V.

Die neunte Symphonie.

[150] Das alljährliche Palmsonntag-Konzert im großen Opernhause. – Auflehnung der Orchestervorsteher gegen die Wahl der IX. Symphonie. – Erwachendes Verständnis der Musiker während der Proben. – Umbau des Lokales für Chor und Orchester. – Generalprobe und Aufführung. – Einwirkung auf die jüngere Generation. – Gesamteindruck des Vorganges.


War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

die mir das inn're Toben stillen,

das arme Herz mit Freude füllen,

und mit geheimnisvollem Trieb

die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?

Faust.


›Für diesen Winter (1845–46) bestand mein Hauptunternehmen in einer äußerst sorgfältig vorbereiteten, im Frühjahr am Palmsonntage zustande gebrachten Aufführung der neunten Symphonie von Beethoven. Diese Aufführung brachte mir sonderbare Kämpfe und für meine ganze weitere Entwickelung sehr einflußreiche Erfahrungen ein.‹ Mit diesen einleitenden Worten eröffnet Wagner selbst den Bericht über die Aufführung der neunten Symphonie, dem wir uns in der folgenden Erzählung im wesentlichen anschließen.

Das sog. ›große Opernhaus‹ Dresdens, die Lokalität dieses denkwürdigen künstlerischen Vorganges, war zu jener Zeit, wenn auch keine architektonische Zierde der Stadt, so doch eines ihrer kolossalsten Gebäude. Im Jahre 1718 von August dem Starken erbaut, hatte es unter den sächsischen Königen von Polen die üppigsten Opernvorstellungen in seinen Räumen erlebt, in denen Aufzüge mit wilden Tieren aus der Kgl. Menagerie nichts Seltenes waren.1 [151] Seiner beibehaltenen Benennung entsprach es durch seine faktische Verwendung bereits seit d. J. 1769 nicht mehr: in einen Ballsaal verwandelt, diente es von nun ab bei großen Hoffesten. In dieser neuen Eigenschaft sah es z.B. die Festlichkeiten des Pillnitzer Kongresses, in Anlaß des ersten Besuches Napoleons usw., um dann mit der Zeit immer mehr und mehr zu veröden. Ein seltsamer Rokokobau – darin zwei große Säle, umgeben von engen Gängen und wenig Ausgängen, an welchen die Feuerspritzen aufgefahren waren; denn das Gebäude war höchst baufällig und feuergefährlich: hölzerne Wände mit alten Tapeten überkleidet. Zuletzt ward es fast nur noch zu den mehrerwähnten, am Palmsonntage stattfindenden Aufführungen gebraucht, welche die Kgl. Kapelle zum Besten ihrer Witwen und Waisen veranstaltete. Zwar drängte sich schon die Frage auf: ob wohl noch die alljährliche Aufführung darin rätlich sei? Aber die Musik klang nirgends so gut wie in der alten Baracke.2 In diesem jährlich wiederkehrenden Konzert ward alter Sitte gemäß ein Oratorium und eine Symphonie aufgeführt. in deren Leitung die beiden Kapellmeister wechselten. Das letzte Mal hatte Wagner Haydns ›Schöpfung‹, Reißiger Beethovens C moll-Symphonie vorgeführt; letzterem fiel also diesmal das Oratorium, Wagner die Symphonie zu. Eine große Sehnsucht erfaßte ihn zur neunten Symphonie. Für ihre Wahl unterstützte ihn der Umstand, daß dieses Werk in Dresden so gut wie unbekannt war. Hatten ihn seine Erfahrungen doch darüber belehrt, daß Beethovens letzte Werke in der sächsischen Residenz überhaupt noch geringe Pflege und Würdigung genossen. Von ausgezeichneten Virtuosen der Dresdener Kapelle, den weltberühmten Lipinski an der Spitze, hatte er die letzten Quartette des Meisters mit solcher Undeutlichkeit vortragen hören, daß sich Reißiger für berechtigt halten konnte, sie für reinen Unsinn zu erklären. Insbesondere aber war die neunte Symphonie für Künstler und Publikum ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch. Sie war bereits vor längerer Zeit (1838) in einem Armenkonzerte von seinem Kollegen zur Vorführung gebracht,3 aber mit aufrichtiger Zustimmung des Dirigenten vollkommen durchgefallen. Sie galt für wüst, formlos, unverständlich, ermüdend, das mißratene Produkt eines irrenden Genies.4 Robert Schumann wiederum hatte sich über die Leipziger Aufführung unter Mendelssohns Leitung beklagt. Dieser habe ihm, durch das zu schnelle Tempo namentlich des ersten Satzes, allen Genuß daran verdorben. Um so mehr trieb es Wagner, sich des verkannten Werkes anzunehmen und [152] ihm durch eine Aufführung, zu deren Vollkommenheit er weder Zeit noch Mühe sparen wollte, eines jener dauernden, weithin wirkenden Denkmäler zu setzen, zu deren Errichtung nur die vollkommene Hingabe des gleichempfindenden Genius fähig ist.

Aber erst im Verlaufe der Vorbereitungen des Unternehmens stellte sich klar heraus, welcher schier unüberwindliche Wall und Damm von Vorurteilen und anderweitigen Hindernissen nach allen Richtungen zu durchbrechen war. Bis in seine, ihm untergebene Kapelle hinein erstreckte sich der Widerspruch und die Auflehnung gegen das verrufene Werk. ›Ich erinnere mich noch genau‹, erzählt Gustav Kietz,5 ›wie aufgeregt damals Wagner über die Orchestermitglieder war, weil sie alle Hebel in Bewegung setzten, um ihn an der Ausführung seiner Absicht zu verhindern. Man sprach davon, bis an den König gehen zu wollen; die Vorführung der Symphonie, die vor acht Jahren unter Reißigers Leitung einen so kläglichen Schiff bruch erlitten, vertrüge sich nicht mit der Ehre der Kapelle usw. Alles hetzte und schürte dagegen; in einem Dresdener Blatt wurde offen gefragt, ob es nicht eine wahre Schande sei, an einem solchen Tage, wie dem Palmsonntag, eine solche Faschingmusik aufführen zu wollen?‹ Das Palmsonntagkonzert hatte zugleich den materiellen Zweck der Verstärkung des Pensionsfonds für die Mitglieder der Kapelle. Die Orchestervorsteher, welche die Konservierung und Mehrung dieses Fonds zu überwachen hatten, waren durch die getroffene Wahl dermaßen erschreckt, daß sie sich in einer besonderen Audienz an den Generaldirektor Herrn von Lüttichau wandten, um diesen zu ersuchen, er möchte den Kapellmeister kraft seiner höchsten Autorität von seinem unsinnigen Vorhaben abbringen: der Pensionsfonds würde darunter Schaden leiden; das Werk stehe hierorts im Verruf und werde das Publikum vom Besuche des Konzertes abhalten. Es bedurfte des ganzen Feuers und aller erdenklichen Beredtsamkeit Wagners, um die aus dieser Beschwerdeführung erwachsenen Bedenken seines Chefs zu überwinden. Mit den Orchestervorstehern konnte er nicht anders als sich zunächst vollständig zu überwerfen; doch vermochte er nicht zu hindern, daß sie die ganze Stadt mit Wehklagen über seinen Leichtsinn erfüllten. Um sie zugleich auch in ihrer Sorge zu beschämen, nahm er sich vor, das Publikum auf die Aufführung und das Werk in einer Weise vorzubereiten, daß wenigstens das erregte Aufsehen einen besonders starken Besuch herbeiführen und den für bedroht gehaltenen Kassenerfolg in günstiger Weise sichern sollte. Die neunte Symphonie ward ihm somit in jeder erdenklichen Hinsicht zur Ehrensache, zu deren Gelingen er all seine Kräfte anspannte.

Ein anderes Hindernis war ihm sogleich bei der allerersten Entwerfung und Besprechung des Konzertprogrammes aufgestoßen. Als er seinerseits die [153] Symphonie in Vorschlag brachte, erfuhr er durch Reißiger, daß dieser bereits dem Dessauer Kollegen Friedrich Schneider für dieselbe Gelegenheit eine Aufführung seines Oratoriums ›das Weltgericht‹ in Aussicht gestellt hätte. Nun war dieses Werk des würdigen Dessauer Kapellmeisters einerseits wenig dazu geeignet, mit der Beethovenschen Schöpfung in den Rahmen eines und desselben Konzertabends gedrängt zu werden; andererseits war dies bereits durch seine ungewöhnliche Zeitdauer praktisch ausgeschlossen, da das Schneidersche Oratorium durch seinen außerordentlichen Umfang volle dritthalb Stunden für sich allein in Anspruch nahm, und demnach unmöglich mit der Symphonie an einem Abend zur Ausführung gelangen konnte. Ließ sich das drohende ›Weltgericht‹ nicht auf schickliche Weise beseitigen, so war die Erfüllung seines enthusiastischen Wunsches schon durch Reißigers unglückliches Versprechen von Hause aus in Frage gestellt. Ferner bedurfte er für den Chor der neunten Symphonie einer starken Sängermasse; die Mitwirkung der (damals in Dresden für größere Aufgaben gut geübten) Dreyßigschen Singakademie war dazu unerläßlich. Diese stand aber seit langen Jahren (1830) unter dem Taktierszepter des Bruders des berühmten ›Weltgericht‹-Komponisten, des Organisten der evangelischen Hofkirche Johann Schneider. An ihn wendet sich daher Wagner bereits unterm 22. Januar mit vermittelnden Vorschlägen in einem längeren Schreiben: die Generaldirektion beabsichtige den Saal des großen Opernhauses durch zweckmäßigere Heizungsvorrichtungen usw. dergestalt disponibel zu machen, daß auch außer dem Palmsonntag größere Aufführungen veranstaltet werden könnten. Sie stelle daher für den Herbst eine solche große Aufführung in Aussicht, als deren Gegenstand alsdann lediglich das ›Weltgericht‹ angesehen werden solle;6 wogegen für jetzt nur ein kleines Oratorium, Beethovens ›Christus am Ölberg‹ ins Auge gefaßt sei, welches auch keine großen Studien nötig machen werde.

Die Unterhandlungen mit den verschiedenen Faktoren zogen sich gar sehr in die Länge. Das Komitee trug aus Sparsamkeit Bedenken gegen die Geldauslage für die Anschaffung der Orchesterstimmen: er beschloß demgemäß sie sich von der Leipziger Konzertgesellschaft leihweise zu verschaffen. Er hatte seine darauf bezügliche Bitte um eben die gleiche Zeit nach Leipzig gerichtet, als diese Konzertgesellschaft ihrerseits für jene denkwürdige Gewandhaus-Aufführung der ›Tannhäuser‹-Ouvertüre unter Mendelssohns Leitung (12. Februar 1846) die Stimmen der letzteren von Dresden aus sich erbeten hatte. Mit größter Präzision erhielt er wenige Tage danach, ohne irgendwelche darauf bezügliche Benachrichtigung, die Stimmen seiner Ouvertüre zurückgeliefert, [154] fand sich aber in seiner Hoffnung getäuscht, dem Pakete die bereits zugesagten Stimmen der neunten Symphonie beigelegt zu sehen. Sein an den Konzertmeister David adressiertes erneutes Ansuchen um die baldige Erfüllung des ihm gemachten Versprechens, in einem Briefe vom 18. Februar, ist in bezug auf das (ihm noch nicht näher dokumentierte) Schicksal seiner Ouvertüre im Leipziger Gewandhaus, das er bei diesem Anlaß doch nicht unerwähnt lassen konnte, ein Muster taktvoller Feinheit. ›Von Vieuxtemps7 erfuhr ich, wie sehr Sie es sich hatten angelegen sein lassen, meine schwierige Ouvertüre dem braven Leipziger Orchester recht schön einzustudieren; der Umstand, daß ich bis heute weder durch ein Mitglied meiner zahlreichen Verwandtschaft, noch sonst von irgend jemand auch nur die mindeste Notiz über diese Aufführung erhalten habe, läßt mich aber zu meinem aufrichtigen Bedauern schließen, daß Ihre aufopfernden Bemühungen sehr wahrscheinlich vor dem Publikum nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben. Ist dem so, wie ich beinahe nicht zu zweifeln vermag, und ist die Anerkennung des Publikums ausgeblieben, so werde ich der Einzige sein müssen, der Ihnen für Ihre gute Absicht und mühevollen Eifer zu Dank verpflichtet ist, weshalb ich Ihnen hiermit diese Zustimmung auf das verbindlichste bezeugt zu haben wünsche.‹ Von jenem, dem Meister seitens der Leipziger Clique so gern zur Last gelegten selbstüberhebungsvollen ›Hochmut‹ ist allerdings in diesen, unmittelbar ins gegnerische Lager gerichteten brieflichen Zeilen nicht das mindeste zu spüren. Inzwischen war drüben, wie wir sahen (S. 149), nach einmaliger Vorführung der Ouvertüre, über das ganze Werk in einer Weise der Stab gebrochen, die in rücksichtsloser Entschiedenheit und offenem Hohn seine Erwartung doch noch übertreffen mochte!8

Es waren Momente der weihevollsten Welt-Entrückung, die er inzwischen über dem erneuten Studium der Beethovenschen Symphonie verbrachte. ›Wie ward mir‹, so ruft er selbst im späteren Zurückdenken ›als ich, seit meinen frühesten Jünglings-Jahren, wo ich meine Nächte über der Abschrift dieser Partitur durchwachte, jetzt zum ersten Mal die geheimnisvollen Seiten derselben, deren Anblick mich einst in so mystische Schwärmerei versetzt hatte,9 mir wieder zu Gesicht brachte und nun sorgfältig durchstudierte! Wie in jener [155] unklaren Pariser Zeit die Anhörung einer Probe der drei ersten Sätze, durch das unvergleichliche Orchester des Conservatoires ausgeführt, mich plötzlich, über Jahre der entfremdendsten Verirrungen hinweg, mit jenen ersten Jugendzeiten in eine wunderbare Berührung gesetzt, und befruchtend für die neue Wendung meines inneren Strebens auf mich gewirkt hatte,10 so ward nun diese letzte Klangerinnerung geheimnisvoll mächtig in mir von neuem lebendig, als ich zum ersten Male wieder mit den Augen vor mir sah, was in jener allerersten Zeit ebenfalls nur mystisches Augenwerk für mich geblieben war. Nun hatte ich manches erlebt, was mich in meinem tiefsten Innern unausgesprochen zu einer ernsten Sammlung, zu einer fast verzweiflungsvollen Frage an mein Schicksal und meine Bestimmung trieb. Was ich mir nicht auszusprechen wagte, war die Erkenntnis der vollständigen Bodenlosigkeit meiner künstlerischen und bürgerlichen Existenz in einer Lebens- und Berufsrichtung, in welcher ich mich als Fremdling und durchaus aussichtslos ersehen mußte. Diese Verzweiflung, über die ich meine Freunde zu täuschen suchte, schlug nun dieser Symphonie gegenüber in helle Begeisterung aus Es ist nicht möglich, daß je das Werk eines Meisters mit solch verzückender Gewalt das Herz des Schülers einnahm, als wie das meinige vom ersten Satze dieser Symphonie erfaßt wurde. Wer mich vor der aufgeschlagenen Partitur, als ich sie durchging, um die Mittel ihrer Ausführung zu überlegen, überrascht, und mein tobendes Schluchzen und Weinen wahrgenommen hätte, würde allerdings verwunderungsvoll haben fragen können, ob dies das Benehmen eines Kgl. sächsischen Kapellmeisters sei? Glücklicherweise blieb ich bei solcher Gelegenheit von Besuchen unserer Orchestervorsteher und ihres würdevollen ersten Kapellmeisters, sowie sonstiger in klassischer Musik bewanderter Herren verschont‹

Die nächste Frucht dieser glutvoll heißen Versenkung war der Entwurf jenes, nachmals so weit verbreiteten, aus innerster Seelentiefe gedrungenen Programmes zur neunten Symphonie. Es kam ihm bei dessen Abfassung darauf an, einem Publikum ohne spezifische Musikkenntnis eine Anleitung zum gemütlichen Verständnis der Beethovenschen Schöpfung zu geben, mithin nicht so sehr auf die kritische Beurteilung, als auf das Gefühl der Zuhörer zu wirken. Einen passenden äußeren Anlaß dazu gab ihm das, nach Gewohnheit zu bestellende Textbuch zum Gesang der Chöre; gewisse innerlich beziehungsvolle Stellen aus Goethes ›Faust‹ leisteten ihm dabei für die Bezeichnung der Haupt- und Grundstimmungen eine wirksame Hilfe Außerdem hielt er es für zweckdienlich, durch allerhand anonyme, kurzbündige, enthusiastische Ergüsse mit Beziehung auf das vorzuführende Werk alles das wieder auszugleichen, was privater und öffentlicher Klatsch im voraus gesündigt [156] hatten, indem sie das Publikum durch Verbreitung irriger Anschauungen dagegen aufwiegelten, anstatt die in dieser Wahl bekundete Hintansetzung althergebrachter philisterhafter Vorurteile rühmlichst anzuerkennen. Hierfür bediente er sich – in umsichtig gewählten Zwischenräumen – des ›Dresdener Anzeigers‹, eines vielgelesenen spezifisch Dresdnischen Lokalblattes, in dessen Spalten gegen Entrichtung der Druckkosten jedermann aus dem Publikum, ohne wesentliche redaktionelle Einmischung, nach Belieben zu Worte kommen durfte, und dessen eigentümliche Wirksamkeit er bei verschiedenen Anlässen durch mannigfache gegen seine Person gerichtete Invektiven genugsam kennen gelernt hatte. Er wies darin zunächst auf die besondere Bedeutung des Werkes, als der Krone der Schöpfungen des Beethovenschen Geistes hin, zu welcher sich alle seine früheren Symphonien nur wie die ›Skizzen und Vorarbeiten‹ verhielten, durch welche es ihm eben nur möglich werden konnte, sich zur Konzeption dieses Werkes emporzuarbeiten.11 Dieses tiefsinnigste und riesenhafteste Werk des Meisters sei bisher noch in die Ferne eines geheimnisvollen, wunderbaren Rätsels entrückt geblieben, zu dessen erhebender Lösung es aber gewiß nur einer vollkommen geeigneten Gelegenheit und eines kräftigen, mutigen Sinnes für die erhabenste und edelste Richtung der Kunst bedürfe. ›O höret und staunet!‹ mit diesem Zuruf schließt die erste dieser Notizen.12 Ihr folgt dann, genau eine Woche später, eine zweite, gleichsam als Ankündigung des von ihm bereits dem Druck übergebenen Programmes: ›Würde es nicht gut sein, wenn – wenigstens versuchsweise – etwas geschähe, um auch dem größeren Publikum das Verständnis der letzten Symphonie Beethovens näher zu rücken?‹,13 und endlich, wenige Tage vor der Aufführung, in lebendiger, gleichsam parabolischer Erzählungsform (›Es war einmal ein Mann‹ usw.) das ergreifende Bild des weltentrückten Meisters selbst, den es in seiner gehörlosen Einsamkeit mit ungeheuerer Sehnsucht ergreift, drängt und treibt, der Welt und den Menschen wieder anzugehören: ›Wenn ihr ihm nun begegnet, dem armen Manne, der euch so verlangend anruft, wollt ihr ihm fremd ausweichen, wenn ihr zu eurer Verwunderung seine Sprache nicht sogleich ganz zu verstehen glauben solltet?‹14

[157] Was den künstlerischen Teil der Aufführung betraf, so hatte er einer ausdrucksvollen Wiedergabe durch das, mittelst einiger Militärkorps verstärkte Orchester des Hoftheaters, von Hause aus dadurch vorgearbeitet, daß er alles, was zur drastischen Deutlichkeit der Vortragsnüancen ihm nötig dünkte, unmittelbar in die Orchesterstimmen selbst mit aufzeichnete. Während der Proben, die er sämtlich auswendig leitete, da er die Partitur Note für Note im Kopfe hatte, ließ er es sich noch mehr angelegen sein, daß nichts anscheinend schwer Verständliches so zum Vortrag kam, daß es nicht in bestimmender Weise das Gefühl erfaßte. Der junge Kietz, bei allen Gesamtproben mit anwesend, wußte bis in sein Alter von den daraus gewonnenen Eindrücken zu berichten. Er pflegte mit einigen seiner Freunde und Studiengenossen dem Meister außen auf der Straße aufzulauern, um dann zu dessen eigener Freude mit ihm in den dunkeln Raum hineinzuhuschen. ›Es machte auf mich einen unvergeßlichen Eindruck, schon in der ersten Probe und in allen darauf folgenden zu beobachten, wie Wagner an sein Pult trat, die große Partitur zumachte und unter seinen Sitz legte, und nun anfing, das unbegreifliche Riesenwerk aus dem Kopfe zu dirigieren und einzustudieren. Und auf welche unglaubliche Hindernisse stieß er dabei!‹ Alle Widersprüche und Gegensätze, die ihm vom ersten Beginn seiner Amtstätigkeit von seiten eines zünftigen Musikertums, selbst in den Reihen seiner Kapelle je entgegengetreten und durch energisches Durchgreifen in ihr Gegenteil verkehrt, zu enthusiastischer Bewunderung umgewandelt waren, schienen wieder aufzuleben, ja bei diesem Anlaß ihren Höhepunkt zu erreichen. Das Mißtrauen gegen das ›verrufene‹ Werk übertrug sich bis zu völligem Irrewerden auf den Dirigenten, der wieder einmal unter seinen eigenen Musikern mit Heftigkeit als ›Dilettant‹ in der Musik bezeichnet wurde. ›Nur mit Widerwillen‹, berichtet Kietz ›wurden seine Korrekturen aufgenommen. Wie oft hörte ich die Herren während der ersten Probe nach dem Abklopfen entrüstet antworten: »Bei uns steht aber nicht des, sondern d.« Wagner sagte dann bestimmt: »So korrigieren Sie's, es ist falsch; es muß des heißen«, und murrend folgte man seiner Anweisung. [158] Unter anderem erforderten die Holzbläser seine ganze Aufmerksamkeit. Der Schwiegersohn des damals bekannten vorzüglichen Hoboisten Kummer, der Violinist Hüllweck, erzählte mir später, sein Schwiegervater habe ihm selbst einst gebeichtet, wie er bei jeder Korrektur Wagners wütend seinem Nachbar zugeflüstert habe: »wenn der Kerl nur was davon verstünde!« – bis ihm dann im weiteren Verlaufe nach und nach klar geworden sei, um was es sich in Wahrheit handele. Nach solchen Proben kam der Meister stets ganz erschöpft und in Schweiß gebadet nach Hause, mußte sich vollständig umkleiden und hatte während des Essens seine seidene Mütze bis über die Ohren gezogen, um seinen nassen Kopf vor Erkältung zu schützen. Glücklicherweise hatte er vom alten Opernhause bis zu seiner Wohnung in der Ostra-Allee nur wenige Schritte. Eines Mittags sprach er gegen seine Frau davon, daß es ihn ganz besonders betrübe, auch Lipinski von dem allgemeinen Widerwillen mit angesteckt zu sehen. Um so größer war freilich seine Freude und Genugtuung, als er einige Zeit darauf von der Wendung berichtete, die im Verlauf der Proben in Lipinskis Gesinnung bemerkbar würde, und wie dieser nun jede kleine Pause dazu benütze, ihm begeistert zuzunicken.‹ In welcher Weise er für die Deutlichkeit der Ausführung sorgte, bezeichnet er später selbst mit dem Hinweis auf jene Stelle des zweiten Satzes, in welcher die sämtlichen Streichinstrumente im Unisono in verdreifachter Oktave die rhythmische Hauptfigur spielen, gewissermaßen als Begleitung zu dem, von den schwachen Holzblasinstrumenten vorgetragenen zweiten Thema. Da im ganzen Orchester gleichmäßig fortissimo vorgezeichnet war, so ergab sich hieraus, daß die Melodie der Holzblasinstrumente gegen die immerhin nur begleitenden Streicher vollständig verschwand und so gut wie gar nicht zu hören war. ›Da mich nun keinerlei Buchstaben-Pietät vermögen konnte, die vom Meister in Wahrheit beabsichtigte Wirkung der gegebenen irrigen Bezeichnung aufzuopfern, so ließ ich hier die Streichinstrumente bis dahin, wo sie wieder abwechselnd mit den Blasinstrumenten die Fortführung des neuen Themas aufnehmen, statt im wirklichen Fortissimo, mit nur angedeuteter Stärke spielen: das von den verdoppelten Blasinstrumenten dagegen mit möglichster Kraft vorgetragene Motiv war nun, wie ich glaube – zum erstenmal seit dem Vorhandensein dieser Symphonie, mit bestimmender Deutlichkeit zu hören.‹ In ähnlicher Weise verfuhr er durchgehends, um sich der größten Bestimmtheit der dynamischen Wirkung des Orchesters zu versichern. Eine große Aufmerksamkeit widmete er ferner der so ungewöhnlichen rezitativartigen Stelle der Violoncelle und Kontrabässe im Beginn des letzten Satzes, welche einst in Leipzig seinem alten Freunde August Pohlenz so große Demütigungen eingetragen hatte. Bei der Vorzüglichkeit der damaligen Dresdener Kontrabassisten konnte er sich wohl dazu bestimmt fühlen, auf die äußerste Vollendung hierbei auszugehen. Es gelang ihm in zwölf Spezialproben, die er ausschließlich mit den [159] betreffenden Instrumenten hielt, zu einem fast ganz wie frei sich ausnehmenden Vortrage derselben zu gelangen, und sowohl die gefühlvollste Zartheit, als die größte Energie zum ergreifendsten Ausdruck zu bringen. Viel Kopfzerbrechens hatte von je das Fugato im 6/8 Takt nach dem Chorverse: ›Froh wie seine Sonnen fliegen‹, in dem ›alla Marcia‹ bezeichneten Satze des Finales ge macht. Indem er sich auf die vorangehenden ermutigenden, wie auf Kampf und Sieg vorbereitenden Strophen bezog, faßte er dieses Fugato wirklich als ein ernst-freudiges Kampfspiel auf und ließ es anhaltend in äußerst feurigem Tempo und mit angespanntester Kraft spielen.

Auch der Gesangschor hatte große Schwierigkeiten zu überwinden. ›Vom Beginne meines Unternehmens an hatte ich sogleich erkannt, daß die Möglichkeit einer hinreißend populären Wirkung dieser Symphonie darauf beruhe, daß die Überwindung der außerordentlichen Schwierigkeiten des Vortrages der Chöre in idealem Sinne gelingen müsse.‹ Hier waren Anforderungen gestellt, welche nur durch eine große und enthusiasmierte Masse von Sängern erfüllt werden konnten. Zunächst galt es daher, sich eines vorzüglich starken Chores zu versichern. Außer der gewöhnlichen Verstärkung des Theaterchores durch die etwas weichliche Dreyßigsche Singakademie (sonst unter Leitung Joh. Schneiders, S. 154) zog er, mit Überwindung umständlicher Schwierigkeiten, den Sängerchor der Kreuzschule mit seinen tüchtigen Knabenstimmen, sowie den ebenfalls für kirchlichen Gesang gutgeübten Chor des Dresdener Seminariums herbei. Diese, zu zahlreichen Übungen oft vereinigten dreihundert Sänger suchte er nun auf die ihm besonders eigentümliche Weise in wahre Ekstase zu versetzen. Es gelang ihm z.B. den Bassisten zu beweisen, daß die berühmte Stelle: ›Seid umschlungen, Millionen‹, und namentlich das: ›Brüder, über'm Sternenzelt muß ein guter Vater wohnen‹ auf gewöhnliche Weise gar nicht zu singen sei, sondern nur in höchster Entzückung gleichsam ausgerufen werden könne. Nicht immer fand er sofortige Willigkeit; als er an der ersten Stelle, im Andante Maestoso (3/2) des letzten Satzes:


5. Die neunte Symphonie

von dem genannten sehr stark besetzten Männerchor verlangte, es solle das obere e nicht fest (›auf den Kopf‹) angesetzt, sondern durch ein kräftiges Portament auf die obere Note losgegangen werden, zeigte sich von allen Seiten sprachloses Erstaunen, dann Weigerungen: ›das sei unmöglich, ein solches Verlangen könne nicht gestellt werden‹. Aber er ließ sich nicht irre machen, sondern bestand auf seiner Forderung. Bei den ersten Versuchen kamen sonderbare[160] Klänge zum Vorschein. Einige der Sänger glaubten sich zu absichtlich recht schlechter Ausführung des Portamentes verpflichtet, um den Dirigenten von der Unmöglichkeit desselben zu überzeugen. Bei fortgesetzten Versuchen aber wurde es besser und besser, und schließlich ward dadurch, eine ganz kolossale Wirkung erzielt, deren sich noch heute jeder lebhaft erinnert, der das Glück hatte ›der damaligen Aufführung beizuwohnen‹.15 Freilich ging er in solchen Fällen mit einer Ekstase voran, durch die er alles in einen ungewohnten Zustand versetzte, und ließ nicht eher ab, bis er sich selbst, den man zuvor durch alle Stimmen hindurch gehört hatte, nun nicht mehr vernahm, sondern ›wie in dem warmen Tonmeere sich ertränkt fühlte‹.

Charakteristisch für die umständliche Sorgfalt der Vorbereitungen nach allen Richtungen hin ist die Tatsache, daß die offiziellen Einladungen an die solistisch mitwirkenden Sänger bereits drei volle Wochen vor der Aufführung ergingen, wie aus einem Briefchen des Meisters vom 12. März an Frau Kriete, geb. Wüst, ersichtlich ist. ›Werteste Freundin‹, schreibt er an sie, ›indem ich noch der besonders an Sie zu richtenden Einladung der Kapelle zur freundlichen Mitwirkung für das Palmsonntag-Konzert vorgreife, erlaube ich mir, wie immer,16 die Solostimme zur Beethovenschen Symphonie zu überschicken, damit mein Herz Ruhe hat. Die Partie zu »Christus am Elbberg«17 wird Ihnen Reißiger hoffentlich auch zusenden; er kann es ja am besten, denn er wohnt dort.‹ Die Tenorpartie war in Tichatscheks, die Baßpartie in Mitterwurzers Händen. ›Große Freude machte es mir‹, sagt Wagner noch in später Rückerinnerung an diese gemeinsamen Studien ›das Rezitativ des Barytonisten: »Freunde, nicht diese Töne«, welches seiner seltsamen Schwierigkeiten wegen wohl fast unmöglich vorzutragen zu nennen ist, durch Mitterwurzer, auf dem uns bereits innig bekannt gewordenen Wege der gegenseitigen Mitteilung, zu hinreißendem Ausdrucke zu bringen.‹18 Dies alles war nur durch ernste Arbeit und unzählige Wiederholungen ausführbar.

[161] Er trug aber auch Sorge, durch einen gänzlichen Umbau des Lokales sich einer guten Klangwirkung des, nach einem ganz neuen System von ihm aufgestellten Orchesters zu versichern. Die bisherige Aufstellung dieses Instrumentalkörpers im alten Opernhause war von einer, allen Regeln für die Anordnung eines solchen geradezu hohnsprechenden Unvollkommenheit: zwei Reihen tief in einem weiten Halbkreis von sechzig Fuß im Durchmesser um den Dirigenten placiert, die Geigen in langgestreckter Reihe längs den Logen sich hinziehend, die auf der entgegengesetzten Seite befindlichen Blasinstrumente ganz von den Saiteninstrumenten getrennt, war ein präzises Zusammenspiel nur mit höchster Mühe und unter der Einwirkung peinlichster Ängstlichkeit zu erzielen gewesen. Um die Kosten zu sparen, war seit Jahren immer nur hier und da etwas gestickt und geflickt, der Raum für den Chor nach vorn etwas vergrößert und terrassiert worden, die Aufstellung des Orchesters aber noch nicht grundsätzlich geändert. Nun hatte sich Wagner behufs eines gründlichen Umbaues nach seinen Angaben mit dem Maschinenmeister Hänel in Verbindung gesetzt und bereits unterm 4. März den sorgfältig ausgeführten Plan und Grundriß einer der Lokalität angemessenen neuen Aufstellung von Chor und Orchester der Generaldirektion eingereicht. Der komplizierte, nach den besonderen Erfordernissen der Stellung verschiedenartig geregelte Erhöhungen in sich schließende, neue Aufbau gab dem Orchester eine Steigung bis zu neun Fuß Höhe; der Gesangschor, auf amphitheatralischen Erhöhungen noch bis über das Orchester sich erhebend, versprach zugleich einen imposanten Anblick, während er von allen Seiten her dem Dirigenten zugewendet, überall sehr kräftig und deutlich gehört werden konnte. Da die Angelegenheit eilig war und er bereits die Erfahrung gemacht hatte, daß seine mit Reißiger gemeinsam unternommenen Schritte gewöhnlich an einer gewissen Langsamkeit litten, ließ er es für den Zweck seiner Eingabe an dem Einverständnis Lipinskis genügen, und fügte bloß die Bitte hinzu, seinem Kollegen, mit dem er bereits gesprächsweise über den Gegenstand verhandelt, den Plan zur nachträglichen Begutachtung vorzulegen.19 Die nach Hänels Voranschlag bis an 200 Rtlr. sich belaufenden Kosten für den Umbau waren nur unter besonderen Schwierigkeiten zu erwirken. Dem Bestande des Pensionsfonds, über den so viele Klagen erhoben wurden, durften sie nicht zugemutet werden, und es blieb nur übrig eine besondere Unterstützung des Königs dafür in Anspruch zu nehmen. In seinem Eifer für die Sache ›für die er selbst, wenn er nur etwas reicher wäre, als es leider der Fall sei, mit Freudigkeit ein [162] Opfer bringen würde‹, und unter dem Hinweis, daß die Kapelle in Zukunft ›öfters Gelegenheit erhalten dürfte, sich in derartigen Aufführungen um den Beifall Sr. Majestät zu bewerben‹, gelang es Wagner, die Summe bewilligt zu erhalten, und eiligst machten sich nun die Zimmerer an die Arbeit. Er erreichte durch die vollständig neue Konstruktion des Podiums, daß das Orchester ganz nach der Mitte zu konzentriert werden konnte, während es der zahlreiche Sängerchor, ringsum terrassenförmig aufsteigend, amphitheatralisch auf stark erhöhten Sitzen umgab. Die Änderung war für die mächtige Wirkung der Chöre von außergewöhnlichem Vorteil, während sie in den rein symphonischen Sätzen dem sein gegliederten Instrumentalkörper große Präzision und Energie verlieh.

Schon zur Generalprobe war der Saal überfüllt; von vielen Seiten wurden ihm enthusiastische Versicherungen der Freude über das Gelingen des großen Unternehmens zuteil, an dessen hinreißendem Erfolge nun niemand mehr zweifeln konnte. ›Mein Kollege Reißiger beging hierbei die unglaubliche Torheit, beim Publikum völlig gegen die Symphonie zu intriguieren und auf das Bedauerliche der Verirrung Beethovens aufmerksam zu machen; wogegen Herr Niels Gade, welcher von Leipzig aus, wo er damals die Gewandhaus-Konzerte dirigierte, uns besuchte, mir nach der Generalprobe u.a. versicherte, er hätte gern zweimal den Eintrittspreis bezahlt, um das Rezitativ der Bässe noch einmal zu hören. Herr Hiller fand, daß ich in der Modifizierung des Tempos zu weit gegangen sei; wie er dies verstand, erfuhr ich später durch seine eigene Leitung geistvoller Orchesterwerke. Ganz unbestreitbar war aber der allgemeine Erfolg über jede Erwartung groß, und dieses namentlich auch bei Nichtmusikern: unter diesen entsinne ich mich des Philologen Dr. Köchly,20 welcher bei dieser Gelegenheit sich mir näherte, um mir zu bekennen, daß er jetzt zum ersten Male einem symphonischen Werke von Anfang bis zum Ende mit verständnisvoller Teilnahme habe folgen können.‹

[163] Die Aufführung selbst ging am Palmsonntag, den 5 April unter allgemeinem ungeteilten Interesse der gesamten gebildeten Bevölkerung Dresdens vor sich, so daß auch die für bedroht gehaltene Einnahme, trotz aller unvermeidlichen Mehrkosten, die Summe von 2000 Taler weit überstieg, hinter welcher selbst die höchsten bisherigen noch um einige hundert Taler zurückgeblieben waren. Sie begann mit Beethovens Oratorium ›Christus am Ölberg‹ unter Reißigers Führung; ihr folgte die allseitig mit Spannung erwartete Symphonie. Auch nach der Aufführung kamen Wagner von allen Seiten her erfreuliche Zeugnisse für ihre außerordentliche Wirkung zu. So hatte er am Tage darauf die Genugtuung, den Musikdirektor A. F. Anacker aus Freiberg im sächsischen Erzgebirge bei sich zu empfangen, der sich durch seine dortigen Abonnements-Konzerte einen Namen geschaffen. Dieser kam, um ihm reuig zu melden, daß er bisher einer seiner Antagonisten gewesen, seit dieser Aufführung aber sich zu seinen unbedingten Freunden zähle Was ihn, wie er sagte, gänzlich überwältigt habe, sei die Auffassung und Wiedergebung jenes Fugato ›alla Marcia‹ gewesen. Freilich waren nicht alle Gegner so leicht zu bekehren, besonders nicht die professionellen von der Feder. Während die Leipziger ›Deutsche Allg. Zeitung‹ des geglückten Wagnisses mit gebührender Anerkennung gedachte, fand die Dresdener Lokalkritik seine Bemühungen um die letzte Symphonie Beethovens – ›ebenso anmaßend als überflüssig‹!21 Je höher die Wogen einmütiger Begeisterung der Hörer gegangen waren, desto tiefer fühlte sich der Neid und Haß geschworener Gegner bis in das Innerste verletzt. In einem hämischen Artikel der ›Abendzeitung‹ suchte z.B. Schladebach, als einer der Unversöhnlichen, wenn er gleich nicht leugnen konnte, daß die Wiedergabe eine in allen Schattierungen vollendete, der Eindruck auf das Publikum der günstigste gewesen sei, das Verdienst Wagners um das Gelingen nach Kräften zu schmälern.22 In seinem Berichte für die ›Neue Zeitschrift für Musik‹ fügt er seiner erzwungenen ›größten Anerkennung für das Einstudieren der Symphonie‹ wenigstens den vorwitzigen Rat an den Dirigenten hinzu, sich ›bei den Aufführungen größerer Ruhe zu befleißigen und das störende Markieren des Taktes mit dem Fuße zu lassen‹. Am seltsamsten aber nimmt sich in einem anderen Dresdener Lokalblatt (dem mehrgenannten ›Anzeiger‹, mit seiner ›detestablen Rubrik‹) die [164] gleichsam vorausgreifende dunkle denunziatorische Warnung vor dem revolutionär aufregenden Charakter der Beethovenschen Symphonie aus, in Verbindung mit einem anonymen Angriff auf Wagner – je unverständlicher, desto vieldeutiger!23 Insofern eine solche Notiz dem Meister überhaupt zu Gesichte kam, durfte es ihn nur etwa wundern, wie die Ängstlichkeit des Dresdener Philisters hier so unvermutet in seinem eigenen damaligen Sinne das Rechte getroffen hatte. ›Ich bin begierig‹, schreibt er wenige Jahre später an Uhlig ›ob man uns einmal gänzlich auch bis auf das Gebiet der Kunst verfolgen werde, um dort alle neuerungssüchtigen Ideen zu verbieten: in der Tat haben sie uns da einen heillosen Spielraum gelassen, von dem sie doch wohl auch einmal begreifen werden, wie gefährlich er für sie gebraucht werden kann. Ich hätte fast einmal Lust, diese Gefahr ihnen zu denunzieren, um sie zu zwingen, auch die Kunst unter polizeiliche Aufsicht zu stellen: ich bin überzeugt, man brächte sie dahin, die Literatur für das Ungefährlichste zu halten.‹

Nicht allein den Dank der gleichzeitigen Generation aber hatte er sich durch eine solche Aufführung erworben; auch für die damals heranreifende war sie von eingreifender Bedeutung, wie ja auch die Vorführungen seiner eigenen Werke und der Meisterschöpfungen Glucks so manchen Keim zu künftigem Aufgehen gelegt hatten. Zu den Teilnehmern an dem Konzerte gehörten u.a. die nachmals ihm enthusiastisch nahegetretenen, damals noch ganz jugendlichen Brüder Karl und Alexander Ritt er, die mit dem Alters-und Schulgenossen Hans von Bülow jedesmal begeistert die Mütze zu ziehen pflegten, wenn sie an dem Hause in der Ostra-Allee vorübergingen. Bülows eigene Erinnerungen an die frühesten, von Wagners Kunst und Persönlichkeit empfangenen, bestimmenden Eindrücke reichen bis in die Zeit der ersten ›Rien zi‹-Aufführung zurück. Als der Sohn des bekannten Ticeklauers, geistvollen Übersetzers und Schriftstellers Eduard von Bülow, lebte er seit seinem zwölften Jahre im Elternhause zu Dresden, besuchte hier das Gymnasium und zeichnete sich durch rasches Erfassen und sprudelnde Begabung aus. Seine gleichzeitig mit leidenschaftlichem Eifer betriebenen musikalischen Studien wurden von den Eltern eher unterdrückt als begünstigt. Dreizehnjährig, wohnte er der ersten Aufführung des ›Rienzi‹ unter Umständen bei, die ihm zeitlebens unvergeßlich blieben. Öfters auf dem Wege zur Schule war dem Knaben die [165] mit kurzen, raschen Schritten an ihm vorübereilende Gestalt des Meisters aufgefallen, die ihn frappierte, ohne daß er wußte, wer er sei. Wer kannte damals, vor dem ›Rienzi‹, in Dresden des Künstlers Persönlichkeit? Mit fieberhafter Erregung saß er im Theater: dieses Werk, diese Musik offenbarte ihm eine neue Welt. Er entsann sich des merkwürdigen, nie mehr in seinem Leben sich wiederholenden Phänomens, daß er von den ungewohnten Klängen und Erregungen vollständig taub gemacht wurde, so daß er einen ganzen Akt hindurch (den dritten oder den vierten?) nicht einen Ton in sich aufzunehmen imstande war und erst nach der Pause aus seiner Betäubung erwachte. Mit tobendem Jubel wurde der Schöpfer des Werkes immer wieder und wieder gerufen: er erschien seitwärts auf der Bühne, verneigte sich mit ernster Bescheidenheit; er war in hellbrauner Kleidung, die schmalen Züge von auffallender Blässe bedeckt: – mit Ehrfurcht erkannte der jugendliche Zuhörer in dieser Erscheinung eben die Gestalt, die ihm von seinen morgenlichen Schulgängen her vertraut war. Schluchzend wurde er sich nur des einen Gefühles bewußt: ›sich diesem Manne unter die Füße zu werfen‹.24 Seitdem waren drei Jahre verflossen; zu dem wiederholten Eindrucke des ›Rienzi‹ war der überwältigende des ›Tannhäuser‹ gekommen; als sich nun, eben um diese Zeit, sein Schicksal dahin entschied, daß er mit seinem Vater nach Stuttgart übersiedeln sollte, war es ihm nicht möglich, Dresden zu verlassen, ohne zuvor die persönliche Bekanntschaft des Meisters gemacht zu haben. Doch kam es erst im Laufe des Sommers zu der sehnlich gewünschten Annäherung. – Ein anderer künftiger teurer Kunstgenosse des Meisters kam um dieselbe Zeit als Knabe nach Dresden, da Bülow es verließ. Es war der damals zehnjährige Ludwig Schnorr von Carolsfeld, dessen Vater, der berühmte Maler, soeben als Direktor der Dresdener Kunstakademie in die sächsische Residenz berufen worden war.25 Lange Jahre sollten vergehen, bevor die erste persönliche Berührung Ludwig Schnorrs mit dem ihm später so innig befreundeten Meister erfolgte; doch mochte sein früher Aufenthalt am derzeitigen Wohnorte Wagners auf den früh entwickelten Hochbegabten nicht ohne nachhaltigen Einfluß geblieben sein.

Der Gesamteindruck der unter so schweren Hindernissen und Anfechtungen glücklich ermöglichten Aufführung auf den Urheber des Unternehmens selbst war in jeder Hinsicht ein erhebender und ermutigender. ›In mir bestärkte sich bei dieser Gelegenheit das wohltuende Gefühl der Fähigkeit und Kraft, das, [166] was ich ernstlich wollte, mit glücklichem Gelingen durchzuführen.‹ Natürlich trugen die Herren Orchestervorsteher, so viel Schwierigkeiten sie zuvor dem Meister bereitet, in den nächsten Jahren für Wiederholungen Sorge. Durch den unbezweifelbaren Erfolg waren alle Vorurteile beseitigt, alle Bedenken widerlegt. Wagner dirigierte das Werk im Laufe seines Dresdener Aufenthaltes noch zweimal, 1847 und 1849. Dann kamen die Wirren der Revolution. Er verließ die Stätte seiner Tätigkeit, und die neunte Symphonie ruhte volle neun Jahre, bis sie Kapellmeister Krebs am Palmsonntag 1858 aufs neue zur Aufführung brachte. In einem Dresdener Bericht aus jener Zeit heißt es: ›Wem träte hiesigen Ortes bei Nennung dieses Riesenwerkes nicht Richard Wagners Bild vor die Seele? Das erste Mal war es am 5. April 1846, das letzte Mal am 1. April 1849, als uns sein Genius Beethovens große Schöpfung offenbarte. Unvergeßlich ist der Eindruck jedem geblieben!‹26 Der ganz ungeniale Krebs wäre der Aufgabe nicht gewachsen gewesen, um so weniger, als die Musiker des Orchesters den Vortrag des gewaltigen Werkes unter Wagner noch in der Erinnerung bewahrten und sich seinen abweichenden Anforderungen widersetzten. Es kam soweit, daß der Konzertmeister Schubert offen erklärte, seine Herren Kollegen möchten nur auf seine Tempi achten; er habe die Wagnerschen noch treu im Gedächtnis und werde sie zur Aufführung angeben. Unzweifelhaft hat Beethovens gewaltige letzte Symphonie erst durch ihre Dresdener Aufführung zum ersten Male wirkliches Leben gewonnen; von hier aus datierte ein tieferes Verständnis des bis dahin verschrienen Werkes, und es ist bezeichnend, daß keine hervorragendere Aufführung desselben in Deutschland stattgefunden hat, ohne daß nicht wenigstens das damals abgefaßte Programm Richard Wagners den jedesmaligen Hörern den Weg zum Verständnis geebnet hätte.

Fußnoten

1 So heißt es in den ›Dreßdnischen Denckwürdigkeiten‹ von der Aufführung der Oper ›Ezio‹ am 20. Januar 1755: ›Dieß schöne Schauspiel wird sich vor allen andern sehen lassen, so allhier aufgeführt worden, weiln im ersten Aktu ein Aufzug von Cavallerie und Infanterie, ein Triumphwagen, Kameel, Trampel- und Maulthiere, auch Wildenthiere sammt vielen der schönsten Reut- und Schulpferde und in die 500 Personen dabei auf dem Theater erscheinen werden‹ usw.


2 Luise Otto, Musikalische Erinnerungen (Deutsche Revue 1886, I, S. 231).


3 Am 27. August 1838 im Palais des großen Gartens, am 7. Nov. im Hoftheater wiederholt.


4 Mendelssohns Urteil darüber: ›Sie macht mir kein Plaisir‹ (A. B. Marx, Erinnerungen aus meinem Leben, Band II, S. 135).


5 Fernere Einzelheiten bei G. Kietz ›Richard Wagner, Erinnerungen‹ (Dresden 1905) S. 46 ff.


6 Die Aufführung kam unter den oben bezeichneten Umständen am 7. November 1846 wirklich zustande, unter persönlicher Leitung des Komponisten, aber vor einem ›entsetzlich leeren Saale‹. Wir kommen auf diese Vorführung weiterhin noch zurück (S. 191).


7 Henri Vieuxtemps, Wagners alter Pariser Bekannter und Freund, gab eben damals, von Leipzig kommend, am 16. und 20. Februar zwei Konzerte im Kgl. Hoftheater, bei denen Wagner die Leitung des Orchesters hatte.


8 Nach einem Briefe Wagners an den Kgl. preußischen Kapellmeister Taubert in Berlin, vom 26. April 1846 (im Privatbesitz des Herrn Landrichters Warnecke, Posen) macht es schließlich den Eindruck, als habe er die erbetenen Stimmen der neunten Symphonie von Leipzig aus trotz wiederholter Bewerbung überhaupt gar nicht erhalten, sondern sie von Berlin aus entlehnen müssen, wohin er sie tatsächlich unter dem genannten Datum an seinen Berliner Kollegen dankend zurücksendet.


9 Band I des vorliegenden Werkes, S. 117. 131.


10 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 354/55.


11 Vgl. die Durchführung dieses Gedankens auf Grund einer, mit den Jahren noch vertieften Einsicht in das Wesen des Beethovenschen Schaffens in der ›Beethoven‹-Schrift v. J. 1870 (Ges. Schr. IX, S. 119–24).


12 ›Dresdener Anzeiger‹ 1846, Nr. 83, Dienstag den 24. März, Beilage.


13 Ebenda Nr. 90, Dienstag den 31. März, 1. Beilage.


14 Ebenda Nr. 92, Donnerstag den 2. April, Beilage. Alle drei Notizen vollständig im Anhange des gegenwärtigen Bandes. Von wem diese enthusiastisch genialen Ergüsse in Wahrheit herrührten, darüber konnte am Ende für jeden, der sie beachtete, trotz ihrer Anonymität bei einiger Einsicht kein Zweifel sein; dieser Umstand und der andere, nicht minder ersichtliche, daß sie trotzdem, oder gerade deshalb, ihre Wirkung nicht verfehlten, versetzte den Lokalkritiker Schladebach in eine solche Wut, daß er ihrer noch nach der Aufführung mit hämisch denunzierendem Spott gedachte: ›Ob zu dem sehr günstigen Resultat die wahrhaft marktschreierischen anonymen Empfehlungen und Aufforderungen, welche der »Dresdener Anzeiger« in seiner detestabeln Rubrik: »Besprechungen, Privatsachen«, brachte, das Ihrige beigetragen, wagen wir nicht zu entscheiden. Man müßte das Publikum für zu unverständig, zu kindisch erachten, wenn man wirklich annehmen wollte, daß es sich durch derartige Lockspeise, durch derartige grob angelegte und in echtem Marktschreierton gehaltene Charlatanerie bewegen lassen wollte. Die Verfasser – vielleicht wars auch nur einer – müssen indes von solchem Vertrauen auf die Gutmütigkeit und Lenksamkeit des Publikums erfüllt gewesen sein, und es ist vielleicht, nach einzelnen sehr bestimmten Äußerungen von einer bestimmten Seite her, nicht schwer, die Quelle dieser Annoncen zu erraten, wobei dann gleichzeitig mancherlei Schlüsse über den Ursprung gewisser lobhudelnder Artikel in gewissen Journalen über gewisse hier in Szene gesetzte Opern vielleicht sich ziehen ließen‹ (!) usw. Vgl. die Anmerkung auf Seite 164.


15 Alexander Ritter im ›Mus. Wochenbl.‹ 1871, Nr. 19, S. 294. Hingegen stürzte sich der damalige Dresdener Lokalkritiker Schladebach in seinem Bestreben, die Aufführung nach allen Richtungen hin zu begeifern, u.a. auch auf diese Stelle mit der Behauptung, der Dirigent habe hier ›einen Choreffekt anzubringen gesucht‹, der seine Wirkung notwendig verfehlen mußte, weil er in dieser Weise völlig unausführbar sei: ›mir meinen das versuchte Portament des Chores bei den Melodiesprüngen in die Sexte usw., das im Solovortrage bei ganz leichtem Anschlage seines Eindrucks nicht verfehlt, aber schon hier oft genug – und im Chorgesange bei starker Besetzung ganz unvermeidlich – in ein unangenehmes Heulen ausartet‹ usw.


16 Die Worte ›wie immer‹ beziehen sich jedenfalls wohl darauf, daß die Sängerin die betreffende Sopranpartie schon bei der Aufführung unter Reißiger im August 1838 – damals noch als Dem. Wüst, gesungen hatte.


17 Die scherzhafte Wendung ›Christus am Elbberge‹ wird verständlich, wenn man weiß, daß Reißiger ›am Elbberge‹ wohnte und daß er die Leitung des Beethovenschen Oratoriums ›Christus am Ölberge‹ in dem Palmsonntag-Konzert übernommen hatte.


18 Gesammelte Schriften, Band II, S. 73.


19 Das Gutachten Reißigers wurde nach Wagners Wunsche nachträglich eingeholt. Es lautete in allen Punkten zustimmend; charakteristisch ist darin die vorsichtige Erwägung, daß, wenn die beiden für den Choreingang bestimmten Türen geöffnet würden, ein ungeheurer Zug unvermeidlich sein werde, zu dessen Vermeidung er ›tüchtige Vorbauten‹ empfiehlt.


20 Dr. Hermann August Theodor Köchly (geb. 1815 zu Leipzig, † 3. Dez. 1876 zu Triest), als Philolog und Kenner des Altertums weithin bekannt, war seit 1840 Lehrer an der Kreuzschule zu Dresden, in seinen Mußestunden mit philologischen und philosophischen Studien eifrig beschäftigt. Seine Schrift ›Zur Gymnasialreform‹ (Dresden 1846, und der im gleichen Jahre von ihm ins Leben gerufene ›Dresdener Gymnasialverein‹ bekunden die von ihm eingeschlagene reformatorische Richtung; im Dezember 1848 wurde er mit vier seiner Kollegen zur Ausarbeitung eines Entwurfes zu einem allgemeinen Schulgesetze für das Königreich Sachsen beauftragt; das Jahr 1849 fand ihn als Deputierten in der Sächsischen ›Zweiten Kammer‹, wo er seinen Platz in der ›gemäßigten Linken‹ genommen. Die Mai-Ereignisse zwangen ihn Deutschland zu verlassen; seit Ostern 1851 wirkte er in Zürich als Professor der griechischen und lateinischen Literatur an der Universität seit 1864 Professor in Heidelberg). Vgl. Hermann Köchly, ein Bild seines Lebens und seiner Persönlichkeit von Ernst Böckel (Heidelberg 1904).


21 W. Tappert, Richard Wagner und die ›Neunte‹ von Beethoven (Allg. Musik-Zeitung 1887, S. 375 ff.)


22 ›Die giftige Gemeinheit, deren ein Mann wie Schladebach nur immer fähig war, kam bei dieser und den folgenden Gelegenheiten in ihrem ganzen Umfang zutage. Es widert mich an, jene Berichte auch nur auszugsweise mitzuteilen‹ (W. Tappert a.a. O., S. 377). Einen Teil dieser, von rein persönlichen Motiven diktierten Angriffe und Unterstellungen findet der Leser um der geschichtlichen Gerechtigkeit willen, in den Anmerkungen auf S. 158 und 161 angeführt. Weiteres ähnliches Material für eine künftige Zusammenstellung ›Richard Wagner im Urteile seiner Zeitgenossen‹ enthält reichlichst das ›Wagner-Museum‹ zu Eisenach.


23 ›Dresdener Anzeiger‹, Dienstag, den 7. April 1846, Nr. 97, S. 14. – Dinger (Wagners geistige Entwickelung, S. 178) zitiert daraus die Worte: ›Zu beneiden sind unsere Behörden schon um das Vertrauen, das sie Palmsonntags genießen, wo Tausende ruhig Leib und Leben ihrer Vorsicht anvertrauen, eine Musik zu hören, deren Resonanzboden wie auf Feuer oder Einsturz wartet! Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht!‹ und fügt dem Zitate seinerseits die Betrachtung hinzu: ›Merkwürdig! Gerade jene Bühne, die von Wagner im alten Opernhause für jene Aufführung noch besonders hergerichtet wurde, ging im Dresdener Mai-Aufstande buchstäblich in Flammen auf.‹


24 Diese Jugenderinnerungen blieben Bülow zeitlebens treu lebendig; er erzählte sie im Winter 1884 auf einer stillen Eisenbahnfahrt von Dresden nach Leipzig seiner Tochter, Frau Dr. Daniela Thode.


25 Vgl. die Erwähnung Schnorrs durch Wagner in seiner Dresdener Bankettansprache vom Jan. 1873: ›In diesem herrlichen Saale, wo wir so viele Künstler feierten: Schnorr von Carolsfeld, Prof. Bendemann, als er seine Fresken vollendet hatte, Ferd. Hiller usw. wurde ich manchmal still. Endlich kam die Zeit, da ich fortging‹ usw.


26 W. Tappert, dessen bereits zitiertem Artikel ›Richard Wagner und die »Neunte« von Beethoven‹ wir die obigen Daten entnehmen, fügt noch die Mitteilung einer charakteristischen Tatsache hinzu. ›Ich besitze‹, sagt er ›die drei Programme zu den Palmsonntag-Konzerten 1846, 1847 und 1849. In keinem ist der Name Wagner genannt. Der jüngere Meister trat bescheiden hinter das Werk des älteren zurück. Eine würdige Aufführung der erhabenen »Neunten« lag ihm einzig und allein am Herzen.‹

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 150-167.
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