X.

›Siegfried‹ und ›Jesus von Nazareth‹.

[302] Der Nibelungen-Mythos. – Dichtung von ›Siegfrieds Tod‹. – Vorlesung des ›Siegfried‹ im Freundeskreise. – Ablehnung des ›Lohengrin‹ durch die General-Direktion – Verhältnis zu Röckel und den Dresdener Demokraten. – ›Jesus von Nazareth.‹– Neue Kränkungen durch Lüttichau. – ›Tannhäuser‹ in Weimar.


Wie ich mit dem ›Siegfried‹ durch die Kraft meiner Sehnsucht auf den Urquell des ewig Reinmenschlichen gelangt war, so kam ich jetzt, wo ich diese Sehnsucht dem modernen Leben gegenüber durchaus unstillbar, und von neuem nur die Flucht vor diesem Leben als Erlösung erkennen mußte, auch an dem Urquell aller modernen Vorstellungen von diesem Verhältnissen an, nämlich dem menschlichen Jesus von Nazareth.

Richard Wagner.


Mit der Partitur seines ›Lohengrin‹ hatte Wagner dem Dresdener Theater seit dem Sommer 1841, also in einem Zeitraum von sieben Jahren, das vierte Werk übergeben. Von dessen Vorgängern war der ›fliegende Holländer‹ unwiderruflich fallen gelassen und seit jenem ersten Versuch seiner Einführung nicht der mindeste Schritt zu seiner Rehabilitation unternommen Es waren somit tatsächlich nur zwei Werke übrig geblieben, um sein künstlerisches Schaffen vor der Dresdener Öffentlichkeit zu repräsentieren. Von diesen tat ›Rienzi‹ nach wie vor seine Schuldigkeit: nach längerer Pause überschritt er seit dem Oktober 1848 in voller Ausdehnung in mehrfachen Wiederholungen vor übervollem Hause die Szene, ohne durch seine fünfte-halbstündige Dauer das Publikum je zu ermüden. Im Gegenteil: der nie versagende Erfolg des feurigen Werkes schien durch ein neuhinzutretendes besonderes Moment eher noch vermehrt und bestärkt. Hatte es seine fortdauernd berauschende Wirkung bisher mehr nur dem stimmlichen Glanz des Hauptsängers oder der Pracht der von Fischer einstudierten Chöre zu verdanken gehabt, so machte sich in jenen erregten Tagen noch eine ganz neue Seite dieser Wirkung bemerkbar. Einem Teile des Publikums galt ›Rienzi‹ nun vorzugsweise als die ›Freiheits‹-Oper; und je belästigender sich seine persönliche Stellung zur Direktion und den Hofkreisen gestaltete, desto [303] stürmischer ward bei jeder folgenden Aufführung der demonstrative Hervorruf des Künstlers. Der tieferen Tendenz seines künstlerischen Wirkens einen wachsenden Kreis enthusiastischer Freunde zu gewinnen, blieb vorerst einzig dem – in seinen Aufführungen mit dem ›Rienzi‹ ziemlich regelmäßig abwechselnden1 – ›Tannhäuser‹ überlassen. Durch die beifallsreiche Aufnahme und den jedesmaligen Hervorruf Wagners bei zwanzigmaliger Wiederholung auch des letzteren Werkes bewies das Dresdener Publikum genugsam, daß es sich höheren Anforderungen an sein Verständnis nicht verschloß, daß es nicht an ihm lag, wenn ihm nicht fortschreitend höhere Kunstleistungen als geistige Nahrung zugeführt wurden. Empfand auch der Schöpfer des Werkes, im Gefühl der unverkennbaren Schwächen der Vorführung (– war es ihm doch noch nicht möglich gewesen, auch nur einen jener aus Not bewilligten entstellenden Striche zu beseitigen! –) oft genug das nagende Bewußtsein des Mißverständnisses seiner lückenhaft kundgegebenen künstlerischen Absicht. so blieb ihm in allen fortgesetzten Kämpfen seiner Stellung diese Aufnahme seines Werkes doch eine wohltätig wirkende Erfahrung. Wie wenig hätte dazu gehört, um ein leidliches Einvernehmen zwischen ihm und der Generaldirektion herbeizuführen, statt daß ihn diese Schritt für Schritt in offenen Gegensatz zu ihr drängte! Allein schon durch eine damalige – nicht mehr als zehn Jahre spätere – Aufführung des ›Lohengrin‹ unter der eigenen Leitung des Meisters, mit den Kräften, für die er recht eigentlich bestimmt war,2 wäre die Situation in unberechenbarer Weise geklärt, dem Werke und seinem Schöpfer viele Kämpfe erspart, ja vielleicht der letztere, woran doch Dresden unermeßlich viel gelegen sein konnte, seiner Bühne auch über die stürmischen Maitage hinaus erhalten worden. Statt dessen legte es die Direktion darauf an, ein jedes grundsätzliche Eingreifen seinerseits in die Angelegenheiten des Theaters nach Kräften zu verhindern und ihm die Freude an seiner Wirksamkeit zu verleiden. Ja, hätte nicht der reine klare Gebirgsquell der Produktion so unversieglich in seinem Innern gesprudelt, – selbst seine Schaffenslust hätte unter diesem äußeren Drucke endlich versagen müssen. Charakteristisch ist in dieser Beziehung seine gegen den jungen Kietz als Tischgast getane Äußerung aus der Zeit der letzten Arbeit am ›Lohengrin‹: ›er trüge sich jetzt mit Ideen zu einem neuen großen Werke aus der deutschen Mythologie; er fürchte aber, es werde ihm dazu an Muße fehlen, ja daß er überhaupt schon zu alt dazu sei; er hätte es in seinen jüngeren Jahren unternehmen müssen‹. Das Gefühl der Ermüdung unter den Anforderungen eines absurden Dienstverhältnisses[304] – bis zur täuschenden Empfindung eines vorzeitigen Gealtertseins, – liegt in dieser merkwürdigen Äußerung, so gelegentlich sie auch gefallen sein mochte, offen ausgesprochen!

Wir mögen die Entstehung jenes weltumspannenden Entwurfes des ›Nibelungen-Mythos‹, der uns mit der bloßen Jahreszahl 1848 im zweiten Bande der Gesammelten Schriften erhalten ist, etwa in den September oder Oktober dieses Jahres verlegen. Ein bestimmterer Anhalt dafür ist uns zurzeit nicht geboten.3 Mit dem Zurücktreten des ›Friedrich Rotbart‹ war nun der Nibelungen-Mythos, mit Siegfried als Mittelpunkt, in seinem Innern zur unbestrittenen Herrschaft gelangt. Wie er aber zugleich mit dem geschichtlichen Gegenstande die ganze Gattung des bloß gesprochenen Schauspiels grundsätzlich für immer hatte fallen lassen, war er sich andererseits auch auf das deutlichste bewußt, daß es sich in seinem ›Siegfried‹ um keine ›Oper‹ mehr handeln könne, sondern um etwas unvergleichlich Höheres und Größeres. Auch mit Beziehung hierauf ist uns durch Kietz' Erinnerung eine Äußerung aufbewahrt, von einem jener größeren Spaziergänge, wie er sie damals des Nachmittags mit Röckel, Uhlig oder dem mehrgenannten jungen Tischgaste gern unternahm ›Ich schreibe keine Opern mehr‹, habe er mit Lebhaftigkeit gesagt, ›Lohengrin ist meine letzte Märchen will ich komponieren, das ist das Rechte; das Märchen vom Fürchtenlernen.‹ Daß mit der letzteren Erwähnung direkt auf den jungen Siegfried angespielt sei, die Annahme wird uns durch eine briefliche Äußerung gegen Uhlig verwehrt: danach habe es sich vielmehr bei dem ›Burschen, der auszieht, um das Fürchten zu lernen‹, um einen selbständigen ›heiteren Stoff‹ gehandelt, und dessen innere Identität mit seinem jugendlich freudigen Helden dem Dichter selbst erst viel später zu seiner eigenen Überraschung sich offenbart.4 Doch finden wir den Meister schon Anfang November bemüht, sich durch Abschüttelung einiger leichtvermeidlicher Ansprüche die Vormittage vom Dienste frei zu erhalten; in diesem Sinne ersucht er Reißiger an seiner Statt das alljährliche Chorbenefiz-Konzert zu dirigieren, und setzt sich darüber gleichzeitig mit dem alten Fischer ins Einvernehmen.5 Und nicht lange darauf entsteht tatsächlich – in dem Zeitraum von nicht ganz drei Wochen – die vollständig ausgeführte Dichtung von ›Siegfrieds Tod‹. Sie trägt in ihrer ersten Niederschrift das Datum des 12. November 1848 an der Spitze, das Schlußdatum lautet: Dresden, 28. November.6 Bemerkenswert dafür, wie [305] wenig er, auch in diesem Falle, mit seiner soeben angeführten ablehnenden Äußerung gegen den jungen Kietz (daß er ›keine Opern mehr schreibe‹) auf eine aprioristische, rein äußerliche Kategorisierung seiner neuen Schöpfung ausging, ist übrigens der Umstand, daß in eben dieser ersten Niederschrift seiner neuen Dichtung dieselbe ausdrücklich noch als ›große Heldenoper in drei Akten‹ benannt ist. Dagegen bieten uns die eigenen ausführlichen, gerade an die Entstehung des ›Siegfried‹ geknüpften Betrachtungen Wagners über Vers und Melodiebildung eine um so greifbarere Handhabe für die Erkenntnis des bezeichneten ›Wendepunktes seiner künstlerischen Richtung‹. ›Als ich den Siegfried entwarf, fühlte ich, mit vorläufigem gänzlichen Absehen von der musikalischen Ausführungsform, die Unmöglichkeit, diese Dichtung im modernen Verse auszuführen. Ich war mit der Konzeption des »Siegfried« bis dahin vorgedrungen, wo ich den Menschen in der natürlichsten, heitersten Fülle seiner sinnlich belebten Kundgebung vor mir sah: kein historisches Gewand engte ihn mehr ein; kein außer ihm entstandenes Verhältnis hemmte ihn irgendwie in seiner Bewegung, die aus dem innersten Quelle seiner Lebenslust jeder Begegnung gegenüber sich so bestimmte, daß Irrtum und Verwirrung, aus dem wildesten Spiele der Leidenschaften genährt, rings um ihn bis zum offenbaren Verderben sich häufen konnten, ohne daß der Held einen Augenblick, selbst dem Tode gegenüber, den inneren Quell in seinem wellenden Ergusse nach außen gehemmt, oder je etwas anderes für berechtigt über sich und seine Bewegung gehalten hätte, als eben die notwendige Ausströmung des rastlos quillenden inneren Lebensbrunnens. Er war mir der männlich verkörperte Geist der ewig und einzig zeugenden Unwillkür, des Wirkers wirklicher Taten, des Menschen in der Fülle höchster, unmittelbarster Kraft und zweifellosester Liebenswürdigkeit. So wie dieser Mensch sich bewegte, mußte aber notwendig auch sein redender Ausdruck sein. Hier reichte der nur gedachte moderne Vers mit seiner verschwebenden körperlosen Gestalt nicht mehr aus; den »Siegfried« mußte ich geradesweges fahren lassen, wenn ich ihn nur in diesem Verse hätte ausführen können. Somit mußte ich auf eine andere Sprachmelodie sinnen; und doch hatte ich in Wahrheit gar nicht zu sinnen nötig, sondern nur mich zu entscheiden; denn an dem urmythischen Quelle, wo ich den jugendlich schönen Siegfriedmenschen fand, traf ich auch ganz von selbst auf den sinnlich vollendeten Sprachausdruck, in dem einzig dieser Mensch sich kundgeben konnte Es war dies der, nach dem wirklichen Sprachakzente zur natürlichsten und [306] lebendigsten Rhythmik sich fügende, zur unendlich mannigfachsten Kundgebung jederzeit leicht sich befähigende, stabgereimte Vers, in welchem einst das Volk selbst dichtete, als es eben noch Dichter und Mythenschöpfer war.‹7 Auch ein musikalisches Fragment findet sich inmitten der Handschrift der in jenen Novembertagen von ihm ausgeführten Dichtung, an der Stelle von Siegfrieds Tod, uns vergegenwärtigend, wie auch dieses Werk sogleich bei seiner ersten Niederschrift mit voller Allgewalt des Klanges in ihm lebte. – Seinem inneren Drange Genüge zu tun, keineswegs mit dem Gedanken einer szenischen Darstellung seines Werkes, etwa auf dem Dresdener Theater, führte er seine Dichtung aus, in dem bestimmten Gefühl, mit diesem Entwurfe weit über die vorhandenen Darstellungsmittel hinauszugehen. ›Damals, im Herbst 1848, dachte ich an die Möglichkeit der Aufführung von »Siegfrieds Tod« gar nicht, sondern sah seine dichterisch-technische Vollendung, und einzelne Versuche zu seiner musikalischen Ausführung, nur für eine innerliche Genugtuung an, die ich, zu jener Zeit des Ekels vor den öffentlichen Angelegenheiten und der Zurückgezogenheit von ihnen, mir selbst verschaffte.‹

Es kam zu Vorlesungen der vollendeten Dichtung im Freundeskreise: das war für jetzt die weitestgehende Öffentlichkeit, der es ihn drängte sich mitzuteilen. Von einer solchen im Monat Dezember berichtet uns Gustav Kietz, den eines Tages ein Briefchen Wagners dazu einlud, ihn behufs Anhörung seiner neuen Dichtung zu besuchen, wenn er ›nichts Besseres zu tun habe‹. Er habe bei dieser Gelegenheit noch Semper, den Chordirektor Fischer und Ferdinand Heine bei dem Meister getroffen, auch des alten Heine seit kurzem in Dresden niedergelassenen Sohn Wilhelm,8 der soeben seine Studien [307] als Dekorationsmaler in Paris beendet und die Lieferung der ›Lohengrin‹-Dekorationen von Lüttichau als Probestück erhalten hatte. Ganz zuletzt, als alle anderen versammelt waren, seien noch die zwei jüngsten eingeladenen Zuhörer – Hans von Bülow und Karl Ritter – erschienen, höchst feierlich im Frack und weißer Binde, die Zylinderhüte im Arm. Dem ostensiblen Ausdruck ihrer Ehrerbietung habe der Meister in seiner drastischen Weise mit prächtiger Ironie die Spitze abgebrochen. Er sei ihnen mit den scherzenden Worten entgegengegangen: ›O meine Herren, Sie tun mir zu viel Ehre an‹, habe ihnen dann die Hüte abgenommen und sei damit suchend im Zimmer umhergelaufen: ›wo ist denn ein geeigneter Platz dafür?‹ Endlich einen, zwischen Ofen und Wand befindlichen Holzkorb entdeckend, habe er die zwei Hüte mit den Worten darauf gesetzt: ›Hier! hier stehen sie gut!‹ Dagegen sei Röckel an diesem Abend bestimmt nicht zugegen gewesen, wie denn Kietz überhaupt bei seinen Besuchen in des Meisters Hause sich keines Zusammentreffens mit ihm entsinnt. Als alle versammelt waren, habe Wagner mit voller klarer Stimme und hinreißender Betonung den Vortrag der gewaltigen Dichtung begonnen und, mit kurzer Pause nach jedem der drei Akte, an demselben Abend zu Ende geführt. An die Vorlesung schloß sich dann noch ein Gespräch über die Art und Weise der musikalischen Ausführung. Kietz erinnert sich noch genau, wie der alte Fischer dabei wiederholt nachdenklich den Kopf geschüttelt, wie er zu des Meisters erläuterndem Hinweis auf die Erzählung im Tannhäuser die Meinung geäußert, schon da dürfte Wagner ›zu weit gegangen sein‹. Dem guten Alten, der bei jeder Gelegenheit, wenn es galt dem jüngeren Freunde zu dienen, zur Verwirklichung seiner Intentionen seine ganze Kraft und Fähigkeit einsetzte, wurden seine ehrlichen Bedenken nicht übel genommen Wandte sich doch der Künstler bei solchen Anlässen bis in die späteste Zeit nie eigentlich an irgendwelche kritische Intelligenz seiner Hörer, die ihm in den seltensten Fällen sich darbot; es war ihm bloß Bedürfnis, die wenigen Getreuen an seinem Sinnen und Schaffen stets teilnehmen zu lassen und sie darüber gleichsam auf dem Laufenden zu erhalten. Manche köstliche erläuternde Bemerkung habe aber (nach Kietz) der Meister an diesem Abend, gerade durch den Widerspruch angeregt, über die bedeutsame Beteiligung des Orchesters an dem dramatischen Ausdruck gemacht, sowie über die Notwendigkeit, daß das Wort von der Bühne aus mehr vorherrschen müsse als bisher, und zum Schluß auf seinen ›Lohengrin‹ verwiesen. [308] An diesem würden sie schon merken, wie er es meine, denn da sei er schon ›viel weiter gegangen als im Tannhäuser‹.

Um diese Zeit entschied sich, ganz wider das Verhoffen des Künstlers, das Dresdener Schicksal des ›Lohengrin‹, und wohl möchten wir es ein tragisches nennen. Die plötzliche rücksichtslose Ablehnung seines letzten Dresdener Werkes hat Wagner lange nicht verschmerzen können: sie war ihm zu allem anderen, bereits in Dresden Erfahrenen, der herbste, durch nichts zu sühnende Schlag, das schwerste an ihm begangene Unrecht. Unmöglich ist es, in den leitenden Motiven dieses Schrittes der Intendanz einen Sinn und Verstand zu finden, es wäre denn, daß man den schaffenden Künstler absichtlich habe kränken, und dazu das unwürdigste Mittel wählen wollen, nämlich: seinem Werke im voraus, noch ehe es ins Leben trat, den Todesstoß zu versetzen, indem man es zum Schweigen verurteilte, wo seinem Schöpfer alles daran gelegen war, daß es laut erklang und für ihn zeugte. Und dies zwar aus reiner Willkür, ohne jede Spur eines sachlichen Vorwandes. Seinen künstlerischen Arbeiten waren bis dahin keine Opfer gebracht worden, die sich nicht reichlich belohnt hätten. Die beiden einzigen Opern, welche das Hoftheater von ihm gab, machten bei jeder Vorführung volle Häuser, und gerade der Herbst 1848 liefert dafür den sprechendsten Beweis. Seit Monaten war Lüttichau im Besitz eines kopierten Exemplares der Partitur, für welches er seinerzeit dem Komponisten die Kopie-Auslage mit 36 Talern hatte zustellen lassen.9 Es bedurfte diesmal nicht, wie noch für den ›Tannhäuser‹, einer erst bei Pariser Künstlern zu bestellenden dekorativen Ausstattung. Die Sänger und Darsteller des neuen Werkes waren im Dresdener Personale vollzählig vorhanden. Und wie einzig der alte Fischer es zustande gebracht hätte, die schwierigen Aufgaben der Chöre zur vollen Befriedigung zu lösen, so war der Sohn des besten alten Freundes, der junge Heine, mit Begeisterung bereit und gewiß vorzüglich befähigt, die Aufgabe der szenischen Erscheinung des Werkes mit Glück zu der seinigen zu machen. Es war demnach kein geschäftliches Risiko, das man mit der Inszenierung des seit acht Monaten vollendeten Werkes auf sich nahm. Die völlige innere Lostrennung des Künstlers von dem ihm einst anvertrauten Institute der Dresdener Oper erfolgte aus niederen höfischen Kabalen, an denen sein eigener Intendant wesentlich mit beteiligt war. ›Wie stand es damals, als ich noch da war, der ich diese Oper eigens für Dresden und den damaligen [309] Bestand des Personales geschrieben hatte?‹ schreibt Wagner darüber drei Jahre später an Fischer. ›Damals hielt man es für gut, mich etwas zu chikanieren: schon waren dem jungen Heine die Bestellungen für die Dekorationen zugegangen, als es plötzlich Lüttichau einfiel, alles wieder abzubestellen. Ich habe damals geschwiegen: aber Ihr wußtet nicht, wie schmählich es mich niederdrückte, mich in meinen Kunstbestrebungen von den Verhältnissen so abhängig zu wissen, daß ich nur als Heuchler und Speichellecker Fortkommen für meine Kunst hätte ersehen können. Pfui! wer Ehre im Leibe hat, macht sich da fort!‹

Die Zurücklegung des ›Lohengrin‹ im entscheidenden Moment war kein nobler Zug in Lüttichaus Verhalten gegen Wagner Sie bedeutete in Wahrheit nichts anderes als den Versuch eines gewalttätigen Todesurteils über sein ferneres künstlerisches Schaffen. Welche deutsche Bühne sollte sich wohl an die Aufführung eines Werkes machen, das an seinem Ausgangspunkte selber, wo sein Schöpfer lebte und wirkte, stillschweigend unterdrückt worden war? Es ist unter diesen Umständen begreiflich, wieviel Lüttichau später daran liegen mußte, die Schuld eines so unwürdigen Mißbrauches seiner amtlichen Machtstellung von sich abzuwälzen.10 Nach einer späteren Darstellung des Verhältnisses, von deren Gültigkeit man den Meister selbst zu überzeugen suchte, habe er damals nämlich die Oper nicht aus eigenem Antriebe fallen gelassen, sondern dies auf einen Wink von Oben her getan.11 Wer aber trug die Schuld, wenn der König selbst über die wirklichen Gesinnungen Wagners, über seine faktischen andauernden Bestrebungen, über seine Verdienste und berechtigten Ansprüche so mangelhaft unterrichtet war? Es bleibt im Grunde gleich traurig, ob wir uns die persönliche Ranküne des Intendanten, oder die Wühlereien einer Hofkamarilla (derselben, die es bereits versucht hatte, die Kapelle gegen ihren Führer aufzuwiegeln!) als die hauptsächlich wirkende Ursache zu denken haben. Unter allen Umständen wäre es die Ehrensache des Intendanten gewesen, unter seiner Verwaltung ein Vorgehen nicht zu dulden, das sich schon durch die unedle Verwechselung der [310] Überzeugungen des Mannes mit den Schöpfungen des Künstlers brandmarkte, indem es jene an diesen zu rächen unternahm Es war nur ein weiterer Schritt auf der betretenen schiefen Bahn der Willkür und gewalttätigen Unterdrückung, daß mit dem Beginn des Jahres 1849 Richard Wagners Werke überhaupt stillschweigend vom Dresdener Repertoire verschwanden!!

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei diesen unerklärlichen Maßregeln der Generaldirektion reaktionär-politische Rücksichten im Spiele waren. Die Sache stand so: nachdem man jahrelang jeden heilsamen Reformvorschlag Wagners ignoriert, jede förderliche Einwirkung seinerseits systematisch untergraben hatte, begann man den trotzdem behaupteten Einfluß und die Popularität des Künstlers zu fürchten. So lebhaft und in mancher Hinsicht verheißungsvoll die Bewegung der Geister im Frühjahr sich gestaltet hatte, so rücksichtslos machte sich im Herbst desselben Jahres die reaktionäre Gegenströmung geltend. Die Oktobertage Wiens mit dem Bombardement der Stadt und ihrer Einnahme durch kaiserliche Truppen eröffnete die geschlossene Reihe dieser Vorgänge; und als gar die Kunde sich verbreitete, daß am 9. November der Leipziger Abgeordnete Robert Blum auf der Brigittenau standrechtlich erschossen worden sei, legte sich ein dumpfer Schmerz über alle Gemüter; man sah, was sich die Reaktion bereits gegen einen Nationalvertreter erlaubte.12 Auf die Hinmordung Blums, Bechers und Jellineks folgten unmittelbar die Novembertage Berlins mit der Sprengung der preußischen Nationalversammlung, der Erklärung des Belagerungszustandes und den blutigen Militärexzessen gegen die Bürger. Alle diese Vorgänge fanden in Dresden einen lebhaften Widerhall. Zum Schrecken des Hofes beteiligten sich bei der Totenfeierlichkeit für Blum eine ganze Anzahl königlicher Leibgardisten in voller Uniform – rot, mit Bärenmütze – indem sie in dem Trauerzuge durch die Stadt nach der Frauenkirche einherschritten. ›Ich selbst‹, so berichtet Gustav Kietz, ›habe den Zug auf dem Neumarkt mit angesehen. Zwei Minister, Oberländer und Braun, schritten in den vorderen Reihen; ein Stück weiter rückwärts trug man eine rote Fahne; die ihr Folgenden hatten, was ich nie vorher gesehen, ihre Zylinderhüte in der unteren Hälfte verkehrt gebürstet; nur die obere Hälfte glänzte, es sah aus wie Trauerflor. Diakonus [311] Pfeilschmidt hielt die Predigt; in die Kirche selbst war mir's nicht möglich zu kommen, so sehr war sie überfüllt.‹13

Das immer kühnere Auftreten der Reaktion drängte zum Erwecken und Zusammenraffen aller Widerstandskräfte. ›Um auch meinerseits hierzu beizutragen‹, erzählt Röckel von sich selbst, ›begann ich im Herbst 1848 die Herausgabe wöchentlich erscheinender kleiner »Volksblätter«, die, lediglich der Besprechung der wichtigsten Zeitfragen gewidmet, wohl mehr infolge ihrer schnellen Verbreitung die Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft so sehr auf sich zogen, daß beinahe die Hälfte der Nummern mit Beschlag belegt wurde, ohne daß diese Konfiskationen auch nur in einem Falle zu einer gerichtlichen Verhandlung geführt hätten.‹ Die innere Bedeutung dieser, unter mitwirkender Ägide des Vaterlandsvereines von ihm publizierten Zeitschrift wird von ihrem Herausgeber bescheiden unterschätzt Zeitgenossen rühmen ›Röckels klassische Volksblätter‹ – im Unterschied von der sonstigen damaligen demokratischen Publizistik – als eine ›wahrhaft volkstümliche Lesegabe‹. Im Verlauf eines halbjährigen Bestandes seien sie in Tausenden von Exemplaren durchs Land und darüber hinaus gewandert: ›fliegen de Boten eines demokratischen Feuergeistes, predigten sie mit unwiderstehlicher Logik, zwar etwas doktrinär, aber eindringlich und verständlich, die Lehren des Freistaates, der sozialen Reform.‹ Das habe das Volk gefühlt und diese Blätter mit heißer Lernbegierde verschlungen.14 Der gesetzwidrigen Unterdrückung seines Blattes auf dem Wege der Konfiskation wußte der Herausgeber durch das einfache Mittel zu begegnen, daß er die vorrätigen Exemplare aus seinem Expeditionslokale entfernte. Schlimmer erging es ihm mit einem eindringlichen Mahnruf an das preußische Militär, den er infolge jener militärischen Exzesse (S. 311) in zahlreichen Abdrücken nach Berlin entsandte: einige zufällig in Dresden verbreitete Exemplare dieses ›offenen Briefes an die Soldaten‹ zogen ihm eine Untersuchungshaft zu, die jedoch infolge der dadurch bewirkten Aufregung nur drei Tage währte. ›Kaum hatte sich‹, so erzählt er selbst, ›die Nachricht meiner Verhaftung und ihres Grundes in der Stadt verbreitet, als ein mir persönlich ganz unbekannter Gutsbesitzer sich auf das Gericht begab und eine Kaution von 10000 Talern für meine sofortige Freilassung deponierte.15 Die Kaution wurde – wenn auch ohne Berechtigung, da ich [312] auch ohne sie freizugeben war – angenommen, und einige Freunde brachten mich spät abends zu meiner Familie zurück. Die Gesinnungsgenossen hatten beschlossen, den in mei ner Freigebung errungenen Sieg des Rechtes durch einen großen Fackelzug zu verherrlichen. Für die von der Polizeibehörde untersagten Fackeln mochte es immerhin als ein bedeutungsvoller Ersatz gelten, daß einige zwanzig Gardisten der königlichen Leibwache, um offen die Gesinnung des Militärs auszusprechen, der zu gewärtigenden Strafe ungeachtet die Schloßwache verließen und den Zug eröffneten.‹

Es dürfte hier wohl der Ort sein, bei näherer Betrachtung der Beziehungen zwischen Wagner und Röckel der Berücksichtigung einer neueren Darstellung dieses Freundschaftsverhältnisses nicht aus dem Wege zu gehen, die insoweit einigermaßen autoritativ auftritt, als sie einem umfangreichen gelehrten Werke über ›Richard Wagners geistige Entwickelung‹ angehört, von dessen Verfasser daher wohl ein richtigeres Urteil über die von ihm geschilderte Persönlichkeit Wagners und eines seiner nächststehenden Freunde zu erwarten gewesen wäre Röckel, so heißt es in dieser Schilderung, dessen Privat- und Familienleben (!) durchaus nicht als musterhaft (?!) bezeichnet werden könne16, sei der Mephistopheles gewesen, der Wagner in die politische Hexenküche führte; er habe ihm im Spiegel demokratischer und sozialistischer Ideen ein ideales Zukunftsbild gezeigt. ›Sein Einfluß auf Wagner war fast dämonisch (!); er hatte den Künstler ganz mit Be schlag belegt (!). Auf täglichen Spaziergängen, zu denen er den Freund abholte, predigte er ihm seine Ideen vor, bis er ihn fest umstrickt hatte und vorwärts trieb, – über die Barrikaden, zum neuen Lebenslauf.‹17 Die seitdem öffentlich erschienenen Briefe Wagners an den seltsamen republikanischen Freund18 haben das Herrn Dinger so widerwärtige Bild Röckels19 mit seiner ›plumpen Sophistik‹,20[313] seinen ›Agitatorenkniffen‹21 und ›wöchentlich fabrizierten Leitartikeln‹22 zur rechten Zeit aus der bisherigen Dämmerung gerückt, in der es einer so bedauernswerten Entstellung verfallen konnte. Um einen dämonischen Einfluß ausüben zu können, hätte doch vor allem etwas Dämonisches in der Natur des Mannes liegen müssen, den vielmehr Liszt, als er ihn in späteren Jahren kennen lernte, als einen ›milden, gebildeten, humanen, vortrefflichen Menschen‹ bezeichnet.23 Schon die äußere Erscheinung des Mannes, der ›in seinem Volksblatt der Aristokratie mit so virtuoser Keckheit den Fehdehandschuh ins Gesicht warf‹, wird uns von Zeitgenossen durchaus unmephistophelisch, vielmehr als der ›wahre Typus eines echt deutschen Mannes‹ geschildert. Seine kräftige, zur Wohlbeleibtheit neigende Gestalt, das volle runde bärtige Gesicht mit den blauen Augen habe vielmehr ›höchst gemütlich ausgesehen‹ und nichts von dem ›Grimme seiner Schreibweise‹ (!) verraten. ›Das lichte Haar, auf eine Seite gescheitelt, fiel lang in den Nacken herab und kündete in Harmonie mit der Brille, die er über die Augen hinauf auf die Stirn geschoben, den Mann des Volkes und der Feder‹24 Vor allem aber war doch Wagner weder damals noch zu irgendwelcher Zeit die passive Natur, um sich durch einen anderen, wer es auch sei, ›einem neuen Lebenslauf entgegentreiben zu lassen‹ oder seine geistige Unabhängigkeit einem Parteiprogramm25 aufzuopfern. Wer dem Schöpfer des ›Lohengrin‹ und des ›Siegfried‹ (im vergeblichen Bemühen, seine durchaus individuelle, einzig aus sich selbst zu erklärende Erscheinung gewaltsam in eine landläufige Kategorie zu zwängen) mit viel Gelehrsamkeit, aber wenig Unterscheidungssinn, statt der Sonnenklarheit seiner eigenen Gedanken den konfusen Wechselbalg eines spezifisch ›demokratischen‹ oder ›junghegelianischen‹ Programmes unterschiebt, beweist damit nur die Wahrheit der Bemerkung Wagners, wonach dem Deutschen immer doch erst beim ›Klassifizieren‹ recht wohl wird. Durchaus entgegengesetzt lautet das aus vertrautem persönlichen Umgang während jener Dresdener Zeit geschöpfte Urteil Theodor Uhligs, wonach Wagner [314]im Grunde niemals mit dem formellen Gebahren der Dresdener Demokraten und Republikaner weder sympathisiert, noch auch sympathisieren zu können sich eingebildet hat‹. ›Aber‹, so fährt er fort ›in den politischen Bestrebungen des Jahres 1848 war allerdings ein Kern, den zwar die wenigsten von jenen Demokraten und Republikanern erkannten, der aber jeden, dem es um den Fortschritt der Menschheit ernstlich zu tun, an diese Bestrebungen fesseln mußte.‹26 Und wenn dieser rein menschliche Kern jener Bewegungen recht vorzugsweise in dem ethischen Moment der persönlichen Überzeugung, der idealistischen Fähigkeit der Selbstaufopferung zugunsten allgemeiner und höherer Interessen sich dokumentierte, – wie sollte er diese Kraft und Fähigkeit nicht vor allem an dem redlichen Freunde achten, der seine ganze bürgerliche Existenz mit rückhaltloser Entschlossenheit an die Verwirklichung seiner republikanischen Ideale setzte?

Es bedurfte keiner besonderen formalen Übereinstimmung der politischen Denkart, um den Künstler an den persönlichen Schicksalen eines in allen Schwankungen treu erfundenen Freundes in stetiger warmer Teilnahme zu erhalten. Noch immer war Röckel, soweit es dessen gehäufte Redaktionsgeschäfte ihm verstatteten, der bevorzugteste Genosse seiner Einsamkeit.27 Welche Eigenschaft befähigte ihn dazu? ›Du bist doch einer der merkwürdigsten Menschen‹, ruft ihm der Meister noch anderthalb Jahrzehnte später zu, als ihm eben ein Brief des Freundes ›so recht das Beste aus der alten Zeit‹ vergegenwärtigt. ›Mit Deinem Glauben mußt Du Berge versetzen können.‹ Hier ist der Schlüssel der Möglichkeit eines so intimen Verkehrs zwischen dem Künstler und dem erklärten Politiker. Wagner trug in sich einen starken, begeisterungsvollen Glauben und fand in dem ganzen herrlichen Dresden nur Schwachköpfe ohne jeden ›Glauben‹, weder an ein Ideal, noch an sich selbst. Was ihn an Röckel fesselte, war nicht die Politik, sondern dessen Begeisterungsfähigkeit und felsenfester, bergeversetzender Glaube an seine Sache. Alle Politik blieb für den Künstler stets etwas Äußerliches und das politische Denken seines beweglichen Geistes ebenso akkommodationsfähig, als es ihm andererseits nur darum zu tun war, von welchem [315] Punkte es auch sei, zu den einzig erstrebenswerten, der deutschen Natur entsprechenden Kulturzielen zu gelangen. Von dem Wahne, das Heil der Menschheit von einem bestimmten politischen Glaubensbekenntnis, einer Regierungsform oder Staatsverfassung abhängig zu machen oder in einer solchen eine persönliche Befriedigung zu finden, war er damals so weit entfernt als je Eben darum aber war es völlig ausgeschlossen, daß unter den damaligen Zeitverhältnissen etwa gar der ›Republikaner‹ als solcher seinem Herzen um einen Schritt ferner gestanden hätte, als ein beliebiger Vertreter des ›Hofes‹ oder der ›Regierung‹. Hatten doch gerade seine Dresdener Erfahrungen nur dazu gedient, ihn von jeder Hoffnung und redlichen Bemühung, an das Bestehende anzuknüpfen, immer weiter abzulenken: ihm konnte alles recht sein, was ihn möglichst weit davon entfernte. Welche unwürdige Menschenfurcht sollte ihm die Rücksicht vorschreiben, etwa um seiner herrlichen ›Hofkapellmeisterschaft‹ willen, den Umgang und innigen Gedankenaustausch mit dem ›Demokraten‹ Röckel zu vermeiden, weil dieser nun in jenen Hofkreisen ein Geächteter und Ausgestoßener war? Als er kaum ein halbes Jahr später Dresden verließ, schrieb Ferdinand Hiller an seinen Freund David in Leipzig die charakteristischen Worte: ›Wagner soll entflohen sein, – wenn er so wahnsinnig gewesen ist, sich persönlich zu beteiligen, so hat er wahrscheinlich eine traurige Zukunft vor sich.‹28 Dem Gesichtskreise eines Hiller war allerdings eine ähnliche Anschauung recht angemessen. Dieselbe Dresdener Umgebung, in welcher der Genius Wagners sich in immer engerer Umstrickung endlich wie ein lebendig Begrabener vorkam, konnte ihm und seinesgleichen fortgesetzt sehr vortrefflich und angenehm dünken. Immer noch florierten die Hillerschen Mittwochs-Abende und ähnliche Zusammenkünfte der Dresdener Künstler und Literaten; man spielte in diesen Kreisen mit der Revolution als einem angenehm aufregenden Reiz. ›Unter die Poeten und Schriftsteller mischten sich (nach Pecht) die revolutionären Politiker, der ebenso schöne als geist- und phantasievolle Julius Fröbel und der feurige Köchly, Philolog und zugleich ein ausgezeichneter Redner, und steigerten die Aufregung durch ihre Weltverbesserungspläne aufs Höchste.‹ Später sei auch der ›ebenso anspruchslos liebenswürdige als schlicht geistreiche‹ Gustav Freytag dazugekommen Trotzdem mochte sich Wagner kaum irgendwo einsamer fühlen, als in diesem brillanten Kreise mit seinem polnisch-jüdisch-ungarischen gesellschaftlichen Ferment, als dessen gelegentlichen Teilnehmer ihn Pecht in dem selben Zusammenhange abermals mit erwähnt. Der zuletzt genannte semmelblonde, hochaufgeschossene schlesische Literat und journalistische Kollege des kraushaarigen österreichischen Juden Kuranda, Dr. Gustav Freytag, der sich [316] damals u.a. auch zum Dramatiker berufen hielt, hatte erst kürzlich seine Breslauer Dozententätigkeit abgebrochen und sich in gemächlichen äußeren Verhältnissen in dem so anziehenden Dresden niedergelassen. Von seiner Begegnung mit Wagner im Herbst 1848 ›in großer Gesellschaft‹ berichtet er selbst in seinen Erinnerungen. Wagner habe ihm bei jenem Zusammentreffen ›von seiner Idee zu einer großen Oper erzählt, die in der germanischen Götterwelt spielen solle‹. Mit seiner vielgepriesenen ›lie benswürdigen Unbefangenheit‹ fügt er dieser Angabe hinzu: ›der Inhalt dieser Oper habe für Wagner damals noch nicht festgestanden (!), was ihn aber für die Idee begeisterte, sei ein Chor der Walküren gewesen, die auf ihren Rossen durch die Luft reiten‹. Da habe er denn – in seiner nicht minder gerühmten ›milden Überlegenheit und Reise des Urteils‹ – Wagners feurige Schilderung mit der Frage unterbrochen: ›Warum wollen Sie denn die armen Mädchen an Stricke hängen? sie werden Ihnen in der Angst falsch singen!‹ ›Aber‹, so fährt er in seiner Erzählung fort, – ›das Schweben in der Luft und der Gesang aus der Höhe, die Freude an unerhörten Dekorationswirkungen sei für Wagner gerade das Lockende gewesen, was ihm die Stoffe aus dieser Götterwelt zuerst vertraulich machte.‹ Bei dieser Ansicht verharrte nicht allein das im folgenden Jahre von Freytag und Julian Schmidt käuflich erworbene Kurandasche Journal,29 das bis in die spätesten Tage buchstäblich den gleichen Ton gegen Richard Wagner und seine Kunst eingehalten hat, sondern vor allem auch Freytag selbst, vom Jahre 1848 bis zum Jahre 1888, wo er sie bedachtsam in seine Memoiren aufzeichnete. Was Wunder, daß sich der Künstler für seinen Umgang, statt an diese Gattung von ›Auserlesenen‹, lieber an die Ausgestoßenen hielt?

Seine vereinsamte Stellung als künstlerischer Mensch, eine ganz neue Welt im Innern, und nach außen hin machtlos, sie ins Leben zu rufen, mußte ihm gerade an seinem ›Siegfried‹ vollends zum schmerzlichsten Bewußtsein kommen. Der nagenden Wirkung dieses Schmerzes konnte er nur durch Befriedigung seines rastlosen Triebes zu neuen Entwürfen wehren. ›Es drängte [317] mich etwas zu dichten, das gerade dieses mein schmerzliches Bewußtsein auf eine dem gegenwärtigen Leben verständliche Weise mitteile. Wie ich mit dem »Siegfried« durch die Kraft meiner Sehnsucht auf den Urquell des ewig Reinmenschlichen gelangt war, so kam ich jetzt, wo ich diese Sehnsucht dem modernen Leben gegenüber durchaus unstillbar, und von neuem nur die Flucht vor diesem Leben, mit Aufhebung seiner Forderungen an mich durch Selbstvernichtung, als Erlösung erkennen mußte, auch an dem Urquell aller modernen Vorstellungen dieses Verhältnisses an, nämlich dem menschlichen Jesus von Nazareth. Zu einer, namentlich für den Künstler ergiebigen Beurteilung der wundervollen Erscheinung dieses Jesus war ich dadurch gelangt, daß ich den symbolischen Christus von ihm unterschied, der, in einer gewissen Zeit und unter bestimmten Umständen gedacht, sich unserem Herzen und Verstande als so leicht begreiflich darstellt Betrachtete ich die Zeit und die allgemeinen Lebensumstände, in denen ein so liebendes und liebebedürftiges Gemüt, wie das Jesus', sich entfaltete, so war mir nichts natürlicher, als daß der Einzelne, der eine so ehrlose, hohle und erbärmliche Sinnlichkeit, wie die der römischen Welt und mehr noch der den Römern unterworfenen Welt, nicht vernichten und zu einer neuen, der Gemütssehnsucht entsprechenden Sinnlichkeit gestalten konnte, nur aus dieser Welt, somit aus der Welt überhaupt hinaus, nach einem besseren Jenseits, – nach dem Tode, verlangen mußte. Sah ich nun die moderne Welt von einer ähnlichen Nichtswürdigkeit, als die damals Jesus umgebende erfüllt, so erkannte ich jetzt nur, der charakteristischen Eigenschaft der gegenwärtigen Zustände gemäß, jenes Verlangen in Wahrheit als in der sinnlichen Natur des Menschen begründet, der aus einer schlechten, ehrlosen Sinnlichkeit sich eben nach einer edleren, seiner geläuterten Natur entsprechenden Wahrnehmbarkeit sehnt.30 Es reizte mich nun, die Natur Jesus', wie sie unserem, der Bewegung des Lebens zugewandten Bewußtsein deutlich geworden ist, in der Weise darzutun, daß das Selbstopfer Jesus' nur die unvollkommene Äußerung desjenigen menschlichen Triebes sei, der das Individuum zur Empörung gegen eine lieblose Allgemeinheit drängt, zu einer Empörung, die der durchaus Einzelne allerdings nur durch Selbstvernichtung beschließen kann, die gerade aus dieser Selbstvernichtung heraus aber noch ihre wahre Natur dahin kundgibt, daß sie wirklich nicht auf den eigenen Tod, sondern auf die Verneinung der lieblosen Allgemeinheit ausging. In diesem Sinne suchte ich meiner empörten Stimmung Luft zu [318] machen mit dem Entwurfe eines Dramas »Jesus von Nazareth«.31 Zwei überwältigende Bedenken hielten mich aber von der Ausführung des Entworfenen ab. Diese erwuchsen einerseits aus der widerspruchsvollen Natur des Stoffes, wie er uns eben vorliegt; andererseits aus der erkannten Unmöglichkeit, auch dieses Werk zur öffentlichen Aufführung zu bringen. Ein klarer, täuschungsloser Blick auf die äußere Welt belehrte mich entscheidend, daß ich den Jesus von Nazareth durchaus aufzugeben hatte.‹

So standen die Dinge um die Jahreswende von 1848 zu 1849. Es war so weit gekommen, daß die schöpferische Kraft des Genius völlig niedergehalten, seine Tätigkeit, statt erneuernd und belebend in verkommene Zustände einzugreifen, nur noch wie die eines Handwerkers zu untergeordneten theatralischen Dienstleistungen mißbraucht werden sollte. ›Ich lebe‹, so schreibt er an Liszt (14. Jan.), ›in sehr gedemütigter Lage ziemlich hoffnungslos dahin. Vom guten Willen gewisser Menschen hänge ich ab; jeden Gedanken an Lebensgenuß habe ich fahren lassen Indessen – zu Ihrem Troste sei dies gesagt! – ich lebe doch, und denke mich so leicht von Niemand unterbringen zu lassen.‹ Ein Lichtblick während des verflossenen Jahres war eben diese erste nähere Berührung mit Liszt, der Eindruck seiner Persönlichkeit gewesen; daß aber von diesem Punkte aus tatsächlich eine maßgebende und entscheidende Wendung für das Schicksal seiner Werke ausgehen sollte, konnte damals weder dem einen noch dem anderen Teile deutlich sein. Noch Vieles war zwischen den beiden großen Freunden unausgesprochen. Von einem reinen und völligen Erfassen der künstlerischen Bedeutung Wagners durch Liszt konnte um so weniger die Rede sein, als er ja um jene Zeit noch nicht einmal den ›Tannhäuser‹ durch eigene Anhörung kannte. Während des Besuches, den ihm Wagner auf seiner Urlaubsreise in Weimar gemacht, war von der Möglichkeit die Rede gewesen, einer Dresdener Vorstellung des Werkes beizuwohnen. ›Ich hatte der Frau Fürstin Wittgenstein Nachricht wegen einer Aufführung meines »Tannhäuser« versprochen: jetzt kann ich Ihnen keine andere geben, als daß diese Oper Sonntag oder Montag, wie ich versprochen hatte, nicht aufgeführt werden kann‹, lesen wir in einem Briefe des Meisters an Liszt vom 6. September.32 Kaum vierzehn Tage später, am 19. September, wird die erwünschte Aufführung für den bevorstehenden Sonntag angekündigt: ›ich erachte es, zufolge unserer Abmachung, für meine Pflicht, Ihnen das zu melden, und würde mich allerdings sehr freuen, Sie und vielleicht auch die Frau Fürstin bei dieser Gelegenheit begrüßen zu können.‹ Liszt hat also den ›Tannhäuser‹ in Dresden hören wollen, sich aber unter den amtlichen Anforderungen der Herbstmonate nicht von Weimar losmachen können. Statt [319] dessen muß nun die Fürstin Wittgenstein – nach Angabe der Ramannschen Liszt-Biographie: ›in Paßangelegenheiten‹ – in Dresden gewesen sein. Daß ihr Wagner während dieser Anwesenheit jede freundliche Aufmerksamkeit erwiesen, erfahren wir noch aus einem späteren Briefe der Fürstin,33 worin sie ihm ihren besonderen Dank für seine Liebenswürdigkeit während ihres Dresdener Aufenthaltes ausdrückt. Am 12. November brachte Liszt im ersten Weimarischen Hoftheater-Konzert die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre zur wirkungsvollen Aufführung. Es war, seit jener Leipziger Verunstaltung durch Mendelssohn, die erste Vorführung des Tongedichtes außerhalb Dresdens Im Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt ist ihrer nicht gedacht. Erst am 14. Januar 1849 schreibt Wagner an Liszt die Worte: ›In dieser schlimmen Zeit übernehmen Sie also die Plage, sich mit meinem »Tannhäuser« herumzuschlagen?‹ In der Zwischenzeit muß demnach von Liszt der Beschluß einer vollständigen Vorführung des Werkes in Weimar gefaßt worden sein. Veranlassung dazu gab der altherkömmliche Brauch, am Geburtstag der kunstfreundlichen Großfürstin Maria Paulowna, dem 16. Februar, alljährlich eine neue Oper zu geben. Das letztemal war's – unter Liszts persönlicher Leitung – Flotows ›Martha‹ gewesen! Nun sollte es der ›Tannhäuser‹ sein. Gern wüßten wir Näheres über das allmähliche Vorschreiten der Angelegenheit bis zur Reise dieses hochbedeutsamen Entschlusses; wir müssen uns aber mit den soeben vorgeführten wenigen exakten Daten dafür begnügen, solange wir nichts Zuverlässigeres darüber erfahren, als die Ramannschen Mitteilungen, da letztere an dieser Stelle, bewußt oder unbewußt, auf eine Glorifizierung der Fürstin, selbst auf Unkosten Liszts, allzu handgreiflich hinauslaufen. Die dort geschilderte Szene zwischen Wagner und der Fürstin Wittgenstein ist aus inneren und äußeren Gründen völlig unmöglich; schon der nachdrücklich hervorgehobene Umstand, der ›Tannhäuser‹ sei damals nicht im Repertoire gewesen und eine Aufführung desselben unter Widerstreben Lüttichaus von der ›genialen Frau‹ durchgesetzt worden,34 steht zu dem tatsächlichen Verhältnis (S. 304) in offenem Widerspruch. Mit nicht minderer Reserve ist die fernere Angabe aufzunehmen, freundschatliche Rücksichten auf Meyerbeer hätten Liszt den Entschluß zur Aufführung des ›Tannhäuser‹ erschwert: aus dieser Partitur sei ihm ›der Todesstoß entgegengeblitzt, der die Me yerbeersche Alleinherrschaft beenden mußte‹. Welche sittliche oder künstlerische Berechtigung konnte denn diese, mit allen Mitteln behauptete ›Alleinherrschaft‹ für sich beanspruchen, um für Liszts Entschlüsse ins Gewicht zu fallen? Er habe es sich, fährt die Ramannsche Darstellung [320] fort, nicht verhehlen können, daß ein Eintreten für den ›Tannhäuser‹ ihn zwei Freunde – Meyerbeer und Berlioz – kosten würde. Während er geneigt gewesen sei, der persönlichen Rücksicht den Sieg einzuräumen, habe aber die Fürstin sich auf die andere Seite gestellt. ›In dem kleinen Oratorium (dem Gebetzimmer Liszts auf der Altenburg) entschied er sich. Mit feierlichem Ernst, todbleich, trat er aus demselben zurück: die ihm als Künstler heilige Sache der Kunst hatte die menschliche Rücksicht bezwungen.35 Schon nach einigen Tagen erhielt er die großherzogliche Genehmigung zur Erwerbung der Oper, und Eduard Genast, damals Regisseur der Hofbühne, reiste nach Dresden, um alles Nötige zu beschaffen und die Weisungen des Komponisten einzuholen.‹

Mit der letzteren Erwähnung stehen wir wieder auf dem Boden der Tatsachen, und lassen den wackeren Genast selbst die Erlebnisse seiner Tannhäuserfahrt berichten. ›Rasch entschlossen, fuhr ich nach Dresden, um von meinem hohen Gönner, Geheimrat von Lüttichau, Partitur, Solo- nebst Orchester- und Chorstimmen leihweise zu erbitten, zugleich auch, um mit dem Komponisten über das Honorar mich zu verständigen. Freundlichst gewährte mir der Herr Geheimrat mein Gesuch, obgleich der »Tannhäuser« eine Repertoire-Oper war. Nachdem mir Wagner seine Intentionen über Tempi und Szenerie mitgeteilt hatte und unser Geschäft ganz nach Wunsche geordnet war, forderte ich ihn auf, mit mir zu Hempel in die Brüdergasse zu gehen. Er führte mich in eine andere Lokalität, die in derselben Straße lag, mir aber unbekannt war. Als ich eingetreten war, sah ich sogleich an den Heckerhüten, in welcher Gesellschaft ich mich befand. Aus den Reden dieser bärtigen Gesellen konnte ich schließen, daß ihnen die konstitutionelle Monarchie eine abgetane Sache und die Republik die Sonne war, an der sie sich zu wärmen gedachten. Bei aller Unheimlichkeit, die mich überfiel, mußte ich doch im stillen lachen, als Einer, der mir von früher her bekannt war, von »Fürsten ernähren« sprach, der, wie ich wußte, den größten Teil seines [321] Gehaltes aus der königlichen Schatulle bezog. Ich hätte ihm gerne darauf gedient; aber ich überlegte, an welchem Orte und in welcher Gesellschaft ich mich befand, und schwieg. So viel wurde mir aus diesem Treiben klar, daß das Schlimmste zu erwarten stand. Erst als ich das Pflaster wieder betrat, fühlte ich mich behaglicher. Anderen Tages fuhr ich, wenn auch nicht mit Golde, doch mit Noten beladen, die mir ebensoviel wert waren, nach Weimar zurück.‹ Die drei Kreuze, welche der ehrliche Mann in seiner loyalen Denkweise vor dem gefährlichen Umgang des Dresdener Hofkapellmeisters macht, sind ergötzlich genug; für den biederen Veteranen der altweimarischen Epoche waren Kunst und Politik zwei getrennte Welten, fast nicht minder als ›Hof‹ und ›Demokratie‹. Die unbefangene Sicherheit, mit welcher der Künstler, seiner Überzeugung folgend, fast unberührt mitten zwischen beiden Extremen hindurchschritt, überstieg die Grenzen seines staatsbürgerlichen Gesichtskreises. Wir wissen aus allem Vorhergehenden, daß es in der Tat auch auf Wagners Seite nicht so sehr ein politisches Interesse war, das ihn als Gast und Beobachter in die radikalen Kreise der Residenz lockte, sondern der einzige Gesichtspunkt, der ihn auf Schritt und Tritt beseelte: seine Kunst und das ihr zu schaffende künstlerische Organ, ein von Grund aus reorganisiertes Theater. Er machte sich, nach den Mitteilungen Oberländers über die bisherigen Schicksale seines Reorganisations-Entwurfes, darauf gefaßt, ihn geradezu einem dieser Abgeordneten anvertrauen zu müssen, die weder ›Fürsten ernähren‹, noch auch den kostspieligen Luxus ihrer Hoftheater-Vergnügungen unterstützen wollten. In diesem Falle hätte er ruhig das Hof theater von der Kgl. Zivilliste streichen lassen, wenn dafür das Nationaltheater in das Staatsbudget aufgenommen worden wäre. Nicht länger litt es ihn in einer unerträglich mißverständnisvollen Stellung, die ihm die Schwingen zu kühnerem Fluge lähmte, in einer handwerksmäßigen Tätigkeit, die zu seinem ganzen Streben im grellsten Widerspruch stand, in der er oft mit blutendem Herzen da seine eigenen Werke zerstückeln und zerstören mußte, wo es ihn dürstete zu schaffen und für sein Schaffen den Boden zu bereiten. Seit kurzem war auch Röckel als Abgeordneter in die zweite Kammer des sächsischen Landtages gewählt, nachdem er, zur Beseitigung etwaiger Zweifel über seine Staatsangehörigkeit und um den gesetzlichen Formen zu entsprechen, sich in einer Gemeinde bei Dresden eine kleine, ihm angebotene Liegenschaft erworben hatte, – ein Häuschen, das er wunderlicherweise nie zu sehen Gelegenheit fand! Hier war, unter den obwaltenden Verhältnissen, der einzige Weg, um mit gründlichen Änderungen durchzudringen.

Bereits verbreiteten sich die Nachrichten über seinen Entwurf in die weitere Öffentlichkeit, gerüchtweise und im aufreizend denunziatorischen Tone. ›Es soll auch Leipzigs darin gedacht sein‹, wurde den ›Signalen‹ von Dresden aus geschrieben, ›nämlich des dortigen Konservatoriums, welches [322] von Leipzig fort nach Dresden müßte, um erst etwas Ordentliches zu werden. Herr Wagner würde dann gewiß als Direktor desselben den Schülern diejenige Klarheit und Solidität in der Komposition mitteilen, die aus seinen Werken mit der Stärke des Samum wehen. Die Herren in Leipzig mögen sich's merken.‹ In redlichstem guten Willen hatte Oberländer das Schriftstück auch den Dresdener Hofkreisen mitteilen zu müssen geglaubt: welcher Art von Wohlwollen die Arbeit dort gewürdigt worden war, hatte der Verfasser, als er in der Folge das Manuskript sich von dem Minister zurückerbat, aus den verschiedenen, ungeniert darin angebrachten Randglossen seiner hocharistokratischen Leser zu ersehen. Zunächst mußte er es an dem unversöhnlichen Groll Lüttichaus erfahren, dem es an Gelegenheit sich zu äußern um so weniger gebrechen konnte, als er unter den derzeitigen Umständen ersichtlich nach einem Anlaß dazu suchte.

Aus den Mitgliedern der Kapelle hatte sich um jene Zeit, wo alles sich dem Vereinswesen zuneigte, ein Verein gebildet, der ohne eigentlichen politischen Charakter, mehr zur Ausgleichung bestehender Gegensätze in einem gemeinsamen künstlerischen Interesse, als zur Begünstigung neuen Parteigetriebes, seine allwöchentlichen ungezwungenen Zusammenkünfte hatte. Man fand sich dazu jeden Freitag Abend im Saale des Gasthofes zum ›Lämmchen‹ ein. Es war natürlich, daß Wagner diesen geselligen Vereinigungen seiner Orchestermusiker in der Regel fern blieb, ebenso natürlich, daß er den wiederholt an ihn ergangenen Einladungen gelegentlich durch eine kurze Anwesenheit entsprach. Als er daher in den ersten Tagen des Februar 1849 besondere Veranlassung erhielt, sich gegen mannigfache Verleumdungen zu verteidigen, die von mehreren Seiten und (wie er leider erfahren mußte) auch von seinem Kollegen Reißiger gegen ihn erhoben worden waren, bot sich ihm dafür keine passendere Gelegenheit, als eben diese regelmäßigen Versammlungen des ›Kapellvereins‹, die er nicht einmal erst eigens einzuberufen, sondern nur auf eine ihm passende Zeit und Stunde zu verlegen brauchte, um der Gesamtheit seiner Musiker gegenüberzustehen Er hatte deshalb die Vertagung einer solchen gewöhnlichen Zusammenkunft von dem dafür angesetzten Freitag Abend auf den Nachmittag des folgenden Montags (12. Februar) veranlaßt. Ohne weitere Anschuldigung oder Beschwerde über die bestehende Obrigkeit meinte er dennoch bei dieser Gelegenheit anführen zu müssen, was er in Wahrheit seit Jahren für das Beste des ihm anvertrauten Institutes der Kgl. Kapelle geplant und beabsichtigt. In diesem Sinne brachte er den anwesenden Musikern das Wesentliche seines Reformplanes zum Vortrag, und indem er vertröstend auf kommende bessere Zeiten hinwies, wo er ihnen mehr als jetzt würde nützen können, knüpfte er an seine Ausführung den versöhnenden Vorschlag, sich sämtlich dem Schauspielorchesterdienste wieder zu unterziehen. In dieser letzteren Angelegenheit war nämlich unter den Mitgliedern [323] der Kapelle seit einiger Zeit eine berechtigte Unzufriedenheit entstanden: eine, zum Teil durch den Einfluß Gutzkows, verstärkte Anforderung für Zwischenaktsmusiken hatte gerade in letzterer Zeit manchen Anlaß zur Verstimmung geboten. Mit dem ihm eigenen vornehmen Schicklichkeitsgefühl hatte er somit auch diese Veranlassung lediglich zur Versöhnung und Ausgleichung, nicht aber zur Aufreizung gegen das derzeit formell zu Recht Bestehende benutzt. Mochte nun Lüttichau, dem es an Spionen nie fehlte, einen abweichenden Bericht über den Verlauf der Versammlung erhalten haben, oder mochte es für seine Unzufriedenheit Anlaß genug sein, daß ohne se in Wissen und seine Genehmigung eine Versammlung sämtlicher Mitglieder der Kgl. Kapelle durch ihren nächsten Vorgesetzten überhaupt einberufen worden war: – genug, er nahm aus diesem Schritte Veranlassung, Wagner zwei Tage später offiziell in das Konferenzzimmer der Hoftheaterexpedition vorzuladen.

Über diese – dreistündige – Konferenz, an der außer Wagner und Lüttichau nur noch der ›Sänger der Lyratöne‹, Hofrat Winkler, in der Eigenschaft eines Protokollführers teilnahm, liegt uns der ausführliche Bericht vor, in welchem der theatralische Bureaukratismus wahre Orgien feiert,36 – ein würdiges Gegenstück zu dem bereits mitgeteilten Lüttichauschen Schriftstück an den König (S. 262/63)! Es ist eine ganze Ansammlung bitterer ungerechter Vorwürfe, die hier zum Dank für jahrelange Dienste dem Künstler entgegengeschleudert wird, vollbewußt auf das Ziel lossteuernd, seine unbequem gewordene Person trotz der im Wege stehenden, ihm gewährleisteten ›lebenslänglichen Anstellung‹ wieder loszuwerden. Er habe durch die von ihm einberufene Versammlung der Kapelle nachteilig auf die ›pflichtgetreue ruhige Stimmung der Musiker eingewirkt‹ und dadurch ›den Keim zur Demoralisation derselben gelegt‹. Er habe den versammelten Musikern außerdem ›gerade das Gegenteil von dem gesagt, was (auf der vorhergegangenen Konferenz) seitens der Generaldirektion deshalb verfügt worden,37 daher es ihm selbst einleuchten müsse, wie unrecht und unpassend sein Verfahren gewesen usw.‹ ›Er habe überhaupt, so lange er hier wäre, noch gar nichts genützt.‹ ›Er müsse letzteres selbst zugeben, da er auch nicht eine Sache anführen könne, die dieses widerlege.‹ ›Wenn er überhaupt nützen wolle, wie es seine Pflicht eigentlich wäre, warum habe er da [324] im verwichenen Sommer dem Minister Oberländer einen Plan zu Theaterreformen eingereicht, ohne ihn vorher der Generaldirektion vorgelegt zu haben, was doch seine Schuldigkeit gewesen wäre? Er könne daher (?!) auch nicht sagen, daß seine Vorschläge immer nicht angenommen wären.‹ (In diesem wenig logischen Satze verrät sich das schlechte Gewissen, das sich sehr wohl bewußt war, aus welchem Grunde sich der Künstler endlich gezwungen sah, mit seinen Vorschlägen an eine andere Instanz, als die ihm zunächststehende, zu gehen!) ›Se. Exzellenz erwähnt ferner‹, fährt das merkwürdige Dokument fort ›die unter Wagners Dirigierung stattgefundene, von ihm schon einigemal gerügte38 mangelhafte Aufführung von Kirchen- und Opernmusiken, welche selbst allerhöchsten Ortes schon verschiedentlich mißfällig bemerkt worden (!); wozu er noch beifügte, daß Wagner seit seiner Anstellung außer dem Engagement seiner Nichte, Johanna Wagner, noch nicht das Geringste von Sängern, Sängerinnen, Opern u. dgl. vorgeschlagen, was verwendbar gewesen wäre; wodurch denn also der Zweck seiner Anstellung und das Motiv derselben, das er in seiner schriftlichen Erklärung vom 5. Januar 1843 vorgegeben, nicht erreicht worden.‹ Mit dem letzteren Satze zielt Lüttichau auf jenen bereits früher (S. 5) von uns hervorgehobenen Schlußpassus in Wagners Schreiben, in welchem dieser damals erklärt hatte, eine Anstellung ›auf Probe‹ nicht annehmen zu können. Er deutet ihn aber gewaltsam auf die spätere Dienstzeit um, weil er darin die einzige Handhabe findet, um an Wagners ›lebenslänglicher‹ Anstellung zu rütteln. Den Erwiderungen des heftig und ungerecht Beschuldigten vermag selbst die nüchterne und unvollkommene Fassung ihres Wortlautes durch den protokollierenden Hofrat ihren freimütig würdevollen Ton nicht zu benehmen. So findet sich in demselben Protokoll die bestimmte, offene Erklärung Wagners mit gebucht: ›wie wenig er seinerseits überhaupt mit der bisherigen und jetzigen Direktionsführung zufrieden und einverstanden sei, indem nach seiner Ansicht die Richtung einer solchen nur auf klassische Musik gehen müsse39 und Opern, wie z.B. »Martha« (die tatsächlich damals das Repertoire beherrschte), gar nicht auf dem Repertoire erscheinen sollten‹. Was das ›mangelhafte Dirigieren‹ anbelange, heißt es weiter, ›so stellte er alle Selbstverschuldung deshalb in Abrede und gab als Ursache davon in der Kirche den öfteren[325] Wechsel der Dirigenten, in der Oper aber das oft fehlerhafte Eintreten der Singchöre an, hinzufügend, daß er nur eine Persönlichkeit darinnen erkennen könne, da ihn niemand eines Mangels an gehöriger Kenntnis der Musik bei solchen Aufführungen zu zeihen imstande sei Hinsichtlich seiner Erklärung vom 5. Januar 1843 bemerkte er, daß er solche damals nur auf ein Jahr (eben jenes von ihm abgelehnte »Probejahr«!) gültig gemeint habe, worauf ihm jedoch erwidert wurde, daß dies in dem Briefe nicht so ausgedrückt sei (!) und das Wort eines rechtlichen Mannes für alle Zeiten gelten müsse (!!).‹ ›Endlich wurde auch noch seiner zerrütteten finanziellen Verhältnisse gedacht, wodurch schon allein seine ganze Stellung gefährdet sei; er versicherte jedoch, daß dieselben neuerdings (auf dem Wege eines privaten Abkommens) wieder geordnet wären, daß er aber selbst fühle, wie er in sein dienstliches Verhältnis nicht passe und gern zurücktreten würde, wenn ihn nicht die Sorge für seine Frau und seine häusliche Lage daran hinderten. Daß er in sein dienstliches Verhältnis nicht passe, wurde ihm zugestanden und darüber alleruntertänigste Anzeige an Se. Majestät zu erstatten nach Befinden vorbehalten.‹

Weiter konnte allerdings die Spannung zwischen beiden Teilen nicht gehen. Die unbegreifliche Verblendung Lüttichaus über die, dem schaffenden Genius gegenüber mindestens einzuhaltenden Grenzen der Schicklichkeit erreichte bei diesem Anlaß ihren, durch nichts zu überbietenden Höhepunkt. Mit Recht mußte der Künstler die ihm so unerwartet zuteil gewordene Überhäufung mit ebenso erbitterten wie grundlosen Vorwürfen als unverdiente Kränkung oder, wie er sich in einem gleichzeitigen Briefe an Liszt ausdrückt, als ›niederträchtige Beleidigung‹ empfinden. Er habe, so schreibt er, mehrere Tage mit sich gekämpft, ob er es wirklich ertragen solle, um des Bissen Brotes willen, den ihm sein Dienstverhältnis zu essen gebe, sich noch länger der nichtswürdigsten Behandlung bloßzustellen; ob er es nicht vorziehen solle, ›lieber alle Kunst fahren zu lassen und sein Brot mit Tagelohn zu verdienen‹, als noch ferner ›dem Despotismus der boshaftesten Ignoranz ausgesetzt zu sein‹.40 An der Absicht der Direktion, ihn zu einem solchen Schritte zu drängen, kann nicht gezweifelt werden. Mit einer freiwilligen Kündigung von Wagners Seite wäre die, seiner Entlassung entgegenstehende Schwierigkeit am einfachsten gehoben gewesen; er wäre damit den Wünschen Lüttichaus, der ihm sonst nicht wohl etwas anhaben konnte, nur entgegengekommen. So leicht wollte er es seinem Gegner denn doch nicht machen. In eben diese entscheidenden Tage fiel ein bedeutungsvolles Ereignis, das ihm neuen Mut zum Ertragen verlieh, indem es ihn den erlittenen Demütigungen gegenüber ›wie durch einen Zauber erhob‹.

[326] Es war dies die in eben jenen Februartagen erfolgende Weimarer ›Tannhäuser‹-Aufführung und die damit verknüpften, Herz und Seele erhebenden Eindrücke. Diese Stärkung kam zur rechten Zeit; sie war das Werk eines wahrhaften künstlerischen Freundeseifers. Liszt hatte für die glückliche Durchführung seines Vorhabens in den kleinen Weimarischen Verhältnissen nicht geringe Schwierigkeiten zu überwinden gehabt. Gleich nach Genasts Rückkehr aus Dresden hatten die Klavierproben begonnen und alle sonstigen Vorbereitungen ihren erwünschten Fortgang genommen. Da drohte dem schönen Unternehmen noch kurz vor dem Zustandekommen eine ernstliche Gefahr. Sechs Tage vor der, für den 16. Februar angesetzten Aufführung, erklärte plötzlich der Sänger der Hauptrolle (der bereits ziemlich invalide Tenorist Götze), er fühle sich zu erschöpft, um seine Aufgabe zu lösen. Der Gedanke, im Angesicht des Hafens noch zu scheitern, versetzte Liszt in die peinlichste Verlegenheit. Es blieb nichts übrig, als daß der rüstige Regisseur Genast aufs neue nach Dresden hinüberfuhr, um Tichatschek für ihren Zweck zu gewinnen und – was die Hauptsache war – ihm den dazu erforderlichen achttägigen Urlaub zu erwirken. Tichatschek war über den Antrag hocherfreut, zweifelte aber sehr an der Erlaubnis der Direktion. Wagner seinerseits konnte unter den obwaltenden Verhältnissen begreiflicherweise am wenigsten in der Sache tun. Wie gern wäre er sonst persönlich auf wenige Tage an den so nahe benachbarten Aufführungsort hinübergeeilt! Es war ihm unmöglich, in ebenderselben Woche, die ihm eine so bitter kränkende Erfahrung gebracht, seinen Peiniger auch nur mit der geringsten Bitte anzugehen.41 Genast tut sich in seiner Erzählung des Vorfalles viel auf die Überredungskunst zugute, mit der er bei der Exzellenz die Gewährung des Urlaubes für Tichatschek durchgesetzt; offenbar war jedoch der von ihm gewonnene Erfolg nicht so sehr seiner siegreichen Beredsamkeit, als vielmehr ganz anderen, für den Hofmann bei weitem maßgebenderen Motiven zu danken. Ohne Zweifel stand Lüttichaus Entschließung schon im voraus fest, und es bereitete ihm, wie in ähnlichen Fällen, nur eine besondere Genugtuung, sich erst noch lange darum bitten zu lassen.42 Nicht das Werk Wagners, nicht Liszts Interesse daran war für ihn bestimmend, wohl aber die höfische Rücksicht auf die Großherzogliche Geburtstagsfeier, zu deren Verherrlichung die Vorstellung bestimmt war und die durch eine Ungefälligkeit seinerseits beeinträchtigt worden wäre. Sein Ziel erreicht, fuhr Genast sofort zu Tichatschek und stürzte mit dem Rufe: ›ich habe Dich!‹ in sein Zimmer. Die bedrohte Aufführung war gerettet und wurde am 18. Februar unter abermaliger Mitwirkung des Gastes wiederholt. Zu ihrem Gelingen trug, neben der kongenialen Orchesterleitung Liszts, der [327] warme Eifer aller Beteiligten, bis herab zum Maschinisten, das seinige bei Doppelt angefeuert war alles durch die Mitwirkung Tichatscheks: ›er war bewunderungswürdig als Künstler‹, schreibt Liszt von ihm, ›und überaus mutig und vortrefflich als Kamerad und Freund‹. Die Begeisterung der Hörer durchbrach selbst die herkömmliche Schranke, die man sich sonst in Gegenwart der fürstlichen Personen auferlegte, durch wiederholte laute Ausbrüche des Beifalls und der Ergriffenheit. Es war der erste Schritt, den der ›Tannhäuser‹ hiermit über das Weichbild Dresdens hinaus getan. Die mündlichen Mitteilungen des heimkehrenden Tichatschek, die enthusiastischen brieflichen Nachrichten Liszts und der Fürstin Wittgenstein, wie des feingebildeten Weimarischen Intendanten von Zigesar, die öffentlichen Berichte über den bedeutungsvollen Vorgang, für deren angemessene Fassung Liszt persönlich Sorge getragen,43 waren gleichmäßig dazu geeignet, den Meister innigst davon zu überzeugen, wie wohlaufgehoben sein Werk in der neuen Umgebung war. Für den Monat Mai war bereits ein erneutes Gastspiel Tichatscheks als Tannhäuser während seiner dortigen Anwesenheit zwischen ihm und Liszt verabredet worden; für diese Zeit hatte er es sich denn auch vorgesetzt, seinen Weg in die gastliche Ilmstadt zu nehmen und sich in eigener Person von den Triumphen seines Werkes, ja von der ›Popularität‹ zu überzeugen, die es sich binnen kurzem im thüringischen Lande gewonnen haben sollte. Eben diese ersten Maitage des Jahres 1849 sollten ihm eine andere, noch ungeahnte Entscheidung seiner ferneren Schicksale bringen! Für jetzt mußte er es sich an der merkwürdigen Erfahrung genügen lassen, daß ihm um ebendieselbe Zeit, ja in derselben Woche, wo die erbitterte Abneigung seines Chefs ihm die tiefste Demütigung zugedacht hatte, die erhebendste Genugtuung und Stärkung seines künstlerischen Selbstbewußtseins zuteil geworden war, die es ihm ermöglichte, bis auf weiteres in seiner Stellung auszuharren.

Recht deutlich gelangt der in Weimar errungene Sieg in den Zeilen zum Ausdruck, die der kunstbegeisterte, damals 31 jährige Erbgroßherzog Karl Alexander am 4. April 1849 an Tichatschek richtete: ›Mein lieber Herr Tichatschek! Empfangen Sie meinen besten Dank für Ihren Brief, wie für die Übersendung des Textbuches Lohengrin und der Broschüre.44 Letztere habe ich noch nicht gelesen, weshalb ich sie noch eine Zeitlang behalten möchte; die Arbeit Wagners aber erhalten Sie beifolgend zurück, und zwar mit dem Ausdruck meiner vollsten Anerkennung. Das Werk ist voll Phantasie, voll Poesie, voll Kenntnis der Bühne, und wird seinen Effekt gewiß nicht verfehlen, wenn es durch eine solch herrliche Musik belebt wird wie die, welche [328] ich im »Tannhäuser« bewundere. Dieser aber bleibt eine der großartigsten Schöpfungen der Kunst unserer Zeit und stellt den Namen Wagners sehr hoch. Ich freue mich zu sehen, daß sein Talent nicht ruht, er ist es demselben schuldig, vorwärts auf der Bahn zu dringen, die es ihm gezeigt. Daß ich mich freuen werde, Sie wieder zu sehen und zu hören, werden Sie ohne Versicherung glauben; denn Sie wissen, welchen Genuß ich Ihnen verdanke. In der Hoffnung, dieses recht bald hier mündlich wiederholen zu können, verbleibe ich Ihr ergebener Karl Alexander.‹

Fußnoten

1 124. September 1848. Tannhäuser; 1. und 24. Oktober: Rienzi; 17. Oktober und 1. November: Iphigenia in Aulis; 9. November: Tannhäuser; 19. November: Rienzi; 1. Dezember: Tannhäuser; 26. Dezember: Rienzi, – als letzte Aufführung eines Wagnerschen Werkes in Dresden bis zum Oktober 1852!


2 S. 186 dieses Bandes.


3 In der Allg. Musikzeitung 1888, S. 2 Anm. finden wir die Bemerkung von A. Heintz: ›Eine Tagebuchnotiz deutet schon das Jahr 1846 als Geburtsjahr des Siegfried-Planes an.‹ Obgleich wir von einer solchen Tagebuchnotiz (was für ein Tagebuch mag wohl gemeint sein?) nicht das geringste wissen, wollten wir doch diese Erwähnung nicht unterdrücken.


4 Brief an Uhlig vom 10. Mai 1851, S. 91.


5 Briefe an Uhlig, Fischer, Heine S. 276.


6 Der 12. November 1848 war ein Sonntag; am Donnerstag vorher (9. Nov.) war der ›Tannhäuser‹ zum 19. Mal vor vollem Hause über die Dresdener Bühne gegangen. An demselben Sonntag, dem 12. November 1848, dessen Vormittag Wagner mit dem Beginn seiner Siegfried-Dichtung weihte, führte Liszt in einem Orchester-Konzert in Weimar die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre auf, – ein erstes Symptom seines tatkräftigen Interesses!


7 Vgl. Ges. Schr. IV, S. 390–402.


8 Des nachmals durch seine Weltumsegelungen und militärischen Verdienste, zugleich auch als Maler und Reiseschriftsteller bekannt gewordenen Generals Wilhelm Heine. Geboren i. J. 1827, war er damals einundzwanzig Jahre alt, hatte sich zum Landschafts- und Architekturmaler ausgebildet und war als solcher am Hoftheater tätig. Durch den Maiaufstand 1849 aus seiner Dresdener Wirksamkeit gerissen, bevor er noch darin festen Fuß gefaßt, ging er über Paris nach Nordamerika. 1851 bereiste er Zentralamerika, wo er den Stoff zu seinen ›Wanderbildern aus Zentralamerika‹ sammelte. In den folgenden Jahren beteiligte er sich als ›Masters Mate‹ an der nordamerikanischen Expedition nach den ostasiatischen Gewässern unter dem Kommodore M. C. Perry und verweilte insbesondere längere Zeit in Japan. Hierauf reiste er nach Tripolis und begab sich im Frühjahr 1860 über Ägypten nach Singapur, um an der von ihm angeregten preußischen Expedition nach Ostasien teilzunehmen, auf der er die Korvette ›Arcona‹ als erstes deutsches Schiff in den Hafen von Yeddo lotste. Der amerikanische Bürgerkrieg rief ihn nach den Vereinigten Staaten zurück; er trat im Oktober 1861 als Ingenieur-Hauptmann in die Potomae-Armee ein, wurde im Mai 1863 Oberst und im August 1864 Brigade-General. Nach dem Kriege nordamerikanischer Konsul in Paris und dann in Liverpool, zog sich Leine 1871 nach seiner Vaterstadt zurück, wo er sich nur selten in der Öffentlichkeit zeigte, zuletzt bei Gelegenheit des Künstlerfestes der Dresdener Kunstgenossenschaft in Meißen. Von seinen Werken sind noch hervorzuheben: ›Reise um die Erde nach Japan‹, ›Die Expedition in die See von China, Japan und Ochotsk‹, ›Japan und seine Bewohner‹, ›Eine Sommerreise nach Tripolis‹, ›Eine Weltreise um die nördliche Hemisphäre‹. Im September 1885 erlag er in der Lößnitz bei Dresden einem langjährigen Leiden. In Wagners Briefen an Ferd. Leine wird er häufig genannt.


9 Zu einer formellen ›Einreichung‹ war es allerdings nicht gekommen, wie Wagner späterhin einmal gegen Uhlig hervorhebt. ›Eingereicht habe ich ihm meine Oper nie: daß ich das nie tat, war ja eben sein Ärger, während meine Politik immer darin bestand, mir ihn ankommen zu lassen. Die Kopie verkaufte ich ihm nur für den Fall, daß er etwa einmal den Lohengrin geben wollte‹ (Briefe an Uhlig, S. 245). Doch ändert diese Äußerung, da sie sich auf etwas lediglich Formales bezieht, nichts am faktischen Verhältnis.


10 Nur der Kuriosität halber sei hier des mehrerwähnten, freiwillig offiziösen, Geschichtschreibers des Dresdener Hoftheaters gedacht, der in seiner Unfähigkeit zur Beurteilung der von ihm geschilderten Verhältnisse sogar vor dem plumpen Rettungsversuche nicht zurückschreckt, die Tatsache der Vollendung der ›Lohengrin‹-Partitur in Dresden für ein Märchen zu erklären: ›die Darstellung, als ob man (d.h. Lüttichau) der Annahme des Lohengrin Hindernisse in den Weg gelegt habe, ist schon darum ganz unrichtig weil diese Oper in Dresden gar nicht beendet wurde‹! (R. Prölß ›Richard Wagner am Hoftheater zu Dresden‹ S. 102.)


11 Vgl. Wagners Brief an Fischer vom 2. Jan. 1857, Daß Wagner, nach fast einem vollen Jahrzehnt, sehr milde auf diese ihm von mehreren Seiten bezeugte Version eingeht, gereicht zwar ihm selber zur Ehre, läßt das zugrunde liegende tatsächliche Verhältnis aber in keinem wesentlich günstigeren Lichte erscheinen.


12 Erst am 7. November hatte der sächsische Gesandte in Wien, v. Könneritz, nach den Gründen der am 4. November erfolgten Verhaftung Robert Blums gefragt; erst am 8. hatte v. d. Pfordten auf den Schutz der Leipziger Abgeordneten gedrungen, und eine zweite Weisung des Ministers an den Gesandten war erst nach der Hinrichtung eingetroffen; das Schreiben vom 5. November aber an den Präsidenten der deutschen Nationalversammlung, in welchem Blum und Fröbel unter Berufung auf das Reichsgesetz Schutz und Freiheit verlangten, nie nach Frankfurt gelangt (vgl. Hans Blum, Deutsche Revolution, S. 336).


13 Briefliche Mitteilung von Gustav Kietz an den Verfasser. ›Die königliche Garde, die Freude Friedrich Augusts, die nur die Schloßwache bezog‹, fügt derselbe zuverlässige Gewährsmann hinzu ›war von revolutionären Ideen unterminiert. Verschiedene Gardisten nahmen später auch am Kampfe teil und kamen ins Zuchthaus, darunter einige Modelle von uns‹ (briefl., 7. Jan. 1897).


14 Hirschel, Sachsens jüngste Vergangenheit, S. 63 und 64 (zitiert nach Dinger, S. 104–105 Anm.).


15 ›Ich kann den Namen dieses Edlen nicht verzeichnen‹, fügt Nöckel seiner schlichten Erzählung dieses Vorfalles hinzu, ›denn selbst zur Stunde noch (1865) ist er mir unbekannt. Unser aller Stimmung war damals eine so gehobene, opferfreudige, daß Handlungen, wie die eben erwähnte, weder besonderen Dank noch Bewunderung zu erwarten berechtigt schienen. Wo der Eine seine ganze Kraft, seine Freiheit, ja sein Leben in die Wagschale warf, was Wunder auch, wenn ein zweiter sein Vermögen einsetzte? Jetzt freilich rechnen wir bedächtiger, und darum eben mag die Tat dieses Unbekannten einen Maßstab liefern für die Begeisterung jener großen Tage‹ (August Röckel, Sachsens Erhebung S. 20).


16 Diese völlig grundlose und unerwiesene Verdächtigung von Röckels Privatleben, geschöpft aus etwaigen Residuen des Dresdener Lokalklatsches, hat HerrDr. Dinger vor sich selbst und dem Andenken des also von ihm Geschmähten zu verantworten. Als einzigen Versuch der Begründung fügt er in Parenthese die Erklärung hinzu: ›er (Röckel) führte ein wenig ökonomisches und geordnetes Hauswesen‹!!


17 Dr. H. Dinger, a. a. O., S. 96.


18 Briefe Richard Wagners an August Röckel (aus den Jahren 1851–65), herausgegeben von La Mara, Breitkopf & Härtel, 1894.


19 Man kann sich wohl nach der psychologischen Ursache dieser Abneigung fragen. Das ganze Buch mit seiner fleißigen, aber zentrifugalen Tatsachensammlung ist die Antwort darauf. In dem verfehlten Bestreben, gegen Wagners lautredende Selbstzeugnisse dessen angebliche Solidarität mit den damaligen demokratisch-republikanischen Bewegungen – einerseits nachzuweisen, andererseits zu entschuldigen (daher der seltsam hin- und herschwankende, vorwiegend apologetische Vortragston des ganzen Buches!), bedarf er eines Ableiters und Sündenbockes; als solcher muß der ehrliche Röckel möglichst schwarz gezeichnet, das Spontane und Aktive in Wagners Natur aber bis zur jugendlichen Unbedachtsamkeit abgeschwächt werden!


20 Dinger, S. 141.


21 Ebenda, S. 253: ›sophistische Zahlenstatistik und manch anderer Agitatorenkniff‹.


22 Ebenda, S. 243.


23 ›Unter dem Namen August Röckel stellst Du Dir wahrscheinlich, wie viele andere, einen ultrarevolutionären Wühler vor; anstatt dessen findest Du einen milden, gebildeten, humanen, vortrefflichen Menschen.‹ (Brieflich an Ed. Liszt, Okt. 67. Vgl. Liszts Briefe II, S. 106.)


24 Lubojatzky bei Oesterlein IV, S. 120.


25 So bemüht sich Dinger, in völliger Verkennung des großen Grundzuges der Vaterlandsvereinsrede durch allerlei angeführte Parallelstellen umständlich nachzuweisen, die darin niedergelegten Ideen Wagners seien nicht sein persönliches Eigentum, sondern das ihr zugrunde liegende positive Programm ›einfach das der entschieden freisinnigen Partei – d.h. der demokratischen – Sachsens‹ gewesen. Wir kommen darauf zurück.


26 Theodor Uhlig in der ›N. Z. f. M.‹ 1852, 26. Juli (›Lesefrüchte‹ IV). Nachdem er auf diese Weise die Bezeichnung des ›Demokraten und Republikaners‹ für Wagner ganz beiseite gestellt, fährt er fort: ›In Wahrheit verdient Wagner nur eine Bezeichnung: die des »Revolutionärs«. Revolutionär, d.h. Zerstörer des Alten und Aufbauer des Neuen, ist er durch und durch – sonst nichts.‹


27 Zur Illustrierung dieses Verhältnisses von außen her hat Herr Dr. Dinger selbst die Dresdener Adreßbücher befragt und daraus den Nachweis geführt, daß Röckels Anhänglichkeit an den Meister sich auch in seiner Domizilierung kundgibt. Danach habe Wagner bis 1847 in der Ostra-Allee 6 II gewohnt, Röckel von 1846 bis 48 in der Ostra-Allee 23 II (in demselben Laufe mit Albert und Johanna Wagner); bis er 1848 dem Meister in die Friedrichstadt nachgezogen sei, woselbst Wagner Friedrichstraße 20, Röckel aber Friedrichstraße 29 seine Wohnung hatte.


28 Brief vom 18. Mai 1849, abgedruckt in Jul. Eckardt, ›Ferdinand David und die Familie Mendelssohn‹, Leipzig, Duncker und Humblot, S. 256.


29 ›Die Grenzboten.‹ ›Von der Grenze, auf der sie sich aufgestellt haben‹, so charakterisiert sie Wagner wenige Jahre später, ›schicken sie ihre Boten nach links und rechts, – und wissen sich so auf alle Fälle zu helfen. Wie sie mich kürzlich nach links zur Demokratie als heimlichen Aristokraten, nach dem Mittelpunkte unserer zivilisierten Welt aber den Juden als ihren neidergrimmten Verfolger denunzierten, so müssen wir sicher sein, daß sie, sollte von rechts her einmal die russische Polizei einmarschieren, dieser uns ebenfalls angeben werden‹ usw. (Briefe an Uhlig, S. 162.) Vorstehenden für die Öffentlichkeit bestimmten Passus zieht aber Wagner schon im nächsten Briefe mit der Motivierung wieder zurück: ›Sie (die Grenzboten) sind gegen mich in die allergemeinste Rezensentenniederträmtigkeit geraten: ebensogut als von ihnen, hätte ich dann auch von Schladebach und Konsorten Notiz zu nehmen. Sie wittern den Tod und decken so im Sterben auf, was sie eigentlich sind: schlechte Kerle, das sind sie – F(reytag) an der Spitze‹ (Ebendaselbst S. 166–67.)


30 ›Der Tod‹, fügt Wagner hier im Sinne seiner damaligen Auffassung hinzu ›ist hier nur das Moment der Verzweiflung; er ist der Zerstörungsakt, den wir an uns ausüben, weil wir ihn als Einzelne – nicht an den schlechten Zuständen der uns zwingenden Welt ausüben können. Der Akt der wirklichen Vernichtung der äußeren wahrnehmbaren Bande jener ehrlosen Sinnlichkeit ist aber die uns obliegende gesunde Kundgebung dieses, bisher auf die Selbstvernichtung gerichteten Dranges.‹ (Ges. Schr. IV, S. 404–405.)


31 Jesus von Nazareth. Ein dichterischer Entwurf aus dem Jahre 1848, von Richard Wagner, Breitkopf & Härtel 1888.


32 Vgl. S. 297 dieses gegenwärtigen Bandes.


33 Vom 25. Februar 1849; Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt, I, S. 15.


34 Die angebliche Äußerung Lüttichaus gegen die Fürstin ist eine bloße nachträgliche erweiterte Paraphrase der an Wagner persönlich gerichteten auf S. 129 dieses Bandes.


35 Trotzdem behauptet L. Ramann weiter, die gleichen persönlichen Rücksichten hätten sich später, bei dem Entschluß zur Aufführung des ›Lohengrin‹ in Weimar, von neuem geltend gemacht, und zu ›Scharmützeln zwischen Liszt und der Fürstin‹ Veranlassung gegeben. Liszts vieljährige Beziehungen zu Meyerbeer, die manche Freundlichkeit, die dieser ihm erwiesen, erweckten seine früheren Skrupel. Die Fürstin aber stand wieder auf Wagners Seite, ihre Entschiedenheit gab den Ausschlag! Sollte denn Wagners Schaffen überall und unter allen Umständen um Meyerbeers willen sekretiert und unterdrückt werden? Und zu einem so unredlichen Verfahren hätte ein unabhängiger Genius, wie Liszt, seine Mithilfe aus freien Stücken gegen seine bessere Überzeugung darbieten sollen und können? Die mündlichen Überlieferungen, auf denen die Ramannschen Angaben beruhen, scheinen hier nicht unbedenklich mißverstanden oder von Hause aus stark einseitig übertrieben gewesen zu sein. Wie anders, frei, groß und offen klingt jedes Wort in dem erhaltenen gleichzeitigen Briefwechsel beider Freunde!


36 Er findet sich durch R. Prölß in seinem vollen Wortlaute abgedruckt in den ›Dramaturgischen Blättern‹ 1878, Nr. 4, S. 78–80.


37 Zu dem Worte ›das Gegenteil‹ macht der Herausgeber R. Prölß ein bemerkenswertes Fragezeichen, indem offenbar aus der Vergleichung des Protokolles der vorausgegangenen Konferenz sich ihm ergeben hat, daß Lüttichau wieder einmal selbst nicht gewußt, was auf jener Konferenz beschlossen worden sei, oder es in seinem sich selbst überstürzenden Autoritäts-Eifer wieder vergessen habe!


38 Wiederum läßt Prölß hier seinen sonstigen Helden im Stich, indem er in einer Anmerkung hinzufügt: ›Ich habe in den Akten des Theaterarchivs nur eine derartige Rüge vorgefunden.‹ Auch macht er am Schlusse des kläglichen Schriftstückes die Bemerkung: ›Daß Lüttichau in seinen Anschuldigungen hier zu weit ging, unterliegt keinem Zweifel. Sie stehen mit seinem eigenen Vortrage vom 7. Februar 1848 in Widerspruch.‹


39 Der Ausdruck ›klassische Musik‹ gehört offenbar dem Protokollisten als sein geistiges Eigentum an!


40 Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt, I, S. 12.


41 Briefwechsel mit Liszt, I, S. 13.


42 Vgl. z.B. Prölß, Geschichte des Dresdener Hoftheaters, S. 557 Anm.


43 In der Brockhausschen ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹ durch den Freiherrn von Biedenfeld.


44 Welche Broschüre damit gemeint sei, möchten wir nicht entscheiden.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 302-329.
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