du schmähest jene andre Liebe, die Gott gesenkt in unsre Brust?

O wie so öde das Leben bliebe, gäb' es nicht Lieb' und Liebeslust!

Dem Weib gab Schönheit die Natur, dem Manne Kraft sie zu genießen,

und nur ein Tor, ein Heuchler nur sucht sich der Liebe zu verschließen.

O öffne der Erdenliebe dein Herz – löse durch Gnade meinen Schmerz!14


Des Eindruckes ihrer Verteidigung gewahr, fährt sie feuriger fort, sich an die eigenen Gefühle des jetzt so hart sich verschließenden Richters zu wenden. Da bricht das Eis dieses Herzens: ›Wie warm ihr Odem – wie beredt ihr Ton! Bin ich ein Mann? weh' mir, ich schwanke schon!‹ Der strenge Sittenbewahrer selbst wird von plötzlich hervorbrechender Leidenschaft zu dem herrlichen Weibe erfaßt; er fühlt sich seiner nicht mehr mächtig und verspricht Isabella, was sie nur verlange, um den Preis ihrer eigenen Liebe. In höchster Empörung über die unbegreiflich schändliche Zumutung greift Isabella zur List, um den Heuchler zu entlarven und das Leben des Bruders zu retten; mit Verstellung verspricht sie ihm in der folgenden Nacht seine Bitte zu gewähren. Welches der schnell gefaßte Plan der Heldin sei, erfahren wir im Beginn des zweiten Aktes, wo sie im Gefängnis des Bruders sich einstellt, um diesen zu prüfen, ob er der Rettung wert sei. Sie befragt ihn, ob er um den Preis der Unehre seiner Schwester sein Leben zu retten begehre? Der höchsten Entrüstung und Opferwilligkeit Claudios folgt, da er nun für dieses Leben von der Schwester Abschied nimmt und ihr die ergreifendsten Grüße an die trauernde Geliebte aufträgt, endlich die weiche Stimmung, welche den Unglücklichen durch die Wehmut bis zur Schwäche führt. Im Begriff, ihm seine Rettung anzukündigen, hält Isabella bestürzt inne, da sie den Bruder von der Höhe der edelsten Begeisterung bis zum leisen Bekenntnis der noch ungebrochenen Lebenslust, zur schüchternen Frage gelangen sieht: ob der Preis seiner Rettung ihr unerschwinglich scheine? Entsetzt stößt sie den Unwürdigen von sich, und kündigt ihm nun zu der Schmach seines Todes auch noch ihre volle Verachtung an. Nachdem sie ihn dem Schließer von neuem übergeben, zeigt sich ihre Haltung [209] sofort wieder in heiter übermütiger Fassung: den Wankelmütigen will sie durch längere Ungewißheit über sein Schicksal bestrafen, bleibt aber nichtsdestoweniger bei ihrem Vorsatz, die Welt von dem scheußlichsten Heuchler zu befreien, der ihr je Gesetze vorschreiben wollte. Sie hat Marianne davon benachrichtigt, daß diese bei der zugesagten nächtlichen Zusammenkunft ihre Stelle einnehmen solle und sendet nun Friedrich die Einladung zu dieser Zusammenkunft an einem der von ihm selbst untersagten Belustigungsorte am Korso. Als es mit Einbruch der Nacht dort bereits ausgelassen lustig hergeht, findet sich der Wildfang Luzio ein, um durch ein verwegenes Karnevalslied das Volk bis zur blutigen Empörung aufzureizen:


Ihr junges Volk, macht euch heran, die Alltagskleider abgetan,

die Larven vor, die Farben an, die bunten Wämser angetan!

Heut' ist Beginn des Karneval, da wird man seiner sich bewußt!

Herbei, herbei, ihr Leute all, nun gibt es Spaß, jetzt gibt es Lust!

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Im Jubelrausch und Hochgenuß ertränkt die gold'ne Freudenzeit,

zum Teufel fahre der Verdruß und hin zur Hölle Traurigkeit.

Wer sich nicht freut am Karneval, dem stoßt das Messer in die Brust!

Herbei, herbei, ihr Leute all, es war zum Spaß, es war zur Lust!


Der Strom der Karnevalfeiernden drängt sich nach dem Hintergrunde; Isabella tritt hervor. Sie freut sich des Gedankens, in diesem Augenblick der verratenen Marianne den treulosen Gatten zugeführt zu wissen. Sie glaubt das versprochene Begnadigungspatent des Bruders in der Hand zu halten; beim Schein einer Fackel die Schrift erbrechend, erkennt sie aber zu ihrem Entsetzen den verschärften Hinrichtungsbefehl. Nach harten Kämpfen gegen die ihn zerwählende Leidenschaft und seine Ohnmacht gegen diesen Feind im eigenen Innern erkennend, hatte Friedrich beschlossen, wenn auch als Verbrecher, so doch als Ehrenmann zu Grunde zu gehen. Der unerlaubten Neigung will er sein richterliches Gewissen nicht aufopfern: eine Stunde an Isabellas Busen, dann der eigene Tod – nach demselben Gesetz, dessen unwiderruflicher Strenge Claudios Leben verfallen bleiben soll:


›Claudio, du stirbst, ich folg' dir nach‹.


Isabella, welche in seiner Handlungsweise nur eine neue Häufung seiner Schändlichkeiten erkennt, bricht in das Rasen schmerzlichster Verzweiflung aus. Auf ihren Ruf zur sofortigen Empörung gegen den schändlichsten Tyrannen und Heuchler, strömt alles Volk in bunter leidenschaftlicher Verwirrung herbei. Plötzlich vom Hintergrunde her burleske Hilferufe Brighellas, welcher, selbst in eine Situation der Eifersucht verwickelt, den verlarvten Statthalter aus Mißverständnis ergriffen hat, und so nun dessen Entdeckung veranlaßt. Friedrich wird entlarvt, die zitternd an seine Seite geschmiegte Marianne erkannt; [210] Staunen, Entrüstung, Jubel greift um sich; die nötigen Erklärungen stellen sich ein. Friedrich begehrt finster vor das Gericht des zurückerwarteten Königs zum Empfang des Todesurteils gestellt zu werden. Der vom jauchzenden Volke aus dem Gefängnis befreite Claudio belehrt ihn, daß das Todesurteil nicht jederzeit für Liebesvergehen bestimmt sei. Neue Boten melden die unerwartete Ankunft des Königs im Hafen; von ihm heißt es:


›Ihn freuen bunte Feste mehr,

als eure traurigen Gesetze!‹


Man beschließt in voller Maskenprozession dem geliebten Fürsten freudig huldigend entgegenzuziehen; Friedrich, mit seiner neu ihm vermählten Gemahlin Marianne, muß nun den Zug eröffnen; die dem Kloster für immer verlorene Novize folgt mit dem wilden Karnevalsfreunde Luzio als zweites Paar.

Den Stoff zu diesen kühn entworfenen lebhaften Szenen hatte sich der junge Dichter aus Shakespeares ›Maß für Maß‹ entnommen; aber mit so völliger Änderung des Grundmotives, der Voraussetzungen und der Lokalfarbe, daß die in ihrem äußeren Verlauf fast identischen Vorgänge dort und hier eine gänzlich verschiedene Bedeutung haben. Er schied geflissentlich das spezielle Motiv der Gerechtigkeit aus, um dessentwillen der Konflikt bei Shakespeare so scharf zugespitzt ist; ihm lag nur daran, das Sündhafte der Heuchelei und das Unnatürliche der grausamen Sittenrichterei aufzudecken. Er ließ das ›Maß für Maß‹ gänzlich fallen und den Heuchler allein durch die sich rächende Liebe zur Strafe ziehen. Als Voraussetzung für die Entstehung seines Konfliktes bedurfte der britische Dichter der Annahme abnormer öffentlicher Zustände, in denen das frechste Laster ohne Scheu auf offener Straße sich breit macht, einer bis zum Widerwärtigen ausgearteten Sittenverderbnis; bei Wagner hingegen handelt es sich vielmehr bloß um den Gegensatz zwischen einer frostig nordischen Moralauffassung und den freieren Sitten einer südlichen Bevölkerung. Er verlegt deshalb den Schauplatz der Handlung mit gutem Bedacht aus dem fabelhaften Wien des Shakespeareschen Stückes nach der Hauptstadt des glühenden Siziliens – ›Erinnerungen an die sizilianische Vesper mögen dazu mitgewirkt haben‹ – und läßt hingegen den zelotischen Statthalter einen Deutschen sein, den er durch den ihm beigelegten Namen Friedrich (statt des Shakespeareschen Angelo) deutlich als solchen kennzeichnet. Bei Shakespeare haftet das Interesse des Stückes vorzugsweise an der Person des Statthalters; es ist überhaupt ein wesentlich psychologisches. Isabella verhält sich zu ihm ähnlich wie Porzia zu Shylock: er die starre Rechtsformel, sie das lebendig verkörperte Rechtsgefühl, welches sehr wohl auch Raum für die Gnade hat; doch fehlt ihr bei aller erhabenen Tugendstrenge Porziens bezaubernde Anmut und liebenswürdige Schalkheit. Bei Wagner wird vielmehr Isabella zum Mittelpunkt des Ganzen: sie, die als Novize aus dem Kloster schreitet, um Gnade [211] für den Bruder zu erflehen, deren keusche Seele vor dem Richter so triftige Gründe zur Entschuldigung des verhandelten Verbrechens findet und diese Gründe mit so hinreißender Wärme vorzutragen weiß, – Isabella war es, die ihn begeisterte und für deren Partie er an eine Darstellerin dachte, wie er sie soeben in der Schröder-Devrient kennen gelernt. Das psychologische Interesse wird zum reinmenschlichen: die jungfräulichste Keuschheit selbst ergreift, gegen einen gewalttätigen Eingriff in die natürlichen Rechte der Sinnlichkeit, für diese letztere Partei. Es ist das Problem des ›Tannhäuser‹: ›die Erlösung des sündigen Mannes durch die keusche Jungfrau‹.15 Aber es stellt sich im Geiste des einundzwanzigjährigen jungen Künstlers anders dar. Eine kecke Neigung zu wildem sinnlichen Ungestüm, zu trotziger Freudigkeit, ein jugendlich ungebrochener Drang pulsiert überall in dem Werke, wenn auch bereits von der Ahnung – für diesmal noch abgewandter – tragischer Möglichkeiten durchschauert.

Bedeutungsvoll ist die Wahrnehmung, wie sehr auch hier die Musik auf das Gestaltungsvermögen des Dramatikers ihren entscheidenden Einfluß ausübte. Es ist unter allen Werken Wagners das einzige in zwei Akten; in knapper Folge eilen die gedrängten Momente der bewegten Handlung an uns vorüber. Wir werden in schnellem Übergang aus der erregten Volksszene in die Stille des Klosters, aus dem Kloster in die öffentliche Gerichtshalle, aus der düsteren Einsamkeit des Gefängnisses in die Ausgelassenheit des Korso und Karnevals geführt. Wie die Vorbilder Weber und Marschner mit ihrer reicheren musikalischen Ausdrucksfähigkeit ganz ersichtlich den breiteren szenischdramatischen Ausbau der ›Feen‹ mit bestimmt haben, wirken hier die Einflüsse der französischen und italienischen Oper im voraus auf Stoff und Anordnung ein. Wagner selbst bezeichnet die Musik des ›Liebesverbotes‹ geradezu als den ›Reflex der Einflüsse der modernen französischen und – für die Melodie – selbst italienischen Oper auf sein heftig sinnlich erregtes Empfängnisvermögen‹. Wer diese Komposition, fährt er fort, mit der der ›Feen‹ zusammenhalten würde, müßte kaum begreifen, wie in so kurzer Zeit ein so auffallender Umschlag der Richtungen sich bewerkstelligen konnte. Die besondere Eigentümlichkeit der Musik des Liebesverbotes findet Gasperini vor allem in dem Vorwiegen des melodischen Elementes über das harmonische und ideell-geistige ausgeprägt: ›vom ersten Ton der Ouvertüre an spüre man hier den veränderten Lufthauch; da sei alles lebendig, klar, mit sich fortreißend; keine überraschenden Harmonien, keine gewagten Kombinationen; durch die ganze Partitur zirkuliere die Melodie, überströmend und lichtvoll‹.16 Bis zur Gluthitze steigert [212] sich die feurige Erregtheit in der kecken Melodie des Karnevalsliedes mit seinen herausfordernden Eingangstrillern von Triangeln, Kastagnetten und Tamburins, wenn das Allegro vivace


2. Das Liebesverbot

sich bis zu den beiden vernichtenden, dem Dolchstoß gleich tief eintauchenden, Fermaten des Schlußrefrains


2. Das Liebesverbot

aufbäumt und im feroce wieder zu dem ihm folgenden jauchzenden ›Tralalala‹ übergeht. Andererseits macht sich die ideelle Verwandtschaft mit dem ›Tannhäuser‹ in überaus merkwürdigerweise auch in der Musik durch ein hier bereits antizipiertes, ganz bestimmtes Thema geltend. Es ist dies die Gnadenmelodie aus Tannhäusers Pilgerfahrt, wie sie uns dort zuerst im Vorspiel des dritten Aktes in den Trompeten, Posaunen und der Baßtuba entgegenklingt:


2. Das Liebesverbot

Hier, im ›Liebesverbot‹ gibt sich der bereits fertige Keim jenes Gnadenthemas in dem, hinter der Szene erschallenden Kirchenchor der Nonnen [213] des Eli sabethinerinnen-Klosters, als Vorahnung des kommenden Größeren, deutlich zu erkennen:


2. Das Liebesverbot

Es ist der geheimnisvolle innere Zusammenhang in der Musik aller Wagnerischen Werke untereinander, der uns das gesamte Schaffen des Meisters nicht selten in dem Lichte eines einzigen, allmählich sich enthüllenden, großen einheitlichen Gesamtkunstwerkes erscheinen läßt. So versetzen uns gewisse thematische oder harmonische Verwandtschaften inmitten des einen Werkes für einen kurzen vorübergehenden Moment oft in die Sphäre des anderen: so erklärt sich die Verwandtschaft eines Themas aus dem einen mit demjenigen eines anderen Werkes durch eine entsprechende Grundstimmung oder vorschwebende plastische Anschauung.17

Bis zu dem Zeitpunkt der musikalischen Ausführung und Vollendung der vorerst bloß entworfenen Dichtung sollten freilich zwei volle Jahre vergehen! Wenn wir einstweilen von diesem ausführlichen Exkurs zu den weiteren Erlebnissen der schönen Sommerreise zurückkehren wollen, deren Eindruck die Szenen des ›Liebesverbotes‹ ihre Entstehung verdanken, so kann uns ein wohlerhaltener, vom 3. Juli 1834 datierter Brief an Rosalie18 dazu manches Detail bieten; andererseits fällt dadurch auf die Grundstimmung dieser letzten Zeit einer sorglosen Freiheit ein eigentümliches Licht: mitten im Genusse des Augenblickes machte es sich wie ein mahnendes Vorgefühl dessen geltend, daß diese goldene Freiheit und Lebenslust bald ein Ende nehmen und der ›Ernst des Lebens‹ sich geltend machen könne. ›Erst vorigen Montag (30. Juni) reisten wir von Teplitz nach Prag. Auch Prag kommt mir jetzt ganz anders vor, ich sehe jetzt erst, was für ein trüber, gedrückter Wicht ich damals war, als ich mich zuletzt hier herumtrieb.‹ Wir übergehen, in den nun folgenden brieflichen Mitteilungen, die Erwähnung einzelner Persönlichkeiten aus der Prager Aristokratie, welche Rosalien (und ihren Schwestern) während ihres Prager Aufenthaltes als Freundinnen nahegestanden, dem Leser jedoch unbekannt sind (von einer derselben heißt es, sie sei inzwischen noch hübscher geworden: Apel sei ganz ›weg‹) und wenden uns hingegen denjenigen Abschnitten zu, welche auf seine künstlerischen Hoffnungen Bezug haben. So hatte er von [214] dem Textbuche zu den ›Feen‹ eine eigenhändige zierliche Kopie gemacht, um sie dem Theaterdirektor Stöger zu überreichen, und wollte es auch nicht daran fehlen lassen, die durch die Schwester empfohlenen Autoritäten aufzusuchen, welche ihm durch ihren lokalen Einfluß von Nutzen sein konnten. ›Erst heute gehe ich zu Gerle,19 Kinsky, Weber20 und vor allen Dingen zu Stöger, dem ich schon vorgestellt bin. Er scheint mir ein prächtiger Mann zu sein; sein Theater steht auf einem ausgezeichneten Fuß. Das Noble der Dekoration, der Garderobe verwandelt die Bühne hier in eine ganz andere; ich erkenne sie gar nicht wieder. Die Oper ist vortrefflich, unter andern hat sich die Lutz er so ausgebildet, daß sie uns später einmal die Devrient ersetzen wird. Ich bin entzückt von ihr, – ganz die neue junge Schule, – durchaus dramatisch, – noch einige Schritte, und sie ist vollendet. Ich mache mich an sie, – sie ist eine vortreffliche Ada. Mein Textbuch habe ich ganz sauber abgeschrieben und noch heute geb' ich es dem Stöger.‹ Mit jugendlich lebhaftem Interesse spricht er von ferneren Angelegenheiten des Prager Theaters und dem dortigen Publikum, welches die Bemühungen um dasselbe aber auch lohne. Es freut ihn, durch die Schwester zu erfahren, daß auch Ringelhardt in Leipzig auf die Hebung des dortigen Theaters bedacht sei: ›ich schreibe heut an ihn, auch an die Gerhard21; ach, und es wird mir angst und bange dabei. Sollten die glücklichen Tage, die ich jetzt genieße, sich vielleicht bald an mir rächen? Diese Frage packt mich dann und wann kalt an, und es wird mir dann oft unbeschreiblich zu Mut. Gewiß gehe ich einem Gewirr von Mißhelligkeiten entgegen, zu denen ich mich gewaltig rüsten muß, um sie standhaft und rüstig zu besiegen! – Du lieber Gott, laß mir doch noch die paar glücklichen Tage, denn mit diesem Winter wird mich auch die Kälte des Lebens ergreifen, und die Sonne meines Glückes wird mir ihre wärmsten Strahlen zusenden müssen, wenn sich alles bewähren soll. Mich überfällt deshalb oft eine peinigende Unruhe, die mich je eher je lieber wieder nach Hause treibt; es ist mir, als wenn dort eben etwas harre, dem ich mit all meiner Kraft entgegentreten muß. Dein Brief, und nur die Erwähnung meiner Oper, hat mich unruhig gemacht, und nur die Gewalt des glücklichen Augenblicks kann dieses Gefühl bannen.‹

Die Rückreise sollte eigentlich – immer in Gemeinschaft mit dem Freunde – über Wien gemacht werden, dorthin sollte ihm durch die Schwester auch von[215] seinen Kompositionen etwas nachgeschickt werden. Mit Bezug darauf heißt es in demselben Briefe: ›Aus Wien wird wohl nichts werden. Wir haben uns schon zu lange aufgehalten, und mir ists gerad lieb. Wir werden über Karlsbad zurückreisen. Wenn ihr deshalb die Noten noch nicht abgeschickt habt, so laßt es sein.‹ Dagegen bittet er zugleich mit seinem Brief an Ringelhardt auch die Partituren (die drei Akte der ›Feen‹ in drei Bände gebunden) an diesen zu übersenden. Wenige Wochen später traf er selbst wieder – nach kaum vierwöchentlicher Abwesenheit – in der Vaterstadt ein. Wie richtig war seine Vorempfindung, daß die soeben verlebten glücklichen Tage des Lebensgenusses und der Schaffensfreiheit vielleicht der Ausklang seines bisherigen ungetrübten Jugenddaseins gewesen seien! Ganz unerwarteter Weise nämlich wurde ihm, dem noch so jungen Musiker, die soeben vakante Musikdirektorstelle bei der Bethmannschen Theatertruppe in Magdeburg angetragen und, um den Seinigen, vor allem der liebevoll für ihn sorgenden Schwester Rosalie nicht länger mit seinem Unterhalt zur Last zu fallen, entschloß er sich, seiner äußeren Selbständigkeit – wenigstens zeitweilig – das unvermeidlich scheinende Opfer seiner Freiheit zu bringen.

Wie groß und wie ausschlaggebend für seine ganze fernere Existenz dieses Opfer war, auch davon mochte er ein dunkeles Vorgefühl haben. Die Erfahrungen der nächsten Jahre sollten es ihm zur vollsten Gewißheit machen. Die sorglos ungebundene Jugendperiode mit dem überschäumenden Schaffensreichtum der letzten Jahre hatte ihr Ende erreicht. Neue Verhältnisse schaffen neue Beziehungen, neue Bande und Verpflichtungen; und arglos und lebensfreudig, wie er war, sollte er sich bald derartig in diese Verhältnisse verstricken, daß damit für ferne Zeiten sein Schicksal entschieden, der Würfel für sein äußeres Dasein gefallen war.

Fußnoten

1 Im Besitz des Eisenacher Richard Wagner-Museums.


2 Leipziger Allgem. musik. Zeitung 1833, Nr. 11.


3 Dieselbe ging nachträglich in den Besitz seines Sohnes, des am 2. Mai 1903 verstorbenen großherzogl. badischen Kammersängers Joseph Hauser über, der sie, soweit es sich dabei um Handschriften von Joh. Seb. Bach handelte, bei der Herstellung der monumentalen Bach-Ausgabe seinerzeit behufs Vergleichung zur Verfügung stellte.


4 Seine natürlichen Anlagen und äußeren Mittel als Sänger sollen nicht bedeutend gewesen sein; dafür wird ihm allseitig, Intelligenz, kunstgemäße Ausbildung und musikalisches Verständnis, ein scharfes, durchdringendes Studium der Rollen und ein richtiges charaktermäßiges Auffassen der Gesangpartieen von den rezensierenden Zeitgenossen nachgerühmt (vgl. z. B. die Dresdener ›Abendzeitung‹ 1834, Nr. 198 vom 20. August). – Mit Mendelssohn war er persönlich befreundet; auch ist nachmals eine ganze Sammlung an ihn gerichteter Briefe des bekannten musikalischen Reaktionärs Moritz Hauptmann zur Veröffentlichung gelangt.


5 Als Spontini seinerzeit den ihm zu Gebote stehenden Einfluß gegen die Berliner Aufführung des ›Freischütz‹ verwendete, klagte Weber darüber gegen seinen Freund Sir George Smart in London: ›Traurig ist es, daß man einen Italiener angestellt hat, um über deutsche Werke, die er nicht würdigen kann, zu urteilen. Ich bin freilich auch Kapellmeister und habe über Werke der Ausländer zu urteilen; aber nur, wenn ich mir mit dem besten Wissen und Gewissen sagen muß, daß ein Werk gar nichts taugt, lasse ich die Aufführung nicht zu. Es sollte doch jeder Strebende dem Publikum wenigstens einmal zur Beurteilung vorgestellt werden!‹ Hier war nun kein ›Italiener angestellt‹, aber das Urteil fiel gleichwohl im ›italienischen‹ Sinne aus!


6 Leipziger Korrespondenz der Dresdener ›Abendzeitung‹ 1834, Nr. 197.


7 Der Artikel über ›Die deutsche Oper‹ findet sich in der ›Zeitung für die elegante Welt‹ Nr. 111 vom 10. Juni 1834 und ist bisher nur in Kürschners ›Wagner-Jahrbuch‹ abgedruckt. Eine etwaige, mit der Zeit unentbehrliche Sammlung von Paralipomena zu Wagners gesammelten Schriften der ersten Periode, Dresden mit inbegriffen, würde mit diesem prächtigen Aufsatz zu beginnen haben. ›Wir haben uns immer mehr von dem Wege entfernt, den Mozart zum Heil für unsere dramatische Musik einschlug‹, heißt es darin. Ein Druckfehler hat daraus gemacht ›zum Teil‹. Wer Wagners damalige Handschrift kennt, vergegenwärtigt sich leicht den ihr eigentümlichen Schriftzug, der hier seinerzeit den Setzer irre führte. Der gleiche Fehler kommt genau so noch einmal in einem Aussatz desselben Jahres für Schumanns ›Neue Zeitschrift für Musik‹ vor. Leider ist er auch in den soeben erwähnten – bisher einzigen – vollständigen Abdruck (des ›Wagner-Jahrbuchs‹) übergegangen.


8 Dieser Lehre verdanken wir es, das wahrhaft Deutsche in unseren großen Musikern, Denkern und Dichtern nicht als eine Grenze ihres Vermögens, sondern als die in ihnen wirkende Kraft einer reinmenschlichen Universalität zu erkennen. ›Umfaßte das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalität hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein‹ (Ges. Schr. III, 37). In diesem Sinne ist die umfassende Aufgabe des deutschen Wesens bereits dem Einundzwanzigjährigen aufgegangen. Sieben Jahre später schrieb er in Paris: ›Der deutsche Genius‹ scheint bestimmt zu sein, das ›was seinem Mutterlande nicht eingeboren ist, bei seinen Nachbarn aufzusuchen, dies aber aus seinen engen Grenzen zu erheben und somit etwas Allgemeines für die ganze Welt zu schaffen‹ (Ges. Schr. I, 198). Und in solcher Auffassung, als im tiefsten Grunde unzerstörbare Anlage zur Ausbildung des Reinmenschlichen, hat das ›Deutsche‹ dem Künstler von jeher seinen wahren Wert gehabt und bis zuletzt bewahrt.


9 Wagner sagte noch am 12. Januar 1879 im Gespräch mit H. v. Wolzogen: ›Die langausgedehnte Form der italienischen Opernkomponisten, wie Cherubini und Spontini, konnte nicht aus dem deutschen Singspiel hervorgehen, sie mußte in Italien entstehen... Hiervon haben Auber, Boieldieu und auch ich viel gelernt. Mein Schlußchor im ersten Akt des »Lohengrin« z. B. stammt viel mehr von Spontini als von Weber. Auch von Bellini kann man lernen, was Melodie ist. Die Neueren zeichnen sich durch armselige Melodie aus, weil sie sich nur an gewisse hervortretende Schwächen der italienischen Oper halten, aber um die großen Vorzüge der Komponisten sich gar nicht kümmern‹. Wolzogen, Erinnerungen an Richard Wagner, 2. Ausgabe (Reclam) S. 26–27.


10 Wagners Aufsatz ist, wie schon erwähnt, bereits in der eleganten Welt Re. 111 vom 10. Juni 1834 gedruckt, die auf S. 176 dieses Bandes ausführlich mitgeteilten Laubeschen Äußerungen hingegen einem Aufsatz über Spontinis ›Olympia‹ entnommen, der in den Nummern 145 u. 146 vom 28. u. 29. Juli desselben Jahres erschien.


11 Den ›begabtesten und sinnvollsten Musiker der nach – Beethovenschen Periode‹, heißt es Ges. Schr. VIII, 317.


12 Man hat Wagner mit besonderem Nachdruck als einen Gegner Schumanns hingestellt. Damit hat man aber den Sachverhalt fast lächerlich umgekehrt. Von einer Gegnerschaft des Dramatikers gegen den Lyriker kann keine Rede sein. Was aber stets zu beklagen bleibt, ist die schlimme Erfahrung, daß vom ersten Anfang an gerade ›Schumannianer‹ die heftigsten und blindesten Gegner Wagners waren und geblieben sind. Wer ihm treu anhing, mußte es erleben, auf jener Seite als sittlich verloren zu gelten; Wagner dagegen ließ dem echten Künstler Schumann selber alle Gerechtigkeit so gern widerfahren, wie allem Echten ›das er erkannte und liebte‹ (H. v. Wolzogen, Erinnerungen an Richard Wagner, S. 33).


13 In bezug auf den Ausdruck ›Sicherheitsbehörde‹ (›Sicherheitsdeputation‹) vgl. S. 130 dieses Bandes. Das charakteristische Dokument befindet sich noch heute in Wahnfried.


14 Die musikalische Ausführung des Obigen: ›1. Akt, Finale, Gesang der Isabella‹ ist als Beilage in Chamberlains großes illustriertes Wagner-Werk (zu S. 220) aufgenommen.


15 H. S. Chamberlain, Das Drama Richard Wagners, S. 46.


16 A. de Gasperini, La nouvelle Allemagne musicale. Richard Wagner (Paris, Heugel & Cie 1866): ›Dès la première note de l'ouverture, vous sentez que l'influence française a passé par là. C'est vif, clair, entraînant. Point d'harmonies qui surprennent, point de combinaisons audacieuses; la mélodie circule dans toute la partition, abondante et lumineuse‹ (p. 18).


17 Vgl. hierzu die überaus lehrreichen Ausführungen H. v. Wolzogens in der Abhandlung ›Musikalisch-dramatische Parallelen‹, ursprünglich erschienen in den ›Bayreuther Blättern‹ Jahrg. 1894, 1898/99, 1901 ff.


18 Das Original dieses Briefes befindet sich im Besitz von Rosaliens Tochter, Frau Prof. Rosalie Frey geb. Marbach.


19 W. Adolf Gerle, Roman- und Novellen-, auch Schauspieldichter, der als Erzähler mit Geschick und Wärme besonders den reichen Schatz böhmischer Sagen behandelt hatte, Professor der italienischen Sprache am Prager Konservatorium und zeitweilig (1810/23) Redakteur der Prager Zeitung. Im Jahre 1846 nahm er sich aus Schwermut durch einen Sprung in die Moldau das Leben.


20 Dionys Weber, Direktor des Konservatoriums, vgl. S. 161/63 d. Bandes.


21 Livia Gerhard, damals hochbewunderte ›jugendliche Sängerin‹ am Leipziger Theater, vgl. S. 178 dieses Bandes.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 195-216.
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