V.

Nach dem ›Tristan‹.

[107] Schnorrs Tod. – Ein Zusammentreffen des jungen Schüré mit dem Meister. – Auf dem Hochkopf am Walchensee. – Rückkehr nach München: Entwurf des ›Parzival‹. – Semper in München: der Platz zum Festspielhause wird bestimmt – Zeitungsprojekt: ›Was ist deutsch?‹ – Reise nach Wien: J. Fröbel. – Mit dem König in Hohenschwangau.


Was ich durch Schnorrs jähen Tod verlor, ist, in einem gewissen Sinne, unermeßlich, wie die Begabung dieses herrlichen Künstlers unerschöpflich war.

Richard Wagner.


Etwa acht Tage nach dem berichteten, kaum beachteten Abschiede, Freitag den 21. Juli, wurde dem ahnungslosen Meister – Schnorrs Tod telegraphiert Er war in der frühen Morgenstunde ebendesselben Tages erfolgt. Ein furchtbarer, ein betäubender Schlag! ›Schlimmeres für Wagner, für uns alle hier, für unsere künstlerischen Pläne konnte sich nicht ereignen‹, schreibt Bülow.1 Er hatte nach seiner Rückkehr noch in einer Theaterprobe gesungen, und seinen Kollegen zu erwidern gehabt, welche sich darüber verwunderten, daß er nach den Anstrengungen der letzten Wochen wirklich noch Stimme habe! Ein schrecklicher Rheumatismus hatte sich dann seines Kniees bemächtigt, und zu einer in wenigen Tagen tötenden Krankheit geführt. ›Springende Gicht hieß der Dämon, der ihm von dem Kniegelenk in das Gehirn gefahren war. Da lag er.‹2 Die für seine Übersiedelung nach München verabredeten Pläne, die Darstellung des ›Siegfried‹, seine Besorgtheit vor der Annahme, man werde seinen Tod der Überanstrengung durch den ›Tristan‹ schuld geben,3 [108] hatten sein klares und endlich vergehendes Bewußtsein beschäftigt. ›Leb' wohl, Siegfried! Tröstet meinen Richard!‹ waren seine letzten Worte. Zur gleichen Zeit, wo Wagner nach den aufregenden Ereignissen der letzten Monate an die Beschäftigung mit der Instrumentation des zweiten Aktes des ›Siegfried‹ ging, an dem gleichen Tage (21. Juli), wo durch königliches Reskript dieses Datums das bestehende Münchener Konservatorium gänzlich geschlossen, alle Lehrer und sonst Angestellte entlassen worden waren, schloß der Tod die Augen des edlen jungen Künstlers, auf dessen Mithilfe an seinem Lebenswerk sein großer, Freund so fest gebaut hatte. In ihm verlor der Tieferschütterte, im Innersten Getroffene, wie er sich damals ausdrückte, ›den großen Granitblock, der für die Ausführung seines Baues nunmehr durch eine Menge von Backsteinen, zu ersetzen war‹. Der Hoffnungsfrühling, welcher mit der Erkenntnis der unermeßlichen Bedeutung Schnorrs für sein Kunstschaffen über sein Leben angebrochen, war mit dem jähen Ende dieses einzigen Sängers unwiderruflich dahingewelkt und entblättert.

Er verhoffte mit Bülow noch zur Stunde der Beerdigung des gemeinsam geliebten Freundes anzukommen; eilig jagte er nach Empfang der Schreckensbotschaft nach Dresden, um noch einmal sein Antlitz zu sehen, ›noch einmal die Hand des aufopferndsten Freundes zu küssen‹. Umsonst, die Leiche hatte der zerstörenden Hitze halber bereits vor der bestimmten Zeit der Erde übergeben werden müssen. Die Herbeigeeilten kamen zu spät, frische Erde und glühende Sonne deckten die irdischen Überreste dessen, dem sie die letzte Ehre erweisen wollten, In heller Julisonne jubelte das buntgeschmückte Dresden in derselben Stunde den Empfange der zum allgemeinen deutschen Sängerfeste einziehenden Scharen entgegen. Mir sagte der Kutscher, welcher, heftig von mir angetrieben, das Hans des Todes zu erreichen, mit Mühe durch das Gedränge zu gelangen suchte, daß an die 20000 Sänger zusammengekommen seien. ›Ja!‹ sagte ich mir: – ›Der Sänger ist eben dahin!‹ – In Dresden zu verweilen, Bekannte aufzusuchen, war ihm unmöglich: er ging sofort (immer in Bülows Begleitung) fast blind, nach dem Prager Bahnhof, von wo augenblicklich der Zug nach Prag absauste. So gelangte er unverzüglich nach München zurück.4 ›Ich bin noch ganz betäubt – moralism – die physische Ermüdung hat mich noch nicht ins Gleichgewicht gebracht‹, schreibt Bülow am 25., nach soeben erfolgter Rückkehr. Die Empfindungen Wagners bei diesem Verluste entziehen sich jeder Beschreibung – –

Ein Stimmungsbild aus diesen Tagen gewähren uns die Erinnerungen Schürés, der sich unter dem überwältigenden Eindrucke der ›Tristan‹-Aufführungen dem Meister brieflich genähert hatte und von ihm trotz seiner [109] Jugend mit Auszeichnung aufgenommen war. ›Ich kannte Schnorr persönlich nicht und hatte ihn nur auf der Bühne gesehen; aber sein urplötzliches Verschwinden verursachte in mir eine unbesiegbare Traurigkeit Unter der Wucht dieses Schlages fühlte man so recht die grausame Hand des Geschickes, welche mit Vorliebe die edeln Seelen und herrlichen Herzen trifft. Ich dachte nicht mehr daran, Wagner wiederzusehen Wenige Tage nachher empfing ich jedoch von ihm eine Einladung zur Mittagsmahlzeit. In dem kleinen Salon der Briennerstraße fand ich v. Bülow und Porges, einen ausgezeichneten Musiker und einen der damals seltenen deutschen Kunstkritiker, die sich offen für Wagner erklärt hatten. Der Meister stand aufrecht neben dem Piano, gegenüber dem Fenster, die Züge streng, das Gesicht finster, wie dasjenige des von den Wogen hin und her geworfenen Seemannes. Gleichwohl unterhielt er sich in gedämpfter Stimme mit der gewöhnlichen Klarheit und Lebhaftigkeit. Bei jedem Worte brachte sein unausgesetzt arbeitender Geist die Gedanken wie in einem Sprühfeuer vor. Unaufhörlich strich sein Denken, die Schranken von Zeit und Raum überspringend, von der Musik zur Dichtkunst, von Shakespeare zu Calderon, von einer Jugenderinnerung zu der Federzeichnung einer geschichtlichen Persönlichkeit, – dies alles in schnellen, lebendigen Worten, die er unversehens wie Pfeile schleuderte und welche die zu bezeichnende Sache scharf trafen. So sprach er von der »deutschen Harmlosigkeit«, die wie er meinte, dem gegenwärtigen Geschlecht ganz abhanden gekommen sei. Um diesen Gedanken näher auszuführen, öffnete er halb den Deckel des Pianos, spielte mit der Rechten eine Kadenz von Haydn und sagte: »Das ist die wahre deutsche Harmlosigkeit! Ach, dieser gute Haydn, auch er war eine frohe Seele! er war – wie soll ich es gleich sagen? – er war einer von den Unsrigen!« – Weder vor, noch während der Mahlzeit wagte jemand ein Wort von dem Tode Schnorrs verlauten zu lassen; Wagner selbst sprach den Namen nicht aus. Trotz der Lebhaftigkeit seiner Gesichtszüge merkte man, daß er tief bewegt sei Gleichwohl ging das Essen in heiterer Stimmung vorüber, belebt von Wagners eigenartigem Humor Im brauchte ihn auf Frankreich: er sprach mit Bewunderung von Berlioz. »In einem einzigen Satze von ihm«, sagte er, »ist mehr geistige Schöpferkraft, als in allen Opern Meyerbeers zusammengenommen.« Dann machte er einige Witze über den Doktor Lapommeraie, der kürzlich in Paris guillotiniert worden war, weil er seine Geliebte vergiftet. Dieser Mann war ein großer Bewunderer Wagners gewesen. »Ich habe mit meinen Freunden ganz entschieden kein Glück«, sagte der Meister, »alle endigen schlecht. Baudelaire ist tot; er hat einen schönen Band Gedichte und eine schöne Abhandlung über mich geschrieben Er gehörte anderswohin; ich bedaure ihn. Lapommeraie war ein sehr gebildeter Mensch, und ich habe ihn immer meinen Freund Lapommeraie genannt.« Beim Nachtisch brachte ein Kurier einen Brief des Königs von Bayern und [110] Wagner verließ uns, um ihn zu lesen. Wenige Augenblicke später fanden wir uns in dem Halbdunkel seines Arbeitszimmers wieder zusammen; strahlenden Auges schwang er den Brief in seiner Rechten. »Das ist ein König!« rief er, »mit diesem Menschen könnte man die ganze Welt umkehren!« Und er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, als könnte er sein Festspielhaus aus ihm herausstampfen. Man machte einen Gang durch den Garten, und da ich mich bald mit ihm allein befand, wagte ich es, ihm meine Teilnahme wegen Schnorrs Tod zum Ausdruck zu bringen. »Sprechen Sie mir nicht davon!« sagte er, »das ist eine furchtbar dämonische Geschichte« (»une histoire terrible et fatidique«). Er konnte nicht davon reden, sein Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an; es spiegelte die Empfindungen wieder, welche ihn unter einem ehernen Stillschweigen durchwogten. Der Nachmittag endete mit einer Spazierfahrt im englischen Garten, wohin uns unser Gastfreund im Wagen führte Er war wieder ernst und nachdenklich geworden und sprach von den nächsten Proben zum »Rheingold« (?): aber man sah an seinem Gesichtsausdruck, daß er an das Unternehmen mit einer Art Widerwillen trat Seine entfernten Anspielungen an das traurige Ereignis zeigten, wie verhängnisvoll es ihm für sein Unternehmen zu sein schien. Der Wagen hielt an einem köstlichen Punkte im Park. wir stiegen aus und machten einige Schritte einem Wasserlaufe entlang, der dort quer durch die Wiese dicht am Rande der grünen Ufer dahinplätschert und sich in einem grün und silbern schimmernden Buchendickicht verliert Sichtlich bezaubert, ließ sich der Meister auf eine Bank nieder, den Blick auf die leicht gekräuselte Wasserfläche gerichtet. Dann ließ er seinen innersten Gedanken freien Lauf und sagte: »Das Schicksal kann mich nicht unterkriegen, aber es vergreift sich an meinen Getreuen. Sobald sich ein Mann, ein wirklicher Mann, der für sich allein eine unberechenbare Kraft darstellt, mir rückhaltlos hingibt, so bin ich sicher, daß es sich seiner bemächtigt.« Sein Auge haftete noch immer an dem Wasserspiegel unter dem aufschauernden Zitterlaub. Zog an ihm in dem sonnigen Walde das Bild des stolzen Jünglings vorüber, der ihm die Blume seiner Seele und das Blut seines Herzens geweiht hatte und dessen letzte schwermütige Worte gewesen waren: »Ich werde den Siegfried nicht singen?« Jäh erhob er sich und schritt mit großen Schritten von dannen. »Gehen wir!« sagte er. »Wenn man mit dem Schicksal Krieg führt, darf man nicht rückwärts blicken, sondern vorwärts!« Wir bestiegen unsere Wagen; als wir in die Stadt zu rückgekehrt waren, nahm ich von ihm Abschied.‹5

›Nicht rückwärts, sondern vorwärts!‹ Das ist die Losung des Reformators und zugleich das Mittel, um sich bei unausgesetzter Tätigkeit im [111] Leben zu erhalten. ›Zu untätiger Trauer haben wir keine Muße‹, lesen wir, ganz im Sinne Wagners, in Bülows gleichzeitigen Briefen,6 und wiederum, unterm 31. Juli, in unmittelbarer Anknüpfung an den Bericht über den ungeheuren Verlust: ›Trotzdem ist das Befinden Wagners nicht so schlecht. er ist energisch damit beschäftigt, unser Projekt für die Musikschule, oder vielmehr. Kunstschule. in die Praxis umzusetzen. Die Künstler, deren der Meister bedarf, existieren noch nicht; der Letzte, der Einzige hat uns verlassen – es muß also der Versuch gemacht werden, solche heranzubilden und die baldige Errichtung der Schule ist von drängender Wichtigkeit.‹ Um diese Zeit war der Klindworthsche Klavierauszug der ›Walküre‹ im Drucke vollendet, er hatte demselben das Gedicht ›Dem königlichen Freunde‹ (S. 11, Anm.) als Widmungsblatt vordrucken lassen. Die fertigen Exemplare trafen gegen Ende Juli ein; eins davon entsandte er an Wesendonck mit der Bitte, ihm dagegen die seiner Zeit verpfändete handschriftliche Originalpartitur des Rheingoldes freundlich und mild für seinen königlichen Schutzherrn abzutreten. Nur durch den König könnten die Nibelungen der Nation als Festgeschenk vorgeführt werden; somit ersuche er ihn herzlich, ›dem Vollender und Aufführer des Nibelungenwerkes auch den einzigen Besitz dessen zu gönnen, was daran sein (Wagners) Werk sei‹ Im Wesendonckschen Besitze verbleibe dennoch für immer, ›was mehr wert sei als die zurückerbetene Reinschrift‹ (gemeint sind die Skizzen der Musik zum ›Rheingold‹, zur ›Walküre‹ und zum ›Siegfried‹, soweit dieser bis zur Unterbrechung im Sommer 1857 gediehen war). In diese Tage – Ende Juli und Anfang August – fällt auch eine kurze Anwesenheit Prägers aus London; in seiner ganzen oberflächlich geschwätzigen Art konnte derselbe wohl kaum je ungelegener kom men, als in diesem Zeitraum des höchsten, durch Tätigkeit und wiederum Tätigkeit einzig gemilderten Lebensernstes. Im Hinblick auf die Belästigungen eines solchen Besuches und seine Anspruche an die Geduld des leidenden Meisters muß uns abermals, wie so oft, jener bereits angeführte Satz Nietzsches zu Sinne kommen, worin dieser die mannigfachen älteren Bekannten, mit denen Wagner immer wieder zu verkehren hatte und denen er so viel heiter überlegene Güte zu bezeigen vermochte, als gleichsam verkörperte – auf ihrem ursprünglichen Standpunkt stecken gebliebene und versteinerte – ›begrenzte Abschnitte aus seinem eigenen grenzenlosen Laufe‹ bezeichnet Trotzdem entnehmen wir eben jenem Briefe Bülows vom 31. Juli, welcher der Anwesenheit Prägers gedenkt,7 zugleich auch die treffende Charakteristik des Mannes, als eines ›ergebenen Freundes‹, den Wagner – bei aller sonstigen Wertschätzung! – ›lieber per distance und in Intervallen‹ genieße, als in dauernder Gegenwart. Er gab ihm zu seiner Unterhaltung ein Konvolut eben eingelaufener[112]Bittschriften zudurchlesen, deren sich dieser noch nach langen Jahren erinnert. ›Von der Verschiedenheit der Ansprüche, die darin an ihn gestellt waren, kann sich‹ – so sagt er – ›nur der einen Begriff machen, der sich, wie ich, durch ein Packet davon durchgearbeitet.‹

Am 8. August begaben sich Bülows auf vier Wochen nach Pesth, wo Liszt gelegentlich eines großen Musikfestes seine ›heilige Elisabeth‹ unter eigener Leitung vorzuführen gedachte. Die völlige Verlassenheit, in welcher der Meister somit zurückblieb, konnte er nicht ertragen, wenigstens nicht in der gewohnten Umgebung, die ihn die trostlose Ode um so schmerzlicher empfinden ließ. Er entschloß sich dazu, einer Aufforderung des Königs Folge zu leisten, welche dieser wiederholt an ihn gerichtet: sich für seine Erholung nach Belieben eines jener wundervollen Zufluchtsorte in den hohen Bergen zu bedienen, in welche er selbst so gern von seinen Regierungsgeschäften sich flüchtete, und für vierzehn Tage in einer der ›Königshütten‹ in der Umgebung des Walchensees Wohnung zu nehmen. Der schöne düstere Walchensee ist jedem Besucher der bayerischen Alpen als einer der herrlichsten Seen dieses Gebirgslandes bekannt. Von schwarzblauer Farbe sind seine stillen Fluten, dunkel die Wasserfläche, dunkel die Ufer, weil dichte Tannenwaldungen von den Abhängen der umgebenden Höhen bis zum Seespiegel herabreichen. ›Ernst schaut der Herzogenstand nach dem See hinunter, ernst die Berge des Isartales und der Jachenau; überall herrscht die Ruhe einer unentweihten Gebirgsnatur, in welche kein Laut von dem betäubenden, nervenzerstörenden Treiben der Städte empordringt. Die Geister der Berge, die Elfen des Waldes, die Nixen des Sees sind die einzigen Genossen einer tiefen Stille, in der eine leidende Seele Genesung und Heilung finden kann.‹8 Dem Könige war von seinem Leibarzte verordnet, auf hohen Bergen zu weilen Sein Vater hatte auf verschiedenen Höhen des Gebirges zu gelegentlicher Unterkunft Jagdhäuschen errichten lassen. Der Sohn ließ sie vermehren, aber nicht um sie zur Rast von den Freuden der Jagd zu benutzen, die er verabscheute, sondern um sie zeitweilig zu bewohnen Das kleine flache Haus auf dem Herzogenstande, der sich vom Ufer des Walchensees 7000, Fuß hoch erhebt, liegt mitten im dichten Tannenwalde; es enthält nur ein Erdgeschoß und ist außen ganz mit Schindeln bedeckt; daneben ein einfaches Wirtschaftsgebäude für die nötigsten Bedürfnisse seines königlichen Bewohners. Auf dem äußersten Gipfel des Hochkopfs, von dem Dorfe Altlach am Seeufer auf bequemem königlichen Fußweg 2 in etwa anderthalb Stunden gemächlich zu ersteigen, findet sich ein gleiches schmuckloses Haus, wo der König zu übernachten, auch wohl etliche Tage zu weilen pflegte. An drei verschiedenen Seiten der dicht [113] bewaldeten Höhe kleine Aussichtspavillons mit wunderschönen Blicken, besonders über das still einsame Isartal aufs Karwendelgebirge, und nach Tirol zu aufs große Wettersteingebirge.9 Hier – auf dem Hochkopf – verbrachte der Meister vom 9. August Abends, einzig von seinem treuen Franz bedient, eine Reihe heilig schöner Tage des Sinnens und Schaffens. Er selbst bezeichnet die Umgebung als über alle Begriffe schön, als ›sein erreichtes Ideal von Wald- und Bergeinsamkeit‹. Von Spaziergängen Abends heimkehrend, sah er zwischen den dunklen Silhouetten erhabener Tannenwipfel den Jupiter hell sich entgegenstrahlen; als Lektüre diente ihm das ›Ramajana‹, aus welchem ihm ein neues herrliches Drama in der Seele emporstieg, ›anders wie alle andern‹. ›Das ist ein Kunstwerk zum Erstaunen‹, sagt er über das edle Gedicht; ›ich bin im zweiten Band: Alles lebt, tönt und bewegt sich um mich.‹ Unter solchen Eindrücken wurde in den Morgenstunden die Partitur des zweiten ›Siegfried‹-Aktes gefördert. In den Frühnebeln des 21. August nahm er Abschied von dieser wundervollen Abgeschiedenheit auf ragender Bergwaldhöhe, um nach München zurückzukehren.

So zeitig und so plötzlich hatte er seinen erfrischenden Aufenthalt in den Bergen abgebrochen, weil er sich gebunden fühlte, einer bereits angekündigten Einladung zum bevorstehenden 25. August nach Hohenschwangau zu entsprechen. Statt dessen erreichte ihn gleich nach seiner Rückkehr ein – noch nach dem Hochkopf adressiertes – Schreiben des königlichen Freundes mit der Nachricht: dessen Oheim, der König von Preußen, habe sich, wie schon das Jahr zuvor, zum Besuch bei ihm angemeldet, und sei eben um den genannten Zeitpunkt zu erwarten. ›Wie bin ich traurig, Sie zu meinem Geburtstag nicht sehen zu können! nun ist mir der ganze Tag verdorben!‹ In der Tat fiel der diesjährige zweitägige Besuch König Wilhelms genau auf den 25. August, den er mit dem Könige gemeinschaftlich in Hohenschwangau verbrachte, während sein Begleiter, Graf Bismarck, in München zurückblieb, um dort mit den Herren v. der Pfordten und Lutz zu verkehren Wagner seinerseits war darauf bedacht gewesen, den festlichen Tag durch die Überreichung einer unschätzbaren Gabe zu verherrlichen: der Originalpartitur des ›Rheingoldes‹ in seiner eigenen Handschrift, die er sich zu eben diesem Zweck von Wesendonck zurückerbeten. [114] Er durfte mit dieser bedeutungsvollen Gabe die unausgesprochene Hoffnung verknüpfen: dem königlichen Schirmherrn seiner Kunst in jedem der nächstfolgenden Jahre eine weitere Partitur seines großen vierteiligen Werkes zu überreichen, und nach Vollendung desselben – spätestens i. J. 1868 – in dem mittlerweile durch Semper errichteten Monumentalbau an die große Aufgabe seiner szenischen Verwirklichung zu schreiten! –

Da Bülows um diese Zeit noch nicht von ihrer Reise zurück waren, sondern Liszt sie noch in Pesth für sich in Anspruch nahm,10 war der Meister noch eine lange Zeit hindurch völlig allein und ganz auf sich selbst angewiesen, – ein Zustand, den er immer schwerer ertrug und der ihm die größten Entbehrungen auferlegte. ›Ich war einsam in den hohen Bergen‹, heißt es in einem Brief an Frau Wille, ›und jetzt bin ich einsam hier. Ich kann niemand mehr sprechen, und gelte immer für verreist. Gänzliches Abschließen gegen die Welt und eifrigste Produktivität, der ich mich ausschließlich zuwende, können mich einzig von den tiefen Wunden heilen, an denen ich sieche. Die wundervolle Liebe des Königs hält mich am Leben: er sorgt für mich, wie noch nie ein Mensch für den andern sorgte.11 Ich lebe in ihm auf, und will ihm meine Werke noch schaffen. Für mich lebe ich wirklich eigentlich nicht mehr. Doch hält er eben mir alles fern, was mich an das Leben und die Wirklichkeit erinnert: ich kann nur noch träumen und schaffen. So geht es und wird es gehen; meine Arbeitslust verschlingt mein ganzes Gedenken... Es ist alles wundervoll, traumhaft, sonst wäre alles tödlich schmerzhaft.‹ – Wunderbar berührte es ihn, daß der König gerade um diese Zeit sehnlich von ›Parzival‹ zu hören verlangte. Wie ein Fieber überkam ihn der Drang, sich durch den Zauber der schaffenden Einbildungskraft über sein Alleinsein hinwegzutäuschen. In wenig Tagen war ein ausführlicher, zehn bis zwölf eng geschriebene Quartseiten langer Entwurf der ›Parzi val‹-Dichtung in sein Skizzenbuch aufgezeichnet, voll tiefster mystischer Beziehungen und in dem Reichtum seiner Details der später ausgeführten Dichtung bereits völlig ebenbürtig. An seinem, vom 27. August datierten Schlusse steht der, seine Seelenstimmung wiederspiegelnde Ausruf: ›So, das war Hilfe in der Not!‹ Dem hochherzigen königlichen Freunde aber, der im engsten Kreise ja längst den Namen seines ›aus Mitleid wissenden‹ Helden führte (S. 94), konnte er bei [115] Übersendung der ausgeführten ersten Skizze die denkwürdig verheißungsvollen Worte hinzufügen: ›Die Zeit ist da, die größten, vollendetsten Werke werden nun erst geschaffen.‹ Der König empfing die Sendung in Hohenschwangau, überbürdet und betäubt durch staatsrechtliche Studien und politische Geschäfte, den Verkehr mit seinen Ministern; abgespannt durch lästige Besuche und den Zwang, fast den ganzen Tag in lahmer geistloser Umgebung verbringen zu müssen. ›Erst am 11. und 13. September, nachdem er sich wieder auf wenige Tage in, ein stilles trautes Gebirgstal‹ begeben, spricht er ihm in zwei schönen schwärmerischen Briefen seinen Dank aus. ›Ich komme soeben von einem Spaziergang zurück in meine einsame Wohnung; so herrlich umragen mich die Gipfel der Berge, so anheimelnd umstehen mich die dunklen, richten und Tannen. Siegfriedsluft umwehte mich; die Sonne sank herab, es war der Tag vollbracht, ein glühend roter Saum leuchtete auf den Bergen – das Bild meines Einzigen umschwebte mich, trat mir immer näher vor das geistige Auge; sogar im Rauschen des Gebirgsbaches erkannte und hörte ich die Töne und Melodien aus den Werken des heiligen Freundes – stets mußte ich an »Parzival« denken... Ich glühe nach diesem Werke; Tristan ward ja geboren, die Nibelungen werden ins Leben treten; »Parziva« muß es, muß es auch und kostete es mein Leben!‹

Gegen die Mitte September kehrte Bülow, etwas kränkelnd, mit seiner Gattin von seinem anstrengenden Pesther Ausflug zurück; um die gleiche Zeit war aber auch, von Zürich aus, Gottfried Semper in München eingetroffen, um die letzten entscheidenden Besprechungen wegen der Errichtung des Nibelungentheaters abzuhalten und den Platz dafür zu vereinbaren. Mitten durch das vernachlässigte Stadtviertel der Residenz, durch das Lehel, sollte eine glänzende Straße geführt werden, eine Brücke über die Isar diese Straße mit den Gasteiganlagen verbinden und das Festspielhaus ihren monumentalen Abschluß bilden. So hatte einst König Ludwig I. die Ludwigsstraße mit ihrer herrlichen Kirche und den stolzen Prachtgebäuden geschaffen und sie mit dem monumentalen Siegestor abgeschlossen; so hatte sein Sohn, König Maximilian II, die Maximilianstraße errichtet und ihren Abschluß mit dem stolzen Prachtgebäude des Maximilianeums auf der Höhe der Isar gekrönt, deren Sandwände durch ihn in einen herrlichen Park mit entzückenden Fernsichten verwandelt waren. So stand nun König Ludwig II. im Begriff dem hochherzigen Beispiel seiner ruhmvollen Ahnen zu folgen und nicht nur den prangenden Festbau auf ragender Höhe zu errichten, sondern auch seiner Residenzstadt durch den berufensten Architekten eine großartige Straßenanlage zu stiften, welche die Maximilianstraße noch in den Schatten gestellt haben würde. Jene älteren Anlagen und Bauten hatten die Zivilliste nicht erdrückt, auch dieser Plan würde sie nicht überlastet, wohl aber München im wahren Sinne zum Mittelpunkte deutscher Kunst erhoben und der Stadt zugleich für fernste Zeiten [116] eine reich sprudelnde Quelle des allgemeinen Wohlstandes eröffnet haben. Mit der regsten Teilnahme verfolgt der König aus der Ferne jeden Schritt zur Erreichung des großen Zieles. ›Semper wird jetzt in München sein, der Platz wird bestimmt, die Erfüllung winkt,‹ schreibt er in dem bereits zitierten Briefe vom 13. September aus seiner ›wonnigen Einsamkeit‹ Und drei Tage später: ›Wie hat mich Ihr Brief begeistert! Ich sehe die Straße gebaut vom Prachtbau der Zukunft... Im Jahre 1867 erhebe sich der provisorische Bau.‹ Er entbietet Bülow und Semper seine herzlichen Grüße, und läßt speziell den letzteren versichern, wie sehr er sich im voraus auf das angekündigte plastische Modell des Theaters freue. Gewisse Erwägungen des Meisters beantwortet er mit dem Versprechen: ›mein teurer Freund, ich will fortan sparsam sein, will unnütze Unternehmungen fahren lassen, wie die Illustration Ihrer Werke durch Pilotys Schüler‹ usw. Dagegen erwidert er die Vorschläge und Anträge Wagners, ihm für manche Enthaltung dieser Art selbst das mutige Beispiel zugeben, mit der rührenden Beschwörung: ›Ziehen Sie sich nicht in Armut zurück, fassen Sie nicht diesen Entschluß, ersparen Sie mir diesen unsäglichen Schmerz...‹

Neben der Arbeit am ›Siegfried‹ nahmen den Meister damals hauptsächlich die beiden Projekte der zu errichtenden deutschen Musikschule und der Begründung eines Organes zur Förderung seiner künstlerischen und nationalen Ideen in Anspruch. Während Bülow im königl. Auftrage damit beschäftigt war, den Etat der ersteren annähernd zu entwerfen und eine Übersicht derjenigen Instrumentalkünstler und -lehrer anzufertigen, die von auswärts zu beziehen wären, da sie in der Hofkapelle für Wagners Anforderungen nicht genügend vertreten waren, finden wir in einer, für den König bestimmten Notiz des Meisters vom 14. September bereits genauere Angaben über die Redaktion des neuen Journals. ›Ein sehr intelligenter, mir ergebener Bayer, Dr. Grandauer (S. 84) sollte die Hauptredaktion bekommen; als Nebenredakteur hatte ich ihm einen jungen Österreicher: Heinrich Porges bestimmt, von dem ich mir viel erwarte, dessen allgemeine Bildung und feurige Ergebenheit mir schon anerkennenswerte Dienste geleistet hat. Diesen habe ich bereits hierhergezogen, da er auch bei der Schule vortrefflich beschäftigt werden könnte. Ihm gegenüber befinde ich mich, beiläufig gesagt, durch die dem Baron Perfall12 verdankte Verschleppung der ganzen Angelegenheit, in einiger Pein‹ Und während er so die ersten Schritte tat, um zunächst das Organ ins Leben zu rufen, durch welches er auf seine mißleiteten Zeit- und Landesgenossen im Sinne einer höchsten deutschen Kultur einzuwirken gedachte, gestaltete sich schon in seinem rastlos tätigen Geiste im voraus der erste große Beitrag dazu: jener [117] wundervoll gedankenreiche Aufsatz unter der Aufschrift: ›Was ist deutsch?‹, eine wahre Schatzkammer tiefer und origineller Einsichten in das Wesen und geschichtliche Werden des deutschen Geistes, welcher tatsächlich über ein volles Jahrzehnt später zuerst an das Licht der Öffentlichkeit getreten ist.13 In seiner damaligen, weit ausführlicheren Fassung14 leitete dieser Aufsatz auf das Projekt hin, die darin ausgesprochenen Tendenzen von einer zu gründenden politischen Zeitung vertreten zu sehen. Wir sind nun in der Lage, seine Entstehung auf Grund gegebener Anhaltspunkte genau in diesen Zeitpunkt zu verlegen. Am 22. September brachte nämlich die Augsburger ›Allgemeine Zeitung‹ in ihrer wissenschaftlichen Beilage eine Besprechung des soeben erschienenen C. H. Bitterschen Buches über ›Joh. Sebastian Bach‹. An diese Besprechung knüpft aber bekanntlich ein wichtiger Hauptteil jener Abhandlung ganz direkt an, ja es wird sogar eigens ein Passus aus derselben zitiert15 und dadurch der Nachwelt übermittelt. Und bereits vom 24. September datiert ist ein Blatt aus dem, für den König geführten, Tagebuch Wagners, welches wörtlich als das ursprüngliche Konzept zu jenem Aufsatze sich darstellt. Von unberufener Hand vor einer Reihe von Jahren (1899) publiziert, ging damals diese ›Tagebuch-Notiz‹ als etwas völlig Neues durch alle politischen und musikalischen Zeitungen, ohne daß es irgend einer dieser ehrenwerten Redaktionen aufgefallen wäre, daß es sich dabei um einen, seit zwanzig Jahren in Wagners Schriften gedruckten und öffentlich vorliegenden Passus handele, – beiläufig ein Fall, der, bei der so ganz enorm weit verbreiteten Unkenntnis der Schriften des Meisters in den Kreisen deutscher ›Bildung‹, nicht ganz vereinzelt dasteht!

Am 2. Oktober war der König auf wenige Tage in München, wo er viel mit seinen Ministern zu besprechen hatte, und auch der langentbehrten Freude eines Zusammenseins mit Wagner genoß. ›Wie wogte es in meiner Brust, als wir uns neulich wiedersahen‹, schreibt er wenige Tage später. ›Mein Teurer wird mich schweigsam und still gefunden haben, ach mein Inneres war so bewegt!‹ An diesen kurzen Aufenthalt knüpfen sich Vorgänge, – allzu charakteristisch für das Verfahren von Wagners Gegnern im Kgl. Kabinet. So völlig allein stand damals der König in seiner Umgebung mit dem liebevoll intuitiven Verständnis seines Wesens und Wirkens, daß nicht einmal die Werkzeuge zur Ausführung seines Willens in seinem Sinne [118] handelten.16 Wie bereits früher hervorgehoben, war die drückende Last der aus den fünf schweren Notjahren des Meisters aufgesammelten, durch schnöden Wucher lawinenartig vermehrten Schulden, seitens der Kabinetskasse bisher noch keineswegs getilgt, sondern nur aus den Privateinkünften des Königs eine Art Fonds begründet worden, aus welchem im Laufe eines Jahres diese Tilgung erfolgen, und hiermit der König selbst sein Gläubiger werden sollte. Und in der Tat handelte es sich dabei buchstäblichst um ein großmütiges Darlehen auf Rückzahlung mit unbestimmtem Termin, dessen gesamter Betrag späterhin, sobald erst dem Künstler durch königliche Gnade die ihm nötige Ruhe zum Schaffen neuer Werke und zur Vollendung der begonnenen ermöglicht und damit zugleich auch Erträge aus denselben vergönnt waren, in genauester Abrechnung bei Heller und Pfennig an die Kgl. Kabinetskasse wieder entrichtet worden ist! Auf die Art und Weise aber, in welcher dieses Darlehen für jetzt ihm übermittelt wurde, kam alles an. Die dem Meister ein für allemal zugedachte Wohltat, mit welcher die an ihm begangenen Sünden der ganzen elenden Kunstzustände Europas, der von Paris bis Wien reichenden Korruption aller beteiligten Faktoren, mit einem Schlage nachträglich gesühnt werden sollte, – sie durfte, der Natur der Sache nach, da doch niemand einen Begriff von der hier zugrunde liegenden tief ernsten Tragik der Verhältnisse hatte, nur in höchster Zartheit und Diskretion ausgeübt werden. So hatte es sich der König gedacht, anders die Vollstrecker seines Willens. Eigens um Aufsehen zu erregen und die öffentliche Meinung aufzureizen, wurden am 20. Oktober die vierzigtausend Gulden, um deren Auszahlung es sich handelte, in lauter Silbermünze, in Geldsäcken, an ihre Adresse befördert!17 Der königliche Spender wollte mit seiner Tat eine heilende, versöhnende, ausgleichende Wirkung erzielen; seine Angestellten aber, wenn schon wider Willen zur Ausführung seines Befehls gezwungen, dieser Ausführung doch eine möglichst unbequeme, kränkende Form geben und, in bewußter Perfidie, den Pöbel gegen ihn erbittern. So und nicht anders hat Richard Wagner diese seltsamste aller Auszahlungen, die man jetzt gern zur ›Legende‹ abstempeln möchte, beurteilt und zeitlebens in Erinnerung behalten. Das ganze Verhältnis des Münchener Philisters zu ihm lag darin ausgedrückt; die weitere Entwickelung der Dinge kündigte sich damit an.

[119] Die geheime unterminierende Tätigkeit seiner Gegner im Königl. Kabinet dauerte ununterbrochen fort, und da die Schritte Wagners für jeden seiner Pläne offen unter ihren Augen geschahen, zum Teil durch ihre eigenen Hände vermittelt wurden, so fielen ihnen die abwiegelnden Gegenmaßregeln nicht schwer. Unter Umständen, wenn sie nämlich auf schriftlichem Wege getroffen wurden, konnte das betreffende Dokument dann leicht wiederum in Wagners Hände fallen! Einem Beispiel dafür werden wir sogleich begegnen. Der Grund, weshalb der mehrgenannte Münchener Literat, den der Meister ein halbes Jahr hindurch für die Funktion eines Chefredakteurs an dem neu zu begründenden Organ im Sinne gehabt, schließlich doch zurücktrat, kann nicht zweifelhaft sein: er besaß nicht den moralischen Mut, einer feindlichen Clique gegenüber überzeugungstreu auszudauern. Dagegen hatte nun Wagner – noch während seines letzten Wiener Aufenthaltes – die Bekanntschaft eines journalistisch vorzüglich befähigten Mannes gemacht (oder erneuert), als er, im Hause Friedrich Uhls, dessen Mitredakteur Julius Fröbel begegnete.18 Als einflußreicher Mitarbeiter an dem von Uhl herausgegebenen, Botschafter, stand dieser Mann zu den Münchener politischen Kreisen in mancherlei regelmäßigen Beziehungen und war bereits seit dem Regierungsantritte Ludwigs H. bestrebt, in dessen Nähe zu gelangen. Seinen politischen Ansichten nach durfte er in einer so schwierigen Übergangsperiode, wie die sechziger Jahre, für die Leitung des geplanten Organes allerdings besonders berufen erscheinen. Die Entscheidung Wagners für ihn machte sich daher verhältnismäßig schnell; Unterredungen mit Friedrich Uhl während der ›Tristan‹-Zeit des verflossenen Sommers mochten sie vorbereitet haben. Für eine erste Anknüpfung bediente er sich dabei zunächst der Vermittelung Pechts, als eines beiden Teilen Befreundeten. ›Von München aus‹, so erzählt Fröbel, ›gelangte an mich ein Brief meines Freundes Pecht, in welchem ich gefragt wurde, ob ich die Leitung einer großen Zeitung übernehmen wollte, welche der König von Bayern persönlich ins Leben zu rufen beabsichtige: Richard Wagner, von welchem die Idee ausgegangen, habe mich dem Könige dazu vorgeschlagen.‹ Den Zeitpunkt zur Begründung eines solchen Blattes, an Stelle der offiziellen ›Bayerischen Zeitung‹, bezeichnet Pecht in seinen Memoiren als einen hervorragend günstigen, damit auch in dieser Hinsicht den praktisch sicheren klaren Blick des Meisters bestätigend.19 Braters ›Süddeutsche Zeitung‹ war längst eingegangen und die bayerische Hauptstadt demnach, bis auf ihre ultramontanen Hetzblätter, ohne irgend ein nennenswertes Organ; da die später zu so großer Verbreitung gelangten ›Neuesten Nachrichten‹ in Form und Inhalt noch nicht über die bescheidensten Anforderungen hinausgingen. So allgemein, wie die Frage an Fröbel gerichtet war, so allgemein wurde sie zunächst von [120] diesem beantwortet; doch unterließ er nicht hinzuzufügen, daß ›nur eine ähnliche Stellung ihn davon abhalten könne, mit seiner Familie nach Amerika zurückzukehren‹. Hierauf übersandte ihm Wagner, zugleich mit einer Anmeldung seines persönlichen Besuches in Wien, die Abschrift zweier Memoiren, welche er über die Sache und die daran sich knüpfenden Ziele verfaßt und dem Könige überreicht hatte; in dem einen war Fröbel als der einzige zur Ausführung befähigte Mann bezeichnet.

Dieser Besuch des Meisters in Wien fällt in die Tage vom 21. bis 28. Oktober und galt in erster Reihe einem geschickten Wiener Zahnarzt, in dessen Behandlung er sich begeben hatte.20 Doch führte er dabei auch den angekündigten Besuch bei Fröbel aus, in dessen Häuslichkeit seine Gattin, eine geborene Gräfin Armansperg, mit der er sich in Amerika vermählt, dem illustren Gaste die Honneurs machte. Mit welcher Beflissenheit die Intriguen seiner Gegner im Kgl. Kabinet und Ministerium einen jeden seiner Schritte durch ihre Präventivmaßregeln zu durchkreuzen suchten, sollte Wagner gerade bei dieser Gelegenheit erfahren. Noch einige Tage vor dem Eintreffen der beiden genannten Memoiren war nämlich durch das Sprachrohr des Kgl. Kabinetssekretärs, einen gewissen Philipp Pfister,21 bereits unterm 4. Oktober eine briefliche Warnung an Fröbel gelangt: in keinem Falle sich auf irgend welche Vorschläge Wagners einzulassen. ›Wenn Sie Wien verlassen und nach München übersiedeln wollen,‹ hieß es in diesem Schreiben, ›so würde ich das mit Freuden begrüßen. Hierzu, glaube ich aber, würden Sie sich nie der Verwendung Richard Wagners bedienen, dessen Bleiben in München trotz alledem und alledem nur ein ephemeres sein und der mit seinem Sturze alle seine Kreaturen (!) hinabziehen wird. Ich glaube, ein vertrauliches Wort an den Minister von der Pfordten und an Staatsrat von Pfistermeister wird Ihnen für einen solchen Fall förderlicher sein.‹ Diesen wunderlichen Uriasbrief, durch welchen ein, der Person des Königs [121] zunächststehender Hofbeamter, der Ausführung königlicher Beschlüsse direkt entgegenarbeitete, – zeigte, Fröbel dem Meister, ohne ihm den Namen des Verfassers zu nennen. Es bedurfte dessen nicht, Wagner erriet ihn ohne weiteres, da er den Mann zur Genüge kannte. Lachend wies ihm darauf Fröbel noch einen zweiten, später eingelaufenen Brief aus derselben Feder, der in einer eingestreuten Bemerkung eine plumpe Falle in bezug auf die politische Gesinnnung des Adressaten enthielt. Dieselbe handelte nämlich in dem Tone bewundernder Zustimmung von den Erfolgen Bismarcks und der, daraus erwachsenden, Hoffnung auf eine künftige deutsche Machtstellung, – wogegen sonst nichts einzuwenden gewesen wäre, hätte sie nicht von einem Manne hergerührt, der bis dahin auch in den vertraulichsten Mitteilungen keine Spur eines ähnlichen Gedankenganges durchblicken ließ. Offenbar sollte dadurch Fröbel eine kompromittierende Gegenäußerung entlockt werden, um ihn sodann in München als heimlichen Parteigänger der preußischen Politik unmöglich zu machen. Auch diese Kampfesart seiner Gegner war dem Meister aus eigener Erfahrung hinlänglich bekannt (S. 53). Fröbel spricht mit Hervorhebung von den ›edelsten Absichten‹, welche Wagner bei seinem Plane geleitet hätten. Wie weit diese Absichten schließlich über den begrenzten Horizont des bloßen, leider allzu ausschließlichen Politikers hinausgingen, sollte erst die Folgezeit lehren; für jetzt wünschte er eine Verständigung und zeigte sich in jeder Hinsicht entgegenkommend. Mit besonderem, Feuer entwickelte er die Ansicht, es existiere zur Zeit eine ›allgemeine bureaukratische Verschwörung gegen die Unabhängigkeit der Fürsten so gut, wie gegen die der Völker.‹ Als Beweis dafür führte er an, daß er mit verschiedenen deutschen Ministern den Gedanken einer Zusammenkunft der deutschen Fürsten besprochen, alle aber dagegen eingenommen gefunden habe. ›Als Wagner Wien verließ,‹ fährt Fröbel fort, ›war von seiner Seite als sicher vorausgesetzt, daß der König mich werde einladen lassen, zu einer Unterredung nach München zu kommen. Kaum aber war er selbst dahin zurückgekehrt, als er mir einige Zeiten schrieb, welche das Folgende enthielten: »Lutz zeigt mir im Auftrag des Königs an, daß dieser nach reiflicher Überlegung aller Gründe für und wider zu dem Entschlusse gelangt sei, die Berufung Fröbels zu unterlassen.«‹ Doch erbat er sich die zeitweilige Überlassung der Pfisterschen Briefe, um sie dem Könige vorzulegen, sobald dieser von einem vierzehntägigen Ausflug in die Schweiz zurückgekehrt sei.

Am 18. Oktober nämlich, noch vor Wagners Abreise nach Wien, hatte auf Befehl des Königs im Hoftheater eine unverkürzte Aufführung von Schillers ›Tell‹ stattgefunden. Tags darauf hatte er sich nach Luzern, von da aus nach Brunnen begeben, um die klassischen Örtlichkeiten der Tellsage: das Rütli, die Tellsplatte und die Stauffacherkapelle bei Steinen zu besuchen. Im Rathaussaal zu Schwyz ließ er sich die Bilder der alten Landammänner zeigen, und ging von hier aus auch noch, zur Besichtigung der ›hohlen Gasse‹, [122] nach Küßnacht. Man erinnert sich der Vorliebe des Meisters für den Vierwaldstätter-See und die Fahrt nach Brunnen, wohin er so gern seine Gäste führte,22 des Brudertrunks aus den Grütliquellen mit Liszt und Herwegh,23 seines wiederholten Aufenthaltes auf dem Selisberg24 und seine Anhänglichkeit an diese schönen Punkte. ›Auch ich‹, schreibt ihm nun der König mit Beziehung darauf, ›machte die Fahrt nach Brunnen, wo ich die Nacht zubrachte, nach Flüelen, auch ich trank aus den 3 Quellen des Rütli und sah von der Höhe des Selisberges hinab auf den tief unten liegenden Spiegel des wonnigen Sees und auf den Platz, an welchem ein heldenmütiges, freiheitsliebendes Volk den Untergang der Tyrannei geschworen‹... Am 2. November von diesem ›herrlichen Ausfluge‹ nach Hohenschwangau zurückgekehrt, fand er daselbst Wagners Brief vor, in Anlaß dessen er ihn zu mündlichem Verkehr ›in etwa acht Tagen‹ zu sich einlud. ›Ja, wir müssen uns sprechen, ich will alle Wetterwolken verscheuchen, alle Hindernisse siegend wie ein Held darniederkämpfen. Auch die Fröbelsche Angelegenheit wollen wir genau besprechen. Eines flößte mir Bedenken ein: man versicherte mir, Fröbel wolle nur dann nach München kommen, wenn er für die Zwecke des Nationalvereins operieren könne. Dies wäre für mich als König von Bayern natürlich sehr gefährlich, ich würde meine Pflichten als Landesvater verletzen.‹ Deutlich ersah der Meister, aus welcher Richtung dieser Wind wehte, und mußte sich nun des provozierenden ›Bismarck‹-Passus in dem Briefe an, Fröbel erinnern, welchen dieser mit kluger Vorsicht unbeantwortet gelassen! Über die ihn betreffende Äußerung machte er dem letzteren aber doch eine kurze Anzeige, mit dem Zusatz: ›Sie sehen, mit wem wir es zu tun haben.‹ Die bayerische Regierung scheine im Augenblick einer entschieden partikularistischen Politik zu folgen und sich damit ›unter dem Schutze Bismarcks sicher zu fühlen!‹ – –

Sein Wiener Ausflug war für ihn nur eine kurze Unterbrechung in der Instrumentation des ›Siegfried‹ gewesen, dessen zweiter Akt (in der Komposition noch im Züricher ›Asyl‹ vollendet25) nun in der Partitur schnelle Fortschritte machte, so daß er gegen Anfang Dezember fertig vorlag. Eine wundervolle Unterbrechung erfuhr diese Arbeit um die Mitte des Monats durch einen achttägigen Aufenthalt in Hohenschwangau. Die mit einem notwendigen Ministerwechsel verbundenen Anordnungen und andere Regierungsgeschäfte hatten den König gleich nach seiner Rückkehr stark in Anspruch genommen; nach ihrer Erledigung atmete er auf, und sein erstes Anliegen an den Meister war die seit länger von ihm geplante Einladung desselben: ›wir haben keine Störung zu befürchten.‹ Telegraphisch erbat er sich dann noch, ihm Tag und Stunde seines Eintreffens wissen zu lassen, um ihm nach der nächsten Bahnstation [123] (Biesenhofen) einen Wagen entgegenschicken zu können. Am 11. November begab sich Wagner in die schöne Einsamkeit von Hohenschwangau. Es war ein unvergleichliches Zusammensein von König und Künstler, das erste ›ungestörte‹ und mehrtägig andauernde seit jenem frühesten in Starnberg bald nach der Ankunft Wagners in München, und noch nach Jahren gedenkt König Ludwig in seinen Briefen an den Meister dieser gemeinsam verbrachten Zeit Keiner von ihnen beiden konnte damals ahnen, daß es zugleich das letzte und einzige in dieser Art sein, daß ihnen der harte Zwang des Schicksales ein ähnliches nie wieder vergönnen würde.

›O lassen Sie mich Ihnen sagen, wie meine Seele jubelt, wie mich diese Tage beglücken!‹ heißt es in einem Morgengruße des Königs. In der Frühe des Morgens nach seiner Ankunft (Sonntag den 12. November) hatte Wagner dem königlichen Freunde die sinnige Überraschung bereitet, zu welcher ihm die Bauart des Schlosses mit seinen schlanken Türmen Veranlassung gab: von ihren Zinnen herab ließ er ihm gleich beim Erwachen um sieben Uhr die Morgenmusik aus dem zweiten Akte des ›Lohengrin‹ entgegentönen. Zu diesem Zwecke hatte er eigens eine kleine Abteilung von Hoboisten des ersten Infanterieregiments an Ort und Stelle kommen lassen, die von ihm auf den verschiedenen Türmen der Burg postiert waren. Wie regelmäßig eingeteilt die Tagesstunden des jungen Herrschers waren, entnehmen wir den wenigen Zeilen des Billets, in welchem dieser ihm seinen Dank dafür zuruft: ›Guten Morgen, mein innig Geliebter! Herzlichen Dank für Ihre hehren Grüße, wie gern hörte ich sie erklingen! Nach der Kirche habe ich noch zu arbeiten; wie würde ich mich freuen, den Freund nach 11 Uhr bei mir zu sehen!‹ Auf Befehl des Königs wurden dann noch fernere zwanzig Mann Musiker desselben Regimente requiriert, um größere Musikstücke auf führen zu können: es fand nun mit einem Orchester von 30 Mann wiederholt des Abende eine Produktion statt.26 An diesem täglichen Verkehr nahm, als anspruchslos liebenswürdiger Vertrauter dieses edelsten Freundschaftsbündnisses, meistens auch noch des Königs Adjutant, der junge Fürst Taxis mit teil, dessen gutartig wohlgesinnte Persönlichkeit dem Meister in ungetrübter, angenehmer Erinnerung verblieben ist Es erfreute den König aus Wagners Munde zu hören, daß er mit ›Siegfried‹ beschäftigt sei. Mit Eifer erkundigte er sich nach den Fortschritten von Sempers Arbeiten; es befriedigte ihn zu vernehmen, daß dieser ruhig und guten Mutes seiner großen Aufgabe sich widme, und auf Anregung Wagners wandte er auch Sempers größeren literarisch-theoretischen Werken (›Der Stil‹ usw.) ein lebhaftes Interesse zu Dagegen empfand er es auf das schmerzlichste, daß es sich als durchaus unmöglich erwies, eine sehnlich erwünschte Aufführung des ›Lohengrin‹ noch in diesem [124] Jahre auf seiner Hofbühne herauszubringen. ›Ach, Lohengrin im Winter, mein Geliebter, mir zu Liebe!‹ hatte er dem Meister noch Anfang Oktober geschrieben. ›Der Lohengrin war es, der die ersten Keime der Begeisterung und glühender Liebe zu Ihnen in mein Herz legte.‹ – Sollen wir den gleichzeitigen Erwähnungen in Peter Cornelius' Briefen Glauben schenken, so hätte Wagner bei diesem Hohenschwangauer Aufenthalt eine besondere Mühe gehabt, den König wegen seiner zu beschwichtigen, da man ihm, Gott weiß von welcher Seite her, beigebracht Cornelius sei ›von Wagners Same abgefallen‹. Jedenfalls waren derartige Befürchtungen dem Könige nur durch seine zärtliche, Fürsorge für die Interessen Wagners eingegeben! Statt dessen hatte sich der gute Cornelius, an dessen Wesen Wagner zu keiner Zeit mehr als eine gewisse ›Verschwommenheit‹ auszusetzen hatte,27 – im Herbst, nachdem das große Ereignis des Jahres mit seinem tragischen Nachspiel unwiderbringlich vorüber war, tatsächlich wieder in München eingefunden und so ziemlich als der Alte bewährt. Da der König in der Frühe regelmäßig arbeitete (wie wir sahen, sogar Sonntags ›nach der Kirche‹) und den Freund erst in den späteren Vormittagsstunden oder gar um die Mittagszeit sah, so pflegte er ihn meist schon vorher schriftlich zu begrüßen. Auf diese Weise ist auch seine Äußerung in der ›Fröbelschen Angelegenheit‹ in schriftlicher Fassung erhalten Fröbel hatte dem Meister die beiden ihm in Wien vorgelegten Briefe zur Verfügung gestellt und dieser sie dem Könige behufs seiner Orientierung übergeben Darauf bezieht sich der Eingang der nachstehenden Zeilen: ›Mit vielem Dank sende ich Ihnen beiliegende Briefe zurück; alle Hindernisse werden nun überwunden. Im sehe es klar, gegen uns beide vermag die Bosheit der Welt nichts. Die Fröbelsche Angelegenheit will ich mir noch genau überlegen; ich werde in derselben zur Klarheit kommen, trotz aller Schwierigkeiten. Sie sehen, Geliebter, diese sind groß; nicht leicht wird mir der Einblick in jene Verhältnisse gemacht. Freilich hätte ich besser getan, Ihres Namens in der Fröbelschen Sache nicht Erwähnung zu tun, – wer hätte aber denken können, daß jene Menschen so falsch, so hinterlistig sind!‹ Die persönliche Meinung des Monarchen in dieser Sache, wie er sie ihm im Gespräche entwickelt, gab Wagner, nach seiner Rückkehr aus Hohenschwangau, brieflich gegen Fröbel mit den Worten wieder: ›er (der König) müßte für die Ruhe Bayerns besorgt sein, wenn er in ihm einen Mann beriefe, dessen Name als identisch mit der Idee eines deutschen Parlamentes gelten müsse, und um so mehr, als von diesem Manne nicht anzunehmen sei, daß er über Nacht seiner Idee entsagen würde.‹ Indessen ließ er ihm durch Wagner seinen Gruß entbieten und den Wunsch ausdrücken, er möge direkt für ihn, den König, in einem eigenen Memoire seine Ansichten in der deutschen, Frage entwickeln. In [125] betreff der neu zu begründenden Zeitung hielt er immer noch an dem mehrgenannten Grandauer fest, vielleicht schon aus dem Grunde, weil derselbe ein Bayer war. Inzwischen war der Tag von Wagners Abreise gekommen. Nur allzuschnell war die kurze Zeit dahingerauscht. Jede einzelne Stunde dieser herrlichen Novemberwoche war in gedrängter Folge durch die reichsten Eindrücke ausgefüllt, von deren bezaubernder Fülle nur der eine Vorstellung haben kann, der aus eigener Erfahrung weiß, wie berauschend Wagners Persönlichkeit in solchem beglückenden und beglückten Verkehr mit den Seinigen auf seine jedesmalige Umgebung wirkte!

Dem Könige fiel der Abschied danach doppelt schwer, und er über häufte den Scheidenden seinerseits mit kostbaren Andenken aller Art, u.a. einer Taschenuhr mit einem Schwane, die, wenn man ihren dunkelblauen Deckel öffnete, in ihrem Inneren einen ›Lohengrin im Nachen‹ erblicken ließ. ›Tragen Sie dieselbe‹ fügte er hinzu, ›zuweilen dabei des Freundes gedenkend, der Sie liebt, und zur Erinnerung an die herrlichen Tage, die mir durch des Teuren Anwesenheit unvergeßlich sein werden.‹ Bis zur Station Biesenhofen gab er ihm noch persönlich das Geleit, und – während der Meister freudig erhobenen Mutes nach München weiterreiste, ritt sein königlicher Schutzherr, von mannigfachen Gefühlen bewegt, allein nach seinem – plötzlich verödeten – Schlosse zurück.28 Unter diesen Gefühlen aber überwog das der Beglückung und der gesteigerten Tatkraft, wie sie in seinen nächsten brieflichen Äußerungen zum Ausdruck gelangen. ›Im Himmel wähne ich zu sein, gedenke ich jener wonnevollen Tage: der Geliebte hier, bei mir gewohnt, froh und glücklich, – o Seligkeit des Gedankens! Heldenstärke fühle ich in mir, festen Mut zum kräftigen Handeln! Ihr strahlendes Bild, wie es in mir lebt und webt, mit Begeisterung entflammt es mich!‹ –

In wie beglückter Stimmung der Meister nach München zurückkehrte, um hier die letzte Hand an die Partitur des ›Siegfried‹ (2. Akt) zu legen, das meldet uns eine Bemerkung Vrenelis. ›Er habe dort‹, sagte er zu ihr, ›in erhabener Einsamkeit Wundertage verlebt, wie sie nur wenig Sterblichen beschieden seien‹ – ›Ich bringe zwei Kamelslasten mit‹, soll er in bezug auf die königlichen Geschenke und in Anspielung auf die berühmten Kamele des Firdusi heiter zu Bülows gesagt haben, die er zu Hause vorfand, und – als er[126] ihnen anmerkte, daß sie durch irgend etwas betreten waren: ›Kinder, was habt Ihr?‹29 Die Antwort war, daß in der Stadt eine große Unruhe herrsche. Durch die planvollen Aufwiegelungen seiner Gegner hatte sich der Zündstoff in der Münchener Bevölkerung bedenklich angehäuft; die Zeitungen wimmelten von bösartigen Angriffen. Adel und Klerus schienen sich in der Heraufbeschwörung eines drohenden Ungewitters vereinigt zu haben. Während sich Wagner, unbekümmert um diese Stürme und des königlichen Schutzes gewiß, seinen künstlerischen Arbeiten zuwandte, suchte der König seinerseits die Stimmung der eben durchlebten Woche auf seine Art festzuhalten: wenige Tage nach des Meisters Abschiede (21. Nov.) bereitete ihm sein Adjutant, der junge Fürst Taxis, die sinnige Überraschung einer Darstellung der ›Ankunft Lohengrins‹ auf jenem wundervollen Wald- und Bergsee bei Hohenschwangau (S. 4). Ein großer nachgebildeter Schwan zog einen Kahn über den Seespiegel: ein elektrisches Licht bestrahlte vom Ufer aus die durch Taxis dargestellte Gestalt des Schwanenritters, und unsichtbare Musiker der Regimentskapelle ließen dazu die Klänge vernehmen. Was in anderer Umgebung ein bloßer theatralischer Effekt gewesen wäre, mochte in dieser zauberhaften Naturumgebung wohl wie eine leibhaft gewordene Wundererscheinung wirken. Der König zeigte eine so freudige Überraschung, daß auf seinen Befehl die ganze Szene an einem der folgenden Abende wiederholt werden mußte, und er im Anschluß daran in der Nachschrift eines an Wagner gerichteten Briefes vom 24. November sich eigens eine Aufklärung über das authentische Kostüm des Lohengrin erbittet.30 Ein lebhafter Briefwechsel erhielt ihn bis zum Ende des Monats in beständiger Verbindung mit dem Meister. Auch die Wogen der inzwischen in seiner Hauptstadt künstlich erregten Unruhen drangen bis zu ihm in seine Abgeschiedenheit. Sie bereiteten ihm Schmerzen; doch meint er sich darüber hinwegsetzen zu können. ›Wie entzückt es mich zu hören, daß Sie bei Siegfried sind! Ich will nur mit Ihnen in Siegfrieds Wald sein, mich geistig an der Vöglein Sang erquicken. Vergessen Sie die rauhe Umgebung, die mit Nacht und Blindheit geschlagen ist, – unsere Liebe leuchte hell und lauter!


Kaum vierzehn Tage später reiste Wagner – auf königliche Verfügung – aus München ab, um tatsächlich nie wieder zudauerndem Aufenthalt dahin zurückzukehren! – Wie es dazu kam, muß uns in einem eigenen Abschnitt beschäftigen!

Fußnoten

1 Bülow Briefe IV, 52.


2 Briefl. an Frau Wille, 26. Sept. 65.


3 Die Journale brachten bald darauf einen ›kühlen, prätentiösen und mit einem perfiden Hieb auf Wagner geschmückten Nekrolog‹ aus der Jeder desjenigen Mannes, der unter allen Lebenden am wenigsten dazu berufen war – Eduard Devrients in Karlsruhe – einen Aufsatz, den Bülow mit Recht ›zugleich eine Verleumdung unseres teueren Verstorbenen‹ nennt!


4 Brieflich an Pusinelli, 2. August 1865.


5 Edouard Schuré, Souvenirs für Richard Wagner (Deutsch von F. Ehrenberg, Leipzig, Breitkopf & Härtel) Vgl. übrigens die Bemerkung im Anhang S. 443.


6 An R. Pohl, 5. August 65.


7 An Ed. Lassen, Briefe IV, 55.


8 Vgl. C. Tannera, Reiseskizzen aus drei Weltteilen, Leipzig 1898, S. 6–7. – Wegen Nichtbenutzung fängt dieser Fußweg seit einigen Jahren merklich an zu verwildern!


9 Seinen letzten kurzen Aufenthalt in dieser weltentlegenen Abgeschiedenheit hatte der König noch vier Wochen früher genommen und darüber am 20. Juli an Wagner berichtet: ›Da wegen der unerträglichen Sonnenhitze das Reiten am Tage in Wahrheit eine Qual, statt einer Freude wäre, so verließ ich neulich nach Mitternacht Berg und zog auf treuen Rossen nach meinen lieben Bergen. Strahlende Sterne erhellten den Pfad, magisch schien das Mondenlicht durch die düsteren, ehrwürdigen Bäume, da trat mir Ihr Bild aufs neue vor das geistige Auge‹... Und wiederum vom 4. August: ›Gott gebe, daß der Aufenthalt auf Bergeshöhen, das Weben in der freien Natur, in unsern deutschen Wäldern dem Einzigen heilbringend sei. Wann gedenkt mein Freund nach dem Hochkopf zu ziehen? Oder wenn eine andere Gebirgshütte – was mein ist, gehört ja Ihm.‹


10 Am 15. August fand in Pesth gelegentlich eines großen Musikfestes die erste Aufführung der ›heiligen Elisabeth‹ unter Liszts Leitung statt, am 22. ihre Wiederholung, am 29. gab. Liszt mit Bülow und Remenyi gemeinschaftlich ein großes Konzert, entließ aber Bülows erst um den 10. September.


11 Man vergleiche dazu den Zartsinn, mit welchem er auch in der Abwesenheit sich die Bedürfnisse des Freundes vergegenwärtigt, und dabei seine edlen Wohltaten fast stets in die Form der Bitte einkleidet, wie z.B. in einem Briefe vom 4. August: ›Darf ich Sie innig bitten, das vorgelegte Blatt zu unterzeichnen? ich bin überzeugt, daß die Haltung einer Equipage Ihnen nur wohltätig und dienlich sein kann‹...


12 Intendant der Kgl. Hofkapelle, zugleich für die Direktion der Kunstschule in Aussicht genommen.


13 Im Februarstück des ersten Jahrganges (1878) der ›Bayreuther Blätter‹.


14 Mehrere darin eingehender behandelte Punkte hatte er in der Zwischenzeit bereits anderswo, namentlich aber in seiner Schrift über ›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹, weiter ausgeführt und veröffentlicht, so daß das Manuskript dazu schließlich nur noch aus einzelnen zerstückelten Absätzen bestand, die erst wieder neu zu einem Ganzen verschmolzen werden mußten.


15 ›Gesammelte Schriften‹ Bd. X, S. 66.


16 So bricht er einmal, als Wagners einfache und klare Intentionen hinsichtlich der Musikschule durch die schriftlich ausgeführten Vorschläge des Kultusministers völlig entstellt waren, in den Ausruf aus: ›Ist ein größerer Unsinn je in eines Menschen Gehirn ausgebrütet worden? Nein, so kann es nicht gehen, das Konservatorium muß von dem Ministerium völlig getrennt und von der Zivilliste übernommen werden (4. Aug. 65).‹ Und ein anderes Mal: ›Da erhalte ich die Übersendung von Pfistermeisters Brief – welche beispiellose Konfusion! Doch verzeihen Sie dem Armen, der mir auf solche erbärmliche Art zu nützen vermeinte... tragen Sie ihm seine Ungeschicklichkeit nicht nach (12. Okt. 65).‹


17 Vgl. Fröbel, Erinnerungen II, S. 405.


18 Band III, S. 416 des vorliegenden Werkes.


19 Pecht, Aus meiner Zeit II, S. 156.


20 Mit gewohnter zartfühlender Teilnahme schreibt ihm bald darauf der König in bezug auf diese Belästigung: ›Gott sei gelobt, daß Sie die Martern der letzten Zeit nun glücklich überstanden haben; fürchterlich müssen Sie gepeinigt worden sein; ich weiß, was es heißt: in die Klauen eines Zahnarztes fallen‹ (7. Nov. 65).


21 Fröbel charakterisiert ihn als einen jungen Menschen und angehenden Beamten ohne nachweisliches Ressort, der sich – als stehender Korrespondent des ›Botschafters‹ – durch seine nahen Beziehungen zu dem Chef des Kgl. Kabinets in der Lage befand, über intime Verhältnisse der Bayerischen Regierung zu berichten, bevor noch die schwerfällige Beobachtungsgabe der österreichischen Gesandtschaft in München dieselben zu erkennen vermochte ›Pfister,A1 in der Tat, hatte in Pfistermeister seinen Meister, von welchem er den wertvolleren Teil seiner dem »Botschafter« gesandten Berichte erhielt, da der königliche Kabinetssekretär – aus begreiflichen Gründen – es soviel wie möglich vermied, selbst Briefe zu schreiben (Fröbel, Erinnerungen II, S. 394).‹


22 Vgl. Band III des vorliegenden Werkes S. 2152. 115. 472.


23 Ebendaselbst, S. 21/22.


24 Ebendaselbst, S. 45. 99/100.


25 Ebendaselbst S 151.


26 Nach gleichzeitigen Berichten, z.B. Signale vom 8. Dez. 1865.


27 Wörtliche Äußerung des Meisters gegen den Verfasser.


28 Dem ›Augsb. Anz.-Bl.‹ schrieb man vom gleichen Datum aus Kaufbeuern: ›Kürzlich sahen wir im Stationsgebäude zu Biesenhofen den König, welcher den Komponisten Richard Wagner von Hohenschwungau dahin begleitet hatte.‹ – Daran knüpft sich die bekannte Anekdote, welche das Verhältnis des eigentlichen bayerischen Volkes zu dem Meister so treffend charakterisiert. ›Als zwischen Biesenhofen und Kaufbeuern ein geistlicher Herr seine schlecht verhehlte Mißstimmung merken ließ, daß der König, mit dem lutherischen Musikanten so viel Umstände mache‹, erwiderte ein im Coupé sitzender Bauer etwas derb: ›I seh' den König lieber bei Musikanta als bei Pfaffa.‹


29 Mitteilung A. Ritters an den Verfasser, nach Angaben Bülows.


30 Als seine darauf bezügliche Anfrage das erste Mal von Wagner nicht beantwortet wird, wiederholt er die Bitte um Auskunft noch in einem anderen Briefe (vom 3. Dezember).


A1 In seiner Apellativbedeutung findet sich dieser Name späterhin (natürlich ohne jede Beziehung auf seinen Münchener Träger!) an einer gewissen drastischen Stelle des Prügelchors in den ›Meistersingern‹ verwendet, in dem Ausruf eines der Lehrbuben: ›Dort der Pfister denkt daran: hei! der hat's‹ (Klavier-Auszug, S. 228, Zeile 6).

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 107-127.
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