II.

Inspektionsreise.

[27] Einzug in die Dammallee. – Liszts Besuch in Bayreuth. – Feustelsche Silberhochzeit. – Rohdes philologisches Sendschreiben. – Nibelungen-Kanzlei: Anton Seidl. – Fünfwöchentliche Inspektionsreise an deutschen Bühnen, Kölner Vortrag. – Rückkehr nach Bayreuth.


Seit längeren Jahren ohne alle Berührung mit den Theatern geblieben, gestehe ich das Bangen gern ein, mit welchem mich die Nötigung zur Erneuerung einer Prüfung ihrer Leistungen meinerseits erfüllte.

Richard Wagner.


Mit dem Eintritt des Herbstes und der rauheren Witterung nahm der Aufenthalt auf Schloß Fantaisie ein Ende, und bezog der Meister, bis zur Vollendung des Baues seiner künftigen eigenen Niederlassung, das dem Maurermeister Wölfel gehörige Haus am Eingang der Dammallee, mit Garten und Stallungen, seiner Front gegenüber einen kleinen Hain mitten in der Stadt, das Dammalleewäldchen, so daß der Blick aus seinen Fenstern wenigstens nicht direkt auf Mauern und Steinmassen fiel Zwei volle Jahre, bis zum völligen Ausbau der ›Villa Wahnfried‹, hat er mit den Seinen in diesem gastlichen Hause verbracht, das zwar zur äußeren Repräsentation minder geeignet, dafür aber den Bedürfnissen der Wohnlichkeit entsprechend war. Eine alte Abbildung auf Grund einer Originalzeichnung aus den siebziger Jahren zeigt es von eben jenem ›Wäldchen‹ aus, leiht aber doch der Umrahmung ein fast schon zu romantisch parkähnliches Ansehen, die schlicht bürgerliche Umgebung des Gebäudes nach beiden Seiten hin in Unsichtbarkeit verhüllend.1 Es genügte ihm nun aber nicht in Bayreuth zu wohnen, sondern er empfand, wie einst in München, nun vollends hier in seiner letzten Heimat, das Bedürfnis der Naturalisierung an dem von ihm erwählten Orte. Er wollte [27] ordentlicher Bürger von Bayreuth werden, nicht Ehrenbürger, wie man es ihm angeboten hatte. Im Oktober 1872 bewarb er sich um das Bayreuther Bürgerrecht. Bürgermeister Muncker besorgte die Sache nach allen Regeln, ohne ihn mit den Einzelheiten weiter zu behelligen, und übersandte ihm, als alles fertig war, das Aufnahmediplom mit einer Berechnung der gesetzlichen Gebühren, die immerhin eine ansehnliche Summe ausmachten Darauf antwortete er kurz und drastisch: ›Au– Au– Ausgezeichnet! Bestens grüßend Ihr R. W.‹ Ein anderes Mal wurde an ihn die Aufforderung gerichtet, sein Jahreseinkommen (!) zum Zweck der Steueranlage genau anzugeben. Er sandte den zu dieser Erklärung bestimmten Bogen unausgefüllt, aber mit seiner Namensunterschrift versehen, an Muncker zurück, mit dem Ersuchen, dieser möge gemeinsam mit Feustel den richtigen Betrag hineinsetzen.2 ›Liebster Bürgermeister! Ich weiß – gar nichts! – So ist's! Ihr treu dankbarer R. W.‹ lauteten die Begleitzeilen dazu.3

In der ersten Hälfte Oktober trat die Schrift ›Über Schauspieler und Sänger‹ an das Licht der Öffentlichkeit. Auf dem für Feustel bestimmten Exemplar steht die eigenhändige Widmung: ›Seinem Freunde Friedrich Feustel zur Einübung für das Komödiantenfach der zärtlichen Väter‹.4 Der Einzug in die neue Umgebung war nicht unter den günstigsten Umständen erfolgt, wie wir einem Briefe Nietzsches an seinen, auch in des Meisters Hause gern gesehenen Freund Gersdorff entnehmen: ›Aus Bayreuth hat mir Frau Wagner zum Geburtstag (15. Oktober) geschrieben, sie war krank und hat zu Bett gelegen. Eine Halsentzündung überfiel sie nach den Beschwerden des Umzugs ins zweite Provisorium. Anfang November beginnt die Rundreise an alle Theaterstationen. Haus und Stadt behagen wohl; man erwartet den Besuch Liszts‹. Genau an dem gleichen Tage, am Dienstag den 15. Oktober, traf denn auch Liszt, nach vorausgegangener Ankündigung, zum ersten Mal in dem ihm später so vertrauten Orte ein; nicht mehr direkt von Weimar, das er inzwischen verlassen, sondern auf der Reise von seinem alten Freunde, dem Fürsten Hohenlohe-Schillingsfürst, über Regensburg nach Wien und Pest. Am Tage nach seiner Ankunft wurde nachmittags eine Spazierfahrt nach dem Bauplatz des Festspielhauses gemacht, sodann das alte markgräfliche Opernhaus, die Hauptstätte der Grundsteinlegungsfeier, in seiner reichen Pracht und Zierlichkeit in Augenschein genommen; endlich auch die Baustelle für das zukünftige eigene Wohnhaus des Meisters; denn auch zu diesem waren die Fundamente bereits gelegt. Abends erschienen die Freunde Muncker und Feustel; dem kleinen aber auserwählten Kreise spielte Liszt aus seinem ›Christus‹ [28] vor. Über diesen sechstägigen Besuch und die dabei gewonnenen Eindrücke erstattet Liszt selbst seiner fürstlichen Freundin einen ausführlichen Bericht. ›Wagner bewohnt‹, heißt es darin, ›provisorisch ein gemietetes Haus, und läßt sich ein eigenes bauen, zu welchem der König ihm die Mittel gewährt. Die Stadt hat ein vornehmes und liebenswürdiges Aussehen – zwei königliche Residenzschlösser – zwei Statuen: König Maximilian und Jean Paul. Viele schöne Gebäude aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts, einen schönen Garten (Schloßgarten) und ein sehr luxuriöses Theater im Rokokostil, anläßlich dessen Friedrich der Große seiner Schwester lebhafte Vorwürfe wegen Verschwendung gemacht hat. Der einzige Fürst von Geblüt, der gegenwärtig Bayreuth bewohnt, ist der Herzog von Württemberg, Witwer der Prinzessin Marie von Orleans. Man hält ihn für menschenscheu, er pflegt einen schönen Park bei seiner Villa Fantaisie und hat sich zur linken Hand wieder verheiratet‹. Diese Details hat Liszt jedenfalls durch die Bayreuther Freunde erfahren und durch Wagner bestätigt erhalten, der sehr bald nach seiner Ankunft und Niederlassung auf Fantaisie (am 30. April) dem Herzog einen persönlichen Besuch gemacht und in ihm einen sehr gutmütigen und vornehmen Herrn gefunden hatte. ›Die Fundamente des Nibelungentheaters‹, fährt Liszt fort, ›beginnen sich zu erheben, und die Wagner-Vereine mehren sich in Deutschland. Das Außerordentliche der Unternehmung wird sie voraussichtlich zum Gelingen führen, trotz aller Glossen, Kritiken, Schwierigkeiten und Klatschereien Wagner lebt sehr zurückgezogen. Donnerstag Abend hat er sich dennoch entschlossen, ausnahmsweise ein Dutzend Personen einzuladen: darunter den Regierungspräsidenten, den Dekan, den Rektor des Gymnasiums, den Bürgermeister und den »Nibelungen«-Bankier, Herrn Feustel. Das ist eine Persönlichkeit von Bedeutung, neuerdings zum bayerischen Finanzminister ausersehen‹ (ein darauf bezügliches Anerbieten war unter der Hand ganz kürzlich an Feustel ergangen; der bayrische Staat wäre gut dabei gefahren, aber das Bayreuther Unternehmen würde viel dabei verloren haben!) ›und dem Nibelungenwerke ganz ergeben. An den anderen Tagen und Abenden sind wir zu Dreien ganz allein gewesen. Die fünf Kinder speisen für sich, sie sind auf das Vollkommenste erzogen und von ganz einziger Liebenswürdigkeit Cosima übertrifft sich selbst‹ u.s.w. Und in einem etwas späteren Brief heißt es, in Ergänzung des Obigen und offenbar in Erwiderung eines Einwurfs der Adressatin: ›Die Skizze zum Parsifal, die mir Wagner letzthin vorgelesen, ist von dem reinsten Geiste des Christentums erfüllt und durchdrungen. Es wäre ein seltsamer Widerspruch, die letzte Szene des Faust (2. Teil) zu bewundern und Parsifal zu verdammen, der mir an mystischer Inspiration auf gleicher Höhe zu stehen scheint. Ich gestehe sogar, daß mir die meisten unserer, für christlich-katholisch geltenden, Dichter hinsichtlich ihres religiösen Gefühles weit hinter Wagner zurückzubleiben scheinen‹. In dieser offenen Erklärung zeigt sich so recht die [29] völlige Unabhängigkeit Liszts von dem einseitig bigotten Verwerfungsurteil der Unversöhnlichen, wie er es in Beziehung auf den großen Freund und Meister in seinem ganzen Denken und Fühlen stets bewährt hat; wenn auch nicht ganz gleichmäßig in seinem Handeln. Wenigstens wirkte es auf die Zurückbleibenden befremdend, als eine unfaßbare Konzession an eine fremde Macht, daß er seinen Besuch gerade am Vorabend seines Geburtstages (22. Oktober) abbrach, und es vorzog, ihn, statt in ihrer Gemeinschaft, in voller Einsamkeit in dem ganz gleichgültigen öden Regensburg zu verleben. Buchstäblich getreu seinem schon im voraus an die Fürstin mitgeteilten Programm: ›Ich werde daran festhalten, diesen Tag ganz trübselig (tristement) und allein auf irgend einer Eisenbahnstation zu verbringen, um mich nicht feiern zu lassen (pour ne pas être fêté). Tags darauf werde ich in Wien bei Eduard sein.‹5

Am 24 desselben Monats, drei Tage nach der Abreise Liszts, fand die Silberhochzeit Feustels statt. An einer, auf einen der Vorabende fallenden Vorfeier dieses Ereignisses teilzunehmen, war der Meister durch große Müdigkeit verhindert. ›Innigst begleiten Sie unsere Wünsche und Segnungen‹, rief er ihm zu. ›Wir sind ganz bei Ihrem Glücke, wenn wir auch für heute dem freudigen Feste fern bleiben!‹6. Dafür aber hatte er in rührender Weise alles getan, um dem Ehrentage des treuesten Freundes auch seinerseits ein festliches Gepräge zu geben. Von der in die Mitte des Sommers fallenden Hochzeitsfeier von Feustels Tochter Marie mit Adolf Groß haben wir (S. 14) schon ausführlich berichtet. Von einer achtwöchentlichen Hochzeitsreise zurück gekehrt, sollte das junge Paar dem Wunsche der Mutter gemäß sein erstes Ehejahr in einem ehrwürdig alten Hause der engen Ziegelgasse verbringen, wo schon ihr mütterlicher Großvater und Urgroßvater gewohnt und welches der Mutter als Heiratsgut zugefallen war.7 Dieses alte Haus in der Ziegelgasse wurde nun der Zeuge ganz seltener musikalischer Studien unter des Meisters eigener Leitung. Zu Feustels silberner Hochzeit nämlich hatte er den ›Friedensboten‹-Chor aus ›Rienzi‹ eigens für Klavier, Harmonium und Violine [30] einrichten lassen; die Schwester der jungen Frau (nachmals Frau Lina Groß) habe das Klavier, Adolf Groß die Violine und Frau Groß selber das Harmonium übernommen, und mitten zwischen ihnen, in dem engen Winkel zwischen Klavier und Harmonium, habe der Meister gestanden, mit dem Taktierstabe, und ihnen geduldig den Vortrag einstudiert! Wie ihr nun – im Rückblick auf diese musikalischen Studien – später zu Mute gewesen, als ihr Respekt vor ihm immer mehr und mehr gestiegen sei, das hat sie uns nachmals wiederholt gesprächsweise erzählt. Wenn er später mit ihrem Gatten in dessen Comptoir zu tun gehabt, habe sie schon überall Boten ausgestellt, ob er nicht komme, um rechtzeitig vom Klavier aufzuspringen, damit er nichts von ihrer Musik höre, – und damals habe er mitten unter ihnen gestanden und sie für ihren Vortrag belobt! Das Idyll in der Ziegelgasse ist ein recht bezeichnendes Blatt aus dem unerschöpflich reichen Lebensbuche Wagners. Es zeigt, wie der sonst wohl königlich Unnahbare es verstand in traulichster Weise ›Freunden ein Freund zu sein‹ und vor keiner bürgerlichen ›Enge‹ zurückzuschrecken, zumal wenn sie – wie in diesem Falle! so echt ›bayreuthisch‹ war. Noch einen Zug müssen wir von der Feustelschen Silberhochzeit hervorheben: sie ward der Anlaß zur Verlobung eines anderen echt Bayreuthischen Paares: der oben erwähnten ›Klavierspielerin‹ Lina Feustel mit ihrem Schwager, dem zeitlebens in treuester Tätigkeit dem Bayreuther Werke ergebenen Direktor Max Groß, so daß sich hier zwei Brüder mit zweien dem Feustelschen Hause entstammenden Schwestern verbanden, um dadurch zugleich für immer dem Bayreuther Werte verbunden zu sein, mit all ihrer beiderseitigen Arbeitskraft und dem ganzen Kern ihrer moralischen Persönlichkeiten.

Noch in den letzten Tagen des ereignisreichen Oktobers wurde dem Meister eine ganz besondere Freude zuteil durch das Eintreffen einer kleinen Flug- und Streitschrift unter dem Titel: ›Afterphilologie. Sendschreiben eines Philologen an Richard Wagner.‹ Was sich unter diesem sonderbaren Titel verbarg, war die mit philologischer Gründlichkeit unternommene und durchgeführte Abfertigung eben jenes leichtfertigen, allzujugendlichen, und in all dieser Jugendlichkeit doch jeder kongenial begeisterten Auffassung baren und daher greisenhaft pedantischen und schmähsüchtigen Angreifers der Nietzscheschen Schrift über die ›Geburt der Tragödie‹. Als Verfasser gab sich, am Schluß mit vollem Namen unterzeichnet, der dem Meister bereits so vorteilhaft bekannte, damalige Kieler Professor Erwin Rohde zu erkennen, der ihn zuerst in Luzern, dann zur Grundsteinlegungsfeier in Bayreuth, immer in Nietzsches Gesellschaft, besucht und von dem er beide Male den günstigsten Eindruck eines ebenso feinsinnigen, als vielseitig gebildeten Mannes erhalten. Und hierin eben lag für ihn in erster Reihe ein Anlaß zu wirklicher Freude. Wie lange hatte er sich als Künstler, wie als Schriftsteller, durch seine Werke, wie durch seine Schriften, an gebildete Empfänger, Leser und Mitarbeiter gewandt, und [31] welches Verständnis hatte er dafür gefunden? Welche rührende, zartfühlende Liebe und Freundschaft hatte er nicht bisher an rein ›musikalische‹ Jünger, wie Weißheimer, Peter Cornelius, selbst auch an Heinrich Porges verschwendet und was war aus ihnen geworden? In bezug auf Cornelius hat erst ganz kürzlich die allzu schneidend grausame Publikation seiner intimsten Intimitäten in erschreckender Weise aufgedeckt, welche psychologische Unmöglichkeiten und Unzulänglichkeiten dieser allzu weichlichen Lyrikernatur ein männliches Erfassen hoher Ziele verwehrten – Eigenschaften, von deren Vorwiegen der Meister doch auch schon damals bei hundert und tausend Gelegenheiten eine allzudeutliche Vorstellungschmerzlichst gewinnen mußte!8 Der bodenlose Schwulst eines Nohl war ihm stets abstoßend und widerwärtig gewesen; er hatte sich nur immer wieder bezwungen, auch diesem, soweit es anging, in freundschaftlicher Teilnahme geneigt zu bleiben. Daß wir endlich auch Porges in diesem Zusammenhang mit erwähnen, hat seinen guten Grund darin, daß ihn Wagner selbst in der gleich anzuführenden Briefstelle mit aufzählt; seine entscheidendste, ausschlaggebende Entwickelung hat dieser, dem Meister früh nahegetretene und ihn lange überlebende – ausgezeichnete – Freund doch erst gerade mit dem Bayreuther Werke genommen und gerade noch in den Grund steinlegungstagen sich eine starke Zurechtweisung gefallen lassen müssen. Daß er diese ertrug und dadurch Edlerem zureifte, darin bestand der eigenartige Vorzug seiner, alle Zeiten und Schicksale überdauernden Echtheit! An solche trostlose Erfahrungen der vorausgegangenen Zeit muß man denken, um sich die Leiden zu vergegenwärtigen, die dem schöpferischen Genius durch unzulängliche Anhänger immer von neuem erwuchsen9 und sich dem wahrhaft aufatmenden Ausspruch zu erklären, mit welchem der an Rohde gerichtete Brief vom 29. Oktober, gleich nach Durchlesung seiner Broschüre, beginnt. Und wie wenig war es sonst des Meisters Art, einen seiner Freunde auf Kosten eines anderen zu loben! ›Ich finde, daß ich mit und durch Nietzsche in recht gute Gesellschaft gekommen bin. Das können Sie nicht wissen, was das heißt, sein langes Leben über in schlechter, oder wenigstens alberner Gesellschaft [32] verbracht zu haben‹ etc. ›Aber diese Wendung beginnt auch wirklich erst mit Nietzsche: vorher schwang sich meine Sphäre nicht höher, als bis zu Pohl, Nohl und Porges‹ etc. ›Unsere Freude über Ihre Schrift war groß: sie ist das würdige Seitenstück und Komplement der »Geburt« selbst. Die Hauptsache für uns war, aus dieser Abfertigung etwas lernen zu können, und außerdem den, ganzen Mann, so recht achten und lieben zu lernen.‹ Es ist viel, was sich in diesen Worten an deutschen Kulturhoffnungen ausdrückt; wir möchten es jenem ähnlich aufatmenden und erleichterten Ausruf Schopenhauers, dem ›legor et legar‹ vergleichen! An wen hatte er sich doch bisher in seinem ausgesprochenen literarischen Mitteilungsdrange gewendet? Wer waren für seine großen, reformatorischen Gedanken die Empfänger und Leser gewesen? Daß es deren gab, deutete sich ihm aus der Ferne durch solche Erfahrungen an. An sie sollten sich seine zukünftigen ›Bayreuther Blätter‹ richten, für sie hatte er seinen ›Beethoven‹, und soeben seine große Schrift ›Über Schauspieler und Sänger‹ geschrieben, für sie das Projekt seiner ›Gesammelten Schriften und Dich tungen‹ in Angriff genommen und zur Hälfte durchgeführt. Sie mußten dasein, sie mußten kommen; sie kündigten sich ihm durch diese kleine Gruppe von Menschen an, als – ›ganze Männer‹.

Diesen Sinn hatte es, wenn er inmitten alles künstlerischen Schaffens und brieflichen Verkehrs von Person zu Person fortfuhr, seinen einheitlichen großen Gedanken fort und fort auch in kleineren Gelegenheitsaufsätzen zum Ausdruck zu bringen. Der Vollständigkeit halber gedenken wir einer neuen Folge solcher Aufsätze aus den letzten zwei Monaten Oktober und November; so des vom 1. Oktober datierten ›Dankschreibens an den Bürgermeister von Bologna‹ für seine Ernennung zum Ehrenbürger dieser Stadt (S. 21); des ganz wundervollen kleinen Aufsatzes ›Über die Benennung Musikdrama‹ (26. Oktober), mit welchem er der gedankenlosen Abstempelung seiner Schöpfungen als einer Art Zwittergattung zwischen Schauspiel und Oper ein für allemal ein Ende machte; sowie endlich des ›Briefes über das Schauspielerwesen an einen Schauspieler‹ für den, vom Regisseur Ernst Gettke in Kassel herausgegebenen Almanach der Bühnengenossenschaft. Im Eingang des letzteren bezog er sich auf seine inhaltsverwandte, zuletzt entstandene, größere Abhandlung ›Über Schauspieler und Sänger‹. Wie wir ihn in dieser Schrift im Geiste bereits an die künstlerischen Genossen seines Unternehmens sich wenden sehen, deren Gewinnung eine Hauptsorge für das Gelingen war, so hatte er außerdem aber auch schon den Plan einer größeren Reise durch Deutschland gefaßt, um nach den etwa zu gewinnenden brauchbaren darstellerischen Kräften persönlich Umschau zu halten. Damit die Aufführung womöglich im Jahre 1874 stattfinden könne, war für den folgenden Sommer eine Vereinigung sämtlicher mitwirkender Künstler in Bayreuth in Aussicht genommen, um hier unter seiner eigenen Anleitung die Vorstudien für ihre Partieen zu machen. [33] Eine Anzahl junger Musiker, die sogenannte ›Nibelungenkanzlei‹, war eifrigst mit dem Ausschreiben der Stimmen beschäftigt, unter ihnen in erster Reihe Joseph Rubinstein und Anton Seidl, neben ihnen im Lauf der nächsten Jahre noch Franz Fischer, Hermann Zumpe, Emmerich Kastner u.a., von deren keinem wir jedoch den bestimmten Zeitpunkt ihres Eintrittes in diese Funktion jetzt mehr anzugeben vermögen.10 Der Meister war gegen die jungen Leute stets väterlich wohlwollend, indem er sie in seiner großherzigen Art nicht als bloße Angestellte und Lohnarbeiter, sondern als junge Freunde behandelte, und hatte die ›Nibelungenkanzlei‹ zuweilen abends bei sich zu Tisch.

Eine eigne Bewandtnis hatte es unter ihnen vorzüglich mit Rubinstein. Diesen hatte er unter ganz besondern Umständen noch von Triebschen her mit sich gebracht, wo er sich in der allerletzten Zeit vor der Übersiedelung an ihn geschlossen. In einem seltsam ergreifenden Briefe (aus seinem Wohnort Charkow vom Anfang März 1872) hatte er dem Meister, nach der Lektüre des ›Judentums in der Musik‹, sein ganzes Innere aufdeckend, erklärt: er sei Jude und fühle in sich alle die, dort geschilderten, Eigenschaften seines Stammes; es bliebe ihm deshalb als Mensch und Musiker nur die Wahl übrig, entweder zur Pistole zu greifen und sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen oder seine Zuflucht zu dem Manne zu nehmen, der jene Schrift geschrieben und bei ihm Befreiung und Erlösung in der Mitwirksamkeit für seine hohen künstlerischen Ziele zu finden. Daß kein Wort in diesem Brief übertrieben war, hat er späterhin durch sein erschütterndes Ende bestätigt; er vermochte es nicht, was alle Getreuen des Meisters vermochten: ihn – zu überleben. Am 21. April abends, zwei Tage vor Wagners definitiver Abreise nach Bayreuth, hatte er sich in aufgeregter Seelenverfassung, in Begleitung eines Verwandten, auf Triebschen eingefunden: der Meister war gegen ihn die Güte selbst und bot ihm für Bayreuth seinen Umgang an. Hier begann für den Unglücklichen, nervös Überreizten, ein neues Dasein; doch stellte er sich dabei als eine keineswegs leicht zu behandelnde Natur heraus, vielmehr als ein komplizierter Charakter mit seltsamen, häufig recht unbequemen Eigenheiten. Von den übrigen jungen Musikern hielt er sich abseits, und ging in seiner exklusiven Anhänglichkeit an des Meisters Person soweit, daß alle ihm zu erteilenden Aufträge ihm immer direkt erteilt werden mußten, da er sie sonst nicht willig entgegennahm. Nichts destoweniger hat ihm Wagner stets eine unbegrenzte Geduld und Güte bewiesen. Nächst ihm verdient Anton Seidl eine besondere Hervorhebung Ungar von Geburt, durch große musikalische Begabung ausgezeichnet, kam er im Herbst 1872 auf Hans Richters Empfehlung nach Bayreuth, um dort der [34] Nibelungenkanzlei zuerst in eifriger Betätigung anzugehören und schließlich ihr vorzustehen. Seine Treue und Begeisterung, sowie große Leistungsfähigkeit, machte ihn dem Meister bald hervorragend wert; sechs Jahr verweilte er, immer gern gesehen, in dessen Umgebung und besonderem Dienst. Ebenso eifrig, wie die Kopierarbeiten des musikalischen Bureaus, wurden inzwischen die Veranstaltungen für den szenisch-dekorativen Teil der Aufführung betrieben. Für diesen Zweck war er mit dem – ihm vorzüglich empfohlenen – Maler Joseph Hoffmann in Verbindung getreten, der die ihm dargebotene Aufgabe mit Feuer ergriff und nach vorausgegangener allgemeiner brieflicher Verständigung zur persönlichen Besprechung mit dem Maschinenmeister Karl Brandt soeben in Bayreuth eingetroffen war. Wie wenig der Meister selbst, in dessen leitende Hand die Fäden der Verantwortlichkeit für all diese einzelnen Zweige der Vorbereitungen zusammenliefen, sich während und nach der Vollendung der ›Götterdämmerung‹ in der Orchesterskizze eine Erholung gestattete, – das beweist allein ein Blick auf die im Interesse der Unternehmung geführten Korrespondenzen, sowie auf die Zahl der von uns bloß teilweise aufgezählten kleinen Sendschreiben, Aufsätze, Berichtigungen in Zeitschriften, die außer der Abhandlung über Schauspieler und Sänger aus seiner Hand hervorgegangen waren und weiter hervorgingen. Bezeichnend ist es, daß das letzterwähnte dieser kleineren Schriftstücke (der ›Brief über das Schauspielerwesen‹) an seinem Schluß das Datum des ›9. November‹, d.h. des Vorabends seiner Abreise aus Bayreuth trägt! Und vom gleichen Abend ist noch eine Mitteilung an Feustel datiert, alles in denselben schönen klaren Schriftzügen, die einst Liszt mit stolzen ›spanischen Granden‹ verglich.

Unter den gleichzeitig zu erledigenden Anliegen deutscher Theatervorstände verdienen Hervorhebung das Gesuch der Kölner Direktion um eine unverkürzte Aufführung des ›Lohengrin‹ unter des Meisters eigner Leitung und die Bewerbung der Berliner Intendanz um Bewilligung des Aufführungsrechts für den, ›Tristan‹ – – die ›Walküre‹! Angesichts der mühevollen Vorbereitungen für eine korrekte und zusammenhängende Darstellung des ganzen Nibelungenwerkes war die Konzession der Herausreißung eines einzelnen Teiles – vor der authentischen Aufführung des Ganzen – eine pure Unmöglichkeit. Zu den Bedingungen für Überlassung von ›Tristan und Isolde‹ gehörte vor allem die unverkürzte Gestalt des Werkes bei den vier ersten Vorstellungen; später dürften nur solche Verkürzungen stattfinden, die im Einverständnis mit dem Autor gemacht würden. Als Darsteller der beiden Hauptproben wurde das Künstlerpaar Vogl in München, als Dirigent Bülow oder Hans Richter empfohlen. In keinem Fall würde er sich entschließen können, sich für seine Person an dem Einstudieren seines Werkes zu beteiligen.

Am Sonntag, den 10. November, trat der Meister in Begleitung seiner Gemahlin seine Rundfahrt an. Seit langen Jahren ohne Berührung mit den [35] deutschen Theatern, ließ ihn die Nötigung zur erneuten Prüfung ihrer Leistungen nicht ohne Besorgnis Gegen den Eindruck, welchen die Entstellung und Verstümmelung seiner eigenen Werke auf ihn machen würde, hatte er sich schon im voraus durch Resignation gestählt. Dennoch wurden seine schlimmen Erwartungen in mancher Hinsicht übertroffen. In Würzburg machte er zuerst Station und nahm daselbst im ›Hotel Kronprinz‹ Wohnung. Alexander Ritter und Frau (des Meisters Nichte Franziska) hatten ihn sogleich bei seiner Ankunft am Bahnhof empfangen. Mit ihnen gab es in der freien Zeit manchen guten Verkehr, und tausend Erinnerungen an sein erstes Verweilen in dieser Stadt (vor nun bald vierzig Jahren), tauchten auf, als er mit Ritters und seiner Gemahlin die Straßen von Würzburg durchschritt. Gleich am ersten Abend wohnte er in dem dortigen kleinen Theater einer Vorstellung des ›Don Juan‹ bei. Obwohl er einen jeden Einzelnen der hier angetroffenen Sänger und Sängerinnen unter richtiger Anlage für eine vorzügliche dramatische Aufführung gut zu verwenden sich getraut haben würde, vermochte er nur einen Akt der Vorstellung anzuhören, so sehr verleidete ihm die Schwäche der musikalischen Leitung und der Regie den Aufenthalt im Theater11. Schon zwei Abende später (12. November) treffen wir ihn in einer Aufführung des ›Propheten‹ (!) in Frankfurt a. M. ›Die Aufführung einer solchen Meyerbeerschen Oper auf unseren größeren und kleineren Theatern‹, läßt er sich darüber vernehmen, ›ist die Ausübung alles Unsinnigen und Nichtswürdigen, was eine gequälte Phantasie sich nur vorführen kann, und wobei das Entsetzlichste der stupide Ernst ist, mit welchem das Lächerlichste von einer gaffenden Menge aufgenommen wird. Eine dumpfe Bewußtlosigkeit liegt hier auf jeder Physiognomie gelagert: anteillos an allem, was zwischen Bühne und Orchester vorgeht, erwacht alles aus einer tauben Schläfrigkeit nur, wenn die unabweisbare Harangue des Sängers, gleichsam als Schicklichkeitsbezeigung der Uneingeschlafenheit, einen Applaus herauslockt. Nur einmal lachte ein höherer Offizier hinter mir; es galt dies einem im Krönungszuge daherschreitenden Bischof, in welchem der Lacher etwa seinen Bedienten erkannt haben mochte‹. In Darmstadt assistierte er der Aufführung einer liebenswürdigen Oper vom bescheidensten Genre, Aubers ›Maurer und Schlosser‹. [36] ›Wie leid taten mir hier‹, ruft er aus, ›sowohl das Werk wie unsere Sänger!‹ Den letzteren fühlte er sich gedrungen, durchgängig das Zeugnis guter natürlicher Begabung auszustellen. Aber an nichts gewöhnt, wie an die grotesken Effekte der neueren französischen Oper, war dieses Darstellungspersonal jeder Übung im Natürlichen verlustig gegangen. ›So befand sich für die Aufführung dieser ungezierten heiteren Oper jetzt kein Mensch an seinem rechten Platze; die kleinen, aber wirksam zugeschnittenen Gesangstücke, davon auch nicht eines im richtigen Tempo aufgefaßt, glitten seelenlos durch einen, von »großen Opernsängern« wie mit gebührender Verachtung behandelten, sinnlos gewordenen Dialog dahin‹. ›Den eigentlichen Text, d.h. den wirklichen realen Inhalt eines Werkes, kennen unsere Operisten gar nicht mehr; sondern wie Lumpensammler haken sie hier oder dort nur einen Effektlappen zu der ihnen nötig gewordenen Beifallsjacke auf. Doch ward mir an diesem Abende bemerklich, worauf das Ganze eigentlich abzielte: die arme Aubersche Oper war nur das Vorspiel zu einem Ballet, worin Blumenseen und andere wunderschöne Wesen zum Vorschein kommen sollten. Daß ich diesem den Rücken wandte, bezeichnete mich der Intendanz allerdings wohl als einen Barbaren!‹12

Durch das Verstimmende all dieser Mißstände, verfehlter und mangelhafter Leistungen ließ er sich im Einzelnen doch weder in seinem wohlwollenden Interesse, noch auch in seinem Humor stören. Für Dirigenten und Ausübende, sobald er in oder außer dem Theater mit ihnen zusammentraf, hatte er stets ein freundliches und belehrendes Wort. Dem Darmstädter Kapellmeister sang er die ganze Arie des Roger (3. Akt) Takt für Takt vor, und ließ es sich eine Genugtuung sein, ihm an einem einzelnen bestimmten Beifall die Anregung für einen natürlichen, und nicht bloß auf den Applaus berechneten Effektvortrag gegeben zu haben. In der Tat sah er sich aber auch allerorten mit fast stürmischer Herzlichkeit empfangen. Am Freitag, den 15. November, abends halb zehn Uhr traf er in Mannheim ein, wo ihn der treue Heckel bewillkommnete und sogleich im Triumph in seine Privatwohnung brachte. In Heckels Hause angekommen, ließ er sich zuerst alle Räumlichkeiten zeigen, um zur Überzeugung zu gelangen, daß die Familie sich um seinetwillen nicht zu sehr eingeschränkt habe: denn natürlich fand er die besten Zimmer für sich und seine Gemahlin eingerichtet Drei Tage und drei Nächte genoß er die Mannheimer Gastfreundschaft. Von den regelmäßigen Morgenständchen bis zu dem täglich um 12 Uhr genommenen ›Frühschoppen‹, Nohlschen Vorlesungen und mancherlei geselligem Zusammensein wissen Heckels Erinnerungen so viel zu berichten13, daß es dem Leser schwer fällt, die Menge der Ereignisse auf [37] die wenigen Mannheimer Tage zu verteilen. In Heckels Musiksaal trug der Meister am Sonntag (17. November) einem kleinen Auditorium einige Fragmente der ›Götterdämmerung‹ vor: die Nornenszene und Siegfrieds Rheinfahrt Anwesend waren außer der Gemahlin des Meisters und den freundlichen Wirten der Vorstand des Mannheimer Wagner-Vereins, die uns schon von dem ersten Mannheimer Aufenthalt Dezember 1871 bekannten ›fünf Gerechten‹14, und einige herbeigeeilte Verehrer aus Baden-Baden (Richard Pohl) und Heidelberg (Prof. Nohl). Durch die in Frankfurt und Darmstadt empfangenen Eindrücke bereits zu einer gewissen Gefühllosigkeit abgestumpft, empfand er kein Widerstreben, noch am gleichen Abend im Mannheimer Hof-und Nationaltheater einer Aufführung seines ›fliegenden Holländers‹ unter Vincenz Lachners Leitung bei zuwohnen. Es belustigte ihn zu vernehmen, daß diese, einen gültigen Opernabend kaum ausfüllende Musik, ursprünglich von ihm zur Aufführung in einem einzigen Akte bestimmt, dennoch in Mannheim einer ganz besonderen Streichoperation nicht entgangen war. Man sagte ihm, die große Arie des Holländers, sowie sein Duett mit Daland seien gestrichen, und man führe davon nur die Schlußkadenzen aus. Er wollte das nicht glauben, aber er erlebte es. Schon daß Lachner die Ouvertüre ohne den später beigefügten, allein gültigen Schluß spielen ließ, berührte ihn höchst unangenehm. Dann kamen die sinnlosen Striche des ersten Aktes. ›Dagegen betraf es mich nun‹, so erzählt er selbst, ›als ich im zweiten Akte die Szene der Senta mit Erik nicht gestrichen fand. Ein Tenorist, der das Unglück hatte, sogleich bei seinem Auftreten Ermüdung um sich zu verbreiten, schien auf der vollständigen Ausführung seiner Partie bestanden zu haben, und der Dirigent hierfür sich dadurch zu rächen, daß er das Tempo der Liebesklagen Eriks mit regelmäßig ausgeschlagenen Vierteln zu einer wahrhaft peinigenden Breite ausdehnte.‹ Als dann im weiteren Verlauf die Lachnerschen Striche noch das Maß seiner Erwartungen übertrafen, verließ er das Theater nach dem zweiten Akte, aufs äußerste empört und ohne auf den lauten Applaus des Publikums zu achten, das den Meister zu sehen verlangte. ›Ich glaubte, mit meinem Studium dieses seltsamen Dirigentencharakters zu Ende zu sein, und war zur Fortsetzung desselben nicht mehr zu bewegen‹. Dahingegen hatte ihn an der Bauart des Theaters der Umstand interessiert, daß zwischen Bühne und Zuschauerraum ein in den Seiten vertiefter leerer Raum gelassen war, an Stelle der sonst bis dicht an die Szene herangerückten Proszeniumslogen, wodurch die Isolierung des szenischen Bildes vorbereitet wurde, wie sie ihm für das zu errichtende Festspielhaus vorschwebte. Er unterließ es umsoweniger den vortrefflichen Gedanken des Baumeisters gegen Heckel zu loben, als der kunstsinnige Architekt, dem das Mannheimer Theater diesen glücklichen Umbau verdankte, [38] dessen eigener Schwiegervater, der geniale Theatermaschinist Mühldorfer gewesen war; doch hat er diese Anerkennung, bei welcher jedenfalls kein persönliches Moment ins Gewicht fiel, späterhin noch einmal öffentlich wiederholt (Ges. Schr. IX, 402).

Nach Heckels Erwähnung habe der Meister während des Mannheimer Aufenthaltes gerade die Korrektur der Druckbogen der ›Meistersinger‹-Dichtung besorgt Offenbar handelte es sich dabei um die Korrekturbogen der ›Gesammelten Schriften und Dichtungen‹ (Band VII), die ihn zu Hause wie auf Reisen überall nachfolgten und die er, wie altes, persönlich und eigenhändig erledigte. ›Als er, mit dieser Korrektur beschäftigt, bei mir am Fenster saß‹, so erzählt Heckel, ›amüsierte es ihn köstlich, daß eine lange hagere Gestalt im Hause gegenüber gravitätisch auf und ab ging und seine Aufmerksamkeit durch ein Poesiebuch in leuchtendem hochroten Einband zu erwecken suchte. Es war der damalige Hoftheaterpräsident R., der es ablehnte, von ihm Notiz zu nehmen, bevor ihm der Meister einen, »pflichtschuldigen« Besuch gemacht!‹ Auch berichtet derselbe Gewährsmann von einem Abend bei dem vortrefflichen Dr. Zeroni (Montag, 18. Nov.) zu welchem außer dem Meister und seiner Gemahlin wiederum sämtliche ›fünf Gerechte‹ vom Mannheimer Vereinsvorstand versammelt waren. ›Auf Zeronis Toast erwiderte Wagner in so herzlichem Ton und sprach in so ergreifender Weise, daß uns die Augen feucht wurden. Später sang er verschiedene Teile aus den »Meistersingern«, zuerst allein, dann gemeinsam mit Ferd. Langer (dessen Vortragsweise seinen vollen Beifall fand) das Zwiegespräch zwischen Hans Sachs und Evchen. Als Hänlein und Zeroni den, »Kaisermarsch« spielten, stimmte er kräftig in den Schlußgesang ein. Am nächsten Morgen schenkte er mir, nachdem wir verschiedene, das Bayreuther Unternehmen betreffende Fragen besprochen hatten, seine neue Broschüre »Über Schauspieler und Sänger« und schrieb auf den Umschlag eine Widmung, welche mir als Zeichen herzlicher Anerkennung gilt‹.15 Auch der Telegraph hatte in den Mannheimer Tagen bis zum letzten Augenblick nach allen Himmelsrichtungen begreiflicherweise viel zu tun, da es sich um eine feste Ordnung der – von allerlei Umständen abhängigen – Weiterreise handelte. Als freundliches Intermezzo schwebte vorübergehend auch ein kurzer Aufenthalt in Basel vor, worauf sich Nietzsches briefliche Äußerung gegen Rohde bezieht: ›für Freitag Abend (22. Nov.) ist mir der Besuch Wagners und Frau angekündigt, etwa auf eine Woche; inzwischen unaufhörliches telegraphisches Wetterleuchten zwischen Basel, Mannheim und Darmstadt‹.16

[39] Am 20. verließ er Mannheim, zunächst aber nur, um noch einmal nach Darmstadt zurückzukehren. Weshalb, das gibt ein Schreiben an Feustel an, dem er von hier aus über seine bisherigen, in bezug auf die Gewinnung tüchtiger Sangeskräfte, fast nur negativen Erfolge Bericht erstattet. ›Ich habe nun bereits vier Theater verschlungen, und leider sehr viele Festessen und Freundesspeisungen durchmachen müssen. Als bestimmte Ausbeute habe ich bisher nur eine Sängerin, und zwar hier in Darmstadt – wohin ich deswegen noch einmal zurückgekehrt bin – angetroffen; diese ist aber allerdings von größter (noch unerkannter) Vortrefflichkeit.‹ Es kann nur Frau Jaïde gemeint sein. ›Heute abend ist Festbankett des (Darmstädter) Wagner-Vereins. Morgen bin ich in Stuttgart‹ etc. Auch ist bereits in diesem Briefe nebst dem allgemeinen Versprechen, für die gemeinsame Sache eifrig zu wirken, insbesondere schon im voraus von einem in Hamburg zu dirigierenden Konzerte die Rede. Dazwischen der Ausruf: ›Wer mir diese Reisen hätte abnehmen können, dem gäbe ich gern alle mir erwiesenen Ehren zum Weihnachtsgeschenk!‹ – Der nächstfolgende Tag sah ihn, wie gemeldet, bereits in der württembergischen Residenz. ›Der König von Württemberg ist uns ebenfalls geneigt, und es wird da etwas erfolgen‹, meldet er an Feustel Diese Hoffnung war ihm nicht in einer persönlichen Audienz, wohl aber durch seinen Verkehr mit dem ihm empfohlenen Hofrat Hemsen erweckt worden, der als Vorleser des Königs mit der literarischen Unterhaltung Sr. Majestät betraut, wohl ›imstande war, durch Mitteilungen von dieser Seite her dem mir zugekommenen günstigen Berichte eine ernst schmeichelnde Bedeutung zu geben.‹17

Der südlichste Punkt seiner Tour war diesmal Straßburg (22. Nov.), da sich Basel wegen anderweitig drängender Vorhaben nicht ermöglichen ließ. Dafür kam Nietzsche nach Straßburg herüber, dem Meister zur Freude und sich selbst zum Nutzen und zur Ermutigung. ›Wir wohnten‹, schreibt er an Rohde, ›im Hotel Ville de Paris nebeneinander und haben ordentlich nachgeholt, was man bei dem Auseinanderleben alles einbüßt. Von Dir war immer so die Rede, als ob Du unter uns wärest‹. In diesem Sinne berichtete er dem abwesenden Freunde über den außerordentlichen Eindruck, den seine Schrift auf Wagner und Frau gemacht, ›ebenso auf die Gräfin Muchanoff‹. ›Wir beide meinten‹, fügt er hinzu, ›mit einem solchen polemischen Meisterstück könne man in Frankreich mit einem Schlage berühmt werden‹. Einstweilen war – für Deutschland! – die gemeinsame Befürchtung nur die, daß Rohdes großmütiger Schritt ihm seine ganze Universitätskarriere verderben und ihn in ein wahres Nest von Mißgunst und Bosheit hineinführen werde! Soeben [40] hatte Nietzsche das etwas bedrückende Faktum erlebt, daß zwar sein Buch tatsächlich in Leipzig vergriffen, dafür aber zu Beginn des Wintersemesters in Basel – die Philologen ausgeblieben waren! Die Fehme hatte ihre Schuldigkeit getan.18 In diesem Sinne äußert auch ein Brief von Frau Wagner (vom 23.) (– ›ich habe gesehen, wie sie ihn vollendete‹, heißt es in Nietzsches Nachricht –) ihre zartfühlende Besorgnis: ›Ich kann sagen, daß selten eine Schrift mich so ergriffen hat und mir so wohl getan; wohl und weh, denn sie ist eine Tat, deren weittragende Folgen Sie sicherlich vorausgesehen haben, wie ich sie förmlich eintreten sehe. So bang nun, bei dem Erkennen der äußeren Lage, mein Gefühl ist, so sicher, fest und über alle Not erhaben ist es, wenn ich an die gegen alle äußere Rücksicht mächtige Regung denke, die Sie bestimmt hat, und so rufe ich: Heil Ihnen, daß Sie so sind, und so denken, und so handeln!‹19 Im übrigen waren zwischen allen sonstigen unerhörten Anstrengungen diese Straßburger Tage rein der Ausspannung und Erholung gewidmet. ›Wir verlebten‹, so erzählt Nietzsche davon, ›mit- und beieinander zwei und einen halben Tag ohne alle sonstigen Geschäfte, sondern erzählend und spazieren gehend und Pläne machend und der herzlichen Zueinandergehörigkeit uns gemeinsam erfreuend‹. Wir könnten hier beispielsweise eines gemeinsamen Besuches gedenken, den der Meister mit seiner Gemahlin und Nietzsche im Hause seiner Nichte, Klara v. Kessinger, der (dritten) Tochter seiner Schwester Luise Brockhaus, gemacht. Sie war unter seinen Nichten immer sein besonderer Liebling gewesen, wie eine Anzahl schöner Briefe und Briefchen aus der Züricher Periode beweisen; ursprünglich zur Sängerinnenlaufbahn bestimmt, die sie bereits mit Glück angetreten, entsagte sie derselben bei ihrer Verheiratung mit dem Major (später General) v. Kessinger. Dieser stand damals in Straßburg und so kam es zu einem beiderseits fast unvermuteten Wiedersehen; die noch lebende Tochter des Paares, Christa v. Kessinger, erinnert sich noch heute lebhaft dieses Besuches und der Mitanwesenheit des Baseler Professors ›Wagner war mit seiner Reise sehr zufrieden‹, fährt letzterer in seinem brieflichen Berichte fort, ›er hatte tüchtige Stimmen und Menschen gefunden und zu allem Unvermeidlichen gerüstet. Der ganze Winter geht darauf, denn nach Weihnachten geht es nach dem östlichen Norden Deutschlands, besonders [41] nach Berlin, wo auf drei Wochen etwas Halt gemacht werden soll.‹20 Auch Nietzsche hatte sich in den ersten Monaten nach der Grundsteinlegung mit einem ›Plan‹ für diesen Winter getragen: er wollte in den größeren Städten Deutschlands als Bayreuther ›Wanderredner‹ öffentliche Vorlesungen halten, deren Einnahmen für den Theaterbau bestimmt sein sollten Meister und Jünger wären in diesem Falle gleichzeitig im Dienste der Sache tätig gewesen, und so gut es den Gegnern zu gelingen schien, den kühnen jungen Neuerer als Schriftsteller durch üble Rezensionen zu verdächtigen, so wenig hätte man seiner fesselnden Persönlichkeit widerstehen können, wäre diese erst selbst auf das Feld getreten. Leider scheiterte das Projekt an mancherlei, wie es scheint, rein geschäftlichen Schwierigkeiten und in diesen Straßburger Novembertagen ist kaum noch davon die Rede gewesen.

Von Straßburg aus begab er sich zunächst nach Karlsruhe. In dem ehemals durch seine dramaturgischen und choregraphischen Leistungen (unter Ed. Devrients Leitung!) sich bevorzugt dünkenden Hoftheater hatte er in einer Vorstellung des ›Tannhäuser‹ vorzüglich nur die Schwäche der Regie zu bewundern. ›Als Zeichen der Wirksamkeit des Regisseurs nahm im zweiten Akte eine sonderbare Bewegung der Herren und Damen vom Chor wahr, welche, nachdem sie rechts und links als Ritter und Edelfrauen sich versammelt, nun mit der Ausführung eines regelmäßigen »Chassé croisé« des Kontretanzes ihre Gegenüberstellung wechselten.‹21 Dagegen hielt er es für ratsam, sich bei seinem alten Gönner und Beschützer, dem Großherzog, zu einer Audienz zu melden, und sich dabei seiner Teilnahme für sein großes Lebenswerk zu versichern. ›Ich habe den Großherzog von Baden besucht, und glaube damit gut getan zu haben‹, schreibt er darüber an Feustel, den er auffordert, einiges gedruckte Material, wie den letzterschienenen Bericht des Verwaltungsrates und eben fertig gewordene Photographien des zukünftigen Festspielhauses (nach Brückwalds Zeichnungen) an die hohe Adresse zu übermitteln. Auch bestellte er auf seiner Weiterreise nach Mainz und Wiesbaden, über Mannheim, Heckel telegraphisch auf den Bahnhof, um ihm daselbst auf der Durchfahrt über die Unterredung mit dem Großherzog mündlich Bericht zu erstatten. ›Wir reisen der Kreuz und der Quere, ermüden uns sehr, werden aber aushalten‹, heißt es in der eben erwähnten Nachricht an Feustel. ›Die Vereine von Darmstadt und Mainz haben mich überrascht und erfreut, wobei auf der Straße die Regimentsmusiken nie fehlten‹. Dasselbe besagen die launigen Reime an Heckel, mit denen er eine Sendung von Schriften an diesen begleitete: ›In Mainz war es kein kleins – im Schoße des Wagner-Vereins – [42] Musikkorps hinten und vorn – bliesen in das Bayreuther Horn!‹ Als Vorstand des Wagner-Vereins begrüßte ihn freudig sein treuer Verleger Franz Schott, zugleich seit Jahren Bürgermeister der Stadt Mainz. Auch einer ›Fidelio‹-Aufführung im Mainzer Stadttheater wohnte er bei und erfreute sich dessen, bei dem Kapellmeister manche vortreffliche Dirigenteneigenschaften wahrzunehmen: ›hier war große Präzision ohne jede Affektation, wobei bereits vieles, sowohl im Tempo, wie im dynamischen Vortrage, richtig Erfaßte vorkam‹. Im übrigen handelte es sich gerade hier in Mainz um mehr als bloße Bewillkommungen und Festessen, nämlich um Besprechungen von weittragender Bedeutung mit seinen, in Mainz und im benachbarten Wiesbaden domizilierenden Geschäftsbevollmächtigten Voltz und Batz, von letzteren mit gebührender Lebhaftigkeit betrieben und sogar in ihren Ergebnissen für die Freunde im Verwaltungsrat zu Papier gebracht, als spezifizierter Vorschlag, wie mit den zahlreichen zerstreuten Vereinen vorgegangen werden müsse, um bis zu einem bestimmten Termin, etwa bis Ende Januar 1873, die nötigen Resultate zu liefern. Denn hierauf kam alles an. Seit mehr als Jahresfrist gab es nun in allen größeren Städten ›Wagner-Vereine‹, mit Bemühungen, Aussichten und Versprechungen, aber ohne wesentlich bemerkbare Erfolge ihrer Tätigkeit. Es galt demnach einer Aufforderung zu verschärften Maßnahmen. Die Hoffnung, daß hiervon ein kräftiger Vorschub für die Sache zu gewärtigen sein werde, die ermutigende Vorstellung einer tätigen Gesamtheit machte ihm auch jene ›Regimentsmusiken‹ erst erträglich und erfreulich. In dieser Stimmung sind die beiden soeben zitierten Nachrichten an Feustel und Heckel abgefaßt. ›Morgen‹, heißt es in der ersteren, aus Wiesbaden datierten, ›gehe ich nach Köln, wo sich im Augenblicke vieles in Bewegung setzt. Dann kommen neben Köln noch Aachen, Düsseldorf, Hannover, Bremen, Braunschweig, Kassel u.s.w. daran, damit wir uns ein ruhevolles Weihnachtsfest in Bayreuth bei den Kindern und unseren lieben Freunden verdienen. Zu Neujahr geht es dann wieder auf lange Zeit fort!‹ –

Bei seinem Eintreffen in Köln war das Erste wiederum eine festliche Begrüßung durch den Wagner-Verein, an dessen Spitze der regsame und ergebene August Lesimple stand. Auch hier war für die Zeit seines dortigen Aufenthaltes eine größere gesellige Vereinigung dortigen Freunde und Verehrer geplant. Eine Aufführung der ›Zauberflöte‹ im Stadttheater (Sonntag, 1. Dezember) machte in jeder Hinsicht den übelsten Eindruck. Die Regie charakterisierte sich ihm schon durch den bloßen Umstand, daß sie beim Erscheinen der Königin der Nacht es auf der Bühne ruhig – Tag bleiben ließ. Mit der musikalischen Leitung war es entsprechend bestellt. ›Es könnte der Mühe lohnen,‹ schreibt er selbst, ›den ersten Akt der »Zauberflöte« genau so wie ich ihn zu hören bekam, auf das Zeugnis der Sänger hin Satz für Satz durchzugehen, um das Unglaubliche darzulegen,‹ nämlich: die herrschende Auffassung Mozarts [43] unter der Pflege unserer Konservatorien und Musikschulen der ›Jetztzeit‹! In dem Kapellmeister lernte er außerhalb des Theaters einen ›wahrhaft gebildeten Mann‹ kennen, welcher ›erst spät die Musik als Fach und den Theatertaktstock als Amt ergriffen zu haben schien.‹ Er konnte ihm deshalb nur wünschen, immer mehr zur Einsicht zu gelangen, wie schwer es sei, dem Theater von außen her beizukommen, und mit dem eigentümlichen Geiste vertraut zu werden, der die Seele einer dramatischen Aufführung ist.

Unter dem Kölner Personal traf er seinen jungen Sänger Franz Diener (S. 22) wieder an, der ihm zuletzt in Bayreuth einen so hoffnungsvollen Eindruck gemacht, dann aber doch der verderblichen Versuchung nicht hatte widerstehen können, ein ihm vorteilhaft dünkendes Engagement der Kölner Oper anzunehmen Lesimple erzählt als Augenzeuge von einer Audition, die ihm Wagner damals bewilligte. In froher Hoffnung setzte sich der Meister an den Flügel und gab Diener das Zeichen, ›Lohengrins Abschied‹ zu singen. Es dauerte aber nicht lange, da schloß er ganz ruhig das Klavier und sagte ganz einfach: ›Gute Nacht, Herr Diener.‹ Wir waren beide bestürzt, Wagner ging einigemal im Zimmer auf und ab, tadelnde Worte ausstoßend. Da ergriff ich seine Hand und schilderte des armen Künstlers Angst und Verlegenheit, ihn bittend, er möge ihn, nach gegebener Belehrung, wieder vornehmen Wagner, der ja auch sehr gutmütig (!!) war, gab nach, sang einzelne Stellen vor und lud dann Diener zum Nachsingen ein. Dem Armen schwoll das Herz vor Freude. Nun fiel die Probe so gut aus, daß der Meister erfreut sagte: ›Singen Sie den Lohengrin in solcher Behandlung, dann gratuliere ich.‹22 Mit diesem jungen Sänger sollte der Meister, wie wir vorausgreifend bemerken, noch viel zu tun haben, bis sich die Unmöglichkeit seiner Verwendung zu der ihm zugedachten Aufgabe herausstellte Zunächst begab er sich, immer noch in der Hoffnung auf seine Verwendbarkeit, am 3. Dezember von Köln aus nach Bonn, wo Diener an diesem Abend in einer (äußerst mangelhaften) Aufführung der ›Stummen von Portici‹ sich in seinem vollen Glanze zu zeigen gedachte. Mit Sicherheit konnte er ihm voraussagen, seine Stimme werde nach einigen Jahren des ›Repertoire‹-Singens am Theater dermaßen gelitten haben, daß er ferneren Erfolgen als Sänger nicht mehr werde entgegensehen können. ›Dieses Urteil begründe ich darauf, daß Sie, jedes eigentlichen Vortrages unkundig, stets nur mit höchster Anstrengung Ihres Stimmorganes singen und hierbei notwendig in die Überbietung Ihrer Kräfte verfallen müssen.‹ Buchstäblich verwirklichte sich die prophetische Voraussage: der blühend kräftige junge Mann, der hier vor ihm stand, starb, kaum 30 Jahr alt, an Herzschwäche, nachdem er von Engagement zu Engagement eilend, in Köln, Berlin, Hamburg, Dresden tätig [44] gewesen und zuletzt von Pollini mit einem Jahresgehalt von 60,000 Mark honoriert worden war. ›Den nötigen Vortrag kann sich gegenwärtig kein Sänger durch bloße Routine auf unsern Theatern aneignen, sondern nur durch ein sehr genaues Studium,‹ schrieb ihm der Meister bald nach ihrem Kölner Zusammentreffen. ›Wollen Sie sich mit vollem Ernst der Kunst weihen – und dies ist die einzige Annahme, in der ich mich mit Ihnen beschäftigen kann! – so haben Sie zunächst nach nichts zu fragen, als wie Sie Ihre Lehrzeit überdauern können. Die notdürftigen Mittel zu dieser Ausdauer glaube ich Ihnen bieten zu können. Sind Sie dann etwas Rechtes, so wird es Ihnen am Weiteren nicht fehlen.‹ Wirklich begab sich Diener infolge dieser wohlwollenden Einladung nach Bayreuth, wo er einige Zeit verweilte und das Interesse des Meisters noch stark in Anspruch nahm, bis es sich herausstellte, er sei zum ›Siegfried‹ nicht berufen. Es fehlte ihm an der nötigen Kraft und Geduld, sich von Grund aus umzubilden und so begab er sich von neuem in die – gerade ihm so verderbliche – Theater-Tenoristenlaufbahn.

Kehren wir einstweilen nach Köln zurück. Die gesellige Vereinigung am 4. Dezember im großen Saale des Hotel Disch umfaßte weder hundert noch tausend, sondern alles in allem gegen sechzig Personen. Diesem engeren Kreise hatte der Meister eine Art Vorlesung über seine künstlerischen Ziele angekündigt. Es waren Männer aller Berufsgattungen; überwiegend war jedoch die Kunstwelt, und zwar in ihren verschiedenen Gebieten, Musik, Malerei, Bildnerei vertreten. Ferdinand Hiller befand sich nicht darunter. Gerade durch ihn war vielmehr Köln seit Jahrzehnten eine Art Hochburg gegnerischer Bestrebungen geworden. In den Augen seiner urteilslosen dortigen Anbeter trug eben diese ›gegnerische‹ Stellung wesentlich zur Erhöhung seiner nichtigen Persönlichkeit bei; sie bekam ihm daher gar nicht übel. Was er in seinem privaten und öffentlichen Urteil dem großen ehemaligen ›Freunde‹ an Ehrerbietung entzog, wob sich als seltsam unbegreifliche Glorie um sein eigenes Haupt. Der Erfolg dieser feindseligen Haltung war aber der, daß Köln damals eine der ganz wenigen deutschen Städte war, in welchen z.B. – die ›Meistersinger‹ noch nicht möglich geworden waren! Es war ein feindliches Terrain. In diesem Sinne bezeichnen die gleichzeitigen Berichte das kleine Kontingent – eingeladener – Zuhörer als eine ›stattliche Zahl‹. Um sieben Uhr erschien, mit der ihm eigenen unfehlbaren Pünktlichkeit, die er auch von anderen stets voraussetzte, der Meister mit seiner Gemahlin. ›Die Anwesenden, welche sich zu seinem Empfang von ihren Plätzen erhoben, freundlich grüßend begab er sich mit kurzen, schnellen Schritten zu dem für ihn bestimmten Ehrensitz Seine Gattin blieb an seiner Seite; das geistreich geschnittene Profil ließ auf den ersten Blick die Tochter Liszts erkennen. Als der Meister Platz genommen, konnte man seine Züge, hell beleuchtet durch den vor ihm stehenden Armleuchter, genauer studieren. In schlichter, erzählender Weise hielt er dann [45] einen Vortag über die von ihm verfolgten Aufgaben und Ziele. Wie Lessing auf dem Gebiet der Schaubühne Bahn gebrochen, den wälschen Tand beseitigt und die deutsche Nation zum Bewußtsein ihres Wertes in Stoff und Darstellung gebracht, so wolle er das musikalische Drama, das noch so ganz in den Fesseln des Auslandes läge, aus diesen Fesseln befreien und eine deutsche Kunst herstellen, aufgebaut auf den großen Ideen der deutschen Sage und Geschichte (?), frei von dem Schnickschnack französischer und italienischer Librettofabrikation. Von selbst kam er hierbei auf seine eigenen Lebenserfahrungen, reich an Kämpfen und Enttäuschungen aller Art, und gewährte so den gespannt lauschenden Zuhörern das ergreifende Bild eines fast dreißigjährigen Ringens um ein ideales Ziel, das dem geistigen Auge zwar nie verloren, durch Mißgunst der Menschen jedoch, wie der Verhältnisse, durch Mißverständnisse und Anfeindungen aller Art ihm zu Zeiten ewig unerreichbar erschienen war, und doch heute der ersehnten Erfüllung harre. Im Verlauf der Rede erwuchs Ton und Ausdruck zu immer größerer Energie. Tief ergreifend war auf alle Anwesenden der Eindruck des fünfviertelstündigen Vortrages, anhaltender Beifall bezeugte die allseitig gewonnenen Sympathieen. Dann verließ er mit seiner Gattin den Saal, um bald darnach zu dem, ihm zu Ehren veranstalteten Souper wiederzuerscheinen.‹23

Auch von den weitern Vorgängen dieses Abends wird uns in denselben gleichzeitigen Nachrichten ein lebendiges Bild entworfen. ›Vor Beginn des Soupers wurde eine Anzahl von Künstlern und Kunstfreunden dem Meister vorgestellt und alle, denen es vergönnt war, sich mit ihm zu unterhalten, waren entzückt von seiner anspruchslosen Bescheidenheit und natürlichen Liebenswürdigkeit.‹ Ein Zwischenfall während dieses Abends ist allen Teilnehmern unvergeßlich geblieben und kehrt in allen Schilderungen derselben wieder.24 In der anstoßenden Veranda intonierte ein tüchtiges Militärorchester, die Kapelle des 16. Infanterie-Regiments, zur Begrüßung des hohen Gastes den Tannhäusermarsch und darauf die ›Freischütz‹-Ouvertüre. Während des Schlusses der letzteren sah man ihn auf seinem Stuhle ungeduldig hin und her rücken. Plötzlich sprang er auf und ehe die überraschten Tischgenossen es sich versahen, stand er mitten unter der Kapelle. Auf ein Zeichen des Kapellmeisters verstummte die Musik und alle Musiker erhoben sich. ›Meine Herren‹, sagte er, nachdem er wegen der Störung um Entschuldigung gebeten, ›ich habe die Ouvertüre unter des Meisters Leitung noch in Dresden gehört und mir die Tradition seiner Direktion, namentlich die Auffassung des letzten Teiles, wohl bewahrt. Sie erlauben, daß ich Ihnen dieselbe, für Ihre ferneren Aufführungen [46] des Tonstückes, mitteile.‹ Er ergriff den Taktstock, bezeichnete den Eintritt des C dur nach der großen Fermate als Anfang, erläuterte die Vortragsweise und nun gings los. Sämtliche Anwesende hatten sich von den Plätzen erhoben, und sahen durch die großen Fenster der Veranda dem interessanten Vorgange mit äußerster Spannung zu. Rührend war es zu sehen, wie die jungen Musiker, wie im Traum, mit angehaltenem Atem und mit aufgerissenen Augen an jeder Fiber seines Gesichtes hingen. ›Neben den stolzen Erinnerungen von Mars la Tour und Beaune la Rolande (heißt es in der Wiedergabe dieser Szene durch die »Kölner Nachrichten«) wird ihnen zeitlebens der Abend im Gedächtnis bleiben, an welchem der große deutsche Meister, der ihnen bisher nicht mehr als eine sagenhafte Gigantengestalt war, in eigener Person ihre Leistungen dirigierte.‹ Wagner ließ die Stelle – etwa 26 Takte in C dur – mehrmals wiederholen und siehe da, die längst bekannten Takte erschienen in einem ganz neuen Licht.25 – Während des Festes wurde gar mancher Toast ausgebracht und Wagner, immer schlagfertig, erwiderte alle auf der Stelle. ›Mit jeder neuen Ansprache fielen den Hörern die Schuppen mehr von den Augen. Den Glanzpunkt des Abends bildete unstreitig die letzte Rede, eine Darlegung voll Begeisterung und doch voll männlicher Ruhe und Würde, voll kräftigen Eifers über die im Schwange stehenden Versündigungen gegen die Kunst und doch voll Versöhnlichkeit und Schonung, voll sicheren Selbstbewußtseins und doch voll Bescheidenheit, dabei von einer Logik und Klarheit in Ausdruck und Entwickelung, daß man mit Bitterkeit an die noch neuerdings in der Presse aufgetretenen Versuche erinnert wurde, den großen Bahnbrecher, diesen Helden und Märtyrer der Kunst, als einen von blinder Selbstüberschätzung getriebenen, von Haß und Verachtung gegen alle Andersdenkenden erfüllten, in seinem Denkvermögen getrübten Abenteurer darstellen zu wollen.‹26 Vom Theaterorchester erschien später noch das Hornquartett, um im Vestibüle einige Kompositionen des Meisters ihm zu Ehren erschallen zu lassen. Die Art, in welcher ihnen der Gefeierte mit warmen Worten seinen Dank ausdrückte, legte davon Zeugnis ab, wie er auch für den geringsten seiner Kunstgenossen ein Herz hatte Obwohl es schon gegen Mitternacht war, als er [47] den Saal verließ, blieb die von all den empfangenen Eindrücken lebhaft erregte Gesellschaft zum Teil noch bis drei Uhr morgens versammelt.

Eigentümlich berührte es selbst in den wohlmeinendsten Kölner Zeitungsberichten, zwischen den mündlichen und den literarischen Kundgebungen des Meisters – offenbar in der löblichen Absicht, manchen bisherigen ›Gegnern‹ (!) goldene Brücken zu bauen! – einen künstlichen Unterschied gemacht zu sehen, der höchstens auf der Unfähigkeit des Hörers und oberflächlichen Kenntnis dieser Schriften beruhen konnte. ›Ich habe,‹ schreibt bald darauf Rhode an Nietzsche, ›in den Zeitungen Wagners Reise nach Talenten anteilvoll verfolgt, und mich sehr über die ridiküle Onkelmiene ergötzt, mit der Kölner und Bremer Zeitungen ihm das Zeugnis ausstellen, in persönlicher Gegenwart bei weitem nicht so »anmaßend« zu sein, wie in seinen Schriften – von denen die Esel nichts, aber nichts verstehen! Dann wundern sie sich, wenn die dämonische Einwirkung des Mannes selbst nicht zu den Gemeinheiten stimmt, die irgendwelchelitterati sine litteris aus einzelnen Broschüren herausdestilliert haben!‹ Aber auch dem Meister selbst scheint durch manche zeitunglesende Freunde von diesen Auslassungen berichtet worden zu sein, weshalb er in seinem eigenen Rückblick auf die Ergebnisse dieser Rundreise besonders darauf Bezug nahm. ›In Köln begegnete es mir, vor Befreundeten mich mündlich vernehmen lassen zu dürfen; in sehr wohlwollender Weise ward in einer Zeitung darüber berichtet, namentlich aber hervorgehoben, daß ich bei ähnlichem persönlichen Verkehr mich ungleich milder ausspräche, als in meinen schriftlichen für die Öffentlichkeit bestimmten Auslassungen, wo es schiene, als ob ich meine Feder in Gift tauche. Gewiß ist es wohl etwas anderes, wenn ich aus mir spreche, oder zur Öffentlichkeit schreibe: hier habe ich eine Feder einzutauchen, und die Öffentlichkeit bietet mir hierfür eben nicht Honig.‹27

Über Deutz ging die Reise zunächst nach Düsseldorf, wo er in die seltsame Lage geriet, einer Oratorien-Aufführung (5. Dezember) beizuwohnen, in welcher, außer Diener, noch andere gastierende Sänger sich vernehmen lassen sollten. Es handelte sich, wie ihm versichert wurde, um einen ›ganz herrlichen, durchaus klassischen, Händelschen »Salomon«, zu welchem der selige Mendelsohn selbst für die Engländer die Orgelbegleitung gesetzt hatte.‹ – ›So etwas,‹ berichtet er darüber, ›muß ein uneingeweihter Musiker, wie ich, einmal mit angehört haben, um sich einen Begriff davon machen zu können, woran diese Herren von der »reinen Musik« ihre Gläubigen sich zu ergötzen nötigen! Aber diese tun es. Und herrliche Musiksäle bauen sie ihren hohen Priestern auf: darin sitzen sie, verziehen keine Miene, lesen im Texte nach, wenn oben auf dem Bretterbau ihre lieben Verwandten Jehova-Chöre singen, und Jupiter selbst ihnen den Takt dazu schlägt.‹28 Er fand nicht, was er brauchte, hielt [48] es nicht über den ersten Satz aus, und flüchtete, trotz aller an ihn ergehenden Einladungen zu ›Festessen‹ und feierlichen Begrüßungen, noch an demselben Abend in eiliger Nachtreise nach Hannover, wo er um 2 Uhr anlangte und sich in den ›Rheinischen Hof‹ als Absteigequartier begab. Hier wohnte er am folgenden Abend einer wiederum äußerst unbefriedigenden Aufführung des ›Oberon‹ bei, die ihn mit den schmerzlichsten Empfindungen erfüllte, trotz des sehr schönen Hauses und sehr schönen Orchesters. Daß er auf dieser flüchtigen Durchreise im Theater erschienen sei, ohne von dem Intendanten Herrn von Bronsart Notiz zu nehmen, darüber beschwerte sich dieser letztere in einer späteren brieflichen Bemerkung gegen Bülow29; aber erstens war er auch an anderen Orten mit Intendanzen und Direktionen in keinen offiziellen Verkehr getreten; andererseits deutet gerade der Zusammenhang jener Beschwerde darauf hin, daß dieser Unterlassung bei aller Hochachtung vor Herrn v. Bronsart vielleicht gerade ein ganz besonderes Takt- und Feingefühl zugrunde gelegen habe.

Am 7. Dezember in Bremen eingetroffen, besuchte er tags darauf eine Vorstellung der ›Meistersinger‹ im dortigen Stadttheater. Es war die erste dieses Werkes, welche er seit den von ihm selbst in München geleiteten Aufführungen erlebte. Ein zahlreich versammeltes Publikum bereitete ihm eine enthusiastische Aufnahme, die sich in begeisterten Ovationen bei seinem Eintreten, nach dem zweiten Akte und nach dem Quintett des dritten Aufzuges kundgab. Er erwiderte von seinem Logensitze aus den jubelnden Zurufen, indem er sich mit grüßender Handbewegung nach allen Seiten hin verneigte. Eben weil er der Darstellung manches Vorzügliche zusprechen durfte, ließ sie ihn auf den Charakter anderweitiger Vorführungen des Werkes auf den deutschen Theatern betrübende Folgerungen ziehen. Besonders im dritten Aufzug, der in München am lebhaftesten gewirkt, war Dialog und Handlung durch schonungslose Striche schattenhaft unverständlich geworden. Während er selbst hierdurch in peinliche Zerstreutheit versetzt wurde, schien ihm auch das Publikum ermüdet und der im übrigen tüchtige Dirigent des Orchesters, Herr Theodor Hentschel, der sich bis dahin in fast ununterbrochen richtigem Tempo erhalten, aus eben diesem Grunde von einem Mißverständnis in das andere zu verfallen. Am traurigsten mußte es ihn dabei wohl berühren, daß die Gründe dieser Fehlgriffe in einem allgemeinen Verhältnisse tiefer künstlerischer Entsittlichung zu suchen waren. Die Theaterdirektion in Bremen hatte die ausgeschriebenen Orchesterstimmen zugleich mit der Partitur der ›Meistersinger‹ von deren Verleger bezogen, dieser aber – vermutlich in der Sorge, dem kleinen Bremer Theater die Aufführung zu erleichtern – jene Stimmen von Hause aus nach denen des Mannheimer Theaters (weil dieses als das beststreichende [49] bekannt war!) kopieren lassen. Der Kapellmeister seinerseits bemerkte alsbald den Übelstand, daß eine Unzahl von Stellen der Originalpartitur in diesen Stimmen gar nicht ausgeschrieben war, konnte aber, da die Zeit zur Aufführung drängte, nur einiges restituieren, und mußte namentlich den letzten Akt in der Mannheimer Strichjacke bestehen lassen! Bloß den Wahn-Monolog, der für alle anderen kleineren Theater dem eigenmächtigen Rotstift des Herrn Vinzenz Lachner ebenfalls verfallen war, hatte der treffliche Darsteller des Hans Sachs sich zu retten gewußt. Erscheinungen dieser Art entsprach die Erfahrung, die er bis dahin auch an den bestbegabten Sängern wiederholt gemacht: so oft er nämlich einen solchen, der ihn interessierte, in einer Partie seiner Werke überhörte, sah sich dieser mitten im Verlauf der Szene zu plötzlichem Abbrechen genötigt. Hier kam der ›Strich‹ seines Kapellmeisters, und er hatte nicht weiter gelernt! Was konnte ihm von seiner eigentlichen Aufgabe noch erkennbar geblieben sein? –

Aus einem Briefe an Feustel entnehmen wir, daß es ihm gelungen war, auch in Bremen ein aktives Interesse an seinem Unternehmen in das Leben zu rufen. Er bestellt an Herrn M. E. Matthes einige Formulare zur Zeichnung von Patronatscheinen, ›vielleicht ein Dutzend‹, sowie an Kapellmeister Hentschel alle nötigen Dokumente, Prospekte u.s.w. zur Gründung eines Wagner-Vereins. Auch besichtigte er die mancherlei anziehenden Sehenswürdigkeiten der alten Hansastadt, den Markt, die Börse und das Rathaus, wo die sogenannte ›Güldenkammer‹ seine Aufmerksamkeit fesselte; ja er verweilte sogar einige Augenblicke auf der oberen Galerie der Börse, um dem rauschenden Wogen und Treiben unter ihm zuzuschauen.30 Am 10. Dezember vormittags ging es dann weiter. In Magdeburg, das er seit jener, unter so unglücklichem Stern stehenden Aufführung seines ›Liebesverbotes‹, vor mehr als einem Menschenalter, nicht wieder betreten, mußte er dessen gedenken, wie vor einigen Jahren ein Theaterdirektor31 den guten Mut gehabt habe, auf einer völlig unverkürzten Aufführung des ›Lohengrin‹ zu bestehen; der Erfolg davon lohnte ihm so, daß er die Oper in sechs Wochen 26mal vor dem Publikum dieser mittleren Stadt bei stets vollen Häusern geben konnte. Die gegenwärtige Direktion war vielmehr von einer solchen Beschaffenheit, daß er das Theater, in dem er einst selbst dirigiert, gar nicht erst aufsuchte. Durch die Straßen wandelnd, die inzwischen durch mancherlei Neubauten einen anderen Charakter angenommen, fand er sein einstiges Wohnhaus am Breiten Weg – rechter Hand, wenn man von der Elbe kommt – das ehemals Knevelssche Haus, im wesentlichen unverändert; er wies seiner Frau, die an seinem Arme mit [50] ihm ging, die Fenster des vierten Stockes: ›Dort oben war die geniale Wirtschaft, mit Liebschaft, Pudel, Schuldgerichtsvorladungen!‹ – In Dessau war sein Besuch telegraphisch angekündigt und alles zum festlichen Empfange bereitet. Abends – ›Extravorstellung‹ im Theater, zum Besten der durch die Sturmflut betroffenen Ostseeküste. Sie begann mit dem Vorspiel zu den ›Meistersingern‹, dann zeigte ein lebendes Bild die Schlußszene der Oper. Hierauf als die eigentliche künstlerische Darbietung des Festabends eine Aufführung von Glucks ›Orpheus‹. Zum Gelingen dieser Vorstellung trugen alle Mitwirkenden, insbesondere aber der leitende seine Sinn des Intendanten, Herrn von Normann, bei. ›Ich bezeuge laut‹, sagte der Meister, ›nie eine vollkommenere und edlere Gesamtleistung auf einem Theater erlebt zu haben, als diese Aufführung‹. Jeder Faktor des szenischen Lebens, Gruppierung, Malerei, Beleuchtung, stand mit dem anderen im vollkommenen Einklang; jede Bewegung, jedes Dahinwandeln trug zur idealen Täuschung bei. Von großer Korrektheit und Schönheit war auch der Vortrag des Orchesters, und der Meister erschien daher im letzten Zwischenakt selbst unter den Musikern, um seinen Dank für die vorzügliche Leistung der Kapelle auszusprechen. ›Dies aber geschah‹, so beschließt er seinen Bericht darüber, ›in dem kleinen Dessau.‹ Gewiß war hier das Mißgeschick, welches hier der Intendant durch eine augenblickliche Schwächung seines Personales erlitt, zu einer Begünstigung der Vortrefflichkeit gerade dieser Vorstellung geworden, denn unmöglich hätte ein mannigfaltiger zusammengesetztes Personale so durchweg Ausgezeichnetes leisten können, als es den beiden einzigen Sängerinnen des Orpheus und der Eurydice gelingen durfte. Dennoch diente ihm das schöne Gelingen als ›ein wahrhaft ermutigendes Beispiel und Zeugnis für die Richtigkeit der Ansicht, daß derjenige, der das Ganze erfaßt, das Richtige auch für alle Teile des Ganzen, selbst wenn sie seinem unmittelbaren technischen Verständnisse nicht offen liegen, erkennen und anordnen wird. An der leidenschaftlichen Sorge für die mindeste Möglichkeit des Eintrittes einer Störung dieses zarten Traumlebens, welche wiederholt den ehrwürdigen Intendanten von meiner Seite abrief, erkannte ich wohl, wessen liebevollem Kunstgeiste all das wahrgenommene Vortreffliche zu verdanken war.‹

Am Donnerstag, den 12. Dezember kam der Meister in seiner Vaterstadt Leipzig an. Seinem Wunsche, während eines dreitägigen Verweilens einer für seine Zwecke geeigneten Opernvorstellung anzuwohnen, konnte oder – wollte man maßgebenden Ortes nicht entsprechen (für den Freitag war vielmehr eine Aufführung von Gounods ›Faust‹ angesetzt!). Wohl aber benutzte auch der Leipziger Wagner Verein seine Anwesenheit zu einer geselligen Zusammenkunft seiner Freunde und Verehrer in der üblichen zwanglosen Form eines Festbankettes. Dem ihm durch Professor Riedel gebrachten, begeistert wiederklingenden Hoch erwiderte er mit einer längeren Rede, in welcher er [51] sich über seine künstlerischen Ziele und speziell über sein Verhältnis zu seiner Geburtsstadt aussprach. In letzterer habe er nun drei Generationen kennen gelernt, von denen ihm die jetzige als die hoffnungsvollste erscheine. Ein Vorstandsmitglied des Leipziger akademischen Wagner-Vereins sprach sein Bedauern aus, als bloßer Kunstjünger keinen rechten Einfluß zugunsten der Sache ausüben zu können. Eine Entgegnung des Meisters wies darauf hin, daß man als Kunstjünger am besten tue, wenn man sich ernstlich den verderblichen Einflüssen schlechter Musik und theatralischen Aufführungen entziehe und somit auch dem größeren Publikum eine richtige Erkenntnis der gerade beim Theater herrschenden Geschmacksverwilderung erwecke. ›Nur einem edlen Bedürfnisse kann das Weihevolle sich darbieten; nichts kann die schöne Erscheinung fördern, als die Stärkung der Sehnsucht nach ihr.‹32 Das durch einen anderen Redner zu Gehör gebrachte Wort ›Richtung‹ veranlaßte ihn, sich in einer letzten Ansprache des längeren über den Begriff dieses Wortes zu verbreiten, das er im Zusammenhange mit der musikalischen Kunst gar nicht kenne; entweder gehe die Musik zu Herzen oder sie tue dies nicht!33 Ein letztes Hoch auf den Genius der deutschen Kunst beschloß diese lebhaften Ausführungen. ›Dieser Abend wird allen Festteilnehmern sicher in bester Erinnerung bleiben‹, schloß ein Bericht darüber, dem wir die obigen Einzelheiten verdanken, ›hat er doch u.a. manchen für zeitlebens von irrigen Vorstellungen über des Meisters persönliche Erscheinung befreit.‹34

Am Sonntag den 15. Dezember früh um 6 Uhr konnte er endlich, nach allen Irrfahrten der letzten fünf Wochen, die Heimreise nach Bayreuth wieder antreten, wo er, um die Mittagszeit ankommend, Familie und Freunde bei bestem Wohlsein antraf. Die ungewöhnlich milde Witterung war dem Fortschreiten der baulichen Arbeiten für das Festspielhaus sehr zustatten gekommen. Mit Staunen übersah man schon jetzt den ansehnlichen Umfang der Anlage. Der nahezu 40 Faß tiefe Raum für die Versenkungen und Maschinerien war ringsum fest ausgemauert und ließ in halber Höhe die Eckpfeiler hervorragen, welche die das Dach tragenden mächtigen gußeisernen Säulen aufzunehmen bestimmt waren. Weniger erfreulich war es mit den materiellen Eingängen für die Unternehmung bestellt. Aus den im Druck vor uns liegenden, mehrfach von uns zitierten Briefen an Feustel ersehen wir, wie unablässig der Meister darauf bedacht war, durch Hervorhebung alles Günstigen und Hoffnungerweckenden [52] seine guten Freunde vom Verwaltungsrat zu ermutigen.35 Und solcher Ermutigungen bedurfte es in der Tat. ›Als ich‹, erzählt er einige Monate später, ›von meiner ersten Inspektionsreise, Mitte Dezember v. I., zurückkam, stellte sich aus dem Bericht meiner Herren Verwaltungsräte heraus, daß die Teilnahme und Leistungen der Wagner-Vereine, deren Gründung im vergangenen Frühjahr uns zu so großen Hoffnungen bestimmt hatte, selbst hinter den bescheidensten Erwartungen zurückgeblieben waren. Mit Ausnahme Münchens und Mannheims waren so gut wie gar keine Erfolge der Wirksamkeit der übrigen Vereine uns zur Erfahrung gekommen, und Wien hat uns in den von dorther erregten glänzenden Annahmen geradeswegs enttäuscht. Im Angesicht der für den Fortgang des Festtheaterbaues unerläßlich abzuschließenden Akkorde konnte ich meine Herren Verwalter zur Übernahme der hiermit einzugehenden Verpflichtungen nur dadurch bewegen, daß ich es übernahm, durch Veranstaltung von Konzerten an einigen ergiebigen Hauptorten Deutschlands für die Beschaffung einer gewissen nötigen Summe aufzukommen.‹36 Für den Zweck solcher Konzerte waren zunächst Hamburg und Berlin in Aussicht genommen; außerdem galt es einer Fortsetzung der begonnenen Inspektionsreise. Hierbei gedachte er in erster Reihe Dresden aufzusuchen; zunächst in der Absicht, das dortige Sängerpersonal kennen zu lernen; dann aber auch mit dem Wunsche, den Bemühungen seiner wenigen dortigen Freunde für seine Unternehmung durch sein Erscheinen einen Vorschub zu leisten. In diesem Sinne wandte er sich an den Bewährtesten unter ihnen, den guten alten Dr. Pusinelli. ›Eine Versammlung des Wagner-Vereins, in welcher ich selbst erscheinen und mich aussprechen werde, dürfte wohl das einfachste Mittel zu einer Belebung, vielleicht zur Heranziehung neuer Mitglieder eures Vereines sein.‹ Als Zeitpunkt dafür gab er den Anfang der zweiten Januarwoche an. Fast erschreckend wirkte auf ihn die umgehend erfolgende Anregung, nun auch in Dresden wieder als ›Konzert‹-Dirigent sich produzieren zu sollen. ›Ich kann nicht für jedes Tausend Taler, wenn dies auch noch so nötig ist, mich den ungeheuren Anstrengungen einer solchen Konzertaufführung, gegen welche ich andererseits einen bis zur Bitterkeit wachsenden Widerwillen hege, unterziehen; ich hätte dann ungefähr noch 200 Konzerte zu geben! Und nun ist es noch höchst fraglich, ob die Teilnahme der Dresdener selbst noch soviel abwürfe; meine Erfahrungen vom Geiste derselben sprechen selbst hiergegen.‹ Er kannte seine Dresdener gut genug.

[53] Dies war der Abschluß des Jahres der Grundsteinlegung. Als Festspieljahr wurde einstweilen immer noch das Jahr 1874 angenommen, und an dem Meister hätte es nicht gelegen, die Partitur der ›Götterdämmerung‹ bis Ostern des genannten Jahres zu vollenden. Wenn man ihm nur von außen hilfreich entgegengekommen wäre und zur Vollendung seines Werkes die nötige Ruhe gelassen hätte! Wenn man ihn und seinen Verwaltungsrat nur in die Lage versetzt hätte, bei Maschinisten und Dekorateuren die festen Bestellungen für die gesamte szenische Herrichtung zu machen, deren Arbeiten Zeit verlangten und nicht in Hast und Eile hergestellt werden konnten! Mit einem Wort: wenn die anderen das Ihre getan und es ihm in Muße überlassen haben würden, das Seine zu tun! Einstweilen türmten sich die Sorgen immer bedenklicher auf, und manche schlaflos verbrachte Nacht war die Folge davon. Schlaflose Nächte und größte Ermüdung waren überhaupt auch während der ganzen Reise fast regelmäßig die unzertrennlichen Begleiter und die traurige Kehrseite aller jener wohlgemeinten Feiern gewesen! Was er all diesen Defekten gegenüberzustellen hatte, war nur aus seinem eigenen Innern zu schöpfen; es waren die zwei Dinge, auf deren Grundlage das Bayreuther Werk recht eigentlich fundamentiert ist: sein persönlicher Wille und seine persönliche Tatkraft, wozu denn eben auch die Tätigkeit als solche, sein unermüdlicher Fleiß gehörte. ›Du glaubst nicht‹, heißt es in dem Brief an Pusinelli vom 28. Dezember, ›in welcher Überbeschäftigung ich gegenwärtig begriffen bin!‹ Als ein Nebenwerk, zu nicht endenwollenden Korrespondenzen im Interesse seiner nächsten Schritte, entstand in diesen letzten Dezemberwochen jener so überaus lehrreiche Aufsatz: ›Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen‹ (für den neuen Jahrgang des Leipziger ›Musikalischen Wochenblattes‹), dem wir im Vorhergehenden so manchen Beitrag zur anschaulichen Schilderung seiner Inspektionsreise verdanken Soeben war auch der siebente Band der ›Gesammelten Schriften und Dichtungen‹ an die Öffentlichkeit getreten, welchem die Redaktion des achten auf dem Fuße folgte!37 Wer sich die Summe von Betätigung innerhalb der vier Wochen von Mitte Dezember bis Mitte Januar (als dem Ausgangspunkt für neue Reisen und neue Unruhen) vergegenwärtigt, wird es begreifen, daß das erste Weihnachtsfest in Bayreuth von den ihm vorausgegangenen Weihnachtsfeiern durch den schwer sorgenvollen Ernst seiner Grundstimmung sich unterschied. –

Von Nietzsche war, als ein Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk an die Gattin des Meisters, ein umfangreiches – nicht für den Druck bestimmtes – Manuskript eingelaufen; die Folge davon war eine angelegentliche Einladung [54] des Absenders zum Neujahrstage, als zur Nachfeier dieses Geburtstages. Zu dieser selben Neujahrszeit hatte ohnehin ein sehr geschätztes Glied der Nietzscheschen Freundesgruppe, der junge Freiherr von Gersdorff (aus Schlesien, Ostrichen) seinen stets willkommenen Besuch angekündigt; die gleichzeitige Anwesenheit Nietzsches hätte dem Meister daher inmitten aller unerfreulichen Eindrücke von außen her eine ablenkende Erfrischung sein können. Aber es sollte sich nicht so machen. Wohl erschien Gersdorff (7. Jan.), nicht aber der Baseler Freund, der sich soeben auf Ferien in Naumburg befand, und nur nötig gehabt hätte, seinen Rückweg über Bayreuth zu nehmen. Die bedauernden Äußerungen über sein unerwartetes Ausbleiben dahin auszulegen, als wäre Wagner über sein Nichtkommen ›gekränkt‹ (!!) gewesen, als habe er ›das Ablehnen seiner Einladung übel genommen‹38 (!!!) – dazu war er aber doch nicht berechtigt. ›Gott weiß übrigens‹, läßt er sich darüber gegen Gersdorff aus, ›wie oft ich dem Meister Anstoß gebe; ich wundere mich jedesmal von neuem, und kann gar nicht recht dahinterkommen, woran es eigentlich liegt.‹39 Und weiterhin: ›Ich kann mir gar nicht denken, wie man Wagner in allen Hauptsachen mehr Treue halten und tiefer ergeben sein könne; wenn ich es mir denken könnte, würde ichs noch mehr sein. Aber in kleinen untergeordneten Nebenpunkten und in einer gewissen, für mich notwendigen, beinahe sanitarisch zu nennenden Enthaltung von häufigerem persönlichen Zusammenleben muß ich mir meine Freiheit wahren, wirklich nur, um jene Treue in einem höheren Sinne halten zu können.‹40 Manches Nachfolgende im Verkehr zwischen Meister und Jünger wirst in diesen seltsam rätselhaften Geständnissen seine düsteren Schatten voraus. Und – auch unausgesprochen, und ohne von ähnlichen Äußerungen seinerseits etwas zu ahnen – wurde es von den Bayreuther Freunden dementsprechend empfunden, nämlich: mit Bangigkeit und Besorgnis, wie etwas Unnatürliches.

Für die Fortsetzung seiner Reise war ihm durch dringende Aufforderungen bereits ein neues Ziel gesetzt: einige ihm persönlich unbekannte Verehrer hatten ihn (S. 53) wiederholt gedrängt, auf seiner Durchreise auch in Hamburg im Siegeszuge den Boden zu gewinnen. Daß die altehrwürdige Hafen- und Handelsstadt mit ihren wohlsituierten unabhängigen Gesellschaftskreisen bis dahin in der Zahl der deutschen Wagner-Vereine noch unvertreten war, schien für die geringe Konzentration der dortigen geneigten Elemente zu sprechen. Eben dies konnte ein Grund mehr sein, dem an ihn gerichteten Ansuchen um eine daselbst zu veranstaltende Konzertaufführung zugunsten seines Unternehmens zu willfahren. Auch für Berlin hatte er sich, in Betracht der hervorragenden Bedeutung des Ortes und mancher daselbst zusammenwirkenden günstigen [55] Faktoren zu dem gleichen Entschlusse bestimmt. Anders war es mit einem noch so sinnreich angeordneten Konzerte in Dresden bestellt. Das große Opfer eines derartigen, von ihm selbst zu leitenden Konzertes bereits als etwas so Gewöhnliches betrachtet zu sehen, daß es ihm ohne weiteres gerade auch für die sächsische Residenz zugemutet wurde, flößte ihm einen förmlichen Schrecken ein, und dieses Gefühl scheint den Meister, der doch sonst in seinen Plänen nicht schwankend war, sogar zu einem völligen Widerruf des daselbst angekündigten Besuches veranlaßt zu haben. Wenigstens wissen wir uns das Telegramm vom 11. Januar 1873 an Pusinelli nicht anders zu erklären: ›Dein letzter Brief bricht mir das Herz. Hast Du noch nichts abgesagt, so komme ich Montag Abend 10 Uhr, Hotel Bellevue, und sehe Dienstag, was von dem Hillerschen Festessen im Belvedere übrig geblieben ist. Es handelt sich um uns beide, und dies genügt. Eines ist, was nicht zuschanden werden darf.‹ Die Anspielung auf das ›Hillersche Festessen‹ ist aus sich selbst verständlich. Wenigstens können wir von uns aus nichts zu ihrer Erläuterung hinzufügen, da kein Lied, kein Heldenbuch etwas Näheres darüber meldet Offenbar war die dem Meister zugedachte Ehre eines Festbanketts von denselben Dresdener Kunst- und Musikerkreisen dem Kölner Musikpapst soeben gleichfalls erwiesen worden! Hatte doch auch er, und zwar wie wir uns entsinnen, gleichzeitig mit Richard Wagner, seine Dresdener Periode gehabt, und war u.a. sogar sein Nachfolger in der Leitung des dortigen Männergesangvereins gewesen,41 eben derselben ›Liedertafel‹, durch welche er einst die Bekanntschaft Pusinellis gemacht, – des ›freundlichsten Menschen, der sich je zu ihm fand!‹ – – –

Einer weiteren telegraphischen Meldung Pusinellis gemäß, wonach für Montag, den 13. Januar, im Dresdener Hoftheater eine Aufführung des ›Rienzi‹ angesetzt sei, entschied sich der Meister im letzten Augenblick, noch einen Tag früher, nämlich bereits am Sonntag abzureisen. Am 12. Januar des neuen Jahres 1873 verließ er demnach in Begleitung seiner Gemahlin die erwählte Stätte seines Schaffens und seiner Zurückgezogenheit, um durch sein persönliches Erscheinen da draußen jene Teilnahme für sein Werk zu erwecken, die ihm eine teils feindselige, teils gleichgültig laue Mitwelt nicht aus eigenem Antrieb entgegenbrachte. ›Wenn mir nicht aus dem rechten Geiste, dem des nationalen Ehrgefühles, die ergiebige Unterstützung für meine Unternehmung erwächst‹, hatte er an Pusinelli geschrieben, ›so werde ich diese dem herrschenden Geiste gemäß einzurichten wissen müssen. Doch stehen mir noch Wege zu neuen Versuchen offen; auf diese werde ich mich begeben, und den Beginn mit einem kurzen Besuche in Dresden machen.‹

Fußnoten

1 Veröffentlicht ist die Zeichnung mit der Unterschrift ›Wagners erste Wohnung in Bayreuth an der Damm-Allee‹ in der kleinen Schrift, ›Bayreuth‹ von Hans v. Wolzogen (5. Bändchen der Sammlung illustr. Einzeldarstellungen unter dem Gesamtitel ›Die Musik‹, herausgegeben von Richard Strauß).


2 Vgl. Bayreuther Blätter 1900, S. 206 u. 222 (R. Wagners Briefe an Theodor Muncker, mitgeteilt durch Franz Muncker).


3 Ebendaselbst S. 206.


4 Die Couvertadresse lautet: ›Herrn Friedrich Feustel / (ganz bei sich) / mit einer Broschüre / in fleischfarbenem Trikot‹ (letztere scherzhafte Wendung auf die Farbe des Broschürenumschlages bezüglich).


5 Dr. Eduard von Liszt, sein ausgezeichnet ergebener, geistig und moralisch ungemein hochstehender Vetter, Jurist von Fach, dem auch Wagner, während und nach seiner Wiener Periode, manchen wichtigen, in Gemeinschaft mit Standhartner ihm erwiesenen Dienst zu verdanken hatte.


6 Briefe an Friedrich Feustel, Nr. 20 (Bayreuther Blätter 1903, S. 181). Bloß das Datum dieses Briefchens: ›20. Okt. 72. Abends halb 7 Uhr‹ könnte zweifelhaft erscheinen, wenn man erwägt, daß dieser Tag (Sonntag, 20. Oktober) der letzte Tag von Liszts Anwesenheit in Bayreuth war, und daß dieser Anwesenheit darin mit keinem Worte gedacht wird.


7 An dem Tage (20. September), wo die jungen Leute – nach ihrer Heimkehr – vom Riedelsberg aus dieses Haus beziehen sollten, gab es Feuerlärm in der Stadt; das Möbelmagazin, welches ihnen zum heutigen Termin die Möbel hatte liefern sollen, war abgebrannt. Nun richtete es die Mutter ihnen dafür mit ihrem eigenen, ganz dazu passenden Hausrat so traulich und anheimelnd ein, daß es ihnen eine wahre Freude war, ihr erstes Ehejahr bis zur Erbauung eines eigenen neuen Wohnhauses gerade hier zu verleben.


8 Man kann diese Veröffentlichung nur mit der ihr vorausgegangenen der Briefe Essers an Schott vergleichen. Wenn die historische Wahrheit durch derartige EingriffeA1 gefördert wird, so geschieht es auf Kosten einer naheliegenden Pietät.


9 In den Grundsteinlegungstagen sagte Cornelius zu Wagner, als dieser ihm die hervorragenden Eigenschaften Feustels darlegte. ›Nun, es war ja doch natürlich, daß sich endlich Leute finden würden, die mit ganzer Seele zu Dir stehen.‹ ›Gar nicht natürlich,‹ erwiderte der Meister, ›ich habe früher immer nur mit Lumpen zu tun gehabt!‹ Darüber war denn der gute Cornelius sehr erschrocken, da er es nie so empfunden hatte; besser verstand er den (von ihm mit voller Zustimmung zitierten) Ausspruch vorübergehender Verstimmung von Porges Seite: ›Nicht zehn Wagen ziehen mich mehr nach Bayreuth!‹ – ›Ob der Recht hat!!‹ fügt er von sich aus hinzu.


10 Nur von einem derselben, Kastner, ist durch ihn selbst bekannt gegeben, daß ihm am 9. Jan. 1873 die von ihm nachgesuchte Entlassung aus diesem Verbande schriftlich durch den Meister bestätigt worden ist (vgl. E. Kastner, Briefe Richard Wagners [Katalog] Nr. 1146 u. 1148).


11 ›Daß ich hier vom »Don Juan« nur einen Akt mir anhören konnte, lag vorzüglich an der Mißleitung von seiten des Dirigenten, zu welcher eine alle Vorstellung überschreitende Sinnlosigkeit der Regie das Ihrige hinzufügte, um mir den ferneren Aufenthalt im Theater zu verleiden. Jeder der Sänger war eigentlich gut begabt, zum Teil verbildet, aber meines Bedünkens noch nicht unkorrigierbar. Ich erkläre, daß ich jeden der auf dem kleinen Theater zu Würzburg von mir angetroffenen Sänger und Sängerinnen für eine vorzügliche Aufführung gut zu verwenden mich getraue, sobald mir dies in einer, ihren Anlagen entsprechenden Weise und unter richtiger Anleitung auszuführen gestattet sein würde.‹ (›Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen‹, Ges. San. IX, S. 326.)


12 ›Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen‹, Ges. Schr. IX, S. 325/26.


13 Vgl. das Heckelsche Memoirenwerkchen unter dem Titel: ›Briefe R. Wagners an Emil Heckel‹.


14 Band IV (früher III1), des vorliegenden Werkes, S. 383.


15 Diese Widmung besteht aus den vier humoristischen Versen, die sich in Heckels ›Erinnerungen‹ S. 57, und hieraus abgedruckt, auch in den, ›Gedichten‹ Wagners (S. 88) finden. Die scherzhafte Unterschrift lautet: ›Richard Wagner, gestrichener Gast in Mannheim, 19. Nov. 1872.‹ Viele andere einzelne Züge dieses Mannheimer Aufenthaltes sind, wie bereits erwähnt, in den Heckelschen ›Erinnerungen‹ treulich festgehalten und daselbst nachzulesen.


16 Briefwechsel mit Rohde, S. 370.


17 Brief an Hofrat Hemsen in Stuttgart vom 12. September 1873, abgedruckt auf S. 16 der ›Festgabe des Berliner Wagner-Vereins zur Feier des 25 jährigen Bestehens der Bayreuther Festspiele‹ (Berlin, P. Thelen 1901).


18 Nietzsche an Rohde (Nov. 1872): ›Ein ganz einziges Phänomen, das du dir wohl ebenso deuten wirst wie ich. In einem speziellen Fall weiß im sogar, daß ein Student, der hier Philologie studieren wollte, in Bonn zurückgehalten ist und beglückt an Verwandte geschrieben hat, er danke Gott, nicht an einer Universität zu sein, wo ich Lehrer sei. Wir sind um 20 Mann hinter dem Bestande des letzten Semesters zurückgeblieben. Daß die kleine Universität nun gar noch durch mich leiden soll, ist recht schwer zu ertragen.‹


19 Vgl. O. Crusius, Erwin Rohde, ein biogr. Versuch (Tübingen, Mohr 1902), S. 61, wo diesem schönen Brieffragment noch die Angabe hinzugefügt ist, daß auch noch in späterer Zeit ›Rohde von der genialen Frau wiederholt Rat und Zuspruch in schwieriger Lage erfahren hat‹.


20 Brieflich an Malwida v. Meysenbug, 20. Dezember 1872.


21 ›Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen‹ (Ges. Schr. IX, S. 317), wo sich noch andere erschreckende Einzelheiten von dieser Aufführung finden.


22 Kürschner, Wagner-Jahrbuch 1886, S. 86.


23 Verkürzt nach den gleichzeitigen Berichten der ›Kölner Nachrichten‹ und der ›Kölnischen Volkszei tung‹.


24 So z.B. auch in den anspruchslosen, aber in der Tat recht flüchtig geschriebenen und daher an Verwechselungen, Irrtümern und Ungenauigkeiten reichen ›Erinnerungen an Richard Wagner‹ von August Lesimple (Dresden 1884, S. 16/17).


25 Nach den soeben erwähnten Lesimpleschen ›Erinnerungen‹ wäre – abweichend von den gleichzeitigen Berichten – die ganze Ouvertüre wiederholt worden: ›Wagner hielt eine kurze Anrede an die Orchestermitglieder über die falsche Tradition, die sich in der Auffassung dieser herrlichen Ouvertüre festgesetzt habe. In Wagners Geiste wiederholt, zeigte sich die Ouvertüre erst in ihrer höchsten Schönheit und ihrem vollsten Glanze; augenscheinlich hatte er sich sofort mit dem Orchester in geistigen Rapport gesetzt‹ (Lesimple, a.a.O.).


26 Dieser Passus der ›Kölner Nachrichten‹ enthält eine für die Zeitgenossen hinreichend deutliche Anspielung auf die von uns S. 17 erwähnte, damals die Gemüter bewegende und von der feindseligen Presse gestützte Puschmannsche Schmähbroschüre, jener scheußlichen moralischen wie literarischen Mißgeburt, in welcher der Münchener Haß gegen den Meister seinen giftgeschwollensten Ausdruck gefunden!


27 ›Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen‹ (Ges. Schr. IX, S. 335.)


28 Ebendaselbst.


29 Bülows Briefe V, S. 263.


30 In einem Aufsatze des in Bremen erscheinenden ›Musik- und Kunstherold‹ vom Februar 1906 (›Richard Wagner in Bremen‹ von Karl Seiffert) findet sich eine ganze Anzahl anekdotischer Details über diesen kurzen – zweitägigen – Bremer Aufenthalt.


31 Den Namen dieses Tapferen haben wir nie ermitteln können, da ihn auch der Meister nicht erwähnt.


32 Vgl. Ges. Schr. X, S. 42.


33 Vgl. Ges. Schr. X, S. 223 ff.: ›Bekanntlich schreibt man mir eine »Richtung« zu, gegen welche z.B. der verstorbene Kapellmeister Rietz in Dresden eingenommen gewesen, und der selige Musikdirektor Hauptmann in Leipzig seine besten Witze spielen gelassen habe. Ich glaube nicht, daß diese die einzigen waren, sondern gewiß recht viele Meister aller Art waren und sind wohl gegen diese, »Richtung« ärgerlich gestimmt. In den Musikschulen und Konservatorien soll sie geradezu streng verpönt sein; welche »Richtung« man dort lehrt, ist mir andererseits unklar geblieben‹ u.s.w.


34 Musikal. Wochenbl. 1872, S. 826


35 Vgl. auch die freundschaftliche Mahnung an Heckel (vom 28. Nov.) ›in möglichst erfreulicher Weise sich mit Feustel in Bayreuth in Beziehungen zu setzen.‹ Und weiter. ›Wenn Zahlungen an Sie erfolgen, so übermitteln Sie diese doch sogleich an Feustel. Ich weiß aus seiner neuesten Mitteilung: daß er dem Fortschritt unserer Unternehmung mit Bangen entgegensieht, wenn er nicht tröstliche Zusicherungen und überhaupt Zuschüsse empfängt.‹


36 Briefl. an Franz Schott in Mainz, 16. April 1873. (Vgl. S. 14/15 d. ›Festgabe d. Wagner-Vereins Berlin zur Feier des 25 jähr. Bestehens der Bayreuther Festspiele‹, Berlin, Thelen).


37 Wir erinnern uns, daß die Korrekturen des siebenten Bandes ihn – nach S. 39 dieses vorliegenden Werkes – sogar auf die Reise begleitet hatten.


38 So liest man es in der Försterschen Nietzschebiographie II, S. 213.


39 Nietzsches Briefe I, S. 235.


40 Ebendaselbst S. 236.


41 Vgl. Band II, S. 118/19 Anm.


A1 Gleichsam, so logisch widerspruchsvoll es klingt, Vivisektionen an Verstorbenen, nämlich geistig und moralisch noch Fortlebenden, aber gegen den Mißbrauch ihrer Hinterlassenschaft Wehrlosen!

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 5, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 27-56.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon