I.

Dresdener Verhältnisse und Personen.

[3] Eintritt ins Amt. – König Friedrich August II. – Freiherr von Lüttichau. – Reißiger und Röckel. – Die Schröder-Devrient. – Berlioz in Dresden. – Glucks ›Armida‹. – Konzertmeister Lipinski. – Mendelssohn und Beethovens F dur-Symphonie. – Mozarts ›Don Juan‹ und die Dresdener Kritik. – Gelegenheitskompositionen: ›Das Liebesmahl der Apostel‹.


Mußte ich es nicht erleben, daß bereits achtzehn Jahre nach Webers Tode, an dem Orte, wo dieser längere Jahre ihre Aufführungen selbst dirigiert hatte, die Tempi seiner Opern dermaßen gefälscht waren, daß des Meisters damals noch in Dresden lebende Witwe mein Gefühl hiervon erst durch die ihr verbliebene treue Erinnerung bestätigen konnte?

Richard Wagner.


Am 2. Februar 1843, vormittags zwölf Uhr, wurde Richard Wagner durch besondere Einladung der Kgl. Hoftheater-Direktion in deren Konferenzzimmer in der Expedition beschieden, um daselbst in der üblichen feierlich zeremoniellen Form die definitive Ankündigung seiner Ernennung zum Kgl. Sächsischen Hofkapellmeister ›auf Lebenszeit‹, neben Reißiger, entgegenzunehmen. Fast wußte er selber nicht, wie er dazu gekommen. Keinesfalls durch den Antrieb eigener Ambition, die ihn in solcher Stellung etwas Erstrebenswertes hätte erblicken lassen. War ihm doch selbst die warme Freude an der Heimat durch die erneute Wahrnehmung ihrer engherzig versteiften Zustände nur zu bald verleidet worden. ›Paris, Dresden oder Schilda – das ist mir nun schon für immer gleichgültig, so weit glaube ich mich zu kennen‹, hatte er schon zwei Monate nach seiner Rückkehr von Teplitz aus (im Vollgenusse einer reizenden ländlichen Naturumgebung; an Lehrs nach Paris geschrieben. Und wie im ahnenden Vorausblick auf die bevorstehende Wendung seines Loses fährt er fort: ›Wie schaudert mir, wenn ich denken sollte, daß mir einst ein banales, langweiliges Glück beschieden sei, wo ich – statt an Hühnern und Ziegen – an Hofräten und Eseln Wohlgefallen [3] finden müßte!‹1 Der tief in ihm begründete, von seiner wahren künstlerischen Natur unzertrennliche Schauder vor einem dienstlichen Verhältnis an solch einem deutschen Hoftheater war durch die inzwischen erfolgte Entscheidung nicht überwunden; er war nur betäubt und ins dunkle Innerste zurückgedrängt. Selbst das in jenen Zeilen noch vorkommende ›Theatergesindel, in dessen Händen seine künstlerische Zukunft liege‹, war ihm inzwischen, unter dem täuschungsvollen Eindruck des ›Rienzi‹, in ein minder abschreckendes Licht getreten. Wo alles ihn beglückwünschte, schien es sich endlich auch ihm selber um ein wirkliches ›Glück‹ zu handeln. Konnte ihn nach seinen bisherigen Erlebnissen noch etwas in dieser Auffassung bestärken, so war es der Hinblick auf seine arme Frau Sie hatte unter seinen Irrfahrten und Bekümmernissen fast noch mehr als er selber gelitten und gewahrte nun in der, fast unverhofft gewonnenen, ›lebenslänglichen Versorgung‹ den lange ersehnten Rettungs- und Ruhehafen, den erreichten Zielpunkt ihrer kühnsten Wünsche War er es nicht schon ihren langgenährten Hoffnungen schuldig, seiner bisherigen ›Vagabunden‹-Existenz ein Ende zu machen?

Das Eine war gewiß: trat er einmal in den neuen Berufskreis, so konnte es nur mit dem vollen feurigen künstlerischen Ernst geschehen, an dem er es selbst in seinen früheren untergeordneten Provinzial-Musikdirektorstellungen nicht hatte fehlen lassen. Reform, Reorganisation ist die Losung, die uns bereits aus jenem allerersten Schreiben an die Generaldirektion entgegenklingt, aus der freimütigen Erklärung, er habe ›die Disziplin der Kgl. Kapelle in einem durchaus nicht befriedigenden Zustande gefunden‹ und müsse das höhererseits in ihn gesetzte unbedingte Vertrauen zur Voraussetzung für die Übernahme des ihm angetragenen Amtes machen.2 Es ist dies die gleiche selbstlos stolze Gesinnung, mit der er mitten aus seiner Pariser Not und Entbehrung heraus dem Freunde Fischer rund erklärt, es sei ihm gleichgültiger, wie sein ›Rienzi‹ in Dresden aufgenommen, als wie er dort gegeben würde.3 Die gleiche schriftliche Erklärung, in welcher der junge Meister für die Übernahme der Kapellmeisterstellung und die damit verbundenen tief eingreifenden Reorganisationsmaßregeln die Bewilligung der ungeschmälerten [4] vollsten Autorität für sich in Anspruch nimmt, enthält indes ganz am Schlusse einen unscheinbaren Passus, charakteristisch für sein strenges Billigkeitsgefühl und sein menschlich persönliches Wesen, das mit der freimütigen Bestimmtheit seiner Forderungen stets die ihm eigene bescheidene Verbindlichkeit zu vereinigen wußte. Es heißt darin, gleichsam zur Kompensation des von ihm beanspruchten ›außerordentlichen Vertrauens‹ – nämlich einer Anstellung ohne Probejahr – daß es ihm, unmöglich sein würde, auf der weiteren Erfüllung kontraktlicher Zusagen zu bestehen, sobald ich inne würde, oder Ew. Exzellenz sich zu der Erklärung genötigt sehen würden, daß ich ein so großes Vertrauen nicht zu rechtfertigen imstande wäre. Wir werden in der Folge sehen, welche unpassende Rolle dieser unscheinbare, eben nur auf das erste Amtsjahr bezügliche Schlußpassus seiner Erklärung noch nach Jahren in seiner Dresdener Laufbahn zu spielen bestimmt war! –

›Es schien, als ob durch Wagners Erwerbung die Dresdener Oper einem ganz neuen Aufschwung entgegengehen sollte‹, mit diesem Satze charakterisiert der Geschichtsschreiber des Dresdener Hoftheaters4 die Erwartungen der Direktion und des Publikums bei seinem Amtsantritt. ›Man erwartet von mir eine echt künstlerische Reorganisation des hiesigen Musikwesens‹, schreibt Wagner selbst in Übereinstimmung damit in einem Brief an die hinterlassenen Pariser Freunde. Und wahrlich, es gab vieles zu ›reorganisieren‹ in der Kapelle, wie an dem gesamten Institut der Kgl. Oper zu Dresden, nachdem diese unter der phlegmatisch beschaulichen Führerschaft Gottlieb Reißigers nur allzu sehr in das Fahrwasser eines philiströsen Schlendrians geraten war. Es bedurfte des ganzen Feuers einer jugendfrischen genialen Persönlichkeit, um die mancherlei schleichenden Schäden zu beseitigen, aus der eingerissenen Verkümmerung und Verflachung den edlen Geist Webers wieder wachzurufen, der in manchem ehrliebenden Orchestermusiker jener älteren Periode als halbverklungene Tradition noch fortlebte. Hier lag der Anreiz für den noch nicht dreißigjährigen jungen Meister, in ungezähmtem Tatendrang und mühvollen Kämpfen das gewollte große Neue mit Kraft und Ausdauer zu verwirklichen, Seit Webers Tode sind, zumal durch Aufhebung der italienischen Oper, die [5] künstlerischen Mittel sehr gewachsen, der Geist ihrer Verwaltung aber ist dem krassesten Philistrismus verfallen, äußert er sich selbst. ›Durch den Reichtum der hier vorgefundenen Mittel dazu begeistert, habe ich mir nun die schöne Aufgabe gestellt, Webers Werk fortzusetzen, d.h. Dresden musikalisch emanzipieren zu helfen, den Philistrismus übers Ohr zu hauen, den Geschmack des Publikums für das Edle auszubilden und somit seine Stimme geltend zu machen‹ Was versucht er in diesem Sinne nicht alles, und was wird ihm nicht im Laufe seiner sechs Kapellmeisterjahre durch Unverstand, Ängstlichkeit, Trägheit und Servilismus unmöglich gemacht! – –

Es wäre undienlich, an dieser Stelle das Tempo unserer Erzählung zu übereilen, ohne zuvor einen Blick auf die äußere Umgebung geworfen zu haben, welcher er nunmehr mit dem besten Teil seiner praktischen Leistungsfähigkeit angehörte. Es scheint dabei den Umständen angemessen, in unserer Betrachtung von der ehrwürdigen Person des sächsischen Monarchen auszugehen. Seine bestimmt bekundete Teilnahme an der ungewöhnlichen Begabung Wagners ist fraglos von wesentlichem Einfluß auf die Entschließungen der Generaldirektion und ihre gesamte Haltung im Verkehr mit dem jungen Meister gewesen. Jene erste Aufführung des ›Rienzi‹, die den unbekannten jungen Künstler mit einem Schlage zum bevorzugten Liebling des sächsischen Residenzpublikums erhob, hatte der König nicht in Person mit anhören können, – er war am Morgen des Aufführungstages mit dem Pferde gestürzt und durch eine unbedeutende Verletzung am Knie zurückgehalten worden. Dagegen hatte er seine Anwesenheit für die nächste Vorstellung mit der Erklärung angekündigt, er werde ihr bis zum Schlusse beiwohnen, und auf die Bemerkung Lüttichaus, die Oper sei allerdings sehr lang, mit Lebhaftigkeit erwidert: ›Tut nichts, so ein Werk muß man ordentlich hören; ich werde in der Stadt schlafen‹ er wohnte im Oktober noch auf dem Weinberg außerhalb Dresdens). Nicht minder waren die beiden Prinzessinnen Augusta und Amalie5 von den Schönheiten des Werkes begeistert. Von der Prinzeß Amalie wird uns der Ausspruch angeführt: einen solchen Eindruck habe noch keine Komposition auf sie gemacht; es sei ihr dabei, als wurde ein kostbarer Seidenstoff, reich mit Gold und Perlen durchwebt, vor ihr ausgebreitet.6 – Mit dankbarer Anerkennung gedenkt Wagner in einem damaligen Briefe des ersichtlichen Wohlwollens, womit der hohe Herr ihn bei jeder Gelegenheit auszeichne: ›er hat eine wahre gemütliche Freude an mir‹. Er sei wahr, schlicht und empfänglich [6] für Schönes: ›ein ehrlicher Mann – ohne Wichtigtuerei, wie der König von Preußen – mit der Sache es von Herzen meinend‹.7 Es bleibt tief zu beklagen, daß sich das herrschende Höflingswesen und eine verderbliche Theaterbureaukratie während der ganzen Dauer seines Dresdener Verhältnisses zwischen dem Künstler und dem stets von ihm hochgehaltenen Monarchen lagerte. Die Person seines fürstlichen Gönners blieb – bis auf einige vereinzelte Gelegenheiten – wie durch eine undurchdringliche Mauer von ihm getrennt, deren Durchbrechung dem Hochgestellten selber, aus Rücksicht auf den künstlichen Aufbau seines höfischen Beamtentums, unzulässig dünken mochte. Die günstigen Eindrücke, die Wagner gleich bei dem ersten Antritt seiner Funktionen von der Person des seit seinen frühesten Jünglingsjahren8 von ihm verehrten Regenten gewann, blieben sich bis in die Stürme der Revolution hinein gleich. Er bewahrte ihm, mitten in aller politischen Erregung der Zeit, eine wirklich liebevolle persönliche Anhänglichkeit, und es ergibt sich aus mancherlei Zügen, daß König Friedrich August II. diese Gesinnung erkannte und erwiderte. Wir wollen hier statt vieler anderer nur den einen anführen. als durch seine Flucht aus Dresden die formelle Lösung seines Dienstverhältnisses zur Notwendigkeit wurde und Herr von Lüttichau hierzu die eingeleitete gerichtliche Verfolgung des ›Revolutionärs‹ benützen wollte, ward ihm seitens des Ministeriums des Königl. Hauses vielmehr der Wink zuteil, sich einfach auf den Paragraphen zu stützen, welcher die unerlaubte Entfernung aus dem Weichbilde der Stadt als Kontraktbruch behandelte.

Wenden wir hiernach unsere Aufmerksamkeit dem wunderlichen Hofkavalier zu, mit dem er es in seinem amtlichen Verkehr als direktem Vorgesetzten zu tun hatte. An der Spitze der Kgl. Kunstanstalt stand als Generaldirektor seit bald zwei Jahrzehnten9 Se. Exzellenz der ehemalige Oberforstmeister, Kammerherr und Geheimrat August Freiherr von Lüttichau. ›Wir vernahmen von einem zweiundzwanzigjährigen Jagdjunker, welcher eigens aus dem Grunde, weil er nichts davon verstände, zum Intendanten eines Theaters gemacht wurde; er dirigierte die ihm untergebene Anstalt weit über ein Vierteljahrhundert. Von ihm hörten wir einmal offen den Ausspruch, allerdings werde jetzt Schiller so etwas wie den »Tell« nicht mehr schreiben dürfen‹ Diese kurze und schlagende Charakteristik seines einstigen Chefs durch den Meister selbst10 steht an sich durchaus nicht im unvereinbaren Widerspruch zu [7] dem Bilde, das uns die offiziöse Geschichtsschreibung, von ihrem so grundverschiedenen Standpunkte (dem Gutzkowschen ›Bücklingsstandpunkt‹) aus, von dem Manne entwirft; weshalb wir dasselbe hier folgen lassen. ›Herr von Lüttichau gehörte nicht zu den tiefen, eines großen Aufschwunges fähigen Naturen; allein er war ein Mann von klarem, ruhigem Verstand, frei von Vorurteilen, rasch und fest im Entschluß, beharrlich, ohne doch eigensinnig zu sein, von tiefem Pflichtgefühl und wohlwollender Gesinnung. Zwei Gesichtspunkte waren für ihn die maßgebenden: der Glanz und die Ehre des ihm anvertrauten Institutes und das Interesse seines königlichen Herrn. Ein ihm innewohnender idealer Zug trieb ihn zu einer hohen Auffassung des ersteren an, – der Gerechtigkeitssinn und das Wohlwollen seines Fürsten bewahrte ihn im Ganzen, wenn auch nicht in jedem einzelnen Falle, vor einer kleinlichen Behandlung des letzteren. Dem Gefühle des Wohlwollens und der Billigkeit verschloß er sich selten und niemals mit bewußter Absicht.‹11 Unter ihren buschigen, schwarzen Augenbrauen12 hervor blickte die nüchterne, im täglichen Theater-Geschäftsverkehr an eine so andersgeartete Gattung von Menschen gewohnte Exzellenz fast mit Verwunderung auf den schmächtigen, feurig beweglichen jungen Mann mit dem gewaltigen Kopf und der freien Stirn, dem auf die sonst gewohnte Weise so gar nicht zu imponieren war,13 dem die bittersten äußeren Lebensschicksale die innere Unabhängigkeit nicht hatten rauben können, der sich bei vollkommenster Einhaltung der schuldigen äußeren Respektsformen nie das mindeste von seinem Werte vergab, und dessen äußerer Erscheinung [8] selbst die lächerliche Hofuniform14 unmöglich den Stempel des königlichen Beamten aufdrücken konnte. Es scheint aus mancherlei Anzeichen, selbst Herrn von Lüttichau sei eine dunkle Ahnung der höheren Bedeutung seines ›Kapellmeisters‹, die sich in den beiderseitigen dienstlichen Beziehungen nicht erschöpfe, von Hause aus nicht ganz fremd geblieben, und er habe nur zu besserer Wahrung seiner Würde sich gehütet, ihr einen zu weitgehenden Einfluß auf sein Verhalten zuzugestehen. Ein bemerklicher Altersunterschied, der durch das verschiedene Naturell beider nur noch größer erschien, erleichterte es ihm, sich zu dem rastlos strebenden, stets nur das Beste der Sache wollenden jungen Meister von vornherein eine Art väterlich wohlwollender Stellung zu geben; wobei er sich bewußt sein durfte, zugleich durchaus im Sinne seines fürstlichen Herrn zu handeln. Seine offenkundigen Fehlgriffe während seines sechsjährigen Verkehrs mit dem ihm unterstellten freien Künstlergeiste sind durchweg in der naturgemäß schiefen Stellung begründet, die er als Vorgesetzter zu diesem annahm, in der inneren Unmöglichkeit der ihm zugefallenen Aufgabe, als bloßer Hofkavalier von mittelmäßiger Bildung, ohne spezifisches Kunstverständnis, unter dem einzigen Schutz seiner sozialen Respektsstellung, der überlegenen Intelligenz gegenüber seine Autorität zu behaupten. So wenig ihn Wagner diese Überlegenheit je absichtlich fühlen ließ, war es doch unvermeidlich, daß amtliche Konflikte das anfangs nicht ungünstige Verhältnis zu lockern begannen; besonders aber von dem Moment an, seit durch gewisse außerdienstliche Wesensäußerungen des Künstlers eben der Hofmann in ihm auf unheilbare Weise gekränkt war. War es doch, selbst nach Prölß, ›überhaupt ein Fehler des sonst so gerechten und wohlwollenden Mannes, daß er, sobald er seine amtliche Autorität oder hohe Rangstufe geltend machen wollte, leicht in einen heftigen, verletzenden Ton und in ein ungerechtes Urteil verfiel‹.15 So gehört er in seinem Verhalten zu Wagner durchaus zu den Halben; abwechselnd tritt die weiße und die schwarze Hälfte seiner Seele hervor. Er hat [9] eine dämmernde Ahnung, daß in seinem Kapellmeister viel Zukunft steckt; das bischen ›Genie-Dämmerung‹, das in ihm aufleuchtet, wird aber sofort verfinstert durch inkarniertes Schranzentum, Mangel an Bildung, Faulheit und bureaukratische Kleinlichkeit. Eine vorteilhafte Einwirkung übte auf ihn seine durch feinsinnige Bildung ausgezeichnete Gattin, Frau Ida von Lüttichau, geborne von Knobelsdorf, aus.16 Ihr wurde späterhin, als er im Druck erschien, der ›flie gende Holländer‹ im Klavierauszug gewidmet.17 Sie pflegte bereits seit den Zeiten Tiecks einen engeren Kreis namhafter geistvoller Männer aus den Dresdener Künstler- und Literatenkreisen in ihrem Hause zu versammeln und gewann dadurch, seit dem ersten Eintritt ihres Gemahls in sein verantwortliches Amt, einen mittelbaren Einfluß auf die Leitung des Hoftheaters, indem sich Herr von Lüttichau dadurch ›an den Verkehr mit bedeutenderen Männern gewöhnte und die in solchen Stellungen nicht selten dagegen herrschende Scheu überwand‹. ›Je weniger er mit dem Geschäftskreise, welchem er vorstehen sollte, vertraut war, um so mehr war es nötig, Männer heranzuziehen, deren Rat ihm förderlich werden konnte.‹18 Der Gedanke, daß die Bühne, eines literarisch gebildeten, mit ästhetischen Dingen vertrauten Führers bedürfe, war ihm auf diesem Wege nicht fremd geblieben. Um so bedauerlicher war es, daß eben die amtliche Würde, die ihn nicht hinderte, sich in der Folge von dem komödiantischen Dünkel eines Emil Devrient einschüchtern und von einem Davison zum Nachteil des ihm anvertrauten Institutes beraten zu lassen,19 den wirklich produktiven Reform- und Verbesserungsvorschlägen Wagners gegenüber sich immer mehr im bloßen Hinhalten und Erschweren jeder tiefer eingreifenden Maßregel bekundete, wie um durch solche rein passive Beweise seiner administrativen Selbständigkeit zu einem verstärkten Bewußtsein seiner Oberhoheit zu gelangen.

Mißverhältnisse dieser Art traten erst im Laufe der Jahre offen und unverkennbar zutage. Zunächst behielt jenes besondere Wohlwollen für die regsame jugendliche Kraft die Oberhand, das sich psychologisch so leicht aus dem Bewußtsein erklärt: ihre Bedeutung für das Institut der Kgl. Oper sogleich mit Bestimmtheit erkannt und die Berufung Wagners gegen eine ganze Anzahl Bewerbungen zumteil bereits wohlrenommierter Orchesterleiter,20 ja gegen dessen eigenen Widerstand durchgesetzt zu haben. In gleichem Sinne gedenkt Wagner selbst in brieflichen Berichten aus dieser Periode mit ähnlicher Befriedigung, wie der ihm bewiesenen huldvollen Gesinnung seines Monarchen, zugleich auch der besonderen Auszeichnung, mit welcher er von seiten seines [10] Intendanten behandelt würde, und wie sie unter gleichen Verhältnissen gewiß noch keinem andern zuteil geworden sei. Unmöglich zwar war es selbst für den blödesten Blick, den Unterschied zwischen seiner feurig genialen Begabung, seinem regen Betätigungstriebe und dem typischen Kapellmeister-Phlegma des älteren Dirigenten, Gottlieb Reißiger, zu verkennen, dessen Bequemlichkeitsliebe, mit den Jahren sich steigernd, am Ende so offenkundig hervortrat, daß selbst die – jeder eingebürgerten Mittelmäßigkeit ebenso gewogene, als der genialen Ausnahmserscheinung abgeneigte – Lokalkritik sich ihr gegenüber nicht immer zum Schweigen verpflichtet fühlte.21 In der Erinnerung Wagners, der kein charakteristischer Vorgang entfiel, lebten die köstlichsten Anekdoten über den seltsamen, ebenso allgemein für tüchtig geltenden als – den höheren Aufgaben der Musik gegenüber – durchaus unfähigen Menschen fort, dem er durch seinen Eintritt in die Dresdener ›Kapellmeisterei‹ zur ergänzenden Verständigung in Kunstsachen an die Seite gestellt war. Eines Abends, da er ihn im Theater beschäftigt glaubte, sei er ihm zu seiner Verwunderung um neun Uhr auf der Elbbrücke begegnet; erstaunt habe er ihn gefragt: ›Aber, lieber Kollege, haben Sie denn heute nicht Oper?‹ und die tiefbefriedigte Antwort erhalten: ›Oper gehabt, »Stumme« schon zu Ende! Nicht wahr, ein echtes Kapellmeisterkunststück?‹22 Die Art, über solchem Herunterdirigieren den Organismus des Kunstwerkes zu vergessen, war Wagner in tiefster Seele zuwider; sein Streben nach einer kräftigen Einwirkung in der entgegengesetzten Richtung und die vielfache öffentliche Anerkennung, die ihm dafür seitens des Publikums wie der Direktion nicht ausblieb, brachte den von Natur jovialen, ja gutmütigen älteren Kollegen zu dem jüngeren bald in eine eifersüchtige Oppositionsstellung, die zwar nie offen von Person zu Person, desto wirksamer aber durch allerlei Nebenkanäle sich kundgab.23 Sehr aufrichtig ist Reißigers Freundschaft für Wagner nie gewesen! Der ›Reißigersche Kuß‹, mit dem er den jungen Meister nach jedem seiner Erfolge begrüßte, blieb im [11] Kreise Wagners und seiner Freunde ein sprichwörtliches Synonym für den Judaskuß, ein Symbol der Falschheit und Verstellung, um seine wahre Gesinnung zu verbergen.24 Diese bloß verborgen gehaltene, nie aber unterdrückte Gesinnung war tatsächlich vom ersten Momente seiner Bekanntschaft mit Wagner, d.h. von dem Augenblick an, in welchem er die Überlegenheit seines Genius erkannte, eine feindselige. Insgeheim stand er begünstigend an der Spitze einer jeden, in Dresden gegen den jungen Meister gehegten und geschürten Opposition. Sehr zustatten kam ihm dabei die äußerst fruchtbare, nach allen Richtungen der Windrose sich ausbreitende Lokalberichterstattung eines gewissen Schladebach,25 mit ihrer konsequenten Herabsetzung Wagners zu seinen Gunsten. Ungeachtet ihrer leicht durchschaubaren und mehrfach als solche gekennzeichneten Animosität, haben diese Berichte nicht wenig dazu beigetragen, dem Ansehen Wagners als Dirigent nach außen hin zu schaden und damit andererseits den Interessen seines biederen Amtsgenossen durch den Kontrast auf eine sonderbare Art förderlich zu werden. Bei alledem hatte Reißiger (nach Gutzkow) ›die ständige Miene des zärtlichen Vaters, des liebevollen Freundes, der für jeden das ihm Wohlgefällige bedachte und auch für Richard Wagner alles getan haben würde, wenn nur gerade dies oder jenes in seiner Macht gelegen hätte‹. Die ›sächsische Kunst der Verstellung‹ habe sich in dem etwas pietistisch angelegten, in seinen Formen immer liebenswürdigen Biedermanne mit Virtuosität offenbart. ›In seinem innersten Wesen haßte er, was er zu hassen um alles in der Welt nicht scheinen mochte! Denn er wollte nicht neidisch erscheinen; er wollte nicht zeigen, daß »der Schiffbruch der Medusa«, seine letzte Oper, für ihn dem »Tannhäuser« gleichkam‹ u.s.w.26 Als sein Grundwesen bezeichnet daher Wagner, nachdem er im Verlauf der sechs Jahre seiner Dresdener ›Kollegenschaft‹ dieses genau kennen gelernt, eben einfach das nackte Philistertum; er sei – bei aller Begabtheit – charakterlos, neidisch, feig und unterwürfig gewesen. ›So ein Mensch, der schwach und ohne Mut ist, will alles so erhalten wissen, wie es ihm und seiner Lauheit am bequemsten ist, – nicht etwa um irgend einer Sache[12] willen, sondern wegen seines lieben Ichs, das er selbst nicht zu verteidigen vermag. Zu solchen Leuten gesellt sich, wer ihnen gleich ist, aber niemand anders kann mit ihnen gemeinschaftliche Sache machen.‹27

Einen charakteristischen Zuwachs hatte hingegen die kleine Gruppe warm ergebener Freunde des jungen Meisters – Tichatschek, Fischer, Ferdinand Heine – in der Person des neben Reißiger und Wagner neu angestellten Musikdirektors August Röckel erhalten, der sich ihm sogleich mit begeisterter persönlicher Anhänglichkeit anschloß. Er war, als der Sohn jenes durch seine Beziehungen zu Beethoven bekannt gewordenen Tenorsängers und Theaterunternehmers,28 am 1. Dezember 1814 zu Graz geboren und hatte den Vater auf dessen Reisen im In- und Auslande begleitet, offenen Auges und regen Geistes, lebhaft interessiert für die politischen Reformideen seiner Zeit. In Paris wurde er, kaum sechzehnjährig, Zeuge der mit ihren tieferregenden Vorgängen an ihm vorüberbrausenden Juli-Revolution. Die persönliche Bekanntschaft der Volksmänner Lafayette, Lasfitte, Marrast war auf ihn von bleibendem Eindruck: enthusiastisch entflammte er sich für ihre idealen Ziele. ›Im Laufe der nächsten Jahre‹, erzählte er selbst, ›führte mich der Zufall auch in die Kreise spanischer und portugiesischer Flüchtlinge, deren Erzählungen meinen Haß gegen Heuchelei und Willkür noch verstärkten, – ein Gefühl, das nicht wohl gemildert werden konnte durch den Anblick der vielen, nach dem heldenmütigsten Kampfe aus ihrem Vaterlande vertriebenen Polen.‹ In England, wohin er dem Vater 1832 folgte, um ihn als Chordirigent bei seinem Opernunternehmen zu unterstützen, spielte sich vor seinen Augen das Schauspiel einer großen Reformbewegung ab: ›ich lernte erkennen, wie die tiefgreifendsten staatlichen Umwandelungen sich leicht und friedlich vollziehen können, sobald die Regierung nur ihre Stellung als Dienerin des Staates begreift und die hieraus ihr erwachsenden Aufgaben ehrlich vollzieht‹. Unter den freien Institutionen dieses Landes herangereift, von Eindrücken reich erfüllt, kehrte August Röckel – um die Zeit von Wagners Aufenthalt in Riga – nach Deutschland zurück, um zunächst in dem kleinen Weimar, unter Anleitung seines Oheims J. N. Hummel, seine musikalische Ausbildung als Dirigent und Klavierspieler zu vervollkommnen. Als Musikdirektor bot sich ihm an demselben Orte, sodann in Bamberg, eine Stellung, und durch seine Verheiratung mit der Tochter F. Lortzings (eines Vetters des Komponisten) gründete er sich einen häuslichen Herd. In gleicher Eigenschaft war er nunmehr nach Dresden berufen, nachdem ihm die Einsendung der Partitur[13] seiner Oper ›Farinelli‹ den Weg dahin gebahnt.29 ›Hier trat er zu Richard Wagner, mit dem ihn die gleichen Gesinnungen und Ideale verbanden, in ein überaus intimes Verhältnis. Des Freundes Werke galten ihm als Offenbarungen; sie machten auf ihn einen so überwältigenden Eindruck, daß er auf die Aufführung seiner eigenen Oper freiwillig verzichtete und sein produktives Talent fortan völlig hintanstellte‹.30 – Der geistig regsame und anregende junge Mann, in der Dresdener Gesellschaft und auch bei Hofe sehr wohl gelitten, übte wechselsweise auf Wagner eine große Anziehungskraft. Röckels begeisterte freiwillige Unterordnung unter den als höherstehend Erkannten war für ihn ersichtlich kein Opfer, sondern ein Bedürfnis seiner Natur und seiner Überzeugung. Er fühlte sich der überlegenen Genialität gegenüber, die er feurig und unumwunden anerkannte, jederzeit nur als den Empfangenden, nicht als den Gebenden.

Zu den entscheidendsten persönlichen Beziehungen seines ersten Dresdener Winters gehört für Wagner jedenfalls die ununterbrochene Berührung mit der großen Schröder-Devrient. Schon während ihres Studiums des ›Adriano‹, mehr noch der ›Senta‹, gab es beständige Veranlassung zu regem Gedankenaustausch mit der unvergleichlichen Künstlerin, die bereits in seiner frühesten Entwickelung einen so nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht. ›Die entfernteste Berührung mit dieser außerordentlichen Frau traf mich elektrisch‹, sagt er von ihr; ›noch lange Zeit, bis selbst auf den heutigen Tag (1851), sah, hörte und fühlte ich sie, wenn mich der Drang zu künstlerischem Gestalten beseelte.‹ Als er jetzt – zu Beginn der vierziger Jahre – ihr wiederbegegnete, die ihn einst zu seiner Isabella im ›Liebesverbote‹ begeistert, fand er sie im vollendeten achtunddreißigsten Lebensjahre auf dem fast schon überschrittenen Gipfel ihrer ruhmreichen Laufbahn. von ihrer menschlichen Persönlichkeit, die ihm erst um diese Zeit vollends nahetrat, gibt er noch dreißig Jahre später31 ein so lebensvolles Bild, daß er ihr damit für alle Zeiten ein unvergängliches Monument errichtet hat. ›War sie auf der Bühne‹, so heißt es darin, ›ganz das andere Wesen, das sie vorstellte, so war sie dagegen im Leben ganz sie selbst. Die Möglichkeit, sich für etwas geben zu wollen, was sie nicht war, lag ihr so unvorstellbar fern, daß sie hierdurch allein sich stets in der Vornehmheit zeigte, zu welcher die Natur sie andererseits mit festen [14] Zügen bestimmt hatte. In der Sicherheit und dem Adel ihres Benehmens konnte sie das Vorbild jeder Königin sein. Ihre leicht gewonnene, aber stets sorgfältig gepflegte Bildung beschämte oft die Schöngeister, welche sich ihr huldigend nahten, und welche sie aus den verschiedensten Nationen sich gegenseitig in der Sprache eines jeden vorstellen konnte, wodurch diese zuweilen in eine Verlegenheit gerieten, der sie dann gutmütig wieder aufhalf. Durch Witz wußte sie ihre Bildung zu verbergen, wenn sie mit ungebildeten Herren, z.B. unseren Hoftheaterintendanten, umging: ganz ließ sie aber jenem die Zügel schießen, wenn sie unter ihresgleichen war, als welche sie gern und ohne Hochmut ihre Theaterkollegen ansah.‹ In diesem Kreise, wie überall, wo sie wußte, daß man ihre Eigentümlichkeit ohne Rückhalt gelten ließ, schwand die Zurückhaltung, die sie sich in der sogenannten vornehmen Gesellschaft aufzuerlegen wußte: hier ließ sie ihrem natürlichen Humor, ihrer seltenen Gabe des Erzählens freien Lauf und konnte die Heiterkeit, ja die Ausgelassenheit selbst sein.32 An dem jungen Meister konnte sie eine Eigenschaft nicht ausstehen, die nämlich, daß er verheiratet war, was zu seiner Genialität gar nicht passe; sie nannte ihn deshalb in übermütiger Neckerei den ›Ehekrüppel‹. ›Sie war leidenschaftsvoll und wurde deshalb viel betrogen, aber sie war unfähig, die an ihr begangenen Gemeinheiten zu rächen; sie konnte zur Ungerechtigkeit im Urteilen hingerissen werden, nie aber im Handeln. Unbefriedigt durch die wechselvollsten Lebensbegegnungen, füllte ihr unermeßlich weites Herz nur das Mitleiden gänzlich aus; sie war wohltätig bis zur königlichen Verschwendung, denn einzig fremdes Leiden war ihr unerträglich‹.33 – ›Ein Hauptleiden ging durch ihr Leben‹, fährt Wagner in ihrer Charakteristik fort. ›Sie fand den Mann nicht, welcher der Beglückung durch sie ganz wert gewesen wäre. Und doch sehnte sie sich nach nichts so sehr, als nach einem stillbeglückten häuslichen Leben, welches sie andererseits durch die vollendetste [15] Begabung als Wirtin und Hausfrau so heimisch und sicher, als anmutig zu machen wußte.‹

In der Tat begründete dieses ›Hauptleiden‹ bei ihr eine ganze Leidensgeschichte, deren traurigster Höhepunkt in den Zeitraum der vierziger Jahre fiel. Die Katastrophe in ihrem schmerzensreichen Seelenleben bildete das Verhältnis zu einem Kgl. sächsischen Offizier, Herrn von Döring, das – zuerst i. J. 1842 angeknüpft – das liebes-, ja hingebungsbedürftige Herz der Künstlerin durch volle sieben Jahre an einen Unwürdigen knüpfte. Je größer die Qualen waren, die ihr eingebildetes Liebesglück ihr bereitete, um so mehr suchte sie sich die Realität desselben gewaltsam einzureden. Der Mann, an den sie sich wie im Fieberrausche des Wahnsinns wegwarf, gewann bald eine solche Macht über sie, daß sie ihm ihr Vermögen und ihre Gesundheit opferte Unaufhörlich jagte er sie von einem Gastspiel zum anderen, um das Erworbene am Spieltisch zu verprassen. Die Anfänge dieser unheilvollen Verbindung sah Wagner unter seinen Augen entstehen und beklagte, daß ihr großes Herz sich an dieser Verbindung befriedigt wähnen durfte, wenn auch in der Weise, daß ›der Wahn dem Bedürfnisse nie wahrhaft verhüllt werden konnte‹. Immer waren es nur jene, schauerlich wonnevollen Seelenkrämpfe der Entrückung aus sich selbst während des Doppellebens auf der Bühne, die ihr den einzigen Trost für ein verfehltes Lebensglück gewährten. So traf er diese geniale Natur in die mannigfachsten Widersprüche verwickelt, die ihn um so beunruhigender mit berührten, als sie in ihr sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit äußerten. Die Verzerrtheit und widerliche Hohlheit unseres modernen Theaterwesens war um so weniger ohne Einfluß auf sie geblieben, als sie nicht die ›kalte Ruhe des Egoismus‹ besaß, um sich – etwa als Konzertsängerin – gänzlich außer den Rahmen des Theaters zu stellen und sich von jeder kompromittierenden Berührung mit demselben frei zu erhalten Sie war ja ›weder im Leben noch in der Kunst eine Erscheinung des Virtuosentums, das nur durch vollständige Vereinzelung gedeiht; sie war hier wie dort auf die Berührung, die Verschmelzung mit dem Ganzen hingedrängt, und dieses Ganze war eben in Leben und Kunst unser soziales Leben und unsere theatralische Kunst. Ich habe nie einen großherzigeren Menschen im Kampfe mit kleinlicheren Vorstellungen gesehen, als die, welche dieser Frau, durch ihre notwendige Berührung mit ihrer Umgebung, von außen zugeführt wurden.‹

Seine innige Teilnahme für die große und bewunderte Kunstgenossin wirkte nach allem weniger anregend als peinigend auf ihn, da sie ihm die Widersprüche, mit denen auch er zu ringen hatte, nur noch fühlbarer machte. Die Meisterschaft, die sie auch in der Reproduktion der von ihm ihr aufgegebenen Rollen entwickelte, ihre Leistung als Adriano, mehr noch als Senta, das persönliche Interesse endlich, das sie dem jungen Meister bewies, erweckten [16] in ihm den lebhaften Wunsch, ein Werk unmittelbar für sie selbst zu dichten. Er griff um dieses Zweckes willen zu dem verlassenen Plane der, ›Sarazenin‹ zurück, den er nun schnell zu einem vollständigen szenischen Entwurfe ausführte.34 Diese ihr vorgelegte Dichtung sprach sie jedoch wenig an, namentlich um Beziehungen willen, die sie gerade in ihrer damaligen Lage nicht wollte gelten lassen. ›Ein Grundzug meiner Heldin ging in den Satz aus: die Prophetin kann nicht wieder Weib werden. Die Künstlerin wollte aber, – ohne es bestimmt auszusprechen – das Weib durchaus nicht aufgeben; und erst jetzt muß ich gestehen, ihren sicheren Instinkt richtig würdigen zu können, wo mir die Erscheinungen, denen gegenüber ihr Instinkt sich geltend machte, verwischt worden sind, wogegen die große Trivialität derselben mich damals in einem Grade anwiderte, daß ich, von ihnen auf die künstlerische Frau zurückblickend, diese in einem ihrer unwürdigen Begehren begriffen halten mußte.‹ Ohnedies lief mit dem 1. April 1843 ihr zehnjähriger Kontrakt mit der Dresdener Hofbühne ab, und ihr Verhältnis zu dieser löste sich für jetzt. Beide Teile zeigten wenig Lust zur Verlängerung des Kontraktes; Herr von Lüttichau meinte unter ihren zunehmenden Extravaganzen und Eigenmächtigkeiten genug erduldet zu haben, und der gereizte Seelenzustand der Künstlerin ließ sie unter solchen Reibungen vollends die Geduld verlieren. Fast ein ganzes Jahr verging, ehe sich die für Dresden nichtsdestoweniger Unentbehrliche von neuem an ihre frühere Stellung fesseln ließ.

Kehren wir, nach dieser allgemeinen Umschau über die äußeren Bedingungen und Verhältnisse, unter denen Richard Wagner in seine Dresdener Amtstätigkeit trat, noch einmal zu den Februartagen des Jahres 1843 zurück, so haben wir aus denselben das an sich keineswegs hervorragende Ereignis der gleichzeitigen Anwesenheit Hector Berlioz' nachzutragen, der um eben diese Zeit zur Veranstaltung zweier Orchester- und Vokalkonzerte aus seinen Werken in der sächsischen Residenz eingetroffen war. ›Die Zeremonie der Vorstellung Wagners bei der Kapelle und seine feierliche Vereidigung‹, berichtet Berlioz in brieflicher Aufzeichnung,35 ›fand am zweiten Tage nach meiner Ankunft statt, und er hatte seine neue Autorität zum ersten Male dadurch auszuüben, daß er mich bei den Proben unterstützte, was er mit Eifer und sehr bereitwillig tat.‹ Die heiter erregte Stimmung des jungen Meisters bei der ersten Ausübung seines neuen Amtes bezeichnet er als die eines ›wohlbegreiflichen Freudenrausches‹. Wagner seinerseits spricht in einem Briefe an Lehrs nur von dem Bedauern, das ihm der ›unglückliche Mensch‹, dem der unbestreitbare Erfolg des Rienzi und des Holländers ersichtlich ein Greuel gewesen sei, mit seinem wenig erfolgreichen Dresdener Unternehmen eingeflößt habe. Wirklich ist der Grundton seiner späteren, [17] ebenso unbegreiflichen als unversöhnlich feindseligen Verbitterung gegen Wagner bereits in seinen damaligen Äußerungen unschwer wahrzunehmen. Er lobt ihn als Schriftsteller, um ihn nicht als Musiker anerkennen zu müssen. Er berichtet von einer Vorstellung des ›fliegenden Holländers‹, sowie auch einer solchen vom zweiten Teile des ›Rienzi‹,36 der er beigewohnt: aus letzterer habe ihm besonders Rienzis Gebet auf dem Capitol und der Siegesmarsch gefallen, den er für eine ›wohlgeformte freie Nachahmung des prachtvollen Marsches in Spontinis Olympia‹37 erklärt. An beiden Werken tadelt er nach einmaliger Anhörung den ihm zu reichlich dünkenden Gebrauch des Tremolo; es verrate in seiner häufigen Wiederkehr, wenn ihm weder oben noch unten eine hervortretende Idee zur Seite gehe (!), eine gewisse Geistesträgheit des Autors! Rühmend gedenkt er der ungewöhnlichen Kraft und Präzision, mit welcher Wagner an der Spitze seines Orchesters beide Opern dirigiert habe; von der genialen Gestaltungskraft der Schröder-Devrient weiß er hingegen nicht mehr zu sagen, als: sie sei als Senta weit mehr an ihrem Platze gewesen, wie als Adriano Colonna; die Jünglingsrolle habe sich mit ihren ›bereits etwas mütterlichen Formen‹ nicht mehr vertragen. überdies rügte er in seiner, durch nichts zu mildernden Antipathie gegen die große Künstlerin selbst in ihrer Darstellung der ›Senta‹ ihre ›gekünstelten Stellungen‹ und den ›überall, anstatt gesungenen, bloß gesprochenen Vortrag der Affektstellen‹.38 Seltsam genug nimmt es sich daneben aus, wenn er dem Sänger des ›verdammten Holländers‹, dessen darstellerischer Fähigkeit nach seinem eigenen bescheidenen Bewußtsein die Verkörperung des dämonisch leidenden ruhelosen Seefahrers tatsächlich so wenig glücken wollte ›ein wirkliches, ganz reines und vollständiges Talent zuspricht, dessen Eindruck auf ihn sehr lebhaft gewesen sei‹. So wenig eigentliches Verständnis des Werkes er mit diesem Urteil nach den beiden entscheidenden Richtungen hin an den Tag legt,39 unterläßt er es dennoch nicht, das Verdienst beider Opern und die dichterisch-musikalische [18] Doppelbegabung ihres Schöpfers in seinem Pariser Briefe rühmend anzuerkennen. Er konnte wohl damals nicht anders. Das habe, so schließt er, auch der König von Sachsen gefühlt; und als er den Komponisten des ›Rienzi‹ zu seinem Kapellmeister ernannt, hätten die Kenner der Kunst Sr. Majestät mit Recht sagen dürfen, was der unerschrockene Seebär Jean Bart Ludwig dem XIV. erwiderte, als ihm dieser seine Ernennung zum Flottenbefehlshaber ankündigte: ›Sire, das haben Sie recht gemacht‹.40

Die durch die Anwesenheit des französischen Tonmeisters ausgezeichnete ›Holländer‹-Aufführung muß die in die erste Februar-Woche entfallende vierte – und für längere Zeit letzte!41 – gewesen sein, an welche eine spätere Freundin des Meisters, damals als Frl. Eliza Sloman42 aus Hamburg, Tochter eines dortigen begüterten Schiffsreeders, in Familienangelegenheiten in Dresden weilend, ihre frühesten Erinnerungen an Person und Werke des Meisters knüpft. ›Ich hatte Wagner i. J. 1843 in Dresden in einer Abendgesellschaft bei dem Major Serre, dem späteren Gründer der Schillerstiftung, kennen gelernt. Es war eine flüchtige Begegnung geblieben; Wagners Bild aber hatte sich mir eingeprägt: die seine, bewegliche Gestalt, der Kopf mit der mächtigen Stirn, dem scharfblickenden Auge und den energischen Zügen um den kleinen, festgeschlossenen Mund. Ein Maler, der neben mir saß, machte mich auf das gerade, vorspringende Kinn aufmerksam, welches, wie aus Stein gehauen, dem Gesichte einen besonderen Charakter gab. Seine Frau hatte ein angenehmes Äußere; sie war heiter und gesprächig und schien sich in der Gesellschaft besonders wohl zu fühlen. Er war von großer Lebhaftigkeit, selbstbewußt, aber liebenswürdig natürlich. Ich hatte den Tag vorher den »fliegenden Holländer« gesehen; Frau Schröder-Devrient paßte in das poetische Land der Sage, welches Dichtung und Musik des Meisters vor uns aufgeschlossen. Hector Berlioz war damals ebenfalls in Dresden und führte seine phantastisch großen Schöpfungen auf. Auch »Rienzi« sah ich in Pracht und Glanz der Szene; Tichatschek mit der Macht seiner Stimme imponierte als Tribun, das neu erstandene Rom begrüßte die Friedensgesandten. Reich war alles, feurig und anregend.‹43

Die erste Vorstellung unter Wagners Leitung sollte Glucks ›Armida‹ sein, die, bis dahin in Dresden ganz unbekannt, am Sonntag den 5. März, zum Namenstage des Königs, mit großer Pracht in Szene zu gehen bestimmt war.44 Mit voller Begeisterung und hingebender Sorgfalt widmete er sich [19] dem Studium des Werkes; das Ergebnis war eine Leistung von edler Gediegenheit, wozu in gleichem Maße die Darsteller der Hauptrollen beitrugen. ›Wer den Genuß gehabt hat, der damaligen Vorstellung beizuwohnen‹, schreibt ein Augenzeuge derselben,45 ›wird den Eindruck nie vergessen, welchen diese wunderbaren, in Dresden nie gehörten Töne auf die begeisterten Hörer machten. Selten wohl wird diese Meisterschöpfung in solcher Vollkommenheit über die Bühne gegangen sein.‹ Es war das erste Mal, daß ihm Gelegenheit ge boten war, ein Glucksches Werk zur Vorführung zu bringen; noch dazu unter so günstigen Verhältnissen und mit so ausgezeichneten Mitteln, daß es ihm dabei vollauf vergönnt war, seine Intentionen zu verwirklichen. ›Über meine Auffassung dieser, unserer Zeit so fern liegenden Musik, über die Nuancen, die ich das Orchester und die Sänger beobachten ließ, war nun alles außer sich.‹46 Der König, ein besonderer Freund der Gluckschen Schöpfungen, ließ ihm noch während der Vorstellung seinen besonderen Dank mit den größten Lobeserhebungen melden.47 Neben seiner geistvollen Leitung, die ein so tiefes Eindringen in jede Einzelheit der Komposition und des dramatischen Vorganges bewies, wie man es an dieser Stelle seit lange nicht wahrgenommen, gebührte der Preis der genialen Darstellerin der Armida, der Schröder-Devrient, und Tichatschek als ritterlichem Repräsentanten des Rinaldo. ›Armida‹ wurde schnell eine Lieblingsoper der Dresdener und füllte das Haus – bis zum baldigen Abgange der Hauptdarstellerin – in vielen Wiederholungen.

Das phantasievolle, auf höchste Ziele gerichtete Streben des neuen Dirigenten teilte sich anregend und erhebend den älteren wie den jüngeren Mitgliedern der königlichen Kapelle mit. Es tat wohl, unter seiner feurigen Leitung die künstlerischen Aufgaben tiefer zu erfassen und bis in ihre feinsten Züge zu verfolgen: dem hergebrachten Formalismus stellte sich mit einem Schlage das Prinzip der lebensvollen charakteristischen Eigentümlichkeit gegenüber. Andererseits konnte er auch vermöge der schonendsten kollegialischen Haltung, die er zu seinem älteren Kollegen Reißiger einzunehmen bemüht war, nicht vermeiden, daß dieser, wie bereits des näheren ausgeführt, mit merklicher Eifersucht auf ihn und seine Erfolge blickte Selbst im Orchester regten sich ähnliche Empfindungen unter solchen Angehörigen desselben, die unter der bisherigen schlaffen Zucht eine mehr oder weniger dominierende Stellung eingenommen hatten. Unter ihnen tritt uns recht augenfällig der Konzertmeister Lipinski entgegen. Dieser vorzügliche polnische Geigenvirtuos – eine wirkliche Zierde der Dresdener Kapelle durch die außerordentliche [20] Intensität seines Tones, die geistige Durchdringung des Vortrages, die Kraft und Beseelung des Ausdruckes – hatte sich sogleich während der ersten ›Rienzi‹-Proben unter den Enthusiasten für das neue Werk und seinen Schöpfer hervorgetan: ›er fand gar keinen Ausdruck stark genug für sein Entzücken‹.48 Gleichwohl scheint er sich, in seiner genialen Virtuosen-Subjektivität, unter Reißigers bequemer Nachgiebigkeit, die es ihm gestattete, über dessen Kopf hinweg Vortrag und Tempo durch seine energische Bogenführung zu bestimmen, wohler als unter dem neuen Dirigenten befunden zu haben. Leider hatte sich Wagner nur allzubald davon zu überzeugen, daß in der Seele des heißblütigen, über die Maßen ehrgeizigen und leicht erregbaren polnischen Virtuosen nicht lauter Rechtlichkeit und Aufrichtigkeit wohne, sondern ein gut Teil Neid, Unredlichkeit, ja Falschheit des Charakters.49 Nachdem ihm in bezug auf diese letztere bereits von verschiedenen Seiten her mancherlei Warnungen zugekommen waren, erlebte er ein heiteres Beispiel dafür, das wohl allein hingereicht haben könnte, ihn vollkommen über seine Unzuverlässigkeit und handgreifliche Doppelzüngigkeit aufzuklären. Röckel hatte nämlich soeben seinen Amtsantritt als Dirigent in der katholischen Kirche mit einer Morlachischen Messe gehalten. Sehr wenig erbaut von der Wahl dieses Tonstückes, ging Wagner von dem Röckelschen Debüt nach Hause und stieß dabei auf Lipinski, der sich in lebhafter Erregtheit ganz entsetzt darüber äußerte: ›Welch ein erbärmliches Machwerk! Man muß ein Kreuz auf diese Messe zeichnen, damit sie bei Seite gelegt werde, um nie wieder zum Vorschein zu kommen! Wie kann man nur solches Zeug aufführen?‹ Nachdem er sich kaum fünfzig Schritt von Lipinski entfernt hatte, traf er auf Röckel und machte ihm Vorwürfe, daß er sich die Sache nicht vorher genügend angesehen, als er diese Messe zu seinem Debüt gewählt habe. Als er aber sein eigenes Urteil darüber durch das soeben von Lipinski vernommene Verdikt bekräftigte, rief Röckel ganz erstaunt: ›Ja, mein Gott! Gerade diese Messe hatte mir Lipinski zu meinem Antritt besonders[21] empfohlen!50 Was war von einem solchen Manne zu halten? Sehr bald hatte er von dieser Seite her ähnliches an sich selbst zu erfahren. Was Lipinski, in Gemeinschaft mit manchem einzelnen Mitgliede der Kgl. Kapelle, nach einem durchaus einträchtigen und durch künstlerische Begeisterung ausgezeichneten Zusammenwirken in den Proben und zahlreichen Aufführungen der Gluckschen ›Armida‹ hauptsächlich gegen Wagner erbitterte, war der Neid wegen der von allen Seiten dem Dirigenten gemachten Lobsprüche, trotzdem es der junge Meister sich angelegen sein ließ, diese Lobsprüche nie dahinzunehmen, ohne deren größten Teil der außerordentlichen Mitwirkung aller Kräfte der Dresdener Oper zuzuwenden. Von hier ab datierte bei ihm und seinem Anhang das Gefühl des Neides und der Eifersucht des bevorzugten und verwöhnten Virtuosen gegen Wagner als Orchesterleiter; und je mehr es dazu diente, sein künstlerisches Urteil über dessen tatsächliche Leistungen zu trüben und befangen zu machen, desto mehr war es andererseits dazu geeignet, ihn in einen engeren Anschluß an Reißiger zu drängen, wenn es galt, gegen Wagner erfolgreich zu intrigieren. Auf alle Fälle erhellt daraus deutlich, wie sehr der junge Künstler im Rechte war, eine Anstellung ›auf Probe‹ im voraus mit der Begründung abzulehnen, daß er dadurch, der mehr oder minder parteiischen Stimme der Orchestermitglieder bloßgestellt, ein für allemal die richtige Stellung zu seiner Kapelle verlieren würde!

Kam es nun auch in der Tat – bis auf einen hervorragenden, weiter unten zu erwähnenden Fall – nicht leicht vor, daß auf dem engeren Gebiete seiner praktischen Tätigkeit, aus dem Orchester, das mit Begeisterung seinem neuen Führer anhing, ein Widerspruch gegen seine Leitung sich erhob, so hatte er bald genug zu spüren, auf welches andere Terrain nunmehr der Schwerpunkt der gegen ihn erhobenen Angriffe verlegt war. Nämlich auf das einer entschieden feindseligen Lokalkritik. Hierher flüchtete sich so mancher gegen seine Orchesterleitung erhobene Einwand, um auf diesem unanfechtbaren, keiner Widerlegung zugänglichen Boden mit zäher Ausdauer eine durch nichts zu beseitigende Unsterblichkeit zu behaupten, die papierene Unsterblichkeit des immer neu auferstehenden geschriebenen und gedruckten Wortes. Hierher flüchtete sich der mit unbefangenster Miene gegen ihn erhobene Vorwurf der ›Selbstüberhebung‹ des jungen Dirigenten, der es sich herausnehme, die ›feststehende Tradition‹ der Kgl. Kapelle in bezug auf den Vortrag Weberscher oder insbesondere auch Mozartscher Werke zu durchbrechen, um neue Tempi, neue Nuancen einzuführen, von denen seine Vorgänger nichts gewußt hätten. Immerhin konnte es ihn dabei wiederholt als ein seltsames Symptom überraschen, gewisse Äußerungen, die von ihm keineswegs vor der Öffentlichkeit, sondern in den Proben getan waren, von jener Seite her zum Ausgangspunkte irreleitender öffentlicher Beurteilungen [22] gemacht zu sehen. Im übrigen zeigte sich in all diesen Plänkeleien mehr oder weniger nur das bestimmte Gefühl davon, daß man es in ihm trotz aller Jugendlichkeit mit einer überlegenen Erscheinung zu tun habe, deren Aufkommen durch jedes Mittel zu verhindern war. Der verbissene Widerstand neidisch verborgener Gegner stand zu der freudig energischen Kraft und Wucht seiner überzeugungsvollen Betätigung in ganz entsprechendem Verhältnis. ›Neid, Mißgunst, Bosheit und Kurzsichtigkeit taten sich zusammen, dem hochstrebenden Adler die Flugbahn zu verlegen.‹51

Ehe wir hierfür das erste, für alle Folge entscheidende Beispiel anführen, haben wir noch eines Besuches zu gedenken, den im Frühjahr 1843 Mendelssohn in Dresden abstattete, um in dem alljährlich stattfindenden Palmsonntags-Konzert zum Besten des Pensionsfonds der Kapelle auf die Einladung des Komitees die Aufführung seines Oratoriums ›Paulus‹ zu leiten. Der berühmte Gewandhausdirigent, seit kurzem auch vom König von Preußen durch die Ernennung zum Generalmusikdirektor (neben Meyerbeer) ausgezeichnet, verschaffte den Dresdenern durch die Bereitwilligkeit, dieser Einladung zu entsprechen, einen Genuß von ungewöhnlicher Art; das Konzert war eines der glänzendsten zu nennen und hinterließ bei den zahlreichen Hörern einen tiefen Eindruck. So abhold Wagner von jeher der Gattung des Oratoriums an sich, dieses ›geschlechtslosen Opernembryo‹, war – man entsinne sich seiner Polemik gegen Fuge und Oratorium in seinem frühesten Artikel über die ›deutsche Oper‹52 – erkannte er dennoch in einem handschriftlich erhaltenen eigenen Artikel über das Konzert, dessen beabsichtigte Verwendung (vermutlich für eines der damaligen Dresdener Tagesblätter) uns unbekannt geblieben ist, das neue Werk freudig als ein ›Zeugnis von der höchsten Blüte der musikalischen Kunst‹ an, das uns ›mit gerechtem Stolz auf die Zeit erfülle, in der wir leben‹. Es tritt uns darin – von seiner Seite – das redlichste Bestreben entgegen, durch wohlwollende Überbrückung einer, unzweifelhaft schon damals von ihm empfundenen, trennenden Kluft es doch zu keinem eigentlichen Gegensatz zwischen dem berühmten Leipziger Tonmeister und seinem eigenen Wollen und Schaffen kommen zu lassen.53 ›Wir lernen‹, so bemerkt H. von Wolzogen anläßlich des ein halbes Jahrhundert später erfolgten Abdrucks dieses Artikels,54 ›wir lernen aus der Fassung des Aufsatzes dreierlei: zunächst, [23] in welcher noblen Art hier der jüngere Künstler, trotz innerlich schon abweichender Auffassung der Kunst und ganz entgegengesetzt gearteter Persönlichkeit, den älteren Meister bei einer entschieden bedeutenden Kunstdarbietung in der Mitte der eigenen künstlerischen Genossenschaft als liebenswürdigen Gast zu begrüßen trachtet; – sodann, wie er seinem seinen Gefühle für künstlerische Form und seiner Wertschätzung der darin sich bekundenden Begabung, auch bei vorhandener Abneigung gegen die Gattung, nicht zu hohen Ausdruck zu geben glaubt in der Bezeichnung eines hervorragenden Zeugnisses für diese bei uns seltenen Eigenschaften als »Meisterwerk«; – und endlich, welche Bedeutung er damals schon einer edlen Verbindung der Kunst mit der Religion beilegte, indem er, bezeichnend genug, dabei »unseren protestantischen Kirchenkultus« allein in das Auge faßt und von Mendelssohns gegenwärtigen Wiederbelebungsversuchen sofort übergeht auf das urdeutsch-evangelische Original: Sebastian Bach.‹55

Wie gern hätte er sich über das Vorhandensein der zwischen ihm und dem vielgepriesenen berühmten Gaste bestehenden unüberbrückbaren Kluft in gutem Glauben hinweggetäuscht, wäre sie ihm nicht durch so mancherlei Symptome stets von neuem wieder grell beleuchtet worden! Ein Beispiel dafür blieb ihm lange im Gedächtnis; es schreibt sich von demselben Palmsonntags-Konzerte her und ist in der Schrift ›Über das Dirigieren‹ festgehalten. Nach alter Tradition wurde bei diesen Konzerten regelmäßig ein Oratorium und eine Symphonie zur Anhörung gebracht; dem Mendelssohnschen ›Paulus‹ schloß sich diesmal die F dur-Symphonie Beethovens (Nr. 8) unter Reißigers Leitung an. Nun hatte Wagner von je unter dem widerwärtig verwahrlosten Zeitmaß gelitten, womit nach dem vorausgehenden, stets etwas verschleppten Allegretto scherzando des zweiten Satzes das Tempo di Menuetto des dritten in den gewöhnlichen Aufführungen dieser Symphonie ›mit nie wankender Entschiedenheit als erfrischender Ländler zum besten gegeben wird, von dem man nie weiß, was man gehört hat, wenn er vorüber ist‹56 und sich hierüber soeben mit seinem Dresdener Kollegen in ein Einverständnis gesetzt, das für die heutige Aufführung von entscheidendem Einfluß zu werden versprach. [24] ›Ich unterhielt mich mit Mendelssohn über das soeben besprochene Dilemma, über dessen richtige Lösung, wie ich ihm mitteilte, ich zwar mit meinem damaligen Kollegen mich verständigt zu haben – – glaubte; denn dieser hatte mir versprochen, das bewußte Tempo langsamer als sonst üblich zu nehmen. Mendelssohn gab mir vollständig recht. Wir hörten zu. Der dritte Satz begann, und ich erschrak darüber, genau das alte Länd ler-Tempo wieder vernehmen zu müssen. Ehe ich aber meinen Unwillen hierüber äußern konnte, lächelte Mendelssohn, wohlgefällig den Kopf wiegend, mir zu: »So ist's ja gut! Bravo!« So fiel ich denn vom Schreck in das Erstaunen. War nämlich Reißiger, wie es mir bald einleuchten mußte, wegen seines Rückfalles in das alte Tempo nicht so streng zu verklagen‹ (für das gemäßigtere Zeitmaß hätte natürlicherweise auch ein ganz anderer Vortrag gefunden werden müssen!), ›so erweckte dagegen Mendelssohns Unempfindlichkeit im Betreff dieses sonderbaren künstlerischen Vorganges in mir sehr natürlich den Zweifel, ob hier überhaupt etwas Unterscheidbares sich ihm darstellte. Ich glaubte in einen wahren Abgrund von Oberflächlichkeit, in eine vollständige Leere zu blicken.‹

Trotz solcher bedenklichen und zum Nachsinnen anregenden Eindrücke gab Mendelssohns mehrtägige Dresdener Anwesenheit zu den Proben und Aufführungen seines Werkes manche Veranlassung zur Fortsetzung des im Spätherbst des Vorjahres – bei Wagners kurzem Leipziger Aufenthalt57 – begonnenen Verkehrs. Gewiß stand er dem von früh auf Verwöhnten und Umschmeichelten jetzt anders gegenüber, wie einst als ganz junger Mensch bei Überreichung des Manuskriptes seiner Symphonie, wo er sich – nach seinen eigenen offenen Worten – neben ihm wie ›stümperhaft‹ vorgekommen war: ›nur vier Jahr jünger und erst noch in mühsamen Anfängen begriffen, während jener schon ein ganz fertiger Musiker war und auch als gesellschaftlicher Mensch die anderen völlig in die Tasche steckte‹58. – Nur machte er dabei aufs neue die Erfahrung der eigentümlichen Art dieser gesellschaftlichen Verbindlichkeit; sie blieb glatt und kalt und war ihm gegenüber auch in der Folge nie zu irgend welcher menschlichen und künstlerischen Erwärmung zu bringen. ›In persönlichem Verkehr war Mendelssohn sehr liebenswürdig; in größerer Gesellschaft aber verlangte er mit auffälliger Eitelkeit, daß man sich einzig und allein mit seiner Person beschäftigte, und war förmlich verstimmt, wenn noch der eine und andere die Aufmerksamkeit auf sich lenkte‹, sagt sein warmer Bewunderer J. Nordmann von ihm. Insofern Wagner ähnliches schon damals an ihm erfuhr, durfte er sich, zu seinem aufrichtigen Bedauern, über die Ursachen dieser Zurückhaltung nicht im unklaren fühlen. ›Ich weiß aus guter [25] Quelle‹, schreibt er vertraulich an Lehrs, ›daß Mendelssohn – der jetzt auch eine Oper komponieren will – mehr als eifersüchtig auf mich ist: die Leipziger Clique, die ihm unbedingt gehorcht, weiß nun nicht, was sie mir für ein Gesicht ziehen soll: – die Esel! Gebe doch Gott, daß Mendelssohn eine tüchtige Oper herausbrächte, so wären wir ihrer zwei und könnten mehr ausrichten als Einer allein!‹ Man sieht, er hoffte damals noch auf ein Zusammenwirken, auf einen ehrlichen Wettstreit mit dem wirklichen positiven Können seines zurückhaltungsvollen Leipziger Antagonisten. Er hätte an einem lebensfähigen dramatischen Werke desselben so gewiß eine unbefangene Freude gehabt, als er in sich das unbeschränkte Vermögen fühlte, als Könnender mit dem Könnenden ringend, einen solchen Wettstreit einzugehen. Die Abfassung seines erwähnten Artikels, welche jetzt schwer zu erratende Bewandtnis es auch mit seiner Entstehung gehabt haben möge, zeigt jedenfalls von Wagners Seite nicht die mindeste ›Eifersucht‹, – immer das untrügliche Zeichen der Schwäche! Man kann sich nicht neidloser über einen reichbegabten Mitstrebenden ausdrücken, als es in den soeben hervorgehobenen, vertraulichen brieflichen Worten geschieht: im gleichen Sinne können aber auch die, ganz ersichtlich von ihm für die Öffentlichkeit bestimmten, anerkennenden Worte des ›Paulus‹-Artikels ihrem Urheber, künstlerisch wie menschlich, nur zur Ehre gereichen.

In seiner Amtsfunktion fand er es am übelsten mit dem Vortrage Mozartscher Musik bestellt. Wiederholt kam er in die Lage, zur Leitung eines Werkes an die Spitze eines Orchesters zu treten, dem eine, zu seinen eigenen früh gewonnenen Ansichten über die echte Tradition ihres Vortrages – man denke an seinen, darauf bezüglichen Verkehr mit Dionys Weber59 – in offenem Gegensatze stehende Spielweise zu eigen geworden war. Er selbst hatte diese Werke nicht einstudiert, von Grund aus wohl auch selbst nicht sein unmittelbarer Vorgänger in ihrer Leitung. Sie waren ihm in einer gewissen traditionellen Aufführungsweise übergeben, an die er sich nach seiner eigenen Schilderung zunächst – im einzelnen selbst seiner Überzeugung zuwider – anzuschließen suchen mußte, um die Aufführung, wie sie sich im wesentlichen nun einmal zuletzt festgestellt, so glatt und ungestört als möglich vorübergehen zu lassen. Doch nahm er es auf sich, bei der ersten Aufführung des ›Don Juan‹ unter seinem Dirigentenstabe (26. April 1843) dem Werke und seinem Schöpfer zu Ehren auf die Abhilfe einiger wesentlicher Übelstände in Zeitmaß und Vortrag bedacht zu sein. Zu einer vollkommenen, dem ihm vorschwebenden inneren Bilde entsprechenden Vorführung kam es dabei noch lange nicht; er hätte die Oper dazu – wie soeben ›Armida‹ – ›mit Sängern, die sie bisher noch nie fangen, ja selbst vielleicht mit einem Orchester, das sie [26] bisher noch nie spielte, von Grund aus neu einstudieren müssen‹. Der Eindruck der Aufführung auf das Publikum war in allen Teilen ein durchaus günstiger, seinen Erwartungen entsprechender; dennoch knüpfte sich an diese Vorstellung die erste bestimmte öffentliche Kriegserklärung der Dresdener Lokalkritik, ihr erster lauter Angriff auf seine Dirigententätigkeit. Seltsamerweise gerade in der Laubeschen Zeitschrift! Dasselbe Halbjahr der ›eleganten Welt‹, welches soeben seine Lebensschicksale in so freundlichem Sinne seinem weit ausgebreiteten Leserpublikum vorgeführt hatte,60 brachte in Anlaß dieser Aufführung aus reiner Unparteilichkeit eine förmliche perfide Anklageschrift gegen ihn als Dirigenten, in einem speziell sein Verhältnis zu Mozart behandelnden, anonymen ausführlichen ›Brief über eine Aufführung des Don Juan auf dem Dresdener Hoftheater‹. Der darin angeschlagene Ton ist kein feindselig heftiger, sondern gegen den ›jungen Kapellmeister‹ derselbe glimpfliche, scheinbar wohlwollende, welcher den ungenannten Verfasser als mit dem bereits erwähnten fruchtbaren Dresdener Lokalkritiker und Reißiger-Freunde Julius Schladebach identisch vermuten läßt,61 so sehr er sich in den Eingangsworten verhüllt und durch eine veränderte Chiffre auf eine andere Spur leitet.62 ›Ich war seit langer Zeit‹, heißt es darin ›bei keiner Aufführung des »Don Juan« zugegen gewesen; traurige Erfahrungen über die Behandlung, welche diesem Werke, wie andern Mozartschen, auf den meisten [27] unserer Bühnen zuteil wird, hatten mich zurückgeschreckt. Gestern nun zog mich die Hoffnung hinein, daß der junge Kapellmeister einen besseren Geist werde angeregt haben. Ich bezweifle weder seinen guten Willen, noch den Ernst seiner Bemühungen; von beiden hat er bei Glucks »Armida«, deren jede nachfolgende Aufführung er immer einsichtsvoller als die vorhergehende leitete, ehrenvolles Zeugnis gegeben.‹ Vielleicht also lag eine spezielle Abneigung gegen Mozart vor, wie sie Wagners öffentliche Gegner ihm nachmals mit so beharrlicher Vorliebe angedichtet haben?63 Auch diese meint der Kritiker nicht annehmen zu dürfen, wohl aber – in dem nachteiligen Einfluß seines mehrjährigen Aufenthaltes in Paris den Schlüssel zur Erklärung seiner fehlerhaften Zeitmaße zu finden! ›In Paris ist bei der Aufführung deutscher Kompositionen durchgängig der Fehler herrschend, daß die langsamen Tempi viel zu langsam, die raschen viel zu rasch genommen werden, und Herr Wagner war von Anfang bis zu Ende der Oper in denselben Grundfehler verfallen ... Die Tempi, wie sie gestern von ihm genommen wurden, sind die französischen‹ usw. Ihren Höhepunkt erreichten diese lächerlichen Beschuldigungen des anonymen Mozart-Kenners in der, albernerweise Wagner selbst zugeschriebenen Rechtfertigung: ›in Paris nehme man die Tempi so‹, – wonach sich der ›deutsche Musiker in Paris‹ alsbald nach seiner Heimkehr in einen ›Pari ser Musiker in Deutschland‹ verwandelt haben mußte! ›Allerdings [28] muß ich hinzufügen, daß der Kapellmeister in manchen Stücken nicht konnte, wie er wollte, daß er ein Tempo angab, die Sänger aber ein anderes nahmen, und ihm nichts übrig blieb als nachzugeben.‹ Hiernach wären also die ›Pariser Tempi‹ dem Dirigenten durch seine Sänger aufgedrängt worden! Jedenfalls konnte eine ähnliche Äußerung, während der Probe zu seinen Musikern getan, nur im anfeuernden Sinne der Berufung auf ein vorhandenes Beispiel für das verlangte richtige Zeitmaß, nicht aber – nach der sinnlosen Verdrehung des Kritikers – als ›Rechtfertigung‹ von ihm gemeint gewesen sein! – Die Dresdener ›Abendzeitung‹ hielt sich diesmal für veranlaßt, ihren Lesern die Auslassung ihrer Leipziger Kollegin ausdrücklich als ›sehr herb und meist nur halb wahr‹ zu bezeichnen; nichtsdestoweniger ist sie der tatsächliche Ausgangspunkt für ein von hier ab immer wieder sich erneuerndes konsequentes Bestreben, seine Dirigentenleistungen in den Augen der Öffentlichkeit herabzusetzen und den anfänglichen Liebling des Gesamtpublikums in eine Parteistellung zu drängen.

Derselbe Versuch einer Erschütterung seiner Dirigenten-Autorität, wie er hier in der journalistischen Öffentlichkeit sich kundgab, erhob sich nun aber fast gleichzeitig – und im gleichen äußeren Anlaß – auf einer der üblichen Generaldirektions-Sitzungen (1. Mai 1843); bei welcher Gelegenheit zwar nicht etwa Reißiger, der es nicht leicht zu offenen Gegensätzen kommen ließ, wohl aber der ebenfalls gegenwärtige Lipinski sich im eifrigen Wortgefecht zum Sprachrohr der Gegenpartei aufwarf. Indem er es darauf ansetzte, den in allen musikalisch technischen Angelegenheiten ganz urteilslosen Lüttichau durch seine Insinuationen recht eigentlich zu betäuben, wußte er zugleich dem von ihm Beschuldigten eine zusammenhängende ruhige und besonnene Darlegung durch seine ›steten vagen Unterbrechungen‹64 unmöglich zu machen. Von ›Pariser Tempi‹ war hierbei in Gegenwart dessen, der den Mißbrauch einer von ihm in ganz anderem Sinne getanen Äußerung so leicht zurechtstellen und diese vor einer bewußten Verdrehung schützen konnte, allerdings nicht mit einem Worte die Rede; dagegen wurden eigens für Lüttichau ganz andere Register aufgezogen und mit Emphase die ›Unantastbarkeit der Kgl. Kapelle‹ als treuer Traditionsbewahrerin zur Geltung gebracht. Gerade diesem Umstande einer allzugroßen Heftigkeit seines Gegners, durch welche wiederum der junge Meister selbst nach seiner eigenen Aussage ›bis zum Vergessen des schuldigen äußeren Anstandes aufgeregt wurde‹, ist es zu verdanken, daß er sich tags darauf (2. Mai) dazu bestimmt sah, um überhaupt zu Worte zu kommen, die ihm durch den Lipinskischen Redeschwall abgeschnittene mündliche [29] ›Rechtfertigung‹ in einer ausführlichen schriftlichen Darlegung seinem Vorgesetzten und Gönner Herrn von Lüttichau zu unterbreiten. Wir sind dadurch heute imstande, auf Grund dieses Schriftstückes über Angriff und Abwehr uns ein klares Bild zu machen; namentlich aber auch über die so gewaltsam inkriminierte ›Don Juan‹-Aufführung nicht allein die Rodomontaden eines eingeschworenen Gegners, wie Schladebach, sondern auch das eigene Urteil des hart angefochtenen Dirigenten zu vernehmen. ›Seit den Aufführungen der »Armida« bin ich‹, so lauten seine Worte, ›mit der Kapelle in keinerlei Zusammenwirken mehr getreten als bei der Probe des »Don Juan«: nachdem bis dahin dem Erfolge meiner Leistungen nichts anzuhaben war, hat man nun die Aufführung dieser Oper, die aus vielen Ursachen, mit denen ich nichts gemein habe, mißlungen zu nennen war, als geeignete Gelegenheit ergriffen, meine Leitung derselben anzugreifen, und sucht den Vorwand dazu in Änderungen, die ich in viel größerer Ausdehnung darin eingeführt haben soll, als dies wirklich der Fall ist. Herr Lipinski bestreitet mir das Recht und die künstlerische Befugnis zu dergleichen Abänderungen und stützt sich dabei zunächst auf die Untrüglichkeit der bisherigen hier üblichen Auffassungen älterer Opern, ohne dafür nähere Gründe als die der geheiligten Gewohnheit anzuführen. Nun will ich zur Umstoßung dieser Behauptung nur eins aufstellen: als mir von Ew. Exzellenz der Auftrag ward, »Euryanthe« zu dirigieren, bat mich die Witwe des verewigten Schöpfers dieser Oper um eine Unterredung, in welcher sie mich beschwor, doch endlich diese Musik dem Publikum wieder so zu Gehör zu bringen, wie Weber es verlangt hätte; denn es seien Vergreifungen der Tempi usw. hier eingerissen, die für die, welche sich noch deutlich erinnern, wie Weber ihnen dies wiederholt vorgespielt, sehr oft ganze Teile des Werkes entstellt erscheinen ließen. Sie wies mich zur genauen Kenntnisnahme der Tempi, wie sie Weber sich gedacht, an Mme. Schröder-Devrient, welche, wie sie wisse, den Geist der ersten Aufführungen unter Weber treu im Gedächtnis bewahrt habe. Mme. Schröder-Devrient bestätigte die Ansichten der Frau v. Weber durch ihre Mitteilungen vollkommen. Ew. Exzellenz ersehen hieraus, wie eine Oper, die an demselben Orte, bei derselben Kapelle unter Leitung des Komponisten einstudiert wurde, binnen zwanzig Jahren bedeutend von der ersten und wahren Auffassung abweichen kann; und ich frage nun, wer will gültiger Bürge für die treue Bewahrung der Tradition bei einer Oper sein, die vor 50 Jahren bereits hier gegeben und nie unter der Leitung des Komponisten aufgeführt worden ist? – Herr Lipinski stellte mir ferner gestern in Gegenwart Ew. Exzellenz die Unantastbarkeit der Leistungen der Kgl. Kapelle entgegen: daß dies seinerseits nur eine Phrase war, durch deren Anwendung er in den Augen Ew. Exzellenz mir gegenüber das leichteste Spiel zu gewinnen hoffte, ist für mich, der ich Herrn Lipinskis Äußerungen und Ansichten über den Stand der [30] Kapelle wiederholt kennen gelernt habe, unzweifelhaft. Im Gegenteil ist er mit mir darüber einig, daß in einzelnen Teilen unseres Orchesters, als in der zweiten Violine, den Hörnern, der ersten Trompete, sowie bei manchen zweiten Blasinstrumenten, nicht immer so gespielt wird, wie gespielt werden sollte; den Vortrag der einzelnen Virtuosen in unserer Kapelle stelle ich natürlich beiseite. Wenn nun Herr Lipinski an diese Unantastbarkeit selbst nicht glaubt, – warum stellt er mir sie bei einer Gelegenheit und vor einer Person, wo mir das leicht gefährlich werden konnte, so drohend entgegen? In der Tat, so sehr Herr Lipinski sich den Anschein gab, nur im Interesse der guten Sache zu reden, so kann ich doch nicht umhin zu glauben, daß er entschieden nur aus gekränkter Eitelkeit in seinem persönlichen Interesse aufgetreten ist, so geschickt er dies auch mit dem allgemeinen zu vermengen wußte.‹ Das Endergebnis war eine Art von Kompromiß, indem der junge Meister am Schlusse jener stürmischen Sitzung das mündliche (und nun schriftlich wiederholte) Versprechen ablegte: sein Verhalten der von ihm geleiteten Kapelle gegenüber mit allem Fleiße so einzurichten, daß deren begründeten oder unbegründeten Klagen zunächst und überhaupt die Veranlassung entzogen werden sollte. Er verpflichtete sich damit – nicht zum Vorteil der Kapelle! – bei der Direktion von älteren Opern, selbst wenn es seiner künstlerischen Überzeugung zuwiderlaufen sollte, nichts in den bisher hier gültigen Auffassungen der Tempi usw. abzuändern, ohne sich jedoch daran verhindern zu lassen, bei dem Studium neuer Opern nach besten Kräften zur möglichsten Vollendung ihrer Darstellung beizutragen.

Im Betreff der Persönlichkeit Lipinskis war er sich vollkommen dessen bewußt, daß auch Leute von einem solchen Charakter bei ihren sonstigen ausgezeichneten Fähigkeiten die Zierde eines Kunstinstitutes, wie des ihm anvertrauten Orchesters, sein könnten, und daß man im Gegenteil nur sehr selten alle Vortrefflichkeiten des Charakters und des Geistes vereinigt finden könne. ›Auch ich, wenngleich ich mich von so groben Charakterfehlern rein weiß, habe mir Heftigkeit und Unbesonnenheit meines Temperamentes vorzuwerfen und kann mich daher nicht beklagen, daß mir jetzt eine Lehre geworden ist, die jedenfalls den Vorteil für mich hat, daß sie mich schnell aus einem Irrtum reißt: nämlich aus dem Irrtum, Leute für meine Freunde zu halten, die sich mir als solche geben. Ich weiß jetzt plötzlich, welchen Weg ich zu verfolgen habe, um nach und nach zu einem Ziele zu gelangen, das ich im feurigen Eifer für die Sache bereits in der nächsten Nähe glaubte, und somit verspreche ich Ew. Exzellenz ganz insonderheit auch bei meinem ferneren Zusammenwirken mit Herrn Lipinski, mit vollkommenem Vergessen der betrübenden Erfahrungen, die ich über seinen Charakter als Mensch machen mußte, in ihm nur noch den Künstler vor Augen haben zu wollen, als welchem ich ihm meine bewunderndste Hochschätzung ja nie werde versagen können.‹ [31] Goldene Worte des jungen Feuergeistes, der darin seine ganze frühzeitige Reise und sittliche Überlegenheit, sein volles Aufgehen in der Sache, seine Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung bekundete. Goldene Worte um so mehr, als sie von seiner Seite auch mit unverbrüchlichster Konsequenz in Taten umgesetzt wurden! Dieser erste Konflikt mit einem seiner Orchestermitglieder blieb für längere Zeit, dank seiner unvergleichlich ihm eigenen Gabe, einen jeden in seiner Natur zu durchschauen und danach zu behandeln, auch der letzte, während allerdings die Erinnerungen unbeteiligter Zeitgenossen den ehrgeizigen, ›schlauen Polen‹ noch in anderen Fällen als Widersacher des jungen Meisters anführen, wovon uns weiterhin noch ein frappantes Beispiel begegnen wird. Ihm selbst dagegen bereitete es nur ein Gefühl der Befriedigung, seinen Gegner zu versöhnen und, soweit dies in seinen Kräften stand, sich zum Freunde zu machen. Mit Genugtuung berichtet er daher in einem seiner Briefe an Minna, bei Gelegenheit der Schilderung eines heiteren Zwischenfalles, wie sich Lipinski von neuem feurig für ihn erklärt habe. Es war anläßlich der Durchreise der Großfürstin Helene von Rußland (30. Mai) ein kleines Hofkonzert im kgl. Lustschloß Pillnitz erst befohlen, dann wieder abgesagt worden; die Musiker waren unter Wagners Leitung vergeblich nach Pillnitz hinausgefahren. Die Sängerin Spatzer-Gentiluomo fuhr ›wie eine rechte Komödiantin‹ auf den, sich wegen des Irrtums entschuldigenden Hofmarschall Reitzenstein los und, wie Wagner weiter berichtet, ›wir Männer gingen in den Gasthof, unseren Hunger zu stillen. Dort haben wir uns sehr gut bis 1/211 Uhr amüsiert, und es war mir diese Gelegenheit eigentlich recht, um einmal mit diesen Anführern der Kapelle (Lipinski, Kummer usw.) zusammen zu sein. Lipinski wurde vollends wieder Feuer und Flamme für mich, er bat mir durch eine recht herzlich gemeinte Umarmung das mir getane Unrecht völlig ab.‹65

Mitte Mai bereits war Reißiger zur Stärkung seiner kostbaren Gesundheit auf Urlaub gegangen; für den zurückbleibenden Amtsgenossen bedeutete dies eine ansehnlich vermehrte Arbeitslast. Er hatte nun den ganzen Dienst in Theater und Kirche allein zu besorgen, wobei ihm einzig der treue Röckel zur Seite stand. Daneben hatte er in dem aufrichtigen Verlangen, inmitten des Publikums seiner neuen Umgebung festen Faß zu fassen, noch anderen zeitraubenden Verpflichtungen sich unterzogen. Bald nach seinem Amtsantritt ließ er sich dazu bestimmen, als ›erster Liedermeister‹ die Leitung des hervorragendsten Dresdener Männergesangvereins, der i. J. 1839 begründeten ›Liedertafel‹, zu übernehmen, deren energischer, leidenschaftlich tätiger Vorstand, Prof. Dr. Löwe, sich ihm bald näher befreundete. Es galt nicht allein die regelmäßigen Proben dieses Gesangvereins zu leiten, auch bei besonderen [32] Festlichkeiten ward nunmehr auf ihn als Dirigenten und Komponisten gerechnet. Für den Sommer 1843 bereitete sich auf Anregung Löwes, als begeisterten Gesangfreundes, ein allgemeines Musikfest der sächsischen Männergesangvereine in der Residenz vor. Das Jahr vorher hatte man, nach dem Vorbilde der Schweiz, der Rhein- und Niederlande, zum ersten Male ein derartiges Fest veranstaltet; das diesjährige sollte noch glänzender ausfallen. Von ähnlichen Aufführungen hatten sich, nach Wagners eigenen Worten, seine Amtsvorgänger stets ›vornehm zurückgezogen‹; er fand sich nicht allein zur Übernahme ihrer Oberleitung bereit, die er mit Reißiger und dem Musikdirektor Müller (als Dirigenten des älteren Dresdener Männergesangvereines ›Orpheus‹) teilen sollte; er sicherte dem Feste sogar auf Verlangen eine eigene Komposition zu, worüber sogleich alles Nähere. Aber noch eine besondere, durch sein ganzes folgendes Leben sich erstreckende 35 jährige, in allem Wechsel der Dinge sich gleichbleibende Freundschaftsbeziehung knüpft sich äußerlich an diese seine zweijährige Betätigung als ›Liedertafel‹-Dirigent. Es war die zu dem, nur zwei Jahre jüngeren, durch seine musikalischen Neigungen ebenfalls diesem Gesangverein als Mitglied zugeführten Arzte Dr. med. Anton Pusinelli. Am 22. Mai 1843 beging der junge Meister seinen dreißigsten Geburtstag: um die Feier dieses Tages zu erhöhen, sah sich die Dresdener Liedertafel dazu veranlaßt, ihrem gefeierten Dirigenten unter den Fenstern seines Wohnhauses ein solennes Ständchen zu bringen. Bei Gelegenheit dieses dem jugendlichen Künstler dargebrachten Ständchens näherte sich ihm Pusinelli zuerst und gab ihm seine wahre, ungewöhnlich innige Ergebenheit zu erkennen. ›Es war eine Ahnung von Richards Größe, die mich gleich anfangs zu ihm hinzog, denn verstanden habe ich ihn damals noch nicht‹, schrieb er nachmals selbst über diese erste Begegnung.66 Eine ›Ahnung‹ von der Größe des Meisters, so drückt er selbst bescheiden sich über den aus seiner warmen Begeisterungsfähigkeit entsprungenen Antrieb aus, der ihn dazu drängte, dem Schöpfer des ›Rienzi‹ seine Verehrung und Bewunderung auszusprechen. Wie wohltuend diesem aber nach so mancher entgegengesetzten Erfahrung die reine, hingebende Freundschaft eines solchen lauteren Herzens war, das wissen wir aus seinem eigenen Zeugnis. ›Ich bin jetzt auf dem Wendepunkt meines Lebens angelangt, den man Glück nennt: ob ich leicht dahin gelangt bin oder unter tausend Schmerzen, danach frägt niemand, und die meisten, zu denen mich dies Glück geführt hat, gönnen mir es nicht. Glauben Sie nur, unsereins ist eine zarte Pflanze, die der Erwärmung gar sehr bedarf, und was könnte da mehr erwärmen, als ein so gemütvolles Entgegenkommen wie das Ihrige? Ich habe wenig Freunde, weil es mir gänzlich an der Gabe fehlt, auf deren Erwerbung auszugehen: verdienen kann ich sie [33] mir wenig, mein guter Stern muß sie mir bescheren. Es gibt aber einen Blick, an dem man sich erkennt, – man braucht sich bloß beim Namen zu rufen, so hat man sich gewonnen. Und so kommt alles Glück, – wer wollte daher an Ihrem Glauben zweifeln? Halten wir beide daran, und seien wir Freunde fürs Leben!‹67

Als eine Feierlichkeit anderer Art stand – neben jenem allgemeinen Musikfest der sächsischen Männergesangvereine – für den Anfang Juni die Enthüllung des Monumentes für den verstorbenen König Friedrich August I., der von Rietschel ausgeführten Bronzestatue inmitten des Zwingers, bevor. Für diese Gelegenheit erhielt Wagner vom Könige die Bestellung eines Festgesanges; die Komposition des andern war Mendelssohn anvertraut. Die Veranstaltung der ganzen Aufführung aber fiel um so gewisser dem Kgl. Kapellmeister zu, als es sich ja um eine patriotische Feier handelte, an welcher König und Hof wesentlich beteiligt waren. Am 7. Juni 1815 war einst Friedrich August nach zweijähriger Trennung von seinem Volke in Dresden wieder eingezogen; derselbe Tag war nunmehr zur feierlichen Enthüllung des Denkmals auserwählt. Ihm gegenüber war die reichgeschmückte Tribüne für die Königliche Familie aufgeschlagen, ihr zur Seite rechts und links Plätze für die höheren Beamten, Abgeordneten der Ständeversammlung und andere Deputationen; der übrige Teil des Zwingers stand dem Publikum offen. Zünfte und Innungen zogen in feierlicher Prozession mit ihren Fahnen und Abzeichen auf; an den Seiten des Monumentes reihten sich, der Zahl der Regierungsjahre des verewigten Monarchen entsprechend, achtundfünfzig weißgekleidete Jungfrauen im Eichenlaubschmuck. Aus sämtlichen Männergesangvereinen Dresdens hatte Wagner einen stattlichen Chor von mehr als 200 Sängern zusammengestellt und in zahlreichen Proben wohl vorbereitet. Kanonenschüsse, Fanfaren und begeisterte Hochs der versammelten Menge begrüßten die höchsten Herrschaften bei ihrem Eintritt in den Zwinger; dann erhoben sich die Klänge des von Wagner komponierten schwungvollen Festgesanges (ohne Instrumentalbegleitung) auf einen vom Advokaten Hohlfeldt gelieferten Text. Eine Festrede des Staatsministers v. Nostitz und Jänkendorf ging dem feierlichen Enthüllungsakte voraus; den Beschluß der Festlichkeit machte der Mendelssohnsche Chor. In einem bald darauf geschriebenen Briefe an die Schwester Cäcilie68 denkt Wagner selbst mit Genugtuung des Umstandes, es habe nur eine Stimme darüber geherrscht, daß seine einfache und erhebende Komposition die komplizierte und künstliche Mendelssohns völlig geschlagen habe. ›Meine Komposition‹, meldet er an Minna ›war ganz einfach nur für Männerstimmen, ohne Begleitung, vierstimmig, so daß die Tenöre in eine [34] glänzende Lage kamen. Die Luft war ruhig, und alle sangen mit größter Liebe; die Wirkung war feierlich und stramm. Mendelssohns Komposition war nun anders; Blechinstrumente begleiteten sie, und der »König segne Gott«69 war hineingewebt. Der Chor sang immer unisono, und zwar in der tiefen Baßlage, so daß die Tenöre gar nicht wirken und kaum mitsingen konnten: die Wirkung war daher, daß man an den meisten Punkten nur die Blechinstrumente hörte, den Gesang fast gar nicht; und da alles wie, »den König segne Gott« klang, so wurde niemand daraus klug, was es eigentlich sein sollte.‹70 Auch erwähnt er einer goldenen Dose, die er dafür von dem König zum Andenken erhalten. Mit diesem königlichen Geschenk schien der Anfang zur Erfüllung der Prophezeiung der Schröder-Devrient gemacht, womit ihn diese, bei ihrer ersten Dresdener Wiederbegegnung, über den Verlust seiner einst von ihr empfangenen silbernen Dose bei der Besteigung des Dreadnought71 humoristisch getröstet hatte: ›sobald erst der »Rienzi« bekannt wäre, würde er von den Fürsten Deutschlands mehr goldene und silberne Dosen erhalten, als er Taschen hätte, um sie darin unterzubringen‹. Doch sollte sie immerhin auf längere Zeit hinaus die einzige ihrer Gattung bleiben!

Kaum war er damit fertig, so mußte er aber auch schon wieder an die Ausführung seiner dem Männergesangfeste zugesagten größeren Komposition gehen. Bei der stärksten, durch Reißigers Abwesenheit verdoppelten Dienstbeschäftigung hatte er nun in vierzehn Tagen eine große, ernste Arbeit zu liefern, zu der er sich zuvor noch die Dichtung verfassen mußte. Es war dies das ›Liebesmahlder Apostel‹, von ihm nicht als sog. ›Oratorium‹, sondern als ›biblische Szene für Männerstimmen und großes Orchester‹ bezeichnet und die Ausgießung des heiligen Geistes über die Jünger des Heilandes behandelnd. Es blieb ihm alsdann noch übrig, seine anfänglich verschobene und endlich fast zu spät fertig gewordene Arbeit noch einzustudieren. Von dieser Periode berichtete er selbst in dem oben erwähnten Brief an Cäcilie, seine Nerven seien um diese Zeit so abgespannt gewesen, daß er oft ›Viertelstunden lang dagesessen und geweint habe‹. ›Deinen letzten Brief, mein gutes Kind‹, schrieb er in diesen Tagen an seine Frau ›las ich am Sonntag früh um 2 Uhr!! Denke Dir! nachdem ich Sonnabend wieder früh um 4 Uhr aufgestanden war, um meine große Komposition fertig zu machen, erhielt ich gegen 8 Uhr Befehl, Sänger und Hornisten aufzubieten zu einer Partie nach der Bastei mit dem Hofe: alles kam zustande, in Pillnitz wurde bei Hofe diniert; von der Bastei aus zu Wasser bis dahin wieder zurückgefahren, wobei bald gesungen, bald geblasen wurde. Der König freute sich wie ein Gott, – aber gegen 2 Uhr kamen wir erst wieder nach Haus! – Deinen Brief [35] fand ich also und las ihn mit größter Freude – dann war ich aber so müde, daß ich beim Erwachen erst gewahr wurde, wie ich mich mit der Kravatte und steifen Vatermördern ins Bett gelegt hatte.‹72 Und dabei Proben der ›Sonnambula‹ und ähnlicher Herrlichkeiten, am Fronleichnamsfest Kirchendienst in voller Uniform ›weil es der höchste Feiertag ist und alles in Gala erscheint‹. ›Unsere Opern gehen immer ausgezeichnet, und da ich meinet halb fast gar keine Proben mache, wie von der »Stmumen« so staunt mich jetzt die Kapelle meiner Sicherheit wegen völlig an und dankt mir außerdem für die Ersparung der Mühe.‹73

Das war das ihm von so vielen Seiten her beneidete ›Glück‹ seiner Königlichen Kapellmeisterschaft! Zunächst hatte ihm seine neue Stellung noch nicht einmal die Möglichkeit einer eigentlichen häuslichen Niederlassung geboten; er wohnte jetzt vorübergehend in einer bescheidenen Garni-Umgebung in der Marienstraße No. 9, 1 Tr. und hatte erst für den bevorstehenden Herbst eine definitive behaglichere Häuslichkeit in der Ostra-Allee ins Auge gefaßt.74 Selbst für deren wohnliche innere Einrichtung sah er sich in seiner kgl. Anstellung doch noch ganz auf ›Gottes Hilfe‹ angewiesen, und da er von seinen früheren abenteuerlichen Musikdirektor-Anstellungen, und zuletzt noch von Paris her, von einer Möblierung auf allmähliche Abzahlung völlig genug hatte, setzte sich Minna hierfür ohne sein Vorwissen mit einem befreundeten Schauspieler – Hans Kriete75 – in ein Einvernehmen, an dessen ›heimliche Möbelkaufshilfe‹ durch das Darlehen einer verfügbaren Summe ein humoristisches Billett an dessen damalige Braut, die Sängerin Henriette Wüst, aus demselben Sommer erinnert. Freundlich gesinnt und hilfsbereit, findet sich dieser Mann auch noch bei späterem wichtigeren Anlaß in der kleinen Zahl von Dresdener Freunden, die durch rechtzeitige Opferwilligkeit ihm ihren Glauben an seine Zukunft bewiesen.76 Um diese Zeit äußerster Überbeschäftigung [36] in voller Sommerhitze war übrigens der junge Meister ganz allein in Dresden zurückgeblieben; Minna hatte sich bereits, auf mindestens drei Monate, nach dem ihr lieb gewordenen Teplitz begeben und sich dort in demselben Hause (›zur Eiche‹), das ihnen schon im vorigen Sommer zur Unterkunft gedient, mit seiner Mutter vereinigt niedergelassen, – ›weniger einer wirklichen Kur wegen, als um in aller Unabhängigkeit des reizenden Aufenthaltes und der gesunden Luft dort zu genießen‹.77

Mit dem Ende des Monates näherten sich die Tage des Gesangfestes und der Abschluß des ersten arbeitsvollen Halbjahrs im Dienste des neuen Berufes. Von allen Seiten strömten die sangesfreudigen Scharen von der oberen und unteren Elbe, aus der Lausitz, vom Erzgebirge und aus den Tälern der Mulde, um mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel ihren Einzug in die sächsische Residenz zu halten. Es wurde geprobt und studiert; am 6. Juli nachmittags begann das Fest mit einer geistlichen Musikaufführung in der für solche Zwecke geeigneten Frauenkirche: den Schluß bildete das ›Liebesmahl der Apostel‹. Ein Chor von 1200 Männern auf einer Estrade, wel che fast das ganze Schiff der Kirche einnahm; dahinter (unsichtbar) ein Orchester von 100 Instrumenten – eine ähnliche Aufführung hatte in Dresden, ja in Deutschland noch niemals stattgefunden. Je größer die Sängermasse, desto unvermeidlicher ein allmähliches Sinken des Tones. Schon bei den Proben hatte er deshalb die vorbeugende Maßnahme getroffen, von Zeit zu Zeit, nach gewissen Hauptabschnitten der Komposition, von zwei Harfen die Tonart wieder angeben zu lassen und behielt die gleiche Maßnahme auch für die Aufführung bei. Um die dramatische Illusion des Vorganges für den Zuhörer zum unmittelbaren geistigen Erlebnis zu erhöhen, ließ er die göttlichen Verheißungsworte (›Stimmen aus der Höhe‹): ›Seid getrost, ich bin euch nah', und mein Geist ist mit euch!‹ von einem gegen vierzig Mann starken Männerchor auserlesener Stimmen aus der hohen Kuppel des Kirchengewölbes herab singen, ein Wagnis von hinreißender Wirkung, die durch das plötzliche Eintreten des unsichtbaren Orchesters bei den Worten der Jünger: ›Welch Brausen erfüllt die Luft? Welch Tönen? Welch Klingen?‹ noch vermehrt wurde. Wo sich der junge Meister nach der Aufführung nur blicken ließ unter der Masse von Sängern, die aus allen Teilen des Landes herbeigeströmt waren, – überall tönte ihm ein begeistertes ›Vivat!‹ und ›Hurrah!‹ entgegen, und der Jubel hatte kein Ende.78

[37] Nicht unmittelbar nach Beendigung der Festlichkeit war es ihm vergönnt, sich die endliche Erholung zu gönnen. Zwar war Reißiger bereits zum Musikfeste wieder zurückgekehrt; doch band den jungen Meister noch sein ›Dienst‹ bis zur Ausnutzung seiner letzten physischen Kräfte. Noch am 11. Juli hatte er, nach einer vorausgegangenen Probe, unter Mitwirkung eines gastierenden italienischen Sängers (Moriani) eine Vorstellung der ›Lucrezia Borgia‹ (in italienischer Sprache) zu dirigieren. Erst tags darauf ward ihm die so dringend nötige Freiheit bewilligt, deren er so sehr bedurfte, um sich seiner ›neuen Oper‹, dem Tannhäuser, widmen zu können. ›Mienel! Mienel! Ich habe meinen Urlaub!‹ ruft er da seiner Gattin zu. ›Wirklich muß ich sagen, daß ich mich über Lüttichau einmal wieder sehr gefreut habe, besonders auch über die ganze Art, wie er sich gegen mich benahm. Als ich erst im Interesse des Sängers sprach, den mir die verfl. Könneritz so empfohlen hatte, war gar nichts mit ihm anzufangen, – ganz bockbeinig war er; – wie ich aber von mir anfing und ihn frug, ob ich die Hoffnung hegen dürfte, diesen Sommer etwas für meine Gesundheit tun zu können, da verklärte sich völlig sein Gesicht, und mit völliger Anmut sagte er mir: »Lieber Wagner, Sie wissen, wie ich Sie liebe, und können sich somit leicht denken, daß mir Ihre Gesundheit selber über den Nutzen geht, von dem Sie dem mir untergebenen Institute sind; Leute wie Sie müssen vor allen Dingen gesund und guter Laune sein. Also sagen Sie mir nur, von wann an Sie frei sein wollen.« – »Von Mitte dieses Monats an«, sagte ich. – »Und bis wie lange?« – »Bis wiederum Mitte künftigen Monats.« – »Schön! verfügen Sie über Ihre Zeit nach Belieben!« usw. Das hat mich nun völlig gerührt, und ich habe es ihm auch nicht verhehlt. Du mußt doch bedenken, daß gerade jetzt sehr viel zu tun ist: zwei neue Opern sollen in der Schnelligkeit mit Moriani studiert werden. Also, mein Schnuckel, ich komme! Nur werde ich nicht vor Montag oder Dienstag nächster Woche kommen können! Erstlich will ich noch einmal die gestrige Oper dirigieren, dann bin ich Sonntag zu Lüttichau eingeladen, und endlich wird auch meine »Rienzi«-Schreiberei nicht fertig‹ (er war soeben mit der Arbeit der Einrichtung seines Rienzi für einen Abend beschäftigt) ›und es liegt mir doch daran, alles im Rücken und versorgt zu haben, damit ich mit Dir zusammen so recht harmlos leben kann, als ob es gar nichts auf der Welt gäbe, was uns belästigen könnte.‹79 Gleich den Morgen des 13. Juli weihte er zudem, als den ersten Tag seines vierwöchigen Urlaubes, mit einem ausführlichen Brief an Cäcilie ein, dem wir im Vorhergehenden einige Details unserer Erzählung entnahmen. Wir erfahren daraus, daß Minna um die Zeit des Musikfestes auf einige Tage nach Dresden gekommen sei, wo sie ein[38] trauriges Ereignis, der Tod ihres fünfundzwanzigjährigen Bruders, so sehr in Beschlag genommen habe, daß alle guten Folgen der Teplitzer Kur dadurch wieder verwischt wären. Er habe nur alles getan, daß sie so schnell wie möglich sich von hier entfernte, um in Teplitz sich wieder erholen zu können. Wir erfahren daraus auch von seinem betäubenden Schmerz über den plötzlichen Tod des guten Lehrs, von seiner sich gleichbleibenden Liebe und Teilnahme für die in Paris zurückgelassenen Freunde und seinem Wunsche, sie bald in der Heimat um sich vereinigt zu sehen. Unmittelbar darauf begab er sich ebenfalls für wenige Wochen in die liebliche Teplitzer Einsamkeit.

Wir haben das erste Halbjahr seines Dresdener Wirkens, die Ermutigungen und Widernisse, die ihm während desselben begegnet waren, mit solcher Ausführlichkeit behandelt, weil damit im voraus die immer wiederkehrenden Verhinderungen bezeichnet sind, die ihn durch eine sinnlose und undankbare Überbeschäftigung von einer Fortführung seiner eigenen künstlerischen Produktionen abhielten. Daß die Dichtung seines ›Venusberges‹ fertig sei – damals hatte der ›Tannhäuser‹ noch diesen Titel – hatte er noch am 7. April an Lehrs gemeldet; der eigentliche Beginn ihrer musikalischen Ausführung aber fällt, bis auf vereinzelte Aufzeichnungen, erst in den November 1843. über die Art dieser Ausführung war er sich nunmehr völlig im klaren: von einer Bestimmung seines Werkes für Paris konnte nicht mehr, wie einst noch beim ›Rienzi‹, die Rede sein! ›Nichts mehr von Paris!‹ setzt er allen darauf zielenden Versuchungen der dortigen Freunde80 entgegen ›dies muß ich für alle Ewigkeit im Rücken liegen lassen. Europäisch können wir Opernkomponisten nicht sein, da heißt es: entweder deutsch oder französisch!‹ Und in freudigem künstlerischen Selbstgefühl fährt er fort: ›Man sieht es ja, was so ein Hans Narr wie Meyerbeer uns für Schaden macht – halb in Berlin, halb in Paris, bringt er nirgends etwas zustande. Am allerwenigsten in Berlin: wie scheußlich es dort steht, ist gar nicht zu beschreiben; das kommt davon, wenn man den Mantel so nach allen Winden hängen lassen muß, wie Freund Giacomo. Es wird langsam gehen, aber es wird und muß gehen: aber nichts mehr von Paris!‹

[39] Bevor wir jedoch das im vollen Bewußtsein des Gegensatzes zu internationaler Mantelhängerei unternommene Werk in seinen Phasen weiter verfolgen, müssen wir einen Blick auf die äußeren Bedingungen werfen, unter denen es ins Leben gerufen werden sollte. ›Es wird langsam gehen, aber es wird und muß gehen‹, war sein damaliger hoffnungsvoller Glaube in bezug auf das Schicksal seiner Werke; sehen wir des näheren zu, wie diese Hoffnung sogleich in den ersten Anfängen ihrer Verwirklichung auf die seltsamsten Hindernisse stieß!

Fußnoten

1 Brief-Fragment an Lehrs vom 12. Juni 1842. Man vergleiche dazu die genau korrespondierende Briefstelle an Uhlig, Sept. 1851, in welcher die heroische Grundstimmung seines Wesens in gleich auffallender Weise mit einer idyllischen sich berührt: Wünsche: – ein kleines Häuschen, mit Wiese und Gärtchen! – Arbeiten mit Luft und Freude, – aber nicht für jetzt. Wenn alle deutschen Theater zusammenbrechen u.s.w. u.s.w. – Ruhe! Ruhe! Ruhe! – Land! Land! eine Kuh, eine Ziege u.s.w. – dann – Gesundheit – Heiterkeit – Hoffnung! – sonst alles verloren! (Briefe an Uhlig, S. 109).


2 Vgl. Bd. I des vorliegenden Werkes, S. 475/76.


3 Brief an Fischer vom 5. Februar 1842; ganz wörtlich wie zehn Jahre später in einem Briefe aus Zürich vom Dez. 1852 an den Freund Heine: ›Gar nichts liegt mir daran, ob man meine Sachen gibt: mir liegt einzig daran, daß man sie so gibt, wie ich's mir gedacht habe; wer das nicht will und kann, der soll's bleiben lassen‹.


4 Robert Prölß ›Geschichte des Dresdener Hoftheaters‹ (Dresden, 1878). Gutzkow urteilte s. Z. über diese Arbeit des autodidaktischen, bloß kaufmännisch gebildeten Verfassers, es sei das Buch eines Laien, eines Kommis, voll untertäniger Bücklinge bis tief zur Erde vor dem offiziellen Regiment, zum Danke, daß man ihm die Archive geöffnet. So herb dieses Urteil sich ausnimmt, so wenig darin die in dem Werke enthaltene Summe von Fleiß und Gründlichkeit in der Erforschung selbst der gleichgültigsten Details gewürdigt ist, so ist es doch gut, es sich an manchen Stellen gegenwärtig zu halten, und es geschieht unter diesem Vorbehalt, wenn wir demselben im folgenden manche Züge, besonders zur Charakteristik seines Haupthelden, des Freiherrn von Lüttichau, entnehmen.


5 Erstere die Gönnerin K. M. v. Webers zu einer Zeit, als sich der Dresdener Hof dem Meister gegenüber noch sehr kühl verhielt (Bd. I des vorliegenden Werkes, S. 70); letztere durch ihre zahlreichen poetischen Versuche bekannt (›Originalbeiträge zur deutschen Schaubühne‹, 6 Bde., 1738–42).


6 Brief Ferdinand Heines an E. Kietz vom 24. Oktober 1842, mit einigen Auslassungen abgedruckt Mus. Wochenbl. 1892, S. 538–39. Auch die angeführte Äußerung des Königs findet sich ebendaselbst.


7 Brieflich an Lehrs (7. April 1843).


8 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 130.


9 Er war i. J. 1824 an die Stelle des Herrn von Könneritz getreten und verblieb bis zum Jahre 1862 in der ihm übergebenen Funktion.


10 ›Man hat nicht selten über den zum Intendanten berufenen Jagdjunker gespöttelt‹, behauptet R. Prölß a. a. O. (S. 612). Wir wüßten nicht, daß man dies je getan, oder sonst irgend jemand außer dem Einen, dem diese drastischen Worte in Wahrheit gehören, das Recht oder die Autorität dazu gehabt hätte; und selbst Wagner hat sich ihrer nur in dem weitblickenden Zusammenhang seiner Abhandlung über ›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹ (Ges. Schr. VIII, 110), mithin zu einer Zeit bedient, als der – ganz allgemein und typisch – ohne Namensnennung damit Gekennzeichnete längst zu seinen Vätern eingegangen war und in keiner Weise mehr persönlich dadurch getroffen oder verletzt werden konnte.


11 R. Prölß, a. a. O., S. 611. In dieser Beziehung sagt selbst der sonst so gallige Gutzkow von ihm, er habe ein f. z. s. religiöses Gewissen gehabt und sich für jede Lage gesagt: ›Sei gerecht! Höre auf jede Partei! Überstürze nichts! Erkenne deine eigene Unwissenheit an, und erst nach dem Hören anderer Meinung entscheide!‹ (Rückblicke, S. 316). Dazu steht es freilich in Widerspruch, wenn er ihn gleichzeitig wieder holt der wissentlichen Perfidie beschuldigt und von den ›jeweiligen Anwandlungen der Teufelei des sonst so frommen sonntäglichen Besuchers der Sophienkirche‹ spricht (a. a. O. S. 321).


12 Vgl. die Erwähnung dieser ›Augenbrauen‹ in jener humoristischen Briefstelle an den alten Fischer (1. Juli 1853), worin sich Wagner über die, von einem ungeschickten Maler ihm angedichtete Gesichtszierde lustig macht: ›Ja, mein Gott, wenn ich solche Augenbrauen hätte, dann wäre ich ein anderer Kerl, ein zweiter Lüttichau!‹


13 Ein charakteristisches Bild der äußeren Verkehrsweise Herrn v. Lüttichaus mit solchen Angehörigen seines Personales, denen gegenüber er sich ungestraft gehen lassen durfte, gibt uns R. Prölß a. a. O. S. 556 nach den Aufzeichnungen eines Dresdener Schauspielers: Die eine Land in der Brust, ohne den Körper zu bewegen, überschüttete er sein Gegenüber in halblaut vornehmem, ja fast verbindlich klingendem Ton mit einer Flut von Grobheiten, bis er dann endlich, vom Ärger hingerissen, sein an und für sich zweifelhaftes Hochdeutsch allmählich ganz verlor: ›Ihr Name auf dem Theaterzettel ist ein Schade für die Kasse – Sie treiben mer die Leite 'naus!


14 ›Ich habe oft alberne Ausgaben: jetzt muß ich mir eine Hof-Uniform machen lassen, die mich ca. hundert Taler kostet! Ist das nicht Unsinn?‹ (Brieflich an Lehrs, 7. April 1843). Vgl. die Erwähnung der ›Standesuniform‹ in ›Oper und Drama‹ (Ges. Schr. IV, 65 und 88), die ›abgerissene Kgl. Sächsische Uniform‹ in dem Briefe an Fischer (vom Sept. 1849), und die durch Frau Wille erzählte, so ganz für den Meister charakteristische Szene in Zürich 1853. Mit einigen sächsischen Freunden in seinem Hause beim Abendessen, verschwindet da Wagner für einen Augenblick vom Nachtisch und kehrt in der Hofkapellmeister-Uniform wieder, in etwas gekrümmter Haltung, die Hände reibend, ein sein sarkastisches Lächeln um den Mund, die Anwesenden mit liebenswürdigstem Humor begrüßend und sich neckisch an seine Frau wendend: ›Ja, ja, Minna, es war wohl hübsch, und ich gefiel Dir damals!‹ Nur schade, Du arme Frau, daß mir die Uniform so eng geworden!


15 R. Prölß, a. a. O., S. 552. ›Zuweilen war er gutherzig‹, sagt Gutzkow von ihm, ›dann plötzlich konnte er's bis ins Hämische treiben.‹ (Rückblicke auf mein Leben S. 307.)


16 Geb. 30. Mai 1798, † 1. Februar 1856. Vgl. über sie R. Prölß, a. a. O., S. 410, 445 u. 613, Oesterlein IV, S. 149 u. 153.


17 Allgem. Deutsche Musikzeitung 1995, S. 551.


18 Prölß, a. a. O., S. 444–445.


19 Ebendaselbst, S. 507 und 578–79.


20 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 447 Anm.


21 ›An Reißiger wird die Kraft und Entschiedenheit vermißt, welche, nur die Ehre des Kunstinstituts im Auge, jeden Mißgriff, jedes unkünstlerische Wollen streng zurückweist und das einmal als wohl und förderlich Erkannte unter allen Umständen auch zu realisieren vermag‹, heißt es, mit immerhin mehr andeutender Zurückhaltung, in dem statistischen Gesamtüberblick über die Leistungen und das Personale des Hoftheaters im abgelaufenen Theaterjahr (Beiblatt zur Dresdener ›Abendzeitung‹ vom 8. Februar 1844.)


22 Lesimple, Richard Wagner S. 20. Präger erzählt dieselbe Anekdote, nur daß er die ›Stumme‹ in ›Euryanthe‹ verwandelt Wagner fragt bei ihm verwundert: ›Wie ist's mit der Oper? die kann ja noch nicht vorbei sein?‹ Und Reißiger erwidert: ›Nicht wahr, das war ein Kunststück? Wir haben alle Tempi heute ein bischen schneller genommen, denn wir feiern heut abend Geburtstag, und da gibt's Leipziger Allerlei.‹


23 In Dr. H. Dingers Schilderung der Dresdener Kritik der vierziger Jahre heißt es kurzweg: ›Was Wagner schuf, wurde von der Reißigerschen Clique, die sich der Dresdener Kritik (inklusive Herrn C. Bancks) bemächtigt hatte, entstellt oder verschwiegen.‹ Mus. Wochenblatt 1890, S. 376.


24 Vgl. Bülow, Briefe IV S. 276 (an R. Pohl): ›Gib V(inzenz) L(achner) in M(annheim) einen Reißigerschen Kuß von mir‹, oder den heiter ironischen Schluß jenes Briefes, den Wagner selbst, dieser ganzen Umgebung entronnen, aus Zürich (26. April 1851) an den Chordirektor Fischer richtet: ›L(üttichau) gib einen recht herzlichen Kuß von mir; R(eißigern) aber schließe für mich an Dein Herz!‹


25 Dr. Julius Schladebach, Begründer des von Bernsdorf fortgesetzten ›Universallexikons der Tonkunst‹, Autor mehrerer Gesangskompositionen, † im August 1872 in Kiel. Auf seinen Schultern ruhten jahrelang fast alle auswärtigen Korrespondenzen über die musikalischen Zustände Dresdens, die er, meist unter der Chiffre W. J. S. E., für die ›Neue Zeitschrift für Musik‹, die ›elegante Welt‹, die Dresdener ›Abendzeitung‹, die ›Teutonia‹ usw. usw. verfaßte.


26 Gutzkow, Rückblicke auf mein Leben, S. 316–317.


27 Brieflich an W. Fischer, 20. Nov. 1849.


28 Bei der im März 1806 erfolgten Wiederaufnahme von Beethovens anfangs mit so geringem Glück aufgeführtem ›Fideli‹ sang Röckels Vater den Florestan; in den Jahren 1829–35 machte er sich – unter Mitwirkung von Gesangskräften, wie die Schröder-Devrient, Wild, Haizinger, sowie Hummels als Kapelmeister – um die Einführung der deutschen Oper in Paris und London verdient.


29 Daß andererseits der Nebenumstand seiner katholischen Konfession für ihn günstig ins Gewicht fiel, dessen ward bereits früher gedacht (Bd. I, S. 478). Vgl. Wagner an Löbmann (Riga) vom 9. Dezember 1843: ›Ehe ich noch meine Anstellung als Kapellmeister erhielt, war Röckel schon als Musikdirektor in Vorschlag und so gut wie angenommen, und zwar besonders aus dem Grunde, weil er Katholik ist, was hierbei der Kirche wegen, in der wir gemeinschaftlich zu fungieren haben, von Wichtigkeit war.‹


30 ›Einleitung zu, Briefe an August Röckel von Richard Wagner‹ (Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1894).


31 1872 in der Schrift, ›Über Schauspieler und Sänger‹ (Gesammelte Schriften, Band IX, S. 272/74).


32 Vgl. die Schilderung A. v. Wolzogens: ›Sie war unter Standesgenossen und Kollegen meist ebenso frivol ausgelassen, als bescheiden und taktvoll in der guten Gesellschaft ... Im Verkehr mit Frauen ungezwungen und freundlich, ging sie, gleich einer Königin, mit der zu ihren Füßen liegenden Männerwelt aller Stände, bis zu den gekrönten Häuptern hinauf, wie mit einem Spielball ihrer Launen um, behandelte sie bald stolz herausfordernd, bald kalt abstoßend, dann wieder unter verschwenderischer Entfaltung aller Zauber weiblicher Anziehungskraft‹ (Alfred v. Wolzogen, Wilhelmine Schröder-Devrient. Leipzig, Brockhaus 1863, S. 288).


33 Vgl. hierzu Aufzeichnungen, wie die folgenden, ihrem Tagebuch entnommenen: ›Heute habe ich beim Tagelöhner Lorenz Gevatter gestanden und habe das menschliche Elend in seiner bejammernswürdigsten Gestalt gesehen. Gott, wie ist es möglich, daß Menschen so leben können? Der schrecklichste Mangel an allem! Wie schwer versündigt man sich, wenn man klagt und sich unzufrieden fühlt – dorthin muß man schauen, um sich glücklich zu preisen. Und doch, wer weiß, ob das arme Weib auf dem Strohlager nicht glücklicher ist, als ich ... sie hat ihren Mann, der sie pflegt, stützt und hütet; sie hat ihre Kinder – was ist mir geblieben?‹ (A. a. O., S. 290.)


34 Band I des vorl. Werkes S. 430/31.


35 Für das ›Journal des Débats‹.


36 Akt III–V, unter dem Titel ›Rienzis Fall‹, vgl. Bd. I S. 473.


37 In der Tat bekannte der Meister noch in spätesten Zeiten gern seine von je gehegte Vorliebe für dieses Spontinische Werk; noch an einem wundervollen Abend in Wahnfried im Sommer 1878 forderte er seinen damaligen jungen Amanuensis Anton Seidl auf, der anwesenden kleinen Gesellschaft den Siegesmarsch aus ›Olympia‹ vorzuspielen; da dieser nicht gleich dazu zu bewegen war, suchte er selbst den Klavierauszug aus seiner Bibliothek hervor und brachte in seiner belebenden Weise erst den Marsch, dann die Ouvertüre zum Vortrag, sich unter dem Spielen doch beständig über die geräuschvolle Einförmigkeit ihres Aufbaus amüsierend (5. Juli 1878).


38 Daß dieser letztere Vorwurf, wenn auch in seiner Verallgemeinerung übertrieben, nicht ganz unbegründet gewesen sein mochte, darüber vgl. Wagner, Ges. Schr. V. S. 124–25. Desto mehr aber fallen die sonstigen ungezügelten kritischen Angriffe Berlioz auf die außerordentliche Iran, in denen er ihr ›kindische Koketterie,‹ rasende Eigenliebe usw. zum Vorwurf macht, in ihrer Bitterkeit auf ihn selbst zurück.


39 Bemerkenswert ist u.a. sein konsequent wiederholter Irrtum, der ›fliegende Holländer‹ habe nur zwei Akte.


40 Vgl. Berlioz, Musikal. Reise in Deutschland (Leipzig, 1843) S. 79/83.


41 Vgl. Bd. I, S. 471.


42 Nachmals Frau Dr. Eliza Wille.


43 Eliza Wille, Erinnerungen (›fünfzehn Briefe Richard Wagners‹) S. 42/43.


44 An seine anderweitige Diensttätigkeit während dieser Zeit erinnert ein erhaltenes Blättchen mit den Worten : Domenica li 19. Februajo dirige Richard Wagner. Es ist von dem Kirchendienst in der katholischen Hofkirche die Rede, den er mit Reißiger und August Röckel teilte.


45 M. Fürstenau in seiner anonymen biographischen Skizze: ›Joseph Tichatschek. Nach handschriftlichen und gedruckten Quellen‹ (Leipzig, S. Heinze, 1868).


46 Brieflich an Lehrs, 7. April 1843.


47 Ebendaselbst.


48 ›Am höchsten trieben es Tichatschek und Lipinski, vorzüglich letzterer, die gar keinen Ausdruck stark genug für ihr Entzücken fanden‹, meldet Ferdinand Heine während der Rienzi-Proben in einem Briefe an Ernst Kietz vom 24. Oktober 1872.


49 Der deutsch-böhmische Komponist W. H. Veit schreibt in einem Briefe vom Mai 1841, also noch vor dem Eintreffen Wagners daselbst, über die musikalischen Zustände Dresdens: ›ich sehe leider, daß es hier vielleicht noch schlimmer als bei uns (in Prag) zugeht. Alles tut ins Gesicht schön und intrigiert hinterm Rücken; der große Lipinski auch ein wenig, namentlich gegen fremde Geigenkünstler, welche er alle hinausbeißt (Ernst und Bull haben es gespürt). Reißiger soll der liebenswürdigste, aber charakterloseste Mensch sein; die anderen tanzen mehr oder weniger nach der Pfeife dieser beiden; endlich tanzen alle nach der Pfeife, die bei Hofe geblasen wird.‹ Über Lipinski berichtet er insbesondere, daß ihn dieser ›höchst charmant aufgenommen‹ habe: ›ich blieb wohl 2 Stunden bei diesem Geigerfürsten, der in der Tat wie ein Fürst wohnt‹ (Neue musikal. Rundschau 1897, S. 244/45).


50 Vgl. Bayreuther Blätter 1899, S. 6/7.


51 Zusammenfassendes Urteil O. Leßmanns gelegentlich einer Revision Schladebachscher kritischer Urteile aus der Dresdener Periode, die uns ein deutliches Beispiel dafür geben, ›wie nichtswürdig sich die Kritik gegenüber dem jungen Wagner verhielt‹ (Allg. Musikzeitung 1891, S. 83).


52 Bd. I des vorliegenden Werkes S. 202/04.


53 War doch die tief verderbliche Wirkung der gesamten Erscheinung Mendelssohns auf die Entwickelung der modernen Musik weit weniger in der einseitigen Beschränktheit seiner besonderen Begabung, als in der törichten Erhebung dieser seiner spezifischen Sonderbefähigung zum allgemeingültigen Gattungstypus begründet.


54 ›Richard Wagner über Mendelssohns Paulus‹ im 22. Jahrgang der ›Bayreuther Blätter‹ (1899, S. 4).


55 Ebendaselbst.


56 ›Gewöhnlich ist man froh, wenn die Marter des Trio vorübergegangen. Dieses reizvollste aller Idylle wird nämlich bei dem gemeinen schnellen Tempo durch die Triolen-Passagen des Violoncells zu einer wahren Monstruosität: diese Begleitung gilt so als eines der Allerschwierigsten für Violoncellisten, welche sich mit hastigem Staccato herüber und hinüber abmühen, ohne etwas Anderes als ein höchst peinliches Gekratze zum besten geben zu können. Auch diese Schwierigkeit löst sich natürlich ganz von selbst, sobald das richtige, dem zarten Gesange der Hörner und der Klarinette entsprechende Tempo genommen wird, welche so wiederum auch ihrerseits über alle die Schwierigkeiten hinwegkommen, denen namentlich die Klarinette in so peinlicher Weise ausgesetzt ist‹ usw. (Über das Dirigieren, Ges. Schr. VIII, 347).


57 Siehe Band I des vorliegenden Werkes, S. 465.


58 Hans von Wolzogen, Erinnerungen an Richard Wagner (Reclam, Universal-Bibliothek) S. 32.


59 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 162/63.


60 Band I des vorliegenden Werkes, S. 466.


61 Diese Vermutung wird dem aufmerksamen Beobachter durch den besonderen Umstand nahegelegt, daß der genannte Rezensent ein Jahr später in einem neuen ausführlichen Artikel ›Herr Kapellmeister Wagner und Mozart‹, den er in der Schumannschen ›N. Z. für Musik‹ mit seiner gewöhnlichen Chiffre W. J. S. E. unterzeichnet, auf den gegenwärtigen ausdrücklich Bezug nimmt. Als Probe seiner oben charakterisierten Art, sich über Wagner zu äußern, diene seine vergleichende Beurteilung Wagners und Reißigers in einem seiner alljährlichen Rückblicke auf die ›Dresdener Oper‹ in derselben Zeitschrift (1844, II Nr. 11): ›Reißiger mit seiner scharfen Auffassungsgabe, seinem Vermögen, in die Intentionen der verschiedensten Komponisten sich schnell und leicht zu finden, steht zur Seite Richard Wagner, der mit Sorgfalt und Einsicht einzustudieren und zu leiten versteht, wenn ihm auch noch hier und da die nötige Ruhe, Klarheit und Besonnenheit zu mangeln scheint, wenn auch seine rasche, feurige Natur, und eine gewisse durch zu glücklich günstigen Geschickswechsel‹ (er hätte also wohl lieber in Paris verhungern sollen?) ›und durch die Lobhudeleien sogenannter Freunde (!) erzeugte Anmaßlichkeit ihn bisweilen zu argen Mißgriffen fortreißt, die er indes bei ruhiger Überlegung bald wieder gut zu machen strebt.‹ (!) Bald nach jener oben erwähnten ›Don Juan‹-Aufführung dirigierte Reißiger in seiner gewohnten Weise eine Aufführung von ›Figaros Hochzeit‹; da heißt es denn an demselben Orte derselben Zeitschrift, die eben den Angriff auf Wagners ›Don Juan‹ gebracht: ›Das Orchester unter Reißiger war vortrefflich, die Wahl der Tempi durchaus einsichtig‹ usw.


62 Etwa auf die des damals (vor C. Bancks Eintritt in die Dresdener, Kritik) als Dilettant mit Vorliebe die kritische Feder führenden ›Staatsrats A. Hitzschold‹ oder einer ähnlichen Lokalautorität! Denn die oben zitierten Eingangsworte sind nicht im Tone eines dürftigen Dresdener Berufs-Rezensenten, sondern in dem eines verwöhnten Kunstfreundes abgefaßt, dem die Tempi der Pariser Oper aus wiederholter eigener Anhörung geläufig sind.


63 ›Der Himmel weiß, auf welche Gründe hin, unter Musikern, mit denen ich nicht umgehe, die bestimmte Behauptung aufgebracht worden ist, ich verachte Mozart, – eine Albernheit, gegen die nur zu protestieren ich mich schämen würde‹, äußert sich Wagner wenige Jahre später (1846) gegen die gleichartigen Vorwürfe Bancks. ›Wer mir aber etwas anhaben will, der pflegt solche Abgeschmacktheiten allerdings mit großem Vorteil; denn mit nichts Besserem ist ja ein jüngerer Musiker in der Meinung der Leute über den Haufen zu stoßen, als wenn man von ihm behauptet: er verachte Mozart. Ist mir in bezug auf Mozarts Werke etwas widerlich, so ist dies die Vielwisserei und Anmaßung so vieler einzelner Musiker, von denen jeder die einzig richtige Auffassung des Geistes und Wesens Mozartscher Musik für sich in Anspruch nimmt. Sollte es mir dennoch aber einmal verstattet sein können, eine Mozartsche Oper ... von Grund aus neu einzustudieren, – sollten es mir ferner bei dieser Gelegenheit unsere orthodoxen Anhänger des Buchstabens erlauben, in den gestochenen Partituren, z.B. des »Don Juan«, viele wichtige Bezeichnungen als aus Versehen oder Nachlässigkeit des Korrektors, vielleicht aber auch aus Mangelhaftigkeit des vorgelegenen Manuskriptes, und wenn dies von Mozart selbst gewesen wäre der in seinen Partituren den Vortrag gewiß noch nicht so genau bezeichnete, als er ihn beim persönlichen Einstudieren durch mündliche Aussprüche verlangte als ausgelassen anzunehmen, – kurz, sollte es mir endlich freigegeben werden, meine durch ernstliches Studium und reine Begeisterung für Mozart gebildete künstlerische Überzeugung in dem Geiste einer so mir anheimgestellten Aufführung eines seiner Meisterwerke auszusprechen: (dann erst) würde ich Herrn C. B. ein Recht einräumen, über meine Leistungen als Dirigent einer Mozartischen Oper zu urteilen oder auch abzuurteilen.‹ Auf die perfiden Unterstellungen eines Schladebach hingegen hat Wagner nie mit einem öffentlichen Worte geantwortet!


64 In den ›Bayr. Blättern‹ 1899, S. 5 sind diese Lipinskischen Einwände und Zwischenreden, im Original als ›stete vague Unterbrechungen‹ bezeichnet, durch irgendeinen Kopier- oder Druckfehler in ›stete regen Unterbrechungen‹ verwandelt.


65 Briefe an Minna Wagner I, S. 10.


66 Bayreuther Blätter 1878, S. 112.


67 An Pusinelli, 1. August 1843 aus Schönau bei Teplitz Bayreuther Blätter 1902, (S. 93).


68 Familienbriefe S. 116.


69 Die englische Nationalhymne: ›God save the king‹.


70 Briefe an Minna Wagner I, S. 17/18.


71 Band I des vorliegenden Werkes, S. 329.


72 Briefe an Minna Wagner I, S. 20.


73 Ebendaselbst S. 18.


74 Der darüber bereits am 23. März 1843 mit dem Hausbesitzer Dr. med. Flemming abgeschlossene ›Mietvertrag‹ ist sub Nr. 5730a in Oesterleins, Wagner-Katalog ›verzeichnet. Wagners erste Dresdener Wohnung (Ende Juli 1842 bis Frühjahr 1843) war Waisenhausgasse 5, in der Nähe des Seetors: das alte, sonderbar aussehende, baufällige, einstöckige Haus im Rokoko-Stil wurde bald darauf niedergerissen und drei Häuser daraus gemacht: 5 a, 5 b und 5 c. In 5b‹ wohnte später Alexander Ritter und empfing daselbst einen Brief Liszts mit der Adresse: ›Herrn A. Ritter, Waisenhausstraße Des dur.


75 Hans Kriete, dem Dresdener Personal seit dem 1. November 1827 angehörig, pensioniert nach 20 jährigem Dienst am 1. Mai 1847.


76 Noch in seinen Briefen aus der Schweiz gedenkt der Meister seiner bei wiederholten Anlässen in warmer Dankbarkeit. An Ferd. Leine, Sept. 49: ›Grüße mir Krieten herzlich und drücke die Hand dabei recht fest, hörst Du? Er gehört auch zu denen, die mich in der letzten Zeit wieder die Menschen immer mehr lieben gelehrt haben.‹ An Fischer, 21. Jan. 53: ›Pusinelli werde ich darum ersuchen, zugunsten Krietes fürs nächste noch zurückzustehen: er kann es am ersten.‹ An Pusinelli, 26. April 56: ›Grüß‹ doch auch den armen, geduldigen, wirklich humanen und noblen Kriete bestens von mir! usw.


77 Brieflich an Lehrs, 7. April 1843.


78 Unter den Chemnitzer Sängern befand sich der damals 17jährige Richard Pohl. ›Das erste Mal‹, so erzählt er ›sah ich Richard Wagner in seiner Funktion als Festdirigent in den sonnigen Julitagen 1843 in Dresden, beim großen sächsischen Sängerfeste. Er war der populäre, vielumdrängte Mann des Tages. Die ätherische Wirkung der »Stimmen aus der Höhe« der Kuppel der Frauenkirche, der gewaltige Effekt, als bei der »Ausgießung des heiligen Geistes« auf die Apostel das Orchester zum erstenmal eintrat und alles brausend überflutete, bleiben mir unvergeßlich‹ (Augsb. Allg. Zeitung 1883, Nr. 98 Beilage).


79 Briefe an Minna I, S. 23/24.


80 Vor allem haftete Freund Lehrs mit seinen Neigungen und Vorstellungen so sehr an der Weltstadt, in deren Mitte er sein entbehrungs- und schmerzensreiches Dasein führte, daß er auch für seine Person allen Aufforderungen zu einer Rückkehr in die Heimat seine erklärte Abneigung entgegenstellte. ›Soll unter Rückkehr ein Besuch verstanden sein‹, schrieb er noch zwei Monate vor seinem Tode (7. Februar 1843) an seinen Bruder ›so kannst Du Dir leicht denken, welche selige Freude es mir machen würde, Euch einmal wiederzusehen und eine Zeitlang mit Euch zu leben. (Dennoch) gibt es, soviel ich sehe, für mich keinen Ort, außer Paris, wo ich leben könnte‹. In gleichem Sinne hielt er noch in seinem letzten an Wagner gerichteten Briefe (worauf die oben zitierten Worte die Antwort sind) an einem Erfolge in der Pariser großen Oper hartnäckig fest, den Wagner schon während seines dortigen Aufenthaltes ein für allemal endgültig aufgegeben.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 3-40.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon