X.

Aufführung der Meistersinger.

[223] Erfahrungen an der ›Süddeutschen Presse‹: Renitenz Fröbels. – Die Artikelfolge über ›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹ plötzlich abgebrochen. – Schwierigkeiten in der Besetzung der ›Meistersinger‹. – Proben und erste Aufführung. – Zurück nach Triebschen. – Korrespondenzen wegen der ›Meistersinger‹. – Ausflug nach Leipzig: Bekanntschaft mit Nietzsche


Eine vortreffliche Aufführung auf dem Münchener Hoftheater fand die wärmste Aufnahme; sonderbarerweise waren es aber einige hierbei anwesende französische Gäste, welche mit großer Lebhaftigkeit das volkstümliche Element meines Werkes erkannten und als solches begrüßten.

Richard Wagner.


Vollendet war das große Werk, trotz aller Unterbrechungen, Ablenkungen, Störungen und Verzögerungen! Das große deutsche Werk, von welchem der Meister selber sagt: ›bei seiner Ausführung leitete mich die Meinung, mir dieser Arbeit ein dem deutschen Publikum bisher nur stümperhaft noch vorgeführtes Abbild seiner eigenen wahren Natur darzubieten, und ich gab mich der Hoffnung hin, dem Herzen des edleren und tüchtigeren deutschen Bürgertumes einen ernstlich gemeinten Gegengruß abzugewinnen!‹1 In Biebrich begonnen, war es daselbst und in den schweren Wiener Notjahren kaum bis zum Abschluß des ersten Aktes gebracht, nun aber nach aller Unterbrechung durch schwere Sorgen und Nöte unter dem mächtigen Schutze eines edlen Schirmherrn und unter dem Segen einer hohen Liebe in einem Zuge, im Laufe von sechzehn Monaten zu Ende geführt. So hatte er es sich gleich anfangs gedacht, als das Werk eines Jahres: zwölf Monate nach dem ersten Entwurf hatte es über die deutschen Bühnen gehen sollen!2 Das rechte Jahr der Ruhe, der segensreichen Schaffensstille war spät und verzögert [224] eingetreten, aber es war doch gekommen. Was Biebrich, Wien und München nicht vermocht, das hatte nun das liebliche Triebschen bei Luzern ermöglicht, und die ›Meistersinger‹ waren das erste Triebschener Kleinod, der erste gehobene Schatz. Hier endlich hatte er sich die eigene Welt, das Königreich des Genius begründet, in welchem er Herr und Meister war und alles von ihm allein und seiner Schaffenslust abhing. Anders war es in München, wo andere für ihn und in seinem Sinne tätig sein sollten Dort standen ihm noch die seltsamsten Erfahrungen bevor. Die erste dieser Erfahrungen mußte er in den ersten Monaten des Bestehens der ›Süddeutschen Presse‹ machen. Fröbel war leider nicht der Mann, das ihm Anvertraute im rechten Sinne durchzuführen, ja nur das ihm gegebene Programm zu verstehen und in seiner wahren Bedeutung zu würdigen. ›Dein gut Gedachtes, in fremden Adern, wird sogleich mit Dir selber hadern‹, so hatte es schon Goethe erlebt; und so hören wir nun wiederum, im Namen Wagners, und in einem an diesen gerichteten Briefe, die entsprechende Klage Bülows: ›Daß doch das Geringste so schwer zu erreichen ist, daß, wenn so manche Vorbedingung erfüllt ist, es so hart hält, gutwillige Individuen zu dem zu bringen, was einzig von ihnen gefordert wird: intelligenter Gehorsam!

Einstweilen trat noch kein eklatanter Übelstand im Fortgang der Sache hervor. Im Gegenteil: es handelte sich nur um eine Konzentration geeigneter, tüchtiger Kräfte um die neu aufgerichtete Fahne. In diesem Sinne lesen wir in einem Briefe Bülows an Richard Pohl (29. Nov.), der Meister dringe auf sein Engagement, und hoffe von ihm, er werde das leisten, was noch nötig sei geleistet zu werden. Hoffnungsvoll fügt er hinzu: ›es kann hier alles gut werden, wir haben wieder einen ungeheuren Schritt vorwärts aus der Anarchie getan.‹ Ingleichem nahmen sich die einzelnen Abschnitte der Abhandlung über ›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹, wenn auch zersplittert und allmählich ans Tageslicht tretend, doch vornehm und klärend genug in der neuen Zeitung aus Zwischen dem Erscheinen der einzelnen Absätze verging gerade immer so viel Zeit, als gut war, um sich ihren reichen Gehalt mit Nachdenken und Vertiefung anzueignen Und, wie bereits erwähnt, erfolgten dazwischen kleinere gelegentliche Beiträge aus seiner Feder, bei denen ihm, eben durch das Gelegentliche ihres Anlasses, ›der Vorteil zugute kam, nicht in das Abstrakte hinein zu konstruieren, sondern an den gegebenen konkreten Fällen seinen Hauptgedanken sich befestigen lassen zu können‹. ›Ich glaube‹, sagt Wagner selbst, ›daß hierin die große Begünstigung besteht, welche in unserer Zeit der Journalistik eine früher so unbekannte Bedeutung und ein wirkliches Übergewicht über die eigentliche Bücher-Schriftstellerei verschafft hat. Es hat etwas Verlockendes, an dem geringfügigsten Falle, welchen uns die gemeine Tages-Erfahrung vorführt, die Richtigkeit des uns einnehmenden Grundgedankens zu demonstrieren; besonders weil wir auch annehmen müssen, [225] daß er in dieser Form am schnellsten Beachtung finde.‹3 So in den unvergleichlich wundervollen Beleuchtungen der Typen des ›Idylls‹ und des ›deutschen Philisters‹ in Anlaß eines eben erschienenen ›Novellenbuches‹ des seltsam unfreundlich gesinnten W. H. Riehl.4 So wiederum, als die Augsburger Allgemeine am 15. November einen, mit seiner Spitze gegen Liszt gerichteten, verherrlichenden Aufsatz über den großen Kölner Musikdirektor und Komponisten Ferdinand Hiller, aus der Feder eines seiner stets schreibefertigen Stammesgenossen Moritz Hartmann brachte, – in Anlaß des Erscheinens einer (lieber ungesammelt gebliebenen!) Zusammenstellung kleinerer Aufsätze Hillers unter dem Titel ›Aus dem Tonleben unserer Zeit‹, mit denen dieser Vielgeschäftige nun auch als Schriftsteller an die Öffentlichkeit getreten war! Die letztere Auseinandersetzung hatte die Form einer bloßen Einleitung; die wirkliche ›Besprechung‹ des Buches – ließ auf sich warten, und erfolgte schließlich, bei der Geringfügigkeit des literarischen Objektes, überhaupt nicht.5 Vor allem aber tat die große, fortlaufende Abhandlung selbst ihre rechte Wirkung gerade bei ihrem vornehmsten, vor allen dazu berufenen Leser. ›Wahrhaft hingerissen‹, schrieb ihm der König (am 21. November), ›haben mich Ihre Aufsätze über Deutsche Kunst und deutsche Politik. Bei Gott, wer da nicht entzückt ist, durch den Zauber der Rede, die Tiefe des darin sich kundgebenden Geistes nicht überzeugt und bekehrt wird, der verdient nicht, daß er lebe. Ja, Geliebter, ich schwöre es Ihnen, ich will beitragen, soviel als nur irgend in meinen Kräften steht, die unverzeihlichen Fehler der deutschen Fürsten wieder gut zu machen‹.

Aber schon im Dezember, als die Publikation der Artikel etwa bis zum XI. oder XII. Abschnitt gelangt war, stellten sich durch die Renitenz Fröbels die seltsamsten unvorhergesehenen Schwierigkeiten ein. Ein Brief Bülows an Wagner vom 5. Dezember signalisiert die bevorstehenden Unannehmlichkeiten. ›Verehrter Freund‹, heißt es darin, ›ich weiß nicht, wie es mit Deiner Gesundheit steht, ob für die begonnene Kur ein längeres Bleiben in Luzern Dir not tut – in diesem Falle betrachte, ich bitte, den Wunsch, daß Du Deine Ankunft nach München beschleunigen möchtest, als »non avenu«. Wenn es aber ohne Schaden zu vollbringen, so wäre Deine Anwesenheit hier sehr wichtig Es herrscht viel Drunter und Drüber auch in der »Südd. Presse« – Fröbel selbst bedarf eines Avertissements, einer Aufklärung bezüglich des [226] Zweckes des ihm übergebenen Blattes. Eine Masse anderer Dinge, brieflich ganz und gar nicht erklärbar, müssen weiter besprochen, gemeinschaftliche Maßregeln ergriffen werden.‹ Es war nur gut, daß die Partitur der ›Meistersinger‹ nun abgeschlossen dalag, an Sorgen und Zerstreuungen fehlte es nicht! Mit Fröbel verhielt es sich im wesentlichen so, daß er – nachdem er durch Wagner eine weitere Förderung seiner ehrgeizigen, auf die höhere Politik abzielenden Interessen nicht mehr zu erwarten hatte und sich in seiner Machtstellung als Redakteur zunehmend sicher fühlte – den Ton zu wechseln und seine Unzulänglichkeiten und Einseitigkeiten unverhüllter zutage treten zu lassen beliebte. Wir erinnern uns des an ihn gerichteten mahnenden Zurufes: ›O, verehrter Freund, nicht zuviel Politik!‹ (S. 170), mit welchem der Meister ihn vor dieser Einseitigkeit zu bewahren und seiner höheren Kulturidee zuzuführen suchte. Mehr und mehr trat dieser Defekt seiner ästhetischen Bildung, seine Selbstüberschätzung als großer ›Politiker‹ bei ihm hervor, bis zu dem offenen Bekenntnis, daß er, in einer Art von Rangordnung, ›die Politik über die Kunst‹ stellte.6 Welche wertvollen Dienste hätte der sonst wohlbegabte Mann in einem angemessenen Wechselverhältnis der Sache leisten können, wenn er nicht, wie aus seinen eigenen Lebenserinnerungen hervorgeht, in der Beschränktheit seines geistigen Horizontes alles und jedes auf die große Kunstreform Abzielende als lediglich ›persönlich‹ (!), d.h. also auf die persönliche Verherrlichung Wagners ausgehend, und demnach die wenigen, dieser Sache Dienenden und durch sie Verbundenen, nach seinen eigenen Worten als eine ›Clique‹ (!) betrachtet hätte, ›welche selbstsüchtige Zwecke verfolge‹ (!), oder im günstigsten Falle als ›ästhetisch-literarische Partei‹, welche ›mit persönlicher Uneigennützigkeit die Theorie der Selbstsucht verkünde‹.7 So geschah es, daß, als Wagner in der zweiten Hälfte des Dezember wirklich nach München kam, um die Vorbereitungen für die Aufführung der Meistersinger zu betreiben, ein Verständnis zwischen ihm und Fröbel nicht erzielt werden konnte. Im Gegenteil! Es kam zum bestimmten Bruch. ›Herr Dr. J. Fröbel‹, so berichtet demgemäß der Meister über dieses Verhältnis, ›erklärte sich bereit, die in meinem Aufsatze »Was ist deutsch?« ausgesprochenen Tendenzen in einer politischen Zeitung zu vertreten: die »Süddeutsche Presse« trat an das Tageslicht. Leider hatte ich zu erleben, daß Herrn Fröbel das in Frage stehende Problem anders aufgegangen war als mir, und wir mußten uns trennen, als ihn eines Tages der Gedanke, die Kunst solle keinem Nützlichkeitszwecke, [227] sondern ihrem eigenen Werte dienen, so heftig anwiderte, daß er in Weinen und Schluchzen ausbrach.‹8

Aber noch eines wunderlichen, bis zum heutigen Tage unaufgeklärten Begebnisses haben wir hier zu gedenken, durch welches die heftige Abneigung Fröbels gegen die ihm unverständlich gebliebenen Gedanken des Reformators in ganz unverhoffter Weise einen willkommenen Succurs erhielt. Ziemlich gleichzeitig mit dem, in den eben zitierten Worten Wagners angedeuteten, Auftritt zwischen ihm und Fröbel trug sich ein sonderbarer Vorfall zu, den wir hier nach Fröbels eigenen Angaben wiedergeben. Am Morgen des 19. Dezember sei auf dem Redaktionsbureau der ›Süddeutschen Presse‹ ein Ministerialrat erschienen, der ihm einen Erlaß des Ministeriums des Innern vorlas, des Inhalts, daß ›Se. Majestät der König die augenblickliche Einstellung der Fortsetzung der Wagnerschen Artikel über deutsche Kunst und deutsche Politik befehle‹, und worin – nach Fröbel – die merkwürdigen Worte vorgekommen sein sollen: ›Se. Majestät bezeichnen diese Artikel als selbstmörderisch‹ (!). Wie der König in Wahrheit über diese Artikel dachte, das haben wir ja aber soeben (S. 226) aus seinen, direkt an Wagner gerichteten Worten gesehen! ›Ein Fremder von hoher Stellung‹, berichtet nun Fröbel weiter, ›welcher mich um jene Zeit in München besuchte und welchem ich den Vorfall erzählte, äußerte lebhaft: »Weshalb hat man Ihnen den Erlaß bloß vorgelesen und nicht die Schrift übergeben? Wie konnten Sie wissen, daß der König das wirklich befohlen und sich wirklich so geäußert hat?«‹ ›Mein Mißtrauen‹, so fährt Fröbel fort, ›war nicht so weit gegangen. Ich ließ den schon gesetzten Artikel XIV der Serie aus der Form nehmen und mit Wagners Beiträgen zur »Süddeutschen Presse« hatte es ohne mein Zutun ein plötzliches Ende.‹ So weit Fröbel, dem diese Wendung in jeder Hinsicht gelegen kam. ›In der deutschen Kunsthauptstadt München‹, sagt Wagner selbst, ›las man meine Artikel über »Deutsche Kunst und deutsche Politik« und setzte es durch, daß ihr Erscheinen abgebrochen werden mußte: offenbar befürchtete man, ich würde mich um den Hals reden.‹9 Gewiß wäre es vorschnell, aus diesem noch unerhellten Vorfall den Schluß zu ziehen, als böte er so ohne weiteres – im Sinne jener Bülowschen Äußerung10 – ein Beispiel für ›die Schwäche des Königs und die Niedertracht der ihn beherrschenden treulosen Diener‹. Zu seiner Aufklärung liegt indes auch heute noch kein anderes Material vor, als die eigenen reichlichen Mitteilungen Fröbels über die wiederholten Reibungen und Konflikte zwischen der ›Süddeutschen Presse‹ und dem damaligen Minister des Innern, dem kurz darauf (Februar 1868) verstorbenen Herrn von Pechmann, aus dessen Kanzlei die rätselhafte Weisung an ihn [228] gelangt war.11 In diesen unberechenbaren Höflings- und Kanzlei-Regionen mit ihrer dürftigen Einsicht und ihren ehrgeizigen Bestrebungen war in bezug auf Entstellung und Mißdeutung des königlichen Willens das Unglaubliche möglich. Es gab aber Mittel zur Bekämpfung ihres eigenmächtigen Vorgehens, und der sonst so gewitzigte und von sich eingenommene Redakteur und Politiker hätte sich in eigener Angelegenheit so leicht nicht düpieren lassen, wäre ihm nicht – bei seinem bestehenden Mißverhältnis zu Wagner – die eingetretene Wendung so willkommen gewesen, daß ihm dadurch vielmehr das Herz völlig erleichtert war. Er diente dem Meister nicht freiwillig und aus eigenem inneren Antriebe; deshalb lastete der Einfluß der höheren Natur auf ihm wie ein Alpdruck, zu dessen Abwerfung er gern die nächste beste Veranlassung ergriff. Und dieses nicht zu beseitigende tiefere Mißverhältnis ließ es auch Wagner schließlich gleichgiltig sein, ob die Fortsetzung seiner Artikel in der ›Süddeutschen Presse‹ erschien oder nicht, da sie ohnehin demnächst in Buchform an das Tageslicht zu treten bestimmt waren.

Das war der Ausgang seiner Bemühungen um die Begründung eines eigenen, weithin wirkenden Organes für die Durchführung seiner Ideen. Was nun zunächst Fröbel und seine Zeitung betraf, so mußte dieser bald genug an sich erfahren, wie sehr er mit seiner zweideutigen Haltung gegen den intellektuellen und moralischen Urheber seiner derzeitigen Redaktionsstellung – ganz abgesehen von der schmachvollen Verkennung der Intentionen desselben! – zu seinem eigenen Schaden sich recht eigentlich zwischen zwei Stühle gesetzt habe. Die Sache lag sehr einfach. Als das einzige politische Organ Deutschlands, in welchem die Kunstkritik ausschließlich in dem großen reformatorischen Sinne des Meisters geübt worden wäre, hätte seinem Blatte, bei sonst tüchtiger Führung des politischen Teiles, unter dem Schutze der bayerischen Regierung eine unabsehbar bedeutungsvolle Zukunft offen gestanden. Seine Lossagung von der höheren Aufgabe war der erste Schritt dazu, daß sich die ›Süddeutsche Presse‹ aus einem halboffiziellen in ein Privatunternehmen verwandelte. Ganz wider Erwarten12 verlor er nun aber gerade durch diese Veränderung (wie er selbst später eingehend auseinandersetzt) ›die Hälfte seiner Abonnenten und den größten Teil der ihm bis dahin zugegangenen Inserate‹, – ein Verlust, von dem sich das Blatt in den wenigen Jahren seiner Lebensdauer nicht wieder erholen konnte. ›Was Richard Wagner gründet, das besteht‹, schrieb[229] späterhin einmal Richard Pohl. Aber die Bedingung dieses Bestehens mußte erfüllt sein: ein treues und vornehmes Eingehen auf seine Absichten. Dazu war Fröbel in seiner Selbstherrlichkeit nicht der Mann. Von anderer Art war die Lehre, welche Wagner diesem ersten Versuche entnahm, seinen Ideen durch eine Zeitschrift Ausdruck zu verleihen. ›Ich glaubte‹, so sagt er, ›eine Zeitlang nichts Besseres tun zu können, als selbst in diese Arena der Zeitungspresse herabzusteigen, in welcher die Impotenz ihren Ärger dadurch zu befriedigen sucht, daß sie das Publikum zum Genusse der Schadenfreude einlädt. Der Ekel an dem hierbei unausweichlichen Umgange brachte mich bald von meinem Eifer zurück. Dennoch blieb ich von jetzt ab gestimmt, den Hoffnungen meiner Widersacher auf die Erfolge ihrer Wirksamkeit in der Presse wenigstens dadurch entgegenzutreten, daß ich mit rücksichtsloser Aufrichtigkeit sie selbst und ihre Motive, auch wohl ihre Leistungen und Fähigkeiten meinen Freunden bezeichnete.‹13

Wir gedachten bereits der an den Meister gerichteten Einladung Bülows, seinen beabsichtigten Münchener Besuch, behufs Vorbereitung der ›Meistersinger‹, zu beschleunigen, und seines Eintreffens in der zweiten Hälfte des Dezember. Die zwei separaten, für ihn eingerichteten Zimmer im ersten Stock des Eckhauses an der Arcostraße wurden nun bezogen und es gab manche gute Stunden eines traulichen Verkehrs, in welchem er sich unter den Seinen fühlte. Ein schöner Brief vom 28. Dezember 1867 an den vielgetreuen Freund Pusinelli, dem er für einen neuen, ihm erwiesenen Dienst zu danken hatte, gibt ein andeutendes Bild davon. ›Ich leb' in dieser Welt nur noch wie auf einer Lustinsel, von unglaublich wenigen bevölkert, die mir angehören und zu denen ich gehöre. Hier hab' ich mir eine kleine Kolonie von drei, durch mich begründeten, Familien gebildet: bei denen bin ich jetzt, um einigermaßen mit Menschen zu verkehren.‹ Es können nur die Familien Bülow, Porges, Peter Cornelius gemeint sein. Der ›famose Teetisch zwischen Ofen und Klavier‹, dessen nachmals in einem an Bülow gerichteten Briefe Erwähnung geschieht,14 wurde der Mittelpunkt und Zeuge manches heiter ernsten Zusammenseins. Die Regulierung der Münchener Theaterverhältnisse, ihre mögliche Rettung aus völliger Anarchie (welche noch im letzten Jahre Bülow jede Ordnung und Organisation der Arbeit unendlich erschwert hatte!), andererseits die Besetzung der ›Meistersinger‹ in ihren sämtlichen Partien, bildete den Gegenstand ernster Sorgen und vielfacher Korrespondenzen. Im Betreff der Orchesterleitung war die endlich bestimmt bevorstehende Pensionierung Lachners von Wichtigkeit. Als Intendant des Hoftheaters sollte mit Beginn des neuen Jahres der bisherige Intendant der Hofmusik, Baron Perfall, an die Spitze des Ganzen treten, ›seit lange unser Kandidat zur Ablösung einer [230] höchst miserablen Dingelstedtschen Kreatur‹, wie Bülow von ihm sagt. ›Er wird als loyaler und intelligenter Mann treu zu uns halten, wie dies überdem auch sein persönliches Interesse erheischt. Allmählich wird jetzt Ordnung und Licht, und die gründlichsten Reformen stehen bevor.‹ Über diese Angelegenheit und seinen Anteil daran hat sich der Meister, kaum ein Jahr später, so eingehend und unumwunden mitgeteilt, daß es notwendig scheint, zu völliger Klarheit ihn selbst darüber zu vernehmen. ›Es galt endlich‹, so sagt er, ›deutlich ausgesprochenen und wirklich verpflichtenden Wünschen gemäß, dem Versuch, meine Ideen zur Hebung der dramatischen Kunst und des deutschen Theaters zur Ausführung zu bringen. Die Intendanz selbst zu übernehmen, hätte mir das Sicherste dünken müssen. Überflüssig ist es die Gründe aufzuzählen, welche mich hiervon abhielten. Es wurde dagegen der bisherige Intendant der Hofmusik, der sich als sorgfältiger und zuverlässiger Administrator bewährt hatte, auch für die Theaterintendanz ins Auge gefaßt. Die Bedenken, welche sich seiner Wahl entgegenstellten, bezogen sich zunächst auf ein allseitig mangelndes Vertrauen in die Befähigung und die Kenntnisse des Betreffenden. Diesen Bedenken glaubte ich durch den Hinweis darauf begegnen zu dürfen, daß es zuvörderst eben nur des getreuen und pünktlichen Administrators (als welcher sich jener Herr ja bereits bewährt hatte) bedürfe, sowie, daß alles hierbei nur auf den guten Willen zu redlicher Hilfe und verständiger Ausführung ankomme, welchen ich andererseits durch persönliche Versicherungen auf das allerbestimmteste und vertrauenerweckendste von dem bisherigen Intendanten der Hofmusik zugesichert erhielt. Hingegen wurde ich nun allerdings auch bei Zeiten auf die sehr abhängige soziale Stellung des betreffenden Herrn aufmerksam gemacht, und darauf hingewiesen, daß es diesem wahrscheinlich – selbst gegen seine bessere Überzeugung – alsbald nach dem Antritt des ihm zugedachten Amtes schwer gemacht werden würde, seinen gegebenen Zusicherungen nachzukommen. Es fiel mir nicht leicht, alle diese Einwendungen und Besorgnisse zu entkräftigen und ich habe Zeugnisse dafür anzurufen, daß es mich Mühe und große Überredung kostete, um meiner vertrauensvollen Meinung Geltung und meinem Vorschlag Annahme zu verschaffen.‹15 Leider sollten sich die gegen diese Wahl erhobenen Bedenken nur zu bald in vollem Umfang bewähren.

Die nächste Sorge bildete die Besetzung der so wichtigen Partien des neuen Werkes. Hierbei zeigte der Meister ein nur allzu wohlbegründetes ›Mißtrauen‹ gegen Künstler, die er nicht selbst gehört hatte. Für seinen Hans Sachs wünschte er durchaus den Wiener Bassisten Beck, der sich nachmals als ein so vortrefflicher Repräsentant dieser Rolle bewährt hat. Leider [231] ließ ihn Dingelstedt als damaliger Intendant der Wiener Hofoper nicht los, und er konnte seine Partie doch unmöglich für sich allein in Wien studieren. Auch schützte derselbe, wenigstens für die Wintermonate, Gesundheitsrücksichten vor. Überhaupt war Wagners Wunsch ursprünglich auf eine gleichzeitige, sozusagen gemeinschaftliche Einstudierung des Werkes in München und Wien gegangen; diesem Wunsch und Plan stellte sich der Umstand hindernd entgegen, daß das neue Wiener Opernhaus16 noch immer nicht fertig gebaut war und die Aufführung der ›Meistersinger‹ nach der Absicht der dortigen Intendanz erst im neuen Hause vor sich gehen sollte. Für Beckmesser hatte er Gustav Hölzel aus Wien im Sinne, für David den Tenor Swoboda von ebendaher (Theater a.d. Wien). Dem sukzessiven Geschäftsgange nach mußte von diesen beiden Sängern erst Antwort abgewartet werden. Wegen Beck hatte Perfall der Form wegen noch einmal nach Wien geschrieben; die abschlägige Antwort im Betreff seiner konnte jedoch im voraus als unzweifelhaft gelten. So fiel sie denn in der Tat aus, und man wandte sich nun an Stägemann in Hannover. ›In der großen Meistersinger-Angelegenheit‹, schreibt daher Bülow am 23. Januar, ›sind wir wieder recht ratlos. Swoboda antwortet nicht, Hölzel glaubt die Rolle nicht leisten zu können. Wagner wird pessimistisch und meint, man solle es mit den lokalen Kräften versuchen, wozu ich freilich keine Möglichkeit erblicke.‹ Stand doch erst wenige Tage später, am 26. Januar 1868, die letzte Aufführung unter Lachners Leitung (Glucks ›Armida‹) bevor, und begann erst mit diesem Datum für Bülow die schwierige Arbeit, das ganze Opernrepertoire gründlich zu revidieren und zu renovieren, auch im Personale die nötigen Änderungen und Ergänzungen zu treffen.17

Seitens des Fürsten Hohenlohe war – in seiner Eigenschaft als Minister des königlichen Hauses – dem Meister stets eine freundliche Aufmerksamkeit und gewogene Gesinnung zuteil geworden. Insbesondere vernahm Wagner von dem Interesse, mit welchem derselbe seinen Ausführungen über ›Deutsche Kunst und Politik‹ gefolgt und von seinem Bedauern darüber, daß ihr Erscheinen so unvermutet abgebrochen war Daraufhin übersandte er ihm (28. Jan.) einen Abzug der, nicht zum Druck gelangten Schlußartikel seines Aufsatzes mit einem darauf bezüglichen Begleitschreiben. ›War es gewagt‹, heißt es in diesem letzteren, ›auf dem Wege der journalistischen Veröffentlichung die wenigen wahrhaft gebildeten Köpfe und selbständigen Charaktere aufzusuchen, an welche ein für allemal der Autor ähnlicher paradoxer Untersuchungen sich wenden kann, so möchte ich nun, da ich von jenem Wege zurückzutreten mich genötigt sah, wenigstens des Trostes mich nicht beraubt wissen, von einem Vorzüglichsten jener Wenigen bis zu Ende gehört worden [232] zu sein. Da ich hiermit nicht die mindeste, auf irgend einen praktischen Zweck gerichtete Absicht verbinde und einzig den Wunsch hege, Ew. Durchlaucht möchten die Muße finden, diese Blätter durchzusehen, gestatte ich mir heute meinem Verlangen nachzugeben.‹ Auch zu mündlichen Unterredungen über diesen Gegenstand hat sich jedenfalls während dieses Münchener Aufenthaltes Gelegenheit geboten. Bekanntlich enthalten gerade die letzten Kapitel der genannten Schrift die Anregung zur Begründung eines umfassenden Ordensbundes, welcher für unsere und die kommenden Zeiten in die Bedeutung eintreten sollte, welche in seiner schönsten Blüte und anderen Zeiterfordernissen gegenüber der deutsche Adel hatte.18 ›Es wäre zu untersuchen‹, meint nun Wagner, ›ob nicht der noch verbliebene deutsche Adel am allergeeignetsten wäre, die Grundlage des von uns gedachten Ordens in der Weise zu bilden, daß er, indem er dem Monarchen die willige Initiative zu dieser Schöpfung entgegenbrächte, sich selbst zugleich ehrenreich und gemeinwohltätig verjünge.‹ Gerade auf dieses Thema müssen sich die Unterhaltungen zwischen beiden Männern erstreckt haben, deren der Meister ein volles Jahrzehnt später19 gelegentlich gedenkt. ›Im Betreff des deutschen Adels erklärte mir der seinerzeit an der Spitze der bayerischen Staatsregierung stehende, mir sehr wohlgesinnte Fürst Chlodwig Hohenlohe, daß er nicht zehn seines Standes bereit finden würde, auf meine Ideen einzugehen. Ob er es mit neun oder acht ein halb versuchte‹, fügt er humoristisch hinzu, ›ist mir unbekannt geblieben.‹

Von den beiden Wiener Künstlern, die er sich für David und Beckmesser ausersehen, sagte der eine (Swoboda) völlig ab; der andere – Hölzel – tat das Beste was er tun konnte, und kam, Wagners Einladung folgend, in Person nach München. Für David wurde vorübergehend an den einheimischen [233] Tenoristen Vogl gedacht, für Walter hoffte man Bachmann aus Dresden zu gewinnen. Leichter fiel es, die beiden weiblichen Rollen zu besetzen. Für Evchen und Magdalene boten sich tüchtige einheimische Kräfte in der noch ganz jugendlichen Frl. Mallinger (der Elsa des vorigen Jahres), nach der eigenen Schätzung des Meisters einem ›höchst bedeutenden Talent‹, und einer altverdienten Veteranin des Hoftheaters, Frau Diez. Dagegen zeigte sich der Chorkörper noch nach Beginn der mit ihm veranstalteten Proben einer Verstärkung bedürftig, und ein in den musikalischen Zeitungen publizierter Aufruf der Intendanz (vom 23. Januar) forderte daher geeignete Tenoristen und Bassisten zur Meldung in ihrem Sekretariate auf. Hans Richter leitete die Proben, und es gelang ihm, die nicht geringen Schwierigkeiten zu besiegen. Was hier zu leisten war und tatsächlich geleistet wurde, war allerdings dem Gewohnten gegenüber unerhört: galt es doch nicht etwa bloß die Aufgaben dieses eines Werkes zu lösen, sondern vielmehr einen brauchbaren Theaterchor erst zu schaffen. ›Zunächst und vor allem mußte der Körper selbst mit neuen frischen Kräften verstärkt werden, und dann ging die Einübung geradezu vom A-B-C an: nicht allein singen und agieren, nein erst richtig sprechen und deutlich akzentuieren mußte hier erlernt werden. Denn wo selbst die Hauptdarsteller in solchen entscheidenden Dingen bisher kein ausreichendes Muster sein konnten, wo sollte da der gemeine Mann eine wirkliche Kunstaufgabe lösen oder nur fassen können!‹20 Es war das Resultat von Richters unablässigem, eisernen Fleiße, daß der ihm anvertraute Chor am Ende zum vollgültigen Muster musikdramatischer Darstellungskunst herangebildet war, von dem selbst die Träger der Hauptrollen noch zu lernen vermochten! – In diese Zeit (Ende Januar) fällt eine briefliche Beziehung zwischen Wagner und Anton Bruchner, der sich für das Festkonzert eines von ihm in Linz dirigierten Gesangvereins mit der Bitte um Nachweis einer geeigneten Männergesang-Komposition an den Meister wandte. ›Sie können sich wohl denken‹, erwiderte ihm Wagner, ›daß sich so etwas schwer bei mir findet. Doch habe ich darüber nachgedacht, und da Sie von einem Festfeier-Konzerte sprechen, von Orchester und auch weiblichem Chor, so glaube ich, Sie auf etwas recht Schickliches aufmerksam machen zu können.‹ Es war dies der noch unveröffentlichte Schlußgesang der ›Meistersinger‹, der denn auch wirklich, aus einem von Schott gelieferten Probeabzug der – noch im Stich befindlichen – Partitur, von Bruckner, dessen Dankbarkeit für diesen Gunstbeweis keine [234] Grenzen kannte, mit hoher Begeisterung einstudiert wurde und dementsprechend in jenem Festkonzerte des Linzer Chorvereins am 4. April zur allerersten Aufführung gelangte.21

Wegen völliger Unsicherheit der ›Meistersinger‹-Vorbereitungen kehrte Wagner in der ersten Hälfte des Februar wieder nach Triebschen zurück. Selbst hier ließen ihn indeß die gleichen Sorgen nicht in Ruhe. Beck aus Wien, den Wagner zuerst und am liebsten zu seinem Hans Sachs gehabt hätte, der aber – aus ›Gesundheitsrücksichten‹ – alle früheren Anträge beharrlich abgewiesen, erklärte nun plötzlich, wahrscheinlich durch die Begeisterung Hölzels angesteckt, daß er bereit sei, die ihm zugedachte Partie zu übernehmen. Inzwischen hatte nun aber die Münchener Intendanz in aller Regel und Form mit Stägemann in Hannover einen Kontrakt abgeschlossen, und an einen freiwilligen Rücktritt des letzteren war nicht zu denken. Wir verschonen den Leser mit allen Einzelheiten dieser Verschiebungen und Unsicherheiten, von denen der Meister leider nicht verschont blieb, sondern die er alle durchzumachen hatte. Tatsache ist, daß schließlich weder Beck – der später so vielbewunderte Sachs der Wiener – noch auch Stägemann, sondern der junge Franz Betz (Telramund des Vorjahres!) mit der Partie betraut wurde und sie mit Auszeichnung löste. Bis es aber erst dazu kam, waren noch eine Menge peinlicher Zwischenstationen zu überwinden. Und im Betreff Walters und Davids war auch noch alles im Ungewissen. So wurde die zuletzt für den Monat April angesetzte Aufführung immer noch weiter hinaus vertagt. An der szenischen Ausstattung war seit dem vorigen Sommer (S. 217) gearbeitet worden. Die Hoftheatermaler Quaglio, Döll und Jank hatten die gebotenen Aufgaben so unter sich geteilt, daß die beiden ersteren gemeinschaftlich das Innere der Katharinenkirche, sowie die altertümliche Nürnberger Straße mit ihren praktikablen Häusern (erster und zweiter Aufzug), der letztere aber die beiden Dekorationen des dritten Aktes, die Werkstatt des Hans Sachs und die Pegnitzwiese zu liefern übernommen hatten. Das Neue und Originale dieser Aufgaben bestand darin, daß in der vollkommen plastischen Darstellung der gegebenen Vorwürfe alles Kulissen-und Theaterdekorationsmäßige vermieden und vielmehr, neben einer einheitlich malerischen Gesamtwirkung, durch treffende historisch-charakteristische Lebenswahrheit die möglichste Täuschung erzielt würde. Aus demselben Grunde waren sämtliche Kostüme und Requisiten, selbst die im festlichen Aufzug des dritten Aktes auf der Bühne mitwirkenden musikalischen Instrumente, in streng historischem Stile gehalten. – In Triebschen beschäftigte den Meister die Revision des Textes von ›Oper und Drama‹ für einen bevorstehenden Neudruck. Er hatte aber kaum einige Wochen daselbst verbracht, als seine Gesundheit ihn schon [235] wieder zwang, an die Notwendigkeit eines ersprießlichen Verkehrs mit dem Münchener Arzte Dr. Schanzenbach zu denken, der ihn während seiner letzten dortigen Anwesenheit behandelt und zu dem er Vertrauen gefaßt hatte. ›Mein Unterleib quält mich wieder unerträglich‹, schreibt er am 13. März an Bülow. Und das Pulver, welches ihm in München auf Verordnung jenes Arztes so wohl getan, bekam er in Luzern nicht einmal angefertigt. Er kündigt daher an, daß er ihn wahrscheinlich bald überraschen werde. ›Führe ich meinen Vorsatz aus, so hab' keine Furcht vor etwaigen Beunruhigungen der vorliegenden Studien durch meine Ungeduld. Ich werde mich nicht mehr darum bekümmern, als es Dir recht ist.‹

So siedelte er denn in der vorletzten Woche des März wiederum nach München über, wo die Tenoristen-Frage noch immer nicht gelöst war. Gegen den ihm vorgeschlagenen Wiener Sänger Gustav Walther (für seinen Junker Stolzing) hatte er von jeher die lebhafteste Abneigung: ›er ist schon für Wien ein wahres pis-aller!‹ Nicht minder eingenommen war er gegen den jungen Tenor aus der Schmittschen Gesangschule, Heinrich Vogl. ›Bachmann muß flott gemacht werden, wenn wir Freude daran haben wollen!‹ – Bei seinen ersten Berührungen mit dem neuen Intendanten hatte er leider an wenigen, aber charakteristischen Anzeichen zu gewahren, welche Einflüsse sich dort inzwischen bereits geltend gemacht hatten. Die Haltung dieses Mannes vor und nach der Einsetzung in sein Amt war, ganz ähnlich wie bei Fröbel, eine wesentlich verschiedene. ›Es ist von mir‹, sagt er selbst, ›nie eine wirkliche Klage über diese Wendung geführt worden, da mich namentlich auch meine Beschämung durch den von mir selbst begangenen Mißgriff zu jedem Schweigen hierüber veranlaßte.‹ Dementsprechend fühlte er sich von nun an, abgesehen von seiner notwendigen Beteiligung an den Vorbereitungen zur Darstellung seines neuen Werkes, grundsätzlich zur gänzlichen Enthaltung von jeder Teilnahme an den Theaterangelegenheiten bestimmt. In einem Brief vom 28. März an den guten alten Dresdener Freund Ferdinand Heine setzt er diesem auseinander, wie er sich gegenwärtig zu den Ansprüchen und ›Zerstreuungen‹ des äußeren Lebens verhalte: ›Sprechen, Briefe schreiben, Geschäftskonfusionen – dies sind meine Lebensfeinde, ungehindertes ruhiges Schaffen und Arbeiten dagegen meine Lebenserhalter. Im Prinzip habe ich diese Wohlfahrt, allerdings nur im Geleite unsäglicher Qualen, mir erobert: meine Niederlassung in Luzern, wo ich in absolutester Stille und Zurückgezogenheit zu Hause bin, hat diesen Sinn. Hier (in München) bin ich stets nur zu Besuch, und mache mich jedesmal sofort aus dem Staube, sobald mir die »Unterhaltung« und »Zerstreuung« zu viel wird. Mit dem Theater habe ich nicht das minde ste zu tun, dies ist die erste Basis des von mir eroberten Friedens. So lange es meine Nerven aushalten, bin ich bei wichtigen Proben meiner Werke dabei: nie bleibe ich aber bei einer Aufführung zugegen, [236] und bin jedesmal vorher schon wieder zwischen meinen Bergen.‹22 Auch in diesem Briefe wird wiederum die Tenorfrage gestreift. ›In diesen Tagen muß es sich entscheiden, ob wir die Aufführung im Mai oder erst im Herbst haben. Es hängt dies von der bisher sehr unbehilflich betriebenen Akquisition des Dresdener Tenoristen Bachmann ab, der allerdings nicht mein Ideal, unter den allerliebsten Umständen aber immer noch der ausgiebigste Stellvertreter des von mir gewünschten Sängers des Walther ist.‹

Zu Ostern unterzeichnete er – in München – das Vorwort der Broschüren-Ausgabe von ›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹. Die zuletzt berührte ›Frage‹ hatte inzwischen eine mildere Entscheidung gefunden, so daß die Aufführung nicht bis in den Herbst, sondern nur bis zum Sommer verschoben werden mußte. Mit Bachmann war eine Vereinbarung nicht zu erzielen gewesen, da er, obwohl für München fest engagiert, von seiner Intendanz nicht vor Oktober frei gelassen wurde. Vogl genügte dem Meister nicht. Dagegen schien sich der junge Tenorist Franz Nachbaur für die Partie zu empfehlen, der augenblicklich zwar noch in Darmstadt, vom 1. Juni ab aber für München kontraktlich engagiert war und bekanntlich späterhin des Königs besonders bevorzugter Liebling wurde. Aber auch für den muntern Lehrbuben David hatte sich der rechte Vertreter gefunden. Es war der, infolge einer Heirat ins Privatleben zurückgetretene, nun aber wieder der Bühne gewonnene, vorzüglich begabte Buffotenor Schlosser in Augsburg, – der nachmalige klassische ›Mime‹ der ersten Bühnenfestspiele. Vor dem Juni war demgemäß die Aufführung nicht möglich, doch galt es bis dahin die Vorstudien möglichst zu fördern. Um den 20. April wurde daher Hans Richter nach Darmstadt geschickt, um die Einstudierung Nachbaurs zu betreiben und – nach Bülows Ausdruck – ›den Mohren, wenn nicht weißzuwaschen, so doch einzuseifen‹. Er nahm daselbst (im ›Gasthof zur Traube‹) Wohnung, und studierte mit seinem Anbefohlenen, in Ernst und Fleiß, täglich zweimal und nie unter zwei Stunden. In kürzester Zeit saß der erste Akt fest, vieles schon auswendig. Seine freie Zeit auszufüllen, dienten ihm die noch zu erledigenden Stichkorrekturen des dritten Aufzuges. Über das alles konnte er schon am 24. dem Meister berichten. Die Antwort (vom 26. April) ist bereits wieder aus Luzern datiert. ›Haben Sie Dank für Ihre ebenso freundlichen als erfreuenden Zeilen! Sehen Sie, so geht es immer mit mir: viel Qual, Sorge und Mühe, – endlich doch einmal ein Gelingen, welches von der Welt gewöhnlich für Glückszufall angesehen wird. Sie kennen das nun. Das Schönste und einzig Lohnende für mich ist, dann und wann einen Menschen zu finden, [237] der mir wahrhafte Freude macht. Nun, den hab' ich einmal wieder in Ihnen, Sie Guter, gefunden, und glauben Sie, das ist mir mehr wert, als alle Glückszufälle. Jetzt halten Sie nur brav aus: ich denke, auch Sie soll es nicht zum Elend geführt haben, daß Ihr Schicksal Ihnen den Weg zu mir wies. – Also brav zu mit Nachbaur, damit er es bald zum Vorbaur bringe: ermuntern Sie ihn von mir.‹ Aber auch über das Erwachen der Natur in dieser lieblichen Einsamkeit zwischen See und Bergeshöhen enthält der gleiche Brief an den jungen Triebschener Freund die eingehendsten Nachrichten. ›Hier beginnt es jetzt sehr schön zu werden. Die Leute, und namentlich Vreneli, waren sehr froh, mich wieder zu haben; alles befindet sich wohl und gedeiht. Zu den Fasanen haben wir viele schöne Tauben; auch einen famosen kalkuttischen Hahn, der sehr wacker seine Wachten abruft. Ruß wächst immer noch. Alle grüßen Sie herzlich und hoffen – mit mir – auf Ihren Sommerferienbesuch auf Triebschen!‹

Diesem, kaum vierwöchentlichen, Luzerner Aufenthalt gehört zunächst das, mit dem Datum des 28. April unterzeichnete Vorwort zur zweiten Auflage von ›Oper und Drama‹ an. Volle anderthalb Jahrzehnte hatte es gedauert, bis eine Neuausgabe dieser großen dreiteiligen Abhandlung nötig geworden war, auf deren Schicksale in der deutschen literarischen Öffentlichkeit der Meister in eben diesem Vorwort einen sehr belehrenden Rückblick wirst. Das Buch trug nunmehr an seiner Spitze eine Widmung an den, uns bereits bekannten Politiker Konstantin Frantz, und das Vorwort ist direkt an diesen gerichtet. Es knüpft an einen schönen, ausdrucksvollen Brief an, worin dieser dem Meister von seiner – kürzlich erst erfolgten – Lektüre von ›Oper und Drama‹ berichtete. Gerade aus dem, so sehr verkannten und bloß von seinen politischen Gegnern durch Entstellung und Verdrehung ausgenutzten Mittelpunkte des Buches hatte ihm nun Frantz verständnisvoll zugerufen: ›Ihr »Untergang des Staates« ist die Gründung meines deutschen Reiches!‹ ›Wer ermißt‹, sagt nun Wagner, ›die Bedeutung meines freudigen Erstaunens über diesen Zuruf! Selten ist wohl eine so vollständige gegenseitige Ergänzung eingetreten, als sie hier auf breitester und umfassendster Grundlage zwischen dem Politiker und dem Künstler sich vorbereitet hatte. Und an diesen deutschen Geist, der uns, von den äußersten Gegensätzen der gewohnten Anschauung ausgehend, in der tiefempfundenen Anerkennung der großen Bestimmung unseres Volkes zusammenführte, dürfen wir nun wohl mit gestärktem Mute glauben!‹ Unmittelbar darauf sammelte er sich zur Abfassung jener wundervollen ›Erinnerungen an Ludwig Schnorr von Carolsfeld‹, in denen er dem unvergeßlichen Freunde ein dauerndes Denkmal setzte. Die ganze unermeßliche Bedeutung dieses Künstlerheros gelangt darin zum beredten Ausdruck. An seinem Beispiel wird der fundamentale Unterschied zwischen italienischer und deutscher Gesangskunst nachgewiesen. Bisher sei die Gesangsstimme [238] ausschließlich nach dem Muster des italienischen Gesanges ausgebildet worden; es gab keinen andern. Wie müsse sich nun das nach dieser, nur auf sinnliches Wohlgefühl, ohne alle eigentliche Seelenleidenschaft, gerichteten Musik-Tendenz ausgebildete männliche Stimmorgan zu den von der heutigen deutschen Kunst gebotenen Aufgaben verhalten? Auf sinngefälliger, materieller Basis entwickelt, könne es hier nur Ansprüche an wiederum rein materielle Stärke und Ausdauer erblicken und müsse demnach beim Versuche der Lösung höherer Aufgaben sofort erliegen und erfolglos sich abnutzen, wenn der Sänger dem geistigen Gehalte der Aufgabe nicht vollkommen gewachsen sei. Das allüberzeugendste Beispiel hierfür habe eben Schnorr gegeben: dem ungemein ausgestatteten Naturorgane gegenüber ›die von uns empfundene Unerschöpflichkeit im Dienste des geistigen Verständnisses‹.23

Bereits waren Orchester und Chor unter der Führung von Bülow und Richter mit ihren Aufgaben ins reine gekommen, ebenso die Einzeldarsteller. Als Regie-Merker war der ausgezeichnete Oberregisseur des Stuttgarter Hoftheaters, Dr. Hallwachs, berufen. Die vorrückenden Zurüstungen riefen, einige Tage vor dem 22. Mai, Wagners 55. Geburtstag, auch den Meister auf den Schauplatz, wo jetzt seine leitende Hand nicht mehr entbehrt werden konnte. ›Proben im vollsten Gange‹, schreibt Bülow am 28., ›der Komponist überaus zufrieden; wir arbeiten stramm, aber ohne Hast; der 21. Juni zur ersten Aufführung definitiv festgesetzt.‹ Am 6. Juni erfolgte die Bekanntmachung der Aufführungstermine. Als nach Eintreffen des Maschinenmeisters Brandt aus Darmstadt die Setzproben der kompliziertesten Dekorationen ebenfalls zur Zufriedenheit abgelaufen waren, konnten die eigentlichen Bühnenproben ihren Anfang nehmen. Ihnen ging noch am 12. Juni eine Wiederaufnahme des ›fliegenden Holländers‹ mit Beck in der Titelrolle voraus, der am 14. eine Wiederholung folgte. Tags darauf wurde das Hoftheater für die Zeit der Hauptproben gänzlich geschlossen. Dieselben gingen in den Tagen vom 15. bis 19. Juni vor sich, und dauerten fast täglich Vormittags von 10 bis 1 Uhr, Abends von 6 bis 9 Uhr oder etwas später. ›Man hatte doch‹, sagt Nohl als Augenzeuge dieser Bemühungen, ›fleißig vorgearbeitet; die einzelnen Gestalten waren nach des Meisters Modellen geschickt genug im Block punktiert und zugehauen! Und trotzdem war es, als wenn nun erst von seiner Hand dem Ganzen die letzte Feile und Ziselierung, der volle täuschende Lebensschein zu geben wäre. Jede Gestalt mußte von ihm selbst bis ins einzelne gebildet, ja erst völlig geschaffen werden, in Plastik, Ausdruck, Mimik, individuellem Leben und Bewegung. So zeigte er dem durch Sachsens Gesang und Merkerschläge am Ende zur Raserei gebrachten Ständchensänger [239] Beckmesser, auf welche Art er plötzlich vor den »tückisch-frechen Schuster« zu springen habe. Es war ein förmlich tigerartig zuckend heftiger Satz, und Herr Hölzel hatte lange Wege, dies auch nur entfernt gleich drastisch anschaulich nachzumachen. So schlug er sogar der Frau Diez (Magdalene) noch einen Triller vor! Gar nun des Lehrbuben Gestalt wie den Ritter Walter hatte der Meister im großen wie im kleinen, in der ganzen Auffassung wie im einzelnsten Detail, erst völlig selbst zu schaffen.‹24 Noch nach Jahren legte der Meister das Bekenntnis ab, nie mit einem Opernpersonale zu innigerer Befriedigung verkehrt zu haben, als bei Gelegenheit der ersten Aufführung der Meistersinger.25 Aber auch die Darsteller ihrerseits wußten von der oft hinreißenden Anmut und Liebenswürdigkeit, dem frischen belebenden Humor zu berichten, mit welchem der Meister, in seiner eigenen Rastlosigkeit allen ein Beispiel, sich unter ihnen bewegte und seine unablässigen, bis ins kleinste eindringenden Weisungen jedem einzelnen zuteil werden ließ, bis die Sache endlich wirklich zu ›gehen‹ begann und ›eine Physiognomie bekam‹. In diesem Sinne erfahren wir denn auch von der aufrichtig warmen und stets wachsenden schwärmerischen Hingabe der Künstler, die seinen Bemühungen helfend entgegenkam.26 ›Ich gewann mir hierbei‹, sagt Wagner selbst, ›von seiten des ersten wie des letzten Mitwirkenden die eigentümliche Anerkennung, welche der Soldat dem Feldherrn zollt, welcher seine Sache versteht.‹ Es mußte andererseits nicht eben München gewesen sein, auf dessen Boden das alles vor sich ging, wenn nicht – zu aller Not und Ärgernis durch so manche Ungeschicklichkeit des einen oder andern Beteiligten – auch Züge böswilliger Opposition bis in die künstlerische Körperschaft hinein sich kundgegeben hätten, z.B. seitens gewisser eingesessener verstockter Orchestermitglieder Lachnerscher Tradition. So habe eines Tages der erste Hornist – ›ein durch seine Protzenverwandtschaft übermütiger, jeder höheren Bildung barer Musiker‹27 – mitten in der Probe rundweg erklärt: ›er könne nicht weiter blasen‹, und dadurch Bülow in helle Wut versetzt.28 Ja, was noch schlimmer war, von ›höherer Seite‹ – nämlich direkt seitens der Intendanz! – wurden ähnliche Unbotmäßigkeiten und Widersetzlichkeiten durch aufreizende Äußerungen eigens noch genährt, von denen L. Nohl das scharfe Wort anführt: ›diesen beiden (Wagner und Bülow) sei es gleichgiltig, wenn sie auch über Leichen zu ihrem[240] Ziele schritten!‹29 Und noch ein Jahr später gedenkt Bülow – in einem Briefe an Düfflipp – der Opposition, welche ›Herr von Perfall bei den Meistersingern gegen die Instruktionen des Komponisten getrieben, und wodurch er ihm seine Aufgabe so erschwert habe‹.30

Das Halbdunkel des Zuschauerraumes pflegte während dieser gemeinsamen Studien fast immer eine Anzahl von Zuhörern zu bergen. Das Logenhaus war völlig leer, im Parkett aber saßen stets etwa dreißig bis vierzig Personen, Angehörige der Mitwirkenden, Lehrer der unter Bülows Leitung stehenden Musikschule, Cornelius, Porges, J. Hey u.a. ›Schüler und Schülerinnen der Anstalt, wohl auch einige zugereiste Kapellmeister, wie z.B. Esser aus Wien, der am 14. Juni (am Tage vor dem Beginn der Ensembleproben) eingetroffen war und sogleich Wagner einen Besuch gemacht hatte. Welch innig gemütliche Wirkung bereits diese vorbereitenden Vorgänge auf alle Anwesenden ausübten, davon sind uns, gleichfalls bei Nohl,31 ein paar sprechende Beispiele erhalten. So weiß er uns von einem weitberühmten Musiker der Münchener Hofkapelle zu erzählen, der zwar nicht, praktisch mittat‹, weil ihm nach vieljährigem Dienste die Proben zu anstrengend waren, aber doch ›Probe für Probe tief im Dunkel des Parterres stand, um die neue Welt in sich einzusaugen‹, obwohl er oft der Rührung nicht mehr Herr werden konnte und Tränen des Entzückens über den unerschöpflichen Reichtum des Genius seinen Augen entquollen. Oder von einem älteren auswärtigen Hofkapellmeister, welcher sich der bloßen Partitur des Werkes gegenüber noch eine gewisse passive Zurückhaltung bewahrt hatte, nun aber angesichts der immer lebendigeren Verwirklichung des Kunstwerkes gestand: erst jetzt sei ihm das Verständnis des Ganzen aufgegangen, und zugleich auch deutlich geworden, was im Gegensatze dazu ›Kapellmeistermusik‹ sei. Er habe dies mit freimütiger Unumwundenheit auch gegen Wagner geäußert, und dieser seinerseits in einer der letzten Proben, obgleich hoch umspült von den Wogen des Einstudierens, den Herrn Kapellmeister, als er ihn ins Parkett treten sah, sogleich freundschaftlich eingeladen, sich neben ihn zu setzen. Es war dies, fügt der Erzähler hinzu, die Ehre, die der neidlosen Wahrhaftigkeit und sich selbst überwindenden Bescheidenheit gebührt.

Unter den, bereits während der Probenzeit eingetroffenen Gästen befand sich auch seine Schwester Klara Wolfram, mit welcher er, trotz vielfacher Unterbrechungen ihrer brieflichen Beziehungen, doch stets in einem guten Herzenskonnex geblieben war.32 Allerdings kam der vielgeplagte Meister, [241] beständig durch die Proben in Anspruch genommen und auch in den übrig bleibenden Zwischenzeiten unausgesetzt mit dem Gelingen beschäftigt, in dieser unruhigen Zeit wenig zur Ausspannung und zu eigentlich brüderlichem Verkehr. Die tägliche Arbeit gestattete keine gemütliche Expansion; die Ansprüche des Augenblickes waren zu mächtig, um einen behaglichen Austausch von Erinnerungen zuzulassen. Aber das war für diesmal auch nicht der Zweck ihres Kommens. ›Du glaubst nicht, welcher Schonung ich bei solcher unerhörten Unternehmung bedarf‹, hatte er ihr schon bei seiner Einladung zum ›Tristan‹ geschrieben. ›Doch, ich wende mich an Dein Herz! Wir können es so einrichten, daß wir beide nur das Reizende und Befriedigende dieses Wiedersehens genießen!‹ Damals hatte sie, wegen niederdrückender Familienangelegenheiten, seiner Einladung nicht Folge leisten können. Nun aber kam sie, zu hoher Befriedigung für beide Teile. ›Wonach ich bei solchen Gelegenheiten verlange‹, schreibt er ihr bald darauf, ›das habe ich Dir gezeigt ich habe meine alte Schwester mit völliger Gewalt kommen lassen, um ihr eine Freude, und mir eine Herzstärkung an ihrer treuen echten Empfindung von meinem Werke zu machen. Und das war mit wenigen Worten, einem Blicke, einem Händedrucke getan!‹ – Einen rechten Gegensatz zu diesem geschwisterlichen Wiedersehen unter so außerordentlichen Umständen, dessen Genuß, unter den erhebendsten Eindrücken der letzten, fast schon völlig ausgereiften Proben, für den persönlichen Verkehr durch den Zartsinn der Zurückhaltung, das schwesteriche Feingefühl bedingt war, – bildete das plumpe, schonungslose Herandrängen der Selbstsucht, wie es von anderer Seite her gegen ihn geübt wurde. Ein recht auffälliges Beispiel davon fällt gerade in diese Zeit der Meistersingerproben, durch deren ganze vier- bis fünfwöchentliche Dauer die beständige Anwesenheit – Weißheimers sich hinzog. Nicht, um sich in dem reinen Äther des hohen künstlerischen Erlebnisses von seinen kleinen Sonderinteressen zu befreien, war dieser nach München gekommen, sondern im Gegenteil, um den Meister, so viel nur irgend in seinen Kräften stand, mit diesen Interessen zu quälen und schließlich, da er seine Absichten nicht erreichte, seine – bis dahin im wesentlichen ungetrübten – sechsjährigen guten Beziehungen zu Wagner plötzlich ein für allemal abzubrechen!

Wir können uns über diesen Gegenstand nicht so ausführlich verbreiten, als es jener in seinem, mehrfach von uns genannten Buche33 – leider ohne jede Spur von Reue – durch Abdruck seiner eigenen damaligen Privatbriefe tut, mit all ihren engherzigen, kleinlich eigensüchtigen Äußerungen, durch welche er sich in seiner egoistischen Verblendung an dem Menschen Wagner versündigt.34 Aber wir wollen doch die Hauptpunkte daraus anführen, um [242] zu zeigen, welchen Plagen der Meister in dieser Zeit des angespannten Schaffens an der szenischen Verwirklichung seines Werkes ausgesetzt war. Es handelte sich um die von Weißheimer mitgebrachte Partitur einer von ihm komponierten Oper ›Theodor Körner‹. Nun wußten sämtliche Schüler und jüngeren Freunde Wagners auf das genaueste, was er von ihnen verlangte und erwartete: nämlich nicht eine Vermehrung des schon vorhandenen Wustes an sog. ›Kapellmeistermusik‹ durch selbstgedichtete und -komponierte Opern, sondern daß sie als tüchtige Dirigenten der klassischen und seiner eigenen Meisterwerke sich seiner würdig bewährten. Statt dessen trat Weißheimer mit der unglaublichen Zumutung an ihn heran, durch persönliche Empfehlung seines Produktes den Befehl des Königs zur Aufführung desselben an der Münchener Hofoper zu erwirken! Und diese Angelegenheit schleppte sich mit ihren Quälereien, wie gesagt, durch die ganze Probenzeit. Schon als Wagner um den 22. Mai in München eintraf, fand er Weißheimer daselbst vor, der in seiner taktlos eigenmächtigen Weise von sich aus so weit gegangen war, bei dem Könige direkt um eine Audienz wegen seiner Oper nachzusuchen. Natürlich war er abgewiesen worden, hatte aber nun sein Anliegen schriftlich vorgetragen. Kein Wunder, daß Wagner, als er bei seiner Ankunft von diesen Vorgängen erfuhr, in heftigen Unwillen geriet und es sich durchaus vorbehielt, etwa nötige Schritte in dieser Angelegenheit bei dem Könige selbst zu tun.35 Nichtsdestoweniger lud er den jungen Freund, um ihn in Güte eines Besseren zu belehren, gleich im Beginn seines Münchener Aufenthaltes, als die Ansprüche noch nicht so drängend waren, am Sonntag den 24. Mai, zum Mittag zu sich ein, und machte im Anschluß an dieses Zusammensein mit ihm und Bülows noch eine schöne Ausfahrt nach Groß-Hessellohe. ›Da war er reich an Gemütsmomenten, strömte gleich ganze Gefühlsergüsse aus, wie wert man ihm sei u. dgl. mehr‹, schreibt Weißheimer in seiner Verstocktheit. Nicht an der Liebe des Meisters war ihm gelegen, sondern an seiner Protektion, diese wollte er mit heftiger Zudringlichkeit erzwingen. Als wenn sich Wagner je von irgend einer Seite her durch Zwang etwas hätte abtrotzen lassen! Nicht die ›Meistersinger‹ reizten ihn also zu fernerem Verweilen in München, sondern der ganz bestimmte selbstsüchtige Zweck. Obgleich der Meister schon das bloße Textbuch für verfehlt erklärt hatte, wollte er ihm doch die Musik dazu aufdringlich zu Gehör bringen – man stelle sich das nur recht lebhaft vor, mitten in der ›Meistersinger‹-Zeit, unter Eindrücken, die ihm seine Nichtigkeit doch hätten zum Bewußtsein bringen müssen!!36 Im Gegenteil, [243] er will eines Tages noch vor der Aufführung München verlassen: ›meine Abreise vor den Meistersingern‹, so schreibt er, ›wird ihn hoffentlich aufklären!‹ Natürlich reiste er nicht, aber er versteckte sich für einige Zeit, ließ sich in keiner Probe sehen und nahm, ohne sich zu schämen, mit Genugtuung davon Notiz, daß sich Wagner ›bei den andern eifrig nach ihm erkundigte‹. Wörtlich! ›Ich hatte also, ohne abgereist zu sein, dasselbe Resultat erreicht (!).‹ Er berichtet dann von seinem nächsten Besuche und den zartsinnigen Bemühungen, durch welche Frau v. Bülow in lebhaftem Gespräch über eine Stunde lang ihn umstimmen wollte. ›Sie setzte mir auseinander‹, fährt er fort, ›wie doch nur die große Liebe zu mir Veranlassung war, daß er so aufgebracht über den Text gewesen; ich wüßte nicht, wie gern er mich habe (wobei ihr sogar Tränen kamen); sie ließ sich von mir versprechen, alles noch einmal ruhig zu überlegen und sie dann zu besuchen.‹ ›Wagner machte mir richtig noch einen rührenden Erguß (!), auf den ich aber nichts gebe.‹ ›Wagner klebt (!) noch immer am Text und schlug mir Paul Heyse vor behufs einer Umarbeitung.‹ Das sind die weiteren, von Weißheimer selbst angeführten Einzelheiten, denen sich dann noch die Schilderung seiner – tatsächlich! – letzten Begegnung mit dem Meister am Tage der Generalprobe anschließt. ›Wagner, der in den vorangehenden Proben stets auf der Bühne die Regie geführt, hatte in der Mitte des zweiten Ranges Platz genommen, um von oben alles gut übersehen zu können. Die unteren Räume waren schon ziemlich von den zahlreichen Gästen angefüllt. Als ich während des dritten Aktes ebenfalls nach dem zweiten Rang gegangen war, stand ich im Halbdunkel plötzlich vor Wagner, welcher gerade aus einer Loge kam. Mit unendlich wehmütigem Stimmklang, den ich nie vergessen werde, rief er zweimal: »Weißheimer – Weißheimer!« Dann ergriff er meine Hand und sah mich an.‹ Mit welchem Blicke, das ist jedem gegenwärtig, der ihm einmal ins Auge gesehen. Mit diesem Blick suchte er wohl zu erforschen, ob von dem biederen jungen Freunde wirklich nichts weiter übrig geblieben sei, als der ›Opernkomponist‹ mit seinen ehrgeizigen Aspirationen? Dann richtete er an ihn jene von uns bereits37 erwähnte Frage: ob er denn auch heute noch nicht jene, angeblich auf ihn bezügliche Stelle in der Einleitung zum dritten Akte herausgefunden habe? Und als Weißheimer verneinte, schüttelte er lächelnd den Kopf und ging wieder in die Loge, da die kleine Pause beendet war, und soeben mit der Schlußszene begonnen wurde. Das war Weißheimers letzte Begegnung [244] mit dem Meister, der ihn liebte, und von dem er sich jetzt freiwillig lossagte, weil – er seinen ›Körner‹ nicht empfehlen wollte. ›Weißheimer wütend fortgereist‹, schreibt Bülow am 26. Juni an Richard Pohl. ›Wagner sei neidisch auf ihn und intriguiere gegen seinen »Körner«. Wie findest Du das?‹

Am Schlusse der letzten Ensembleprobe, zu welcher sich die Anzahl der Zuhörer und Zuschauer bedeutend gemehrt hatte, faßte der Meister seine Hoffnung auf eine wohltätige Nachwirkung der gemeinsamen Studien in einer Ansprache an das Personale zusammen. ›Sie alle haben mir eine große Freude bereitet, und was das bedeutet, will ich Ihnen sagen‹, begann er in ungezwungen herzlicher Weise vor den atemlos lauschenden Hörern auf der Bühne wie im Hause. ›Schiller habe gesagt, daß immer, wenn die Kunst gefallen, dies durch die Künstler selbst geschehen sei. Er wolle in diesem Augenblicke nicht untersuchen, welche andere Ursachen bei dem jetzigen Verfall des deutschen Theaters mitgewirkt; so viel aber sei gewiß, daß, wenn sie sich wieder heben solle, dies nur durch die Künstler selbst geschehen könne. An einem solchen Entscheidungspunkte seien sie jetzt mit diesem Werke angelangt. Man habe den Verfall der theatralischen Kunst, der eine offenkundige Tatsache sei, häufig der Oper schuldgegeben. Dies sei teilweise gerechtfertigt. Allein jedenfalls nicht die deutsche Oper treffe diese Schuld, sondern daß wir fremdländischen Produkten, die unter ganz anderen Voraussetzungen entstanden seien, auf unserer Bühne Raum gegeben und dieselben sogar nachgeahmt haben. Nur durch die Schaffung einer wirklich deutschen Kunst also sei unserem verkommenen Bühnenwesen wieder aufzuhelfen, und zwar zugleich und vor allem durch eine möglichst vollendete Darstellung, die eben einzig durch die gemeinsame Tätigkeit aller Mitwirkenden unter einem und demselben Gesichtspunkte herzustellen sei. Dies sei hier geschehen. Sie hätten mit dem größten Fleiße zunächst eine sehr komplizierte Musik einstudiert und dieser so hohen Anforderung gegenüber sich sämtlich als vorzügliche Musiker bewährt. Sie hätten aber damit ihre Aufgabe eben nur erst halb erfüllt und ein ebenso schwieriges wie bedeutsames Problem noch in der mimischen Darstellung zu lösen gehabt, und darin, daß diesen beiden Forderungen in gleichem Maße genügt sei, liege das Außerordentliche ihrer Leistung. Von den Darstellern der ersten Partien, denen freilich zum Teil eine ungewöhnliche Begabung zur Seite gestanden, bis zum letzten der Lehrbuben habe jeder den hingebenden Fleiß der Begeisterung geübt und so auch jeder nach seinem Teil zum Gelingen des Ganzen beigetragen. Dies erfülle ihn selbst mit tiefem Dank wie mit den freudigsten Hoffnungen für die Zukunft der deutschen Kunst. Der Moment der wirklichen Aufführung des Werkes, der nach vielen Mühen jetzt bevorstehe, sei von entscheidender Bedeutung; denn es gelte zu zeigen, zu welcher Höhe und wahren Würde die dramatische Kunst sich zu [245] erheben vermöge, wenn man mit vollstem Ernst sich ihrem Dienste weihe und in wahrhaft deutscher Treue sie auszuüben strebe!‹38

Begeisterter Beifallsruf drang auf diese Anrede aus der mehr als zweihundert Personen zählenden Menge der Bühne, erzählt Nohl, zumal auch aus dem gemütlich zutraulichen Gesprächstone, womit der Meister sich zu ihnen wandte, herauszufühlen war, daß ›er selbst sich mit zu ihnen und sie zu sich zählte‹. Sämtlichen Hauptdarstellern dankte Wagner hierauf einzeln mit wärmstem Händedruck, wobei es ein wahrhaft rührendes Zeichen hingebungsvoller Begeisterung war, daß der eine und andere dem teuren Meister, der sie zu so edlen Dingen geführt und so hoch über das Niveau banalen Kunsttreibens erhoben, sogar Arm oder Schulter küßte. Seinem Sachs und Walter von Stolzing aber deuteten herzlicher Kuß und Umarmung an, wie sehr er ihrer Leistungen und selbstverleugnenden Versenkung in ihre Aufgabe in freudigem Herzen gedenke. Nur Fräulein Mallinger war wegen Unwohlseins an diesem Abende abwesend und ging ihres Anteils an dem allgemeinen Danke verlustig. Schließlich wandte sich der Meister in, kurzweg sich herabbeugender, Kordialität zum Orchester: ›Euch habe ich nichts weiter zu sagen; Ihr seid deutsche Musiker, wir verstehen uns auch ohne Worte‹, – was erneute Freuden- und Dankeslaute hervorrief. ›Es war ein unvergeßlicher Abend, eine schöne Familienszene deutscher Kunst. Auch draußen, nachdem alles in die milde, blütenduftige Sommernacht hinausgeströmt war, vor dem Theater und auf der baumbepflanzten Maximilianstraße tönte dieser eine Klang allgemeiner Begeisterung in vollen Akkorden nach. Noch stundenlang wandelten größere und kleinere Partien einheimischer wie auswärtiger Künstler und Musikfreunde dort auf und ab, um sich durch Gespräch und Abendgang von der innerlichen Gehobenheit und Ergriffenheit zu dem Maß gewohnten irdischen Daseins zurückzustimmen.‹39

Wie viele Künstler, Theaterdirektoren, Kapellmeister, Musiker, Journalisten inzwischen aus allen Himmelsrichtungen herbeigeeilt waren, um der ersten Aufführung beizuwohnen, war gar nicht zu übersehen. Die durch öffentliche Bekanntmachung angekündigten Vorstellungen waren auf Sonntag den 21, Donnerstag den 25. und Sonntag den 28. Juni festgesetzt. Hatte schon die ›Tristan‹-Aufführung eine ähnliche magnetische Anziehungskraft bewiesen, so war die Steigerung von damals zu jetzt in die Augen fallend. Immer tauchten neue Namen auf. Die Fremdenlisten jener Tage geben ein buntes und reichhaltiges Durcheinander. Schon vor der Generalprobe sollen an zweihundert [246] Interessenten eingetroffen sein. Selbst Frankreich, und speziell Paris, hatte wiederum seine Vertreter. Von den Zeugen der ›Tristan‹-Aufführung war leider der treffliche Gasperini nicht mehr am Leben. Die zehrende Krankheit, um derentwillen er schon in seinen letzten Lebensjahren vorherrschend im südlichen Frankreich sich aufhielt, hatte ihn im Frühjahr (20. April 1868) dahingerafft, nachdem er noch kurz zuvor in unermüdeter Tätigkeit die Zeitschrift ›l'Esprit nouveau‹ ins Leben gerufen und in ihr für die Kunst des deutschen Meisters eingetreten war. Dagegen fehlte von den bereits gewonnenen Freunden weder Leon Leroy, noch der junge Schüre; und als ein neuer französischer Gast von hervorragender Bedeutung hatte sich der tapfere und enthusiastische Begründer der ›populären Konzerte‹, Pasdeloup, eingefunden. Vollends gab es kaum eine größere deutsche Stadt, die nicht auf die eine oder andere Art künstlerisch repräsentiert gewesen wäre. Die Generalprobe, am 19. Juni, glich schon völlig einer ersten Aufführung. Ein zahlreiches Publikum hatte im Parkett und Parterre Platz genommen. Es waren an die fünf- bis sechshundert Billets ausgegeben, zunächst an die zum Teil aus weiter Ferne herbeigeeilten Fremden, sodann dem Herkommen gemäß an die Angehörigen des Theaterpersonals. Doch war auch sonst eine ziemliche Anzahl von Münchener Künstlern, Gelehrten, Kunst-und Musikfreunden der Ehre einer Einladung, resp. Zulassung gewürdigt. Mit dem Erscheinen des Königs um halb sechs Uhr nahm die Probe ihren Beginn. Schon das Vorspiel rief eine gehobene Stimmung hervor. Lebhafter Beifall ließ sich nach den Aktschlüssen vernehmen, und an den einzelnen Höhepunkten auch bei offener Szene nicht zurückdrängen. Die Darsteller leisteten Vorzügliches, ebenso Chor und Orchester, und das. Ganze verlief demnach ohne Schwankungen und Unterbrechungen. Von den großen Anstrengungen des Einstudierens war nichts mehr zu bemerken; jedem einzelnen Mitwirkenden war sein Anteil an der Gesamtleistung in, Fleisch und Blut übergegangen. Durch künstlerische Vollendung, und durch die völlige Neuheit ihres Eindruckes, zeichneten sich die Dekorationen aus, wie nicht minder durch ihre prompte Bedienung: der erste Zwischenakt war in 12 Minuten geordnet, für den zweiten Akt 15 Minuten in Aussicht genommen. Ebenso künstlerisch wie lebenswahr gestaltete sich die Verteilung und Bewegung der Massen in der Singschule, beim Straßenauflauf und Volksfest: der Regisseur Dr. Reinhard Hallwachs durfte sich der vollen Zufriedenheit des Meisters erfreuen. Am Schlusse der, bis 1/211 Uhr dauernden Vorstellung wandte sich das Publikum gegen die Loge, in welcher Wagner Platz genommen und machte in stürmischen Zurufen seiner Begeisterung Luft.

Zwei Tage später, am Sonntag den 21. Juni, ging die erste Aufführung vonstatten. Seinem ursprünglichen Plane gemäß wollte der Meister, wie wir uns erinnern, um diese Zeit wieder in Triebschen, ›in seinen Bergen‹ sein. Doch wurde ihm die Ausführung dieser Absicht einerseits durch den Wunsch [247] des Königs, andererseits durch den Umstand unmöglich gemacht, daß er, aus unabweislicher Sorge für die Sänger, sich selbst dazu bestimmt fühlte, die Vorstellung – möglichst ungesehen vom Publikum – heimlich zu überraschen. Und nun kam alles, Schritt um Schritt, völlig anders, als es ihm vorgeschwebt hatte. Als er sich nämlich am Aufführungstage, der Sitte gemäß, gleich nach Ankunft des Königs bei diesem melden ließ, wurde er sogleich in die Hofloge befohlen und zum Bleiben bestimmt, und wohnte demnach zur Seite seines erhabenen Beschützers dem Verlaufe der Aufführung bei. Das ganze geräumige Hof- und Nationaltheater war bis in die obersten Galerien dicht besetzt. Trotz des großen Fremdenzuflusses überwog natürlich weitaus das einheimische Publikum. Weder die tropische Junihitze, noch die lange Dauer der Aufführung40 vermochten die Teilnahme der Zuhörerschaft auch nur für Augenblicke zu zerstreuen. Schon der Eindruck des ersten Aktes war ein durchschlagender, am Schlusse desselben erhoben sich lebhafte Rufe nach Wagner, der aber nicht erschien. In demselben Maße aber, als im zweiten Akte von Szene zu Szene die Sensation im Publikum zunahm, wurde dem Meister die Durchführung seiner Zurückhaltung erschwert. Schlag auf Schlag folgten neue Schönheiten, von der hochpoetischen Szene unter dem Flieder, dem köstlichen Schusterliede des Hans Sachs bis zur zwergfellerschütternden Serenade Beckmessers: alles Vorhergehende überbot, wie ein gewaltiges Crescendo, die an drastischen Einzelheiten reiche Prügelszene, bis endlich das Horn des Nachtwächters mit langgezogenem Ruf den nächtlichen Spuk verscheuchte und, indem das elektrische Licht des aufsteigenden Mondes seinen blauen Ton auf die krumme Gasse und die dunkelragenden Giebeldächer goß, auch die Musik in duftiger Zartheit ausklang Kaum entzog der Vorhang dem Auge das trauliche Bild des stillträumenden Städtchens, so erneuerte das lang hingehaltene, tumultuarische Verlangen der erregten Menge den Ruf nach Wagner andauernd und in gesteigerter Weise. Nachdem die Darsteller mehrmals dem Hervorruf entsprochen hatten und mit stürmischem Beifall überhäuft worden waren, wandten sich die Blicke aller nach der königlichen Loge. Erneute begeisterte Rufe nach dem Schöpfer des Werkes wurden laut und hielten so lange an, bis, auf Verlangen des Königs, der Meister an die Brüstung der Loge trat, um von hier aus in tiefer Ergriffenheit stumm zu danken. Das gleiche bedeutsame Schauspiel wiederholte sich am Schlusse der Aufführung, nachdem [248] die Szene auf der Wiese, die imposanten Aufzüge der Gewerke und Zünfte, die bunte Vielgestaltigkeit in Dichtung, Ton und Szenerie Auge und Ohr kaum zur Besinnung hatten kommen lassen. Wieder derselbe entfesselte Begeisterungssturm, der nicht eher ruhte, als bis Wagner einmal und noch einmal von dem gleichen erhabenen Platze aus, gerührt und ergriffen, wie wohl noch nie soin seinem Leben, vor der jubelnden Versammlung sich verneigte, – deren Zurufe nunmehr erst recht nicht enden zu wollen schienen. Wir erfahren von diesem oder jenem Höfling, dem bei diesem unerhörten Anblick das Blut aus den Wangen gewichen sei, als ginge die Welt zugrunde: ›blaß wie ein Leichnam‹ habe einer dieser Herren auf die königliche Loge geblickt.41 ›Doch aber‹, sagt Richard Pohl in seinem Bericht über diese Vorgänge, ›mußte jedermann fühlen, daß dieser Abend ein epochemachender war, daß er Zeuge und Teilnehmer eines historischen Momentes gewesen, der in den Annalen der Kunst für immer verzeichnet stehen wird.‹ Wie ein geflügeltes Wort brach es sich Bahn durch die Menge: ›Horaz neben Augustus‹,42 und: ›Es soll der Sänger mit dem König gehen!‹

Trotzdem hielt den Meister, nachdem er bis hierher dem Willen seines königlichen Beschützers Folge geleistet, nichts mehr in München zurück. ›Wagner heute früh nach Luzern zurückgereist, damit infolge der unerhörten schönen Auszeichnung vom Sonntag keine neuen Ärgernisse entstehen‹, schreibt Bülow drei Tage später, am 24. Juni. An dem Abend dieses Abreisetages sollte die zweite Aufführung der ›Meistersinger‹ stattfinden, sie ward jedoch wegen Heiserkeit Hölzel-Beckmessers abgesagt, so daß die erste Wiederholung erst am folgenden Sonntag (28. Juni) vor sich ging. Leider war sein Gesundheitszustand nicht der beste. Was alles hatte nicht, in diesen letzten sechs Wochen, innerhalb und außerhalb des Theaters, schonungslos auf ihn eingestürmt – von den takt- und sinnlosen Attentaten Weißheimers mit seiner unglücklichen Oper, bis zu den mancherlei Unannehmlichkeiten des Theaterverkehrs! ›Leider [249] hat mich meine Beteiligung, namentlich wegen des unvermeidlichen Ärgers über störende Elemente, auch diesmal wieder sehr angegriffen‹, schreibt er noch vierzehn Tage später an Wesendonck. Er sei seitdem fortwährend erkrankt geblieben. Eine ›anhaltende Fieberschwäche‹ hatte sich seiner bemächtigt. In seinen gleichzeitigen brieflichen Lebensäußerungen ist davon nichts zu spüren – immer nur den besten, intimsten Freunden hat Wagner es anvertraut, daß er leide. ›Ich will verflucht sein, wenn je ein Feind mich klagen hörte‹, hatte er einst an Uhlig geschrieben. Und dabei blieb es für alle Zeiten, da es so in seiner Natur lag. Kein Fernerstehender hat ihn anders als fest, elastisch, unnahbar und unzugänglich für jeden äußeren Angriff gefunden. Vom 1. Juli datiert ist ein photographisches Porträt des Meisters aus Triebschen für Hölzel mit der Unterschrift. ›Hans Sachs, über einen Brief Beckmessers brütend.‹43 Aus der gleichen Zeit der ersten Wiederholungen des Werkes stammt die wohlgelaunte Depesche an denselben Sänger, als dieser im zweiten Aufzuge die zweite Strophe seiner Serenade – gestrichen haben wollte! Sie lautet:


›Hölzel, Hölzel, straff wie Holz! Nichts gestrichen, immer stolz!

Wird am Schluß er ausgelacht keiner es doch besser macht.

Selbst als Arm- und Bein-Zerschlagner tröst' er sich mit

Richard Wagner.‹


Und während ihn um diese Zeit bereits manche Korrespondenzen mit den größeren deutschen Bühnen wegen der Aufführung des Werkes in Anspruch nahmen, verfolgte er doch aus der Ferne mit Interesse den Verlauf der Münchener Vorstellungen. ›In die Meistersinger sollt Ihr noch einmal kommen‹, schreibt er am 28. Juni an Mrazek. Die dritte Aufführung fiel auf den 2. Juli, die vierte, fünfte, sechste auf den 7., 12., 16. Juli. Bei letzterer geschah es, daß der Sänger des Kothner (ein Herr Fischer) plötzlich heiser ward, und statt seiner, schnell entschlossen, – Hans Richter die Partie übernahm und sie mit bestem Erfolge durchführte! Das freute den Meister zu erfahren; es war seines echten Schülers würdig. ›Daß Sie den Kothner agiert und gesungen, wie Sie dies ausführten – mit Ernst und Gewissenhaftigkeit –, hat mich, so verwunderlich der Fall andrerseits war, in keine Art von Erstaunen versetzt; denn ich weiß, ich würde es an Ihrer Stelle ebenso gemacht haben.‹ Bezeigungen dankbarer Begeisterung kamen ihm von mancher Seite her zu, z.B. von Wesendonck, der einst dem ›Tristan‹ ferngeblieben, nun aber dem Eindruck der beiden ersten Aufführungen der ›Meistersinger‹ mit Ernst sich hingegeben hatte. In einem geschäftlichen Briefe vom [250] 2. Juli hatte er gegen seinen Mainzer Verleger und sonderbaren Freund – Kissinger Angedenkens! – Franz Schott die (vielleicht mehr humoristisch gemeinte?) Ansicht ausgesprochen: dieser sei von den ›Meistersingern‹ nicht entzückt gewesen. Dagegen verwahrte sich Schott in einem charakteristischen Antwortschreiben vom 10. Juli, worin er sich zunächst wegen der verzögerten Absendung der Parti tur-Exemplare entschuldigt,44 sodann aber Wagners ungünstige Ansicht über sein Urteil hinsichtlich des neuen Werkes auf den Umstand zurückzuführen versucht, daß er ihn – bei seinen Münchener Unterhaltungen – des öfteren mit der Erwähnung seines geschwornen Antagonisten Franz Lachner belästigt habe. ›Sie irren sich sehr, verehrter Freund‹, fährt er dann fort, ›ich bin sehr befriedigt von dem Werke und dessen Erfolg, außerordentlich zufrieden und stolz, der Verleger dieses neuen großartigen Meisterwerkes zu sein. Zudem versichere ich Sie, daß ich ... auf eigenen Füßen stehe. Die Lachners und Esser45 sind alte Freunde unseres Hauses, aber ohne allen Einfluß auf meine Gesinnungen. Endlich müssen Sie berücksichtigen, daß ich ruhiger Natur bin und nicht viel Worte habe, um meine Gefühle auszudrücken. Ich gratuliere Ihnen herzlichst zu dem großartigen Meisterwerk, das Sie unserem lieben Vaterlande geliefert haben. Das ganze Deutschland muß Ihnen Dank zollen!‹

Minder erfreulich waren die zahlreichen Korrespondenzen mit den Leitern der deutschen Theater, die sich nun mit ihren Anfragen wegen des Aufführungsrechtes für seine neueste Schöpfung an ihn wandten, unter ihnen obenan die großen Hoftheater von Dresden, Berlin und Wien. Ihm selbst mußte daran gelegen sein, gerade dieses Werk – das letz te von ihm für die Theater bestimmte und geschaffene! – auf diesen Bühnen prompt zum Erscheinen gebracht zu sehen. Nur mußte er dafür als erste Bedingung die Zusicherung einer korrekten Wiedergabe festhalten. Wien und Berlin zogen die Verhandlungen ein volles Jahr in die Länge; hier gab es eine Kapellmeisterkrisis, dort sah man der Eröffnung des neuen Hofopernhauses entgegen. Für Dresden war Tichatschek der freundschaftliche Vermittler zwischen dem Meister und der dortigen Königl. Generaldirektion. Sein Brief an diesen alten Freund, vom 17. Juli datiert, ist typisch für die ihm von dieser Seite her entgegentretenden Vorschläge und Forderungen (die sich in erster Reihe auf die Bewilligung des Rechtes zu Kürzungen bezogen!) – manches in dieser [251] Hinsicht hier Ausgesprochene hatte er nach anderer Seite hin46 fast buchstäblich in ganz gleicher Weise zu wiederholen! Es vergegenwärtigt uns daher so recht den Reformator im Kampfe mit seinem erbittertsten Feinde, der Trägheit und dem Schlendrian der Theater, insbesondere der Kapellmeister. So war ihm von Dresden aus die Zumutung ausgesprochen, in ›Abkürzungen‹ zu willigen, welche ›in seinem Werke angebracht werden sollten, ohne daß der Sinn und die Handlung gestört würden (!), sowie der Zusammenhang der Komposition eine empfindsame Lücke erfahre‹. ›Wer diese Kürzungen vorzunehmen verstünde‹, erwidert er darauf, ›wäre für mich belehrend zu erfahren, – da kein mit dem Werke genau Vertrauter sie auszuführen unternehmen würde, sondern nur jemand, der eigentlich gar nichts davon kennt. Nun hat es sich denn gefunden, daß hier in München weder Sänger noch Musiker, noch vor allem auch das Publikum je nach einer Kürzung verlangt hat. Die Klage über die Länge (oder vielmehr die dadurch gesteigerte Schwierigkeit des Werkes) ist mir zuerst von seiten der verschiedenen faulen deutschen Kapellmeister berichtet worden, welche zu den Aufführungen der Meistersinger sich hier zusammenfanden. Der Schreck dieser Herren über die viele Arbeit, die sie hier vor sich sahen, ist natürlich nicht imstande mich zum Mitleiden zu bewegen; denn gegen ihre Faulheit und Unfähigkeit, die Bedürfnisse einer dramatischen Musikaufführung zu verstehen, stehe ich eben im Kampfe. Genug, ich bin gesonnen, keinem Theater die Aufführung der Meistersinger zu gestatten, als gegen die ausdrückliche Verpflichtung der Direktion: nichts daran ändern und kürzen zu lassen Möge dies mir noch so große Opfer kosten, so würde ich mich doch schämen, diese Gelegenheit des Erscheinens meines zu größter Popularität bestimmten Werkes nicht zu einem ernstlichen Versuche zu benützen, dem im nichtswürdigsten Schlendrian versunkenen deutschen Opernwesen eine fördernde gute Richtung beizubringen.‹

Dies der allgemeine Standpunkt des Meisters gegen alle Bühnen, die es mit seinem neuen Werke versuchen wollten. Speziell für Dresden kam aber doch noch etwas anderes hinzu. Gerade bezüglich der Kgl. Sächsischen Hofbühne mußte er sich dessen bewußt bleiben, wie derselbe Dirigent, welcher jetzt daselbst in höchstem Ansehen stand, Julius Rietz, und dem er jetzt seine ›Meistersinger‹ anvertrauen sollte, einst in Leipzig seinen ›Lohengrin‹ bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und vergewaltigt hatte!47 ›Da außerdem‹, fährt er deshalb in dem obigen Schreiben fort, ›keiner der angestellten Dresdener Kapellmeister imstande ist, mein Werk richtig zu erfassen und wiederzugeben, schlage ich – da ich mich unmöglich bei dem Studium selbst beteiligen kann[252] – die private Mitwirkung des jungen Musikdirektors H. Richter, gegenwärtig in München, dazu vor. Dieser, der mit allen meinen Intentionen auf das innigste vertraut ist, hat die hier vereinigten Sänger, sowie den Chor, in wahrhaft staunenswert kurzer Zeit mit bewunderungswürdiger Sicherheit einstudiert. Dasselbe würde er in Dresden, durchaus nur privatim, somit ohne die Herren Kapellmeister zu beleidigen, tun; er würde außerdem den Sängern auf das genaueste das richtige Zeitmaß, sowie die rechte Ausdrucksweise beibringen, so daß diese (die Kapellmeister) dann in den offiziellen Theaterproben durch die Sänger selbst zu der richtigen Auffassung gewissermaßen genötigt würden. Auf diese Weise glaubte ich dann auch dort mich einer Aufführung versichert zu sehen, wie sie einzig Wert für mich hat, und dem Dresdener Theater zur Ehre gereichen wird.‹ Gegen die hiermit bezeichnete Schutzmaßregel erhob sich nun aber seitens der Dresdener Direktion der Einspruch, sie könne unmöglich zugeben, daß ihre angestellten Kapellmeister ›durch einen jüngeren Musiker überwacht‹ würden. Bloß aus Rücksicht auf seinen Verleger mußte der Meister schließlich von seiner Forderung abstehen.48 Aber – ›Freude macht mir die ganze Sache nicht!‹ heißt es in einem späteren Briefe an Tichatschek.49 ›Alle eure Kapellmeister von A bis Z können meine Opern nicht dirigieren, weil sie im besten Falle nur routinierte Musikanten sind, und nichts, nichts vom Theater kennen und verstehen, außer höchstens die schlechten Gewohnheiten der Opernsingerei. Ja, da müßte ein anderer dazu heran! Ich hab' es überhaupt jetzt nach jeder Seite hin satt, und bin entschlossen nach keinem Theater zu auch nur noch eine Hand zu reichen. Die Art, wie alles verwaltet wird, ist zu stupid: unsereines kann damit nichts zu tun haben!‹ –

Zu diesen ›Kapellmeister‹-Erfahrungen an den großen Hoftheatern kamen dann noch die mit den Direktionen der mittleren und kleineren Bühnen. Unter ihnen verdient die an der guten alten Meistersingerstadt Nürnberg gemachte eine Hervorhebung. Hier, in Nürnberg, hatte er sogar ursprünglich am liebsten die erste Aufführung seines Werkes vor sich gehen lassen wollen. ›Meine Hoffnung auf Nürnberg‹, berichtet er später darüber, ›täuschte mich jedoch ganz und gar. Wohl wandte sich der dortige Theaterdirektor wegen der Akquisition der »neuen Oper« an mich; ich erfuhr zugleich, daß man damit umgehe, Hans Sachs ein Denkmal zu setzen, und legte nun dem Direktor als einzige Honorarbedingung die Abtretung der Einnahme der ersten Aufführung der »Meistersinger« als Beisteuer zu den Kosten der Errichtung jenes Monumentes auf; worauf dieser Direktor mir gar nicht erst antwortete ... Dem Denkmal des Hans Sachs gegenüber stellte sich aber in Nürnberg eine imponierende Synagoge reinsten orientalischen Stiles auf.‹50 – – –

[253] Einen kurzen Blick werfen wir in diesem Zusammenhang noch auf die Art der Aufnahme des Werkes in der publizistischen Öffentlichkeit des deutschen Vaterlandes. Wie diese sich zu seinem ganzen Wirken stellte, wurde gelegentlich des Tristan (S. 103 Anm.) zur Genüge von uns angedeutet, um uns in diesen – einer höheren Aufgabe dienenden – Blättern ein für allemal damit abgefunden zu haben. Es ist nicht zu leugnen, daß es auch verständige Stimmen gab, unter ihnen die des weithin populären Berliner Witzblattes ›Kladderadatsch‹, das sich gleich nach den ersten Aufführungen sehr ernsthaft über die nationale Bedeutung des Werkes äußerte, ja zum Schluß die weitgehendsten politischen Hoffnungen, welche damals deutsche Seelen erfüllten, zu diesem deutschen Werke in eine lebendige Beziehung setzte:


Nicht ›vertan‹ und nicht ›versungen‹! Nein, in ernst' und heit'rer Weise

Mächtig packend aller Geister, echter deutscher Kunst zum Preise

Und zur Ehre unserm Meister ist der Meistersang erklungen.

Tapf're Siegesfahnenschwinger zieh'n wir von der Isar Strand

Bald, die deutschen Meistersinger durch das ein'ge deutsche Land.


Im allgemeinen aber blieb es in der eigentlich zünftigen Kritik der scheinbaren ›Kunstgenossen‹ bei jenem Phänomen, dessen klassische Schilderung – in dem Aufsatze ›Publikum und Popularität‹51 – mit den Worten schließt: ›das Gottesurteil (des Theaterpublikums) ist gesprochen, und der Rezensent – schimpft fort.‹ Neid, Scheelsucht, Bosheit, Gehässigkeit vereinigten sich mit Engherzigkeit und Dummheit, um sich in Schmähungen der Musik und Dichtung wechselsweise zu überbieten.52 Noch im Jahre 1891 konnte ein J. Fröbel, der einem ihm allzu begeistert dünkenden Bericht über die erste Aufführung die Aufnahme in die ›Süddeutsche Presse‹ verweigerte (!),53 seinen Ärger darüber nicht beruhigen, daß ›Wagner um jene Zeit mit seinem schlechtesten Werke, den geist- und witzlosen Meistersingern, – den Gipfelpunkt seiner dramaturgischen Ehrenstellung erreicht habe‹.54 Recht unerfreulich nahm sich nun aber in diesem Chor scheelsüchtiger Spötter und Verächter die Stimme des alten Jugendfreundes Heinrich Laube aus, der sich bei dieser Gelegenheit zum erstenmal mit [254] Entschiedenheit unter die erbittertsten Gegner Wagners stellte, nachdem er sich noch ein Jahr zuvor für die erwünschte Anstellung in München in so vertrauenweckender Ergebenheit um seine freundschaftliche Befürwortung beworben! Nun fiel er in dem Stammblatte des Herrn Hanslick, der Wiener ›Neuen freien Presse‹, über die Meistersinger her, die ihn ›geärgert und gelangweilt‹ hätten, in denen es ›von unmusikalischen Holzpantoffeln klappere‹, über das ›Forcierte im Text‹ und das ›Klappernde und Kreischende‹ der Musik. Ein ganzes Tappertsches ›Schimpflexikon‹ ließe sich allein aus diesem Artikel extrahieren. Trotzdem machte er, in Betracht der Berühmtheit seines Verfassers, gewissenhaft die Runde durch musikalische und nichtmusikalische Zeitungen. ›Laubes Aufsatz‹, schreibt daher Bülow (brieflich an J. Raff, 11. Sept. 1868), ›ist nichts weiter als die Rache für seine Nichtanstellung als Intendant, worauf er brannte. Wir haben Briefe, die das erläutern. Als Cornelius den infamen Artikel von Laube in derselben »Tonhalle« gelesen, wo der Anfang seines Manuskripts (»Lehrbubenstudien«) abgedruckt, hat er dieses zurückgefordert und dem Redakteur unverblümt einen Lumpen an die Nase geworfen.‹ Natürlich blieb dieser häßliche Eindruck, nebst allem Verletzenden, das für ihn gerade in dieser Autorschaft lag, dem Meister nicht erspart, und kostete ihn einen peinlichen Augenblick. Er entledigte sich der Stimmung in drei Sonetten von überwältigendem Humor, die in heiterer Satire und mit völliger Porträttreue die Beschränktheit des ›großen‹ Dramaturgen auf den ›theatralischen Drucker‹ kennzeichnen, über welchen der Horizont des alten Jugendgenossen doch nicht hinausging, dessen Anstellung in München, wäre sie geglückt, nur eine neue Enttäuschung gewesen sein würde.55 Sie wurden mit der Unterschrift ›ein enthusiastischer Patriot Leipzigs‹ und einem Begleitbrief Wagners vom 10. September an eine österreichische politische Zeitung eingesandt, welche aber – nicht den Mut hatte, sie zum Abdruck zu bringen! So wohlakkreditiert war damals noch der Name Laubes und so ungleich das Maß für die Beurteilung dessen, was man sich gegen ihn und – gegen Wagner erlauben durfte.

Sollen wir die Erlebnisse des Meisters während dieser Spätsommermonate des Meistersinger-Jahres mit einiger Vollständigkeit hier anführen, so dürfen wir allerdings einen Vorfall nicht unerwähnt lassen, gelegentlich dessen seine Teilnahme für jenen ›unheilvollen Sohn des bekannten Neffen Beethovens‹ in Anspruch genommen wurde, der um die Mitte August von Wien aus mit Weib und Kind in München eingetroffen war, wo er sich bei Ludwig Nohl, als Biographen Beethovens, einfand, um nur Unterkunft zu erhalten Ohne viel zu fragen, ob der Träger dieses großen Namens, der sich, gleich seinem Großoheim, Ludwig van Beethoven nannte, seines Schutzes auch würdig sei, [255] und welche besonderen Umstände ihn von Wien vertrieben hätten, wandte sich Nohl direkt mit der Bitte um eine Unterstützung desselben an Wagner nach Luzern mit einer so nachdrücklichen Empfehlung seines Schützlings, daß der Meister – von der bloßen Tatsache der Schutzbedürftigkeit eines indirekten Abkömmlings des großen Tonheros tief ergriffen – sofort die nötigen Schritte für die erbetene ›rasche Hilfe‹ tat. Er legte dem König brieflich die Bitte vor, sich durch Nohl die nötigen Auskünfte erteilen zu lassen und im günstigen Falle ›Herrn L. v. B. in seinem Kabinet oder Sekretariat seinen Fähigkeiten gemäß unterzubringen‹. Die ihm durch Nohl übermittelten beglaubigenden Aktenstücke sandte er letzterem zurück, damit er auf Grund derselben mündlich oder schriftlich dem Königl. Hofsekretär Rat Düfflipp die Sache vortrage. ›Ich glaube nicht daran zweifeln zu dürfen‹, schrieb er in diesem Sinne (unterm 25. August) an Nohl, ›daß der König großherzig auf meine Bitte eingeht: ob seine Beamten nicht aber herausfinden werden, daß es besser sei, wenn der König sich der Sache nicht annehme, und demnach das Gelingen zu hintertreiben wissen, kann ich – nach vielen und mancherlei Erfahrungen – nicht mit Sicherheit ermessen. In diesem Falle müßten wir weiter aus persönlichen geringen Mitteln zu sorgen suchen.‹ Leider stellte sich nun aber heraus, daß der Gegenstand so angelegentlicher Empfehlung und der dadurch hervorgerufenen Fürsorge des Meisters der beiderseitigen Teilnahme wenig würdig war. Wie bereits in Wien ein Konflikt mit den Gesetzen ihn zu so jäher Flucht genötigt hatte, so geschah es nicht allzu lange darauf auch in München. Nach der eigenen Erzählung Nohls sei es abermals eine unrechtmäßige Handlung, ein ›Verbrechen‹ gewesen, das gegen ihn, statt der erwarteten Unterstützung, ›im Namen des Königs von Bayern‹ einen Verhaftbefehl nötig machte. So erreichte die Episode von dem Großneffen Beethovens einen unerwartet plötzlichen Ausgang, ohne nach irgend welcher Hinsicht eine weitere Erinnerung an sich zu hinterlassen.

Gegen Ende September und Anfang Oktober befand sich der Meister auf einer kaum vierzehntägigen Reise nach Oberitalien (Stresa am Lago maggiore, Mailand, Verona, Genua) – bei welcher sich leider die starken Überschwemmungen dieses Jahres störend bemerkbar machten, indem weithin ganze Bahnstrecken unter Wasser gesetzt waren. In die zweite Hälfte des Monats fiel der vierzigjährige Hochzeitstag seiner guten alten Schwester Klara, die er soeben zu den Meistersingern hatte begrüßen dürfen. Er selbst konnte an dieser Feier nicht teilnehmen: ›dafür schicke ich Dir denn‹, heißt es in dem wunderschönen Briefe zu diesem Festtage, ›die Meistersinger selbst, die nun als Brautführer sich recht gut ausnehmen werden. Namentlich ist Hans Sachs ganz dazu gemacht, heute mein Amt zu übernehmen; die Lehrbuben können in Gottes Namen auch mit bei der Feierlichkeit figurieren‹ ... ›Liebe Kläre!‹ fährt dann dasselbe Schreiben in ernsterer Wendung fort, ›diese Meistersinger [256] kommen wirklich nicht ganz ohne Sinn zu Deinem Hochzeitstage. Nimm Dir aus ihnen den Geist einer ruhig lächelnden Resignation. Er hat mir dieses Werk eingegeben, und was kann uns schöner ziemen beim Rückblick auf ein mühe- und sorgenvolles Leben, das so wenige unserer Wünsche erfüllte? Daß wir alles er tragen, um endlich jede eigentliche Hoffnung fahren zu lassen, zeigt doch, daß mit dem allen nur ein Wahrhaftes zu gewinnen war: Ruhe des Gemüts in der Entsagung! Und wahrlich, aus ihr läßt sich noch ein großer und einzig untrübbarer Genuß herausschlagen: die ruhige, interesselose Freude am Schönen und Guten. Sieh', so etwas konnte ich Dir bieten, als ich Dich nach München kommen ließ; nun sende ich Dir das Werk noch zum Nachleben zu: blättere oft darin, und kommt dann darüber der goldene Hochzeitstag heran, so schlag's noch einmal auf, vielleicht erklingt es dann von selbst wieder! –‹

Aber noch andere, tiefere Seelenregungen und -Stimmungen deckt eben dieser inhaltreiche Brief uns auf, die ganz und gar in die Biographie des Meisters gehören, sein rein menschliches Ergehen während dieser Lebensepoche vor uns aufdecken. ›Wenn sich mein Leben jetzt immer mehr vereinsamt, so ist wohl einerseits meine immer schmerzhaftere Empfindlichkeit gegen die ewig mit Mißverständnissen und Unsinnigkeiten mir begegnende Welt daran schuld, andererseits fühle ich diese Vereinsamung aber um so mehr, als ich ohne Familie bin.‹ Wir wissen, auf Grund alles Vorausgegangenen, was diese Klage in seinem Munde bedeutet. Und nicht lange mehr konnte dieser provisorische Zustand andauern. Der letzte entscheidende Schritt mußte geschehen, um die ser schmerzlichen Übergangsperiode ein Ende, ihm selber aber die häusliche Grundlage eines neuen, nun erst im vollen Sinne des Wortes schöpferischen Daseins zu bereiten. Nie – ohne diesen Schritt! – würde die Welt sonst ein Bayreuth erlebt haben, kaum der ›Ring‹ zur Vollendung gelangt sein! ›Den Begriff der Familie‹, fährt die zitierte Briefstelle fort, ›kenne ich nur aus meinem alten Zusammenhange mit meinen Geschwistern: wie sehr aber mußte diesen das Leben lockern. Gern hätte ich ihn wieder aufgefrischt; ohne gerade eine Familienkonferenz veranlassen zu wollen, gehe ich immer damit um, Euch der Reihe nach einmal aufzusuchen. Ich war nahe daran, dies vor kurzem auszuführen; so viele ernste Angelegenheiten, welche ich jetzt in Ruhe und gesammelter Fassung sich erledigen lassen muß, hielten mich aber bei der Vorstellung, daß ich mit dieser Reise notwendig mich großer Unruhe aussetzte, von der Ausführung des Vorhabens zurück. Das viele Sprechen mit vielen Personen ist es, was mich stets fieberhaft aufregt und ermüdet: das kommt wohl mit daher, daß ich an keinem Hauptorte mich je zu einer anhaltenden Verkehrstätigkeit fixieren konnte, und nun, wohin ich komme, immer als ein Fremder begafft und ausgefragt werde, was mich in leidenschaftlich ärgerliche Aufregung versetzt, namentlich da niemand sich doch die Mühe [257] gibt, mich und was ich schaffe und wirke, genau kennen zu lernen, und jeder daher immer nur an mir wie an einer Kuriosität herumtappt.‹ ...

Dieses Begafft- und Ausgefragtwerden, dieses ›viele Sprechen mit vielen Personen‹ hatte er noch bei dem letzten Münchener Aufenthalt, in dem grenzenlosen Trubel der ›Meistersinger‹-Tage, gründlichst durchgemacht: die Esser, Schott, Weißheimer usw. hatten reichlich das ihrige dazu beigetragen, ihm diesen Aufenthalt zu verleiden und ihn, gleich nach der ersten Aufführung, in die Stille von Triebschen zu vertreiben. Trotzdem sehen wir, daß das in den obigen Briefzeilen ausgedrückte Verlangen nach erneuter Berührung mit den Seinigen während dieser Wochen in ihm rege blieb. So begab er sich denn in der ersten Hälfte November zu einem Besuch der Familie seiner Schwester Ottilie Brockhaus nach Leipzig, die er zuletzt bei ihrem kurzen Münchener Aufenthalt im Spätsommer 1864 gesehen. Wir haben bereits bei Erwähnung jener Begegnung (S. 26) dessen gedacht, daß ihm sowohl diese Schwester, als ihr Gatte, Prof. Hermann Brockhaus, innerhalb seines Verwandtenkreises von jeher besonders lieb waren. Auf der Fahrt von Luzern nach Leipzig begleitete ihn als Lektüre das soeben erschienene ›Neue Skizzenbuch‹ von Ludwig Nohl, welches ihm im Augenblick des Antrittes seiner Reise zugegangen war und dessen ganze zweite Hälfte den ›Münchener Frühling von 1868‹ und speziell die ›Meistersinger von Nürnberg‹ eingehend behandelte. So bot es ihm denn unterwegs eine ›sehr erfreuende Unterhaltung‹, in betreff deren er dem Verfasser nach seiner Rückkehr versichern konnte, daß ihn, vieles ›ja das meiste dieser Aufzeichnungen, ergriffen und gerührt habe‹. In Leipzig lebte er bei seinen Verwandten im strengsten Inkognito. Er war nur um ihretwillen und nicht zum Besuche seiner Vaterstadt gekommen, die sich bei jedem Anlaß so ablehnend, ja feindselig gegen ihn verhalten hatte. ›Die Presse hatte keinen Wind, und die Dienstboten bei Brockhausens waren stumm gemacht, wie Gräber in Livree‹, sagt darüber jemand, dessen Bekanntschaft wir sogleich, mit dem Meister zusammen, machen werden. In Gegenwart einer Freundin seiner Schwester, der Frau Professor Ritschl, spielte er ihr nämlich Walters Meisterlied vor, und erfuhr nun von letzterer, daß ihr dieses bereits wohlbekannt sei: durch einen jungen Philologen, namens Friedrich Nietzsche, der es ihr vorgespielt. Und wie dann ein Wort das andere gab, hörte er so viel Empfehlendes über Geist und Begabung des jungen Mannes, daß er den Wunsch aussprach, ihn kennen zu lernen. Die Schilderung dieser ersten Begegnung in dem ›sehr behaglichen Salon Brockhaus‹, in dem sonst niemand, als die ›engste Familie‹ zugegen war, gibt uns ein Tags darauf geschriebener Brief Nietzsches, dessen studentisch flotter Ton die Bedeutung dieses ersten Eindruckes auf den Vierundzwanzigjährigen doch schon recht drastisch hervortreten läßt. ›Ich werde ihm vorgestellt‹, heißt es in diesem Bericht, ›und rede zu ihm einige Worte der Verehrung: er erkundigt [258] sich sehr genau, wie ich mit seiner Musik vertraut geworden sei, schimpft entsetzlich auf alle Aufführungen seiner Opern, mit Ausnahme der berühmten Münchener, und macht sich über die Kapellmeister lustig, welche ihrem Orchester im gemütlichen Tone zurufen: »meine Herren, jetzt wird's leidenschaftlich«, meine »Gutsten, noch ein bißchen leidenschaftlicher!« ... Vor und nach Tisch spielte er, und zwar alle wichtigen Stellen der Meistersinger, indem er alle Stimmen imitierte und dabei sehr ausgelassen war: er ist nämlich ein fabelhaft feuriger und lebhafter Mann, der sehr schnell spricht, sehr witzig ist und eine Gesellschaft dieser privatesten Art ganz heiter macht. Inzwischen hatte ich ein längeres Gespräch mit ihm über Schopenhauer. Welcher Genuß war es für mich, ihn mit ganz unbeschreiblicher Wärme von diesem reden zu hören: was er ihm verdanke, wie er der einzige Philosoph sei, der das Wesen der Musik erkannt habe. Dann erkundigte er sich, wie sich jetzt die Professoren zu ihm verhalten, lachte sehr über den Philosophenkongreß in Prag56 und sprach von den philosophischen »Dienstmännern«. Nachher las er ein Stück aus seiner Biographie vor, die er jetzt schreibt, eine überaus ergötzliche Szene aus seinem Leipziger Studienleben, an die ich jetzt noch nicht ohne Gelächter denken kann.‹ Beim Abschiede ›drückte er mir sehr warm die Hand und lud mich sehr freundlich ein, ihn zu besuchen, um Musik und Philosophie zu treiben; auch übertrug er mir, seine Schwester und seine Anverwandten mit seiner Musik bekannt zu machen: was ich denn feierlich übernommen habe.‹57

Erst im nächstfolgenden Frühjahr erfolgte, in Anknüpfung an diese erste Begegnung, eine Wiederaufnahme der beiderseitigen Beziehungen und eine nähere Bekanntschaft; für jetzt aber nehmen die Nachwirkungen dieses ersten persönlichen Eindruckes in dem Briefwechsel des jungen Gelehrten mit seinem engsten Freunde und Studiengenossen Erwin Rohde bereits einen großen Raum ein. Mit glühendem Eifer wirst er sich nunmehr auf das Studium der Wagnerschen Schriften, vor allem der kürzlich erschienenen 2. Auflage von ›Oper und Drama‹. ›Wagner, wie ich ihn jetzt kenne, aus seiner Musik, seinen Dichtungen, seiner Ästhetik, zum nicht geringsten Teile aus jenem glücklichen Zusammensein mit ihm, ist die leibhaftigste Illustration dessen, was Schopenhauer ein Genie nennt: ja die Ähnlichkeit all der einzelnen Züge ist in die Augen springend Ach, ich wollte, ich könnte Dir in behaglicher Abendstunde die vielen kleinen Einzelheiten erzählen, die ich über ihn, meistens durch seine Schwester, weiß; ich wollte, wir könnten die Dichtungen mit einander lesen (die R.58 so hoch schätzt, daß er Wagner für den bei weitem ersten Dichter der Generation hält), wir [259] könnten zusammen den kühnen, ja schwindelnden Gang seiner umstürzenden und aufbauenden Ästhetik gehen, wir könnten endlich uns von dem Gefühlsschwunge seiner Musik wegreißen lassen, von diesem Schopenhauerschen Tonmeere, dessen geheimsten Wellenschlag ich mit empfinde, so daß mein Anhören Wagnerscher Musik eine jubelnde Intuition, ja ein staunendes Sichselbstfinden ist.‹59 ...

So seltsam zufällig leitete sich die Begegnung mit dem jungen Freunde ein, der in den nächsten Jahren seines Lebens dem Meister immer bedeutsamer nahetreten und ihn mit Hoffnungen auf eine reiche Entwicklung erfüllen sollte. Was mußte dazu nicht alles zusammenwirken: erstens der Umstand, daß der junge Mann seine Studien gerade in Leipzig und nicht in Halle oder Jena oder sonstwo vollendete; sodann, daß Wagner den so lange geplanten Verwandtenbesuch gerade damals und nicht etwas früher oder später ausführte, wobei diese erste persönliche Berührung gar nicht hätte stattfinden können. Dazu kam dann noch als drittes der weitere Zufall, daß derselbe junge Philologe ohne jedes Zutun von seiner Seite wenige Monate später als Professor gerade nach – Basel berufen wurde. ›Kürzlich hat mich‹, schreibt er daher am 16. Januar 1869 ›Richard Wagner, zu meiner größten Freude, brieflich grüßen lassen. Luzern ist mir nun nicht unerreichbar.‹

Fußnoten

1 Ges. Schr. X, S. 161.


2 Band III des vorl. Werkes, S. 351. 364. Vgl. S. 430/31.


3 Ges. Schr. V, S. 3.


4 Wir sprachen auf S. 215 von der – von so mancher Seite her bereits energisch befürworteten – Notwendigkeit einer Lektüre der Wagnerischen Schriften an sämtlichen höheren deutschen Bildungsanstalten; nächst dem großen ›Sendschreiben‹ des Kunstreformators an den christlichen Adel deutscher Nation käme dafür in erster Reihe diese ungemein reichhaltige und tiefe Exemplifikation des ›Hauptgedankens‹ in Betracht!


5 ›Die versprochene Fortsetzung‹, schreibt Bülow darüber an Bronsart, ›hat er nicht geliefert, weil er das Buch gar zu seicht und elend befunden, und so läßt er denn die Kölner weiter ängstlich zappeln, was auch keine üble Rache ist‹ (Bülow, Briefe IV, S. 220)


6 Buchstäblich in diesem Sinne einer ›Rangordnung‹ wies er in dem nächstfolgenden Sommer den Bericht eines Mitarbeiters über die erste Auffüllung der ›Meistersinger‹ – wegen angeblicher Überschwänglichkeit – mit den Worten zurück. ›Woher sollte ich die Sprache nehmen, um eine große politische Leistung zu würdigen, wenn schon für die Würdigung einer künstlerischen dieselbe bis an die Grenzen ihrer Mittel geht?‹ (Fröbel II, S. 499.)


7 Brieflich an Frau v. Bülow, 13. und 14. Dezember 1867.


8 Ges. Schr. X, S. 70/71.


9 Ges. Schr. X, S. 167


10 Vgl. S. 206/07 dieses vorliegenden Bandes, wo es sich ja ebenfalls um einen noch unaufgeklärten Vorfall handelt.


11 Wiederholt war, während der Pechmannschen Periode, der Inhalt des Blattes bei dem Könige zur Aufreizung gegen Hohenlohe benutzt worden, als wären die Artikel desselben direkt durch den Fürsten inspiriert und speziell gegen den Minister des Innern gerichtet (Fröbel II, S. 507/08).


12 In einem uns vorliegenden Briefe vom 13. Dezember 1867 spricht er sich noch sehr zuversichtlich triumphierend dahin aus: ›eine Zurückziehung der Kgl. Subvention würde der »Süddeutschen Presse« insofern mehr nützen als schaden, als schon jetzt Abonnenten des Blattes wegen der darin geübten Kunstkritik zurückträten (!).‹


13 Ges. Schr. VIII, S. 255/56.


14 Bülow, Briefe IV, S. 222.


15 Vgl. den Artikel: ›Das Münchener Hoftheater‹, in der Augsb. Allg. Zeitung 1869, Nr. 259 vom 16. September.


16 Vgl. Bd. III des vorl. Werkes, S. 436


17 Bülow, Briefe IV, S. 216. 217. 222.


18 Hier in Kürze der Gedankenzusammenhang, welcher dieser Anregung als Grundlage dient: Den Staat unmittelbar für die Kunst in Anspruch nehmen zu wollen, beruhe auf einem Irrtum; er sei der Vertreter der absoluten Zweckmäßigkeit, und lehne daher mit richtigster Bestimmtheit alles ab, was nicht einen unmittelbaren nützlichen Zweck angeben könne. Von diesem, den ganzen Staat bindenden Zweckmäßigkeitsgesetz sei allein die ideale Sphäre des Königtums entbunden: aus dieser ›Sphäre der Gnade‹ habe denn auch die Sorge für das Schöne ihren rechtmäßigen Ausgang zu nehmen. Dem Könige zur Seite denkt sich nun der Meister, als lebensvolles Verbindungsglied zwischen der idealen Tendenz des Königtumes und der realistischen des Staates, eben jenen Orden von Pairs der Kunst und Wissenschaft, dessen Ordensmeister der König sein solle, dessen Glieder diejenigen Männer, welche, indem sie in ihren Leistungen das gemeine Maß der für den bloßen Nützlichkeitszweck zu stellenden Anforderungen überschritten, von selbst in die Sphäre der Gnade getreten sei. Aus dieser Sphäre müsse die Hebung des deutschen Kunstgeistes hervorgehen, durch sie die Kunst auf einen, von den Bedürfnissen und Nötigungen des alltäglichen Theaterverkehres aus der Basis der Erwerbsinteressen gänzlich eximierten Boden gehoben werden (›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹, Abschnitt XIII. XIV. XV).


19 In dem Aufsatze: ›Wollen wir hoffen?‹ (1879) Ges. Schr. X, S. 162.


20 L. Nohl, Neues Skizzenbuch (München 1869) S. 352 ff. ›Und will man da staunen, wenn der Meister darauf drang, daß mit dem Einstudieren der Chöre zunächst und zwar ungesäumt begonnen werde und daß infolgedessen der Münchener Theaterchor im Laufe eines Jahres im ganzen für die »Meistersinger« allein 66 Proben, sage sechsundsechzig Proben gehabt hat!‹


21 ›Die Musik‹ (Illustr. Halbmonatsschrift) 1901/02, 1. Jahrgang, 2. Quartal, S. 585.


22 Vgl. dazu die in gleicher Sache an Wesendonck gerichteten Worte: ›Ich selbst werde, einem in schwerer Zeit mir getanen Gelübde gemäß, bei den Aufführungen selbst nicht zugegen sein, jedoch bis zur letzten Hauptprobe den Geist derselben angelegentlichst überwachen‹ (München, 1. Juni 1868).


23 Der Aufsatz ist vom 5. Mai datiert; er erschien gerade einen Monat später, genau in der Zeit der letzten ›Meistersinger‹-Proben in der ›Neuen Zeitschr f. Musik‹ vom 5. u. 12. Juni 1868


24 L. Nohl, Neues Skizzenbuch (München 1869) S. 367/68.


25 Ges. Schr. IX, S. 252.


26 L. Nohl, a.a.O., S. 368.


27 Ebendaselbst, S. 361.


28 So schreibt Bülow noch in späterer Zeit, nachdem er sich von München bereits gänzlich losgesagt: ›Selbst an das Hoforchester, dessen große Mehrheit mir im ganzen freundlich zugetan war, erinnere im mich nur ungern, da – – die Herren C. M. W., S., Str. u.a. durch ihre ununterbrochene Beflissenheit, mich durch ihre Bosheit, Roheit und Trägheit zu ärgern und zu reizen, mir alle Freude am jeweiligen Gelingen vergiftet haben. Oh, Herr Generaldirektor Lachner war ein weiser Mann, als er sich gegen all diese Ungebührlichkeiten durch tyrannische Härte wehrte, und man hat Unrecht, ihm einen Vorwurf daraus zu machen!‹ (Bülow, Briefe IV, S. 371).


29 L. Nohl, a.a.O.


30 Bülows Briefe IV, S. 280.


31 In seinem ›Neuen Skizzenbuch‹ (München, C. Merhoff, 1869) ist er recht eigentlich der Historiograph dieser ersten ›Meistersinger‹-Aufführung geworden.


32 Sie hatte ihn zuletzt i. J. 1856 in Zürich besucht, seine herrlichen Briefe an sie, aus den Jahren 1858 bis 1874, sind zuerst durch Gustav Manz in der ›Tägl. Rundschau‹, sodann in den ›Familienbriefen‹ veröffentlicht.


33 ›Erlebnisse mit R. Wagner‹, Stuttgart und Leipzig 1898


34 Hatte man in den traurigen Jahren seines politischen Exils unter dem ›Menschen‹ Wagner genau genommen nur den ›Untertan‹ verstanden (Ges. Schr. IV, S. 288), so reduzierte sich für Weißheimer dieser Begriff ebenso einseitig auf den des ›Protektors‹, dessen Dienste er für seine Zwecke in Anspruch nahm!


35 In einem Weißheimerschen Briefe vom 28. Mai heißt es: ›Wagner ist da und will meine Angelegenheit absolut selbst betreiben. Ja, er war sogar etwas (!) böse, als er hörte, daß ich schon Schritte getan.‹


36 Einmal hatte er es wirklich so weit gebracht, mit seiner Partitur in Wagners Haus zu dringen, um dem unglücklichen Bülow trotz aller Ermattung und Überreiztheit durch die Proben – angeblich ›auf dessen Wunsch‹ (!!) – seine Oper vorzuspielen. Er nahm es höchlich übel, als gleich darauf das Zimmermädchen mit dem Auftrag hereinkam: ›die Herren möchten doch aufhören zu musizieren, der Meister wolle schlafen!‹ (›Erlebnisse‹ S. 342).


37 Band III des vorliegenden Werkes, S. 371.


38 Auf die in dieser Ansprache dargelegten Gedanken bezieht sich der Meister noch in seiner 1872 erschienenen Schrift: ›Über Schauspieler und Sänger‹ (Ges. Schr. IX, S. 252); auch Franz Müller gedenkt ihrer in seinem einst rühmlichst bekannten, jetzt seit länger vergriffenen ›Meistersinger‹-Buche, S. 522/23; wir geben sie nach ihrem Wortlaute bei Nohl, Neues Skizzenbuch S. 369/71.


39 L. Nohl, ebendaselbst S. 373/74 (verkürzt).


40 Über diese, in den öffentlichen Berichten vielfach hervorgehobene ›lange Dauer‹ stellte Richard Pohl damals die genaue Berechnung an: ›Der erste Akt (inklusive des Vorspiels) währte 1 Stunde 17 Minuten, der zweite 55 Minuten, der dritte allerdings 1 Stunde 51 Minuten; allein dieser ist eigentlich für zwei Akte zu rechnen, da in ihm eine Verwandlung mit heruntergelassenem Vorhange stattfindet. Die Musik dauert demnach, wohlgezählt, nur vier Stunden und drei Minuten. Wir kennen viele große Opern, die ebenso lange Zeit dauern, und viele kürzere, die – länger sind.‹


41 Vgl. dazu die Auslegung des Vorganges in manchen öffentlichen Blättern: ›Endlich ein wahrhaft politisches Ereignis!‹ heißt es in einem derselben. ›Die Meistersinger wurden aufgeführt, der Komponist saß neben dem Könige in der großen Loge, wurde gerufen, dankte schweigend von dieser erhabenen Stelle aus. Von da bis zur Ministerpräsidentschaft (!!) ist nicht weit im jetzigen Bayern, und – – niemand würde je bemerken, daß Hohenlohe ausgetauscht worden!‹ (Münchener Korrespondenz des ›Beobachters aus Schwaben‹). ›Der Eindruck, den diese königliche Huld auf das hiesige Publikum machte, war überwältigend. Man blickte empor zum glänzenden Plafond, ob er nicht Miene mache, einzustürzen. ... Wagner, der Verketzerte, Verbannte, welchen vor wenig Jahren des Königs Huld nicht zu schützen vermochte vor der Gehässigkeit des hohen und niederen Pöbels unserer Kunstmetropole, – er jetzt rehabilitiert in derselben Kaiserloge, in der man sonst nur gekrönte Häupter und deren Deszendenz zu sehen gewohnt war!‹ (›Kemptener Zeitung‹.)


42 Das Wort soll von Bülow stammen, der es in der Nacht nach der Aufführung an einen Berliner Freund telegraphierte (Bülow, Briefe IV, S. 236).


43 Es ist dies dasselbe Porträt, welches seither in der Zeitschrift ›Die Musik‹ (1902, II. Quartal), mit der Unterschrift ›Richard Wagner in Triebschen‹ veröffentlicht worden ist, mit der nicht ganz genauen Zeitangabe, es sei i. J. 1869 entstanden (a.a.O. S. 652).


44 ›Der dritte Akt des Widmungs-Exemplares (offenbar für den König!) sei gestern (9. Juli) an Hans Richter nach München abgegangen‹, heißt es in demselben Briefe.


45 Im Betreff des letzteren berichtet Schott in demselben Briefe, er sei mit seiner Frau von München aus bis Salzburg durch das Gebirg gefahren und habe Freund Esser in Berchtesgaden begrüßt. ›Derselbe ist sehr entzückt von Ihrem neuen Werke und hat bereits mehrere Stücke für Pianoforte übertragen, was mir sehr willkommen ist, da die Raffschen Reminiszenzen für Damenhände zu schwierig sind.‹


46 Wir führen hier beispielsweise sein, in gleicher Sache am 12. Okt. 1869 an Herbeck in Wien gerichtetes großes Schreiben an!


47 Vgl. Band III dieses Werkes, S. 36/37.


48 Ges. Schr. Bd. VIII, S. 312.


49 Vom 16. Okt. 1868.


50 Ges. Schr. Bd. X, S. 161.


51 Ges. Schr. X, S. 106/07.


52 Eine Blumenlese daraus bietet W. Tapperts allbekannte kleine Schrift: ›Ein Wagner-Lexikon, Wörterbuch der Unhöflichkeit‹ usw. und die weitverbreitete Biographie des Amerikaners H. T. Finck, ›Wagner und seine Werke‹ auf S. 213/14 des II. Bandes: ›Das Vorspiel sei ein Musikstück von peinlicher Künstelei und geradezu brutaler Wirkung‹, ›im Ausdruck des Komischen werde Wagners Musik regelmäßig gespreizt, überladen, ja widerwärtig‹ (Hanslick). Ähnliche Äußerungen Dorns, Ferdinand Hillers usw. siehe daselbst; sie verdienen es durchaus, für die Nachwelt festgehalten zu sein ›Dramatisch-musikalischer Humbug‹, ›wüstes Getümmel haarsträubender Dissonanzen‹, ›tollstes Attentat auf Kunst, Geschmack, Musik und Poesie‹, – das waren die Liebkosungen, deren sich die deutsche ›Presse‹ gegen das deutscheste Meisterwerk bediente, ohne daß das große deutsche Publikum seine Zeitungsblätter deshalb in den Ofen warf oder ihnen das Abonnement kündigte.


53 Vgl. S. 227 dss. Bds., Anm. 1.


54 Fröbel, Memoiren II, S. 503/04.


55 Vgl. Richard Wagner, ›Gedichte‹ (Berlin, Grote 1906) S. 62/64.


56 In den Tagen vom 26. Sept. bis 4. Okt. 1868


57 Nietzsches Briefwechsel mit E. Rohde, S. 89/90


58 Ein gemeinsamer Studiengenosse des Briefschreibers und des Adressaten.


59 Briefwechsel mit E. Rohde, S. 110/11.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 223-260.
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