XVI.

Abschied von Triebschen.

[387] Nietzsches Buch: ›die Geburt der Tragödie‹. – Feustel und Muncker in Luzern. – Reise nach Berlin, Weimar, Bayreuth. – Übersiedelungs-Wirren und -Wehen. – Abschied von Triebschen. Das Berliner Konzert. – Briefliche Einladung an Liszt zur Grundsteinlegungsfeier.


Drum sag' ich: der Grund, darauf wir bauten,

Ist, daß mir Bayreuths Bürger vertrauten.

Richard Wagner.

(Spruch zur Hebefeier 1873.)


Zwei charakteristische Vorfälle – wir könnten sie innerhalb des weitgespannten Rahmens unserer Darstellung auch wohl Ereignisse nennen – bezeichnen den Anfang des Jahres 1872. Zwei Vorfälle von freudig verheißungsvoller Beschaffenheit. Der eine davon war das Erscheinen von Nietzsches Schrift, in der er sich vor aller Welt offen als Schüler und Jünger Wagners bekannte, – der ›Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik.‹ Der andere – der ganz unerwartete Besuch seiner neugewonnenen Bayreuther Freunde Feustel und Muncker in Luzern. Beide der Zeit nach fast zusammenfallend.

Wir beginnen mit dem Erscheinen des Nietzscheschen Buches, das recht zu Beginn des neuen Jahres (8. Januar) in des Meisters Hände gelangte. ›Um mir alle die möglichen Bedenklichkeiten, Aufregungen und Mißverständnisse ferne zu halten‹, hieß es in dem, zugleich als Widmung dienenden Vorwort, ›zu denen die in dieser Schrift vereinigten Gedanken bei dem eigentümlichen Charakter unserer ästhetischen Öffentlichkeit Anlaß geben werden, vergegenwärtige ich mir den Augenblick, in dem Sie, mein hochverehrter Freund, diese Schrift empfangen werden: wie Sie, vielleicht nach einer abendlichen Wanderung im Winterschnee, den entfesselten Prometheus auf dem Titelblatte betrachten, meinen Namen lesen und sofort überzeugt sind, daß, [388] mag in dieser Schrift stehen, was da wolle, der Verfasser etwas Ernstes und Eindringliches zu sagen hat, ebenfalls daß er, bei allem, was er sich erdachte, mit Ihnen wie mit einem Gegenwärtigen verkehrte und nur etwas dieser Gegenwart Entsprechendes niederschreiben durfte.‹ Zu dieser Schrift waren die bisherigen, in Triebschen mit so warmer Teilnahme aufgenommenen Abhandlungen und Vorträge1 die Vorstudien gewesen. Nur hatte ihn Wagner schon damals gewarnt, die darin niedergelegten, ›sehr unglaublichen Ansichten‹ doch lieber ›nicht in kurzen, durch fatale Rücksichten auf äußeren Effekt es absehenden Abhandlungen zu berühren, sondern – – sich zu einer größeren, umfassenderen Arbeit darüber zu sammeln‹. Wirklich hatte der junge Baseler Professor ein solches ›großes Buch über die Griechen‹ im Sinne, und die bisher ausgearbeiteten Teile sollten nur als Bruchstücke des in dem geplanten Buche dargestellten Systems gelten. Aber sein tief erregter dichterisch-philosophischer Geist und der lebhafte Drang, als öffentlicher Zeuge für die weltgeschichtlich reformatorische Bedeutung von Wagners Schaffen einzutreten, rissen ihn vorzeitig zu der kühnen Kombination jener seiner poetisch-philologischen Intuitionen mit seinem Bedürfnis einer bedeutungsvollen Huldigung, eines öffentlichen Bekenntnisses seiner Zugehörigkeit zu dem Meister hin, als deren Dokument nunmehr die ›Geburt der Tragödie‹ vor uns liegt.2 ›Ich habe Sorge um Sie, und wünsche von ganzem Herzen, daß Sie sich nicht den Hals brechen sollen‹, hatte ihm der Meister gesagt und geschrieben; nun es aber doch geschehen war, verstummte von seiner Seite alle weitere Kritik, und er trat bei jeder ihm gebotenen Gelegenheit warm für die – mehr als bloß geistvolle, in ihrer Schönheit berauschende – Schrift in all ihren Einzelheiten ein. ›Schöneres als Ihr Buch‹, schreibt er unmittelbar nach dessen Empfang, ›habe ich noch nichts gelesen! Nun schreibe ich Ihnen schnell, weil die Lektüre mich übermäßig aufregt und ich erst Vernunft abwarten muß, um es ordent lich zu lesen. – Zu Cosima sagte ich, nach ihr kämen gleich Sie: dann lange kein anderer, bis zu Leubach, der ein ergreifend richtiges Bild von mir gemacht hat! ...‹ Und wieder am 10. Januar: ›Nun veröffentlichen Sie eine Arbeit, welche ihresgleichen nicht hat. Jeder Einfluß, der etwa auf Sie ausgeübt worden wäre, ist durch den ganzen Charakter dieser [389] Arbeit fast auf nichts zurückgeführt: was Ihr Buch vor allen andern auszeichnet, ist die vollendete Sicherheit, mit welcher sich eine tiefsinnigste Eigentümlichkeit darin kundgibt. Wie anders hätte sonst mir und meiner Frau der sehnlichste Wunsch erfüllt werden können, einmal von außen etwas auf uns zutreten zu sehen, das uns vollständig einnehmen möchte?‹

Zwischen diese beiden Mitteilungen fällt (8. Januar) der erwähnte, ganz überraschende, unangekündigte Besuch aus Bayreuth. ›Ja, Bayreuth! ... Hat der Meister Ihnen erzählt, daß Bürgermeister und Stadtrat hier waren?‹ heißt es in einem bald darauf geschriebenen Triebschener Briefe an Nietzsche. ›Sie kamen plötzlich mit Bauplänen und der Tag auf Triebschen war merkwürdig genug.‹ Unangekündigt war der Besuch insofern, als kein Brief vorausgegangen war, der ihn angezeigt hätte; bloß von Luzern aus, wo sie bereits eingetroffen waren, ließen die Herren sich melden. Denn die eigentümliche Krisis, über die sie zu berichten hatten, war auf brieflichem Wege nicht mitteilbar. Der für den Theaterbau in Aussicht genommene, dem Meister empfohlene und von ihm akzeptierte Bauplatz am Stuckberge hatte – unerwarteter Weise – aufgegeben werden müssen, weil ein Mitbesitzer des Grundstückes aus Gründen persönlicher Empfindlichkeit (da er nicht eigens darüber befragt worden war), seine Einwilligung in den Ankauf desselben durch die Stadt verweigerte.3 Große Sensation hatte diese eingetretene Krisis am Orte selbst erregt: die Notwendigkeit, nachdem bereits alle Bestimmungen für den Stuckberg getroffen worden waren, dem Meister nachträglich eine andere Baustelle für sein Festspielhaus anbieten zu müssen. Die Gärung in der Bewohnerschaft Bayreuths war nicht gering gewesen: doch waren die städtischen Kollegien abermals zusammengetreten, hatten alles weislich beraten und für den Kaufpreis von 14,000 Gulden den nachmals weltbekannten, weit günstiger gelegenen Bauplatz unterhalb der ›Bürgerreuth‹ akquiriert. Nun handelte es sich darum, den Meister von dem Geschehenen in Kenntnis zu setzen. Wie würde er die Änderung des Projektes aufnehmen? Bürgermeister Muncker und Bankier Friedrich Feustel wurden als Magistratsvorstände mit der Mission dieser Mitteilung betraut. Ohne Zögern entschlossen sie sich, mit den Plänen in der Tasche, die Reise nach dem Schweizer Wohnsitze Wagners anzutreten, und, wie in solchen Fällen oft, ward gerade durch diesen Zwischenfall ihr freundschaftliches Verhältnis zu dem Meister nur noch enger. Nicht unbegründet war das bedingungslose Vertrauen in die beiden wackeren Männer, mit welchem er, noch ohne selbst den neu ausersehenen Bauplatz gesehen zu haben, seine vollste Zufriedenheit mit der von [390] ihnen getroffenen Wahl aussprach. Er sollte sich bald durch eigenen Augenschein überzeugen, daß das neue Grundstück nicht leicht für seine Bestimmung geeigneter hätte gewählt werden können. Und doch verlief die Sache naturgemäß nicht so einfach, wie hiermit kurz zusammengefaßt; worauf sich auch der eben angeführte Ausspruch bezieht: der Tag auf Triebschen sei ›merkwürdig genug‹ gewesen. Nicht an dem redlichen Willen der beiden höchst vortrefflichen Männer, nicht an der Güte des ihm angebotenen Bauplatzes stiegen die leisesten Zweifel in der Seele des Meisters auf; aber andere ernsthafte Bedenken wurden durch diese ganz unerwartete Kunde in ihm rege und drohten für einen Moment, ihm den so lieb gewordenen Ort zu verleiden. Mußte sich nicht alsbald vor seinen Augen in neuer Gestalt das widrige Bild der kaum überstandenen Münchener Konflikte erheben? Dort hatte ihm alle Ergebenheit des königlichen Freundes eine verstockte Gegnerschaft nicht versöhnen können; sollte er hier ähnlichen Wirrnissen entgegengehen? Dem entsprechend lauteten seine ernsten Erklärungen. Wenn der einflußreichste Bürger Bayreuths (eben jener unglückliche ›Mitbesitzer‹) gegen ihn sei, so könne er sein Festspielhaus dort nicht errichten; sein Theater müsse in einer Stadt stehen, deren ganze Einwohnerschaft ihm gewogen sei. Deshalb bat er die Herren auf das entschiedenste, der Theaterfrage mit keinem Worte mehr zu erwähnen, und hielt daran mit aller Bestimmtheit fest. Jeder Versuch, den Gegenstand, wegen dessen die Herren die Reise gemacht, zur Sprache zu bringen, wurde von ihm im Keime erstickt. Dabei verblieb es, trotz aller ausgesucht liebenswürdigen Gastlichkeit ihrer Aufnahme auf Triebschen, und die Situation der beiden Abgesandten, die ihren hoffenden und harrenden Mitbürgern von einem Mißerfolg ihrer Sendung berichten zu müssen fürchteten, war für den Augenblick wenig beneidenswert. Da war es denn Feustel, welcher noch nicht jede Hoffnung aufgab und einen letzten Versuch machte, kurz vor der Abreise den Meister noch einmal aufzusuchen. Er verfehlte ihn zwar, hatte dafür aber das Glück, auf seine Gemahlin zu treffen, deren ›ebenso liebenswürdiges wie kluges Zureden die erklärliche anfängliche Verstimmung, die der Zwischenfall hervorgerufen, bald behob‹,4 so daß sich Wagner, wenn auch anfänglich mit Widerstreben, einen eingehenderen Bericht über die eingetretenen Verhältnisse erstatten und schließlich mm herzlichsten Einverständnis mit dem neuen Projekte bestimmen ließ. So geschah es, daß, wie bereits bemerkt, bei dem Scheiden der Herren das schon vorher in sie gesetzte Vertrauen nur noch fester, seine freundschaftliche Gesinnung für sie noch wärmer geworden war. ›Der angenehme Eindruck Ihres so überraschenden Besuches mit unserem verehrten Freunde, dem Herrn Bürgermeister‹, schreibt er vierzehn Tage später an Feustel, ›lebt noch immer bei uns fort. Kurz, nachdem Sie uns verlassen, [391] suchte ich Sie noch im Schweizerhof auf, erfuhr aber, Sie seien schon fort, um sich noch ein wenig die Stadt anzusehen. Auch dorthin ging ich Ihnen nach, suchte Sie am Bahnhof und in dem nahe ihm gelegenen Restaurant, fand aber keine Spur und mußte mir nun die Freude versagen, Ihnen noch einmal die Hand drücken zu können. Desto kräftiger soll dies nun aber bei unserer Ankunft in Bayreuth geschehen!‹

Am 4. Januar war, unter den soeben geschilderten Lebenseindrücken, der dritte Akt der ›Götterdämmerung‹ in der ersten Bleistiftskizze begonnen worden, um – gleich seinem Vorgänger – in einem Zuge zu Ende geführt zu werden. Da traten der stetigen Fortführung der unternommenen Arbeit schon wieder äußere Hindernisse in den Weg: die dringliche Notwendigkeit einer Reise nach Berlin, behufs mündlicher Besprechung mit seinem Architekten, dem Hofbauinspektor Neumann daselbst, dessen Pläne einen Kostenaufwand bedingten, welcher die Höhe der für den Bau des Festspielhauses einzuhaltenden Summe (hunderttausend Taler) um die Hälfte überstieg. Dazu kam eine empfindliche Enttäuschung hinsichtlich der flüssigen Patronatsgelder. Der wackere Feustel meldete neuerdings aus Bayreuth, der mehrgenannte Bankier Cohn, welcher damals zugleich mit Baron Loën die Geschäfte des Patronates verwaltete, lasse nichts von sich hören; daß man aber im voraus den Kredit für den ganzen Bau haben müsse, bevor man ihn beginnen könne. Dies war völlig in der Ordnung. Nun hatte sich Wagner, als der Bau des Festspielhauses in Angriff genommen und die Aufträge dafür erteilt werden sollten, mit der Frage nach den verfügbaren Mitteln sowohl an Baron Loën, als auch an den Hofbankier Cohn in Dessau gewundt5 und die von beiden Herren mitgeteilte Zahl der gezeichneten Patronatscheine die Erwartungen einigermaßen übertroffen. Jetzt aber stellte es sich heraus, daß von beiden Vertretern die Zahlen des andren mit eingerechnet waren, so daß sich die verfügbare Summe (von etwa 40–50000 Talern) dadurch auf die Hälfte reduzierte!6 Es ergab sich hieraus noch ein weiterer Grund, nach Berlin zu gehen, um nämlich daselbst mit der, noch zu Tausigs Zeiten so vielversprechend sich ankündigenden geheimnisvollen Gesellschaft ›Wagne riana‹ (auf welche [392] auch Frau von Schleinitz große Hoffnungen erweckt worden waren) sich endlich in eine bestimmte persönliche Relation zu setzen. Von dieser Gesellschaft waren bedeutende Zeichnungen – bis zu 60,000 Talern – gemeldet, aber noch in keiner Weise realisiert worden.7 Gern hätte er nun, um sich nicht abermals aus der schwererrungenen Arbeitsruhe zu reißen, an seiner Statt einen Bevollmächtigten zur Erledigung dieser Geschäfte in die Reichshauptstadt entsandt. Er verfiel hierfür auf Heckel in Mannheim und fragte deshalb (22. Januar) telegraphisch bei ihm an. Tags darauf (23. Januar) erhielt er von diesem eine, ebenfalls telegraphische, Antwort, die ihm aber nicht genügte;8 und so mußte er es für eine Schicksalsbestimmung halten, daß er sich gezwungen sah, die ›Götterdämmerung‹ wieder ruhen zu lassen und die Reise selbst zu unternehmen.

Am 24. machte er sich über Basel auf den Weg, wo er einige Stunden mit Nietzsche und seinem daselbst studierenden Neffen Fritz Brockhaus verkehrte und mit dem Nachtzuge weiter nach Berlin reiste. Von Erfurt bis Weimar fuhr er mit Herrn von Loën zusammen, welchen er zu einer Unterhaltung auf diesem Wege eingeladen hatte. Am Berliner Bahnhof empfing ihn ein durch Nietzsche ihm zugeführter junger Getreuer, der Kammergerichtsreferendar Karl von Gersdorff, außer diesem aber jene mysteriöse Hauptperson, über welche sich aufzuklären er vorzüglich seiner Reise diese Richtung gegeben hatte. Dies war der Kommerzienrat Bernhard Löser, der Begründer und Repräsentant jener namhaften, aber unpersönlichen Gesellschaft, auf welche seit dem Beginn der Berliner Bewegung seitens seiner dortigen Freunde so große Hoffnungen gesetzt worden waren und der es verstanden hatte, diese Hoffnungen zu nähren und aufrecht zu erhalten, seitdem er durch Tausig in einen erwünschten Rapport mit Frau von Schleinitz gesetzt worden war. Über seine Unterhandlungen mit diesem Herrn hat Wagner – außer der auf S. 353 zitierten andeutenden Äußerung – öffentlich nie ein Wort verlauten lassen; desto drastischer wird das Verhalten desselben von Heckel geschildert. ›Er zeigte mir‹, so berichtet dieser, ›in seinem Notizbuch unverbindliche Zeichnungen für das Unternehmen im Betrage von 60,000 Talern, ließ aber durch Andeutungen merken, daß dieselben ohne Erfüllung gewisser Bedingungen, wie die Verpflanzung der Festspiele nach Berlin (!!), nicht flüssig zu machen seien.‹ In welcher besonderen Form der genannte Herr seine – auf einem so unerhörten Mißverständnis beruhenden – An- und Absichten dem Meister selbst zum Ausdruck gebracht, muß dahingestellt bleiben; doch wirft [393] der spätere Bescheid wohl das unzweifelhafteste Licht auf den früheren zurück, um so mehr als nur wenige Wochen dazwischen liegen. ›Ich ersah‹, sagt Wagner, ›daß ich wohl gehört, aber nicht verstanden worden war‹ (S. 353 Anm.).9 So war es ihm denn eine, um so wärmer empfundene Wohltat, gleich am Morgen nach seiner Ankunft, und bevor noch sein geheimnisvoller Berliner Gönner ihn mit seinem Besuche erfreut und mit den von uns vorausgenommenen Enthüllungen bedacht hatte, in ganz überraschender Weise, zugleich mit dem Architekten Neumann, den trefflichen Feustel in seine Stube treten zu sehen! Dieser war – infolge eben derselben Differenzen zwischen den Bayreuther Bauräten und dem Berliner Architekten, die auch Wagner hierhergeführt – sofort zur Begleichung derselben hierhergeeilt und erschien nun mit seiner kernhaften, zuverlässigen Persönlichkeit dem Meister aufs neue als höchst sympathischer guter Genius, zu dessen Gewinn als treulichen Mitberaters und echten Freundes er sich nur beglückwünschen konnte. Auf alle Fälle wurde es ihm in diesen Berliner Tagen völlig klar, daß es dringend erforderlich sei, in der Verwaltung der Patronatsmittel ›aus dem bisherigen Dilettantismus herauszukommen‹10 und in Bayreuth selbst, wo sich demnächst alles zu konzentrieren hatte, eine energische ›Zentral-Verwaltung‹ zu begründen. Zu solchem Zwecke verband er seine über Leipzig genommene Rückreise mit einem vorherigen kurzen Aufenthalt in Weimar, um sich über die neue Ordnung der Verhältnisse mit Loën mündlich auseinanderzusetzen. Am Nachmittag des 31. Januar traf er wieder in Bayreuth ein.

Hier war eine seiner ersten Handlungen die sogleich vorgenommene Besichtigung des neuen Baugrundes. Sie ergab, im Vergleich mit dem früheren Platze, nicht hoch genug anzuschlagende Vorteile. Er umfaßte mehr als das dreifache Areal, nämlich 181/2 Tagewerk, und lag auf mäßig steigender Anhöhe, auf dem Wege nach einem sehr beliebten Vergnügungsorte der Bayreuther, der sog. ›Bürgerreuth‹. Die Aussicht von der anzunehmenden Front des Theaters war malerisch und durch kein dazwischenliegendes Objekt gestört. Nach beiden Seiten hin freie Fluren, am Horizont Hügelreihen und dunkle Wälderzüge. Links der rauhe Kulm, vorwärts das Panorama von Bayreuth und Umgebung, jenseits der Stadt, wie mit dem Zirkel abgemessen, der Sophienberg. Auch hatte der Zugang zum Festplatze nicht mehr die Eisenbahnlinie zu überschreiten, und dieser letztere selbst war von der, etwa störenden Tätigkeit eines, dem früheren allzu nahebelegenen großen Fabriketablissements unbelästigt. Die gleiche kurze Anwesenheit hatte aber, den soeben dargelegten [394] Verhältnissen entsprechend, noch andere, weittragende Folgen für die Organisation der seinem Unternehmen zugewendeten Tätigkeit, indem während seiner Dauer die Bildung eines ständigen Verwal tungsrates vor sich ging: bestehend aus drei, in Bayreuth ansässigen Männern, dem Bürgermeister-Theodor Muncker, Bankier Friedrich Feustel und dem Kgl. Advokaten Käfferlein; mit der Berechtigung, sich durch Kooptation auf fünf Mitglieder zu vermehren. Den ersten Konferenzen des Verwaltungsrates wohnte auch Heckel aus Mannheim bei, als Vorstand und Begründer des ersten deutschen Wagner-Vereins.11 Recht hübsch berichtet uns dieser über die Freude Wagners an dem neuen Bauplatze. Als er nämlich, von einer Besichtigung desselben zurückkehrend, auch seinerseits die schöne Lage rühmte, war sein Ausspruch darüber dem Meister zu kalt und zu ruhig. ›Entzückend, bezaubernd ist dieser Punkt!‹ rief er aus. ›Wie ein Mannheimer so nüchtern in seinem Urteil sein kann!‹12 – Eine Proklamation Wagners vom 1. Februar, noch von Bayreuth aus, machte die Patrone der Bühnenfestspiele mit den zuletzt getroffenen Anordnungen bekannt. Der neu eingesetzte Verwaltungsrat würde hinfort für die richtige Verwendung der Patronatsgelder verantwortlich sein; und an das Bankhaus Fr. Feustel in Bayreuth sollten, von jetzt an, die Einzahlungen der gezeichneten Summen stattfinden, während Generalintendant von Loën in Weimar fortfahren würde, allen sich für die Unternehmung Interessierenden Auskunft und tätigste Hilfe angedeihen zu lassen. Aber auch für sein zukünftiges eigenes Heim hatte er in derselben geringen Frist definitiv den dauernden Grund und Boden zu bestimmen. Es war dies, wie schon früher hervorgehoben, ein Teil jenes Wiesengrundes, der – wie wir uns erinnern (S. 349) – ursprünglich für den Bau des Bühnenfestspielhauses ins Auge gefaßt worden war; belegen am Rennwege,13 der Straße nach der Eremitage und der, durch Jean Paul historisch gewordenen, Rollwenzelei, in unmittelbarer Nähe des Hofgartens. Sofort fand auch der notarielle Kaufabschluß darüber mit dem Besitzer, Privatier Stahlmann14 statt; desgleichen die nötigen Vereinbarungen mit dem Hotelier zur ›Fantaisie‹ in Donndorf, Herrn Riederer, in dessen Hause, fünf Viertelstunden von der Stadt, der Meister für den nächsten Sommer sein Domizil zu nehmen gedachte. Die Zeit seiner Übersiedelung ward auf den April festgesetzt. Bürgermeister Muncker hatte die [395] vorläufige Bepflanzung des neuakquirierten Grundstückes für das Wohnhaus übernommen, für welchen Zweck er bald darauf aus Luzern einen eingehenden Plan (Brief und Zeichnung) zugesandt erhielt.15 Zu den persönlichen Bekanntschaften dieser Tage gehört an hervorragendem Platze auch der Dekan Dittmar, ein ausgezeichneter evangelischer Geistlicher in Bayreuth, dessen der Meister bald darauf von Luzern aus mit den Worten gedenkt: ›Verehrungsvolle Grüße an unsern herrlichen Dekan.‹ Auch einem Prof. Fries wer den bei gleicher Gelegenheit beste Grüße übermittelt. ›Ja, meine Bayreuther, das ist der rechte Schlag! Ich hatte davon wohl das Gefühl!‹16

Das alles war in kaum drei Tagen vor sich gegangen. Am 31. Januar Nachmittags war er eingetroffen, um die Mittagszeit des 3. Februar verließ er den ihm so schnell vertraut gewordenen gastlichen Ort, um über München (4. Februar) nach Luzern zurückzukehren. Die ersten Tage nach dieser Rückkehr vergingen ihm hier, wie er selbst sagt, fast nur mit Briefeschreiben.17 So vieles Angeknüpfte mußte auf diesem Wege zum Abschluß und weiteren Fortgang gebracht werden. Das Los des Reformators, aus dem Vorrat seines alles belebenden Feuers überall hin in die Ferne zu wirken. ›Es kommen mir täglich so viel Briefe auf den Hals‹, klagte einst Luther,18 ›daß Tische, Bänke, Schemel, Pulte, Fenster, Kisten, Bretter und alles immer vollliegen.‹ Das war nun dem Meister seit undenklichen Zeiten durch Erfahrung hinlänglich bekannt, und nur gegen das ›Liegenbleiben‹ wußte er sich durch prompte Erledigung zu schützen. Jetzt aber brachte die Förderung seines übergroßen Vorhabens noch eine ganz neue Nötigung zu brieflichem Verkehr mit sich, und eine Zusammenstellung seiner zerstreut und einzeln gedruckten, zum sehr großen Teil aber noch unveröffentlichten Briefe würde z.B. allein für die nächstfolgenden Monate bis zur Grundsteinlegung fast jeden einzelnen Tag mit einer, oder mehreren, Kundgebungen dieser Art belegen; eine jede davon voll Klarheit und Kraft, Wärme und voller Bestimmtheit. Da muß es uns wohl wie ein Wunder erscheinen, daß er sich immer noch eine Region seines Daseins frei halten konnte, in welche all diese äußeren Beunruhigungen nicht drangen. Es ist alles mit dem einen Worte gesagt, daß am 9. Februar 1872, also kurz nach seiner eben erfolgten Rückkehr, und während die Arbeit an der ersten Bleistiftskizze noch fortschritt, auch schon die volle Orchesterskizze des dritten Aktes der ›Götterdämmerung‹ begonnen wurde.19 Und wiederum läßt sich der ganze [396] erdrückende Schwall der von außen an ihn herantretenden Anforderungen daraus vergegenwärtigen, daß es voller zwei Jahre und neun Monate dazu bedurfte, bevor er dazu gelangte, die letzte Hand an die Partitur desselben Werkes zu legen!20 Zunächst galt es den Vorbereitungen für die Feier der Grundsteinlegung zu dem Bau seines Festspielhauses. Diese sollte am 22. Mai, seinem neunundfünfzigsten Geburtstage, vor sich gehen: eine Aufführung von Beethovens neunter Symphonie unter seiner begeisternden Leitung war dazu bestimmt. Vom 12. Februar ist die freundschaftliche Bitte an Prof. Julius Stern in Berlin datiert, die vorzüglichsten Sänger und Sängerinnen seines Gesangvereins in seinem – Wagners – Namen zu möglichst zahlreicher Teilnahme auffordern zu wollen. Die gleiche Bitte erging an Prof. Riedel in Leipzig. Von beiden Seiten ward des Meisters Wunsche bereitwillig entsprochen: Riedel gelang die Vereinigung der Kerntruppen seines Vereins mit denjenigen der Weimarer und Magdeburger Gesangvereine. Die Losung blieb dabei nach allen Richtungen hin: strenge Auswahl der tüchtigsten Kräfte! Die Zahl der Mitwirkenden galt als das Nebensächliche. ›Zwar in Masse nötig‹, heißt es in einem Briefe an Riedel, ›aber – eine Masse, in der jeder zählt. Für einen bloßen, moralisch wohlgesinnten Scheinchor ist kein Platz da.‹ Auch für die Beschaffung der instrumentalen Kräfte waren die Bemühungen erfolggekrönt. Während der Großherzog von Weimar seiner Kapelle für die Pfingstwoche sogar gänzlich entsagte und dieselbe voll zur Verfügung stellte, lieferten Wien und Berlin die ersten Mitglieder ihrer Orchester, und war von Mannheim und Pesth ein tüchtiger Zuzug bestimmt zu erwarten. Nicht so bereitwillig waren andere Orte, wie Dresden, Darmstadt, Karlsruhe. Stuttgart, wo auch angefragt wurde, gab längere Zeit – gar keine Antwort! In Karlsruhe wollte das vollständige Hoforchester mitwirken und seinem Wunsche sogar vermittelst Eingabe an die Intendanz Geltung verschaffen Gerade wie zwanzig Jahre früher Franz Lachner seinen Münchener Musikern den Urlaub zur Züricher Musikaufführung verweigert hatte, beliebte Direktor Kaiser, als würdiger Nachfolger Eduard Devrients, der dortigen Hofkapelle auch die bescheidenste Beteiligung an der Bayreuther Feier zu untersagen!21 – Doch war schon unter diesen Umständen eine ganz tüchtige Schar von Musikern vorhanden und Mitte April konnte daher der Meister die Einladung zur Grundsteinlegungsfeier an seine Patrone ergehen lassen. Ja, bereits am 25. Februar klingen seine Äußerungen gegen Feustel über den Fortgang der Angelegenheit recht zuversichtlich: ›überall hat man meine Aufforderung mit Enthusiasmus aufgenommen, und die Zusagen der besten [397] Musiker der ersten deutschen Orchester gehen mir fast überzahlreich zu. So nicht minder von seiten der Sänger.‹

In recht unangenehmer Weise wurden seine in Berlin bereits gemachten Erfahrungen durch einen von Heckel erstatteten Bericht ergänzt. Dieser Getreue hatte in seinem Auftrag eine Orientierungsreise nach Leipzig (zur Besprechung mit dem dortigen Wagner-Vereins-Vorstande) und nach der Reichshauptstadt gemacht, und an letzterem Orte u.a. auch den von uns bereits wiederholt genannten Kommerzienrat aufgesucht, der hier zum letzten Male in Wagners Lebensgeschichte erscheint. ›Herr L(öser), welcher viel Eifer zeigte auf sei ne Weise der Sache zu nützen, hatte bereits an Frau v. Schleinitz seine Vorschläge gerichtet. Er erbot sich zur Veranstaltung einer Lotterie und ersuchte mich, hierüber, trotz meiner unverhohlenen Antipathie gegen derartige Mittel, an Wagner zu schreiben.‹ Umgehend ersuchte ihn der Meister, diesem ›Gönner‹ mitzuteilen, daß er zu der von ihm projektierten Lotterie in keinem Falle seine Zustimmung geben werde. ›Es kann wirklich nichts demütigender sein, als die Lage, in welche ich durch übertriebene Gerüchte über die Bedeutung einer »Wagneriana« in Berlin verlockt worden bin, indem ich hier eine Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen glaubte, wo ich auf einen Triebsand geraten mußte. Wenn man mir 200,000 Taler zur Verwirklichung meiner Ideen anbieten wird, so werde ich demjenigen, der sie mir auszahlt, sehr erkenntlich sein: dagegen von mir die Autorisation zu einer Lotterie zu fordern, hat mir nach den an der »Wagneriana« gemachten Erfahrungen einfach als ein streng zurückzuweisender Schwindel zu gelten, von dem mir lediglich der Skandal, Herrn L. aber die Wichtigkeit seines Verkehrs mit einer hochgestellten Frau bleiben würde, welchem ich meinerseits ein Ende gemacht zu sehen wünsche.‹22 – Das waren nun die Verhältnisse und die Hilfskräfte, mit denen die einzige wahre Gönnerin auf dem sterilen Boden der ›Reichshauptstadt‹ dennoch unverdrossen und unentmutigt im Dienste der großen Sache zu wirken fortfuhr! – –

Noch eine kleine Tatsache sei in diesem Zusammenhange erwähnt, weil sie die ungeheure Verworrenheit des deutschen Publikums gegenüber dieser Sache und die Bestrebungen derer charakterisiert, die sich als ihre ›Gegner‹ aufspielten, um diese traurige Verworrenheit noch zu mehren. In demselben Mannheim, wo treu ergebene deutsche Männer – Wagner nannte sie gern seine ›fünf Gerechten‹ – redlich um die Förderung des Bayreuther Werkes zu wirken fortfuhren, hatte damals der mehrerwähnte Kulturhistoriker Riehl öffentliche Vorträge gehalten, in denen er die Begründung von – Trutzvereinen gegen Wagner und seine Freunde in Vorschlag brachte. ›Zur Herzstärkung‹ schreibt nun der Meister an Heckel, der ihm davon Kunde gab, er [398] möge nur ruhig sein: ›Herr H. W. Riehl bekommt für seine Mannheimer Vorlesungen nächstens von mir einen Denkzettel zu tragen. Wird Ihnen recht sein.‹23 Der angekündigte ›Denkzettel‹ bestand aus dem bald darauf im Musikalischen Wochenblatt wieder abgedruckten, im Laufe von fünf Jahren allzusehr in Vergessenheit geratenen älteren Artikel für die ›Süddeutsche Presse‹, welchem der gute Humor des Meisters bei dieser Gelegenheit noch einen köstlich pointierten Anhang in bezug auf jene Mannheimer Vorträge hinzufügte.

Der Gedanke an die bevorstehende Übersiedelung beschäftigte ihn schon seit seinem ersten winterlichen Besuche in Bayreuth. Eine nicht geringe Schwierigkeit stand ihm dafür in dem Umstande im Wege, daß er sein Triebschener Asyl noch bis zum Oktober 1873 fest akkordiert hatte. Andererseits trieb ihn die Notwendigkeit, es jetzt schon zu verlassen, um dem Zentrum von Deutschland so nahe zu sein, als es seine Geschäfte verlangten. ›Schließlich bezeuge ich Ihnen noch‹, schreibt er in diesem Sinne an den Bürgermeister Muncker (26. März), ›daß mein jetziger Aufenthalt mir allmählich recht zur Pein wird, besonders auch da ich sehe, wie nötig es immer mehr wird, daß ich dem Mittelpunkte Deutschlands nicht mehr fern bleibe. Ich bedauere die Stockungen, welche vielseitig von einer Langsamkeit herrühren, gegen welche ich eifrig einzuschreiten haben werde. So macht mir auch mein Berliner Freund, der Architekt Neumann, gar keine besondere Freude; alles schleppt sich verdrießlich hin. So sind seine Zeichnungen und Pläne für mein Haus sehr schön ausgefallen; aber welche Zeit geht darüber hin, ehe sie meinen Bayreuther Freunden und Bevollmächtigten zur Ausführung übergeben werden!‹ Durchaus lieb und traulich willkommen war ihm insbesondere die Vorstellung: die beruhigende bürgerliche Niederlassung, in welcher er ›seine so ungemein angestrengten Seelenkräfte einigermaßen durch freundliche Ausspannung zu stärken vermöchte‹, gerade in der Stadt Bayreuth mit ihren ihm bekannt gewordenen Verhältnissen sich begründen zu sollen. ›Ich habe dies‹, fährt er in der brieflichen Darlegung dieser Verhältnisse fort, ›dem König von Bayern unumwunden zu verstehen gegeben; und hierzu hatte ich ein Recht, da Seine allerersten Versicherungen, auf welche hin ich mit ihm in Verbindung trat, dieses eine betraf, daß ich, aller Lebenssorgen enthoben, ungestört meiner freien Kunstübung leben können sollte.‹ Leider gab es nun aber hiermit noch eine unglaubliche Not; eine schwere Krisis war auch hier wieder zu überstehen. Dem Könige ging es mit dem ganzen Bayreuther Gedanken, insbesondere aber mit der beabsichtigten dauernden Niederlassung in Bayreuth nicht anders, als dereinst bei der Entscheidung für Triebschen. Immer und immer hatte er gehofft, den Meister doch noch wieder nach seiner Hauptstadt zu ziehen, und sollte nun diesem Wunsche für alle [399] Zeiten entsagen! Die bekannten Intriguen in seiner Umgebung blieben aber auch nicht untätig, um nach beiden Seiten hin, sowohl nach derjenigen des Monarchen, wie nach der des von ihm beschützten Künstlers, die üble Aussaat der Verstimmung auszustreuen. Wieder mußte die Zeitungspresse als erprobtes Mittel der Unterminierung herhalten! Die ›Augsburger Abendzeitung‹ brachte direkt aus Bayreuth einen Artikel, in welchem der geplante Umzug dahin und der projektierte Hausbau in ein häßlich verletzendes Licht gestellt wurde. Das Geklatsch gewisser Münchener Beamten von Bayreuther Herkunft mischte sich darein, denen aus ihrer Heimat in gehässiger Weise über den Meister berichtet worden sei. Wohl durfte dieser davor bewahrt bleiben, auch nur einen Augenblick etwa an die Doppelzüngigkeit seiner Bayreuther Freunde zu glauben; aber ›in ihrer Umgebung jenes gräßliche System, in welchem – durch München – alles bayerische Wesen befangen schien, ebenfalls eingenistet zu wissen‹, – das verfehlte seine Wirkung nicht und mußte ihn wahrhaft erschrecken! Die Rückwirkung jener beharrlich auf München gerichteten Wünsche des Königs auf der einen, des Ekels vor jenen ›infamen Quälereien‹ auf der anderen Seite blieb nicht ohne Einfluß auf seine Entscheidungen. Hatte er zwar im Verlaufe der Unterhandlungen wohl auch erfahren, daß der königliche Freund sich schließlich in den Stand der Dinge zu fügen wußte, so zwang ihn doch – bei Festhaltung seiner Wünsche und Pläne – ein unantastbar gebieterisches, stolzes Zartgefühl, der höheren Mithilfe für seine Bayreuther Niederlassung sich zu begeben. In diesem Sinne erklärte er sich, um den Anfang April, gegen den Hofrat Düfflipp, und blieb dabei, die ihm bereits fest zugesagte königliche Unterstützung zum Zweck seiner Ansiedelung in Bayreuth abzulehnen. Damit waren denn aber nun all seine ferneren, bereits getroffenen Dispositionen für diese Ansiedelung, die er soeben noch freudigen Mutes getroffen, in ihrem Fundamente erschüttert. Er autorisierte daher Feustel, das bereits angekaufte Terrain für sein künftiges Wohnhaus gelegentlich – für Rechnung der Kgl. Kabinetskasse weiter zu verkaufen.

In welcher Verfassung dies, kurz vor dem Einlaufen in den letzten Ruhehafen, geschah, ist leicht zu vergegenwärtigen. Das Fehlschlagen dieses einen Wunsches bewog ihn fast schon dazu, all seinen Wünschen für Bayreuth zu entsagen. ›Andererseits‹, schreibt er darüber an Feustel, ›hätte ich, mit Bayreuth, auch das ganze Unternehmen aufgegeben Beide sind bereits mit einander verwachsen, und soweit mein großes Bühnenfestspiel Aufsehen erregt, fällt es auch schon mit dem Namen Bayreuth zusammen.‹ Was ihn aber alsbald alles Widerwärtige hintansetzen ließ, war – am 5. April – das Eintreffen zweier Briefe von Muncker und Feustel. ›Ihre herrlichen Briefe‹, schreibt er zwei Tage später in einem an beide Männer gerichteten Doppelschreiben, ›haben mich durchaus umgestimmt. Halten wir denn alles fest! [400] Das Werk soll gedeihen, möge auch sein Schöpfer dabei seiner alten Not überlassen bleiben! Auch ohne Grundbesitz nehmen Sie mich doch wohl unter Ihre Mitbürger auf. Es hat uns zu Tränen gerührt, von der Sorgfalt zu vernehmen, mit welcher Sie, lieber Herr Muncker, die Bepflanzung des bisher für mich bestimmten Grundstückes in Ihre Sorge nahmen. Haben Sie Dank, als ob es wirklich für mich gewesen wäre.‹ Aber auch hinsichtlich der für den Sommer getroffenen Anordnungen blieb er im Zweifel, ob er nach seinem, dem Könige ausgesprochenen Verzicht – als einfacher Privatmann – und während erhier, in Triebschen, eine sehr teuere Jahresmiete noch zu entrichten hatte, den geplanten Sommeraufenthalt in der ›Fantaisie‹ sich vergönnen dürfte. ›Meine so frühe Übersiedelung hätte doch nur den Zweck gehabt, meiner, nun aufgegebenen, definitiven Ansiedelung beizeiten nahe zu sein, sowie auch für meine Bemühungen für die zukünftigen Festspiele einen näheren Ausgangspunkt zu gewinnen. In letzterem Betreff sind wir nun wohl darüber einverstanden, daß wir nächstes Jahr noch nicht fertig sein werden, und demnach erst 1874 in Aussicht nehmen dürfen.‹ Unter diesen Umständen hält er es für ratsam, seine Abmachung mit dem Wirt des Gasthauses in der ›Fantaisie‹ rückgängig zu machen, ›wozu es wohl noch Zeit sein dürfte‹. Allein schon eine Woche später (am 16. April) heißt es, wiederum in einem Briefe an Feustel: ›Heute früh erhielt ich eine klägliche Protestation des Fantaisie-Wirtes, gegen seine Kündigung. Schon auf diese Zuschrift hin entschloß ich mich sofort, mein früheres Projekt einer prompten Übersiedelung auszuführen, und telegraphierte Herrn R.(iederer), mir die Wohnung für 1. Mai für mich und meine Familie bereit zu halten. Ich erschrak plötzlich davor, meinen Bayreuther Freunden als ein Mensch von schnellwechselnden Entschlüssen und unzuverlässiger Mitbürger zu erscheinen.‹ Dies war der Abschluß der so plötzlich eingetretenen beunruhigenden Episode, zu deren Entstehung wiederum – München den Anlaß gegeben; doch ward schon diesmal München durch Bayreuth besiegt, durch das warme treue Festh alten der trefflichen Freunde an allem, was der Meister mit ihnen vereinbart. So brauchte denn keine einzige der getroffenen Anordnungen aufgehoben zu werden; und auch die schweren Sorgen, die er den Bayreuther Vertrauten offen aussprach, wurden im Laufe der nächsten Zeit von ihm genommen. ›Aufs neue wurde ihm der treue Beistand seines königlichen Gönners zugesichert, der nunmehr in unwandelbarer Huld dem Bayreuther Werke und seinem Schöpfer innigst zugetan blieb, und den die unauslöschliche Dankbarkeit Wagners von nun an bei jeder Gelegenheit in begeisterten, aus dem Herzen kommenden Worten pries.‹24

[401] Den ganzen Monat März hindurch, ja teilweise bis in den April hinein, zogen sich die Korrespondenzen über die Teilnahme von Sängern und Musikern an der Grundsteinlegungsfeier. Am 25. Februar war die erste Szene des dritten Aktes der ›Götterdämmerung‹ aus der Bleistiftskizze heraus in die, mit Tinte geschriebene, Orchesterskizze herausgearbeitet; neben der Fortführung dieser großen Arbeit beschäftigte ihn die Redaktion des VIII. Bandes der ›Gesammelten Schriften und Dichtungen‹, deren III. Band soeben an die Öffentlichkeit getreten war. Sein Umzug nach Bayreuth war und blieb demnach auf den April festgesetzt. Schon aber drohte in dieser Zwischenzeit eine neue Beunruhigung durch das von ihm der österreichischen Kaiserstadt zugesagte Konzert. Unter den bestehenden Lokalvereinigungen zur Förderung seines großen Unternehmens war der Anciennität nach der Wiener ›Wagner-Verein‹ der zweite und hatte daher die nächsten Ansprüche auf eine Unterstützung seines Wirkens durch den Meister. Wie richtig er nämlich die Folgen des Mannheimer Konzertes in bezug auf derartige Störungen seiner Ruhe vorausgesehen (S. 370), das bewies ihm manche, in gleichem Sinne an ihn gelangende Zuschrift, wie z.B. eine solche aus Hamburg, in welcher er einfach nach seinen ›Bedingungen‹ gefragt wurde, um daselbst ein Konzert zu dirigieren! Nun hatte sich, wie wir uns entsinnen, das Wiener Wagner-Komitee schon frühzeitig, ja noch während der Statuten-Entwurf erst seiner Bestätigung durch den Minister des Innern entgegensah, behufs der Leitung einer Musikaufführung im Vereinsinteresse an ihn gewandt (S. 371). Auf seine Zusage hin sah Wien schon im Spätherbst dem großen musikalischen Ereignis mit Spannung entgegen. Wir haben soeben des näheren die Umstände verfolgt, die ihn bisher an der Erfüllung seines Versprechens verhindert. In einem Schreiben vom 7. Dezember hatte er auf eine dahin zielende Erkundigung erwidert, daß er sich die ersten drei Monate des folgenden Jahres zur ungestörten Arbeit am letzten Akte seines Werkes vorbehalten müsse, im Verlauf des nächsten April aber zur Vornahme des Konzertes bereit sei. Wie ungestört diese Monate für ihn gewesen waren, davon haben wir aber aus allem Vorhergehenden ebenfalls einen Begriff erhalten! Nun waren auch die Tage des April schon im Schwinden begriffen, und das Wiener Konzert sollte – Wagners eigenem Wunsche gemäß – doch noch zu den, vor der Grundsteinlegung zu erledigenden Geschäften gehören. Der Termin desselben wurde demnach auf den 12. Mai anberaucht.25

Inzwischen war aber vor allen Dingen, und trotz aller unerhörten Anfechtungen von außen, auch der dritte Aufzug der ›Götterdämmerung‹ am 10. April in der ersten Bleistift-Skizze zur Vollendung gebracht. Das war nun das letzte, in den gesegneten Triebschener Jahren zur Reise Gelangte; [402] schon die, seit dem 9. Februar gleichzeitig weiterrückende ausführliche Orchesterskizze desselben Aktes konnte nun nicht mehr in Triebschen, sondern erst in Bay reuth zum Abschluß kommen. Schon in einem Briefe vom 21. April, den die edle Genossin des Meisters an Judith Mendès richtete, lesen wir die folgenden entscheidenden, auf den Umzug bezüglichen Sätze: ›Ein letztes Wort aus Triebschen, meine liebe Freundin, welches wir mit schwerem Herzen verlassen. Morgen (22. April) begibt sich Wagner nach Bayreuth, und ich folge ihm in acht Tagen mit den Kindern und Ruß.‹ Und als Nietzsche an einem schönen Vorfrühlingstage (25. April), von Montreux kommend, zum Abschiednehmen nach Triebschen fuhr, fand er – den Meister nicht mehr, nur noch Frau Wagner beim Einpacken. Er verblieb trotzdem noch zwei schwermütig beklommene Tage (bis zum 27.) daselbst, und schrieb darüber an Gersdorff: ›Vorigen Sonnabend war trauriger und tiefbewegter Abschied von Triebschen. Triebschen hat nun aufgehört: wie unter lauter Trümmern gingen wir herum, die Rührung lag überall, in der Luft, in den Wolken; der Hund fraß nicht, die Dienerschaft war, wenn man mit ihr redete, in beständigem Schluchzen. Wir packten die Manuskripte, Briefe und Bücher zusammen – ach, es war so trostlos! Diese drei Jahre, die ich in der Nähe von Triebschen verbrachte, in denen ich 23 Besuche dort gemacht habe – was bedeuten sie für mich! Fehlten sie mir, was wäre ich! Ich bin nur glücklich, in meinem Buche mir selbst jene Triebschener Welt petrefizier zu haben ...‹

Am 22. Mittags war der Meister abgereist; sein Weg führte ihn zunächst nach Darmstadt, wo er noch mit Brandt zu konferieren hatte. Zwei Depeschen vom 24. April erinnern noch an diesen Aufenthalt. Sie sind beide nach Leipzig an Herrn Otto Brückwald, Altenburgischen Hofbaumeister, gerichtet, und fordern ihn dazu auf, die Ausführung des Festspielhauses zu übernehmen. Damit hatte es folgende Bewandtnis. Der Berliner Architekt Neumann hatte nämlich wegen der übergroßen Langsamkeit seiner nie zu Ende kommenden Baupläne schließlich aufgegeben werden müssen.26 Als seinen Nachfolger finden wir in den Korrespondenzen mit Feustel und Muncker wiederholt den Bayreuther Kreisbaurat Franck genannt. Nun war aber in den jüngsten Verhandlungen der bayerischen Abgeordneten-Kammer, gleichzeitig mit einer Genehmigung von Gehaltserhöhungen für das Baupersonal, auch der Beschluß gefaßt worden: allen Staatsbautechnikern die Übernahme anderer als staatlicher Bauten zu untersagen. Diese Verfügung betraf auch Herrn Franckt und dem Meister und seinen Bayreuther Freunden konnte es nur recht sein, sich nunmehr ganz auf die Empfehlung Karl Brandts zu verlassen, zu welchem [403] Wagner ein unbegrenztes Vertrauen hatte. ›Seine (Brandts) Befähigung setze ich außer allem Zweifel: ich wünschte ihn gern zum eigentlichen Chef der artistischen Leitung auch des Baues bestimmt; denn er ist es, der, außer mir, das eigentliche Verständnis von der Sache hat.‹27 Nun empfahl aber Brandt mit allem Nachdruck den soeben genannten Leipziger Architekten Otto Brückwald, dessen Name durch den nachmaligen Hebefeierspruch Wagners für alle Zeiten in den Versen verewigt ist: ›Ohne den Brückwald, seinen Riß und Plan, kamen wir sicher nicht auf dies Gerüst heran.‹ Die erste offizielle Anknüpfung, nach vorausgegangenen privaten Unterredungen zwischen Brandt und Brückwald, bilden nun aber eben die erwähnten zwei Telegramme vom 24. April, deren eines, von Brandt unterzeichnet, schlicht und einfach die Anfrage stellt: ›Haben Sie Zeit und Lust, Wagnertheater Bayreuth zu bauen?‹, – das andere, wenige Stunden später, von Wagner selbst an den gleichen Adressaten gerichtet, den Wortlaut hat: ›Nach Rücksprache mit Brandt ersuche ich Sie, auf die Ihnen gemachten Mitteilungen unsererseits, um eine gefällige Benachrichtigung, ob Sie unseren Wunsch erfüllen wollen und schnellmöglichst hierfür eintreten können?‹ – –

Am Mittwoch den 24. April, Nachmittags vier Uhr, traf Richard Wagner, von Darmstadt aus, zum vierten Male in Bayreuth ein, um dasselbe von nun an zu dauerndem Wohnsitz zu wählen. Er nahm zunächst in dem schönen Feustelschen Hause an der Bahnhofstraße Absteigequartier, um daselbst für einige Tage die liebenswürdige Gastlichkeit seines trefflichen Freundes zu genießen; dann bezog er das Hotel Fantaisie bei Donndorff. Am Tage seiner Ankunft gab es im Rathaussaale eine vom Verwaltungsrat einberufene Versammlung von Bayreuther Bürgern, um über die Einquartierung der für die Grundsteinlegungsfeier zusammenströmenden zahlreichen Gäste (an Musikern, Sängern, Patronen und sonst Beteiligten etwa achthundert bis tausend Personen) zu beraten; in den nächstfolgenden Tagen gingen dann die Einzeichnungslisten von Haus zu Haus und fanden allenthalben offene Tür. In der Frühe des 29. April geschah der erste Spatenstich, mit welchem die Erdarbeiten für das Bühnenfestspielhaus ihren Anfang nahmen. Am Vormittag war die erste Abteilung Arbeiter auf dem Platze beschäftigt, Nachmittags ward ihre Anzahl verdoppelt. Von der Baustelle ward die ausgegrabene Erde sofort an den Fuß des Berges hinabgeschafft, um daselbst zur Planierung des gesamten Bodenkomplexes und zur Herstellung von Gartenanlagen zu dienen. Wer seine Schritte noch weiter hinauf über die Bürgerreuth nach dem Hohlweg zur Hohenwart richtete, den leitete das Klopfen der Steinmetzen nach der Richtung, wo bereits seit Wochen an [404] einem andern Bau rüstig gearbeitet wurde. Es hatte eine schöne Bedeutung für die Stadt Bayreuth, daß sie, gleichzeitig mit dem Beginn der Vorarbeiten für das Festspielhaus, in Erinnerung der jüngsten glorreichen Siege des deutschen Heeres und zum Andenken der in diesen Kämpfen Gefallenen den ›Siegesturm‹ errichten durfte, welcher bald darauf, weithin sichtbar, auf dem Grunde dunkler Tannenwaldungen sich erhob und noch heute dem in Bayreuth Einfahrenden, nebst dem Festspielhause, zuerst in das Auge fällt.28

Am letzten Tage des für den Umzug bestimmten Monats April empfing der Meister um halb fünf Uhr Nachmittags die Seinigen, Frau und Kinder, nebst dem treuen Ruß, um sie sogleich mit sich nach Fantaisie zu führen. Nun erst konnte er ganz an dem neuen Wohnsitz sich heimisch fühlen. Tags darauf (1. Mai) fand die erste Konferenz mit Brandt und Brückwald statt, womit der Festspielhausbau in eine neue, hoffnungsvolle Phase trat, nachdem alles Vorhergehende zu keinem befriedigenden Ziele geführt hatte. Nur wenige Tage der Rast waren indeß dem Meister vergönnt; dann trat die Wiener Konzert-Angelegenheit in ihr Recht und nötigte ihn zu zeitiger Abreise. Schon während der ganzen letzten vier Wochen war die österreichische Hauptstadt deshalb in Erregung gewesen, und der Andrang zu der bevorstehenden Musikaufführung ein ganz ungewöhnlicher. Obwohl die Eintrittspreise, da der Reinertrag zum Erwerb von Patronatscheinen für unbemittelte Kunstjünger be stimmt war, eine Höhe bis zu 25 Gulden erreichten und die Tagespresse kein Mittel unversucht gelassen, um den Meister und die ihm gewidmeten Bestrebungen des Wiener Wagner-Vereins in der Meinung des Publikums zu diskreditieren,29 waren doch schon lange vor dem Tage des Konzertes fast sämtliche Sitzplätze vergriffen. Täglich gingen aus Berlin, München, Pesth, Prag usw. telegraphische Bestellungen ein. Der König von Hannover hatte seinen Landaufenthalt hinausgeschoben, um mit seiner Familie an dem Konzerte teilzunehmen; der Minister Andrassy, kaum aus Pesth zurückgekehrt, durch seinen Sektions-Chef, Herrn v. Hofmann, der dem Vorstande des Komitees angehörte, sich einen Platz reservieren lassen; die Großfürstin Helene von Rußland machte auf der Durchreise Halt, um der Aufführung beizuwohnen. ›Die Vorbereitungen zum Konzerte‹, hatte ihm Standhartner bereits unterm 22. April geschrieben,[405] ›sind alle getroffen, und ich denke, Herbeck oder Hellmesberger hat Dir wohl darüber schon berichtet; ich kann nur beifügen, daß bis heute Mittag‹ (d.h. also drei Wochen vor dem Konzert!) 11000 Gulden für dasselbe eingingen.30 Eben brachte mir Gräfin Dönhof, eine Dame von eminenter Liebenswürdigkeit – eine geb. Principessa Camporeale aus Neapel – eine neue Zeichnung von Altgraf Franz Salm per 1000 Tlr.; ich bitte um mehr solche Altgrafen!31

Am Montag den 6. Mai, kurz nach zehn Uhr Morgens, traf Richard Wagner, von seiner Gattin begleitet, von Bayreuth aus mit dem Schnellzuge der Westbahn in der Donaustadt ein, die er seit sieben Jahren nicht wieder betreten. Schon der ihm bei seiner Ankunft bereitete Empfang war ein festlicher. Außer den persönlichen Freunden hatte sich eine größere Anzahl von Verehrern seiner Kunst auf dem Westbahnhofe versammelt. Das Komitee des Wiener Wagner-Vereins, unter Führung seines Obmannes Joh. Herbeck, begrüßte den Meister; der Primararzt Dr. Joseph Standhartner, als ältester und treuester persönlicher Freund in Wien, überreichte dessen Gemahlin einen prachtvollen Blumenstrauß. Die Ansprache, mit welcher Richard Wagner von seiten des Vereins empfangen wurde, erwiderte er in herzlichster Weise. Nachdem er dann sofort eine vorläufige Verabredung über die Proben gehalten, sprang er rasch in den Wagen, der ihn, seine Gattin und Dr. Standhartner in des letzteren Wohnung brachte, wo er für die Zeit seines Wiener Aufenthaltes Quartier nahm. ›Des Jubels‹, heißt es in dem vorerwähnten Briefe Standhartners, ›des Jubels in meinem Hause, dem zum zweiten Male die Ehre und Freude bevorsteht (Dich zu beherbergen), ist kein Ende.32 Was ich Dir bieten kann, ist nicht viel, aber ruhig und bequem: ein großes Zimmer, durch einen Vorhang in Schlaf- und Sitzraum geteilt; ein nettes Eintrittszimmer; zu beiden führt eine gesonderte Tür von der Haupttreppe – und zu allem die herzlichste Freude aller im Hause, den geliebten Meister und seine verehrte Frau in der Nähe zu wissen. Leider ist meine Wohnung vom Konzertsaale weit entfernt, doch wird während Deines Aufenthaltes ein Wagen für Dich immer bereit sein.‹

Das Programm sollte die Ouvertüre zur ›Iphigenie in Aulis‹, die Eroica, Vorspiel und Einleitung zum ›Tannhäuser‹ (nach der Pariser Bearbeitung), Vorspiel und Schlußsatz aus ›Tristan und Isolde‹ und den ›Feuerzauber‹ aus der ›Walküre‹ bringen; doch kam davon wegen zu großer Ausdehnung des Ganzen die ›Iphigenien‹-Ouvertüre in Wegfall. Die Proben waren so angesetzt, daß je ein Ruhetag dazwischen lag, der durch Verkehr mit der Standhartnerschen [406] Familie und zahlreiche Besuche reichlichst ausgefüllt war. Wir erwähnen unter diesen letzteren insbesondere die Gräfin Dönhoff und ihren Gemahl.33 Bei der ersten Probe – am Mittwoch den 8. Mai – ward ihm durch die – meist altbefreundeten – Wiener Musiker ein festlicher Empfang zuteil: alles strahlte vor Freude, den geliebten Meister nach so langen Jahren wieder zu begrüßen. Für die Konservatoriums-Schüler handelte es sich um eine dringende Entscheidung: ob ihnen das ehrende Vertrauen bewiesen werden würde, daß sie den Proben beiwohnen dürften, oder nicht? Die Frage konnte schicklicherweise nicht ohne den Konzertgeber entschieden werden; sie wurde demnach dem Meister unterbreitet- und er entschied sie ohne weiteres im bejahenden Sinne. Neuer Jubel, als die draußen harrenden Scharen durch ihn selbst der Zulassung gewürdigt wurden. Dann begann die strenge Arbeit an den ›Tannhäuser‹- und ›Tristan‹-Fragmenten. Charakteristisch war die ihm berichtete Tatsache, daß Anton Rubinstein, der bis dahin in Angelegenheiten seiner Kompositionen in der Kaiserstadt geweilt hatte, aus Wut über die allgemeine – von ihm (leider) so wenig geteilte – Begeisterung plötzlich abgereist sei! Für den Abend war ihm eine harte Prüfung nicht erspart. Gleich bei seiner ersten Ankunft war die Zumutung an ihn herangetreten, der Aufführung einer seiner ›Opern‹: des Rienzi, Tannhäuser, Lohengrin oder der Meistersinger, im Hofopernhause beizuwohnen. Er hatte sich für den ›Rienzi‹ entschieden, weil dieser ihm am fremdesten sei. Wohl hatte er Ungenügendes, Unvollendetes erwartet. Nun war aber die ihm durch Herbeck gebotene Aufführung geradezu abschreckend und schauderhaft: er tat dabei einen Blick in das herrschende Opernwesen, wie in einen allertiefsten Abgrund der Abscheulichkeit. Es war das erste Mal, daß er das (am 25. Mai 1869 eröffnete) prunkende neue Wiener Opernhaus betrat, für welches er einst seinen Reorganisationsplan ausgearbeitet, nachdem im alten Opernhause sein ›Tristan‹ durch das Übelwollen aller Beteiligten34 nach siebzig Proben zu Grabe getragen war! Da man seine Anwesenheit bei der Aufführung vermutete, war der Besuch der Vorstellung ein massenhafter und das Haus bis auf das letzte Plätzchen ausverkauft. Wagner erschien mit seiner Gattin in einer Loge des ersten Ranges, nahm aber ganz im Hintergrunde derselben Platz, so daß er nur von wenigen gesehen werden konnte. Widerstrebte ihm an sich der bloße rauschende Jubel einer aufgeregten Menge, so mußte ihn derselbe vollends anläßlich einer so ungenügenden Darstellung geradezu peinlich verletzen. Schon nach der Ouvertüre brach ein nichtendenwollender Beifallssturm los und beharrliche Rufe nach dem Schöpfer des Werkes wurden laut. [407] Dasselbe wiederholte sich nach dem ersten Akte. Da sich der Meister nicht zeigte, beruhigte sich die Menge in der Annahme, er sei nicht im Hause. Der Beifall während und nach den folgenden Akten galt demnach nicht mehr seiner Person, sondern tatsächlich der – so ganz unwürdigen – Aufführung! Von der Darstellerin des Adriano sagte er später zu Herbeck, sie habe einem ›angezogenen Affen‹ geglichen.35 Nach dem Schlusse aber bildete das Publikum im Foyer zu beiden Seiten des Haupteinganges ein dichtes Spalier. Als Wagner aus seiner Loge trat, wurde er sogleich erkannt und von der Menge lautlos, aber ehrfurchtsvoll gegrüßt. Desto giftgeschwollener äußerte sich unmittelbar darauf die feindselige Wiener Presse über seinen ›Hochmut‹: daß er sich zwar mit seiner Gattin und der Gräfin Dönhoff im Foyer gezeigt, aber den Rufen des Publikums nicht Folge geleistet habe.

Der folgende Tag (9. Mai) brachte freundliche Beziehungen zu Standhartners, Lenbach, Makart, vielen Patronen oder Angehörigen des Wiener Wagner-Vereins; auch eine Ausfahrt nach Dornbach und eine Abendgesellschaft im Hause eines Vereins-Vorstandes. Am 10, um drei Uhr Nachmittags, fand die zweite Probe, am Sonnabend den 11. die Generalprobe statt, im Beisein zahlreicher Wiener Gönner, zum Teil auch schon solcher, die aus weiter Ferne herbeigeeilt waren, um der Aufführung beizuwohnen. Doch hatte sich der Meister, um des vollen Ernstes der Studien willen, im voraus jede Art von Ovationen ernstlich verbeten, die er in den vorausgehenden Proben, da ihm vor allem die große gemeinsame Arbeit am Herzen lag, doch nur als lästige Störungen empfunden hatte.

Am darauf folgenden Sonntag, den 12. Mai, erfolgte dann um die Mittagsstunde das Konzert im großen Musikervereinssaale, der so ziemlich alles in sich aufgenommen hatte, was sich in Wien für Musik und für deutsche Kunst interessierte. Es war den eingeschworenen, verbissenen Gegnern wirklich nicht leicht ge macht, die Kundgebungen dieser Versammlung als die einer bloßen ›Partei‹ zu bezeichnen. Da fehlten nur wenige Repräsentanten der ›künstlerischen Welt‹: Maler, Sänger und Darsteller aller Wiener Theater, die Aristokratie und die ›haute finance‹, das beinahe vollzählige Herren- und Abgeordnetenhaus der österreichischen Hauptstadt hatten sämtliche Sitze besetzt, und auch die Stehplätze zeigten ein Gewoge von Köpfen. Den Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit aber bildete die, von dem Vorstande der ›Gesellschaft der Musikfreunde‹, deren Ehrenmitglied der Meister war, seiner Gattin zur Verfügung gestellte Direktionsloge, in welcher sich außer Frau Wagner viele interessante Persönlichkeiten, unter ihnen Frau Minister von Schleinitz aus Berlin, die Gräfin Dönhoff, der Maler Lenbach u.a. befanden. Mit größter Spannung harrte man dem Anblick des Meisters selbst entgegen, der [408] einige Minuten nach halb ein Uhr erschien. Als er das Podium des Orchesters betrat und langsam dem Dirigentenpulte zuschritt, empfing ihn ein donnernder Jubelruf; ganze Ladungen von Lorbeerkränzen flogen unausgesetzt von der Galerie, in fast bedrohlicher Weise für die Musiker, herab. Der stürmische Zuruf dauerte minutenlang fort; Wagner war sichtlich auf das tiefste ergriffen. Nur allmählich trat eine Stille ein, als er das Zeichen zum Beginn derEroica gab, welche die erste Abteilung des Konzertes ausfüllte Kaum waren die letzten Töne des vollendet ausgeführten Trauermarsches verklungen, als sich der rauschende Beifall von allen Seiten des Hauses wiederholte. Vom Scherzo zum Finale schnitt ein rascher Übergang von kaum einer Sekunde Zeit einen abermaligen Ausbruch des allgemeinen Enthusiasmus ab; der Zauber des Taktstabes, welcher das Orchester leitete, hatte dessen Klänge völlig neu belebt und verklärt und alles in einen Zustand der Entrücktheit versetzt. Am Schlusse der Symphonie ward dem Meister ein bändergeschmückter Lorbeerkranz überreicht. Diese abermalige Huldigung war das Signal zu einem neuen Erguß von Blumen und Kränzen und zu einem so andauernd lebhaften Beifallssturm, daß er, schon vom Schauplatze abgetreten, sich nach einigem Zögern wieder zeigen mußte. Die zweite Abteilung des Konzertes begann mit dem neuen Tannhäuser-Bruchstück, dessen dämonische Wirkung auch durch die Vorführung im Konzertsaal nicht abgeschwächt werden konnte: nach den bacchantischen Tönen der Venusbergmusik war es beim geheimnisvollen Eintritt des, durch die Choristinnen der Hofoper von einem dem Publikum unsichtbaren, halb unterirdischen Platz hinter dem Orchesterpodium ausgeführten Sirenengesanges wirklich, als blicke man in das verführerische Antlitz der Frau Holda Allseitig machte sich die Gewalt des Vorspieles, die reinigende Macht des Schlusses von ›Tristan und Isolde‹ geltend; überwältigend endlich wirkte – als letztes Stück – Wotans Abschied und Feuerzauber. Einen besonderen Effekt hatte sich die Natur selbst für den Ausgang des Konzertes aufgespart: in die göttliche Musik des Feuerzaubers mischte sich Blitz und Donner eines, gleichzeitig über den Häuptern der Zuhörer sich entladenden wirklichen Gewitters; und als bei der Beschwörung Loges ein heller Blitz aufzuckte, steigerte sich das dramatische Leben des Tonstückes bis fast zum unmittelbaren szenischen Eindruck. Am Schlusse machte sich die Begeisterung des Publikums in endlosen jubelnden Zurufen, Sicherheben von den Sitzen, Hüte- und Tücherschwenken Luft. Der immer und immer wieder hervorgerufene Meister ergriff zuletzt mit bewegter Stimme das Wort, indem er seine dankbare Erinnerung an den ihm schon früher in Wien zuteil gewordenen warmen Empfang aussprach. Der heutige Erfolg sei für ihn um so erhebender, als er daraus erkenne, wie sehr sein Wirken und Schaffen auch jetzt, wo er an die Ausführung seines größten Unternehmens schreite, in Wien den gleichen warmen Anklang finde. ›Wenn die Griechen ein großes Werk vorhatten, so[409] riefen sie den Zeus an, daß er ihnen zum Zeichen seiner Wohlgeneigtheit seinen Blitz entsende. Mögen wir, die wir alle im Verein der deutschen Kunst einen heimischen Herd gründen wollen, uns auch die heutigen Blitze günstig deuten für unser nationales Werk – als ein segnendes Zeichen von oben!‹ – Unbeschreiblich war der Eindruck dieser Worte. Was den engeren Freunden der Kunst des Meisters als freudig bewußtes, klar erkennbares Ziel ihres feurigsten und ernstesten Strebens vorschwebte, rief auch in den Herzen der Fernerstehenden eine verwandte Stimmung hervor, und der Appell an den Schutz einer höheren Macht für diese Kunst riß die Herzen aller zu diesem einzeln dastehenden Manne hin, dessen großer Gedanke eines weitreichenden Schutzes noch so sehr bedürftig war.

Dem Konzerte folgte ein von den nähern Freunden und Verehrern veranstaltetes Festmahl, im engeren Kreise eine trauliche Nachfeier des eben erlebten geräuschvollen Triumphes im Konzertsaal. Herbeck brachte dabei den Toast auf Bayreuth und das Bayreuther Werk aus; Wagner erwiderte darauf mit schlichten und herzlichen Worten, die jedem der Anwesenden tief ins Gemüt dringen mußten. Es sei soeben geäußert worden, daß im nächsten Jahre zu Bayreuth die Ideale der Musik verwirklicht werden sollten. Mit welchen Kräften und aus welchen Mitteln, das wisse er nicht. Ein es erhalte ihn in dem Glauben, daß ihre Ideale zur Verwirklichung gelangen würden, und dies sei: der deutsche Geist. Worin dieser, nur zu oft als bloße Firma gebrauchte, deutsche Geist bestünde, das – wisse er abermals nicht. ›Er ist unfaßbar, aber wir alle fühlen uns von ihm umweht und kennen seine Manifestationen.‹ Wie tief, wie ahnungsreich erscheine er gleich in der gewaltigen neunten Symphonie, mit deren Vorführung die Begründung ihres Unternehmens eingeweiht werden solle; welch eine Welt an Gedanken, welche Keime zukünftiger musikalischer Gebilde berge sie in sich! Nun sei er nicht so stolz zu behaupten: er wäre ausersehen, die in diesem großen Werke des deutschen Geistes vorgebildeten Ideen fortzuführen und zu verwirklichen; allein er stehe auf dem Boden dieses Werkes, trete mitten in dasselbe hinein und strebe von da an weiter. Mit ihnen, die als Musiker von Beruf oder kraft ihres deutschen Gemütes sich seinen Bestrebungen anschlössen, wolle er das Glas leeren auf den deutschen Geist! Er blühe und gedeihe immerdar! – In hoffnungbelebter und ungebundener Heiterkeit entschwanden die wenigen, geflügelten Stunden, die der Meister in dem Kreise der Seinen verbrachte.

Tags darauf, um fünf Uhr Nachmittags, verließ er mit seiner Gattin, nach gerührtem Abschied von seinen vortrefflichen Gastfreunden, in Begleitung Hans Richters das erregte Wien, nachdem ihm zuvor noch auch von den dankbaren Zöglingen des Konservatoriums, durch Überreichung eines kostbaren, lorbeerumwundenen Silberpokals eine Huldigung außerhalb des Konzertsaales [410] dargebracht war.36 Am Abend gab die Hofoper den ›fliegenden Holländer‹, und die Wiener musikalische Kritik spitzte nicht ohne Beklommenheit ihre Federn zum gewohnten destruktiven Geschäft, um hinter dem Künstler her den gewaltigen Eindruck, den sein Erscheinen im Publikum gemacht, zu verflüchtigen und zu verwischen. ›Schon glaubten wir‹, rief eine solche lebensmüde Stimme, in absonderlicher Interpretation der Naturerscheinung während des Konzertes, ›der alte Gott Donar wolle im Unmut über den irdischen Lärm seinen Hammer mitten in die festliche Gesellschaft hineinwerfen. Aber Donar war immer ein Freund des Volkes, und das Volk liebt die Wagnersche Musik. Solchen Mächten gegenüber, den Göttern und dem Volke, was will da ein vereinsamter Protest von Männern, die sich ihrer ganzen ästhetischen Bildung nach in die neue Kunstweise nicht finden können? Ja wir Alten sind unterlegen in diesem Kampfe‹ usw. Allerdings nicht für alle gehässigen Insinuationen an die Öffentlichkeit – unter dem Deckmantel der musikalischen Kritik – kann die Anforderung gestellt werden, daß in ihnen lediglich der Gegensatz einer veralteten ›ästhetischen Anschauung‹ und einer ›neuen Kunstweise‹ zu erkennen sei. Es war mehr als die spezifische, ›musikalisch-schö ne‹, akademische Bildung des berühmten Kritikers der neuen freien Presse, wenn dieser, gewohnt, jeden Fußbreit Bodens bis zum letzten Moment zu behaupten, noch kurz vor der Bayreuther Grundsteinlegung seine sehr zweckbewußten Bedenken gegen die Akustik des unsichtbaren Orchesters aussprach, solange er eben noch nicht durch die Tatsache widerlegt werden konnte. Nicht unverhohlener konnte sich Mißgunst und Übelwollen äußern, als in seiner Exklamation: ›Wagner hat Glück in allen Dingen! Zuerst wütet er gegen alle Monarchen: ein großmütiger König kommt ihm mit schwärmerischer Liebe entgegen. ... Dann schreibt er ein Pasquill gegen die Juden; das Judentum in der Musik huldigt ihm um so eifriger durch Ankauf von Bayreuther Promessen. Er beweist, daß alle unsere Hofkapellmeister reine Handwerker sind, denen er nicht ein einziges Tempo seiner Opern anvertrauen könne: und siehe da, unsere Hofkapellmeister und Dirigenten gründen Wagnervereine und werben Truppen für die Schlacht von Bayreuth. Opernsänger und Direktoren, deren Leistungen Wagner auf das grausamste hinrichtet, sie folgen, wo er nur hinkommt, seinen Spuren und sind von seinem Gruß beglückt. Er brandmarkt unsere Konservatorien als die verwahrlosetsten, zweckwidrigsten Institute: die Schüler des Wiener Konservatoriums bilden Spalier vor Richard Wagner und sammeln in der Schule für eine Ehrengabe an den Meister‹ usw.

Mit dem Frühzuge des 14. Mai traf der Künstler indessen in dem friedlichen Bayreuth, als seiner neuen Heimat ein, wo seine Aufgabe immer noch riesengroß vor ihm lag. ›Lieber teurer Freund‹, schreibt er hier am 16. [411] aus Schloß Fantaisie an den, soeben aus Kissingen und München zurückgekehrten Feustel, ›ich fühle mich so angegriffen, daß ich zweier Tage vollständiger Ruhe bedarf, um mich für die kommenden mühevollen Tage zu stärken. Somit würde ich nur in Fällen der äußersten Not heute und morgen mein Asyl verlassen; diese Not ist wohl aber kaum zu befürchten, da unser vortrefflicher Bürgermeister ja den ganzen Gang der Unternehmung in schöner ruhiger Ordnung erhält, Sie selbst nun schnell auch eingreifen können, und für alle musikalischen Anordnungen mein ausgezeichneter Kapellmeister Hans Richter stets auf dem Flecke sein wird. – Vielleicht aber dürfen wir hoffen, Sie für ein gelegentlich erübrigtes Stündchen auf der Fantaisie begrüßen zu können?‹ – –

Unter dem unversieglichen, reichströmenden Segen der höchsten Liebe war der Schöpfer des Nibelungenwerkes nun endlich wirklich an den entscheidendsten Wendepunkt seines ganzen künstlerischen Daseins getreten: die Grundsteinlegung zu seinem stolzen Bau stand bevor. Wozu ihm sogar sein König nicht hatte verhelfen können, unter dem Segen dieser Liebe hatte er nun es selbst aus eigener Kraft sich ermöglicht. Ohne diese Liebe hätte er – in tiefstem Lebensüberdruß – nicht einen Federzug mehr an seinem Lebenswerke getan, sondern es völlig aufgegeben; durch ihre Macht und ihren unerschöpflichen Segen stand er nun dicht an der Vollendung desselben. Es gehört zu der tiefsten Tragik aller Menschenschicksale, daß der treueste, reinste, edelste Freund, daß Bülow von dieser Feier unvermeidlich ausgeschlossen war, und sie aus der Ferne miterleben mußte! Es gab aber noch einen anderen Freund, der durch eine ganz andere tragische Verflechtung, einen unheilvollen Einfluß von außen dem gleichen Vorgange fern zu bleiben drohte: seine Abwesenheit, die Abwesenheit Liszts war in keiner Weise eine Notwendigkeit, sondern ein bloßer trügerischer Eigensinn des Schicksals, das mit den edelsten Seelenkräften sein tückisches Spiel zu treiben scheint! Dieser Abwesenheit konnte er nicht müßig zuwartend entgegensehen. Einem Drange folgend, der ihn während dieser Tage nicht verlassen wollte und nun zur Betätigung trieb, griff daher der Meister am 18. Mai – vier Tage vor der Grundsteinlegung – zur Feder und schrieb folgenden Brief an Franz Liszt, mit dessen wörtlicher Anführung wir dieses Kapitel beschließen wollen. ›Mein großer lieber Freund‹, so beginnt dieser Brief, ›Cosima behauptet, Du würdest doch nicht kommen – auch wenn ich Dich einlüde. Das müßten wir denn ertragen – wie wir so manches ertragen mußten! Dich aber einzuladen, kann ich nicht unterlassen. Und was rufe ich Dir zu, wenn ich Dir sage: komm'! Du kamst in mein Leben als der größte Mensch, an den ich je die vertraute Freundesanrede richten durfte. Du trenntest Dich von mir – vielleicht weil ich Dir nicht so vertraut gewesen war, wie Du mir. Statt Deiner trat Dein wiedergeborenes innigstes Wesen an mich heran – und erfüllte [412] meine Sehnsucht, Dich mir ganz vertraut zu wissen. So lebst Du in voller Schönheit vor mir und in mir – und wie über Gräber sind wir vereint! Du warst der erste, der durch seine Liebe mich adelte. Zu einem zweiten höheren Leben bin ich »Ihr« nun vermählt – und vermag, was ich nie allein vermocht hätte. So konntest Du mir alles werden, während ich Dir so wenig zu bleiben vermochte. Wie ungeheuer bin ich so gegen Dich im Vorteil! Sage ich Dir nun: komm' – so sage ich Dir damit: komm' zu Dir – denn hier findest Du Dich! Sei gesegnet und geliebt – wie Du Dich auch entscheidest! Dein alter Freund Richard.‹

Das war der unwiderstehlich dünkende Anruf aus tiefstem großem Freundesherzen – nach seiner Absendung durfte er getrost dessen Wirkung entgegensehen, er hatte das Seine getan.

Fußnoten

1 ›Das griechische Musikdrama‹, ›Sokrates und die Tragödie‹ und ›über die dionysische Weltanschauung‹ – Nietzsche selbst bezeichnete sie als die drei ersten Zeugnisse seiner, im Umgang mit Wagner, erneuten und verwandelten Auffassung des Hellenentums und jener ästhetischen Probleme, die ›schon seit Jahren in ihm gährten‹.


2 Wie sonderbar unmotiviert muß sich dem gegenüber die Behauptung ausnehmen, welche gerade die Nichtbeachtung des ihm erteilten Rates, die Unterlassung dessen, was Wagner von ihm forderte, späterhin feierlichst als ein ›Brandopfer auf dem Altar seiner Freundschaft für Wagner‹ hinstellt. Siehe ›Nietzsches Leben‹ II, S. 22 und 53! Das ist doch echteste Schwestern-Logik. – deren Hervortreten an hundert Stellen des mehrgenannten Buches es leider so wenig genießbar macht.


3 Man findet alles Nähere, selbst den Namen jenes ›Mitbesitzers‹, eines angesehenen und um die Stadt Bayreuth verdienten Fabrikanten, in dem eingehenden Nachwort Dr. Franz Munckers zu den ›Briefen Rich. Wagners an Theod. Muncker‹ (Bayr. Blätter 1900, S. 210/11.)


4 Franz Muncker, Nachwort zu ›R. Wagners Briefe an Th Muncker‹ S. 211.


5 Vgl. den Brief an Feustel vom 22. Januar 1872: ›Sie kennen den Charakter der ganzen Unternehmung genügend und wissen, daß ihre Effektuierung auf laufenden Einnahmen und Einzahlungen beruht. Eine in der bisherigen Verwaltung dieser Einnahmen vorherrschende, etwas vornehme NachlässigkeitA1 hat mich eben jetzt bestimmt, energisch einzugreifen.‹ Und an Heckel (24. Januar): ›Vorläufig ergeht meine dringende Aufforderung an Sie, die von Ihnen vermehrten Patronatscheine sofort einzukassieren und die Beträge an Cohn nach Dessau zu schicken.‹


6 Vgl. Heckel, Erinnerungen S. 38, wo es jedoch irrigerweise heißt, Wagner habe diese Entdeckung erst in Berlin gemacht, während doch eben der Schrecken darüber ihn sehr wider seinen Willen aus seiner Luzerner Ruhe herausriß!


7 Auf diese hatte der Meister, den ihm zuteil gewordenen zuversichtlichen Nachrichten zufolge, bereits gezählt; vgl. seinen Brief an Heckel vom 9. Nov. des Vorjahres: "Der Verein ›Wagneriana‹ in Berlin hat kürzlich den Ankauf von 60 Patronatscheinen und die Stellung des ganzen Orchesters dekretiert."


8 Den Wortlaut siehe bei Heckel, Erinnerungen S. 36.


9 Hier möge erwähnt sein, daß der 1882 von dem Meister begründete Stipendienfonds für unbemittelte deutsche Musiker und Künstler dem obenerwähnten Herrn – wie zur verspäteten Sühne für sein damaliges Verhalten! – eine, i. J. 1899 errichtete, eigene ›Bernhard Löser-Stiftung‹ im Betrage von – 10,000 Mark (also des achtzehnten Teiles der damals gezeichneten Summe) zu verdanken hat!


10 An Heckel, Berlin, 28. Januar 1872.


11 Er hatte sich aus freien Stücken bereit erklärt, bei diesen Besprechungen mit gegenwärtig zu sein und Wagner ihm telegraphisch geantwortet: ›Ihr Kommen hierher sehr angenehm. Erwarte Sie. R. W.‹ (Heckel, Erinnerungen, S. 38).


12 Ebenda, S. 39


13 Der ›Rennweg‹, die heutige Richard Wagner-Straße.


14 Vgl. den Brief an Feustel, aus Luzern, 7. Februar: ›Daß meine Übersiedelung nach Bayreuth sich mir durchaus nur unter angenehmen Anzeichen darstellt, das ist es, was mich jetzt so heiterer Stimmung macht: selbst Herrn Stahlmanns dreißig Fuß hoher Fontänen-Abschied hat dazu kräftigst mitgewirkt.‹ Bei letzterer Anspielung handelt es sich offenbar um die Wasserkünste der Eremitage!


15 Um so bedeutungsvoller ist dieser, nach den Worten des Meisters ›sehr ungefähre‹ eigenhändige Plan, als er sowohl, was die Stellung des Hauses als die Gartenanlagen, die Kastanienallee des Fahrweges und die Ziergärten hinter dem Hause betrifft, auf das genaueste dem späteren wirklichen Bilde von Wahnfried und seiner Umgebung entspricht.


16 Briefe an Feustel, Nr. 8 vom 25. Februar 1872 (›Bayr. Blätter‹ 1903, S. 171/72).


17 An Feustel, 7. Februar 1872.


18 In einem Schreiben vom 20. Juni 1529.


19 Schluß der Bleistiftskizze 10. April, der Orchesterskizze 22. Juli desselben Jahres 1872.


20 Die Partitur der ›Götterdämmerung‹ wurde am 21. November 1874 vollendet.


21 Begründung dieses rigoristischen Verbotes: für die Pfingstwoche wäre in der badischen Residenz eine Aufführung von – – – Gounods ›Faust‹ angesetzt!!


22 Heckel, Erinnerungen S. 39/40.


23 Heckel, Erinnerungen S. 42.


24 Franz Muncker, Nachwort zu ›Rich. Wagners Briefe an Theodor Muncker‹ (Bayreuther Blätter 1900, S. 212).


25 Bereits in einem Briefe an Hellmesberger vom 26. März.


26 Vgl. die Briefe an Muncker vom 26. März und 7. April 1872 (Bayreuther Blätter 1900, S. 194 und 196).


27 An Feustel, 10. April Abends (d.h. am Tage der Vollendung des 3. Aktes der ›Götterdämmerung‹ in der Bleistiftskizze.


28 Der Aufruf zu Beiträgen für dieses schlichte, aber würdige Denkmal war sogar bis nach Triebschen gelangt; vgl. Wagners Schreiben an Feustel vom 25. Febr. 72: ›Man hat sich aus Bayreuth wegen eines »Siegesturmes« an meine Teilnahme gewendet. Da Sie nun mein Bevollmächtigter sind, bitte ich Sie, ganz nach Ihrem Ermessen, in meinem »Auftrage« den Ihnen gutdünkenden Beitrag für mich zu zeichnen.‹


29 Dieser sollte in seinem Bestande eine, wunderliche Zusammenstellung von Personen sein, deren Namen in Verbindung mit der Musik hier zum ersten Male genannt würden. Sonderbar! Sollten solche Namen z.B. diejenigen Herbecks oder Hellmesbergers gewesen sein? Oder war nur gemeint, daß Professor Hanslick nicht zum Vorstande des Wiener Wagner-Vereins gehörte?


30 Am 6. Mai waren es bereits 14000 Gulden, und von den vorhandenen 1600 Sitzplätzen bloß noch 170 übrig.


31 Dr. Joseph Standhartner an Richard Wagner, Brief vom 22. April 1872 umgedruckt, in Wahnfried befindlich).


32 Das erste Mal war der Meister im August (bis gegen Ende September) 1861 in Wien Standhartners Gast gewesen.


33 Vgl. die vom 8. Mai 1872 aus Wien an Bürgermeister Muncker gerichteten Zeilen: ›Graf und Gräfin Dönhoff bitten um Besorgung von Logis in der »Sonne«. (Möglichst gut!) Vermutlich auch eine Kammerjungfer dabei‹ (Bayr. Bl. 1900, S. 198).


34 Wie sich durch dessen veröffentlichte Korrespondenz kürzlich erst herausstellte, sogar des Kapellmeisters Heinrich Esser!


35 Siehe ›Johann Herbeck, ein Lebensbild, von seinem Sohne Ludwig Herbeck‹.


36 Dies war bereits am Vormittag des Konzerttages selbst geschehen.


A1 In betreff des Freiherrn von Loën heißt es noch in dem Briefe an Feustel vom 7. Februar: ›Letzterer (Loën) ist ein Ehrenmann und durchaus zuverlässig, nur kein Geschäftsmann. Etwas Geduld wird nötig sein.‹

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 387-413.
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