XI.

Der Revolutionär.

[329] Eduard Devrients ›Geschichte der deutschen Schauspielkunst‹ und seine Reformvorschläge. – Zeitungspolemik über ›Theaterreform‹. – Verkehr mit Bakunin. – Aufsätze für die ›Volksblätter‹. – Zusammenkünfte im Kgl. Menageriegarten. – Gleichzeitige Auflösung des Landtages und des Ministeriums; das Kabinett Beust. – Angesetztes Konzert im großen Opernhause.


Wer fühlte nicht die furchtbar bleiche Schwüle in den Lüften, die den Ausbruch eines Erdbebens vorausverkündigt? Die wir das Rieseln jener Quelladern hören, sollen wir uns vor dem Erdbeben fürchten?

Richard Wagner.


Ausharren! Bis zu welchem Zeitpunkt, darauf konnten einzig die geschichtlichen Vorgänge die Antwort geben. So oder anders, stand eine Katastrophe notwendig bevor. Sie war dicht vor der Tür; sie mußte auch über die Schicksale der Kunst und des Künstlers entscheiden. Niemand hat mit höherem sittlichen Recht an die heilsame Einwirkung einer Revolution geglaubt, als Derjenige, dem eben nur die unerläßliche Macht in die Hände gegeben werden durfte, um auf seinem Gebiete das große Neue aus eigener Kraft in das Leben zu rufen. ›Was wir für gut und recht halten, das muß das Gegebene, Feste und Unabänderliche werden; dann löst sich das jetzt herrschende Schlechte von selbst zur albernen, leicht besiegbaren Opposition auf.‹ Wer auf dem ihm gehörigen Boden der Kunst so sicher um das Gute und Rechte wußte, durfte das Gleiche nun aber auch von Denen voraussetzen, die auf den ihnen eigenen Gebieten das Heil in einer vollkommenen Umwälzung des Bestehenden suchten.

Wir haben wiederholt auf den charakteristischen Trieb zur Gemeinsamkeit hingewiesen, wie er sich durchweg in Wagners erster Lebenshälfte kundgibt.1 Diesen hatte selbst der Verkehr mit seinen Dresdener ›Kunstkollegen‹ nicht [330] ganz zu beseitigen vermocht, wiewohl es ihm dabei nur allzuhäufig so erging, wie dies zuvor hinsichtlich Eduard Devrients bemerkt wurde: er fand – an seinem Maßstabe gemessen – im besten Falle ›respektable, treuherzige, aber schwache Menschen‹. Im Verkehr mit Devrient selbst blieb er bestrebt, an jede vorhandene Spur von Initiative und künstlerischem Wollen anzuknüpfen, die er bei diesem gebildeten, aber ungenialen und philisterhaften Menschen antraf. Eduard Devrient war, wie das ganze Devrientsche Künstlergeschlecht, von rein niederdeutscher Abstammung, aber bereits in früher Jugend auf das engste mit Felix Mendelssohn liiert, dazu durch seine, erst kürzlich zum Christentum übergetretene, Frau jüdisch verschwägert.2 Es ist schwer zu sagen, ob die Schwäche und Halbheit seiner Persönlichkeit und seine spätere, sehr unrühmliche Gegnerschaft zu Wagner auf diesen, von früh auf ihm eingeimpften undeutschen Einflüssen beruhen oder umgekehrt die Möglichkeit einer derartigen Verbindung (wie etwa bei der zweiten Ehe Gustav Freytags!) nicht vielmehr von Hause aus in dieser Schwäche und inneren Haltlosigkeit begründet war, die ihm trotz seiner vielseitigen Begabung zeitlebens zu eigen geblieben ist. Seiner, in ihrer Art klassischen ›Geschichte der deutschen Schauspielkunst‹ hatte Wagner schon während ihres Entstehens ein lebhaftes Interesse zugewendet. Gegen Ende 1848 war der Druck des dritten Bandes dieser umfassenden Arbeit vollendet; vom 8. Januar 1849 ist der Begleitbrief eines für die Augsburger Allgemeine Zeitung bestimmten empfehlenden Aufsatzes aus Wagners Feder datiert;3 – bezeichnend, daß diese Zeitung ihn nicht zum Abdruck gebracht hat! Daß die deutsche Schauspielerkunst hinter derjenigen der Franzosen und Engländer zurücksteht, wird darin an der Hand der Devrientschen historischen Nachweisungen aus dem Umstande erklärt, ›daß uns noch kein Shakespeare und Molière erstand, d.h. noch kein wirklicher Schauspieler, der, wie diese, zugleich die höchste Kraft dichterischer Schöpfungsgabe in sich vereinigte‹. ›Wir sehen, wie unsere größten Dichter, die sich mit tätiger Liebe dem Drama zuwendeten, Goethe und Schiller, doch zu sehr auf dem absolut literarischen Standpunkte, außerhalb der Schauspielerkunst, stehen blieben, um den entscheidend günstigen Einfluß auf sie zu gewinnen.‹ ›Mit dem edelsten Eifer, im Gefühle höchster sittlicher Berechtigung trete nun der Verfasser, im Bewußtsein der, von der Gesellschaft [331] noch so unbegriffenen Würde seines Standes, dem Staate mit der wohlbegründeten Forderung entgegen: sein höchstes Interesse am Theater zu erkennen und dafür zu sorgen, daß es als würdiges Glied der Staatsanstalten frei und wohltuend seinen hohen Beruf ausüben dürfe.‹ ›Frei und selbständig muß es der einen Aufgabe nachgehen dürfen, die Sitten und den Geschmack des Volkes zu kräftigen und zu veredeln; jeder Einfluß außer dem der künstlerischen Intelligenz der Berufenen und des unverleiteten sittlichen Gefühls der Gesamtheit muß von ihm ferngehalten werden.‹

Den letzteren Gedanken hatte nun Eduard Devrient soeben noch in einer eigenen, im Auftrag des preußischen Kultusministeriums verfaßten Reformschrift. ›Das Nationaltheater des neuen Deutschlands‹4 eingehend zur Durchführung gebracht. ›Der bisherige Zustand‹, heißt es darin, ›hat keine Dauer mehr. Das deutsche Volk, an seiner Spitze seine Fürsten, muß sich erklären, was es von seiner Schaubühne will. Soll sie ihm nur zum Vergnügungsort, zur Zuflucht des Zeitvertreibes, zur Gelegenheit Toilette zu machen und sich Rendezvous zu geben, daneben zur Befriedigung der Schaulust oder des Bedürfnisses der Erschütterung durch Lachen oder Weinen dienen, – wozu dann die enormen Summen, welche aus Landesmitteln zugunsten so frivoler Anstalten fließen? Dann mögen diejenigen das Vergnügen bezahlen, die es genießen; man ziehe alle Subventionen zurück, verpachte die Theater und lasse den Unfug auf der Bahn industrieller Spekulation dahinschießen.‹ Die Reformvorschläge Devrients lassen sich im wesentlichen in drei Forderungen zusammenfassen: Erhebung des bisherigen Hoftheaters zu einem Nationaltheater unter der Oberaufsicht des Kultusministeriums, durch organische Verbindung sämtlicher Landesbühnen; republikanische Verfassung des neuen Institutes, unter der Oberleitung einer, aus der Mitte der künstlerischen Genossenschaft durch eigene Wahl derselben zu berufenden Direktion, bestehend aus einem darstellenden Künstler, einem Kapellmeister und einem Theaterdichter; Erklärung der Bühne zur Staatsanstalt, behufs ihrer Unabhängigkeit von Spekulation und Erwerbsinteressen. Sein Lieblingsgedanke, die Einrichtung einer Theaterschule, findet sich in dieser Schrift mit der Begründung einer allgemeinen Kunstakademie in Verbindung gesetzt. Insbesondere sprach er sich darin offen und unverblümt gegen das herrschende Intendanten-Unwesen aus: ›Umsonst haben die bisherigen Intendanten das Naturwidrige ihrer Stellung zu überwinden gesucht ... Erwägt man, wie mannigfache spezielle Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Leitung eines Theaters erforderlich sind, so ist es leicht zu begreifen, daß diese nicht [332] bei Männern gefunden werden können, welche, bis dahin Kammerherren, Hofmarschälle, Oberstall- oder Oberjägermeister, Offiziere usw. gar keine Veranlassung gehabt hatten, irgendeinem dieser Erfordernisse genugzutun. Zwar hat man geglaubt, dem Wesen der Kunst hinlänglich Rechnung zu tragen, indem dem nichtsachverständigen Direktor die sachverständigen Regisseure zur Seite gestellt blieben, denen das augenfällig Technische der Leitung, die Abhaltung der Proben usw. überlassen ist; in diesem Irrtume aber liegt eben der eigentliche Knotenpunkt der Verwirrung unseres heutigen Theaterwesens Solange die Intendanten noch für alle Einzelheiten der theatralischen Tätigkeit verantwortlich gelten, können sie sich auch der Bestimmung über dieselben nicht entschlagen: Halbheit in der Machtvollkommenheit der künstlerischen Leitung, Einmischung kunstfremder Gewalten muß notwendig Halbheit und Zerfahrenheit in ihre Resultate bringen.‹

Auch für die letztere Arbeit Devrients, die, wenn in der Tat auch mehr vom Bedürfnis des bloß rezitierten Schauspiels ausgehend, sich in mehreren Punkten mit seinem eigenen Reorganisations-Entwurf berührte, ist Wagner damals aus dem gleichen Gemeinsamkeitsgefühl lebhaft in die Schranken getreten. Es geschah dies in Anlaß eines anonymen Angriffes dagegen, der, ursprünglich in der Berliner Haude und Spenerschen Zeitung erschienen, auch im Dresdener Anzeiger reproduziert worden war, und sich von einem angeblich ›praktischen‹ Standpunkte aus vornehmlich gegen die Forderung einer rein künstlerischen Oberleitung des Theaters wandte. ›Haben wir aber je erlebt, daß z.B. an die Spitze einer Malerakademie ein kunstliebender Husarenmajor gestellt wurde? Nein, – und unser »Bühnenfreund«5 scheint sogar auch zugeben zu wollen, daß das Orchester von einem Musiker, nicht aber von einem Rechtsgelehrten dirigiert werde. Nur eine Schauspielgesellschaft soll etwa von einem gelernten Kammerherrn, einem geübten Bankier oder vielleicht einem gewandten Journalisten dirigiert werden? In der Tat, Leute von diesem Fache waren es, denen bisher die Leitung des Theaters anvertraut war, und dem Erfolge dieser Leitung haben wir es zu verdanken, daß die Begriffe über das Wesen und den Zweck der Schauspielkunst sich so verwirrt haben, daß jeder Unsachverständige und außerhalb dieser Kunst Stehende sich einbilden darf, das »Praktische« der Sache ermessen zu können ... Ihr klugen »Praktiker« habt es durch eure pfiffigen Regierungsmaßregeln so weit gebracht, daß die Kunstgenossenschaften kaum noch wissen, daß sie zu einem gemeinsamen Zwecke der Kunst vereinigt sind, daß nur Eines ihren Zweck sie erreichen lassen kann: das Gemeingefühl. Ihr habt einen gegen den andern gehetzt, den Unfähigen, der euch schmeichelte, [333] über Verdienst begünstigt, den Begeisterten, der gegen eure »Praktik« verstieß, von Euch gewiesen. So habt ihr die Genossenschaft zerrüttet: fremd und nur auf seinen, den andern schädlichen Vorteil bedacht, löste der Einzelne von dem Ganzen sich los, vergaß, daß er dem höheren Zwecke seiner Kunst gemäß nur in Gemeinschaft mit seinen Genossen wirken könne, und so mußte allerdings endlich der Zustand eintreten, der euch höhnisch über das »Unpraktische« von Vorschlägen lächeln macht, die eben nur darauf hinzielen, jenen von euch zertrümmerten Gemeingeist wiederherzustellen ... Und somit sei euch, ihr »Praktiker«, auch versichert, daß niemand besser als die künstlerischen Genossenschaften es wissen, wer fähig ist, ihre Gesamtleistungen zu leiten. Keiner weiß besser als der Schauspieler, ob die ser oder jener Regisseur seine Sache versteht; niemand besser als die Musiker des Orchesters, ob ihr Dirigent seiner Aufgabe gewachsen ist: deshalb weiß aber auch niemand besser als sie, wen sie aus den etwa Vorgeschlagenen zu wählen haben. Sie werden jedesmal Den wählen, der ihr Vertrauen besitzt, und dem Manne ihres Vertrauens werden sie ebenso eifrig und erfolgreich gehorchen, als sie dem, der durch einen Akt fremder Gunst gegen das Vertrauen der Genossenschaft an ihre Spitze gestellt wird, lässig und erfolglos sich eben nur unterordnen. Für diesen Fall habt ihr zwar das »Befehlen« in Bereitschaft; was ihr aber damit für das Gedeihen einer Kunstanstalt ausrichtet, nun, das zeigt der Erfolg der Wirksamkeit der heutigen Theater: ein trauriges, mühseliges Hin- und Herschleppen, Aushelfen, Zunichtskommen, Anstrengung ohne Zweck, Ermüdung ohne Lohn. Das ist ungefähr die Bewährung euerer »Praktik«!‹

Da sich hinter dem Pseudonym des gegnerischen Artikels ersichtlich der Lohnschreiber eines der angegriffenen Hoftheater-Intendanten, wenn nicht etwa gar der ›große Küstner‹ (S. 115) selber verbarg, hielt er es für angezeigt, seinen Aufsatz ›Theaterreform‹, dem wir das obige Zitat entnehmen, ebenfalls mit einem Pseudonym: ›J. P. – F. R., Schauspieler außer Engagement‹ zu unterzeichnen. Er erschien am 16. Januar 1849 im ›Dresdener Anzeiger‹; einem schwachen Widerlegungsversuch am darauf folgenden Tage (17. Januar) erwiderte Wagner vierundzwanzig Stunden später schlagfertig mit einem beinahe ebenso langen Artikel, wie der erste, der ›manches noch energischer ausspricht und weiter ausführt‹6. Gustav Kietz erzählt darüber in seinen Erinnerungen: ›An einem sehr strengen Wintermorgen trat zu meinem nicht geringen Erstaunen schon früh sieben Uhr Wagner in meine eiskalte Stube. Ich war gerade beschäftigt mein Frühstück zu bereiten: auf meinem Tisch lag das Hirtenlied aus dem »Tannhäuser«, das ich mir abzuschreiben im Begriff war, und an die Wand hatte ich ein[334] Thema aus Glucks »Iphigenie« geschrieben, das ich mir auf diese Weise merken wollte, was Wagner höchlichst amüsierte, – die »Tannhäuser-Noten« versteckte ich schnell bei seinem Eintritt, damit er mich nicht auslachen sollte. Er kam, um mich, wie er sagte, um eine Gefälligkeit zu bitten: er gab mir seinen Aufsatz über »Theaterreform« zu lesen und bat mich, ihn an seiner Statt – da er als Autor unbekannt bleiben wolle – zur Expedition des »Dresdener Anzeigers« zu bringen Sollten die Herren fragen, von wem er sei, so solle ich meinen Namen nennen. Wir gingen also zusammen nach dem Altmarkt. Unterwegs gab mir Wagner zehn Taler, welche ich für den Abdruck zahlen müsse, und versicherte mich, ich könne das Schriftstück ohne Sorge abgeben; er stünde dafür, daß ich dadurch nicht in Ungelegenheiten käme. Als Garantie könne er mir auch noch sagen, daß er mit Eduard Devrient vollständig einer Meinung sei, der die Sache mit vertreten würde. Wagner wartete unten; ich ging hinauf, gab die Arbeit ab, die flüchtig durchgelesen und ohne Anstand angenommen wurde, und legte die verlangten zehn Taler auf den Tisch, mit dem stillen Gedanken; »schade um das schöne Geld, wie lange könntest du davon leben!« Der Aufsatz machte ein ungeheueres Aufsehen und wirbelte im guten Dresden viel, sehr viel Staub auf. Als ich zwei Tage später mit dem zweiten Aufsatz in der Expedition erschien, frug man mich, wer der Autor sei. Ich nannte meinen Namen, der natürlich sehr ungläubig aufgenommen wurde, was mich veranlaßte, auch noch meine Adresse aufzugeben. Den Artikel hatte Wagner mit den Buchstaben J. P. F. R. unterzeichnet und mir scherzend dabei gesagt, es heiße: »Jean Paul Friedrich Richter«!‹ – Welchen Wert damals Wagner auf eine energische öffentliche Diskussion der angeregten Frage legte, zeigt sich in dem Umstande, daß er den ersten der beiden Artikel, der sich direkt gegen den, ursprünglich in Berlin erhobenen Angriff wandte, zugleich auch an dem Ausgangspunkte dieses Angriffes, in einer gelesenen Berliner Zeitung, zum Abdruck gebracht wissen wollte Er sandte ihn deshalb, noch vor seinem Erscheinen in Dresden, in Gestalt einer Kopie oder eines Korrekturabzuges, an Gaillard, mit ein paar flüchtigen, über seine Absicht orientierenden Begleitworten. ›Nun sagen Sie‹, heißt es darin, ›wo stehen Sie? Allem Vermuten nach gehen wir zusammen, es müßten denn die seltensten Veränderungen in unseren früheren Ansichten eingetreten sein. Sind Sie für »Passivität« oder »Aktivität«? Ich zweifle kaum, Sie nicht im richtigen Schritt finden zu sollen.‹ – Es sind die letzten, vor dessen frühem Tode an den Berliner Freund gerichteten Zeilen.

Es war in diesen Januartagen des Jahres 1849, daß der Meister, wie wir dies schon (S. 234) andeuteten, einmal das Haus der Familie Ritter betrat. Wir folgen darin den Erinnerungen der jüngsten Tochter des Ritterschen Hauses, Alexandrine, als Augenzeugin des Vorganges. ›Wagner hat [335] als Kapellmeister in Dresden vor seiner Flucht nicht, was man so nennt, im Hause meiner Mutter verkehrt. Aber einmal ist er bei uns in der Familie gewesen, und das hat sich folgendermaßen zugetragen. Mein Bruder Karl hatte Wagner schon früher persönlich kennen gelernt, und Wagner schien sich für das Talent meines Bruders zu interessieren. Hierdurch ermutigt, brachte Karl dem von ihm so verehrten Meister eine Komposition, ein Streichquartett, von sich, um ein Urteil darüber zu er bitten. Da Wagner wünschte, das Werk ausgeführt zu hören, bat mein Bruder ein paar ihm bekannte Kammermusiker, es ihm vorzuspielen. Wagner kam dazu das erste und einzige Mal in unser Haus. Wir, die wir alle für seine Kunst begeistert waren, hatten gehofft, er würde den Abend bei uns bleiben und wir ihn auf diese Weise näher kennen lernen. Aber kaum war das Quartett beendigt, so ging Wagner sehr eilig fort, weil er anderweitig schon versagt oder beschäftigt war.‹7 Einiges Nähere über den Verlauf dieses intimen Vorganges hat sich uns in den Briefen Hans von Bülows erhalten. Hiernach habe zunächst ein Bülowsches Streichquartett zum Vortrag gelangen sollen. Dies habe Wagner, trotz seines Interesses für den jungen Bülow, abgelehnt: er hielte es für zweckmäßiger, es ein anderes Mal, in Gegenwart des Komponisten, vorzunehmen. Dagegen ließ er sich von den anwesenden Musikern eben jenes, von Ritter komponierte Quartett zur Anhörung bringen und da dieses, bis auf ein en, vorher probierten Satz, außerordentlich schlecht ging, nahm er es zum Trost des jugendlichen Autors auf sich, dasselbe aus der Partitur zu dirigieren und so das Ganze zusammenzuhalten.8

Eine Periode, die selbst den so kühlen Devrient zu der Überzeugung fortriß, der bestehende Zustand ›habe keine Dauer mehr‹, mußte allerdings dem durch sein ganzes Naturell auf ›Aktivität‹ Gerichteten noch ganz andere typische Erscheinungen zuführen, als diejenige Devrients selbst oder sonstiger Dresdener Kunstgenossen, um ihn in seinem Glauben an eine vorhandene ›Gemeinsamkeit‹ zu bestärken. Hatte ihn, die Lüge und Heuchelei der Parteien, von seinem begeisterten Versuche einer idealen Beseelung der politischen Erhebung abgelenkt und ihn aus den öffentlichen Versammlungen der Dresdener ›Republikaner‹ in tiefem Mißmut in die Einsamkeit seines künstlerischen Schaffens zurückgetrieben, so war es doch gerade diese Einsamkeit, in deren Schutze ihm eine der markantesten Erscheinungen der revolutionären Bewegung in Begleitung Röckels wiederholt und eindrucksvoll entgegentrat Es war dies der Russe Michael Bakunin, der sich seit dem Frühjahr 1849 im strengsten Inkognito unter dem Namen eines ›Dr. Schwarz‹ in Dresden aufhielt und hier vorübergehend die Gastfreundschaft Röckels genoß. Der Geist [336] einer allgemeinen europäischen Sozialrevolution schien in diesem seltsamen Menschen verkörpert. ›Ein Mann von seltener Geisteskraft und Charakterstärke, verbunden mit einer imponierenden Persönlichkeit und hinreißenden Redebegabung, war es ihm überall leicht, die Jugend zu enthusiasmieren und selbst reifere Männer anzuziehen.‹ So urteilt Röckel über ihn,9 in Übereinstimmung mit anderen Zeitgenossen, welche diesem merkwürdigen Idealisten der Zerstörung in der damaligen Phase seiner agitatorischen Wirksamkeit begegnet sind. ›Eben seine glühende Phantasie aber, im Verein mit dem unbewußten Ehrgeiz einer groß angelegten Natur, die sich zum Leiten und Gebieten berufen fühlte, bereiteten ihm oftmalige Selbsttäuschungen über die tatsächlichen Verhältnisse. Sein nächstes Streben galt einer Vereinigung der slavischen und deutschen Demokratie gegen das russische Zarentum, die damalige Hauptstütze des Absolutismus; und seine zahlreichen persönlichen Verbindungen mit Gleichgesinnten in allen slavischen Provinzen Österreichs, sowie in Polen und Rußland, ließen ihm dies Ziel näher erscheinen, als es in Wirklichkeit war‹, – so daß er sich ›an der Spitze einer mächtigen, weitverzweigten Verbindung wähnte, durch welche er die gewaltigsten Kräfte in Bewegung zu setzen vermeinte‹. Seine hochfliegenden Pläne und Gedanken, mit zündender Beredsamkeit von ihm entwickelt, hatten schon durch ihre Kühnheit unzweifelhaft etwas Großartiges an sich. Was ihm als Endziel vorschwebte, war, nach seinen eigenen Worten, ›die allgemeine Föderation der europäischen Republiken‹. Zur Erreichung dieses Zieles sollte ihm die Zertrümmerung der europäischen Staatsformen, der bestehenden abend ländischen Zivilisation als Mittel dienen. ›Nieder die künstlichen Schranken, welche von Despoten-Kongressen nach sogenannten historischen, geographischen, kommerziellen, strategischen Notwendigkeiten gewaltsam aufgerichtet worden sind. Es soll keine andere Scheidegrenze mehr geben zwischen den Nationen, als jene der Natur entsprechenden, welche der souveräne Wille der Völker selbst auf Grund ihrer nationalen Eigenheiten vorzeichnet!‹10

Bakunin hielt sich in Dresden als politisch Verfolgter im Versteck; die russische und österreichische Regierung fahndeten auf ihn. Heimlich war er von Leipzig herübergekommen und lebte hier, anfangs in Röckels, der Wagnerschen gegenüberliegenden Wohnung in der Friedrichstraße 29, zeitweilig auch, wie es scheint, in einer eigenen provisorischen Niederlassung im Naumannschen Hause im Kgl. ›Menageriegarten‹, ebenfalls in der Friedrichstadt. Es war mehr als die bloß gelegentlichen Berührungen der Nachbarschaft und der gemeinsamen Beziehungen zu Röckel, was Wagner für den abenteuerlichen [337] Umsturzmann ein näheres Interesse fassen ließ, dessen ›vielseitige Bildung und weltmännische Erfahrung, die er in allen Kreisen und Schichten der europäischen Gesellschaft auf seinen Irrfahrten als politischer Flüchtling und Verschwörer gesammelt, und dessen glänzende Beredsamkeit in mehr als sieben lebenden Sprachen seiner Persönlichkeit einen fesselnden Reiz verlieh‹ Er war ein Mann von imponierender physischer Kraft; unbändiger Mut und phantastische Schwärmerei belebten den Blick seines Auges; es lag etwas Löwenartiges in ihm.11 Gleichwohl muß es als eine irreführende, auf mangelnder Kenntnis der Persönlichkeit beruhende Behauptung bezeichnet werden, wenn der mehrgenannte Beurteiler von Wagners ›geistiger Entwickelung‹12 durch seine Voreingenommenheit sich dazu hinreißen läßt, den Einfluß dieses Mannes auf ihn so ohne weiteres als ›bezwingend‹ und ›überwältigend‹ hinzustellen. Aus seiner verzweifelten Einsamkeit heraus habe er sich dem bestrickenden Wesen jenes merkwürdigen Fremdlings hingegeben; er sei von ihm wie berauscht gewesen, Bakunins Beredsamkeit habe ihn ganz umstrickt. Es sind fast dieselben Worte, deren sich derselbe Autor zuvor in seiner Darstellung der Beziehungen Wagners zu Röckel bedient hat (S. 313); ihre charakteristische Färbung steht in wesentlichem Zusammenhang mit jener bereits betonten eigentümlich apologetischen Tendenz seines Buches, die den Dichter des ›Siegfried‹ und des ›Jesus von Nazareth‹, der bereits einen ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ geschaffen, bei jedem Anlaß immer wieder wie ein unbeschriebenes Blatt, jedem beliebigen äußeren Einfluß zugänglich, darzustellen versucht.13 Wer sich aus den gleichzeitigen Aufzeichnungen im Anhange zum Entwurf des ›Jesus von Nazareth‹ oder im Eingang des Nachlaßbandes ›Entwürfe, Gedanken, Fragmente‹14 die damalige Weltanschauung des Künstlers in ihrer ganzen feurigen Spontaneität vergegenwärtigt und daraus einen Begriff von der idealen Bedeutung der ›Revolution‹ geschöpft hat, wie sein Geist sie ersehnte, wie er sie nach Kräften herbeizuführen strebte, wird bei aller sympathieerfüllten Bewunderung Wagners für den seltsamen Gast seines Freundes nicht von einer rein passiven ›Hingabe‹ (!) seinerseits an dessen spezielle sozial-politische Lehren und einem ›bezwingenden‹ Einfluß desselben auf seine Überzeugungen reden. Dagegen [338] lebte die Persönlichkeit des merkwürdigen Mannes in der Erinnerung des Meisters allerdings mit größter Anschaulichkeit fort: das Kolossale der Erscheinung des großen, starken Menschen, sein echt slavischer Typus, die Verbindung rücksichtslos herausfordernder Energie mit seinem Zartgefühl,15 seine unverwüstliche physische Ausdauer, die es ihm nachmals ermöglichte, auf wunderbare Art aus Sibirien zu entfliehen und auf einer Fußwanderung bis an den Amur das englische Schiff zu erreichen, das ihn in Sicherheit bringen sollte; sein mähnenartig wallendes Haupthaar, selbst seine auffallend weiße Hautfarbe, die er einmal beim Entkleiden an ihm beobachtet. Auf seinen täglichen weiten Spaziergängen habe Bakunin ihn häufig begleitet. Auf diesen einsamen Wegen außerhalb Dresdens war der Verfolgte vor unliebsamen Begegnungen sicher; in der Nähe der Stadt pflegte dann Wagner unter dem Vorwande der Ermüdung eine Droschke zu nehmen, um ihn ungefährdet in sein verschwiegenes Asyl zurückzubringen. Was ihm diesen Umgang ermöglichte, war keineswegs eine vermeintliche Identität der Anschauungen im einzelnen, sondern die konsequente, großherzig naive Vorurteilslosigkeit der genialen Natur, die er, dem nichts Menschliches fremd war, zu jeder Zeit Personen jeder politischen Richtung und Überzeugung entgegentrug. So gut, wie mit dem slavischen Umsturzmann, wäre er zu ebenderselben Zeit mit jedem beliebigen deutschen Großherzog vor den Toren Dresdens spazieren gegangen, ohne sich dadurch von seiner Gesinnung das mindeste zu vergeben. In dieser, durch keine äußere Rücksicht in Bande zu schlagenden, völligen Unabhängigkeit des Charakters dokumentiert sich eben jene, gewissen Geschichtsschreibern so anstößige, weil ihnen unbegreifliche ›Erhabenheit des Künstlers über seine Mitwelt‹.16 Sie ist das ethische Korrelat jener objektiven Erkenntnis des Dichters, von welcher er [339] wenige Jahre später in ›Oper und Drama‹ mit den Worten spricht: ›In der Ruhe des Alters gewinnen wir das Moment höchster dichterischer Fähigkeit, und nur der jüngere Mann vermag sich diese schon anzueignen, der jene Ruhe gewinnt, d.h. jene Ge rechtigkeit gegen die Erscheinungen des Lebens.‹17

Wagner zitiert in späterer Zeit, um seine Stellung zu der damaligen revolutionären Erhebung zu kennzeichnen,18 den Ausspruch des greisen Thomas Carlyle, der in dem Ausbruch der französischen Revolution einen neuen, dritten Akt oder Teil des Dramas der Weltgeschichte erkennt, dessen zweiter Teil vor 1800 Jahren begonnen Es sei die unbezwingliche Empörung gegen Lügen-Herrscher und Lügen-Lehrer, die er menschenfreundlich auslege als ein Suchen, ein unbewußtes, aber todesernstes Suchen nach wahren Herrschern und Lehrern. ›Das tausendjährige Reich der Anarchie, – kürzt es ab, gebt euer Herzblut hin, es abzukürzen, ihr heroisch Weisen, die da kommen!‹19 ›Ich glaubte‹, sagt Wagner von sich selbst ›an die Revolution, wie an ihre Notwendigkeit und Unaufhaltsamkeit, mit durchaus nicht mehr Übertreibung als Carlyle: nur fühlte ich mich zugleich auch berufen, ihr die Wege der Rettung anzuzeigen. Lag es mir fern, das Neue zu bezeichnen, was auf den Trümmern einer lügenhaften Welt als eine politische Ordnung erwachsen sollte, so fühlte ich mich dagegen begeistert, das Kunstwerk zu zeichnen, welches auf den Trümmern einer lügenhaften Kunst erstehen sollte.‹ Diesen seinen Glauben an die Notwendigkeit und Unaufhaltsamkeit einer großen allgemein deutschen, ja europäischen Umwälzung bezeugt auf das beredteste jene ›eingestreute verkehrt aufgeschriebene Bemerkung‹ in den Aphorismen des Nachlaßbandes: ›Eine ungeheure Bewegung schreitet durch die Welt: es ist der Sturm der europäischen Revolution. Jeder nimmt an ihr teil, und wer sie nicht fördert durch Vorwärtsdrängen, der stärkt sie durch Gegendruck.‹ Wenn er sich aber in der damaligen Periode nach den ›heroischen‹ Naturen umsah, die mit Hintansetzung jedes egoistischen Interesses Leben und Persönlichkeit an die von ihnen verfochtene Sache setzten, um nach ihren Kräften die trübe Gärung des Überganges zu einer ersehnten neuen Epoche ›abzukürzen‹, so hatte er hierfür gewiß minder nach ihrem politischen Glaubensbekenntnis zu fragen, als – vor allem! – nach wirklichen Charakteren, wahrhaften Männern, wie er sie leider an der Spitze des sächsischen Staatswesens ebensowenig, als in der glorreichen obersten Verwaltung der öffentlichen Kunstangelegenheiten antraf.

[340] Mit Recht weist Chamberlain darauf hin, wie der eigentümliche Hauch der Begeisterung, der in jenen Tagen über ganz Deutschland wehte, selbst nüchterne Naturen in einen Zustand der Exaltation versetzte und sie vorübergehend über sich selbst hinaushob. Er hat dabei vorzugsweise Röckel im Sinne, dessen, im Verhältnis zu seinem großen Freunde gewiß nicht zu überschätzende, geistige Bedeutung dennoch – in der Ausübung freiwillig auf sich genommener Pflichten – alles hinter sich ließ, was von einem plötzlich aus seiner Stellung entlassenen ehemaligen Kgl. Sächsischen Musikdirektor, der außerdem eine ganze Familie zu versorgen hatte, erwartet werden konnte. Zu solchen Pflichten gehörte neben seiner Tätigkeit als Deputierter des sächsischen Landtages namentlich noch seine bereits erwähnte publizistische Wirksamkeit in den, seit dem 26. August 1818 wochentlich einmal von ihm herausgegebenen ›Volksblättern‹. In diesem letzteren Zweige seiner Tätigkeit hat ihn Wagner aus dem ihm eigenen Mitteilungsdrange, behufs näherer Ausführung der von ihm in seiner Vaterlandsvereins-Rede niedergelegten Gedanken, und um dem Freunde dadurch einen Dienst zu erweisen, seit dem ersten Beginn seines Unternehmens wiederholt mit eigenen Artikeln unterstützt Trotz aller seit langen Jahren darauf verwandten Bemühungen, eines Exemplares dieser inzwischen selten gewordenen Zeitschrift habhaft zu werden, ist uns eine eingehende kritische Revision derselben bisher noch nicht möglich gewesen; und es wäre wohl mehr als verwegen, aus den zerstückelten Auszügen, die Dr. Dinger in seinem Buche als Parallelstellen zu jener Rede mitteilt,20 die Autorschaft Wagners z.B. an den Artikeln ›Was ist Kommunismus?‹, [341] ›Frankreich‹, ›Deutschland und seine Fürsten‹ bei aller subjektiven Überzeugtheit davon apodiktisch behaupten zu wollen.21 Zwei ausführliche Aufsätze, an deren Echtheit wir aus inneren Gründen keinen Zweifel hegen, (›Der Mensch und die bestehende Gesellschaft‹ und die ›Revolution‹) sind von dem genannten Autor durch Neuabdruck ihrer bisherigen Vergessenheit entzogen worden. Der darin herrschende Geist bekundet aufs deutlichste, daß es für den Künstler nicht erst jenes vorübergehenden Umganges mit Bakunin bedurfte, um zu der Überzeugung zu gelangen, ein etwaiger Zusammenbruch unserer ›Zivilisation‹ sei nicht das größte Unglück, das unseren Erdteil betreffen könne, – eine Überzeugung, der er bis zu seinem letzten Atemzuge getreu geblieben ist!22 Am Palmsonntag, dem 1. April, gelangte zum dritten und letztenmal Beethovens neunte Symphonie unter Wagner zur Aufführung. Wie immer, war ihre Wirkung auf das Publikum eine zündende. Sie schlug ein, wie ein elementares Ereignis, wie ein Gewitter, aus dessen finsterem Gewölk der goldhelle Sonnenschein siegreich hervorbricht. Die allgemeine Spannung der Gemüter gab dem letzten Satze wohl diesmal noch eine besondere Deutung. Unter den Zuhörern befand sich wiederum der junge Hans von Bülow. Eine eigentümliche Erfahrung aber bot dem Künstler die Begeisterung Bakunins für das Werk, welcher der Aufführung trotz aller ihm drohenden Gefahr im Verborgenen beiwohnte. Von seinen enthusiastischen Äußerungen erzählte Wagner auf einem seiner Nachmittagsspaziergänge um die Stadt seinem jungen Begleiter Gustav Kietz. Mit bewundernder Lebhaftigkeit gab er ihm dabei eine Schilderung der fesselnden Persönlichkeit dieses Propheten der sozialen Revolution und des neuen Weltalters. ›Alles, alles, hat er gesagt, wird zugrunde gehen, nichts mehr wird bleiben; nicht nur die Musik, auch die anderen Künste, auch Ihr Cornelius‹ – er kannte und teilte die Bewunderung seines jungen Freundes für diesen Meister23 – nur Eines wird nicht vergehen und ewig bleiben: die neunte Symphonie. Auch die einzige schriftlich bewahrte Erinnerung Wagners an seine Unterhaltungen mit dem seltsamen Fremdling knüpft ersichtlich an das gemeinsame künstlerische Erlebnis: das merkwürdige Selbstbekenntnis dieses Mannes, daß er ›auf dem Punkte des Ekels an unserer Zivilisation angelangt, Lust empfunden [342] habe – Musiker zu werden‹. Wie sehr diese paradoxe Gegenüberstellung mit dem tiefsten eigenen Empfinden des Künstlers zusammentraf, beweist wohl am besten jener, noch in der ›Beethoven‹-Schrift v. J. 1870 enthaltene Satz: ›Wie einst aus der römischen Universal-Zivilisation das Christentum hervortrat, so bricht jetzt aus dem Chaos der modernen Zivilisation die Musik hervor. Beide sagen aus: »unser Reich ist nicht von dieser Welt«. Das heißt eben: wir kommen von innen. ihr von außen; wir entstammen dem Wesen, ihr dem Scheine der Dinge. Erfahre jeder an sich, wie die ganze moderne Erscheinungswelt, welche ihn überall zu seiner Verzweiflung undurchbrechbar einschließt, plötzlich in Nichts vor ihm verschwindet, sobald ihm nur die ersten Takte einer jener göttlichen Symphonien ertönen. Dies ist nun aber, im ernstesten Sinne genommen, die gleiche Wirkung der Musik unserer ganzen modernen Zivilisation gegenüber; die Musik hebt sie auf, wie das Tageslicht den Lampenschein.‹

Unter dem erneuten Eindruck des ungeheueren Beethovenschen Werkes ist der flammende Aufsatz ›Die Revolution‹ abgefaßt, der gerade acht Tage später, Sonntag den 8. April, ohne Namensnennung des Autors, als Leitartikel in den ›Volksblättern‹ erschien. Der erhabene Schwung, die visionäre Anschaulichkeit dieser begeisterten Darstellung erhebt sie in ihrer Art zu einem dichterischen Kunstwerke von mächtigster Wirkung.24 Rein persönlich betrachtet, ist es der Sehnsuchtsruf des geknechteten Künstlers, der sich innerlich längst von einer absurden Lohntätigkeit abgelöst hat, in die ihn äußerer Zwang noch bis zu einer erwarteten großen Entscheidung bannt.25 Dennoch springt es uns aus jeder Zeile dieses Artikels in die Augen: der ihn schrieb, dachte an keine Dresdener Theaterreform mehr; er hatte nur noch ein großes weltgeschichtliches Ereignis vor Augen, dem gegenüber ein jedes, selbst das edelste Sonderinteresse ihm kleinlich erscheinen mußte. ›Der Blick, den ich aus meiner brütenden Einsamkeit heraus auf die politische Außenwelt warf, zeigte mir jetzt die nahe bevorstehende Katastrophe, die jeden, dem es um eine gründliche und wesentliche Änderung der schlechten Zustände Ernst war, verschlingen mußte, wenn er seine Existenz, selbst in diesen schlechten Zuständen, über alles liebte. Dem bereits offen und frech ausgesprochenen Trotze des ausgelebten Alten gegenüber, das um jeden Preis sich in seiner Existenz erhalten wollte, mußten meine früher gefaßten Pläne, wie der einer Theaterreform, mir jetzt kindisch vorkommen. Ich gab sie auf, wie alles, was mich mit [343] Hoffnung erfüllt und so über die wahre Lage der Dinge getäuscht hatte Im Vorgefühl der unvermeidlichen Entscheidung, die auch mich, mochte ich tun was ich wollte, treffen mußte, sobald ich eben nur meinem Wesen und meinen Gesinnungen treu blieb, floh ich jetzt jede Beschäftigung mit künstlerischen Entwürfen: jeder Federzug, den ich geführt hatte, kam mir lächerlich vor, jetzt, wo ich unmöglich noch durch eine künstlerische Hoffnung mich belügen und betäuben konnte. Des Morgens verließ ich mein Zimmer mit dem öden Schreibtische, und wanderte einsam hinaus in das Freie, um mich im erwachenden Frühlinge zu sonnen, und in seiner wachsenden Wärme alle eigensüchtigen Wünsche von mir zu werfen, die mich irgend noch mit täuschenden Bildern an eine Welt von Zuständen binden konnten, aus der all mein Verlangen mit Ungestüm mich hinaustrieb.‹

In diese Zeit eines erregten Abwartens und Beobachtens der Vorgänge fallen die von Dinger mehrfach erwähnten Zusammenkünfte im Naumannschen Hause im Kgl. Menageriegarten, an denen angeblich Richard Wagner wiederholt sich beteiligt haben soll. Der genannte Forscher beruft sich dafür seltsamerweise auf die Mitteilungen eines damaligen offiziösen Organs von eigentümlicher Färbung,26 von denen er hinzufügt, daß sie ›offenbar‹ (!) ›auf Aktenkenntnis‹ beruhen. Nun lehrt allerdings die Erfahrung, daß es Historiker gibt, denen eine gelegentliche Verwechselung von Akten und Fakten mitunterläuft, denen ›Aktenkenntnis‹ beinahe soviel bedeutet als Kenntnis der Wirklichkeit und die es sich wenig anfechten lassen, daß gerade die damaligen Akten von Irrtümern und Denunziationen wimmeln.27 Bedenklicher aber werden die erwähnten ›Mitteilungen‹ noch durch den ferneren Umstand, daß sie vor einer näheren Prüfung als beinahe völlig inhaltlos sich ergeben, als eine spannungerweckende Einleitung ohne Fortsetzung und Schluß, aus der wir buchstäblich gar nichts an greifbaren Tatsachen erfahren. Diese trotzdem ›sehr bemerkenswerten‹ Zusammenkünfte sollen dem nachträglichen Berichte des Grimmaer Blattes zufolge etwa drei Wochen vor dem Ausbruch des Kampfes, also ca. vom 12. April ab, in der Friedrichstadt abgehalten worden sein, und zwar in der letzten Zeit täglich nachmittags von 3 oder 4 Uhr an bis zum Abend, oft bis in die Nacht hinein. Der Ort der Versammlung, die bereits erwähnte Naumannsche Wohnung im Kgl. Menageriegarten, sei mit besonderer Vorsicht ausgesucht gewesen: das Haus [344] bestand nämlich bloß aus einem Parterre, war besonders umzäunt und von niemand weiter als der Naumannschen Familie bewohnt, so daß eine Verräterei durch die Hausgenossen nicht zu befürchten war. Zu dem Hause selbst war aber von vier verschiedenen Seiten her28 der Zugang möglich; die Teilnehmer jener Zusammenkünfte (der Bericht nennt sie einfach: ›die Verschworenen‹) konnten deshalb von verschiedenen Richtungen her gleichzeitig sich versammeln, ohne durch ihre Zahl auffällig zu werden. In der Regel sollen sich dreißig bis vierzig Personen dazu eingefunden haben. Nun erwartet man doch vor allem die Nennung bestimmter politisch einflußreicher Persönlichkeiten, sowie irgendeine ›aktenmäßig‹ konstatierte Angabe über den Zweck dieser Zusammenkünfte, und falls es, wie nicht zu bezweifeln, um politische Umtriebe sich gehandelt, über den besonderen Inhalt und Gegenstand dieser Verhandlungen, der doch für die spätere gerichtliche Untersuchung von besonderem Interesse hätte sein müssen Vergebens! Selbst über die charakteristische Beschaffenheit des Lokales schwebt ein völliges Dunkel Dinger nimmt an, es sei die Privatwohnung Bakunins gewesen;29 diese Annahme steht aber bei näherer Erwägung in Widerspruch zu seiner eigenen, freilich unbestimmten Angabe,30 wonach dieser überhaupt erst ›kurze Zeit vor Ausbruch des Aufstandes‹ nach Dresden gekommen sei, während doch die mysteriösen Zusammenkünfte in dem genannten Hause nachweislich bereits seit dem verflossenen Winter stattgefunden hatten. Es scheint sich demnach vielmehr um das Versammlungslokal eines der zahlreichen politischen Klubs jener Tage von mehr oder weniger privatem Charakter zu handeln, der sich seines gesetzlichen freien Versammlungsrechtes hier ebenso gut, wie etwa in jenem vorerwähnten Lokale der Brüdergasse bediente und vorzugsweise aus Bewohnern der entlegeneren Friedrichstadt bestand, und Bakunin darin nur vorübergehend Aufnahme gefunden zu haben über Inhalt und Gegenstand der hier geführten Verhandlungen besagt der Bericht nicht das mindeste, ebensowenig über die Zusammensetzung der hier tagenden Gesellschaft. Als regelmäßige Teilnehmer sollen von sämtlichen 30–40 Personen nur fünf (!) erkannt worden sein: die damaligen Redakteure der ›Dresdener Zeitung‹, Hermann Lindemann und Ludwig Wittig, ferner Kapellmeister Richard Wagner und Musikdirektor Röckel, endlich Bakunin. Eine wunderliche Zusammenstellung! Nur ein Name wird in demselben Zusammenhange noch genannt: ›noch ein anderer Held jener unglückseligen Ereignisse, ein gewisser Heine, der sich Zivilingenieur nannte, früher an einer Eisenbahn beschäftigt war, in der letzten Zeit Unterricht gab und jetzt steckbrieflich mit verfolgt wird‹. Es ist nicht völlig klar, wer unter diesem Ingenieur Heine gemeint sei; man [345] denkt unwillkürlich zunächst an den (durch Lüttichaus Ungunst soeben in Dresden privatisierenden) Sohn des alten ›Heinemännel‹ und mehrerwähnten jüngeren Freund des Meisters (S. 307), dem aber der Hetzeiser des reaktionären Grimmaer Organs bei dieser Gelegenheit die schaudererregende Erfindung einer besonderen Guillotine (!) zuschreibt, – deren Modell einige Zeit vor dem Ausbruch des Aufstandes ›hier‹ (also doch wohl) in derselben Naumannschen Behausung, aufgestellt gewesen sei!31 Nun liegen aber über eben dieselben Zusammenkünfte im Kgl. Menageriegarten noch andere Aussagen vor, die nicht bloß vermutlich, sondern tatsächlich den ›Akten‹ des Kgl. Gerichtes entstammen, einerseits des angestellten Pachtgärtners, andererseits der Inhaberin und Besitzerin des Lokales, der Witwe Naumann, und ihres Sohnes, des Rechtskandidaten Naumann, nachmaligen Redakteurs der ›Dresdener Zeitung‹.32 Was melden nun diese? Die Zeugenaussage des Pachtgärtners führt aus, daß ›schon von Ende vergangenen Winters an, namentlich aber in den letzten sechs Wochen vor Beginn des Aufruhrs, zu wiederholten Malen dann und wann sehr zahlreiche Versammlungen vorkamen‹. ›Diese fanden im Anfange wöchentlich einige Male, in der letzten Zeit täglich statt, und kamen da immer zwanzig bis dreißig Personen zusammen, die sich in der Regel sogar um 3 Uhr nachmittags einfanden und erst am Spätabende, wohl auch vielleicht erst in der Nacht, von da wegbegaben. Ich habe unter solchen weiter niemand, als den Kgl. Kapellmeister Wagner erkannt.‹ Die Zahl der Versammelten hat in dieser ›aktenmäßigen‹ Angabe gegen die vorhergehende schon um 10 Personen abgenommen. Die offizielle Zeugenaussage der Hausinhaberin33 endlich spricht überhaupt nur von ›einigen Herren‹, darunter ›einige Male der Kapellmeister Wagner‹, die ›teils am Tage, teils in den Abendstunden, bei diesem Dr. Schwarz (Bakunin) gewesen seien‹. Genug daher von diesen geschichtlich wertlosen, wüsten und unklaren Proben des Dresdener politischen Klatsches, den die Filtration durch Königlich Sächsische Gerichtsakten und Protokolle nicht genießbarer macht. Wir erfahren daraus mit Sicherheit nur so viel, als wir uns auch ohne diese Quellen lebhaft vorstellen können, nämlich daß sich der Künstler, zu einer Zeit, wo er mit seinem Dresdener Anstellungsverhältnis nur noch rein äußerlich zusammenhing, nach langer Zurückgezogenheit, [346] in den erregten Wochen des Monates April, in denen die verbündeten Regierungen eine entschieden feindselige Stellung gegen die volkstümliche Bewegung genommen hatten, und fast jeder Tag eine neue aufregende Maßregel brachte, wiederholt in den ihm nächstbenachbarten Räumlichkeiten eines Versammlungsortes gezeigt habe, um sich über den Gang der Ereignisse auf dem Laufenden zu erhalten und die Haltung der revolutionären Partei zu beobachten. War er ursprünglich durch die Angelegenheit seines Reorganisationsentwurfes auf die besondere Weisung Oberländers, an den er zunächst sich gewandt, in eine erste Fühlung mit den radikalen Kreisen Dresdens geraten, war die oft unterbrochene, nur durch den Umgang mit Röckel aufrecht erhaltene Berührung mit ihnen während fast eines vollen Jahres mit seinen Bemühungen um die Schicksale dieses Entwurfes zusammengefallen, so stand doch die Sache nun für ihn anders: die besondere künstlerische Angelegenheit war gegen die teilnahmvoll erregte Beobachtung der Symptome einer umfassenden geschichtlichen Bewegung zurückgetreten, die fast das ganze deutsche Volk in ihre Kreise zog, während andererseits die Höfe von Berlin, Dresden und Hannover sich längst verständigt hatten, eben diese Bewegung, sobald die Gelegenheit sich günstig zeige, mit Gewalt der Waffen zu unterdrücken.

Röckels Bericht datiert das erneute Interesse Wagners an den politischen Vorgängen, von denen er sich eine Zeitlang mit bitterer Enttäuschung und in tiefstem Mißmute abgewendet, ausdrücklich von dem, mit der Berufung des Ministeriums Beust offen erklärten Eintreten der Reaktion.34 Unter schweren Wehen war am 28. März die deutsche Reichsverfassung zustande gebracht und von der Frankfurter ›Nationalversammlung‹ angenommen worden. Am 3. April traf die Deputation des Parlamentes, welche König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen seine Ernennung zum deutschen Kaiser mitteilen sollte, in Berlin ein und erhielt die bekannnte Zurückweisung. Es konnte sich wohl niemand darüber täuschen, daß seine Bedenken gegen die Berechtigung der Frankfurter Versammlung jedenfalls weit geringeren Anteil an dieser Ablehnung hatten, als die mit ihrer Annahme unerläßlich verknüpfte Bedingung [347] einer vorherigen Anerkennung der Reichsverfassung. ›Dem Kaiser‹, sagt Röckel mit Recht, ›konnte es nicht so leicht gelingen, die Reichsverfassung wieder zu beseitigen, oder nach seinem Belieben umzumodeln, wie dies dem Könige von Preußen wurde; denn hinter der Reichsverfassung stand das gesamte deutsche Volk in eifersüchtiger Wachsamkeit.‹ Hatten sich doch die deutschen Regierungen den Vorbehalt ausgemacht, daß diese Verfassung für keinen der Einzelstaaten bindend sein sollte, bevor nicht Regierung und Volksvertretung des betreffenden Staates sich für die Annahme an ihrem Teil ausgesprochen hätten. In einer Zirkularnote vom 28. April ermahnte nun die preußische Regierung ihre Verbündeten, den gefährlichen Krisen, die in manchen Ländern durch ein starres Festhalten an den Beschlüssen der Reichsversammlung hervorgerufen werden könnten, gemeinsam entgegenzutreten; sie selbst sei dazu im vollen Umfange bereit, und werde ihre Maßregeln so treffen, daß sie den verbündeten Regierungen die etwa gewünschte und erforderliche militärische Hilfe rechtzeitig werde leisten können. Inzwischen hatten die sächsischen Minister, unter Führung Beusts, dem sächsischen Könige geraten, die Kammern des widersetzlichen Landtages schleunigst aufzulösen. Nachdem diese am 12. und 14. April mit überwältigender Mehrheit die sofortige Anerkennung der Reichsverfassung beschlossen, sodann auch ihr Mißtrauensvotum gegen das Ministerium erlassen hatten, wurde noch an demselben Sonnabend, den 28. April, das Auflösungsdekret des Landtages vom Könige unterzeichnet, und trotz des Protestes beider Kammerpräsidenten gegen dieses verfassungswidrige Abtun der Landesvertretung, die beschlossene Auflösung am darauffolgenden Montag, den 30. April, ohne das Beisein auch nur eines Ministers, durch einen einfachen Regierungskommissar tatsächlich vollzogen. Es geschah dies im Vertrauen auf die in den Händen der Regierung befindliche Gewalt der Militärmacht, sollte diese auch ihre Waffen im mörderischen Kampf auf ihre eigenen Väter und Brüder zu richten haben. Wie recht hatte demnach die seit lange sich bedroht fühlende Volkspartei in ihrem drängenden Betreiben einer organisierten ›Volksbewaffnung‹ an Stelle der bisherigen lahmen Bürgergarde!35

So traurig das Verhältnis zwischen Volk und Fürsten in jenen aufgeregten Tagen sich gestaltete, so war es doch die unmittelbare Konsequenz des gesamten Verhaltens der deutschen Höfe und Regierungen vor und nach dem rühmlichen Aufschwung der ›Freiheitskriege‹. Als Richard Wagner fast zwanzig Jahre später (1867) dieses geschichtliche Verhältnis in seiner Abhandlung über ›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹ (für die Süddeutsche Presse) in so ergreifenden Zügen beleuchtete, wußte ein geheimnisvoller Erlaß des Kgl. bayerischen Ministeriums des Innern hinter seinem Rücken es durchzusetzen, [348] daß die Folge seiner Artikel plötzlich abgebrochen wurde: ›offenbar befürchtete man, ich würde mich um den Hals reden‹.36 Man konnte das Erscheinen dieses freimütigen Appells an das Ehrgefühl deutscher Fürsten und Staatsmänner als selbständige Schrift nicht verhindern, noch weniger die Fortdauer dieses Mahnrufes, das Vermächtnis des Künstlers an seine gekrönten Zeitgenossen und ihre Nachfolger auf Deutschlands Thronen Es ist kein würdevolles Bild, das uns die sächsische Geschichte jener Tage gewährt. Auf seiten des Volkes, bei aller Liebe zu dem angestammten Herrscher, ein seit lange herausgefordertes trotziges Mißtrauen, im Bewußtsein der Vertretung schwer errungener Rechte; auf der andern ein rückhaltvoll berechnendes, im verborgenen operierendes Verfahren, wie diese Rechte wieder zurückzuziehen seien; wofür der von Röckel gebrauchte Ausdruck einer ›Fürstenverschwörung‹ nicht übel am Platze scheint. Die Auflösung des Landtages war vollzogen. Tags darauf traten auch die drei Staatsminister Held, v. Ehrenstein und Weinlig von ihren Posten; nur v. Beust und der Kriegsminister Rabenhorst, ›Kopf und Herz der Reaktion‹, verblieben in ihrem Amte; das Staatsruder somit, da Rabenhorst mit militärischen Angelegenheiten vollauf zu tun hatte, ausschließlich in den Händen des undeutschen Reaktionärs v. Beust. Mit welcher Bestimmtheit die ausscheidenden Amtsgenossen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes zwischen Volk und König gerechnet hatten, wird aus dem Umstande ersichtlich, daß sie selbst über die wirklichen Absichten der Regierung getäuscht worden waren. Das vor allem auf seine Rückendeckung bedachte diplomatische Spiel des Beustschen Kabinetts aber bekundet sich in der denkwürdigen Tatsache, daß an demselben 28. April, an welchem die Auflösung der Kammern dekretiert war, in die Kgl. Hofbuchdruckerei noch eine andere Kgl. Verfügung gelangte, welche die Anerkennung der vom Volke gewünschten ›Reichsverfassung‹ verkündete und gleich nach erfolgter Ausführung des ersten Dekretes veröffentlicht werden sollte, in der Folge aber, sobald die bestimmte Zusicherung militärischer Hilfe seitens der preußischen Regierung eintraf, aus der Druckerei wieder verschwand, resp. zurückgezogen wurde.37 ›Sicher ist, [349] daß Held dem Vorsitzenden des »Vaterlandsvereins«, als ihm dieser am 1. Mai eine, Sturmadresse. überreichte, deutlich zu verstehen gab: er selbst habe für die Verfassung gestimmt und sei eben deshalb mit seinen beiden gleichgesinnten Genossen bereits zurückgetreten. Stand nun auf seiten der zwei gegnerischen Minister auch der eigene Bruder des Königs, sein späterer Nachfolger Prinz Johann, so läßt es sich wohl begreifen, wie drei solche willenskräftige Männer einen für sein Volk liebevoll fühlenden, aber unselbständigen Fürsten dahin beeinflussen konnten, gegen die Erfüllung der Wünsche seines Volkes sein Veto einzulegen.‹38 Auf diese Art erklärt sich das, in der Geschichte des Konstitutionalismus bis dahin unerhörte Vorkommnis einer gleichzeitigen Auflösung von Landtag und Ministerium, durch Entlassung der bisherigen Majorität des Letzteren! Eine Maßregel, die sich begreiflicherweise auf die Eingeweihten, v. Beust und Rabenhorst, nicht zu erstrecken hatte.39

In seiner zweibändigen Oratio pro domo40 sucht der damalige Ratgeber der Sächs. Regierung seine Haltung auf besondere Art zu rechtfertigen: der Mai-Aufstand sei ja gar nicht etwa eine Erhebung des ›guten Dresdener Bergers‹41 gegen die ›hohe Obrigkeit‹ gewesen, sondern ›ein von langer Hand unter Beteiligung fremder revolutionärer Elemente und Persönlichkeiten vorbereiteter Ausbruch‹.42 Die schließliche Verweigerung der Anerkennung der Reichsverfassung habe die Bombe zum Glück (!) vor der Zeit platzen [350] lassen usw. Nicht minder spricht Graf Waldersee, der damalige Kommandierende der preußischen Truppen in Dresden, unverhohlen die Ansicht aus, der Monarch von Sachsen habe ›sehr wohl erkannt, daß seine Weigerung zum Bürgerkrieg führen mußte‹. Man wollte demnach planmäßig seitens der Regierung keine Ausgleichung, keine Verständigung, sondern den Kampf; man wollte die gewaltsame Entscheidung, bevor noch die Macht der Volkspartei in Sachsen, wie in ganz Deutschland, sich befestigt hätte. Man suchte, man erzwang sie schließlich. ›Kein Zweifel, die Geschichte wird das Kabinett Beust für das Blutvergießen in Dresden verantwortlich machen; und daran wird auch das Vorgeben nichts ändern, daß alles das Werk einzelner »Agitatoren« gewesen sei; denn trotzdem über das ganze umgebende Land sofort der Belagerungszustand verhängt wurde, so war doch der am 26. November 1849 wieder eröffnete Landtag beinahe ebenso widersetzlich wie der vorhergegangene, und ward aus demselben Grunde – nämlich wegen beharrlichen Verlangens nach Anerkennung der »Reichsverfassung« – aufgelöst, worauf die früheren, »auf immer« beseitigten Landstände wieder einberufen wurden. Doch auch die Beustsche Politik wurde von der Nemesis erreicht! Durch sie war Sachsen schon Ende 1850 fast in den Krieg mit Preußen verwickelt worden, und 1866 ward ganz Sachsen samt seiner Hauptstadt von den wiederum siegreichen preußischen Truppen überflutet, während Beust, der übelberatende Ratgeber, gezwungen war, das sächsische Land zu verlassen und in österreichische Dienste zu treten.‹43 In Wahrheit galt schon damals das bereitwillige Anerbieten preußischer Truppen und deren beschleunigte Entsendung in den Nachbarstaat – eine Handlung, die vom Frankfurter Parlament als ›schwerer Reichsfriedensbruch‹ gebrandmarkt wurde – nicht so sehr der Befestigung des sächsischen Thrones und der bedrohten gesellschaftlichen Ordnung; sie bildet vielmehr für den tiefer dringenden Blick den ersten Schachzug einer Politik, die in ihrem konsequenten Verlauf zur endgültigen Demütigung Sachsens gegenüber Preußen führen sollte, und zu welcher die sächsische Regierung mit Verkennung der wahren Sachlage und Verletzung des klaren Wortlautes der Bundes- und Reichsgesetze bereitwillig selber die Hände bot.44

Nach diesen allgemeinen Vorausblicken wenden wir uns nunmehr der Betrachtung der einzelnen Vorgänge jener stürmischen Maitage zu, in deren gewaltsame Zuckungen die eigene Regierung ihr Volk mit Vorbedacht stürzte, um nach mehrtägigem blutigem Straßenkampf ein entsetzliches, ungerechtes [351] Gericht über das arme Land niedergehen zu lassen. Schritt für Schritt hat damals Wagner, immer vom höchsten und weitreichendsten Gesichtspunkte aus, diese Vorgänge mit gespannt beobachtender Teilnahme und offener Bekundung sein er Sympathien verfolgt. Schritt für Schritt werden wir die wenigen nachweisbaren und dem Meister selbst wohl erinnerlichen Handlungsmomente seiner ›aktiven‹ Beteiligung daran uns vergegenwärtigen. Mit der ihm vorschwebenden großen sozialen Menschheitsrevolution hatte dieser aufopferungsvolle Kampf zum ehrlichen Schutze schwer errungener, verbriefter politischer Rechte nichts gemein. Was ihn dennoch bis zum letzten Augenblick des erlöschenden Widerstandes gegen die Übermacht an den Schauplatz des Kampfes fesselte, war die rein menschliche Teilnahme an den Kämpfenden selbst. Am allerwenigsten kann seinem durchdringenden Scharfblick der Glaube an einen glücklichen Ausgang der überstürzten Katastrophe zugemutet werden Seine eigentlichen, für den Monat Mai festgesetzten persönlichen Absichten bestanden in dem Antritt eines Urlaubs, während dessen er, nach längst getroffener Übereinkunft, Liszt in Weimar besuchen wollte. Für den 5. Mai (Sonntag) war zuvor noch, im Saale des großen Opernhauses, ein von Wagner und Reißiger zu dirigierendes Konzert angesetzt, zum Besten der in Schleswig-Holstein invalid gewordenen Krieger. Auf dem Programm stand u.a. Beethovens ›Eroica‹-Symphonie; außerdem war, jedenfalls auf Anregung Wagners hin ›Berlioz‹ Trauer- und Triumphsymphonie für die Translation der Juli-Gefallenen dazu ausersehen, die in Paris bei wiederholter Anhörung einen so starken Eindruck auf ihn gemacht hatte.45 Die Stimmen dieser Symphonie waren nicht vorrätig; der Ausschuß der Kgl. Kapelle beschloß daher, sie durch ein Mitglied der Kapelle, den Wagner befreundeten nachmaligen Kammermusikus M. Fürstenau, aus Berlin holen zu lassen. Da habe Wagner, nach Fürstenaus Erzählung,46 zu aller Erstaunen erklärt, das Konzert würde wahrscheinlich gar nicht stattfinden; denn bis dahin würde unfehlbar Revolution ausbrechen, und wer wisse, was dann aus der Kgl. Kapelle werden würde! Trotzdem reiste Fürstenau ab. Bei seiner Rückkehr fand er Wagners Voraussage bestätigt.

Fußnoten

1 Vgl. Band I, S. 508 und im vorliegenden Bande S. 26, 116/17. 137/38.


2 Die ›liebreizende Gestalt‹ Theresens, ›deren Jugendbildnis mit den klugen herrlichen Augen alle Herzen gewinnen muß‹, hat sich späterhin durch ihre ›Jugenderinnerungen‹ (Stuttgart, Krabbe) demselben Publikum vorgestellt, an welches auch ihres Gatten ›Erinnerungen an Felix Mendelssohn‹ sich wenden.


3 Das Autograph des Artikels (wie auch das mit dem vollen Namen des Autors ›Richard Wagner, Kgl. Kapellmeister‹ unterzeichnete Begleitschreiben) hatte sich jahrelang im Besitz eines an der ›Allgem. Zeitung‹ angestellten Autographenfreundes erhalten und wurde seit d. J. 1877 durch L. Nohl mehrfach zum Abdruck gebracht; gegenwärtig sind beide Schriftstücke im Besitz des Eisenacher ›Wagner-Museums‹.


4 Das Nationaltheater des Neuen Deutschlands. Eine Reformschrift von Eduard Devrient. Leipzig, Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber, 1849 (Druck von Otto Wigand in Leipzig).


5 Der Aufsatz der Spenerschen Zeitung war mit dem Pseudonym ›Scenophilus‹ unterzeichnet.


6 Vgl. W. Tappert, R. Wagner, sein Leben und seine Werke, S. 47.


7 Alexandrine Ritter, brieflich an Jr. Rösch, 31. Dezember 1897 (vgl. Mus. Wochenbl. 1898, S. 95).


8 Bülow, Briefe I, S. 140.


9 August Röckel, Sachsens Erhebung Frankfurt a. M. 1865, S. 57.


10 17. Anniversaire de la Révolution Polonaise. Discours par M. Bakounine. Paris 1847. Zitiert nach Dinger S. 166, Anm.


11 Dinger, R. Wagners geistige Entwickelung S. 225.


12 Dinger, a. a. O. S. 224–25.


13 Hingegen bemerkt Wagner selbst bereits im September 1849 von Zürich aus brieflich gegen den alten Freund Heine. ›Es ist nun einmal Euer Wahn, Alles, was Euch an mir nicht gefallen hat, und was Ihr aus den Anregungen der Zeit im allgemeinen und meinem Wesen im besonderen Euch nicht sofort zu erklären verstandet, den üblen Einflüssen eines Anderen‹ (Röckel!) ›zuzuschreiben: die Vordersätze meines Glaubens, wie Ihr sie aus meinen Werken und meinen Ansichten kanntet, fandet Ihr wohl richtig, erschrakt aber über die logisch notwendige Konsequenz dieser Vordersätze‹ (Briefe an Uhlig, Fischer, Heine S. 381/82).


14 Beide sind gegenwärtig im Verlage von Breitkopf und Härtel in neuer Ausgabe zu einem Ergänzungsbande der ›Gesammelten Schriften‹ vereinigt.


15 Als Beweis dieses Zartgefühls führte Wagner noch in einer Tischunterhaltung im Sommer 1878, der wir auch die obigen Züge entnehmen, die Zurückhaltung an, die sich Bakunin bei seinem nachmaligen Schweizer Aufenthalt auferlegt, indem er jeden Besuch des Meisters in dem benachbarten Triebschen vermied, um nicht zu neuen Klätschereien Anstoß zu geben. Er habe damals sonderbarerweise für einen russischen Spion gegolten und sich deshalb auf einem seiner Billetts scherzhaft als ›espion russe‹ unterzeichnet. Einen ferneren Beweis dafür liefert die bei seinem Verhör auf dem Königstein am 19. Sept. 1849 abgegebene Erklärung, wonach er Wagner ›sofort als Phantasten erkannt und obwohl mit ihm, und auch öfter über Politik, gesprochen, doch nie sich zu gemeinsamem Handeln verbunden habe‹. Diese Worte, – wenn man insbesondere in Betracht zieht, daß sie eben ›Akten‹ und ›Protokollen‹ entstammen und der Verhörte demnach für ihre Fassung nicht verantwortlich ist, können jedem urteilsfähigen Leser nur ein Zeugnis für sein taktvolles Bestreben sein, den Abwesenden in den Augen seiner reaktionären Richter nicht zu kompromittieren. Man vergleiche aber dazu die niedere Auslegung, die Dinger an mehreren Stellen seines Buches (S. 205, 225) davon macht.


16 Vgl. S. 281 dieses vorliegenden Bandes, Anm.


17 Allerdings wird diese ›Ruhe‹ von ihm selbst als nichts anderes erklärt, wie als ›die – durch Resignation beschwichtigte – Leidenschaft; wo der Ruhe nicht die Leidenschaft vorangegangen ist, erkennen wir nur Trägheit‹. Vgl. ›Wagner-Lexikon‹ s. v. ›Ruhe‹.


18 Einleitung zum dritten und vierten Bande der ›Gesammelten Schriften‹, 1872.


19 Thomas Carlyle, ›Geschichte Friedrichs des Großen‹.


20 Seltsamerweise werden jene Auszüge a. a. O. mit der besonderen Absicht angeführt, den Beweis dafür zu erbringen, die von Wagner in seiner Vereinsrede vorgetragenen positiven Gedanken seien ›nicht sein persönliches (gemeint ist: »ausschließliches«) Eigentum‹. Zu diesem Zwecke konfrontiert Dinger in zwei gegenüberstehenden Kolumnen auf der einen Seite den Text der Rede Wagners, auf der anderen eine Anzahl ausgewählter Parallelstellen aus der gleichzeitigen politischen Tagesliteratur. Auf das Komische dieses Argumentationsverfahrens hat bereits Chamberlain hingewiesen. ›Es soll eine Beeinflussung nachgewiesen, es soll gezeigt werden, daß Wagner nachsprach, was er andere hatte sagen hören; gut! Zu diesem Zwecke werden den Ausführungen Wagners gegenüber 99 angebliche »Parallelstellen« abgedruckt. Wenn man aber die Sache näher untersucht, so stellt sich heraus, daß 92 von den betreffenden Stellen aus der Zeit nach Wagners Rede, zum Teil sogar erst viele Monate später, aus dem Jahre 1849, datieren! Eine so eigentümliche Beweisführung ist mir noch nie unter die Augen gekommen, außer in der Fabel vom Wolf und vom Lamm. Davon abgesehen, sind 71 Stellen, also mehr wie zwei Drittel der Gesamtzahl, der Zeitschrift »Die Volksblätter« entnommen, von welcher Dinger behauptet, Wagner sei einer ihrer »eifrigen Mitarbeiter« gewesen! Wenn aber Wagner ein Mitarbeiter der Volksblätter war, – wie soll dann aus diesen »Parallelstellen« sich »ohne weitere Erläuterung ergeben«, daß die Gedanken der Vaterlandsvereinsrede, »nicht Wagners persönliches Eigentum« sind? Die angeführten Stellen könnten ja von Wagners eigener Hand sein!‹ (Bayreuther Blätter 1894, S. 76.)


21 Bei dem zuletzt genannten Aufsatze (›Deutschland und seine Fürsten‹) ist die Autorschaft Wagners Herrn Dr. D. selbst, wie uns dünkt, sehr mit Recht, aufgefallen; er zitiert daraus einen Passus und fügt hinzu: ›Klingt das nicht ganz wie – Wagner?‹ Das hindert ihn nicht, vier andere Stellen desselben Aufsatzes (S. 111. 115/16. 125/26) unter seine – ›Parallelstellen‹ zu setzen!


22 Vgl. die hierauf bezüglichen Zusammenstellungen in dem Aufsatz des Verfassers ›Richard Wagner als Revolutionär‹ im Bayreuther Taschenbuch 1889, S. 16.


23 Vgl. ›Wagner-Enzyklopädie‹ s. v. ›Peter Cornelius‹, und die dort zitierte briefliche Erwähnung, daß er bis jetzt nur das Corneliussche Nibelungenblatt und Beethoven über seinem Schreibtisch hängen habe.


24 Der Aufsatz ist bis zu einer dereinstigen Zusammenstellung sämtlicher literarischer Dokumente aus der Revolutionsperiode des Künstlers im Anhang dieses Bandes, als zu Wagners Biographie gehörig, mit abgedruckt.


25 Vgl. seine gegen den jungen Kietz getane Äußerung, als dieser ihn eines Abends nach einer ›Martha‹-Aufführung abholte, wie dergleichen so gar nicht seine Sache sei: ›er dirigiere das Zeug und wenn es aus sei, ginge er seiner Wege‹.


26 ›Die Fackel, Oppositionsblatt gegen Lüge und Unverstand‹, herausgegeben von Hugo Häpe (nachmaligem Geh. Regierungsrat in Dresden), Kommissionsverlag der Buchdruckerei des Verlagskontors in Grimma. Die Existenz dieses ephemeren Journals, wie so vieler ähnlicher in jenen unruhigen Tagen, gehört ausschließlich den Jahren 1848 und 1849 an.


27 ›Schamröte würde dem Leser ins Gesicht steigen, wenn er jene elenden Denunziationen vor Augen hätte, auf Grund deren man damals in deutschen Landen, in zivilisierten Staaten, verurteilte und richtete‹ (Oppenheim, R. Wagners Sturmjahre, Frankf. Ztg. 16. Juni 1877).


28 Von der Ostrastraße, vom Milchgarten, vom Kammergut und durch das Gehege.


29 Dinger, S. 168 und 178.


30 Dinger, S. 166.


31 Nach Dinger wäre in demselben Hause, zufolge den ›Akten‹ (S. 5 und 20) ›mutmaßlich‹ ein ›Depot von Schießpulver, Munition, namentlich Schrapnells (Handgranaten, unterhalten worden‹)


32 Sie finden sich ebenfalls bei Dinger S. 178 und 179, Anm.


33 Protokoll S. 10 und 11, Aussage der Witwe Naumann: ›Bei diesem Dr. Schwarz sind in der Zeit, während welcher er bei mir wohnte, einige Male der Kapellmeister Wagner und noch einige Herren, die ich aber nicht kannte ... gewesen.‹ Der Sohn, Rechtskandidat J. Naumann, sagt aus, er habe mit den bekannten Männern der sog. radikalen Partei nie einen vertrauten Umgang gehabt und an den ›Konferenzen‹ bei Dr. Schwarz nicht teilgenommen.


34Richard Wagner – dessen spätere langjährige Verfolgung ihren einzigen Grund nur in dem Zorn darüber haben konnte, daß er zwischen Berufspflicht und Gewissen zu unterscheiden und auch als königlicher Kapellmeister noch frei zu denken wagte – hatte sich längst in tiefem Mißmut von der mit so lebhafter Begeisterung begrüßten Erhebung des Jahres 1848 wieder abgewendet und Trost für die bittere Enttäuschung in seinen künstlerischen Entwürfen gesucht. Das mit der Berufung des Ministeriums Beust offen erklärte Eintreten der Reaktion reizte jedoch seine Aufmerksamkeit wieder, und die Vorgänge der ersten Maitage mochten wohl auch ihm die Hoffnung auf einen entschlossenen Widerstand des Volkes erweckt haben, der bei der allgemeinen Stimmung in Deutschland, ja in ganz Europa, möglicherweise noch eine glückliche Wendung der Dinge herbeiführen konnte.‹ (A. Röckel, Sachsens Erhebung, S. 58.)


35 Vgl. S. 283/84 dieses gegenwärtigen Bandes.


36 Vgl. Band IV des vorliegenden Werkes S. 382/83 (4. Aufl.).


37 Aus diesem Doppelspiel erklärt sich die in mehreren vom 29 oder 30 April datierten politischen Korrespondenzen enthaltene voreilige Nachricht, die deutsche Verfassung sei bereits vom Könige anerkannt, man erwarte stündlich das Dekret aus der Staatsdruckerei. Das Eintreffen zweier preußischer Kuriere in der Nacht auf den 30. April änderte die Sachlage. ›Ist nicht dieser Coup ein Meisterstück kgl. preußischer Propaganda, des Ich in das Nicht-Ich Versetzens?‹ ruft der Korrespondent der Augsb. Allgemeinen Zeitung. ›O ihr Erbkaiserlichen in der Paulskirche, wir schelten euch nicht, aber wir beklagen euch, daß ihr euch jetzt mit der flachen Land vor die Stirn schlagen werdet!‹ (Augsb. Allgemeine Zeitung 1849, S. 1934.)


38 Wm. Ashton Ellis, Der Aufstand in Dresden, ein geschichtlicher Rückblick, Leipzig, 1893, S. 7.


39 Es bestand demgemäß (nach Röckel) ›in jenen verhängnisvollen Tagen weder eine Landesvertretung noch eine verfassungsmäßige Regierung; denn wenn auch – trotz der Solidarität des Ministeriums – nach dessen Entlassung die Chefs der zwei untergeordneten Departements des Auswärtigen und des Krieges in ihrer Stellung verblieben, konnte doch gerade diese Minorität am allerwenigsten eine Staatsregierung repräsentieren. Es war nur ein neues Hinwegsetzen über alle Bedingungen eines verfassungsmäßigen Zustandes, wenn diese, überdies von dem entschiedenen Mißtrauen des ganzen Volkes gezeichneten Männer sich dennoch das »Gesamtministerium« zu nennen und als solches zu betätigen wagten, und die nachträglichen Lobhudler jener Männer verraten, in Ermangelung allen Rechtssinnes, doch immerhin einige Gesetzkenntnis, wenn sie bekennen, daß dieselben ihre Existenz und unzweifelhaft auch ihr Leben auf das Spiel gesetzt hatten, wenn das Volk siegte‹. (Röckel, Sachsens Erhebung, S. 32.)


40 Ferd. Graf von Beust, ›Aus drei Vierteljahrhunderten‹, Stuttgart 1887.


41 Der in der spöttischen Nachahmung der sächsischen Aussprache des Wortes ›Bürger‹ enthaltene Hohn nimmt sich im Munde des einstigen sächsischen Ministers um so frivoler aus, als er sich ja keineswegs gegen das aufständische, sondern gerade gegen das loyale Volk richtet!


42 Graf Beust, a. a. O., S. 61. Die in den obigen Worten enthaltene Supposition durchzieht bekanntlich in dem Beustschen Memoiren-Werk die gesamte Darstellung der hier in Betracht kommenden Vorgänge. Niemand wird es einem vielangefochtenen Staatsmann verdenken, wenn er es nach Kräften versucht, vor dem Forum der Geschichte sein eigener Anwalt zu sein; an literarischem Talent hat es ihm dabei wahrlich nicht gemangelt. Weniger eignet es sich für den unbestochenen Geschichtsforscher, diese Darstellung bereitwilligst zu der seinigen zu machen!


43 Ellis, a. a. O., S. 19–10.


44 Vgl. das bei Röckel (S. 36/37) wörtlich mitgeteilte verhängnisvolle Schreiben des Herrn v. Beust vom 3. Mai 1849 an das preußische Staatsministerium (dem sogar die beglaubigende Unterschrift des Königs fehlt!) und die ebendaselbst abgedruckten Artikel 25 und 26 der Wiener Schlußakte.


45 Band I, S. 435/36.


46 Vgl. Dinger, S. 181.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 329-352.
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