Vorwort.

Von München über Triebschen nach Bayreuth, das ist – in kurzen Zügen – der Inhalt dieses Bandes, der Abschnitt aus dem Leben Richard Wagners, den wir lieber mit dem erhebenden kunst- und weltgeschichtlichen Ereignis der Bayreuther Grundsteinlegung am 22. Mai 1872 beschließen wollten, als mit der schwankenden und zweifelhaften Bedeutung des darauf folgenden Jahres 1873, in welchem der Meister wohl eine schöne trauliche Feier seines sechzigsten Geburtstages unter den Augen der Bayreuther Bevölkerung und die Hebefeier des Dachstuhls seines Bühnenfestspielhauses begehen durfte, nach außen hin aber bereits mehr und mehr in jene unerhört sorgenvolle Lage in betreff seines Unternehmens geriet, die ihn fast bis auf den Punkt drängte es aufzugeben und dessen schließliche Verwirklichung bis zum Jahre 1870 hinausschob.

›Der Reformator‹, – mit diesem Untertitel sahen wir uns veranlaßt, das vorliegende fünfte Buch zu bezeichnen, weil es in so hervorragendem Maße jene auf das große reformatorische Werk des Künstlers bezüglichen Kämpfe sind, welche während dieses Jahrzehntes (wie auch des folgenden) sein gesamtes Dasein ausfüllen und auf jede Wendung desselben bestimmend einwirkten. ›Aus dem auffallenden Abstand der öffentlichen Leistungen im Gebiete des mir vertraut gewordenen Kunstzweiges und der Anforderungen des deutschen Genius entstand für mich ein innerer Zwang zur Anregung der hierfür nötigen Reformen, unter welchem ich, mehr als die Welt einsehen kann, zu leiden hatte.‹ Den von unserer gesamten modernen Theaterwelt Verratenen und Ausgestoßenen hatte eine königliche Freundeshand gerade noch dicht am Abgrunde aus den beengenden Nöten eines erbarmungslosen, [3] rein materiellen Verkommens gerettet. Wie leicht hätte er es sich, ohne jenen ›inneren Zwang‹, machen können, wäre es ihm allein um sein persönliches Wohlergehen zu tun gewesen! Hätte er sich damit begnügt, unter königlichem Schutze – im höchsten Sinne untätig – den Ruhm seines Namens zu genießen und, mit bloß papierenem Kunstschaffen zufrieden, der Durchführung seiner höchsten reformatorischen Idee zu entsagen: er hätte getrost in München, unter zunehmender allgemeiner Bewunderung und Hochschätzung, sein siebzigstes, ja achzigstes Lebensjahr vollenden können, – wie es Goethe in Weimar getan. Es klingt vielleicht hart, den Begriff der Untätigkeit, wenn auch in eingeschränkter Anwendung, in einem Atem mit dem Namen Goethes auszusprechen. Allein in Wahrheit hat uns für die Tätigkeit des – zugleich schaffenden und reformierenden – Genius doch erst das rastlose Wirken Richard Wagners einen ganz neuen, bis dahin unerhörten Maßstab gegeben, dem gegenüber alles Frühere verblaßt. Dies kann heute ohne Mißverständnis ausgesprochen werden. Fast unübersehbar ist die Fälle seiner Betätigung; ein anderer hätte dazu ein zwei- oder dreifaches Leben nötig gehabt! Nicht aber diese Falle der Betätigung, des gleichzeitig künstlerischen, literarischen und persönlichen Wirkens, hätte je seine Kräfte erschöpft. Was seine stahlkräftige Natur nicht zu dem soeben bezeichneten Altersziele gelangen ließ, waren einzig die aufreibenden Kämpfe des ›Reformators‹ gegen den, auch in dieser neuen Phase seines Lebens sich gleichbleibenden stumpfen Widerstand der Mitwelt gegen seinen schöpferischen Gedanken. In dieser Beziehung bleibt das Zugeständnis seines einstigen Hauptantagonisten von dauernder dokumentarischer Bedeutung: die gegen ihn gerichtete Agitation habe ›von dem Tage an begonnen, an welchem die Pläne für ein großes Mustertheater auftauchten‹ (S. 38 dieses Bandes).1 So war ihm der gesamte Münchener Aufenthalt eine einzige schmerzliche Lebenserfahrung, ihr schwer erkauftes Ergebnis aber die Einsicht in die völlige Unmöglichkeit seines, noch so vorübergehenden Wunsches: auf diesem Münchener Boden, dem Tummelplatz [4] der Bureaukratie und der Parteileidenschaften, sein Lebenswerk, seine Fest spiel-Institution errichten und eine reine Kunstpflege ermöglichen zu können!

Mit diesen Münchener Zuständen und ihrer Entwickelung bis zu der – an sich so leicht vermeidlichen – Katastrophe beschäftigt sich das erste Drittel des vorliegenden Bandes (Kap. I–VI). Fehlt zu ihrer getreuen Darlegung auch einstweilen noch – und vorerst auf unabsehbare Zeiten! – eine Hauptquelle, die Briefe des Meisters an den König, so fällt doch schon aus den gegenwärtig erreichbaren Quellen ein helles Licht auf die moralische und intellektuelle Beschaffenheit derjenigen Faktoren, denen es damals gelang, ihn für immer aus München zu entfernen. Denn seine Nichtwiederkehr an den Ort der Intrigue und der unausgesetzten Beunruhigungen, so sehr allmählich der allendliche Entschluß dazu (S. 261) in ihm reiste, war innerlichst und unbewußt schon damals besiegelt, so daß seine nächststehenden Freunde sie unschwer voraussehen konnten (S. 148). Es lag demnach etwas tiefer Begründetes, Providentielles in der auffallenden Indolenz, ja anscheinenden Zustimmung der Münchener Bevölkerung zu den aufregenden Vorgängen jenes Vertreibungsaktes. Der bayerische Residenzphilister blickte auf diese Vorgänge mit einer ähnlichen stumpfen Gleichgiltigkeit, ohne jedes Gefühl der Verantwortung, wie er neuerdings den Versuch eines Spekulanten aus undeutscher Rasse sich gefallen läßt, das unter blutigem Ringen geschaffene Heiligtum der Kunst zum Gegenstande gewerblicher Ausbeutung zu machen, ja, wenn es anginge, dasselbe noch nachträglich aus seiner von ihm unzertrennlichen Heimatstätte zu entführen, um es – auf München zu übertragen! Ja, wäre doch damals – zu dem Haß unverständiger Gegner – in Wirklichkeit nur die bloße Gleichgiltigkeit der Bevölkerung, und nicht etwas weit Schlimmeres dabei im Spiele gewesen! Als vor kurzem eine lebensvolle Schöpfung Siegfried Wagners auf demselben Münchener Boden unter Pfeifen und Toben und dem Hohn einer losgelassenen Preßmeute verschüttet und zu Grabe getragen wurde (– einstweilen haben ja die Gegner gesiegt! –) konnte man in einer Besprechung, gleichsam beschönigend, von der ›ehrlichen Schadenfreude‹ lesen, mit welcher die vom Glück minder Begünstigten sich durch ihr Pfeifen an der Überlegenheit gerächt hätten! Es gehörte schon ein solcher, aus der Geschichte der Kunst nun nicht wieder zu streichender, widriger Vorgang dazu, um die ganz eigenartige Begriffskombination einer ›ehrlichen Schadenfreude‹ (!) als überraschendes, neuestes Stichwort auszuprägen. Ist aber das München vor dreißig Jahren wesentlich von dem heutigen verschieden? Dem vergleichenden Blick des rückschauenden Historikers, der, außerhalb des [5] Tagestreibens stehend, diese Dinge aus einer größeren Ferne und Höhe betrachtet, muß diese Frage unwillkürlich sich aufdrängen. Städte und ganze Bevölkerungen scheinen, wie einzelne Menschen, das indelebile ihres Charakters in sich zu tragen. ›Hätten wir,‹ sagt der echte Isarböotier noch heute mit einer Art selbstgefälliger Berühmung, ›hätten wir anfangs der sechziger Jahre Wagner nicht »vertrieben«, so hätten wir heute Bayreuth in München, und damit die ganze Corona von Berühmtheiten (!) hier ansässig; dann stünde das, nach Sempers Plänen erbaute Wagner-Theater ungefähr an der Stelle, wo sich jetzt die schöne Prinz-Regententerrasse erhebt. Das neue Prinz-Regententheater kann uns heute mehr zusagen, als wenn wir ganz Bayreuth mit seinen Anhängseln (!) hier hätten.‹2 Man kann Auge und Ohr vor solchen Äußerungen und den ihnen zugrunde liegenden Gesinnungen nicht verschließen! Nein, mit all seinen sonstigen vortrefflichen Eigenschaften war und ist München zur Festspielstadt, zur reinen verjüngenden Quelle der Regeneration der Kunst und des deutschen Wesens nicht berufen! – – –

Von München über Triebschen nach Bayreuth führt uns der Gang unserer historischen Betrachtung. Nicht unmittelbar aus den ebenso heißen, als unfruchtbaren Münchener Kämpfen und Erschütterungen heraus konnte der befreiende Kulturgedanke von Bayreuth gefaßt werden. Dazu mußten die freien Alpengipfel der Schweiz, Jahre der Sammlung, der Konzentration mit verhelfen, während welcher die sorgende Macht der Liebe den aufs neue vereinsamten Meister vor dem Andrang einer feindlichen Außenwelt zu bewahren wußte. Ohne Triebschen – kein Bayreuth! Den Triebschener Ereignissen gehört, nach dem kurzen, aber schmerzlichen Zeitraum völliger Entbehrung an gegenwärtiger Liebe und Freundschaft (Kap. VII) das folgende zweite Drittel unseres Bandes (Kap. VIII-XII) an. In diesen Zeitabschnitt fällt das entscheidende Hauptereignis im Leben des Künstlers, seine Verbindung mit der längst zu ihm gehörigen hohen Frau, deren sorgende Teilnahme an seinem Schaffen und Wollen ihm von jetzt ab in aufopfernder Selbstverleugnung zur Seite stand. Wir haben in unserem Lebensbericht alle einzelnen Phasen dieses segenbringenden, aber schwer erkämpften Liebesbundes eingehend verfolgt; nicht ohne zuvor ernstlich erwogen zu haben, ob es nicht noch vornehmer wäre, in unserer Darstellung der Taten des Reformators von dieser rein privaten, der Öffentlichkeit abgewandten Seite seines Daseins gänzlich abzusehen [6] und ihrer auch nicht mit einem einzigen Worte zu erwähnen. Wir stehen nicht an es auszusprechen, daß wir diesen Zweifel gehegt; wir wollen aber auch andeuten, was uns bewog, auf diese – Verzichtleistung zu verzichten. Dem liebebedürftigen Menschen Wagner, der als überragender Mensch wie Künstler überall nur auf Mißverständnis, Haß und Neid gestoßen, erschloß sich endlich, nach langen Leidensjahren, das höchste, entscheidende Glück seines Lebens, zum dauernden Kummer so vieler ›Deutschen‹, denen es – Hand aufs Herz! – doch lieber gewesen wäre, ihr größter schöpferischer Genius wäre, so wie es sich gehörte, in Not und Elend verkommen, hätte kein Bayreuth begründet und keinen Sohn hinterlassen, der ›mit seinem Werke gedieh‹ und ihm nun durch sein Dasein ›ein neues langes Leben verleiht‹. Der große Geist sucht in den kleinsten Dingen den tieferen Sinn, die ewige Gesetzmäßigkeit; der kleingeartete auch bei dem Größten bloß nach den ›ihm einzig vertrauten und bewußten, kleinen Menschlichkeiten‹; er weiß sie auch da zu finden, wo sie in Wahrheit nicht vorhanden sind. Man mag es versuchen, auch in diesem echt deutschen Zuge durch irgend welche künstliche Beleuchtung eine liebenswürdige Eigenschaft zu entdecken. Das Unliebenswürdige davon liegt hingegen recht offenkundig auf der Hand und – von jener ›ehrlichen Schadenfreude‹ nicht allzu weit ab. Man sucht einstweilen in den Lücken der vorhandenen biographischen Dokumente, in den etwaigen ›Auslassungen‹ der veröffentlichten Briefwechsel, nicht um darin die Größe des Genius, sondern die eigene Kleinheit wiederzufinden; unbeirrt durch die stets erneute Beschämung, wenn diese Lücken sich schließen und neue Dokumente an das Licht treten, durch welche, wie dies noch in den letzten Jahren der Fall war, immer reiner, immer höher die geistige und moralische Persönlichkeit Wagners vor uns aufsteigt. ›Es mag nicht viele große Männer in allen Nationen und auf allen Gebieten geben, die es vertragen, so bis ins einzelnste in allem, was sie getan, gedacht, geschrieben haben, ans Licht gezogen und unter die schärfste Lupe der Forschung genommen zu werden, ohne dadurch zu verlieren.‹ Da sich nun aber unsere Erzählung zunächst nicht an Schweden, Holländer oder Franzosen, sondern an Deutsche wendet, und es zudem doch jedenfalls auch noch ganz andere ›Deutsche‹ gibt, als die oben charakterisierten, so haben wir es vorgezogen, in der Entwickelung der Vorgänge nichts zu unterdrücken, was zu ihrer wahrheitsgemäßen Darstellung notwendig ist. Wenn dieses Buch, – seit seinem frühesten Erscheinen der erste wirkliche Versuch einer vollständigen Wagner-Biographie, – ein Verdienst hat, so ist es das, daß es die Jahrzehnte hindurch künstlich gezüchtete, langsam und spät sich selber zerfressende, Pest eines lieblosen Mißtrauens gegen die moralische Persönlichkeit [7] des großen deutschen Reformators und schöpferischesten Geistes zu zerstören und das abgeklärte Urteil einer späteren Nachwelt vorauszunehmen an seinem Teil bestrebt gewesen ist. Es kann nur als der allererste Anfang zu einer wahren, vertieften Würdigung dieser Persönlichkeit betrachtet werden; selbst aber auch einem derartigen ersten Versuche wohnen in der Art seiner Durchführung gewisse Konsequenzen inne. Möge es als eine solche innere Konsequenz unseres Unternehmens betrachtet werden, daß wir das bedeutungsvollste Ereignis im privaten Leben des Meisters nicht stillschweigend übergangen, sondern es an der rechten Stelle mit in den Gang der Erzählung hineinbezogen haben. So völlig einzig und unvergleichlich das Bayreuther Werk in jedem Sinne dasteht, so notwendig ist es andererseits für jeden Deutschen zu wissen, welchem, nicht minder einzigen und unvergleichlichen, Segen der Liebe er dieses Werk – von seinen ersten keimenden Anfängen bis zu seinem heutigen Bestehen – zu danken hat.

Das letzte Drittel unseres Buches endlich (Kap. XIII-XVII) behandelt das Werden und Wachsen der Bayreuther Idee und die ersten Schritte zu ihrer Verwirklichung. Der erste und ursprüngliche Gedanke des Meisters kam damit wieder zur Geltung: sein Festspielhaus in einer lieblichen Einöde, an einem abgelegenen Orte, wie Zürich, wie Weimar, oder am Rhein, fern von dem Getriebe, dem Qualm und Dunst unserer Großstädte zu errichten. Seinem königlichen Freunde und Beschützer zuliebe hatte er diesen ursprünglichen Gedanken zugunsten der bayerischen Residenzstadt aufgegeben; München aber hatte dem Könige seine hochsinnigen Absichten vereitelt. Zu keiner weiteren Konzession verpflichtet, und nachdem er noch eine Reihe von Jahren abwartend der Entwickelung der Verhältnisse zugesehen, kam Richard Wagner auf seinen längst gehegten Gedanken zurück: sein Festspielhaus in einer kleinen entlegenen Stadt im Herzen Deutschlands erstehen zu lassen. Aus Dank gegen seinen erhabenen Beschützer erwählte er sich dazu eine Stadt im bayerischen Lande, das trauliche Bayreuth, vornehm und idyllisch zugleich in seiner ganzen Erscheinung, inmitten einer reizvoll poetischen landschaftlichen Umgebung. In gerechter Würdigung dessen, daß der Meister die richtige Wahl getroffen, daß der von ihm gewählte Ort der geeignete sei und die Festspiele in Bayreuth dem ganzen bayerischen Lande Nutzen und Ehre brächten, entsagte König Ludwig einer müßigen Wiederholung des gleichen Baues in seiner Hauptstadt. Sein telegraphischer Glückwunsch zur Grundsteinlegung (S. 423), hatte keinen anderen Sinn; der gleiche Gedanke kommt wiederholt in seinen Briefen an Wagner zum Ausdruck. Unmöglich ist es nun heute, das Ringen Richard Wagners gegen tausend Hindernisse der Feindseligkeit, der Apathie [8] gegen den Spott und Hohn der Mitwelt zu verfolgen, ohne dabei einen Blick auf die Zeitereignisse und auf das neuerrichtete Pseudo-Festspielhaus, die Nachäffung seines Lebenswerkes, zu werfen, das sich jetzt in München erhebt. Fast ein volles Vierteljahrhundert hindurch hatte das Bayreuther Werk mit der Teilnahmlosigkeit der Mitlebenden, den Mißdeutungen einer übelwollenden Öffentlichkeit zu ringen Endlich schien es siegreich dazustehen: zu augenscheinlich hatte selbstlos fortwirkende Macht der Treue die Anfechtungen von außen her überwunden. Da plötzlich dünkte es zeitgemäß, den Erfolg dieses aufopfernden Ringens in ›geschäftskundige‹ Hände zu nehmen. Zu den unwürdigen Voraussetzungen und Grundlagen dieses in Hast und Eile binnen zwei Jahren aufgeführten Münchener Baues, durch welchen, der großartigste königliche Gedanke in ein Aktienunternehmen und eine Terrainspekulation umgewandelt ist, zu den von diesem Zentrum aus planmäßig in Umlauf gesetzten falschen und schädigenden Gerüchten hat Bayreuth während des ganzen Verlaufes dieser Angelegenheit vornehm geschwiegen, wiewohl ihm alle Mittel der Bekämpfung in ausgebreitetem Maße zu Gebote gestanden haben würden, hätte es mit diesem Gegner einen Kampf aufnehmen wollen! Aber wenn die großherzigen Pfleger des Meistererbes es vorzogen, durch ihr bloßes Dasein und durch ihre Taten, nicht durch Worte, zur Öffentlichkeit zu reden: die Geschichte kann und wird dar über dereinst nicht schweigen. Sie wird das berufene Forum bilden, welches die Entstehung und den Zweck dieses Hauses als das vollkommene Zerrbild der Entstehung und des Zweckes des Bayreuther Heiligtumes darstellt. Einstweilen ist das Geheimnis beider nicht bloß der Taube des Grales bewußt, sondern die Spatzen auf den Dächern pfeifen von den zweckbewußten Beziehungen und unsichtbaren (?) Fäden zwischen München und New-York, und wo es sich noch in unseren Tagen um diskreditierende, verleumderische Zeitungsnotizen, wo es sich um irgend einen Schritt, eine Möglichkeit der Abbröckelung, der versuchten Unterminierung des Bayreuther Kulturwerkes und der Autorität seiner persönlichen Vertreter handelt, da ist dem kundigen Auge die Herkunft dieser Machinationen unverkennbar......

Wir beschließen hiermit unsere einleitende Betrachtung, und fügen nur noch eine Bemerkung hinzu. Eine der schlimmsten Eigenschaften der Biographen ist es, wenn sie mehr sagen, als sie selbst wissen; vor diesem Fehler haben wir uns jederzeit zu bewahren gesucht. In diesem Sinne hatten wir die Absicht, gelegentlich dieses Vorwortes einiger biographischer Eintagserscheinungen zu gedenken, die in der Zwischenzeit zwischen dem Erscheinen [9] unseres letzten Bandes und dem verzögerten Hervortreten des gegenwärtigen das Tageslicht erblickt haben, darunter einer solchen, die durch wiederholte Nennung ihres Urhebers (in den Fußnoten des vorausgehenden Buches) gewissermaßen einen Empfehlungsbrief von unserer Seite erhalten zu haben schien. Wir geben dies auf, weil uns dieselben bereits heute, wo wir diese Zeilen niederschreiben, zu sehr veraltet erscheinen, um noch auf dieselben zurückzukommen. Das eigentliche Material für die Biographie Richard Wagners liegt in seinen eigenen Lebenszeugnissen in Briefform; die letzten Jahre haben davon, vornehmlich in den ›Bayreuther Blättern‹, ganze Brieffolgen (an Levi, Muncker, Pusinelli, Feustel) von unschätzbarem Wert der Öffentlichkeit überwiesen. In dieser Beziehung hat daher der Verfasser die von ihm unabhängige Verzögerung des vorliegenden Bandes für einen wahren Glücksfall gehalten, da er ihn nunmehr mit einem ganzen Reichtum authentischer Aufklärungen über wichtige Angelegenheiten auszustatten in die günstige Lage versetzt war.

Es sei uns zum Schluß noch gestattet, an dieser Stelle der freundlichen Hand zu danken, welche sich der mühsamen Arbeit unterzogen hat, auch diesen Band, wie bereits dessen Vorgänger, mit einem eingehenden, sorgfältigst ausgearbeiteten Namenregister zu versehen.


Riga, am Geburtstage Franz Liszts, 22. Oktober 1903.


C. Fr. Glasenapp.

Fußnoten

1 Nicht also, wie man es immer und immer wieder, wenn auch unter allerlei Verschleierungen, liest und hört, nicht die angebliche Vorliebe des höchst einfach und regelmäßig Lebenden für irgend welchen ›Luxus‹ seines Privatlebens brachte den Münchener Philister gegen ihn auf – die in Wahrheit luxuriösen ›Ateliers‹ unserer modernen Maler oder berühmten Romanciers gereichen ja diesem vielmehr jederzeit zum Vergnügen, wenn er sie in seinen illustrierten Journalen sich abbilden läßt! Nein, das jämmerliche Kampfmittel der Verleumdung seiner Person in dieser Richtung, so lange es auch, versteckt und offen, noch fortwirken möge, war für seine Gegner doch nur das – unwürdige – Mittel zum Zwecke! Der Zweck selbst aber war die Vereitelung seiner großen künstlerischen Absicht, deren Bedeutung weit über den Horizont verknöcherter Bureaukraten und urteilsloser Spießbürger hinausging.


2 Kein Phantasie-Zitat, sondern buchstäblichst einem ›Münchener Brief‹ aus der ›Pfälzischen Rundschau‹ vom 10. April 1901 entnommen und von einem Autor herrührend der auf den Namen L. E. Meier hört.


Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905.
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