IV.

Aufführung des ›Tannhäuser‹.

[115] Die ›deutsche Oper‹. – Marienbad: Entwurf zu den ›Meistersingern‹ und zu ›Lohengrin‹. – Papos Protest gegen den Studiosus Hanslick. – Proben und Aufführung des ›Tannhäuser‹; Enttäuschung des Publikums. – Hiller und Schumann – Vorlesung der ›Lohengrin-Dichtung‹ im ›Engelklub‹. – Kritische Einwendungen gegen ›Lohengrin‹. – Die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre im Gewandhaussaale.


Ein Kunstwerk existiert nur dadurch, daß es zur Erscheinung kommt: dies Moment ist für das Drama die Aufführung auf der Bühne. Soweit es irgend in meinen Kräften steht, will ich auch diese beherrschen, und ich stelle meine Wirksamkeit zu diesem Zweck den übrigen Teilen meiner Produktivität fast vollständig zur Seite.

Richard Wagner.


Ein charakteristischer Zug in Wagners Dresdener Kapellmeister-Tätigkeit ist seine, den gleichzeitigen Ansätzen zu einer ›deutschen Oper‹ zugewendete Pflege. Er hat den Glauben an das in ihr gegebene Kunstgenre noch nicht verloren. Sie ist ihm mit all ihren wohl erkannten Gebrechen noch nicht grundsätzlich ›das Stümperwerk, in welchem, genau betrachtet, Alles absurd ist, bis auf Das, was ein gottbegabter Musiker darin als Original-Melodiker aufopfert‹.1 Er empfindet das Lebenskräftige ihres inneren Keims, und ist sich noch nicht völlig darüber klar, daß, wenn dereinst – in seinem eigenen Schaffen – der Kern die ihn umgebende Schale sprengen müsse, nicht dieser Keim, sondern eben nur die wertlose, zersprungene Hülle als die ›deutsche [116] Oper‹ übrig bleiben, die lebendige Pflanze in ihrer vollen Entfaltung aber als eine ganz neue Gattung des Dramas mit völlig neuen Daseins-Gesetzen sich ausweisen werde. Die Erkenntnis dieses Verhältnisses wird in der Folge von wesentlichem Einfluß auf seine gesamte Kunst- und Weltanschauung. Für jetzt handelt es sich ihm erst nur um eine Reform der ›deutschen Oper‹ als solche; als das Organ zur Durchführung dieser Reform erscheint ihm ein deutsches ›Hoftheater‹ nicht untauglich, sobald es seiner wahren Aufgabe nicht untreu wird. Von dieser Aufgabe freilich war ein Repertoire, wie das eben damals zeitweilig immer noch vorherrschende, aus ›Lucrezia Borgia‹ ›Lucia di Lammermoor‹, der ›Sonnambula‹ usw., denen am Ende noch jene ›Favorite‹, der während seiner einstigen Pariser Leidenszeit sein schmählichster Frondienst gegolten, als zeitgemäße ›Novität‹ sich zugesellte, – nach seiner Überzeugung eine erniedrigende Abirrung. So fühlt er sich selbst um diese Zeit noch als ›deutschen Opernkomponisten‹, inmitten einer Gattung Gleichstrebender, die er zum Wetteifer anspornt. So regt er Kittl zum Produzieren an (S. 53). So hält er es für eine Ehrenpflicht, eine neue Marschnersche oder Spohrsche Oper zuerst in Dresden, wo er wirkt und schafft, zur Aufführung zu bringen. So treffen wir ihn eben jetzt, unmittelbar nach Vollendung seines großen neuen Werkes, während schon der ›Lohengrin‹-Stoff in seinem Innern sich regt, mit der liebevollen Durchsicht einer ihm eingesandten fremden Partitur, wie mit einer eigenen beschäftigt: ›der Gang nach dem Eisenhammer‹ von Otto Claudius, Kantor in Naumburg. Leider beruhte die Arbeit auf einer faden, auseinanderzerrenden Textgrundlage; ihre großen Mängel ließen die Vorzüge der Musik nicht zur Geltung kommen. Über letztere spricht er sich mit lebhafter Befriedigung aus ›Einzelnes, wie die Introduktion des 1. Aktes, die ganze Szene vor dem Eisenhammer usw., schätze ich höher als ganze Opern und Oratorien neuerer Zeit; sie tragen in Auffassung und Wiedergebung den edelsten Stempel der Romantik an sich!‹ In einer umständlichen, bis ins kleinste sich erstreckenden brieflichen Darlegung führt er den Grundriß aus, wonach die Oper, aus ihrer jetzigen Fassung heraus zu einem konzentrierteren, d.h. wirksameren, musikalischen Drama umzubilden sei. Die Beurteilung, resp. Begutachtung, zur Aufführung eingesandter Opern gehörte allerdings zu den Pflichten eines Kgl. Kapellmeisters. Doch bleibt die eingehend, ja liebevoll sorgfältige Art, mit welcher der Schöpfer des ›Tannhäuser‹, unmittelbar nach Vollendung seines Werkes, sich einer solchen Pflicht unterzog, immerhin das Besondere, Unterscheidende des Genius, der es gewohnt ist, nach allen Richtungen hin aus seiner Fülle zu geben und zu schenken. Man vergegenwärtige sich bloß die Art, wie etwa Reißiger sich der gleichen Verpflichtung entledigt haben würde! Dazu hat es, im Zusammenhange unserer Betrachtung, gewiß etwas besonders Rührendes und Ergreifendes, daß der eingehende, mehrere enggeschriebene [117] Quartseiten umfassende Begleitbrief der zurückgesandten Partitur, worin der junge Meister ihren bescheidenen Autor2 in zartester, ja kollegialisch ehrerbietiger Weise zu ihrer Umarbeitung nach dem ihm gegebenen Plane aufmuntert, an demselben 29. Juni 1845 geschrieben ist, an dessen Abend er allen Ernstes, an Stelle des abwesenden Reißiger, die Dresdener Erstaufführung von Donizettis unglückseliger ›Favoritin‹ zu dirigieren hatte!

Dies war nun für jetzt der letzte Tribut an seine Dirigentenpflicht; unmittelbar darnach schickte er sich dazu an, zur Stärkung seiner angegriffenen Gesundheit einen mehrwöchigen Erholungsurlaub im böhmischen Marienbad anzutreten. Es geschah dies in Begleitung seiner Frau und seiner zwei treuen Haustiere, die ihm die kinderlose Häuslichkeit belebten: ›des Papageis Papo (eines Geschenkes an seine Frau), der sich ihm besonders wohlgeneigt erwies und auch wacker die Melodien seines Herren nachzupfeifen sich beeilte, sowie des klugen liebenswürdigen Hündchens Peps, eines seiner geliebtesten tierischen Begleiter‹.3 Sein Programm war, nach den aufreibenden Anstrengungen des letzten Winters, ausschließlich zu ›faulenzen‹. Das hieß nach seinen eigenen Worten: ›meine Bibliothek abzunutzen ohne zu produzieren, wozu es mich leider schon jetzt wieder drängt, da mich ein neuer Stoff wieder sehr einnimmt‹. Wann wäre die Durchführung eines solchen Vorsatzes seinem rastlosen Geiste je möglich gewesen! ›Im oberen Stocke des zweistöckigen Hauses »Zum Kleeblatt« hatte er ein (?) bescheidenes Zimmer genommen, und der kleine, bewegliche und immer aufgeregte Mann hat vom 3. Juli an in den wundervollen Waldungen des entzückend gelegenen Badeortes vier Wochen hindurch der Kräftigung seiner Gesundheit gelebt‹, lesen wir in späteren Berichten.4 In Wahrheit wurde der kurze Aufenthalt in den böhmischen Wäldern der Ausgangspunkt für die Geburt zweier neuer Werke. Hier, wie jedesmal, wenn er sich der Theaterlampenlust und seinem [118] ›Dienste‹ in ihrer Atmosphäre entziehen konnte, fühlte er sich bald leicht und fröhlich gestimmt. Zum ersten Male machte sich eine, seinem Charakter eigentümliche, Heiterkeit auch mit künstlerischer Bedeutung in ihm geltend. Mit fast willkürlicher Absicht hatte er sich in der letzten Zeit vorgesetzt, nach der tiefen Tragik des ›Tannhäuser‹ einmal eine komische Oper zu schreiben. Zu diesem Vorsatz wirkte der wohlgemeinte Rat guter Freunde mit, die von ihm ›eine Oper leichteren Genres‹ verfaßt zu sehen wünschten. Sie sollte ihm den Zutritt zu den deutschen Theatern verschaffen und so für seine äußeren Verhältnisse einen Erfolg herbeiführen, dessen hartnäckiges Ausbleiben diese allerdings bereits mit einer bedenklichen Wendung zu bedrohen begann. ›Wie bei den Athenern ein heiteres Satyrspiel auf die Tragödie folgte, erschien mir auf jener Vergnügungsreise plötzlich das Bild eines komischen Spieles, das in Wahrheit als beziehungsvolles Satyrspiel meinem »Sängerkriege auf Wartburg« sich anschließen konnte. Es waren dies »die Meistersinger von Nürnberg«, mit Hans Sachs an der Spitze. Ich faßte Hans Sachs als die letzte Erscheinung des künstlerisch produktiven Volksgeistes auf, und stellte ihn mit dieser Geltung der meistersingerlichen Spießbürgerschaft entgegen, deren durchaus drolligem, tabulaturpoetischem Pedantismus ich in der Figur des »Merkers« einen ganz persönlichen Ausdruck gab.‹ Schnell war der Plan zu dem humoristischen Gegenbilde seines Sängerkrieges erfunden und skizziert. Der ausführliche, bereits in 3 Akte gegliederte Entwurf trägt an seinem Schluß die Unterschrift: ›Marienbad, 16. Juli 1845.‹5 Kaum aber hatte er ihn niedergeschrieben, als es ihm auch schon keine Ruhe mehr ließ, den ausführlicheren Plan des ›Lohengrin‹ zu entwerfen, trotz der Ermahnungen des Arztes, sich jetzt nicht mit solchen Dingen zu beschäftigen. Von dem erquickenden kurzen Ausfluge in das Gebiet des Heiteren war er mit dem Entwurf des ›Lohengrin‹ alsbald wieder in eine sehnsüchtig ernste Stimmung zurückgetrieben. ›Meine Natur reagierte in mir augenblicklich gegen den unvollkommenen Versuch, durch Ironie mich des wirklichen Inhaltes meines Heiterkeitstriebes zu entäußern, und ich muß diesen Versuch jetzt selbst als die letzte Äußerung des genußsüchtigen Verlangens betrachten, das mit einer Umgebung der Trivialität sich aussöhnen wollte, und dem ich im »Tannhäuser« bereits mit schmerzlicher Energie mich entwunden hatte. Warum die Erscheinung des Lohengrin, als sie mir in ihren einfachsten Zügen bekannt ward, mich so unwiderstehlich anzog, daß ich gerade jetzt, nach der Vollendung des »Tannhäuser«, nur noch mit ihr mich befassen konnte, dies [119] sollte durch die nächsten Lebenseindrücke meinem Gefühle immer deutlicher gemacht werden.‹

Unter seinen persönlichen Beziehungen während des Marienbader Aufenthaltes treffen wir auf keine von nachhaltiger Bedeutung. Außer seinem redlichen Haus- und Badearzt Dr. Schneider, den er noch von Dresden aus grüßen läßt, begegnet uns da ein Fürst Lubomirsky, der ihm Nachrichten von Spohr überbringt, der Musikdirektor der Marienbader Kur-Kapelle Theodor Krüttner, über dessen Kompositionen er sich freundlich geäußert haben soll, und dem er im folgenden Jahre auf wiederholten Wunsch ein korrigiertes Exemplar der Partitur seines ›Rienzi‹ zuschickt.6 Auch sein Schwager, der Buchhändler Friedrich Brockhaus, hatte von Leipzig aus um die gleiche Zeit zur Pflege seiner Gesundheit die Marienbader Heilquellen und Tannenwälder aufgesucht. Ein Brief Spohrs lud ihn zu einem Besuche in dem benachbarten Karlsbad ein. Gern wäre er der Aufforderung gefolgt, um den aufrichtig verehrten Altmeister bei diesem Anlaß endlich persönlich kennen zu lernen, hätte ihm nicht der Arzt die durch einen solchen Ausflug bedingte Unterbrechung seiner Kur so entschieden widerraten, daß er den schnell gefaßten Plan zu seinem Leidwesen wieder aufgeben mußte. In seiner Antwort an Spohr vom 16. Juli (also vom gleichen Datum, wie der ›Meistersinger‹-Entwurf!) bringt er diesem den notgedrungenen Verzicht zur Kenntnis, zugleich mit der Hoffnung, ihn im Laufe des Herbstes, bei der ersten Aufführung der Spohrschen Oper (›Die Kreuzfahrer‹) zu einem Besuche in Dresden begrüßen zu dürfen. Auch erfahren wir daraus, daß infolge der Anstrengungen des verflossenen Jahres ihn immer noch heftige Blutwallungen nach dem Kopfe belästigen. An der Table d'hôte des Kurhauses drängte sich – mit Benutzung eines ›glücklichen Zufalls‹ – ein kaum zwanzigjähriger junger Mann mit langem, auf die Schultern wallendem Haupthaar als Tischnachbar in seine Nähe und stellte sich als musikbeflissenen jungen Juristen der Wiener Universität, Eduard Hanslick, vor, zugleich als enthusiastischen Bewunderer des ›Rienzi‹ und des ›fliegenden Holländers‹, die er in seiner Heimatstadt Prag für sich allein am Klavier studiert habe. Wagner machte ihn mit Brockhaus bekannt und bewilligte ihm gern die Bitte, ihn besuchen zu dürfen. Der junge Mann zögerte nicht, von dieser Erlaubnis Gebrauch zu machen, und wurde, nach seinen eigenen Worten, eines ›freundlich mitteilsamen‹ Empfanges gewürdigt. [120] Er war damals noch nicht das sich selbst vergötternde Orakel der Wiener ›freien Presse‹, nicht einmal des unbedeutendsten Musikblättchens. Leider ist sein Bericht über diesen Besuch auffallend leer und nichtssagend. Auch scheint ihn die rege Beteiligung Papos an der Unterhaltung befangen gemacht zu haben, so daß er das meiste ihm Gesagte entweder gar nicht oder falsch verstand. Das ›entsetzliche Geschrei‹ des armen Papo hatte demnach eine, bis in weite Ferne hinaus reichende, verhängnisvolle Wirkung. Vielleicht auch empfand sein tierischer Instinkt im voraus etwas von der Inklination des jungen Gastes zum ›Musikalisch-Schönen‹ und seiner dereinstigen ›Umtaufe‹, und äußerte in natürlicher Aversion seinen Protest dagegen. ›Wie können Sie dieses Gekrächz aushalten?‹ fragte dieser endlich. ›Oh, ich bin daran gewohnt‹, habe Wagner erwidert ›es ist ein gutes Tierchen, das ich überall mitnehme. Es wird freilich oft sehr laut, dafür bin ich aber so begünstigt, eine Frau zu haben, die nicht Klavier spielt.‹ In diesem Augenblick sei Minna für einen Moment in das Zimmer getreten, und der Besuch habe, da sie es wieder verlassen, ein bewunderndes Wort über ihre Schönheit nicht unterdrücken können. ›Ach, jetzt ist sie kaum noch zu kennen‹, soll da der Meister gesagt haben. ›Sie hätten sie vor ein paar Jahren sehen sollen! Die arme Frau hat viel Kummer und Entbehrung mit mir durchgemacht: in Paris ist's uns elend gegangen, und ohne Meyerbeers Hilfe (?!) hätten wir verhungern können.‹ Hier scheint Papo besonders ›entsetzlich‹ gekreischt zu haben. Mit einer ähnlichen Behauptung hätte sich Wagner, ganz wider seine Gewohnheit, arg gegen die Wahrheit versündigt!7 ›Da er mein Interesse an seinen Opern wohlwollend bemerkte‹, so schließt der Bericht über diesen Besuch ›animierte er mich nach Dresden zu kommen, wo im Oktober8 die erste Aufführung seines Tannhäuser bevorstehe. Dieser lockenden Aufforderung konnte ich erst im Sommer des folgenden Jahres entsprechen.‹ –

Am 4. August bittet er seinen in Dresden zurückgebliebenen Bruder Albert um dessen Vermittelung für das Instandsetzen seiner dortigen Wohnungsräume, und wir sehen seine Gedanken mit der Politur seines Flügels, der Wiederherstellung eines gesprungenen Uhrkonsols usw. beschäftigt. Aber noch mehr: er berichtet ihm über seinen Lohengrin-Entwurf, der ihm große Freude mache, ja – er gestehe es frei! – ihn mit stolzem Behagen erfülle. ›Du [121] weißt, welche Sorge mich manchmal beschlich, nach dem Tannhäuser keinen Stoff wieder zu finden, der ihm an Wärme und Eigentümlichkeit gleichkomme: – je näher ich mich nun aber mit meinem neuen Stoffe vertraut machte, je inniger ich die Idee erfaßte, desto reicher und üppiger ging mir dessen Kern auf und entfaltete sich zu einer so vollen, schwellenden Blume, daß ich mich in ihrem Besitz wahrhaft glücklich fühle. Meine Erfindung und Gestaltung hat bei dieser Schöpfung den größten Anteil: das altdeutsche Gedicht, welches uns diese hochpoetische Sage bewahrt hat, ist das dürftigste und platteste, was in dieser Art auf uns gekommen ist, und ich fühle mich in der Befriedigung des Reizes sehr glücklich, die fast unkenntlich gewordene Sage aus dem Schutt und Moder der schlechten prosaischen Behandlung des alten Dichters erlöst und durch eigene Erfindung und Nachgestaltung sie wieder zu ihrem reichen, hochpoetischen Werte gebracht zu haben. Aber abgesehen davon, welch ein glückliches Opernbuch ist es! Wirkungsvoll, anziehend, imponierend und rührend in jedem Teile! Johannas Partie darin (welche sehr bedeutend und eigentlich die Hauptpartie ist) muß das Reizendste und Ergreifendste von der Welt werden!‹9 An die letzten Tage seines Kuraufenthaltes erinnert uns endlich noch ein vom 5. August aus Marienbad nach Bonn gerichtetes Schreiben an Liszt in Sachen des in Dresden zu errichtenden Weber-Denkmals. Er spricht darin von sich als ›einem armen deutschen Opernkomponisten, der sein Lebelang genug daran zu arbeiten hat, wie er seine Werke ein wenig über die Grenze seiner Provinz hinaus verbreite‹ und kündigt zugleich an, das Weber-Komitee, dessen Mitglied er sei, werde sich ebenfalls noch in gehöriger Förmlichkeit an Liszt wenden, um dessen tätige Teilnahme für das Unternehmen zu gewinnen.10 Nach Erfüllung auch dieser Pflicht trat er dann, am Sonnabend, 9. August, mit Frau, Hund und Vogel die Rückreise an, um in voller Muße, mit einigem angenehmen Zögern unterwegs (in Eger, Karlsbad, Teplitz-Aussig) wieder in seine Häuslichkeit und seinen Berufskreis zu gelangen und bereits für Sonnabend, 16. August, den bisher allein durch Röckel ausgefüllten ›Kirchendienst‹ wieder zu übernehmen.

Mit dem fertigen Entwurfe der Dichtung des ›Lohengrin‹ kehrte er um die Mitte des Monats August nach Dresden zurück, um die Vorbereitungen für die Inszenierung seines ›Tannhäuser‹ zu treffen. Die Darsteller der einzelnen Rollen waren: Tannhäuser – Tichatschek; Wolfram – Anton Mitterwurzer; Venus – Frau Schröder-Devrient; Elisabeth – Johanna Wagner; Landgraf Hermann – Wilh. Dettmer; Walter von der [122] Vogelweide – Schloß; Biterolf – Wächter; Heinrich der Schreiber – Curti; Reinmar von Zweter – Risse; den Hirtenknaben sang Anna Thiele. Gewiß ein Verein bewährter und tüchtiger Sänger! Und doch, – hätte nicht bereits die Aufnahme des ›Holländers‹ dem Künstler als ein erstes Symptom der, ihm selbst fast noch unbewußten, Neuheit des ganzen Genres seiner Schöpfung dienen können, so war er vollends mit dem ›Tannhäuser‹ an die äußerste Grenze vorgerückt, auf welcher das Unzureichende auch der tüchtigsten ›Opernsänger‹ sich zu erkennen geben mußte. Während er selbst sich noch bescheiden den ›deutschen Opernkomponisten‹ zuzählte, hatte er in seinem Werke bereits ein vollendetes Drama mit durchaus originellen Stil-Anforderungen geschrieben, denen der bloße wohlgebildete ›Sänger‹ als solcher, ohne eine völlige innere Revolution, nicht zu entsprechen vermochte. Da war zunächst Tichatschek, dessen Gesangsstimme er selber noch nach Jahrzehnten (1867) als ›ein Wunder von männlich schönem Stimmorgan‹ bezeichnet, den er bei anderer Gelegenheit ein ›wirkliches rhythmisches Gesangsgenie‹ nennt, der noch dazu seit dem ›Rienzi‹ persönlich mit vergötternder Freundschaft an ihm hing, War er sonst nicht frei von allen möglichen kleinen Tenoristen-Kapricen und Eitelkeiten, so traten diese doch allem gegenüber, was den Meister betraf, vollständig zurück. Hier war er ganz nur selbstloser ›hingebender Freund.‹11 Und dennoch war es dieser selbstlose Freund, dieses Wunder an klangvoll kräftiger Stimme, dieses rhythmische Gesangsgenie, dessen Unzulänglichkeit gegenüber den Anforderungen der Hauptpartie das Unverständnis der damaligen Dresdener Aufführung wesentlich verschuldete. ›Trotz seiner Stimme brachte Tichatschek vieles nicht heraus, was viel unbemittelteren Sängern möglich war. Er hatte in seiner Stimme nur Glanz oder Milde, nicht einen einzigen wahren Schmerzensakzent.‹12 Um seinetwillen mußte sich Wagner zu mehreren Strichen und Auslassungen verstehen, die nach der ersten Aufführung noch vermehrt wurden. ›Es konnte dem ersten Darsteller des Tannhäuser, der in seiner Eigenschaft als vorzüglich begabter Sänger immer nur noch die eigentliche »Oper« zu begreifen vermochte, nicht gelingen, das Charakteristische einer Anforderung zu erfassen, die sich bei weitem mehr an seine Darstellungsgabe, als an sein Gesangstalent richtete.‹ Die geniale Schröder-Devrient ihrerseits wußte sich mit der Venus nicht zu befreunden. Schon, als ihr Wagner im Frühjahr 1844, gleich nach ihrem Wiedereintritt in Dresden, die Dichtung seines Werkes vorlegte, hatte sie, bei [123] größter Teilnahme für das Ganze, gegen den ihr zugewiesenen Anteil an dessen szenisch-musikalischer Verwirklichung sich widerstrebend bewiesen und ihn endlich nur aus persönlicher Sympathie für den Autor übernommen, mit dem Bemerken: ›sie wisse nichts aus der Rolle zu machen, – sie müßte denn von oben bis unten in Trikot gehüllt erscheinen‹. ›Und das‹, habe sie mit komischem Ernst hinzugefügt ›kann man doch von einer Frau, wie ich bin, nicht verlangen.‹13 In Wahrheit verbarg sich unter exzentrischen Scherzen dieser Art ein, durch die Zerrissenheit ihrer damaligen unseligen Lebensverhältnisse verursachter, verzweifelter Seelenzustand. Unter unüberwindlichen äußeren Umständen fehlte es der großen Künstlerin an der nötigen Unbefangenheit für ihre Rolle. Die Versicherung enthusiastischer Zeitgenossen, sie sei die einzige Sängerin gewesen, welche die zauberreiche Frau Venus der deutschen Sage ergreifend darzustellen vermocht,14 steht zu des Meisters eigener Aussage in striktem Widerspruch.15 In der Venusberg-Szene fiel ihretwegen die zweite Strophe des Tannhäuserliedes und die ihm vorausgehende Zwischenrede weg. Johanna Wagner gab sich der Aneignung ihrer Rolle mit Begeisterung und aufrichtigem Eifer hin. Sie bot als achtzehnjährige Anfängerin, in ihrer jugendlichen Unberührtheit von allen üblen Theatergewohnheiten, unter der Anleitung Wagners die ausdrucksvolle Verkörperung jener einzigen Gestalt, deren berufene Vertreterin sie auch in der Folge blieb. Leider mußte ihrer anfänglichen Unerfahrenheit ein Teil des Gebetes im dritten Akte zum Opfer fallen, dessen Wiederherstellung, nachdem einmal der erste Eindruck sich befestigt, bei den späteren Dresdener Aufführungen nicht gelang. Im Betreff Mitterwurzers als Wolfram gedenkt Wagner noch in spätem Rückblick auf ihre gemeinsamen Studien der liebenswürdigen Fähigkeit dieses Sängers, sich ›auf dem ihnen bereits innig vertraut gewordenen Wege der gegenseitigen Mitteilung‹16 zu der feinfühligsten Wiedergabe seiner Partie anleiten zu lassen. Im übrigen traten die faktischen Unzulänglichkeiten der Darstellung während der Proben noch keineswegs mit voller Klarheit hervor; noch war ja alles erst im Werden. Anfeuernd und unterweisend stand er inmitten der künstlerischen Gemeinschaft der Genossen, die mit ihm die Hoffnung und den [124] Glauben an ein günstiges Gelingen teilten Hinsichtlich der Bedenken der Schröder-Devrient mußte er sich einer ganz ähnlichen Erfahrung vom ›Rienzi‹ her erinnern, wo sie in gleicher Weise ablehnend sich gegen die ihr zugewiesene Partie des Adriano verhalten hatte. Wie sehr hatte sie ihn damals entmutigt, indem sie unter sämtlichen Mitwirkenden zu allerletzt mit ihrer Rolle fertig wurde! Und dann hatte sie doch bei der Aufführung, zu seiner Überraschung, in ihrer Leistung sich selbst übertroffen und ein so geniales Gebilde ihrer Kunst hingezaubert, daß er seinen Augen und Ohren nicht trauen wollte!17 Und so vermeinte er, trotz der im voraus erkannten Mängel in der Wiedergabe, auf die innere Kraft seines Werkes und den allseitigen guten Willen der Darsteller hoffnungsvoll bauen zu dürfen. Aus dieser Stimmung heraus weiß er sogar in einem Briefe vom 29. August 1845 an Kittl, seinen ›lieben dicken Freund‹ über die immer noch sich hinzögernden Schicksale des ›fliegenden Holländers‹ in Prag zu trösten: ›Du hattest Unrecht dich zu ängstigen! Wie kannst Du glauben, daß ich so wenig Einsicht in das Wesen und Treiben unserer Theaterdirektoren und -Musikanten hätte, um nicht vor allem jedesmal anzunehmen, daß der Anblick einer Partitur wie der meines, fliegenden Holländers. sie dermaßen erschrecke und abschrecke, daß nur in den seltensten Ausnahmen die Lust, sich damit zu befassen, Wurzel schlagen könne?‹

Die erste Aufführung des ›Tannhäuser‹ war ursprünglich auf die Mitte September angesetzt. Ein auf uns gekommenes kurzes Briefchen Wagners vom 14. Sept. an eine unbekannte Adressatin18 meldet jedoch, der Zeitpunkt dafür sei ›wegen Versäumnis der Dekorationsmaler‹ bis gegen den 12. Oktober hinausgeschoben worden. Endlich waren die Herren Desplechin u. Co. in Paris ihrer Verpflichtung nachgekommen, und es galt nun noch ihre eingetroffenen Arbeiten den räumlichen Verhältnissen der Bühne und den speziellen Intentionen des Autors vollends anzupassen. Die szenische Darstellung des Venusberges hatte in ihrer Konstruktion genau der bereits hinter ihr aufgestellten Szene des Wartburgtales zu entsprechen, was für die beiden Dekorationen eigenen Bergvorsprünge sehr gut stimmte. Besondere Schwierigkeiten bereitete die Verhüllung der Tiefe des Hintergrundes durch rosiges Gewölk, wodurch die Szene auf einen engeren Raum zu beschränken war. Eine massive Wolkendekoration würde allen Zauber zerstört haben. Die Verhüllung wurde daher, in sorgfältigen Proben, durch allmähliches Herabsenken duftig gemalter Schleier unter genauer Berechnung des Tempos der Musik, sehr entsprechend und wirkungsvoll ausgeführt, bis endlich eine rosig gemalte massive Leinwanddekoration hinter den Schleiern die Szene vollkommen abschloß. Bei der plötzlichen Verwandlung in das Waldtal vor der Wartburg ward die umgekehrte [125] Reihenfolge beobachtet, indem, bei plötzlich eintretender Verfinsterung der Bühne, die massive Wolkendekoration zuerst, und schnell darauf die Schleier aufgezogen wurden, worauf das sogleich lebhaft hervorbrechende Licht die neue Szene, das Tal, mit heiterster Tageshelle übergoß. Die Sängerhalle auf Wartburg, sehr originell und entsprechend im Spitzbogenstil gehalten, war von den ausgezeichneten französischen Künstlern namentlich auch in bezug auf die Aufstellung der Sitzreihen der Zuhörer glücklich angeordnet.19 Minder glücklich war es mit der Szenerie des dritten Aktes bestellt. Erst nach der Aufführung wurde es klar, daß dieselbe Dekoration, welche für den ersten Akt auf die heiterste Wirkung als Frühlingstagesstück berechnet war, durch noch so künstliche Beleuchtungsversuche unmöglich auf den Zauber herbstabendlicher Schwermut umgestimmt werden konnte, wie er für die intime Poesie der Vorgänge dieses Aktes unentbehrlich war. Das letzte Verschwinden Elisabeths auf dem gewundenen Wege zur Wartburg hinauf soll – nach den mündlich mitgeteilten Erinnerungen der Schröder-Devrient – ursprünglich so ausgeführt worden sein, daß die wirkliche Darstellerin der Elisabeth auf dem Bergesvorsprünge links abgegangen und auf den höheren Windungen des waldigen Bergpfades, während der Blick Wolframs unverwandt auf sie gerichtet blieb, durch drei immer etwas kleiner werdende Gestalten ersetzt worden sei.20

Nach jeder Richtung hin sorglich bedacht, das Publikum vorbereitend in das Werk und seinen poetischen Gegenstand einzuführen, ließ es der Dichter sich angelegen sein, seine Zuschauer und Hörer im voraus mit dem Stoffe seines Dramas bekannt zu machen. Er tat dies durch ein dem Textbuche beigegebenes kurzes Vorwort, in dem er Wesen und Entstehung der Sage vom Venusberge und ihr Verhältnis zu der Sage vom Wartburgkriege darlegte, vor allem auch auf die mythische Identität der Helden beider Überlieferungen – des ritterlichen Sängers Tannhäuser und Heinrichs von Ofterdingen – hinwies. Zum ersten Male rief auch das erste Erscheinen eines Wagnerschen Werkes eine besondere Erläuterungsschrift hervor, einen Vorboten jener späteren, alle Dämme überflutenden sog. ›Wagner-Literatur‹, die den originellen Dresdener Bibliothekar Hofrat Dr. J. G. Th. Grässe zum Verfasser hatte. Mit diesem gelehrten Bibliographen, Sagenkenner und Literaturforscher war Wagner offenbar bei seinen häufigen Besuchen der Kgl. Bibliothek in persönliche Beziehungen getreten. Die gedruckte Widmung der Grässeschen Tannhäuser-Schrift21 lautet in der ersten Auflage: ›seinem teuren Freunde, [126] dem Königl. Sächs. Hofkapellmeister Richard Wagner‹. Es gehörte zu den Seltsamkeiten dieses ebenso wunderlich schrullenhaften, als kenntnisreichen Mannes, daß die Maiereignisse des Jahres 1849 diese ›teuren‹ Freundschafts-Beziehungen des Hofrates und Königlichen Bibliothekars zu dem Königl. Hofkapellmeister mit einem Male durchschnitten, ja noch mehr, sogar seine rein ästhetische Ansicht über die dichterische Gestaltung des Stoffes durch Wagner in ihr schroffes Gegenteil verkehrten.22 Eine Dresdener Korrespondenz der Augsburger Allgemeinen Zeitung, datiert vom 18. Oktober 1845, weist auf die bevorstehende Aufführung als auf ein Ereignis von Bedeutung hin: ›Wenn die Musik dem Sujet entspricht, welches mit Phantasie und poetischem Verstande von dem geistreichen Verfasser behandelt worden, so kann es nicht fehlen, daß auf die allgemeine Spannung, womit diese Oper erwartet wird, eine große Befriedigung folgt.‹ Wie hoffnungsvoll Wagner selbst auf die erste Aufführung seines Werkes blickte, geht u.a. auch aus einem Schreiben an Gaillard (vom 14. Oktober) hervor, worin er diesen, dem er bereits die Partitur seines Werkes übersandt, nun auch zu dessen erster szenischer Verwirklichung nach Dresden einlud. ›Nicht aus Eitelkeit, sondern aus dem ganz natürlich mir gekommenen Glauben an die Sache wage ich Ihnen die Zusicherung zu machen, daß es sich der Mühe verlohnen wird, sich um dieser Aufführung willen zu einem etwas außergewöhnlichen Entschluß zu ermannen. Es gilt keiner gewöhnlichen Erscheinung, Sie werden etwas Neues in möglichst vollkommener Darstellung sehen. Mein wertester Freund, Sie müssen kommen; ich lade außer Ihnen keinen Menschen ein. Mein Haus wird in diesen Tagen durch freiwillig herbeiströmende Verwandte dermaßen in Anspruch genommen, daß ich Ihnen leider nicht, wie es sich von selbst verstünde, ein Unterkommen in meiner Wohnung bieten könnte: zeigen Sie mir aber nur mit einer Zeile an, daß Sie kommen, so finden Sie in, »Stadt Berlin« ein Zimmer für sich bereit. Können Sie schon Sonnabend früh hier sein, so wohnen Sie noch der Generalprobe bei.‹

Am Sonntag, den 19. Oktober 1845, fand die erste Aufführung des ›Tannhäuser‹ vor überfülltem Hause statt. Das Publikum war schon seit [127] lange auf die neue Oper gespannt. Nachrichten über die ungewöhnlichen Vorbereitungen, die besondere Verstärkung des Orchesters für den Zweck der Aufführung (24 Violinen, 2 Harfen usw.), die kostbare Ausstattung, in der, wie es hieß, eine noch nie gesehene Pracht entfaltet sei, der Reiz des Lokalstolzes, das alles lockte, ungeachtet der erhöhten Preise, bei welchen das neue Werk vorläufig gegeben wurde, eine bunte, schaulustige Menge in das bis auf den letzten Platz ausverkaufte Hoftheater. Aus Leipzig waren, begleitet von dem scharfen Winde, der eben im Sachsenlande herrschte, zahlreiche Zuschauer gekommen; von Berlin aus hatte Gaillard es nicht unterlassen, der an ihn ergangenen Einladung Folge zu leisten. Es fehlte nicht an geräuschvollen Beifallsbezeigungen; nichtsdestoweniger konnte sich Wagner nicht über den verfehlten Gesamteindruck täuschen. Den geringsten Eindruck machte die Venusbergszene. Eine peinliche Befangenheit schwebte darüber. Sie wirkte erkältend auf das Publikum und ward für den Komponisten selbst zur Pein. Um so mehr überraschte die Szenenverwandlung, das Septett des Finales wurde mit rauschendem Beifall aufgenommen und nach dem Sinken des Vorhanges der junge Meister mit den Darstellern gerufen. Die Vorgänge des zweiten Aktes und die vorwiegend geschlossenen Formen ihrer musikalischen Ausführung, das ›Duett‹ mit Elisabeth, der Einzugsmarsch, der Sängerkrieg, die Katastrophe verfehlten ihre Wirkung nicht, und wiederum ehrte Hervorruf den Autor und sämtliche Darsteller der Hauptrollen. Auch für die Folge blieb dieser Aktschluß der Höhepunkt der Beifallsbezeigungen Nachdem indes schon die erste Zwischenpause durch die ungewöhnliche Länge von fünfundzwanzig Minuten die Geduld des Publikums auf eine harte Probe gestellt hatte, ward die Stimmung für den dritten Aufzug nicht günstiger beeinflußt, da mit der einleitenden Musik gar eine halbe Stunde verfloß, bevor sich der Vorhang von neuem hob. Wir müssen uns diesen dritten Akt für die damaligen ersten Aufführungen noch in seiner ursprünglichen Gestalt vorstellen, in welcher weder Venus, noch auch der Trauerzug mit der Leiche Elisabeths selbst auf der Bühne erschien, sondern beide entgegengesetzte Prinzipien, durch das ferne Erglühen des Hörselberges und den ins Tal herüberhallenden Klang der Totenglocke von der Höhe der Wartburg, bloß angedeutet wurden. Er erschien monoton und abspannend und ermüdete einen großen Teil der Zuhörer. ›Das Ganze erlischt mehr, als daß es endigt‹, sagte selbst die wohlwollende Besprechung des Werkes in der Augsburger Allg. Zeitung. Schien die Aufnahme im Theater, nach dem beifälligen Empfang vieler Einzelheiten, im allgemeinen noch eine ziemlich günstige, so war es für die eigene Empfindung des Künstlers doch unmöglich, sich über das Fehlschlagen der beabsichtigten Wirkung einer Täuschung hinzugeben. ›Das Publikum hatte mir mit der enthusiastischen Aufnahme des Rienzi und der kälteren des fliegenden Holländers deutlich vorgezeichnet, was ich ihm bieten müßte, um es zufrieden zu [128] stellen. Seine Erwartung täuschte ich vollständig. Verwirrt und unbefriedigt verließ es die Aufführung des Tannhäuser.‹ Woran es Gefallen gefunden, das waren die Abschnitte in geschlossenen Formen, für die es das Verständnis schon mitbrachte: das Venuslied, der große Marsch, das Lied an den Abendstern, die Pilgerchöre, – unzweifelhaft Stücke von ausdrucksvollstem Gehalt, aber doch nicht die, auf welche der Schöpfer des Werkes den Akzent legte. Gegen die hervorragendsten Momente, wie die Erzählung Tannhäusers von seiner Pilgerfahrt, richtete sich die Opposition. Eine rezitativische Erzählung von solchem Umfang, wie die dem Hauptsänger an einem der wichtigsten Punkte in den Mund gelegte, widersprach allem bisher Erhörten, man glaubte sie auf Armut an melodischer Erfindung zurückführen zu müssen! ›Sie sind ein Genie, aber Sie schreiben doch zu tolles Zeug; man kann's ja kaum singen!‹ soll die Schröder-Devrient nach der Aufführung zu Wagner gesagt haben. Selbst der tragische Schluß des ›Tannhäuser‹-Dramas erregte, dem Gewohnten gegenüber, noch einen besonderen Anstoß. Spontinis, ›Chantez, dansez!‹, welches er soeben noch am Schlusse seiner ›Vestalin‹ zu wirkungsvoller Geltung gebracht (S. 106/07), war in der Opernpraxis noch allgemein vorherrschend. Herr von Lüttichau berief sich in dieser Hinsicht auf Weber, der es doch ›besser verstanden‹ und seine Opern immer ›befriedigend habe ausgehen lassen‹. Kann uns dies wundernehmen, wenn wir noch nach Jahrzehnten einen berühmten Musikforscher (Ambros) bei der Betrachtung treffen, was wohl aus dem ›Freischütz‹ unter Wagners Händen geworden wäre? er würde gewiß nicht Anstand genommen haben, ihn, wie den Lohengrin, mit einem schneidenden Wehelaut zu schließen!! Soll die Kunst im allgemeinen ›erheitern‹, so schien dies ganz besonders der ›Oper‹ aufgegeben.23 Und als Oper, nicht als dramatische Handlung, war der ›Tannhäuser‹ dem Publikum zunächst einzig erschienen. Alle entgegengesetzten Bemühungen [129] seines Schöpfers waren – wider sein eigenes Erwarten – vergeblich gewesen. Er hatte alle, auf das Verständnis der Situation und auf die dramatische Aktion überhaupt bezüglichen Bemerkungen mit der größten Genauigkeit aus der Partitur in die Partien der Sänger eintragen lassen, und mußte dann in der Aufführung mit Entsetzen gewahren, daß sie alle unbeachtet gelassen worden waren. ›Ich mußte z.B. sehen, daß mein Tannhäuser im Sängerstreite die Hymne auf die Venus – an Elisabeth richtete, und die Worte: »wer dich mit Glut in seinen Arm geschlossen« der keuschesten Jungfrau vor einer ganzen Versammlung in das Gesicht schrie Was konnte und mußte unter solchen Umständen der Erfolg sein? Daß das Publikum mindestens konfus blieb und nicht wußte, woran es war. In Wahrheit habe ich damals in Dresden erfahren, daß das Publikum erst durch das ausführliche Textbuch mit dem dramatischen Inhalte der Oper vertraut wurde, und so – durch Abstraktion von der eigentlichen Vorstellung – durch eigene Zutat der Phantasie erst auch die Vorstellung verstehen lernte.‹24

Dies die äußeren und inneren Umstände, dies der Erfolg der ersten ›Tannhäuser‹-Aufführung. Der Künstler selbst empfand in seinem Inneren nur das bedrückende Gefühl vollkommenster Einsamkeit. Die wenigen, von Herzen mit ihm sympathisierenden, nächsten Freunde fühlten sich durch das Peinliche seiner Lage so sehr mitbetroffen, daß die Kundgebung ihrer eigenen, unwillkürlichen Verstimmung das einzige befreundete Lebenszeichen um ihn war. Zum Unglück hatte Tichatschek schon im dritten Akte der ersten Vorstellung mit Heiserkeit zu kämpfen gehabt, und diese hielt so lange an, daß Tag um Tag und endlich eine Woche verging, ehe eine zur Vertiefung des Verständnisses und zur Berichtigung von Irrtümern so notwendige Wiederholung stattfinden konnte. Inzwischen sah sich Wagner genötigt, zu den bereits gemachten ›Strichen‹ in seiner Partitur noch neue hinzuzufügen, und insbesondere dem Sänger des Tannhäuser zuliebe – mit blutendem Herzen – die Stelle im Adagio des zweiten Finales: ›Zum Heil den Sündigen zu führen‹ durch einen gewagten Schnitt zu entfernen. Im glänzendsten Kraftbesitz seiner Stimme, konnte sich Tichatschek dennoch den hier geforderten Ausdruck ekstatischer Zerknirschung, der Anlage seines dramatischen Talentes gemäß, nicht aneignen, und geriet dagegen einigen hohen Noten gegenüber in eine rein physische Erschöpfung. ›In diesem Gesange‹, sagt Wagner selbst ›liegt die ganze Bedeutung der Katastrophe des Tannhäuser; ja, das ganze Wesen des Tannhäuser, was ihn mir zu einer so ergreifenden Erscheinung machte, liegt einzig hierin ausgesprochen. Sein ganzer Schmerz, seine blutige Bußfahrt, alles quillt aus dem Sinn dieser Strophen: ohne sie hier, und gerade hier, so vernommen zu haben, wie sie vernommen werden müssen, [130] bleibt der ganze Tannhäuser unbegreiflich, eine willkürliche, schwankende, erbärmliche Figur. Und diese Stelle, den Schlüssel zu meinem ganzen Werke, mußte ich in Dresden von der zweiten Aufführung an auslassen. Was konnte mich dazu bestimmen? Die Antwort hierauf dürfte leicht die ganze Leidensgeschichte enthalten, die ich in meiner Stellung als Dichter und Musiker unseren Opernzuständen gegenüber zu durchleben hatte.‹ ›Als ich nach der ersten Vorstellung des »Tannhäuser« den Strich im großen Adagio des zweiten Finales machte, strich ich in der vollsten Verzweiflung in meinem Herzen überhaupt alle Hoffnungen auf den Tannhäuser durch, weil ich sah, daß Tichatschek ihn nicht begreifen konnte und somit noch weniger ihn darzustellen vermochte.‹ Daß es sich dabei in der Person des Darstellers um einen tief ergebenen, begeisterten Freund handelte, den zu verletzen ihm um so schmerzlicher gewesen wäre, als er sich bewußt war, ihn eines Besseren nicht belehren zu können, weil der Fehler in seinem Naturell, in den Schranken seiner Begabung, begründet lag, – dieser Umstand stellte dem Zartsinn des schwer dadurch betroffenen Künstlers eine um so schwierigere Aufgabe.

Was in Tichatscheks Leistung als Tannhäuser nach anderer Richtung hin doch wieder groß und hinreißend gewesen, hat der Meister bei verschiedenen Anlässen mehrfach hervorgehoben. ›Es lag dies (sagt A. Ritter) keineswegs nur in dem sprichwörtlich bekannten Zauber seines Stimmklanges, auch nicht in seiner sein musikalischen Begabung, welche ihn so peinlich korrtke und dennoch so frei ausdrucksvoll rhythmisieren ließ, wie ich es von keinem Sänger wieder gehört habe.‹25 Was mit präzisen Worten schwer erschöpfend zu bezeichnen sei, meint dagegen der gleiche Beurteiler in dem rein persönlichen Moment der unverbrüchlichen Ergebenheit und überzeugten Hingabe begründet zu finden, mit welcher sich Tichatschek an eine ihm von dem großen Freunde gestellte Aufgabe machte. Nur war es seiner naiven, fast kindlich zu nennenden Natur unmöglich, in jene schauerlich-dämonischen Tiefen eines furchtbar leidenden Herzens einzudringen, in deren Abgründe uns die Erzählung Tannhäusers von seiner Pilgerfahrt blicken läßt, oder aus welchen die durchdringenden Akzente jenes ›Erbarm' dich mein‹ wie ein Schrei nach Erlösung hervorbrechen. Daß nicht bloß der Schluß des zweiten Aktes, sondern in einem gewissen Sinne das ganze Drama nur dann nach seinem wahren Inhalte wirksam wird, wenn die letztbezeichnete Stelle zuvor wie ein Gewitter in das Gemüt des Hörers eingedrungen ist, war ihm nicht zum Bewußtsein zu bringen. Und somit blieb es bei dem, was Wagner für alle folgenden Aufführungen seines Tannhäuser in Dresden in die Worte zusammenfaßt: ›daß ich diesen Strich machen mußte, hieß für mich soviel als überhaupt [131] der Absicht, meinen Tannhäuser zu einem innigen Verständnis zu bringen, entsagen.‹

Die Woche bis zur zweiten Vorstellung des ›Tannhäuser‹ enthielt für seinen Schöpfer das Gewicht eines ganzen Lebens. Es war nicht verletzte Eitelkeit, sondern der Schlag einer gründlich vernichteten Täuschung, der ihn betäubte. Es wurde ihm klar, daß er mit seinem Werke nur zu den wenigen, ihm zunächst vertrauten Freundesherzen gesprochen hatte, nicht aber zu dem Publikum, an das er doch durch die szenische Darstellung unwillkürlich sich wandte. Die zweite Aufführung, am Montag den 27. Oktober, fand das Theater ›kaum halbgefüllt‹.26 Die mehr als achttägige Verzögerung der Wiederholung war von nachteiligster Wirkung gewesen. In der langen Zwischenzeit hatten Unverständnis, irrige und alberne Ansichten, genährt von rüstig sich erhebenden Feinden und Neidern, vollen Raum und leichtes Spiel, sich geltend zu machen. Das Werk, von dem er freudig gehofft, es werde ihm, die Herzen seiner deutschen Landsleute in größerer Ausbreitung gewinnen ›als dies seine früheren Arbeiten vermochten‹, und damit auch auf deren Aufnahme und Verbreitung von rückwirkendem Einfluß sein, – es stand bei dieser zweiten Aufführung auf dem Punkte zu fallen, wie einst der ›fliegende Holländer‹ wirklich gefallen war. Das Haus war nicht stark besetzt, Opposition und Vorurteil überall. Glücklicherweise blieben die Sänger in vollem Enthusiasmus, das Verständnis brach sich Bahn, und besonders der dritte Akt schlug vollkommen durch. Nachdem die Hauptdarsteller hervorgerufen waren, wurde in anhaltendem stürmischen Rufe der Autor verlangt. Nun war ein Kern im Publikum gegründet: die dritte Aufführung am Donnerstag den 30. fand ein gut besetztes Haus und eine begeisterte Aufnahme. Tichatschek war in den folgenden Vorstellungen bei weitem besser, als in der ungenügenden ersten. Nach jedem Aktschluß stürmischer Hervorruf Wagners und der Sänger, – im dritten Akt, bei den Worten: ›Heinrich, du bist erlöst‹, erscholl der Zuschauerraum von dem enthusiastischen Ausbruch der allgemeinen Ergriffenheit. Die vierte Aufführung fiel auf einen Sonntag (den 2. November); das Theater war ›brechend voll‹; nach jedem Akte wurden die Sänger und nachher jedesmal noch der Autor gerufen. Nach dem zweiten Akte ein wahrer Tumult,27[132] – wo sich Wagner nur blicken ließ, klang ihm begeisterter Zuruf entgegen. Als charakteristischer Zug sei angeführt, daß es dem Meister ganz besonders wohltat, hoch oben im vierten Range begriffen zu sein: sein Dienstmädchen, welches diese vierte Aufführung besuchte, versicherte, die Leute um sie herum hätten diese Oper ›noch schöner als den Rienzi‹ gefunden.28 So etwas gab ihm stets eine freudige Ermutigung. Gewiß war dort oben in seiner Art ein reineres Kunsturteil, als in dem Publikum eines hochgebildeten Parterres oder hochgeborenen ersten Ranges zu finden. Dieses konnte durch eigene und fremde Vorurteile in seiner Empfänglichkeit getrübt und beirrt werden; die Stimme des Volkes aber hat allendlich doch über alle ›Bildung‹ den Sieg davongetragen.

Unter diesen zunehmend günstigen Umständen gelang es dem geneigten Willen der Direktion, und vor allem dem guten Eifer und glücklichen Talente der Darsteller, dem neuen Werke einen allmählichen Eingang zu verschaffen: bis zum Schlusse des Jahres, in neun Wochen, erlebte es nicht weniger als sieben Vorstellungen (2., 12., 22. November, 19. Dezember), denen sich am 25. Januar die achte und für einige Zeit letzte Aufführung anreihte. Der Schwächen dieser Aufführungen und somit des mangelhaften Verständnisses seiner dichterischen Absicht blieb sich der Künstler voll bewußt. Beim ›Tannhäuser‹ fühlte er zum erstenmal mit größerer Bestimmtheit, daß der allgemein übliche Charakter der Opernvorstellungen durchaus dem widerstreite, was er von einer Aufführung forderte. ›In unserer Oper nimmt der Sänger, mit der ganz materiellen Wirksamkeit seines Stimmorganes, die erste Stelle, der Darsteller aber eine zweite, oder gar wohl nur ganz beiläufige Stellung ein: meine Forderung ging nun aber geradeswegs auf das Entgegengesetzte aus. Ich verlangte in erster Linie den Darsteller, und den Sänger nur als Helfer des Darstellers; somit also auch ein Publikum, welches mit mir dieselbe Forderung stellte.‹ Die Aufmerksamkeit, die er auf das Ganze, den szenischen Vorgang, gerichtet sehen wollte, fand er den kostümierten Sängern und einzelnen Musikstücken zugewendet; das Notwendige erschien als störend, das Zufällige als wesentlich. Nach seinen eigenen Worten dünkte ihn, das allmählich entstandene Interesse des Publikums als die gutmütige Teilnahme befreundeter Menschen an dem Schicksale eines teuren Wahnsinnigen: diese Teilnahme bestimmt uns, auf die Irrereden des Leidenden einzugehen, ihnen [133] einen Sinn zu entraten, in diesem entratenen Sinne ihm endlich auch wohl zu antworten, um so seinen traurigen Zustand ihm erträglich zu machen; selbst Gleichgültigere drängen sich dann wohl herbei, denen es eine pikante Unterhaltung gewährt, die Mitteilungen eines Wahnsinnigen zu vernehmen, und an den ab und zu verständlichen Zügen seines Gespräches in eine spannende Ungewißheit zu geraten, ob der Wahnsinnige plötzlich vernünftig, oder ob sie selbst verrückt geworden seien. So und nicht anders begriff ich von nun an meine eigentliche Stellung zum Publikum. ›Jedem Einsichtsvollen gebe ich aber zu bedenken, welches meine Stimmung gegen den äußerlichen Erfolg meines Werkes in Dresden sein mußte, und ob mich eine zwanzigmalige Aufführung mit jedesmaligem »Herausruf« des Autors für das nagende Bewußtsein entschädigen konnte, einen großen Teil des empfangenen Beifalls doch nur einem Mißverständnis oder mindestens einem durchaus mangelhaften Verständnis meiner künstlerischen Absicht verdanken zu müssen!‹

Bei alledem hatte das ganze Ereignis des erstmaligen Hervortretens einer so epochemachenden Schöpfung noch dazu einen durch aus lokalen Charakter. Nach außen hin drangen nur entstellte, willfährig geglaubte Gerüchte. Eine Ausnahme im Tone der Besprechung machen einzig die Artikel der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹ (Leipzig, Fr. Brockhaus, Nr. 295 und 320) und der ›Augsburger allgemeinen Zeitung‹. Letztere brachte in ihrer Nr. 311 vom 7. November einen Aufsatz, dem man es anmerkt, daß sein ungenannter Verfasser mit dem Meister selbst im vertrautesten Gedankenaustausch gestanden. Eine so intime Erfassung eigenster Gedanken Wagners treffen wir Zug für Zug in seiner weitblickenden und bedeutsamen Ausführung an. über seine Persönlichkeit haben wir nur das Wenige in Erfahrung bringen können, daß Dr. Hermann Franck, aus Breslau, damals vorübergehend in Dresden, später in Berlin und London weilend, am letzteren Orte unter besonders tragischen Umständen ein allzu frühes Ende fand.29 Er war der Bruder des deutschen Buchhändlers Albert Franck in Paris, mit Liszt und Chopin befreundet, wiewohl selbst in keiner Weise ausübender Musiker, und während seiner Dresdener Jahre dem Freundeskreis der Eltern Hans von Bülows angehörig. Beide Zeitungen erhielten von ihren journalistischen Kolleginnen wegen Aufnahme [134] dieser ›Posaunenstöße parteiischer Freunde des Autors‹ heftige Zurechtweisungen, zumal gerade in Dresden selbst. ›Wie kommt es doch‹, rief die Dresdener Abendzeitung ›daß man z.B. über Ferdinand Hillers »Traum in der Christnacht«, der doch unstreitig mehr Musik in sich schließt, als der »Tannhäuser«(!), so ganz stille gewesen ist?‹ Und auf den Hinweis der Deutschen Allgemeinen Zeitung, Wagner habe durch den ›Tannhäuser‹ die Oper auf eine Höhe erhoben, die ihre bisherigen Erscheinungsformen übertreffe, heißt es: ›Gott bewahre uns vor dieser Höhe! Es ist da oben so öde und so kalt, daß, wer die Langeweile bis zu ihr hinauf glücklich überwindet, sicher nicht lange auf ihr dauern kann‹ usw. Unter den zahlreichen Berichten der musikalischen Fachblätter, der illustrierten und nichtillustrierten Unterhaltungsjournale, ist als besonders bemerkenswert das wahrhaft kümmerliche Referat der ›Neuen Zeitschrift für Musik‹ hervorzuheben, dem dieses Blatt zwei volle Nummern widmete.

Bezeichnend für die Himmelsrichtung, aus welcher der Wind so mancher kritischen Besprechung des ›Tannhäuser‹ wehte, ist die Nennung Ferdinand Hillers mit seiner verunglückten Oper. Wenn der Dresdener persönliche Bekannte und sog. ›Freund‹ des Meisters, in verblendeter Selbstüberschätzung und ohne einen Begriff von der Bedeutung des Mannes, der so kollegialisch auf gleichem Fuße mit ihm verkehrte, den Abstand nicht wahrnahm, der ihn von dem Genius trennte, so war dies durch die Schwierigkeit der Selbstbeurteilung allenfalls zu entschuldigen; seltsamer nehmen sich die verschiedenen (offenen oder bloß angedeuteten) Parallelen zwischen seinem durchgefallenen Produkt und dem ›schon bei der zweiten Aufführung‹ vor halbleerem Hause spielenden ›Tannhäuser‹ in den gleichzeitigen Musik- und Theaterberichten aus! Zur Erzeugung jener Selbstverblendung über das wirkliche Maß seiner Fähigkeit hatten in Hillers bisheriger Lebensführung gar mancherlei Umstände zusammengewirkt. Vom frühesten Jünglingsalter an war er mit ausdauerndster Überwachung aller irgend sich darbietenden hilfreichen Chancen auf die Bahn der Berühmtheit getrieben, ohne es je durch eine offene künstlerische Tat zu einem wirklichen Erfolge zu bringen. Nur zwei Jahre älter als Wagner,30 hatte er während eines längeren Aufenthaltes in Paris in dem, eigens um seinetwillen eröffneten, glänzenden Salon seiner Mutter, in derselben französischen Hauptstadt, in welcher Wagner kurz darauf den bitteren Kelch der Entbehrung bis zur Hefe leerte, zu deren musikalischen ›Celebritäten‹ die ungezwungensten förderlichen Beziehungen gepflegt; Liszt, Chopin, Mendelssohn, Cherubini, Rossini, Berlioz würdigten ihn ihres freundschaftlichen [135] Umganges. Während der Zeit von Wagners blutigem Ringen um die bloße Existenz gab er sich in Italien einer mehrjährigen angenehmen Muße hin; von hier aus berief ihn Mendelssohn nach Leipzig. Als dieser in Berlin seine Generalmusikdirektor-Stellung antrat, ging die Leitung der Gewandhauskonzerte auf den zweiunddreißigjährigen Hiller über; vielleicht nur aus Vorsicht von seiten Mendelssohns, indem sich der in Leipzig Gefeierte eine eventuelle Rückkehr dahin nicht für die Dauer abschneiden wollte. Nun hielt es der neue Gewandhausdirigent aber nicht einmal bis zu dieser Rückkehr in seiner neuen Funktion aus; er ›gefiel sich in Leipzig nicht‹, und der Geschichtsschreiber der Gewandhauskonzerte fügt hinzu: ›es mochte dies teilweise auf Gegenseitigkeit beruhen‹. Er begab sich aus der allzu exklusiven Leipziger Atmosphäre, in der ein selbständiges Aufkommen sogar während der Abwesenheit des ›Meisters‹ unmöglich dünkte, zu dauernder Niederlassung nach Dresden. Schien doch, nach seiner Auffassung der Dinge, die eigentümliche aristokratisch-internationale Mischung der Elemente im Dresdener Publikum, vor allem das Beispiel des ›Rienzi‹, auf die Möglichkeit leichtgewonnener unerhörter Anerkennung verführerisch lockend hinzuweisen! ›Meine Erfolge auf dem Dresdener Hoftheater‹, berichtet Wagner ›zogen F. Hiller, dann auch R. Schumann in meine Nähe, zunächst wohl nur um zu erfahren, wie es zuginge, daß auf einer bedeutenden deutschen Bühne die Opern eines bis dahin ganz unbekannten deutschen Komponisten fortdauernd das Publikum anzogen. Daß ich kein besonderer Musiker sei, glaubten beide Freunde bald herausbekommen zu haben; somit schien ihnen mein Erfolg in den von mir selbst verfaßten Texten begründet zu sein. Wirklich war auch ich der Meinung, ihnen, die jetzt mit Opernplänen umgingen, vor allen Dingen zur Beschaffung guter Dichtungen raten zu sollen. Man erbat sich hierzu meine Hilfe, lehnte sie jedoch, wenn es dazu kommen sollte, wieder ab, – ich vermute, aus mißtrauischer Befürchtung unlauterer Streiche, die ich ihnen hierbei etwa spielen könnte. Nachdem ich Hiller wegen seines, Traumes in der Christnacht. in bezug auf die Wahl der Dichtung die gründlichsten Vorwürfe gemacht, und er endlich diese Vorwürfe als berechtigt zugestanden, bat er mich bei der Wahl eines neuen Sujets ihm mit meinem Rate beizustehen. Als ich später erfuhr, daß er mit Reinick über dem »Konradin« brüte, äußerte ich ihm mein Bedenken wegen dieses Stoffes im allgemeinen, – bemerkte aber, daß allerdings sehr viel auf die Art ankäme, wie er erfaßt und als Dichtung durchgeführt würde, weshalb ich mich erbot, ihm meine weitere Ansicht zu sagen, sobald er mich in den Entwurf eingeweiht habe. Lange blieb ich ganz ohne Mitteilung, bis ich hörte, die Verse seien fertig, und Hiller komponiere bereits. Ich vermutete Mißtrauen gegen mich und enthielt mich fernerer Einmischung, bis mir Hiller endlich von selbst unverhohlen versicherte: er fürchte, die Dichtung werde mir nicht gefallen, und ich dürfte ihm vielleicht so begründete [136] Einsprüche dagegen machen, daß ihm, wenn er diese kenne, die Lust zum Komponieren vergehen möchte. Er halte es daher für besser, im wissentlichen Irrtum über sein Vorhaben zu verharren, damit er überhaupt doch wieder einmal dazu komme, eine Oper zu komponieren, was sich vielleicht noch – Gott weiß wie lange – hinausschieben möchte, wollte er eine Dichtung abwarten, von der ihm vollkommen deutlich sei, daß sie sich des Komponierens verlohne.‹ Ganz dasselbe hatte nun aber Wagner an R. Schumann zu erleben, als dieser den Text zu seiner ›Genovefa‹ sich selbst zusammensetzte. ›Er ließ sich durch keine Vorstellung meinerseits davon abbringen, den unglücklich albernen dritten Akt nach seiner Fassung beizubehalten; er wurde böse und war jedenfalls der Meinung, ich wollte ihm durch mein Abraten seine allergrößten Effekte verderben. Denn auf, Effekt. sah er es ab: Alles »deutsch, keusch und rein«, aber doch mit pikanten Schein-Unkeuschheiten untermischt, zu welchen dann die unmenschlichsten Roheiten und Gemeinheiten des zweiten Finales recht ergreifend sich ausnehmen sollten.‹

Welche Wendung hatte es doch überhaupt mit diesem einstigen Freunde seiner Jugendperiode genommen! Ein näheres Verhältnis zwischen beiden hatte zwar auch damals nie recht erblühen wollen; dennoch war ihm Wagner auch aus der Ferne stets zugetan geblieben und bewies ihm dies noch von Paris aus durch Übersendung seiner ›Grenadiere‹. ›Wertester Freund, halten wir doch zusammen‹, hatte er ihm dann von Dresden aus einmal brieflich zugesprochen, – ›wer weiß, wozu das gut sein dürfte! Zumal, da ich hoffe, daß wir uns in unserer künstlerischen Richtung doch begegnen!‹ In seiner ganzen ersten Periode, und darüber hinaus, bekundete sich in des Meisters künstlerisch-sozialen Vorstellungen und Bestrebungen ein lebhafter Drang nach Gemeinsamkeit, Zusammenhalten, vereinigtem wetteifernden Wirken. ›Kinder, macht Neues! Neues und abermals Neues! Hängt ihr euch aus Alte, so hat euch der Teufel der Unproduktivität, und ihr seid die traurigsten Künstler!‹ Wie er dies später Liszt mit Beziehung auf Berlioz und Raff zuruft, so hat er es Schumann, Mendelssohn, Kittl, Hiller und allen denen unermüdlich eingeprägt, die er bereitwillig als seinesgleichen hinnahm, und mit denen gemeinsam er so gern den höchsten Zielen zugestrebt hätte. Als Schumann noch in Leipzig weilte, hatte ihn Wagner nach Dresden gewünscht, um ihm seine Werke vorzuführen. Schumann hatte ihm den Wunsch zurückgegeben: er wünsche ihn nach Leipzig, um seine Musik kennen zu lernen. Nun erbat sich Wagner die Zusendung derjenigen Werke Schumanns, auf welche dieser etwas hielte, um sich genau und eifrig damit bekannt zu machen, und sandte ihm dagegen die Partitur des ›fliegenden Holländers‹ zur Einsicht, damit er mit seiner ›Richtung‹ bekannt werde. Es ist uns nicht gegenwärtig, daß sich Schumann irgendwo, -wann und -wie mit einer Silbe über den ›Holländer‹ geäußert habe; zu sehr war er damals bereits in der [137] allerentgegengesetztesten ›Richtung‹ präokkupiert, um die Bedeutung dieser Mitteilung recht zu würdigen. Nun hatte er auch die Partitur des ›Tannhäuser‹ (S. 114) zum Geschenk erhalten. Kurz vor der Aufführung schreibt er darüber an Mendelssohn, nachdem er zuvor dessen ›reine und verklärte Harmonie‹ gepriesen: ›Da hat Wagner wieder eine Oper fertig – gewiß ein geistreicher Kerl und keck über die Maßen – die Aristokratie schwärmt noch vom Rienzi her – aber er kann wahrhaftig nicht vier Takte schön, kaum gut, hintereinander weg schreiben und denken. Eben an der reinen Harmonie, an der vierstimmigen Choralgeschicklichkeit – da fehlt es ihnen allen. Was kann da für die Dauer herauskommen? Und nun liegt die ganze Partitur schön gedruckt vor uns – und die Quinten und Oktaven dazu und ändern und radieren möchte er nun gernzu spät! Nun genug! Die Musik ist um kein Haar breit besser, als Rienzi, eher matter, forcierter! Sagt man aber so etwas, so heißt es: »Ach, der Neid!« Darum sag' ich es nur Ihnen, da ich weiß, daß Sie es längst wissen.‹

Es war nicht mehr leicht, sich mit dem Schumann der vierziger Jahre über das Heil deutscher Musik zu verständigen.31 Gewiß hielt er gegen Wagner so wenig, als dieser gegen ihn, mit seinen Ausstellungen zurück; wenn Schumann aber ›böse wurde‹, sobald man ihm seine ›Effekte verderben‹ wollte, und für eine Belehrung nicht leicht empfänglich war, so müssen wir dagegen aus seiner sonderbaren obigen Äußerung schließen, daß sich jener gegen ihn mit weit weniger Selbstüberhebung, vielmehr mit derjenigen Bescheidenheit und unmerklichen Ironie geäußert habe, wie sie der größeren Natur und genialen Begabung unwillkürlich zu eigen ist. Auf eine solche bescheidene oder unmerklich ironische Bemerkung Wagners scheint die köstliche Behauptung hinzudeuten: ›und ändern und radieren möchte er nun gern‹! Gewiß hielt der junge Meister sein vollendetes Werk nicht für vollkommen; seine späteren wiederholten Umarbeitungen (des Schlusses, wie der Venusbergszene) beweisen dies. Der ›vierstimmigen Choralgeschicklichkeit‹ aber hat er offenbar nicht so viel eingeräumt, als es sich Schumann einredet! Wirklich stand letzterer nicht an, unter dem Eindruck der Aufführung selbst sein vorschnell abgegebenes Urteil erheblich zu modifizieren; er schreibt an Mendelssohn unmittelbar nach der ersten Anhörung am 12. November: ›Ich muß manches zurücknehmen, was ich Ihnen nach dem Lesen der Partitur darüber schrieb; von der Bühne stellt sich Alles ganz anders dar. Ich [138] bin von Vielem ganz ergriffen gewesen.‹ Das war allerdings ein Schritt mehr, als wozu der Adressat beider Äußerungen in seiner Anerkennung des neuen Werkes sich verstand. Das weitestgehende Zugeständnis, wozu sich Mendelssohn bei einer späteren Dresdener Aufführung gegen Wagner herbeiließ, war die Äußerung, ein gewisser kanonischer Einsatz im Adagio des zweiten Finales hätte ihm gut gefallen. Offenbar lag zwischen ihm und dem Ideal des deutschen Musikers eine ganze trennende Welt. Aber nun Schumann – selber ein ›deutscher Musiker‹ in seiner ganzen Anlage? Wir fragen uns vergeblich danach, welche Voreingenommenheit, welcher unheilvolle Einfluß ihn zu seinem eigenen Schaden den Bestrebungen Wagners so fern und fremd hielt? Charakteristisch ist die Tatsache, daß es nicht etwa die erste, sondern die fünfte Aufführung (12. November) des neuen Werkes war, der er beiwohnte. Er wartete erst ab. Die wiederholte Anhörung späterer Aufführungen in den nächstfolgenden Jahren hat sein anfänglich schroffes Urteil nachträglich im günstigeren Sinne beeinflußt; dann fiel er aber doch wieder in seine ursprüngliche, mißverständnisvoll schiefe Stellung zurück.32

So war es mit der tonangebenden Dresdener Kritik, so mit des Meisters musikalischen Fachgenossen bestellt. Von dieser Seite her ward ihm eine Bekräftigung seiner gewonnenen Überzeugungen nicht zuteil, keine Aufmunterung, daß er in seinem Streben auf dem rechten Wege sei. Er mußte seinen Pfad als einsamer Wanderer schreiten, an seiner Seite eine kleine Gruppe persönlich ergebener Freunde. Diesen dürfen wir, auf Grund seines geistvollen [139] Artikels, wenigstens zeitweilig jenen Dr. Hermann Franck hinzuzählen. Seiner Feder verdankte die Augsburger Zeitung auch sonst manche geistvolle Dresdener Korrespondenz, namentlich die bildenden Künste betreffend. Den Hauptvertretern derselben stand auch Wagner, vermöge der Universalität seines Gesichtskreises und seiner Bildung, nicht gleichgültig fern. Seit mehr als einem Jahrzehnt war Ernst Rietschel als Professor der Akademie nach Dresden übergesiedelt, um hier die fast gänzlich in Vergessenheit geratene Skulptur gewissermaßen neu einzuführen und die dafür nötige Schule ›aus dem Nichts zu organisieren‹. Zur Entfaltung eines freieren und großartigeren Kunststiles, wie ihn Rietschel in der Ausführung der Giebelfelder des neuerbauten Hoftheaters bewährte, trug nicht wenig der Wetteifer mit dem von Semper nach Dresden berufenen Ernst Julius Hähnel bei. Seine bedeutsame Mitwirkung an der plastischen Ausschmückung des Dresdener Kunsttempels reizte den bejahrteren Meister zur höchsten Anspannung seiner Kräfte. Auch sonst war durch das Hinzutreten des genialen Gottfried Semper, dann Bendemanns, Hübners, Ludwig Richters ein lebendigeres und anregenderes Schaffen und Treiben unter den bildenden Künstlern der sächsischen Residenz nicht ohne nachweisbare Erfolge entwickelt. Im Frühjahr 1845, kurz nach Vollendung des ›Tannhäuser‹, hatte Moritz v. Schwind von Frankfurt aus einen Besuch in Dresden gemacht, und seine alten und neuen Freunde, darunter Rietschel, Hähnel, Ludwig Richter u. A. ihm ein kleines Fest auf der Brühlschen Terrasse gegeben, von welchem sich Wagner, wie auch sonst bei ähnlichen Veranlassungen, nicht ausschloß. Der frühfertige, eigenartig befähigte Künstler hatte soeben, während seines zweijährigen Frankfurter Aufenthaltes, sein damals größtes Werk, den ›Sängerkrieg auf der Wartburg‹ beendet, das im Städelschen Institut eine Stelle fand, wenngleich es mehr für seine Schwächen, als für seine Vorzüge bezeichnend war, vor allem für seine unverkennbare Neigung zum Theatralischen. Nicht ohne Humor schildert Pecht das erste Eintreten des wunderlichen Zynikers in den zu seiner Feier versammelten Kreis. Daß seine Berufung nach Dresden nicht durchgesetzt werden konnte, wurde von mancher Seite her lebhaft beklagt;33 jedenfalls wurde es [140] Wagner bei solchen Gelegenheiten deutlich, daß unter den bildenden Künstlern die betrübende Eigenschaft der Verkleinerungs- und Eifersucht bei weitem minder ausgeprägt war, als unter den ihm bekannt gewordenen Musikern, von denen immer Einer den Anderen ängstlich zu scheuen und eine Unterdrückung durch das mächtigere Talent zu befürchten schien, gegen die er in vorsichtiger Zurückhaltung seinen einzigen Schutz zu gewahren vermeinte.

Zu mannigfach anregendem Verkehr der Dresdener ›Künstlerschaft‹ im weitesten Sinne des Wortes kam es um diese Zeit hauptsächlich in einer freien geselligen Vereinigung, ohne Statuten und Gesetze, die sich nach dem Besitzer der Restauration am Postplatz, in welcher ihr ein Separatzimmer abgelassen war, der ›Engelklub‹ oder nach dem Tage ihrer Zusammenkunft die ›Montagsgesellschaft‹ nannte.34 Hier verkehrten außer Wagner, Tichatschek, Mitterwurzer, Eduard Devrient und anderen Angehörigen des Hoftheaters auch Gottfried Semper, Ernst Rietschel, Hähnel, Hübner, Reinick, Bendemann; es kam zu manchen gegenseitigen Mitteilungen und einem regen Gedankenaustausch. Zu den regelmäßigen Gästen des ›Engelklub‹ zählte Semper, mit stahlkräftiger Unverwüstlichkeit den Freuden der Geselligkeit zu allen Zeiten sehr zugänglich,35 wenn auch der unaufhörliche Kampf mit der herrschenden Verschrobenheit und Verzopftheit schon damals seinem Wesen etwas Hypochondrisches und den sonst regelmäßigen, kräftig edlen Zügen seines blassen Gesichtes eine ungewöhnliche Reizbarkeit aufgedrückt hatte, deren düstere Gewitterwolken eine gewisse joviale Bonhommie dazwischen wohl durchbrach, nie aber ganz [141] verscheuchte. Seine epochemachende Schrift über die Polychromie der Alten, zugleich ein vollständiges Programm von des Autors künstlerischen und selbst politischen Ansichten, hatte Wagner mit reger Teilnahme studiert. Sempers Forderung der Wiederherstellung eines innigen Zusammenhanges der bildenden Künste untereinander, mit dem Architekten als Chorführer, kehrt später in Wagners Brief an Liszt über die ›Goethestiftung‹ wieder;36 mehrfach auch der Hinweis auf den Farbenschmuck der antiken Architektur und Skulptur in ›Oper und Drama‹ und den Schriften der gleichen Epoche.37 Nicht minder legt seine nachmalige sympathisch verständnisvolle Reproduktion der reformatorischen Grundideen Sempers, durch welche er zur Berufung des befreundeten genialen Künstlers aus seinem Londoner Exil an das Züricher Polytechnikum beitrug,38 von seiner Vertrautheit mit den Gedanken seines alten Dresdener Freundes ein deutliches Zeugnis ab. Neben dem genialen Baumeister genoß in diesem Kreise Ernst Rietschel ein wohlberechtigtes Ansehen; seine lange, hagere, aber durch eine etwas gebeugte Haltung charakterisierte Figur, seine eingefallenen Wangen, kontrastierten seltsam mit der mächtigen, von reichem dunkellockigen Haar überwallten Stirn. Fast demütig bescheiden in der Unterhaltung, war er in seiner äußeren Erscheinung ›eine merkwürdige Mischung von Genie und halbverhungertem Schulmeistertum‹, hatte aber etwas überaus Gewinnendes, Zutrauenerweckendes.39 Für das auf Wagners und des ›Weber-Komitees‹ Betreiben in Aussicht gefaßte Denkmal K. M. v. Webers war ihm die Ausführung zugedacht; da aber trotz der ausdauernden Bemühungen Wagners die Mittel dazu nur spärlich einflossen, dauerte es lange, bis es dazu kam. Neben dem milden und doch so zähen Rietschel der lebhafte, im Kunststil antikisierende, in seiner politischen Gesinnung sarkastisch reaktionäre Hähnel; der sanfte Maler Robert Reinick, zugleich der Textdichter Hillers, durch ein langwieriges Augenübel immer wieder in der Ausübung seines eigentlichen Berufes behindert; von Musikern Hiller selbst, der die Anregung zu diesen Zusammenkünften gegeben, weltklug und behaglich, jeden offenen Gegensatz meidend, der schweigsame Schumann usw. Von Hähnels kaustischem Witz erzählte uns Gustav Kietz – als jüngstes Mitglied des Engelklubs – so manches Beispiel; er schonte weder Abwesende noch Anwesende, um seinem ausgeprägten Gefühl von der Würde der Kunst, insonderheit auch der Dichtkunst, einen Ausdruck zu geben. Als gerade in Gegenwart von Gutzkow, [142] Auerbach usw. auf moderne Dichtung die Rede kam, warf er plötzlich die Bemerkung mitten hinein: ›Die heutige Poesie ist ein großer Leichnam und Ihr, die Dichter, seid die Maden darauf.‹ über Auerbachs Eitelkeit sagte er: ›Der Frosch in der Fabel bläst sich auf, um so groß zu werden, wie der Ochs; er bringts nicht dahin, weil er vorher platzt – aber Auerbach gelingt es.‹

In diesem Kreise trug er am Montag d. 17. November (zwischen der 5. und 6. ›Tannhäuser‹-Aufführung) die soeben vollendete ›Lohengrin‹-Dichtung zum ersten Male vor. Ohne in seinem künstlerischen Glauben nur einen Moment zu wanken, völlig frei von jeder Rücksichtnahme auf ›Kritik‹ und Publikum, deren Anforderungen ihm in der schwankenden Aufnahme des ›Tannhäuser‹ fast aufdringlich entgegengetreten waren, hatte er die in Marienbad entworfene Dichtung binnen weniger Wochen vollständig in Versen ausgeführt, und seine auf das ›Drama‹ abzielenden Prinzipien so konsequent darin zur Geltung gebracht, daß er hier – mindestens im Einzelgesang – eben jene ›geschlossenen Formen‹, die dem ›Tannhäuser‹ noch einiges Verständnis gesichert hatten, zum ersten Male vollständig beseitigte. Das Prinzip der ›Leitmotive‹, in der Musik des ›Lohengrin‹ zum ersten Male mit strenger Folgerichtigkeit durchgeführt, war einstweilen noch, solange bloß die Dichtung vorlag, sein persönliches Geheimnis; es mußte ihm schwer fallen, die verlegenen Zweifel seiner eigentlich ›musikalischen‹ Zuhörer über die Möglichkeit einer ferneren Ausführung dieser vollkommen dialogisch fließenden Tragödie als ›Oper‹ zu zerstreuen. Selbst Schumann, sonst wortlos und scheinbar anteillos in einer Ecke sitzend, brach diesmal sein gewohntes Schweigen. Er erklärte, nicht zu begreifen, wie dieser Text komponiert werden solle.40 Doch unterließ er nicht, sogleich am folgenden Tage (18. November) über die Tatsache der Vorlesung an Mendelssohn Bericht zu erstatten, mit dem er um diese Zeit einen regelmäßigen brieflichen Verkehr unterhielt. Den meisten Zuhörern, schreibt er, habe der neue Text ausnehmend gefallen, namentlich – wie er maliziös hinzufügt – den Malern. Ihm selber sei die Vorlesung eine doppelte Überraschung gewesen: er habe sich schon seit einem Jahre mit demselben Stoff, oder wenigstens mit einem ähnlichen (!), aus der Zeit [143] der Tafelrunde, herumgetragen und – ›müsse ihn nun in den Brunnen werfen‹. In dem letzteren Räsonnement trägt die ›Resignation‹ unleugbar den Sieg über die Logik davon; durchaus unklar bleibt die vorgebliche Identität des ›Lohengrin‹-Stoffes mit einem beliebigen Sujet aus den Sagen von der Tafelrunde, somit aber auch die behauptete Notwendigkeit, dieses letztere um des ›Lohengrin‹ willen aufzugeben! Freund Hiller fand das Gedicht durchaus vortrefflich, und hielt seine weiteren Bedenken zurück. Der von ihm ausgegebenen Parole zufolge sollte nämlich ›Wagners Talent als Musiker für diesen Stoff keineswegs ausreichen‹. ›Die schönen Verse würden wohl nach einem anderen Musiker sich sehnen; ein großes Wollen, ein nicht genügendes Können, das sei die große Kluft, in welcher wahrscheinlich der Gralsritter versinken werde.‹41 Bei solchen unschwer zu durchschauenden Gesinnungen seiner rein musikalischen ›Kunstgenossen‹ durfte es dem Dichter des ›Lohengrin‹ nicht ganz unehrenvoll erscheinen, wenn seine Dichtung zum mindesten – ›den Malern gefiel‹.

Von einer anderen Erfahrung in betreff seiner ›Lohengrin‹-Dichtung berichtet er in der ›Mitteilung an meine Freunde‹. Sie knüpft an die herbe Tragik des Sujets an, die in ihrer antiken Größe dem schwächlichen modernen Geiste fast unerträglich schien. Ein ihm befreundeter Mann, dessen Geist und Wissen er hochschätzte – der zuvorgenannte Dr. Hermann Franch42 – machte ihm den Einwurf: sein Lohengrin sei in seinem Verlangen nach Liebe, nach Geliebtsein, nach Verstandensein durch die Liebe dennoch, durch sein erbarmungsloses Scheiden von Elsa, eine kalte, verletzende Erscheinung, die eher Widerwillen, als Sympathie zu erwecken vermöge. Da auch bei dem kritischen Freunde der erste Eindruck der Dichtung ein durchaus ergreifender gewesen war, und erst die kältere, reflektierende Kritik den Einwurf hervorgebracht hatte, war letzterer in seiner Entstehung nicht so sehr als ein unwillkürlicher Akt der unmittelbaren Herzensempfindung, sondern als ein willkürlicher der grübelnden Verstandestätigkeit zu betrachten. Dennoch, so erzählt Wagner selbst ›gestehe ich, daß mich der Geist der zweifelsüchtigen Kritik soweit ansteckte, eine gewaltsame Motivierung und Abänderung meines Gedichtes ernstlich [144] in Angriff zu nehmen. Durch meine Teilnahme an dieser Kritik war ich für kurze Zeit so sehr aus dem richtigen Verhältnisse zu dem Gedichte geraten, daß ich wirklich bis dahin abirrte, eine veränderte Lösung zu entwerfen, wonach es Lohengrin verstattet sein sollte, seiner enthüllten höheren Natur sich zugunsten seines weiteren Verweilens bei Elsa zu begeben ‹. ›Das vollständig Ungenügende, in einem höchsten Sinne Naturwidrige dieser Lösung empfand aber nicht nur ich selbst, der ich in einer Entfremdung meines Wesens sie entwarf, sondern auch mein kritischer Freund.‹ Er fand vielmehr gerade an diesem Vorfall das Tragische des Charakters und der Situation seines Lohengrin als eine im modernen Leben tief begründete bestätigt; er erkannte diesen Charakter und diese Situation mit klarster Überzeugung als ›den Typus des eigentlichen einzigen tragischen Stoffes, überhaupt der Tragik des Lebenselementes der Gegenwart‹, die sich an dem Kunstwerke und dessen Schöpfer ganz so wiederholte, wie sie am Helden des Gedichtes sich dartat. ›Das notwendigste und natürlichste Verlangen des Künstlers ist, durch das Gefühl rückhaltlos aufgenommen und verstanden zu werden, und die durch das moderne Kunstleben bedingte Unmöglichkeit, dieses Gefühl in der Unbefangenheit und zweifellosen Bestimmtheit anzutreffen, der Zwang, statt an das Gefühl sich fast einzig nur an den kritischen Verstand mitteilen zu dürfen: dies eben ist zunächst das Tragische seiner Situation, das ich als künstlerischer Mensch empfinden mußte, und das mir auf dem Wege meiner weiteren Entwickelung so zum Bewußtsein kommen sollte, daß ich endlich in offene Empörung gegen den Druck dieser Situation ausbrach.‹43

Der Erfolg seines ›Tannhäuser ‹, sein allmähliches Eindringen im Publikum, vermochte ihn nicht mehr zu täuschen. Er wußte jetzt, woran er mit letzterem war, und hätte er daran zweifeln können, so mußten ihn weitere Erfahrungen vollends zur Genüge darüber aufklären. ›Die Folgen meiner früheren Verblendung über meine wahre Stellung zum Publikum stellten sich jetzt mit Schrecken ein. Die Unmöglichkeit, dem »Tannhäuser« einen populären Erfolg, oder überhaupt nur Verbreitung auf den deutschen Theatern zu verschaffen, trat mir hell entgegen, und hiermit hatte ich zugleich den gänzlichen Verfall meiner äußeren Lage zu erkennen.‹44 Waren doch alle seine der Veröffentlichung seiner Werke gewidmeten bisherigen Schritte und pekuniären Opfer, alle daraus für ihn erwachsenen und sich häufenden materiellen Verlegenheiten auf die Hoffnung begründet gewesen, mit diesem, aus den innersten Tiefen deutschen Wesens geschöpften Werke weit unmittelbarer, als mit dem ›Rienzi‹, zum Herzen eines deutschen Publikums sich den Zugang zu bahnen. ›Fast nur, um mich vor diesem Verfalle zu retten, tat ich noch Schritte für die Verbreitung dieser Oper, und faßte dafür namentlich Berlin in das[145] Auge.‹ Wir erinnern uns, daß er die Partitur seines Werkes erst noch im Frühjahr dieses Jahres, alsbald nach Vollendung der Oper, an die dortige Intendanz eingesandt hatte (S. 114). Kurz vor der siebenten Aufführung des ›Tannhäuser‹ (19. Dez. 1845) treffen wir daher den Meister auf kurze Zeit in Berlin, um sich mit der Generalintendanz, dem ›großen Küstner‹, persönlich ins Einvernehmen zu setzen. Für den, vor sieben Monaten eingesandten ›Tannhäuser‹ war zunächst nichts auszurichten; ja selbst für den ›Rienzi‹ erhielt er nur vertröstende Aussichten für die Zukunft. Aus seinen gleichzeitigen Nachrichten an Minna können wir die Erlebnisse dieses achttägigen Ausfluges genau verfolgen. Den ersten Tag, Montag 8. Dezember, hatte er für Leipzig bestimmt, wo er sich ›in den Armen der Verwandten hin- und hergeworfen‹ fand, wobei ihm überallhin ein Teil derselben das Geleit gab. Mittags war er bei der Schwester Luise, abends – nach dem Theater – bei Cäcilie Avenarius, alle übrigen allemal auch mit dabei, auch Laube's. Im Theater, dessen Personal er nicht kannte, wohl aber für seine Zwecke kennen lernen wollte, traf er es insofern glücklich, als es eine Aufführung der ›Stummen von Portici‹ gab, – leider eine sehr wenig befriedigende. ›Gott, kam mir das Leipziger Theater erbärmlich vor! Mit dem Tenoristen wird nicht viel anzufangen sein, er ist ein lederner, ekliger Kerl. Dagegen hat (Direktor) Schmidt bereits meinen »Holländer« zum Februar angesetzt, und den können sie allerdings vortrefflich geben. Ich sah Kindermann in der »Stummen« als Pietro und bin über den Menschen sehr, sehr erfreut – er hat alles zum Holländer. Meine Leipziger Geschäfte waren also schnell und zu meiner Zufriedenheit abgemacht.‹ Dagegen hielt ihn der zur Feier seiner Anwesenheit bei Avenarius versammelte Verwandten- und Freundeskreis bis nach Mitternacht fest. Er kam erst um 1/22 zu Bette und mußte doch um 5 Uhr früh wieder heraus, um gegen 2 Uhr Mittags in Berlin einzutreffen. übermüdet durch das Ausgestandene konnte er am ersten Tage noch nichts Rechtes unternehmen: ›ich aß zu Mittag, machte eine kleine Reinigungstoilette, verschaffte mir zum Abend ein Theaterbillett und bin somit nur erst zur Frommann gekommen, welche bei einer wohlhabenden Freundin sehr hübsch und nobel wohnt. Die Frommann konnte mir nichts Wichtiges über meine Angelegenheiten mitteilen‹. Dagegen wurde er für den folgenden Tag zum Mittag zu ihr eingeladen ›wo auch Professor Werder sein wird, auch der junge (Walther von) Goethe‹. Ob er tatsächlich mit diesem letzteren damals in Berlin zusammengetroffen, entzieht sich unserer Kenntnis; denn schließlich konnte er der Einladung gerade an dem dafür bestimmten Tage nicht nachkommen. Zunächst hatte er sich im Berliner ›Don Juan‹ – mit Jenny Lind als Gast – gleich am ersten Abend erheblich zu langweilen. ›Die Donna Anna soll auch nicht die vorzüglichste Partie der Lind sein. Außerordentlich schön sang sie die letzte Arie, für den ersten Akt fehlt ihr sehr viel Sie ist eine fremdartige, sinnige [146] Eigentümlichkeit, die an und für sich sehr interessiert, einer großen dramatischen Durchführung aber nicht gewachsen ist. Im übrigen war alles ledern, wie wir das ja überall im »Don Juan« gewohnt sind. Der Saal des neuen Opernhauses hat mir ausnehmend gefallen und ist unbedingt vorzüglicher als unser Dresdener: d.h. freier, nicht so gedrückt und mit so gehemmter Akustik.‹ Erst am folgenden Tage (Mittwoch, 10. Dezember), nachdem er sich passabel ausgeschlafen und von der Reisemüdigkeit erholt, ging er an seine Berliner Geschäfte. Diese führten ihn zunächst zu seinem früheren Bekannten vom Holländer her, dem Grafen Wilhelm v. Redern, als Generalintendanten der Kgl. Hofmusik. Dieser, Meyerbeer sehr nahe befreundete, sonst wohlgesinnte Herr ließ es sich angelegen sein, ihn mit größter Verbindlichkeit zu empfangen; er lud ihn sogleich in glänzender Gesellschaft zu Tische, weshalb der Frommann abgesagt werden mußte. Die Hauptresultate ihrer Verhandlungen waren bei alledem mehr negativer Natur: bis Ostern machten die noch bevorstehenden Gastspiele der Lind und andere Repertoirezufälligkeiten eine Aufführung des ›Rienzi‹ unmöglich. Gern wollte er es einrichten, daß Wagner dazu käme, dem König seinen neuen Operntext (Lohengrin) vorzulesen; dafür wäre aber nötig gewesen, daß er mindestens die ganze nächste Woche in Berlin bliebe, da der König anderen Tages – am Donnerstag – auf die Jagd zu fahren gedenke, von der er erst Anfang nächster Woche wieder zurückkehren würde. Meyerbeer – war nicht in Berlin anwesend, er traf bloß dessen Gattin an. ›Die Meyerbeer, die mich durch große Herzlichkeit und Teilnahme überrascht hat, hält Rederns Plan, daß ich zu meiner nächsten Oper‹ (also: Lohengrin!) ›den Königlichen Auftrag für Berlin erhalten sollte, für das Allerbeste; ihr Mann kommt zu Weihnachten zurück; dann soll alles in Ordnung gebracht werden. Läßt sich inzwischen der »Rienzi« noch herausbringen, desto besser: Küstner hat mir Ehrenwort und Handschlag darauf gegeben. Ob aber Küstner von Ostern ab noch Intendant bleiben wird, ist selbst sehr zweifelhaft. Meine Geschäfte sind fürs nächste hier beendet, und ich bleibe eigentlich nur noch hier, um »Norma« mit der Lind zu sehen und endlich mein Versprechen zu erfüllen, mit der Frommann und Prof. Werder zusammen zu sein. Morgen, Sonnabend, gehe ich nach Leipzig, wo Hermann‹ (Prof. Brockhaus) ›eine kleine Gesellschaft mir zu Ehren gebeten hat, und Sonntag Vormittag um 11 Uhr bin ich – wenn Gott nicht anders über mich beschließt! – in Dresden, bei Dir.‹45

Die Hereinziehung des ›Lohengrin‹ in seine Berliner Verhandlungen zeigt, in wie weite Fernen diese Vertröstungen sich erstreckten, und wie dabei sein bereits fertiges, vollendetes und aufgeführtes Werk einfach übersprungen und als nicht existierend betrachtet wurde! Indes, an Geduld und weitsichtige [147] Pläne gewohnt, hielt er dennoch, im heißen Bestreben, nur überhaupt mit seinen Werken über das Weichbild der sächsischen Residenz hinauszugelangen, an Berlin und seinen, speziell auf Friedrich Wilhelm IV. gerichteten Hoffnungen fest, – um so mehr, als er keinen Grund hatte, an der Aufrichtigkeit derer zu zweifeln, welche diese Hoffnungen in ihm nährten. Den Gedanken, seinen ›Lohengrin‹ mit Zustimmung der maßgebenden Behörden als für Berlin bestimmt ansehen zu dürfen, war für ihn der eigentliche Ertrag dieses viertägigen Aufenthaltes. Zu ihm sollte ›Rienzi‹ nur die Brücke und der Übergang werden.46 Es scheint bei dieser Gelegenheit gewesen zu sein, daß er dem Grafen Redern jenes schön ausgestattete Exemplar der ›Tannhäuser‹-Dichtung überreichte, welches sich gegenwärtig im Eisenacher Wagner-Museum befindet.47 Mit ihm und Küstner blieb er nun auch von Dresden aus, zunächst noch in betreff des ›Tannhäuser‹, in fortgesetztem Verkehr, über dessen Resultate er selbst nachmals zusammenfassend berichtet ›Von dem Intendanten der Kgl. preuß. Schauspiele (Herrn von Küstner) ward ich mit dem kritischen Bedeuten abgewiesen, meine Oper sei für eine Aufführung in Berlin zu »episch« gehalten.48 Der Generalintendant der Kgl. preuß. Hofmusik (Graf v. Redern) schien dagegen einer anderen Ansicht zu sein. Als ich durch ihn beim König, um diesen für die Aufführung meines Werkes zu interessieren, um die Erlaubnis zur Dedikation des Tannhäuser an ihn nachsuchen ließ, erhielt ich als Antwort den Rat, ich möchte, da einerseits der König nur Werke annehme, die ihm bereits bekannt seien, andererseits aber einer Aufführung der Oper auf dem Berliner Hoftheater Hindernisse entgegenstünden, das Bekanntwerden Seiner Majestät mit dem fraglichen Werke zuvor dadurch ermöglichen, daß ich einiges daraus für Militärmusik arrangierte, was dann dem Könige während der Wachtparade zu Gehör gebracht werden sollte. Tiefer konnte ich wohl nicht gedemütigt, und bestimmter zur Erkenntnis meiner Stellung gebracht werden!‹

Am 12. Februar lernte das Leipziger Publikum die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre in einem von Mendelssohn dirigierten Konzert zum besten des Orchesterpensionsfonds [148] kennen. Der Dirigent nahm sich ihrer mit dem ihm eigenen Mangel an Sympathie für Wagners Bestrebungen einzig in dem Sinne an, sie als ein ›abschreckendes Beispiel‹ hinzustellen: er verjagte sie widersinnig im Tempo, und häufte dadurch die unleugbaren technischen Schwierigkeiten derart, daß die Vorführung eine äußerst unvollkommene war. Der Zweck aber war erreicht: das Publikum ließ sie fallen, und eine wohlabgerichtete Preßmeute fiel schonungslos über das willkommene Opfer her, um es vollends zu zerfleischen. Die bei dieser Gelegenheit verlautbarten Urteile gehören so sehr zur Passions-Geschichte der Wagnerschen Kunst in seiner Vaterstadt, daß wir uns nicht enthalten, eine Auswahl daraus unserer Erzählung einzuschalten ›Interessante Instrumentalkombinationen, insbesondere interessante Geigeneffekte, entschädigen nicht für den Mangel an innerem Gehalt; wohl glaubt man zuweilen etwas hinter den Äußerlichkeiten suchen zu müssen, aber man überzeugt sich bald, daß wenig oder gar nichts dahinter ist.‹ Oder. ›Effektsucht und schonungslose Verwendung der Orchesterkräfte verleiden einem den Genuß, wenn die Melodien ja noch dergleichen übrig ließen, welche man indes nur mit Mühe zu entdecken vermag.‹ ›Wir haben noch nichts von dem Komponisten, d.h. von dessen Schöpfungen, gesehen und gehört, jedoch über dieselben, zumal über den »Tannhäuser« gelesen, und finden, nach dieser Probe, die gegen den letzteren gerichteten Berichte nicht gerade übertrieben.‹ ›Nur wenige Orchester werden, wie das unsrige, das sich seit Berlioz kaum dergleichen erinnern dürfte, den Tannhäuser-Aufgaben gewachsen sein, und vermöchten wir, wenn in der Oper nur teilweise, wie in der Ouvertüre, fortmusiziert wird, dieselbe vor Befürchtung gänzlicher Abstumpfung nicht anzuhören.‹49 Man beachte die in letzterer Bemerkung unverhohlen ausgesprochene Warnung vor einer vollständigen Aufführung des Werkes, als sollte dessen weitere Verbreitung gleichsam an ihrem Ausgangspunkte unterbunden werden! Einzig der Referent der N. Z. s. M. ist so weit ehrlich, daß er die Möglichkeit zugesteht, die ›mangelhafte Ausführung‹ möge zu dem allgemeinen Mißfallen ›einigermaßen mitgewirkt haben‹; doch schiebt er nicht dem Dirigenten, sondern dem Komponisten und der großen Schwierigkeit des Tonstückes die Schuld daran zu.

[149] So im wohlerzogenen Leipziger Gewandhaus, dessen so sicher fundamentierte Bildung noch nach fünfzehn weiteren Jahren (1862) dem Vorspiel der ›Meistersinger‹ gegenüber mit gleicher Unerschütterlichkeit standhielt: ›es sei reizlos, wüst und unüberschaulich; in dem ganzen Stücke nichts, woran entweder der Laie oder Musiker Freude haben könnte‹. Dagegen fand Schumanns ›Ouvertüre, Scherzo und Finale‹ in dem gleichen Konzert, durch die Folie des ›abschreckenden Beispiels‹ gehoben, eine desto beifälligere Aufnahme, und die zwei Tage später (14. Febr.) auf Veranlassung des gefeierten Gewandhaus-Dirigenten erfolgende Begründung einer neuen gemischten Chorgesellschaft, eines ›Liederkranzes, an welchem auch Damen teilnehmen‹, galt für Leipzig als hervorragendes ›Ereignis‹. In den recht eigentlich musikbeflissenen und tonangebenden Kreisen, wie in dem hochangesehenen Fregeschen Patrizierhaus, gehörte es zum guten Ton, Wagner und alles von ihm Ausgehende einfach für ›schauderhaft‹ zu erklären;50 alle vorhandenen Sympathien waren exklusiv auf Mendelssohn gerichtet und umfaßten außerdem etwa nur noch, was sich an ›berühmten‹ oder nach Berühmtheit strebenden, heute völlig vergessenen Namen ihm freiwillig unterordnete und unter seiner Fahne sich sammelte. Wie man es früher mit dem ›Rienzi‹ getan, begnügte man sich auch hinsichtlich des ›Tannhäuser‹ damit, das ganze Werk nach einem übel zugerichteten Fragment zu beurteilen, d.h. von einer vollständigen Aufführung auf lange Jahre hinaus abzusehen. War ja der Erfolg sogar in Dresden nach den einlaufenden Berichten ein ganz ›zweifelhafter‹ geblieben; hörte man doch täglich von dem ›Treibhausleben‹, welches die Oper daselbst führe, und wie ›nur eine kleine Schar Auserwählter befähigt sei, alle die gepriesenen Schönheiten der Musik aufzufinden und zu genießen!‹51

Fußnoten

1 Ges. Schr. X, S. 218–19. – Dagegen heißt es bereits in ›Oper und Drama‹: ›Das Besondere der »deutschen Oper« (unter welcher ich hier natürlich nicht die Webersche Oper verstehe, sondern diejenige moderne Erscheinung, von der man um so mehr spricht, je weniger sie in Wahrheit eigentlich vorhanden ist, – wie das »deutsche Reich«) besteht darin, daß sie ein Gedachtes und Gemachtes derjenigen modernen deutschen Komponisten ist, die nicht dazu kommen, französische und italienische Operntexte zu komponieren, was sie einzig verhindert, italienische oder französische Opern zu schreiben‹ (Ges. Schr. III, S. 392.)


2 O. Claudius lebte von 1793–1877, in dürftigen Verhältnissen, als Kantor und Musikdirektor in Naumburg Seine persönlichen Beziehungen zu dem jungen Meister, durch Wagners briefliche Anrede (›Verehrtester Freund‹) angedeutet, können wohl nur aus seiner Magdeburger Musikdirektorperiode herrühren, vielleicht von seinem Besuche bei Laube in Kösen (Bd. I, S. 237). Sein günstiges Urteil über die Oper hat der Meister noch 1869 wiederholt: ›Stünde ein Theater nach meinem Sinn unter meiner Leitung, so würde ich, jener Musik zuliebe, eine Aufführung Ihrer Oper sofort veranlassen.‹ (Briefl. 12. Febr. 1869.) Eine Aufführung der Claudiusschen Oper fand erst sieben Jahre nach des Autors Tode, 1884, in Naumburg und in Halle, 1887 in Weimar statt. Dem Textbuch zufolge sind die Ratschläge Wagners für ihre Umarbeitung wohl benutzt worden (vgl. W. Tappert, ›Richard Wagner und Otto Claudius‹, Allg. Mus. Zeitung 1887, S. 194).


3 H. v. Wolzogen ›Richard Wagner und die Tierwelt‹ (Leipzig 1890), S. 30–31.


4 Alois John, ›Richard Wagner in den deutsch-böhmischen Bädern‹ (Teplitz 1890), S. 18–22, und Allg. Mus. Zeitung 1888, S. 295. Das ländliche Häuschen ›Zum Kleeblatt‹ ist seit 1889 mit einer auf seinen dortigen Aufenthalt bezüglichen Gedenktafel versehen.


5 Er ging später in den Besitz von Frau Wesendonk über, und bildet in dem Bande: ›Richard Wagner, Entwürfe zu: Die Meistersinger von Nürnberg, Tristan und Isolde, Parsifal‹ (Leipzig, Linnemann 1908) den ersten der darin mitgeteilten drei Entwürfe der Meistersinger-Dichtung.


6 Mit einem Briefe vom 16. Febr. 1846. Die erwähnte Partitur, mit Wagners eigenen Korrekturen und Bemerkungen, ging nach Krütiners Tode in den Besitz des Museums von Eger über (Alois John, a. a. O. S. 21) und ist gegenwärtig der Stolz des Eisenacher Wagner-Museums (Oesterlein, Beschr. Verzeichnis IV, Nr. 9526). Die Korrekturen von Wagners Hand bestehen aus einigen tausend mit roter Tinte hinzugefügten Zeichen, Noten, Textworten und szenischen Bemerkungen. Leider fehlt davon der erste Akt, einzelne Blätter auch im dritten und vierten Aufzug.


7 Die Erzählung H.'s hat eine auffallende Verwandtschaft mit so mancher ihr ähnlichen; trotz alles ›freundlich mitteilsamen‹ Empfanges weiß er in der Wiedergabe dieser Unterredung nicht ein einziges charakteristisches Wort Wagners vorzubringen, sondern nur von Minna und dem Papagei zu erzählen. Er schiebt alle Schuld von sich auf den letzteren; eine vorbeugende Ausflucht, um die ihn ein Präger beneiden könnte.


8 Auch hier scheint Papo zu laut gewesen zu sein; die wirkliche Einladung Wagners wird sich wohl auf Mitte September bezogen haben; für diese Zeit war die erste Aufführung des ›Tannhäuser‹ ursprünglich angesetzt – Zum eigentlichen Gesprächsgegenstande vgl. S. 206 dieses Bandes.


9 Familienbriefe von Richard Wagner, S. 139.


10 Zu dem gleichen Zwecke hatte sich des jungen Meisters feuriger Eifer schon zuvor mit warmer Beredtsamkeit an mehrere, ihm zunächst erreichbare, irgendwie einflußreiche Kunstgenossen gewendet. So erwähnt Mendelssohn in einem Briefe an Benedict vom 19. Mai 1845 der an ihn gerichteten brieflichen Aufforderung Wagners, ein Konzert zugunsten des Weber-Denkmals zu veranstalten.


11 A. Ritter ›eine Erinnerung an Joseph Tichatschek‹. Unter anderen rührenden Zügen zur Dokumentierung dieser selbstlosen Hingabe führt A. Ritter den folgenden an: ›Wenn der Pilgerchor im dritten Akt des Tannhäuser begann, lauschte er aufmerksam in seiner Garderobe, und trat Unsicherheit in der Intonation ein, so eilte er – wie oft! – kaum fertig angekleidet mitten unter die Choristen und sang mit voller Stimme mit, um ein Sinken der Intonation zu verhüten.‹ (Bayr. Bl. 1892, S. 121.)


12 Briefe an Liszt, I, S. 177.


13 A. v. Wolzogen, Wilhelmine Schröder-Devrient, S. 307, und Dorn, Ergebnisse, S. 51. Unwahr ist die Erwähnung des letzteren, sie habe mit Wagner wegen des Tannhäuser auf gespanntem Fuße gestanden!


14 A. v. Wolzogen, a. a. O.


15 ›Was mir in bezug auf die Szene zwischen Tannhäuser und Venus trotz der Mitwirkung einer größten Künstlerin nicht glückte, gelang dagegen vollkommen in Weimar, wo sich für die Venus eine Darstellerin vorfand, die als Künstlerin überhaupt mit meiner Dresdenerin sich gewiß nicht messen konnte, gerade aber für diese Rolle so günstig disponiert war, daß sie, in vollster Unbefangenheit, mit einer Wärme ihre Aufgabe löste, daß gerade diese in Dresden so peinliche Szene hier den hinreißendsten Eindruck hervorbrachte.‹ (Ges. Schr. V, S. 170.)


16 Ges. Schr. II, S. 72.


17 Vgl. Band I, S. 451. 453 (auch 457).


18 Im Besitze von Prof. W. Jähns in Berlin.


19 Leider gelangte sie, durch eine üble Verspätung der Pariser Dekorationsmaler, erst von der zweiten Aufführung an zur Verwendung.


20 Siehe Dorn, Erinnerungen V, S. 51. In der szenischen Vorschrift heißt es bloß: ›Sie geht langsam auf dem Bergwege, auf welchem sie noch lange in der Entfernung gesehen wird, der Wartburg zu.‹


21 Die Sage vom Ritter Tannhäuser, aus dem Munde des Volkes erzählt, mit verwandten Sagen verglichen und kritisch erläutert von Dr. J. G. Th. Grässe, nebst einem Anhang von alten ›die Sage betreffenden Volksliedern‹, Dresden u. Leipzig, 1846. Der Verfasser bekennt in der vom 10. Oktober 1845 datierten Vorrede, durch Wagners ›Tannhäuser‹ zu seiner gelehrten Untersuchung veranlaßt worden zu sein ›da die treffliche Tonschöpfung (Wagners) durch ihren hochpoetischen, ebenfalls von ihm gedichteten Text die Aufmerksamkeit so Vieler wieder auf diese Sage ziehen wird‹.


22 In der zweiten Auflage des Grässeschen Tannhäuser-Buches (v. J. 1861) fehlt die Widmung an Richard Wagner, dagegen wird ›das Textbuch seiner bekannten Oper‹ darin kurzweg als eine ›frömmelnde Verballhornung des deutschen Volksliedes‹ mit seiner ›großartigen hochpoetischen Rückkehr des Tannhäuser zur Frau Venus‹ bezeichnet.


23 Den Herren Eduard Duller (als Dichter) und C. A. Mangold (als Komponisten) war es vorbehalten, auch das Sujet des Tannhäuser ›heiter‹ zu behandeln und es mit dem üblichen Ausgang aller Komödien, seit der neueren attischen, zu beschließen: Tannhäuser und Innigis empfehlen sich als Verlobte, der Venusberg stürzt zusammen, und in der Ferne erblickt man Tannhäusers Burg und eine ›herrliche Gegend‹, – das ist der Schluß von Dullers Dichtung, die der widerspruchsvolle Grässe ›verständiger‹ nennt, als die ›frömmelnde Verballhornung‹ des Volksliedes durch Wagner (S. 127 Anm.). Der Mangold-Dullersche ›Tannhäuser‹ gelangte am 17. Mai 1846 in Darmstadt unter ›ungeteiltem Beifall‹ zur ersten Aufführung; die Didaskalia nannte die Oper, in jeder Beziehung ein Erzeugnis echt deutscher Kunst. Es konnte wohl keinen ärgeren Fehlgriff geben, als den eines spekulativen Bearbeiters älterer Werke, E. Pasqué, das längst verschollene Werk in späteren Jahren (1892) wieder ans Tageslicht zu ziehen. Zeitungsnotizen über den Wert und die Bedeutung dieses eben entdeckten (vorgeblich, älteren!) Tannhäuser durchdrangen ankündigend alle Welt; die erneute Aufführung in Darmstadt (unter dem Titel, der treue Eckart) erwies aber nur erst recht den völligen Mangel des Werkes an innerer Lebensfähigkeit.


24 Brieflich an Liszt (Briefwechsel I, S. 79–80).


25 A. Ritter, ›Eine Erinnerung an Joseph Tichatschek‹, Bayr. Blätter, 1892, S. 121.


26 ›Daß der wirkliche Beifall sehr gering und das Theater schon (!!) bei der zweiten Vorstellung kaum halb gefüllt war‹, heißt es in der auffallend unfreundlichen ›Besprechung‹ der N. Zeitschr. für Musik (mit dem ›schon bei der zweiten Vorstellung‹ glaubte die Mißgunst das Werk bereits zu Grabe getragen zu haben), – ›ist bei den erwähnten Mängeln begreiflich. Das Hervorrufen des Autors entscheidet hier ganz und gar nichts; wurde doch dieselbe Auszeichnung im vorigen Semester den eben anwesenden Komponisten zweier Opern (Lwoff? Hiller?) zuteil, welche nach der vierten Vorstellung vom Repertoire verschwanden.‹


27 Der zweite Akt blieb in Dresden auch in der Folge der Höhepunkt der Beifallskundgebungen des Publikums; vgl. den ›Tannhäuser‹-Artikel der Leipziger ›Illustrierten Zeitung‹ (J. J. Weber) 1846 Nr. 131: ›Bei der ersten Darstellung wurde der Meister mit allen Darstellern nach jedem Akte gerufen, und auch bei den darauf folgenden Vorstellungen wiederholte sich das, besonders nach dem zweiten, ungemein gelungenen und das Gesamtpublikum ansprechenden Akte.‹


28 Wagner war jederzeit gegen die Bedienten seines Hauses von zartfühlendster Güte und bezeigte, wenn ihm Gelegenheit dazu ward, weit weniger geringschätzige Verachtung gegen ihr ›Urteil‹ in Kunstangelegenheiten, als gegen das mancher berühmten Rezensenten oder ›Kunstgenossen‹. Das galt noch bis in die ›Tristan‹-Periode!


29 Siehe den Artikel ›Hermann Franck‹ in den Bayreuther Blättern 1885, S. 320 ff., woselbst auch der immer noch lesenswerte ›Tannhäuser‹-Bericht der Augsburger Zeitung von 1845 ausführlich zum Abdruck gebracht ist. Der Meister gedenkt dieses Aufsatzes noch im ›Briefwechsel mit Liszt‹ I, S. 98, gelegentlich eines unglücklichen Aufsatzes Dingelstedts über ›Lohengrin‹ in derselben Augsburger Allgemeinen ›wo vor fünf Jahren Dr. Hermann Franck so geistvoll, ruhig und klar erörternd sich über meinen Tannhäuser ausließ. Ich bitte Dich, wenn es Dich interessieren könnte, so lies diesen Artikel einmal: er steht: A. A. Z. Nr. 311 vom 7. November 1845. Wie muß mir zumute sein, wenn ich die beiden Artikel miteinander vergleiche!‹


30 Er war 1811 in Frankfurt a. M. von israelitischen Eltern geboren, sein Pariser Aufenthalt, während dessen er in öffentlichen Konzerten seine eigenen Kompositionen neben Werken von Bach und Beethoven aufführte, fällt in den Zeitraum von 1829 bis 1836.


31 ›Für mich‹, so urteilt Bülow treffend, existiert eine Scheidewand zwischen dem Robert Schumann bis zu Op. 41, den Streichquartetten, oder allenfalls bis zu Op. 50 (›Paradies und Peri‹) und dem jenseitigen; zwischen dem Schumann, der anfangs seine eigenen Bahnen wandelte und jenem zweiten, der, geblendet von dem Formenglanze des großen ›Mozarterben‹ Mendelsohn, an sich selber irre und zu einem partiellen geistigen Selbstmorde getrieben wurde (Bülow, Schriften S. 287/88).


32 Vgl. seine briefliche Auslassung v. 8. Mai 1853, gegen Debrois v. Bruyck: ›Wagner ist, wenn ich mich kurz ausdrücken soll, kein guter Musiker; es fehlt ihm an Sinn für Form und Wohlklang. Aber Sie dürfen ihn nicht nach Klavier-Auszügen beurteilen Sie würden sich an vielen Stellen seiner Opern, hörten Sie sie von der Bühne, gewiß einer tieferen Erregung nicht erwehren können. Und ist es auch nicht das klare Sonnenlicht, das der Genius ausstrahlt, so ist es doch oft ein geheimnisvoller Zauber, der sich unserer Sinne bemächtigt. Aber, wie gesagt, die Musik, ab gezogen von der Darstellung (!), ist gering, oft geradezu dilettantisch, gehaltlos und widerwärtig, und es in leider ein Beweis von verdorbener Kunstbildung, wenn man im Angesicht so vieler dramatischer Meisterwerke, wie die Deutschen aufzuweisen haben, diese neben jenen herabzusetzen wagt. Die Zukunft wird auch über diese richten.‹ Der treffliche Lesimple, welcher diese Stelle einmal zitiert, fügt die Worte hinzu: ›Die Zukunft hat allerdings gerichtet, aber nicht im Sinne Schumanns!‹ Wie verschieden man zitieren kann, möge ein aufmerksamer Leser dem seinerzeit vielverbreiteten Buche des Herrn E. Hanslick über die ›mo derne Oper‹ S. 262 entnehmen. Dieser führte ebenfalls die briefliche Äußerung Schumanns, gewiß nicht zu dessen Ehre, in voller Ausführlichkeit an: als er aber an den provozierenden Schlußsatz von der ›Zukunft‹ kam, ward er bedenklich und – unterdrückte ihn stillschweigend! Offenbar verdienten es die Liebhaber seiner (unter großherzoglichem Protektorat in Buchform gesammelten) Rezensionen nicht besser. Ihm selber freilich konnte man es nicht verdenken, daß er mit der ›Zukunft‹ nicht gern etwas zu tun haben mochte!


33 So lesen wir in einer H. Franckschen Korrespondenz für die Augsburger Allgemeine, die das Datum des 18. Oktober 1845 (also des Vorabendes der ersten ›Tannhäuser‹-Vorstellung) trägt: ›Die Hoffnung, Schwind, welcher bei seinem Besuch hier ausgezeichnet aufgenommen worden, an die hiesige Akademie berufen zu sehen, war bereits infolge des von derselben abgegebenen Votums in unbestimmte Ferne geschoben, ist nun aber wieder näher gerückt, nachdem eine zahlreich unterstützte Bitte um Berufung dieses Künstlers an den König überbracht worden.‹ Bekanntlich wurde Schwind in seiner späteren Münchener Epoche durch seine Freundschaft für Franz Lachner einer der gehässigsten persönlichen Gegner Wagners und seines gesamten Wirkens, und fand ein besonderes Wohlgefallen daran, seine erbitterte Geringschätzung recht offen zur Schau zu tragen.


34 Die äußere Möglichkeit einer gelegentlichen, oder nach den Umständen regelmäßigeren Teilnahme an solchem anregenden Verkehr hatte sich Wagner u.a. auch durch die endlich (am 14. Nov. 1845) erfolgte Niederlegung seines, vor drei Jahren übernommenen Amtes als erster ›Liedermeister‹ der Dresdener Liedertafel, mit ihren zeitraubenden Proben und Versammlungsabenden, gewonnen. ›Ich kann mir‹, heißt es in seinem auf diesen Rücktritt bezüglichen Schreiben, ›das Zeugnis geben, daß ich unverdrossen mich stets auf meinem Platze einfand, so oft es mir nicht durch unmittelbares Zusammentreffen mit meiner amtlichen Beschäftigung geradezu unmöglich gemacht war; damals fand sich aber die Liedertafel nicht ein, so daß ich mich eine Zeit fast regelmäßig genötigt sah, um die gerade anwesenden wenigen Mitglieder einigermaßen der Absicht ihres Zusammenkommens gemäß zu unterhalten, eine Art von Gesangsübung mit ihnen anzustellen, die weder erfreuen noch bilden konnte.‹ Den durch die seither eingetretene, auffallend gehobene Teilnahme gesteigerten Anforderungen vermöge er nicht länger zu entsprechen. Dagegen habe sich gegenwärtig Herr Musikdirektor: Hiller für dauernde Zeit ohne amtliche Anstellung in Dresden niedergelassen: er sei überzeugt, daß ›für das Wohl der Liedertafel gar kein glücklicheres Ereignis eintreten konnte‹. Mit dieser Empfehlung Ferdinand Hillers schied Wagner aus dem, ihm einigermaßen aufgedrängten Amte, worin nun der von ihm Empfohlene für längere Zeit, bis zu seinem Abgang aus Dresden, tatsächlich sein Nachfolger wurde.


35 Noch als Siebziger pflegte er mit den Freunden beim Glase immer nach Mitternacht erst recht lebendig zu werden und ging dann gewöhnlich erst einige Stunden danach nach Hause, um in aller Frühe doch schon wieder rüstig auf dem Platze zu sein. Vgl. Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts S. 170.


36 Ges. Schr. V, S. 21: ›Der Architekt, dessen bindender Obhut Maler und Bildhauer jetzt mit so eitlem Stolze fortfahren sich zu entziehen, ist der eigentliche Dichter der bildenden Kunst, mit dem sich Skulptor und Maler so zu berühren hätten, wie Musiker und Darsteller mit dem wirklichen Dichter.‹


37 Vgl. Ges. Schr. III, S. 260, IV, S. 133.


38 In der Züricher ›Eidgenössischen Zeitung‹ 1851, mit Beziehung auf die damals von Semper geplante Begründung eines deutschen Ateliers für Architekten und Ingenieure in London.


39 Vgl. Pecht, Deutsche Künstler, S. 118.


40 ›Von meinem Texte zu »Lohengrin« erklärte Schumann, er sei nicht als Oper zu komponieren, worin er mit dem Oberkapellmeister Taubert in Berlin auseinanderging, welcher späterhin, als auch meine Musik dazu beendigt und aufgeführt war, sich äußerte, er hätte Luft, den Text noch einmal für sich zu komponieren‹ (Ges. Schr. X, S. 222). Der Text zum ›fliegenden Holländer‹ ist bekanntlich in der Tat von dem Stettiner Theaterkapellmeister Ernst Leberecht Tschirch († 1854 in Berlin) allen Ernstes ›noch einmal komponiert‹ worden; zu seines Verfassers Glück aber ist dieser ›fliegende Holländer‹ nicht zur Aufführung gelangt, – sonst hätte sich wohl auch eine ›Didaskalia‹ gefunden ›die ihn, wie den Mangoldschen, Tannhäuser‹, als ein ›echt deutsches Werk in jeder Beziehung‹ gepriesen haben würde!


41 A. Meißner in einem Aufsatz der ›Gegenwart‹, 1882, Nr. 47 und 48 (›Dresden im Herbste 1846‹). Ähnlich in seinem zweibändigen Buche mit dem anspruchsvollen Titel ›Geschichte meines Lebens‹. ›An einem der folgenden Tage‹, heißt es darin ›sah ich Ferdinand Hiller eine Rolle (?) in der Hand halten. »Da hat Richard Wagner«, sagte er, »einen neuen Operntext« geschrieben und ihn mir zu lesen gegeben. Ein ganz vortreffliches, höchst effektvolles Libretto – wie schade, daß Wagner selbst es komponieren will! Seine musikalische Begabung reicht dazu nicht hin.In anderer Hand (etwa des Komponisten des »Traumes in der Christnacht«?) würde das eine ganz andere Wirkung haben‹ (A. Meißner, a. a. O. I, S. 174).


42 Vgl. die kurze Notiz in dem Briefe an Uhlig, S. 109: ›Der kritische Freund bei Lohengrin – Dr. Franck‹. Ferner: S. 179 Anm. des gegenw. Bandes.


43 Gesammelte Schriften IV, S. 366.


44 Ebendaselbst S. 359.


45 Briefe an Minna Wagner I, S. 33/35.


46 Vgl. Berl. Mus. Ztg. Nr. 50 vom 13. Dez. 1845: ›Richard Wagner, der Komponist des fliegenden Holländers, des Rienzi und des Tannhäuser, ist hier eingetroffen.‹ Nr. 51 v. 20. Dez. 1845. ›Richard Wagner ist nach zweitägigem (?) Aufenthalt wieder abgereist. Er hat die Zusicherung erhalten, daß sein Rienzi spätestens im Monat September zur Aufführung kommen wird. Im Laufe des Winters machen die Gastspiele des Frl. Lind und andere Zufälligkeiten die Aufführung einer seiner Opern unmöglich.‹


47 Es ist auf starkem Velinpapier gedruckt ›Original-Leinwandband mit Goldschnitt‹, wie es im Oesterleinschen Kataloge, Bd. III, Nr. 5568, lautet.


48 Offenbar war die große Erzählung des Tannhäuser im dritten Akte damit gemeint. Dresdener Rezensenten hatten die Oper für ›zu dramatisch‹, ein Kritiker der Leipziger III., Zeitung für ›zu lyrisch‹ erklärt. Wagners Schaffen gegenüber hat sich die größte Meinungsverschiedenheit deutscher Kritiker im einzelnen, stets zu abwehrendem Endergebnis geeinigt!


49 In den von Ferdinand Hiller nachmals herausgegebenen Briefen Moritz Hauptmanns findet sich in Anlaß der gleichen Konzertaufführung die Bemerkung über die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre: ›Sie ist ganz gräßlich, unbegreiflich ungeschickt, lang und langweilig für einen so gescheiten Menschen ... Er ist kein junger, unerfahrener Mensch mehr, und wer da noch solch ein Ding machen und stechen lassen kann, wie diese Ouvertüre, dessen Künstlerberuf scheint mir sehr wenig entschieden.‹ Aus diesem sonst unbegreiflichen Urteil eines immerhin für gescheit geltenden Menschen, wie der Kantor Hauptmann, muß allerdings der übelste Rückschluß auf die Art der Vorführung der Ouvertüre notwendig gezogen werden!


50 Zwei Jahre später weilt der junge Bülow im Fregeschen Hause und berichtet, wie die als Sängerin gefeierte Livia Frege (geb. Gerhardt) das ihr aus Tannhäuser Vorgespielte ›schlecht‹ oder ›verrückt‹ findet: ›Woldemar (Prof. Frege) fährt in der Regel zum Zimmer hinaus usw.‹


51 ›Wagners Tannhäuser führt ein Treibhausleben‹, sagt die Dresdener ›Abendzeitung‹, und die ›Neue Zeitschrift für Musik‹ erklärt den Erfolg der Oper trotz ihrer fortdauernden Wiederholungen dennoch für zweifelhaft: ›nur eine kleine Schar Auserwählter ist befähigt, alle die gepriesenen Schönheiten aufzufinden und zu genießen. Unter den neueren Opern hat »Stradella«(!) sich am meisten in der Gunst des Publikums erhalten, wie zwölf Vorstellungen beweisen.‹ Weiterhin heißt es: ›Mit lebhaftem Bedauern bemerkten wir, daß die herrliche Stimme unseres Tichatschek bedeutend an Wohlklang eingebüßt hat, was zunächst den schädlichen Einwirkungen der zu sehr angreifenden, stimmtötenden Partien des Rienzi und Tannhäuser zuzuschreiben sein dürfte.‹ (N. Z. s. M. 1846, I, Nr. 5.)

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 115-150.
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