VI.

Reformversuche.

[167] Öde Perioden im Dienst. – Schwierige äußere Lage. – Memorandum: ›Die königliche Kapelle betreffend.‹ – Sommer in Großgraupe: Lohengrin-Musik. – Begegnung mit Spohr. – Neue kritische Gegner: Karl Banck. – Wiederaufnahme des ›Tannhäuser‹. – Laube-Feier. – Hillers Salon: Auerbach und Gutzkow. – Der Studiosus Hanslick als Musikschriftsteller.


Es ging mir ziemlich schlecht; ich mochte vorbringen, was ich wollte, ich hatte immer zu kämpfen. Es lebte in mir der Gedanke, daß ich wahrscheinlich nicht in Dresden als Kapellmeister sterben würde. (Dresdener Bankett-Ansprache, Januar 1873.)

Richard Wagner.


Das kunstgeschichtlich bedeutungsvolle Ereignis einer erstmaligen Durchbrechung des Bannes, der so lange auf Beethovens gewaltigster Schöpfung geruht, war trotz aller damit verknüpften Kämpfe und Beschwerden zugleich ein persönliches Labsal für den Künstler, ein Lichtpunkt in seinem ›Kapellmeister‹-Dasein. Sein ganz richtiges Gefühl hatte sich bereits vor dem ersten Eintritte in seine Dresdener Stellung dagegen gesträubt, sich um des täglichen Brotes willen an ein Amt zu binden, dem eigenen Schaffen sich zu entziehen und seine Zeit der Einstudierung von Werken zu opfern, deren künstlerische Nichtigkeit niemand mehr durchschaute, als er. Noch zu Beginn des Jahres 1846 mußte er dem böhmischen Komponisten Josef Heller dessen Oper ›Zamora‹ zurücksenden; er hatte sie zu seinem Bedauern in keiner Weise zur Aufführung befürworten können. Sie war ihm nicht durch den Autor direkt, sondern durch dessen Freund, den Prager Musikschriftsteller Ambros, übersandt worden ›der mir‹, wie sich der Meister nachträglich über ihn äußerte ›– beiläufig gesagt – bei einem Besuche in Dresden einmal einen stark österreichisch-faden Eindruck gemacht hat‹.1 Ambros seinerseits hatte die [168] Oper seines Freundes, die nach zweimaliger Aufführung in Prag lautlos vom dortigen Repertoire verschwunden war, selbst nicht mit gutem Gewissen empfehlen können, ohne sich zu kompromittieren, und sie an Wagner mit dem Bemerken gesandt, den Inhalt selbst nicht näher zu kennen. Dieser antwortete denn auch, nicht ohne sein Befremden zu unterdrücken, daß man ihm die Prüfung eines Elaborates zumute, das der Übersender nicht einmal der Durchsicht wert gehalten habe. Er ersuchte demnach, um den Autor nicht zu kränken, denselben Mittelsmann (20. Januar), er möge dem Komponisten die Ablehnung schonend unter irgend einem Vorwande mitteilen: ›vielleicht dem gewöhnlichsten, den ich so zahllos oft erfahren habe, daß bereits auf eine lange Zeit hin das Repertoire besetzt sei und man sich nicht neuen Verbindlichkeiten unterziehen könne‹.2 Am 25. Januar hatte die letzte Vorstellung des ›Tannhäuser‹ stattgefunden, seitdem war das Repertoire nach allen Richtungen hin durch das Fehlen der Hauptsängerinnen gelähmt. Johanna Wagner war Mitte Februar von der Verwaltung des Hoftheaters auf sechs Monate nach Paris geschickt worden, um sich dort durch weitere Gesangsstudien bei Emanuel Garcia vollends auszubilden und hatte, in Begleitung ihres Vaters, Albert Wagner, Dresden verlassen, – während der halbjährigen Dauer ihrer Abwesenheit war eine erneute Aufführung des ›Tannhäuser‹ unmöglich. Die Schröder-Devrient war zuletzt noch als ›Armida‹ (5. März 1846, Geburtstag des Königs) und ›Alceste‹ aufgetreten (letztere unter Reißigers Leitung), um am 31. März als ›Fidelio‹ nach Ablauf ihres zweijährigen Kontraktes aufs neue von Dresden Abschied zu nehmen. Auch Tichatschek war beurlaubt; vergeblich war all sein Ankämpfen gegen die fortgesetzte mißbräuchliche Bewilligung solcher Urlaubsreisen inmitten der Spielzeit des Theaters (S. 49/50). Die Vorstellungen des Hoftheaters schleppten sich mühsam dahin und brachten Donizetti in jederlei Gestalt, von ›Lucrezia Borgia‹ bis zum ›Liebestrank‹, von der ›Lucia‹ bis zur ›Regimentstochter‹. Über solche öde Perioden, die gleichwohl die unausgesetzte Tätigkeit der Kapelle beanspruchten, sagt er in späterem Rückblick: ›Ich glaube, daß der Mißbrauch, der an einem Operntheater mit künstlerischen Kräften getrieben wird, mit gar nichts Ähnlichem verglichen werden kann, und zu den allerschmerzlichsten Erinnerungen meines Lebens gehören die Erfahrungen, die ich hiervon an mir selbst und an den Musikern des Orchesters unter solchen Umständen machte. Man erwäge, daß das Personal eines vorzüglichen Orchesters [169] zu einem nicht geringen Teile aus den einzig wirklich musikalisch Gebildeten eines Operntheaters besteht; man bedenke, was dies wiederum bei deutschen Musikern heißt, denen die Blüte aller musikalischen Kunst, in den Werken eben unserer deutschen großen Meister, innig vertraut und erschlossen ist, und daß nun gerade diese es sind, welche zu den niedrigsten Kunsthandwerksverrichtungen, zu hundertfältig wiederholten Proben der musikalisch inhaltslosesten Opern verwendet werden. Ich für mein Teil gestehe, daß ich in solcher gezwungenen Wirksamkeit zu seiner Zeit, selbstleidend und mitleidend, oft der Höllenqualen des Dante spotten lernte.‹

Dazu kam die ausnehmend schwierige Lage, in die er trotz des so viel verheißenden Anfanges seiner Dresdener Laufbahn durch die Herausgabe seiner Werke auf eigene Kosten geraten war. Unzweifelhaft war er, nach dem ersten großen Erfolge des ›Rienzi‹, berechtigt gewesen, auf eine baldige allseitige Vorführung dieser Oper und der ihr folgenden Arbeiten an allen hervorragenden deutschen Bühnen zu hoffen. Danach hatte er, wie die ihm förderlich gewogenen Freunde, seine Voranschläge gemacht, als er den Selbstverlag seiner Werke unternahm; das Fehlschlagen seiner Hoffnungen bereitete ihm nun aus seinem Unternehmen eine stete Quelle von Sorgen und Verdruß. Wiederholt hat er es außerdem späterhin als ›sein größtes Unglück‹ beklagt, gerade an seinen damaligen Verleger, den Hofmusikalienhändler Meser, geraten zu sein, dessen ›grenzenlose Unfähigkeit, sein Geschäft zu betreiben‹3 er um diese Zeit bereits zur Genüge kennen gelernt hatte. ›Mit diesem armen, ängstlichen Menschen habe ich keine üblen Leiden ausgestanden‹, schreibt er fünf Jahre später von Zürich aus an den alten Fischer, ›– oh, daß es mir je eingefallen ist, durch meine Kompositionen etwas einzunehmen! Das machte allerdings das Kraut fett!‹4 Und wiederum: ›Dieser Mensch hat mich die letzten Jahre in Dresden bis auf das Blut gequält: ich kann sagen, daß ein großer Teil aller Martern, die ich je empfunden, »Meser« heißt.‹5 Nun hatte gerade damals, eben um die Zeit der Vorbereitungen der neunten Symphonie, die unerwartete Zurückziehung gewisser Kapitalien in dem gemeinsamen Geschäftsstande eine besonders akute Krisis herbeigeführt; ihre peinigende Einwirkung konnte nicht verfehlen, sich auf seine persönliche pekuniäre Lage beunruhigend mit zu erstrecken. Seiner nicht leicht zu verheimlichenden Bemühungen um ihre Abhilfe bemächtigte sich das ausgebildete Klatschbedürfnis der Mitbürger alsbald in dem Maße, daß zeitweilig weniger die künstlerischen Leistungen des Kgl. Hofkapellmeisters, als seine derzeitige Verschuldung – mit allerlei hämischen Zusätzen und Entstellungen des wahren Sachverhaltes! – das herrschende Stadtgespräch bildeten. Schadenfroh rieben[170] seine Gegner sich die Hände. Durch seinen Arzt und Hausfreund Pusinelli dazu veranlaßt, verschmähte er es nicht, jenen Gerüchten mit einer entwaffnenden Zuschrift entgegenzutreten, welche dieser alsbald der ›detestablen Rubrik‹ des Dresdener Anzeigers übergab, kurz bevor Wagner selbst ihre Spalten in seinen drei Notizen über die Symphonie für höhere Zwecke in Anspruch nahm. ›Lieber Freund‹, lauten die an Pusinelli gerichteten Zeilen, ›Du forderst mich auf, gegen das Stadtgerede, das sich jetzt mit so unerhörter Geschäftigkeit meiner annimmt, etwas zu tun. Jean Paul traf einmal mit Goethe zusammen, und beide unterhielten sich von den unverschämten und schadensüchtigen Gerüchten, die sich zu verschiedenen Zeiten über sie verbreitet hätten; Jean Paul äußerte, er werde nichts gegen derlei Redereien tun, oder mindestens erst abwarten, bis man behaupte, er habe silberne Löffel gestohlen; Goethe sagte, er würde auch dann noch nichts tun. Wenn ich nun einem Manne wie Goethe leider in nichts gleichen kann, so laß mich es ihm doch darin gleichtun, daß ich einem ekelhaften Stadtgerede, das, je alberner und höher es sich steigert, in seiner Haltlosigkeit desto eher auch wieder zurücksinken muß, nur die gründlichste Verachtung entgegensetze. Nach dem, was Du mir gestern mitteiltest, scheint in Wahrheit nun kein Äußerstes mehr zu erfinden übrig, und nehmen wir an, daß, wenn sich nun die Leute nicht noch weis machen wollen, ich habe mich erschossen oder ins Wasser gestürzt, dieser Stadtklatsch jetzt bald sein Ende erreicht haben müsse. Schon jetzt bin ich durch die Erfahrung der unermüdlichen Teilnahme gerührt, die meiner geringen Person gezollt wird, zumal wenn es sich um die Erfindung, Übertreibung und Verbreitung von Gerüchten handelt, die mir unter Umständen wohl zum Schaden gereichen dürften. Glaubst Du, daß es mir unnachteilig sein könnte, wenn diese Gesinnung meinen Freunden bekannt würde, so kannst Du nach Deinem Belieben diese Zeilen im »Anzeiger« abdrucken lassen. Dein R. W. Dresden, 16. März 1846.‹ Pusinelli fügt dieser brieflichen Erklärung seinerseits noch das Nachwort hinzu: ›Der Empfänger obiger Zeilen glaubt ebensowohl im Interesse der Wahrheit und guten Sache, als seines schwer gekränkten Freundes zu handeln und sich den Dank aller Derer, die diesem wohlwollen, zu erwerben, wenn er, von der ihm gegebenen Befugnis Gebrauch machend, die obenstehende Mitteilung der Öffentlichkeit übergibt. A. P.‹6 Für diesmal ward dem ringenden Künstler, nicht ohne demütigende Bewerbung um eine solche Vergünstigung, und immerhin unter namhafter Verzinsung, die Aushilfe durch einen Vorschuß von seiten des Theaters zuteil. Für diese Summe, die ihm zunächst für die Herstellungskosten der ›Tannhäuser‹-Partitur aushelfen mußte, war, nach seinen eigenen Worten, ›streng[171] genommen der König, niemand sonst, sein Gläubiger‹. Welchen häßlichen Mißbrauch Herr v. Lüttichau später durch seine Auslegung dieses Verhältnisses trieb, wird uns in der Folge leider nicht entgehen. Auf lange Zeit hinaus spielte dieser verhängnisvolle ›Vorschuß‹ in Wagners Beziehungen zur Dresdener Hoftheaterintendanz eine wunderliche Rolle! Die Exemplare der Partitur blieben sein ausschließliches Privateigentum, wie sie es von Hause aus gewesen waren, doch übergab er eine größere Anzahl davon (›allermindestens sechzig‹) seinem Geschäftsfreunde, um sie gegen den festgesetzten Preis von 10 Talern in den Musikhandel zu bringen; ja, da soeben ›Not im Geschäfte war‹, gestand er ihm zu, etwaige Einnahmen aus diesem Verkauf ›für das Ganze zu verwenden‹.7 Mit diesen Bemühungen und Konzessionen war vorläufig so viel erreicht, daß er sein Interesse mit minderer Störung auf seine große Aufgabe, die Aufführung der Beethovenschen Symphonie, richten konnte; doch nahmen die Verdrießlichkeiten und Verlegenheiten kein Ende, und er mußte es nach wie vor für seine Pflicht halten, zur Wahrung seiner Interessen dem üblen Stillstand in der Verbreitung seiner Werke zu wehren. Hätte dies nur mehr in seinen persönlichen Kräften gestanden!

Nächst Berlin war es Wien, auf welches er sein Augenmerk richtete, von wo ihm seinerzeit die besondere Einladung zur Komposition einer Oper eigens für die Mittel des Kärtnertortheaters, durch die bekannte Mechetti'sche Verlagshandlung übermittelt worden war. Da diese Angelegenheit der Natur der Sache nach von ihm selbst mehr abwartend, als aus eigener Initiative betrieben werden konnte,8 war sie am Ende – mit unter dem Einfluß jener heftigen Kontroverse der ›Wiener Musikzeitung‹ über die musikalische Bedeutung des ›Rienzi‹ (S. 57/58) – ergebnislos im Sande verlaufen. Unter diesen Umständen lag es nahe, wenigstens eine Wiener Aufführung des ›Rienzi‹ zu ermöglichen. Wirklich hatte ihn der dortige Theaterdirektor Pokorny im Vorjahr eigens in Dresden aufgesucht, um wegen einer solchen Aufführung im Frühjahr 1846 unter Wagners persönlicher Leitung mit ihm zu unterhandeln. Auch erfahren wir von ›einem Herrn Löffler, Pensionär des Königs von Preußen, in Wien lebend‹, der von dort an den Meister geschrieben und ihn versichert habe, er interessiere sich, zumal seinen Wiener Gegnern gegenüber, für ihn und seine Arbeiten; auf der andern Seite aber von Antagonismen des Wiener Kapellmeisters Nicolai.9 Von diesem war eine in Dresden eingereichte Oper hier nicht zur Aufführung gelangt, und er schien deshalb nicht übel geneigt, dem vermeintlichen Urheber dieser Ablehnung Gleiches mit [172] Gleichem zu vergelten. Dies im großen und ganzen die Faktoren, aus deren Zusammenwirken die Wiener Schicksale des letzten Tribunen resultierten! Als nun Tichatschek für den Monat Mai zu einem längeren Gastspiel an die Wiener Hofoper engagiert und damit die Gelegenheit zu einer guten Aufführung der Oper geboten war, wandte sich Wagner brieflich an Liszt, von dessen lebhaftem Interesse er wiederholte Beweise erhalten, indem er ihm gleichzeitig durch seinen Verleger die Partituren seines ›Rienzi‹ und ›Tannhäuser‹ übersandte. Es geschah dies in einem Briefe vom 22. März 1846,10 als Liszt soeben in Wien weilte; ohne weiteren Erfolg. Nicht anders erging es mit der in Leipzig geplanten Inszenierung des ›fliegenden Holländers‹ (S. 146). Der dortige Direktor Dr. Schmidt verlangte die Zusendung der Partitur behufs Aufführung und veranlaßte ihn dadurch zu einer sorgfältigen Neubearbeitung der Instrumentation an der Hand seiner am ›Tannhäuser‹ gewonnenen Erfahrungen. Diese neubearbeitete Partitur sandte er unverzüglich nach Leipzig ab, wo sie – sechs Jahre müßig ruhen blieb, bis er sie sich im April 1852 für eine Züricher Aufführung in die Schweiz nachsenden ließ.11 Kapellmeister Rietz, der Jugendfreund Mendelssohns und diesem eng verbunden, hat später in Gegenwart des jungen Bülow ausdrücklich damit geprahlt, daß es ihm gelungen sei, diese beabsichtigte Aufführung gerade noch rechtzeitig zu hintertreiben, mit den Worten: ›ich kann zwar nichts Gutes wirken, aber ich will doch Schlechtes verhindern, nämlich die Einstudierung dieser Oper‹.12 – Es knüpft sich an die, ursprünglich für Leipzig veranstaltete Bearbeitung der weitere interessante Umstand, daß er die neu redigierte Partitur, bevor er sie an ihren Bestimmungsort abschickte, auf die Dresdener Notistenexpedition gab, um auch die Dresdener Orchesterstimmen danach einrichten zu lassen: – eine nicht minder vergebliche Vorsorge für die Zukunft! Denn, wiewohl er jetzt in Anton Mitterwurzer den ihm erwünschtesten Darsteller seines Holländers zur Seite hatte, war es ihm durch die Lauheit der Direktion nicht einmal in Dresden selbst möglich, sein Werk zu rehabilitieren!!

Wie sehr ihn dieser Zustand der Stagnation an seiner eigenen Bühne verdroß, der ihn in die fortdauernde Unmöglichkeit versetzte, seinem fallen gelassenen älteren Werke gerecht zu werden, wird uns durch Kietz' Erinnerung an manches damals geführte Tischgespräch bestätigt. ›Es war zu dieser Zeit‹, berichtet Kietz im Anschluß daran,13 ›daß ich bei Wagner mit einem Schriftsteller [173] aus Leipzig zusammentraf – der Name ist mir entfallen – von dem soeben ein Stück in Leipzig aufgeführt und ausgepfiffen worden war. Er erzählte umständlich davon, welch ein abscheuliches Gefühl es gewesen sei, im Theater mitten unter dem stampfenden und pfeifenden Publikum sitzen und ruhig aushalten zu müssen. (Es war soeben von dem geringen Erfolge des »fliegenden Holländers« die Rede gewesen). Wagner meinte: das helfe nichts; man müsse auch das über sich ergehen lassen; es dürfe im Weiterschaffen nicht entmutigen.‹ In der Tat war und blieb ihm das ›Weiterschaffen‹ in aller Bedrängnis der einzige Halt. Am wenigsten konnte er einen solchen etwa in der fortgesetzten Ausübung seines Berufes finden. Die Bedenken, mit denen er vor drei Jahren in seine Dresdener Stellung getreten war, hatten sich in ihrer Berechtigung bestätigt. Statt des frischen, großen Zuges der Reform und Reorganisation, den er so gern in alle Adern und Pulse des ihm anvertrauten Institutes der Kapelle und der gesamten Oper hineingeleitet hätte, behauptete sich der hergebrachte Schlendrian an allen Ecken und Enden; die gleiche Lauheit und Zurückhaltung, welche den ›liegenden Holländer‹ kaltblütig der Vergessenheit überantwortete, trat insbesondere auch jedem seiner dezidierten Schritte zur Abstellung wesentlicher Übelstände entgegen.

Mit Trauer mußte er ersehen, daß der Nutzen, von dem er in seiner Stellung bisher hatte werden können, sich nur erst auf einzelne wenige Leistungen zu erstrecken vermochte. In dem festen Bewußtsein der Notwendigkeit tiefer eingreifender Organisationsmaßnahmen hatte er sich deshalb an die Arbeit gemacht, alle in den drei Jahren seiner Amtsführung gewonnenen Erfahrungen und Einsichten in einem ausführlichen Memoriale zu einer klaren und beweiskräftigen Darlegung zusammenzufassen. Er hatte die drei Wintermonate (Dezember 1845 bis Februar 1846) dazu verwendet, mit größter Umsicht alles ihm notwendig Erscheinende der strengsten und genauesten Prüfung zu unterziehen, jeden einzelnen Punkt sorgfältig zu erwägen, und war so, indem er einzelne Artikel zwei-, drei- und viermal umarbeitete und neu verfaßte, schließlich zur Beendigung einer Arbeit gelangt, mit deren Ausfall er selbst zufrieden war, und die er mit dem Schlußdatum des 1. März unter der Aufschrift: ›Die Königliche Kapelle betreffend‹ als Promemoria der Generaldirektion überreichte. ›Welches auch das Schicksal dieser Arbeit sein möge‹, heißt es in dem begleitenden Schreiben ›jedenfalls hege ich die gerechte Hoffnung, daß sie, trotz ihrer Ausdehnung, einer genauen Beachtung für würdig befunden werde. Sollte es mir gelingen, auf diese Weise das günstige Urteil Ew. Excellenz zu erwerben, daß ich nicht unfähig sei, bei der Organisation künstlerischer Institute um Rat befragt zu werden, so würde ich mich wahrhaft glücklich schätzen, in Zukunft Veranlassung zu anderen Arbeiten erhalten zu dürfen, welche für das Gedeihen der zweiten,[174] Ew. Excellenz untergebenen Anstalt, soweit dies die Oper betrifft, in ähnlichem Maße ratschtägliche Sorge trügen. Indem ich die bei weitem größere Schwierigkeit eingestehe, die der Organisation eines Opernpersonales entgegensteht, würde ich mir im voraus doch eine Andeutung erlauben: nämlich, daß ich bei einer solchen Arbeit mein größtes Augenmerk darauf richten würde, die mit der Zeit nötig gewordenen Ausgaben für die Gehalte des Sängerpersonals nach äußerster Möglichkeit zu ermäßigen, indem jeder Einsichtsvolle in diesem unverhältnismäßigen Aufwande wohl den zukünftigen Ruin sämtlicher Theater zu erkennen gezwungen ist, der schon jetzt alle Berücksichtigungen der Billigkeit gegen andere, nicht minder wichtige Körperschaften des ganzen vereinigten Kunstinstitutes außerordentlich erschwert, indem er die nötigen Mittel dazu allein zu verschlingen droht.‹14 Die Eingabe betraf Übelstände von drängender Natur. Nur das Phlegma Reißigers hatte so lange ruhig zusehen können, wie sich die hervorragende Gesamtheit gediegener künstlerischer Kräfte der Kgl. Kapelle infolge mangelhafter Arbeitsteilung Jahr um Jahr ausschließlich in den Dienstleistungen des Theaters bei minderwertigen Opernaufführungen verzehrte, ohne je zur Lösung würdiger Aufgaben zu gelangen. Sinnlos willkürliche, altverjährte Traditionen in der Verwendung dieser Kräfte und der aus den Königlichen Fonds für sie ausgesetzten Mittel, sollten einer zweckdienlichen Organisation Raum geben, als deren Krone und Abschluß die Veranstaltung regelmäßiger, allwinterlicher Vorführungen der großen deutschen Instrumentalmusik, in einem eigenen Konzertlokale, von ihm in das Auge gefaßt war. Schon in dem auf die Vorführungsbedingungen der neunten Symphonie bezüglichen Gesuch an die Generaldirektion wird der Punkt berührt, ob ›ein solches Orchester für alle Zukunft nicht noch zu anderen Aufführungen als nur den sog. Palmsonntagkonzerten zu benutzen sei‹? ›Wenn ich‹, fährt Wagner fort ›mit aller Bescheidenheit wieder sagen dürfte, was mich ein Blick in die Zukunft ersehen läßt, so würde ich die Hoffnung aussprechen, daß die Kapelle öfters Gelegenheit erhalten dürfte, sich in derartigen Aufführungen um den Beifall Sr. Majestät zu bewerben.‹ Da der ideelle und praktische Gewinn aus der Annahme seiner Vorschläge vom sachlich-künstlerischen Gesichtspunkt aus unmöglich zu bestreiten war, durfte der Urheber des sorgfältig ausgearbeiteten Reorganisations-Entwurfes wohl mit Recht darauf bauen, [175] das Ergebnis seiner Erfahrungen und reiflichen Überlegungen ohne wesentliche Einschränkungen akzeptiert zu sehen. Waren doch soeben noch seine, auf das Palmsonntagkonzert bezüglichen Vorschläge einer sofortigen Genehmigung gewürdigt worden und hatten sich unter aller Augen auf das Glänzendste bewährt. Ein dreifacher Vorteil hätte daraus erblühen können. Die Konstituierung eines, unter königlichem Schutze stehenden, von der Spekulation auf den Geschmack des Publikums unabhängigen, hervorragenden Konzertinstitutes mußte für Dresden von der größten, nachhaltigsten Bedeutung werden; den Musikern der Kapelle wäre dadurch ein erweitertes Feld zu würdiger, lohnender Tätigkeit erschlossen; ihm selbst aber durch das Gelingen eines solchen folgerechten Schrittes neue Lust zur Ausübung seines, ihm anderweitig bereits mannigfach verleideten Berufes eingeflößt wor den. Seiner persönlichen künstlerischen Autorität wäre durch das Gelingen zugleich eine neue, mächtige Stütze geboten und seiner organisatorischen Fähigkeit in den Augen des Monarchen ein, ihm selbst erwünschtes, Zeugnis ausgestellt, aus dessen rein tatsächlicher Beschaffenheit ihm ein desto tiefer gehendes Vertrauen für fernere organisatorische Maßnahmen erwachsen mußte. So ermutigend dies für ihn gewesen wäre, so scheint es doch, daß die höhere Weisheit des Herrn von Lüttichau einen solchen Erfolg eher zu vermeiden als herbeizuführen geneigt war. Er war allenfalls für geringere, den einzelnen Fall betreffende Vorschläge empfänglich; darüber hinauszugehen, tiefeingreifende produktive Organisationsprojekte seines Kapellmeisters dem Könige zur Bestätigung zu unterbreiten, daran hinderte ihn eine, in seiner eigenen Unsicherheit und mangelnden Sachkenntnis begründete Empfindung von Eifersucht. Es gehört schon ein nicht geringer Grad von Servilität dazu, um, wie der freiwillig offiziöse Geschichtschreiber des Dresdener Hoftheaters es tut, die Konflikte Richard Wagners mit seinem Vorgesetzten auf den bloßen Gegensatz zwischen ›einem dämonischen, mit seiner Genialität zusammenhängenden Zug in Wagners Natur‹ und einer ›wohlmeinenden, nüchtern praktischen‹ Anschauung auf seiten seines Chefs zurückzuführen.15 Es ist vielmehr die Not des Reformators, daß er, auf welchem Gebiete es auch sei, die Dinge und Verhältnisse mit anderen Augen gewahrt, als ihre derzeitigen verantwortlichen Beherrscher und Gewalthaber, unter deren Händen sie verkommen und ihrer wahren Bestimmung entfremdet sind; daß ihm demnach Ziele und Zwecke vorschweben, zu sehr außer dem [176] gewohnten Gesichtskreise liegend, um von jener Seite her gerecht gewürdigt zu werden. Mangel an Sachkenntnis und tieferer Bildung tut dann noch das Seine zur Verschärfung des Mißverhältnisses; die bequeme Gewohnheit, sich den bestehenden Übeln gegenüber in Reißigerscher Manier von Fall zu Fall mit Palliativmaßregeln zu behelfen, läßt den Anspruch auf eine gründliche Heilung der Schäden und positive Herbeiführung des zu ermöglichenden Guten wohl gar noch als hochmutsvolle Anmaßung und Eigendünkel erscheinen. Hätte Herr von Lüttichau es zustande gebracht, mit seinen ›wohlmeinenden praktischen Ratschlägen‹ etwa die Dresdener Aufführung der neunten Symphonie zu verhindern, so wäre die Kunstgeschichte um eine weithinwirkende Tatsache ärmer, wie sie es durch die Unterdrückung des großangelegten Wagnerschen Entwurfes faktisch geworden ist.

Die Eingabe ›die Kgl. Kapelle betreffend‹ war in den ersten Tagen des Monates März überreicht; bis zum Sommer zog sich die Entscheidung darüber hin; dann wurde sie bis zum Herbst vertagt. Von einer Ablehnung war noch nicht die Rede. Noch handelte es sich um eine prüfende Erwägung derselben im einzelnen und im ganzen inmitten der laufenden Theatergeschäfte, um ihre Begutachtung durch die Mitglieder der Generaldirektion, obenan den stets langsam vorrückenden Reißiger usw. Da jedoch dasselbe Halbjahr auch noch an mancherlei anderen Mißgriffen nicht arm war, entringt sich dem leidenden Innern des Künstlers mancher Seufzer, der, auf dem Wege vertraulicher brieflicher Mitteilung laut geworden, noch heute in uns nachhallt. ›Der Kampf mit der machtvollen Dummheit und dem gebietenden Unverstand ist es ja eben, was uns das Leben so schwer macht‹, heißt es bei solcher Gelegenheit. ›Wen soll man bedauern, diese Junker, die als Böcke zu Gärtnern bestellt sind und sich bei jedem Schritte der Lächerlichkeit bloßstellen, – oder die Künstler, die unter ihren Abgeschmacktheiten leiden?‹ Beide Äußerungen sind einem Briefe an Spohr entnommen, dem gegenüber die Dresdener Direktion sich die unentschuldbare Ungezogenheit erlaubt hatte, eine bereits seit einem Jahr angenommene und immer wieder hinausgeschobene Oper endlich in schroff verletzender Weise ohne jede befriedigende Erklärung einfach zurückzusenden.16 ›Ich habe einen der widerlichsten Winter meines Lebens im [177] Rücken‹, klagt er bald darauf in gleichem Sinne gegen den Berliner Freund Gaillard. ›Neid, Bosheit, Albernheit und tödliche Langsamkeit in der Verbreitung meiner Wirksamkeit nach außen waren die Feinde, mit denen ich täglich jenen abscheulichen Kampf zu bestehen hatte, in dem der Angegriffene sich nur mit größter, rücksichtsvollster Mäßigung zu verteidigen bedacht sein muß, während er so deutlich fühlt, daß er die Kraft besitzt, ganz unverdeckt und mit lauter Stimme zu siegen ... Tyrannische Knechtschaft ertragen zu müssen, ist ein Unglück: aber was ist schmachvoller, als der Einfältigkeit und dem Unverstande achselzuckend aus dem Wege gehen zu müssen, vielleicht hinterm Rücken nur die Zunge herauszustecken?‹ – Auch ohne die Mai-Revolution war sein Bruch mit dem Dresdener Theater und allem öffentlichen Kunstgebahren zu jener Zeit bereits vollzogen, und er vernahm den dringenden Mahnruf seines Inneren: über alle Bedenken hinweg, welche die Gefährdung seiner bürgerlichen Existenz in ihm wachrufen mußte, sich freizumachen aus einer gefesselten Lage, in der er in seinem Sinne zu wirken von allen Seiten gehindert war.

So kam der Sommer des Jahres 1846 heran. Kaum wußte er sich selbst zu sagen, ob seine angegriffene Gesundheit der Grund seiner üblen, freudlosen Laune, oder ob diese die Ursache seines Übelbefindens war: eines steigerte das andere. Wiederholt hatte er um diese Zeit kurze geschäftliche Reisen nach Leipzig zu machen, bei denen er dann auch die gute alte Mutter wiedersah. Von einem dieser kurzen Leipziger Aufenthalte berichtet Laube in später Rückerinnerung, er habe im Hause von Wagners Schwester (Ottilie?) einer Vorlesung des ›Lohengrin‹ durch den Dichter beigewohnt: ›wir waren Alle betroffen von der Wahl des Gegenstandes, der eine musikalische Atmosphäre mit sich brachte‹. Von einer anderen Leipziger Fahrt hat uns sein junger Freund Kietz einen rührenden Zug bewahrt. Eines Tages sei er nach Gewohnheit um die bestimmte Zeit als Tischgast zu Wagner gegangen, habe aber nur Minna angetroffen, die ihm erzählt, wie ihr Mann plötzlich nach Leipzig habe reisen müssen. ›Er wäre bei solchen Gelegenheiten so eigen; der Abschied fiele ihm stets so schwer. Auch heute habe er sich gar nicht trennen können, und noch von der Straße herauf gewinkt; – dann sei er plötzlich umgekehrt, die Treppen herausgestürmt, habe nochmals aufs zärtlichste [178] Abschied genommen und sei dann endlich, unter fortwährendem Grüßen, um die Ecke des Zwingers verschwunden.‹ War es Etwas wie die täuschende Vorahnung eines schnellen Todes, was ihn bei solchen Anlässen übermannte? Die beängstigende Empfindung, es könne leicht ein Abschied für immer sein? Kein Zweifel dann, daß diese Ahnung das Ergebnis eines tiefen Todesverlangens und schmerzlichen Lebensüberdrusses war, der unter den niederdrückenden Verhältnissen dieses Dresdener Daseins sich seiner bemeisterte. ›Wo die Erfüllung des Verlangens unnatürlich erschwert, d.h. die Tätigkeit gehindert wird, da ist der Tod‹, lesen wir in einer jener undatierten Aufzeichnungen des Nachlaßbandes. Sie spiegelt uns getreu sein Inneres während dieser drei letzten Dresdener Jahre wieder, die durch zunehmendes Mißverhalten seitens der Intendanz, Verkennung seiner produktiven Natur und des hohen Gewinnes, den Orchester und Oper aus seinem Anstellungsverhältnis hätten ziehen können, Zurückhaltung gegen seine Reformvorschläge und Mangel an gutem Willen für eine Erleichterung der äußeren Bedingungen seiner Wirksamkeit tatsächlich nur zu einem unverantwortlichen Mißbrauch seiner Kräfte und Persönlichkeit sich gestalteten.

Für den Sommer glückte es ihm, sich einen dreimonatigen Urlaub zu erwirken, um in ländlicher Stille, drei Stunden von Dresden, in der reizendsten Gegend der sächsischen Schweiz ›als Mensch und Künstler wieder aufzuatmen‹. Um die Mitte des Monats Mai bezog er zu solchem Zwecke das Dorf Groß-Graupe (zwischen Pillnitz und Pirna), um hier in völligem Vergessen die Stadt, Theater, Oper und Generaldirektion weit hinter sich zu lassen. ›Gott sei Lob, ich bin auf dem Lande‹, ruft er von hier aus einem teilnehmenden Freunde zu.17 ›Eine große Wohltat hat mir mein König durch die Gewährung eines längeren Urlaubes erzeigt. Ich wohne in einem gänzlich unentweihten Dorfe, – ich bin der erste Städter, der sich hier eingemietet hat. Nun hoffe ich alle Erlabung meines Gemütes und meiner Gesundheit von meinem Bauernleben. Ich laufe, liege im Walde, lese, esse und trinke und suche das Musikmachen ganz zu vergessen!‹ – Leider enthält derselbe Brief auch noch die bittere Andeutung: ›Wissen Sie, was Geldsorgen sind? Sie Glücklicher, wenn nicht!‹ Auch hier in der ländlichen Zurückgezogenheit [179] war es ihm nicht vergönnt, dieser Sorgen sich ganz zu entschlagen. Unter den mannigfachen Besuchen näherer und entfernterer Bekannten, die ihn besonders des Sonntags bald mehr erfreuten, bald belästigten, fand sich gelegentlich auch der junge Kietz bei ihm ein; seine Erinnerungen an diesen Besuch sind die einzigen, die uns einige anschauliche Züge von diesem Landaufenthalte des Meisters bewahrt haben. Das Wohnhaus Wagners, in dem er den oberen Stock innehatte, lag nicht in dem Dorfe selbst, sondern zwischen diesem und dem zunächstbelegenen Pirna in bezaubernd schöner Naturumgebung. ›Der erste Besuch in Wagners Sommerfrische‹, erzählt Kietz ›ist mir besonders dadurch erinnerlich, daß ich, im Begriff zu fragen, wo eigentlich der Herr Kapellmeister wohne, in den Flur eines Hauses tretend, sogleich durch Töne aus dem Tannhäuser elektrisiert wurde, die vom oberen Treppenflur zu mir herabschallten. Eine Sandsteintreppe führte in diesen oberen Vorraum, in welchem, als einzigem größeren Raume, ein Flügel aufgestellt war: an ihm saß Wagners Schwägerin, die Mutter Johannas, und spielte darauf den Pilgerchor. Wagner selbst war gerade auf seinem sonntäglichen Morgenspaziergang begriffen, nach den lieblichen Höhen von Pillnitz. Ich ging ihm entgegen und erblickte ihn bald von weitem, das Gesicht von einem riesig großen, breitrandigen weißen Strohhut beschattet, der ihm sehr gut stand. Ich traf ihn in der Gesellschaft eines Herrn aus Königsberg, den er zu meiner größten Verwunderung stets: »lieber Bruder in Christo« anredete; er mußte ihm und seiner Frau über Tische viel von bekannten Königsberger Familien erzählen. Dieser Herr trat nach dem Essen wieder den Rückweg nach Dresden an. Nach Tische gingen die Damen in den Garten hinunter, weil in der Laube Kaffee getrunken werden sollte. Wagner saß noch auf dem Sopha, Peps ungeduldig kläffend und heulend neben ihm; plötzlich sagte Wagner mit seiner unnachahmlichen Ironie ganz ernsthaft zu ihm: »Was bellst du den großen Richard Wagner an?« Mehr als dreißig Jahre später betrat ich das Haus aufs Neue; ich lief schnell die Treppe hinauf, und sofort sah ich Alles so, wie es mir in Erinnerung war. In dem Stübchen sah ich genau den Platz, wo Tisch und Sopha standen, und mir kam der herrliche Mittag, den ich dort verlebte, mit Allen, die dabei waren, wieder lebendig vor die Seele. Selbst das Plätzchen hinter der Scheune mit seinen Ostbäumen und dem herrlichen Ausblick auf die Berge war noch unverändert; sogar der kleine Weg, der durch die Wiesen des Talgrundes nach den Bergen führt und auf welchem der Meister von seinem Spaziergang zurückkam, ist noch derselbe.‹18

[180] Während dieses erfrischenden Sommeraufenthaltes beschränkte sich die Tätigkeit des Künstlers ausschließlich auf die von ihm stets sorglich gepflegte Lektüre und die ersten skizzenartigen Aufzeichnungen der in ihm Leben gewinnenden Musik seines ›Lohengrin‹. Seit seiner Rückkehr aus Paris nach Deutschland hatte sein Lieblingsstudium das des deutschen Altertumes ausgemacht. Nach dieser Richtung war seine Privatbibliothek seit seiner Dresdener Niederlassung in geeigneter Auswahl von ihm mit Liebe vervollständigt worden; was ihr fehlte, ergänzte er sich durch eifrige Benutzung der Kgl. sächs. Staatsbibliothek, deren sämtliche Bibliothekare, das wunderliche Original Hofrat Grässe (S. 126) an der Spitze, den Kgl. Kapellmeister durch häufige persönliche Beziehungen gut kannten. Nicht leicht dürfte ein Germanist von Fach auf dem Gebiete deutscher und ihr nächstverwandter Sagenforschung, deutscher Volksart und Eigentümlichkeit in Sprache, Sitten und Gebräuchen tiefere und eindringendere Studien gemacht haben, als der Dichter des ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹. In dem reichen tiefen Schachte der Jakob Grimmschen Schriften mit der fast verwirrenden Mannigfaltigkeit seiner Gänge und Stollen hat er jeden dieser Irrgänge Schritt für Schritt durchwandelt, und keine reiche Goldader altdeutschen Glaubens und Brauches, die frischsprudelnde Quelle der ›deutschen Weistümer‹ mit inbegriffen, ist ihm entgangen. Von dieser tiefen und innigen Vertrautheit, z.B. mit den altdeutschen Gerichts-und Gefolgsgebräuchen, legt die gesamte ›Lohengrin‹-Dichtung von ihrer ersten Szene bis zur letzten ein unverkennbares Zeugnis ab: ohne den tiefen Hintergrund eines umfassenden Wissens hätten die Vorgänge der Handlung nicht in all ihren Einzelheiten mit so unmittelbar überzeugendem Leben erfüllt werden können!19 ›Um die Gestalt des Lohengrin‹, sagt er selbst ›ganz nach dem Eindrucke, den sie auf mich gemacht, künstlerisch mitzuteilen, verfuhr ich mit noch größerer Treue, als beim Tannhäuser, in der Darstellung der historischsagenhaften Momente; dies bestimmte mich für die szenische Haltung und den sprachlichen Ausdruck in der Richtung, in welcher ich später zur Auffindung von Möglichkeiten geführt wurde, die mir in ihrer notwendigen Konsequenz allerdings eine gänzlich veränderte Stellung der Faktoren des bisherigen opernsprachlichen Ausdruckes zuweisen sollten.‹

[181] Vor allem aber war es der erquickende Umgang mit der Natur, der auf weit ausgedehnten Spaziergängen in der Umgegend seinen heilenden und ausgleichenden Einfluß nicht verfehlte. ›Fühl' ich mich so bald gedrängt, bald gehalten, immer strebend, selten des vollen Gelingens mich freuend, oft zur Beute des Verdrusses über Mißlingen, – so kann mich einzig der Genuß der Natur erfreuen‹, heißt es bald darauf in einem Briefe an seine Mutter. ›Wenn ich mich ihr oft weinend und mit bitterer Klage in die Arme werfe, hat sie mich immer getröstet und erhoben, indem sie mir zeigt, wie eingebildet alle die Leiden sind, die uns beängstigen. Streben wir zu hoch hinaus, so zeigt uns die Natur recht liebevoll, daß wir ja nur ihr angehören, daß wir ihr entwachsen, wie diese Bäume, diese Pflanzen, die sich aus dem Keim entwickeln, aufblühen, sich an der Sonne erwärmen, der kräftigenden Frische sich erfreuen und nicht eher welken und sterben, als bis sie den Samen ausgestreut, der nun wieder Keime und Pflanzen treibt, so daß das einmal Erschaffene in immer erneuter Jugend fortlebt. Wenn auch ich mich nun so recht innig der Natur angehören fühle – wie schwindet da jeder eigene Egoismus, wie müssen wir dann lächeln über diese wunderlichen Irrungen und Verkehrtheiten unserer menschlichen Gesellschaft, die sich peinigt, um Begriffe zu erfinden, durch die jene lieblichen Bande der Natur so oft verwirrt, getrennt und verletzt werden!‹ Ein tief ansprechendes Bild seines damaligen Verkehrs mit Fels und Wald, wie er mit der ersten musikalischen Ausführung des ›Lohengrin‹ Hand in Hand ging, tritt uns aus diesen Briefzeilen entgegen: wir sehen ihn da auf einsamen Wanderungen fern vom Qualme der Stadt ›hinaustreten in ein schönes belaubtes Tal, sich auf das Moos strecken, dem schlanken Wuchs der Bäume zuschauen, einem lieben Waldvogel lauschen, bis ihm im traulichsten Behagen eine gern ungetrocknete Träne entrinnt‹, – und noch sechs Jahre später im Schweizer Exil verschmilzt ihm das Bild dieser heimatlichen Natur und ihrer auf diesen Streifzügen besuchten mannigfachen Ortschaften mit der Erinnerung an die Entstehung seines Werkes: ›fast bin ich doch überall da gewesen – in Dittersbach (auf Schönhöhe) habe ich gelohengrint‹ ...

[182] Mitten im Hochsommer, in der zweiten Hälfte des Juni, mußte er seinen Erholungsaufenthalt durch einen kurzen Ausflug in seine Vaterstadt unterbrechen. Veranlassung dazu gab eine dringende Einladung Spohrs. Der ihm bis dahin nur erst brieflich befreundete Meister gedachte um diese Zeit auf der Durchreise nach Karlsbad mit seiner Gemahlin einige Tage in Leipzig zu verweilen und beantragte ein Zusammentreffen daselbst. Sein herzlicher Wunsch, bei dieser Gelegenheit endlich die persönliche Bekanntschaft des jüngeren Meisters zu machen, ward von diesem mit ebenso aufrichtiger Freude erwidert. Dazu war es Wagner ein Bedürfnis, sich mündlich mit ihm über die Angelegenheit seiner ›Kreuzfahrer‹ in Dresden auszusprechen, deren Ablehnung durch die Generaldirektion er nicht hatte verhindern können. Ganz ähnlich war es übrigens Spohr selber in Kassel mit dem ›Tannhäuser‹ ergangen: er hatte ihn als ›Festoper‹ zum Geburtstage des Kurprinzen in Vorschlag gebracht, war dabei jedoch auf eine nicht minder entschiedene Ablehnung seitens seines Kurfürstlichen Herrn gestoßen, die ihm die Ausführung seines wohlwollenden Vorhabens unwiderruflich abschnitt!20 Über die äußeren Umstände dieser Leipziger Begegnung finden wir in Spohrs Lebenserinnerungen, nach gleichzeitigen brieflichen Aufzeichnungen, ausführliche Nachricht.21 ›Da Wagner die Idee (des vorgeschlagenen Rendezvous) mit großer Freude ergriff, und sich demzufolge zur verabredeten Zeit in Leipzig einfand, so wurde zu gegenseitiger größter Befriedigung die längst gewünschte persönliche Bekanntschaft gemacht. Gleich am ersten Abend hatten wir eine Musikpartie bei Hauptmanns.‹ Auch Mendelssohn war dazu anwesend; es gab Trios von Spohr und Mendelssohn, unter beiderseitiger Mitwirkung der Komponisten. ›Den folgenden Tag wurde ein überaus interessantes Diner, auf Veranlassung Wagners, der selbst keine Häuslichkeit in Leipzig hatte, von dessen Schwager Professor (Hermann) Brockhaus, Spohr zu Ehren veranstaltet. Wir lernten dort in seiner Schwester und vielen seiner sonstigen Verwandten lauter geistreiche Menschen kennen, und waren sehr vergnügt. Außer der Familie war noch der Schriftsteller Heinrich Laube mit seiner sehr gelehrten Frau zugegen, welche die Unterhaltung noch mehr belebten. Am besten gefiel uns Wagner, der mit jedem Male liebenswürdiger erscheint, und dessen vielseitige Bildung nach allen Richtungen hin wir immer mehr bewundern müssen. So äußerte er sich auch über politische Angelegenheiten mit einer Teilnahme und Wärme, die uns wahrhaft überraschte und um so mehr erfreute, als er natürlich in höchst liberalem Sinne sprach.‹22 Den Abend verbrachte man ›bei Mendelssohns‹, [183] die alles aufboten, um Spohr ›so viel Freude als möglich zu machen‹. Die nähere Schilderung dieses Zusammenseins spricht von dem ›Luxus und Reichtum‹ des Mendelssohnschen Hauses und seiner Einrichtung, aber auch von der ›reizenden Anspruchslosigkeit‹ in des Gastgebers Wesen und Benehmen. Er habe eine unerhört schwierige Komposition von sich ›siebzehn ernste Variationen‹, mit ungeheurer Bravour zum Vortrag gebracht; dann seien zwei Spohrsche Quartette, darunter das letzterschienene dreißigste, gefolgt, – Wagner und Mendelssohn hätten ›mit entzückten Mienen‹ in der Partitur nachgelesen. Daß beide letzteren auch zusammen am Flügel musizierten, erwähnt die Erzählung nicht besonders; sonst würden wir die gelegentliche Bemerkung des Meisters hinsichtlich einer solchen gemeinsamen Betätigung: ›wir sahen uns, speisten, ja musizierten einmal in Leipzig miteinander‹23 auf diesen schönen Sommerabend in Mendelssohns ›luxuriöser‹ Häuslichkeit unter den Auspizien Spohrs beziehen. ›Außerdem sang Frau Doktor Frege24 einige Spohrsche Arien, die Mendelssohn prachtvoll begleitete, und so eilten die Stunden unter Musik und anregender Unterhaltung schnell und genußreich dahin, bis unvermerkt Mitternacht zum endlichen Aufbruch mahnte. Wagner, der am andern Morgen nach Dresden abreisen mußte, nahm beim Weggehen zugleich von uns Abschied, was uns wie ihm sehr nahe ging. Doch haben wir auch nach seiner Abreise uns noch viel mit ihm beschäftigt, indem er uns einen neu gedichteten Operntext »Lohengrin« zum Lesen hinterließ, der höchst eigentümlich und anziehend ist ...‹25

Es war die einzige persönliche Begegnung mit dem ehrwürdigen Altmeister, der sich um eine Aufführung des ›fliegenden Holländers‹ außerhalb Dresdens als erster und einziger erfolgreich verdient gemacht und ihm seitdem stets ein gleichmäßiges Wohlwollen bewahrt hatte Seine riesige Statur – eine wahre Hünengestalt! im Verein mit den wohlgebildeten edlen Gesichtszügen und einer würdigen gemessenen Haltung, ließen ihn, in seiner Geradheit, [184] Biederkeit und Gesinnungstüchtigkeit, als den Typus des echt deutschen Mannes erscheinen. In seinem äußeren Wesen von großer Bescheidenheit, vergab er der Würde seines Künstlerstandes niemals das Geringste; vor allen Dingen aber kannte er keinen Neid. Er hatte aufrichtige Freude an den Bestrebungen und Erfolgen anderer, selbst wo er ihnen nach dem Maßstabe seiner Individualität nicht immer voll und ganz beipflichten konnte. So lebte er in der Erinnerung Wagners fort, der ihm noch nach langen Jahren (1859), als ihn in der Ferne des Exils die Kunde von seinem Tode erreichte, die warmen Worte dankbarer Verehrung als letzten Abschiedsgruß nachrief: ›Er war ein ernster redlicher Meister seiner Kunst; der Halt seines Lebens war Glaube an die Kunst und seine tiefste Erquickung sproß aus der Kraft dieses Glaubens. Dieser ernste Glaube machte ihn frei von jeder persönlichen Kleinheit: was ihm durchaus unverständlich blieb, ließ er, als ihm fremd, abseits liegen, ohne es anzufeinden und zu verfolgen. Dies war seine oft ihm nachgesagte Kälte und Schroffheit. Was ihm verständlich wurde (und ein tiefes Gefühl für jede Schönheit war dem Schöpfer der »Jessonda« wohl zuzutrauen!), das liebte und schätzte er unumwunden und eifrig, sobald er eins in ihm erkannte: Ernst, Ernstmeinen mit der Kunst. Und hierin lag das Band, das ihn noch in hohem Alter an das neue Kunststreben knüpfte: es konnte ihm fremd werden, nie aber feind.‹ – – –

Von seinem kurzen Leipziger Ausflug kehrte er alsbald wieder in seine ländliche Umgebung zurück, in der, unter dem begünstigenden Einfluß einer herrlichen sonnigen Sommerwitterung und ausgedehnter Spaziergänge, der musikalische Entwurf der ›Lohengrin‹-Musik rasche Fortschritte machte. ›Nun habe ich es doch seit einigen Wochen soweit gebracht, ungestört auf dem Lande verbleiben zu können‹, schreibt er unterm 6. Juli an den alten Freund Ferdinand Heine ›nur die Unterbrechung abgerechnet, die mein Besuch Spohrs in Leipzig nötig machte. Ich habe mich über den alten, ehrlichen und unverfälschten Mann sehr gefreut; auch er war sichtlich erfreut, daß ich seiner Einladung gefolgt war. Ich bin nun noch bis Ende Juli hier, und rechne sehr auf die Erfüllung Deines Versprechens, eine Woche bei mir zuzubringen.‹ Der Kompositionsentwurf des ›Lohengrin‹26 ist, wie sämtliche Entwürfe Wagners bis zum dritten Akte des ›Siegfried‹, vorherrschend einzei lig, auch in den kompliziertesten Teilen der dramatischen Tonschöpfung; auf der dazwischen leergelassenen Notenzeile hin und wieder eine Note als Anhaltspunkt für die fernere Ausführung. So sicher konnte er sich auf sein Gedächtnis [185] verlassen. In Text und Musik finden sich in diesem ersten Entwurf noch mancherlei Abweichungen von der späteren Ausführung. Selbst an Paralipomena in Dichtung und Musik fehlt es nicht. Eines der interessantesten unter diesen letzteren, die vollständig komponierte Strophe Gottfrieds von Brabant (nach seiner Entzauberung durch Lohengrins Gebet), mit welcher der junge Herzog von dem klaren Elemente Abschied nimmt, hat sich dadurch erhalten, daß es der Meister – sieben Jahre später! – in das Stammbuch einer begeisterten Verehrerin seines Werkes einzeichnete:27


6. Reformversuche

Für eine bevorstehende Dresdener Aufführung seines neuen Werkes, an deren Ermöglichung alsbald nach Vollendung desselben zu zweifeln er keinen Grund hatte, schwebte ihm damals die folgende Besetzung der Hauptpartien vor: König Heinrich-Lindemann,28 Lohengrin-Tichatschek; Elsa Johanna Wagner; Telramund-Mitterwurzer; Ortrud-Frau Kriete. Auf die Mitwirkung der Schröder-Devrient konnte er nicht mehr zählen; daß er aber für die Partie der Ortrud zunächst an die soeben genannte Sängerin gedacht habe, wiewohl ihr für die Verkörperung der dämonischen Gestalt der Friesenfürstin wesentliche Eigenschaften des Naturells abgingen, wird durch ein Briefchen [186] vom 26. April, mit dem er ihr die Dichtung zur Einsicht übersendet, ausdrücklich bezeugt.29 Sie war es auch, an die er sich, unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Dresden, in betreff der Partie der Venus in dem nunmehr wieder aufzunehmenden ›Tannhäuser‹ wandte.30

Ein Besuch, den er während dieser letzten Großgraupener Sommertage bei sich empfing, war der des jungen, damals sechzehnjährigen Hans von Bülow, der gerade um diese Zeit in einen neuen Lebensabschnitt trat, indem seine Eltern sich damals entschieden hatten, ihren Wohnort zu wechseln und von Dresden nach Stuttgart überzusiedeln. War diese Übersiedelung nun auch, wie sich später herausstellte, eine bloß vorübergehende, so riß sie den jungen Mann doch sehr wider seinen Willen von Dresden, mithin aus der Nähe Wagners fort. Die glühendste Verehrung für sein Schaffen und seine Person, die ihn schon auf der Schulbank mit den beiden Brüdern Ritter verband, war ihm durch den ersten gewaltigen Kunsteindruck seines Lebens, den ›Rienzi‹, eingeflößt: ›was sich da flammend in die jugendliche Phantasie eingegraben – nur der letzte Atemzug des Mannes vermochte es auszulöschen‹.31 Zu seinem Schmerz war es ihm unmöglich, in seiner häuslichen Umgebung für die früh entfachte leidenschaftliche Bewunderung einen entsprechenden Anklang zu finden: weder bei seinem Vater, einer liebenswürdigen, phantastischen Natur, voll von den politischen Freiheitsideen, welche damals die ganze Zeit durchdrangen, aber allem Musikalischen fernstehend; noch vollends bei seiner Mutter, deren leidenschaftlicher Charakter, bei stets zunehmender Vorliebe für den Katholizismus und für eine konservative Politik, trotz ihrer freundschaftlichen Beziehungen zu Frau von Lüttichau (S. 10) sehr üble Vorurteile gegen die menschliche Persönlichkeit Wagners in sich aufgenommen und gegen seine Kunst von vollkommener Gleichgültigkeit erfüllt war. Zu dem entscheidenden ersten Eindrucke des ›Rienzi‹ war seitdem noch der der neunten Symphonie und vor allem des ›Tannhäuser‹ hinzugetreten, wie er sich denn noch zwei Jahre später, ohne das Werk wieder gehört zu haben, gegen seine Mutter mit den Worten äußert: ›Ich muß oft sagen: ich danke dir, Gott, daß ich imstande bin, die ganze Heiligkeit und Göttlichkeit der Musik, die dieses Werk zur inneren Anschauung bringt, zu erfassen und die Sendung des Apostels Wagner zu verstehen. Deshalb verachte ich nicht die Feinde Wagners, wenn nicht ein persönliches Vorurteil sie gegen ihn einnimmt; aber ich bedaure sie, [187] daß sie unfähig sind, sich aus dem Staube zu erheben!‹32 Um so weniger konnte er es sich versagen, vor seinem Abschied von Dresden – für ihn selbst ein Abschied auf längere Zeit, da er im Anschluß an den zweijährigen Stuttgarter Aufenthalt zur Absolvierung seiner juristischen Studien nach Leipzig übersiedeln mußte – die langersehnte Gelegenheit zu ergreifen, den heißverehrten Künstler von Angesicht zu Angesicht zu sehen und ihm seine Huldigung darzubringen. Er hatte von Wagners derzeitigem Landaufenthalt vernommen; dies konnte ihn nicht davon abhalten, ihn in eben dieser ländlichen Zurückgezogenheit aufzusuchen. Wagner ermunterte das junge Talent in freundschaftlichster Weise; auf seine Bitte schrieb er ihm die Worte ins Stammbuch: ›Glimmt für die Kunst in Ihnen eine echte, reine Glut, so wird die schöne Flamme Ihnen sicher einst entbrennen. Das Wissen aber ist es, was diese Glut zur kräftigen Flamme nährt und läutert.‹ Die Unterschrift trägt das Datum: ›Graupe, 29. Juli 1846.‹

Durch den ganzen Sommer zog sich aber außerdem eine nicht zum Ziele gelangende Korrespondenz mit seinem Gönner, Grafen Redern, über die Schicksale des ›Tannhäuser‹ in Berlin. Wir hatten dieselbe vorausgreifend (S. 148) bis auf den Punkt verfolgt, wo ihm als Erwiderung des Gesuches, sein Werk König Friedrich Wilhelm IV. widmen zu dürfen, die wohlmeinende Aufforderung zuging, einzelne Abschnitte daraus für Militärmusik einzurichten, damit der König sie auf der Wachtparade (!) kennen lerne. So sehr er sich als Künstler, der ein dramatisches Ganzes und kein Stückwerk geschaffen zu haben vermeinte, dadurch gedemütigt fühlte, hatte er dennoch Partitur und Klavierauszug pünktlichst am 26. Juni abgesandt und zur Einrichtung für Militärmusik den Marsch (II. Akt) und den Pilgerchor (III. Akt) mit dem in der Einzelausgabe vorliegenden Schluß empfohlen Er sprach die Hoffnung aus, daß diese ›Kleinigkeiten‹ den Beifall des Königs finden würden, und bat um möglichste Beschleunigung dieser Dedikationsangelegenheit, da der Verleger den – bis auf die Widmung – fertigen Klavierauszug bald herausgeben möchte. Da bis zum 20. August eine Antwort darauf noch nicht eingetroffen war, frug er nochmals an, ob der Verleger des Tannhäuser wohl einige Exemplare davon ohne Dedikationsblatt vertreiben könne? ›Sobald die Allerhöchste Annahme der Widmung erfolgt wäre, würde alsdann erst dem Klavierauszuge der Dedikationstitel hinzugefügt werden.‹ Hierauf erhielt er umgehend die Auskunft, die es ihm anheimstellte, die Oper Tannhäuser ›vorläufig ohne den Dedikationsvermerk‹ erscheinen zu lassen, da zum Bedauern Rederns sich noch immer keine Gelegenheit dargeboten habe, ›die bezeichneten Musikstücke aus der genannten Oper Allerhöchsten Ortes exekutieren zu lassen.‹ Inzwischen hatte er der Schicklichkeit wegen [188] die bereits seit längerer Zeit fertigen Klavierauszüge wenigstens für die Musikalienhandlungen Berlins noch zurückgehalten, und bat daher am 27. Oktober um bestimmte Nachricht, ob seine Befürchtung, daß die von ihm beabsichtigte Widmung auf Schwierigkeiten gestoßen wäre, gerechtfertigt sei? Erst mit der nunmehr erfolgenden Antwort Rederns kam die Angelegenheit zum Abschluß. Er übersandte die in seinem Auftrag tatsächlich in Berlin angefertigten ›Arrangements für Militärmusik‹ dem Komponisten mit dem ergebensten Erwidern, daß allerdings, für jetzt keine Aussicht vorhanden sei ›seinen Wunsch Allerhöchsten Ortes berücksichtigt zu sehen‹.33

Inzwischen war in den ersten Tagen des August 1846 seine Rückkehr von Groß-Graupe nach Dresden erfolgt und hatte ihn sogleich in das, ihm bereits recht beschwerliche Getriebe seiner Amtstätigkeit mit all ihren widrigen Erfahrungen gezogen. Am 6. August dirigierte er eine Aufführung von ›Figaros Hochzeit‹, zu deren Vorbereitung er nach seiner eigenen Erklärung ›so gut wie nichts hatte mitwirken können‹. Inzwischen hatte sich sein alter Bekannter Karl Banck an dem damals neubegründeten ›Dresdener Tageblatt‹ (an welchem sein Bruder Otto Banck über Drama, bildende Kunst und literarische Erscheinungen referierte) als wohlbestallter Merker für die musikalischen Vorkommnisse der sächsischen Residenz niedergelassen. Der einstige feurige Bewunderer des ›Liebesverbotes‹34 hatte es in seiner seitherigen künstlerischpraktischen Laufbahn zu nichts gebracht und befand sich daher gegen Welt und Menschen, insbesondere aber gegen jeden, dem es besser geglückt war, in beständiger Mißstimmung.35 Mit Bedauern mußte Wagner sogleich aus dessen erster öffentlicher Äußerung erkennen: ›Gott weiß welche persönliche Ungeneigtheit habe ihm für die Dauer dieser neuen Berichterstatterschaft wieder einen übelgemuteten kritischen Gegner zugezogen.‹ An der prinzipiellen Gegnerschaft des neuen öffentlichen Beurteilers seiner Leistungen war bei dem ostensibel geringschätzigen Tone nicht zu zweifeln, mit welchem dieser sogleich die erste Gelegenheit – eben jene ›Figaro‹-Aufführung – zu der dreisten Behauptung mißbrauchte, Wagner verstünde überhaupt nie ein richtiges Tempo zu nehmen oder festzuhalten (›bleibend scheint der Übelstand, [189] daß der Dirigent fast kein Tempo richtig und fest nimmt‹) oder sich mit überlegener Kennermiene über eine angebliche Unbestimmtheit der äußeren Zeichen seines ›Taktierens‹ ausließ (›ein Verwechseln des Niederschlags und Aufschlags mag, bei dem überhaupt unklaren Taktieren, zu dieser Unruhe im Tempo beitragen‹). Aber auch die Quelle dieses Mißvergnügens sprach sich ziemlich unverhüllt gleich bei dieser ersten Gelegenheit aus. Daß sie tatsächlich den engen persönlichen Beziehungen des Rezensenten zur ›Reißigerschen Clique‹36 entströmte, ward aus dem wohlwollenden Ratschlag ersichtlich, wie ein so vollkommenes Vergreifen der Tempi in Zukunft leicht zu vermeiden wäre: er brauche nämlich nur ›der überlieferten Auffassung‹ zu folgen, wie sie sich bei ›älteren Musikern‹ noch getreu erhalten habe. Nicht um einen grundsätzlichen gehässigen Gegner eines Besseren zu belehren, sondern lediglich zur Orientierung des Publikums hielt es Wagner dieses eine Mal für angezeigt, durch eine grundsätzliche Beleuchtung der Haltlosigkeit und Hinfälligkeit dieser ›öffentlich zu Markt getragenen Vielwisserei und Besserkennerei‹ von Hause aus ein Exempel zu statuieren. Dies geschah in einem ausführlichen Artikel des ›Dresdener Anzeigers‹ unter dem Titel: ›Künstler und Kritiker, mit bezug auf einen besonderen Fall‹ (datiert vom 11. August 1846). Es ist das einzige Mal während seiner ganzen Dresdener Amtstätigkeit, daß er sich zu einer öffentlichen Replik auf derartige gewerbsmäßige Herabsetzung und Verdächtigung seines künstlerischen Wirkens als Dirigent herbeiließ; die unaufhörlichen giftgeschwollenen Angriffe und Ausfälle des Herrn Dr. Schladebach aus dem kritischen Hinterhalte der ›Abendzeitung‹ hatte er seit Jahren durchaus unbeachtet gelassen. Aus den gleichzeitig von mehreren Seiten erfolgenden Entgegnungen gewann er nur aufs neue den Einblick in den wohlorganisierten Zusammenhang seiner journalistischen Gegnerschaft in und außerhalb Dresdens. Nicht bloß Banck reagierte bei nächster Gelegenheit, sondern selbst auswärtige Blätter, von gleicher ausgeprägt feindseliger Tendenz, fielen unter besonderer Anpreisung der ›trefflichen Banckschen Opernkritiken‹ im ›Dresdener Tageblatt‹, höhnisch über das ›fast fünf Quartseiten lange Gemengsel des Herrn Kapellmeisters Richard Wagner‹ her,37 dessen Veröffentlichung als Inserat ihm – nach genauer Ausrechnung – ›bare 30 Taler gekostet haben müsse‹!38 Einen zweifelhaften Gewinn von dieser unerfreulichen Polemik trug wiederum einzig der biedere ›ältere Musiker‹ und joviale Kollege Reißiger davon. Am 16. August brachte dieser seine Oper ›Der Schiffbruch der Medusa‹ zur ersten Aufführung39; Bancks ausführliches, sehr günstiges Referat [190] über das schwächliche Produkt begann mit einer hochtrabenden Erwiderung auf Wagners Artikel und schloß mit einem unzweideutigen Ausfall gegen die ›verkehrte hohle Zeitrichtung der neuesten deutschen Opernmusik‹, von deren Auswüchsen sich die Reißigersche Oper durch ihren Reichtum an klaren faßlichen Melodien vorteilhaft unterscheide. Reißiger selbst war jedenfalls ganz derselben Ansicht; ›er beklagte sich‹, sagt Wagner ›bei mir recht bitter über den Mißerfolg seines »Schiffbruch der Medusa«, in welchem, das müßte ich doch selbst sagen »so viele Melodie wäre«, – was ich zugleich als Hindeutung auf den Erfolg meiner eigenen Opern zu verstehen hatte, in welchen doch so wenig »Melodie« sich vorfände.‹ – Auch ein Nachspiel blieb dem soeben geschilderten polemischen Vorgang nicht aus. Nicht lange danach (7. Nov.) dirigierte Friedrich Schneider in einem Dresdener Armen-Konzert sein Oratorium ›das Weltgericht‹: der Saal des großen Opernhauses war ›entsetzlich leer‹; aber der Kapellvorstand veranstaltete dem würdigen Veteranen zu Ehren ein Festmahl. Reißiger ermangelte nicht, die Namen der Herren Banck und Schladebach mit auf die Subskriptionsliste zu setzen. Der Kammermusikus Fr. Kummer strich sie, mit dem Hinweis auf die böswillige Stellung, die sich beide gegen Wagner gegeben, wieder aus. Sie blieben natürlich gestrichen, erhoben aber ein lautes Geschrei über ›Demoralisierung‹ und ›Scheu vor dem freien Geiste der Kritik‹, dessen Nachhall wiederum bis in die Leipziger Musikzeitung hinein zu vernehmen war.

Inzwischen waren die zerstreuten Kräfte der Hofbühne soweit wieder versammelt, daß – nach siebenmonatiger Unterbrechung – an die Wiederaufnahme des ›Tannhäuser‹ geschritten werden konnte. Tichatscheks Urlaubsreise war abgelaufen, Johanna Wagner um die Mitte August von Paris zurückgekehrt und am 27. zum ersten Male wieder vor dem Dresdener Publikum aufgetreten (als Adalgisa, gelegentlich einer ›Norma‹-Aufführung – in italienischer Sprache!). In der tüchtigen Frau Kriete, die schon früher als Adriano im ›Rienzi‹ eine durch das Ausscheiden der Schröder-Devrient entstandene empfindliche Lücke ausgefüllt hatte, war eine Darstellerin der Venus gefunden, die zum mindesten das Verdienst für sich hatte, daß durch ihr Eintreten das Werk wieder aufführbar wurde. Die Dresdener Kritik wußte dieser Willigkeit wenig Dank. Mme. Kriete hat sich beigehen lassen, in Abwesenheit der Mme. Schröder-Devrient die Partie der Venus zu übernehmen. Mme. Kriete als Venus! Das heißt wahrlich der Phantasie, der Tannhäusersage und dem Texte der Oper zu viel Gewalt antun! rief Herr Dr. Schladebach in der ›Abendzeitung‹. Anders war der [191] freundlich bereitwilligen Stellvertreterin der Tondichter selbst gesinnt, der gerade für diese Rolle die hochbewunderte sonstige Darstellerin am wenigsten vermißte. Auch bei den erneuten Aufführungen des Werkes war es vorzugsweise der zweite Akt, der sich eines stetigen laut kundgegebenen Beifalls erfreute. Da er indes auch dramatisch den Mittelpunkt des Ganzen bildet, und die noch unvollkommene Fassung des dritten Aktes in seiner damaligen Gestalt dem Autor nicht entging, so war der Eindruck davon auf ihn nicht eigentlich ungünstig. Wenn er sah, wie jeder einzelne der Gesänge des Wettkampfes mit lebhaftem Applaus aufgenommen wurde, wie dieser bei den letzten Gesängen und dem schließlichen Ausbruch des Entsetzens der Versammelten auf das ungewöhnlichste sich steigerte, so gewann er die tröstliche Überzeugung, dem Publikum sei nicht alle Naivetät und Unbefangenheit der Auffassung eines dramatischen Vorganges abhanden gekommen, auf die er einzig als Bundesgenossen für die Verwirklichung seiner künstlerischen Absichten bauen konnte. Je mehr er mit immer bestimmterem künstlerischen Bewußtsein produzierte, desto mehr verlangte es ihn, wie er sich in einem Briefe aus dieser Periode ausdrückt ›ganze Menschen zu machen‹: ›ich will Knochen, Blut und Fleisch geben, ich will den Menschen gehen, frei und wahrhaftig sich bewegen lassen, – und nun wundere ich mich, wenn sich Viele nur erst an das Fleisch halten, die Weiche und Härte desselben untersuchen‹. Gegenüber einer Kritik, welche sich in diesem Sinne ausschließlich mit seiner Musik beschäftigte, das dramatische Knochengerüste aber außer acht ließ, die, anstatt das lebendige Drama auf sich wirken zu lassen ›Musik‹ und ›Text‹ einzeln unter die Lupe nahm oder über die Frage debattierte, ob es nützlich oder schädlich sei, wenn der Autor beider in einer Person vereinigt wäre, gegenüber einer solchen Verkennung der wahren Natur seines Schaffens mußte er sich für ein Verständnis seiner Bestrebungen vollkommen aussichtslos erkennen; der unbefangene Beifall des Publikums aber, das sich an entscheidender Stelle einem hinreißenden Eindrucke überließ, ohne zu reflektieren, ob er mehr dem Dichter oder dem Musiker zuzuschreiben sei, war ihm eine erfreuliche, ermutigende Wahrnehmung.

Die erste Aufführung in dieser, teilweise neuen Besetzung ging am Freitag den 4. September 1846 vor sich. (Charakteristisch für den Grad von Popularität, den sich das Werk damals bereits gewonnen, ist das eigentümliche Faktum, daß sich an dem gleichen Abende ein neuer Dresdener Männergesangverein unter dem Namen ›Tannhäuser‹ begründete.40) Schnell folgte ihr am Sonntag eine Wiederholung auf dem Fuße, beide von einem Erfolg begleitet, [192] der eine entschiedene Freude des Publikums über die Wiederaufnahme der Oper erkennen ließ.41 Einer dieser Aufführungen wohnte auch sein junger Bekannter aus Marienbad, der Prager Studiosus Hanslick bei. Da dessen Erzählung seiner Dresdener Eindrücke manches Streiflicht auf die Beziehungen zwischen Wagner und Schumann wirst, schalten wir sie als ein eigentümliches Stück ›Geschichtsquelle‹, trotz ihrer mehrfach nachweisbaren handgreiflichen Ungenauigkeiten, an dieser Stelle mit ein.42 Sein erster Gang in Dresden habe ihn in die Waisenhausstraße zu dem ›schwärmerisch von ihm verehrten‹ Robert Schumann geführt. Leider wird dessen persönliches Bild in der nachfolgenden Erzählung seines ›schwärmerischen Verehrers‹ auf eine gar klägliche Weise karikiert. Noch in einer früheren Erwähnung desselben Besuches führt derselbe Erzähler ausdrücklich den besonderen Umstand an, er habe Schumann ›bei der Lektüre der Tannhäuser-Partitur angetroffen‹.43 Davon ist nun in dem späteren Bericht nichts mehr zu spüren; es heißt nur, Schumann habe dem Eintretenden ›freundlich schweigend‹ die Hand gereicht und nach einer Pause ausgerufen: ›Wie schade, daß Sie nicht einige Tage früher gekommen sind! Mendelssohn ist gestern44 nach England abgereist! Wenn Sie doch Mendelssohn kennen gelernt hätten!‹ Nach einer Weile des Schweigens habe er dann wieder von Mendelssohn begonnen: ›Sehen Sie, das hat er mir vor seiner Abreise geschenkt, das schöne Buch!‹ (Es war ein Exemplar von Gottfrieds ›Tristan und Isolde‹, in Simrocks Übertragung.) ›Auf meine Erwähnung‹, fährt der Erzähler fort ›daß ich begierig sei, am nächsten Abend den »Tannhäuser« zu hören, erbot er sich, mir die eben erschienene45 autographierte Partitur auf einen halben Tag zu leihen. Ob er mit Wagner verkehre? »Nein«, habe Schumann erwidert »für mich ist Wagner unmöglich; er ist gewiß ein geistreicher Mensch, aber er redet in einem fort. Man kann doch nicht immer reden.« Am nächsten Morgen eilte ich, die schwere »Tannhäuser«-Partitur unter dem Arm, zeitlich früh auf die Brühlsche Terrasse, [193] frühstückte dort und durchflog mit Feuereifer den »Tannhäuser«. Gegen Mittag besuchte ich Wagner. Er empfing mich sehr freundlich und bat mich, für ein Weilchen auf dem Sofa Platz zu nehmen, da er einen Sänger probieren müsse. Es war ein junger Tenorist aus der weitverzweigten Theaterfamilie Brandes. Dieser schlug Wagner eine Menge Opern vor, aus denen er ihm vorsingen wolle, aber Wagner besaß keinen einzigen Klavierauszug irgend einer Oper. Endlich meinte er, die Arie Taminos aus der Zauberflöte werde er wohl auswendig begleiten können. Dies brachte er natürlich auch zu Wege, wenn auch mit auffallend ungeübter Klaviertechnik. Der Tenorist wurde, wie mir schien, für gut befunden und empfahl sich. Wagner kam dann auf allerlei musikalische Zustände und Persönlichkeiten Dresdens zu sprechen, auch auf Schumann. »Wir stehen äußerlich gut miteinander; aber mit Schumann kann man nicht verkehren: er ist ein unmöglicher Mensch, er redet gar nichts. Bald nach meiner Ankunft aus Paris besuchte ich ihn, erzählte ihm eine Menge interessanter Dinge über die Pariser Oper, die Konzerte, die Komponisten – Schumann sah mich immer unbeweglich an oder schaute in die Luft und sagte kein Wort. Da bin ich aufgesprungen und fortgelaufen. Ein unmöglicher Mensch!« Der Abend brachte mir ein ersehntes, unvergeßliches Theatererlebnis: die Aufführung des »Tannhäuser« in dem schönen (seither abgebrannten) Dresdener Hoftheater. Wagner dirigierte, seine Nichte Johanna Wagner sang die Elisabeth, Tichatschek den Tannhäuser, Mitterwurzer den Wolfram, Dettmer den Landgrafen. Die Oper übte auf mich eine bedeutende, stellenweise berauschende Wirkung. Schumann und seine Frau saßen neben mir im Parquet.‹ ›Wie gern hätte ich aus seiner Nachbarschaft Vorteil gezogen und seine Ansicht über den Tannhäuser gehört. Seine gewöhnliche Schweigsamkeit schien aber diesmal noch gesteigert durch eine gewisse diplomatische Vorsicht (!). »Die Oper ist voll schöner effektvoller Sachen, aber sehr ungleich. Ja, wenn Wagner so viel melodische Erfindung hätte, als dramatisches Feuer –.« Das war alles.‹46 ›Am nächsten [194] Morgen machte ich eine Fußwanderung durch die sächsische Schweiz. Auf dem Felsenplateau, welches die Bastei heißt, traf ich Wagner und seine Nichte Johanna und konnte ihnen für den Genuß vom gestrigen Abend danken‹ ...

Unter dem befriedigenden Eindrucke der Wiederaufnahme seines Werkes schickte sich der Künstler wenige Tage später dazu an, die Komposition seines ›Lohengrin‹ – nach den zusammenhangslosen Aufzeichnungen des ersten, während seines Landaufenthaltes gemachten Entwurfes – nunmehr zu völliger Ausführung zu bringen. Er machte den Anfang dazu merkwürdigerweise mit dem dritten Akte, dessen Original-Entwurf das Datum ›Dresden, 9. September 1846‹ an der Spitze trägt. Ob vielleicht auch hier (wie einst bei der Abfassung des ›Holländers‹ die Ballade der Senta) die Erzählung Lohengrins vom Gral, oder die entscheidende Szene im Brautgemache als Höhepunkt des ganzen tragischen Vorganges eine besondere geheimnisvolle Anziehungskraft für ihn hatte? Genug, bei keinem früheren oder folgenden Werke ist die äußere Reihenfolge der musikalischen Ausführung – bei all ihrem streng thematischen Zusammenhang! – in so auffälliger Weise umgekehrt, beziehungsweise außer Acht gelassen worden. Mit welcher Sicherheit und Bestimmtheit mußte das Ganze bereits in ihm leben! Unter zahlreichen Unterbrechungen setzte er die Arbeit daran fort. Erst im März des folgenden Jahres, fast ein volles Halbjahr nach dem Beginn, war der dritte Akt des ›Lohengrin‹ in der Komposition beendet. Er war sich jetzt nach seinen eigenen Worten seiner vollsten Einsamkeit als künstlerischer Mensch in einer Weise bewußt geworden, daß er zunächst einzig aus dem Gefühle dieser Einsamkeit wiederum die Anregung und das Vermögen zu weiterem Schaffen finden konnte; eine schwärmerisch sehnsüchtige Stimmung beherrschte sein Inneres und drängte ihn leidenschaftlich zur Mitteilung im Kunstwerke. ›Im Tannhäuser hatte ich mich aus einer frivolen, mich anwidernden Sinnlichkeit – dem einzigen Ausdrucke der Sinnlichkeit der modernen Gegenwart – herausgesehnt; auf die ersehnte Höhe des Reinen, Keuschen, Jungfräulichen hatte ich mich durch die Kraft meines Verlangens nun geschwungen. Ich fühlte mich außerhalb der modernen Welt in einem klaren heiligen Atherelemente, das mich in der Verzückung meines Einsamkeitsgefühles mit den wollüstigen Schauern erfüllte, die wir auf den Spitzen der hohen Alpe empfinden, wenn wir, vom blauen Luftmeer umgeben, hinab auf die Gebirge und Täler blicken.47 Mich wärmte auf jener [195] Höhe der Sonnenstrahl der Liebe, deren wahrhaftigster Drang mich einzig aufwärts getrieben hatte. Gerade diese selige Einsamkeit erweckte mir, da sie mich kaum umfing, eine neue, unsäglich bewältigende Sehnsucht: die Sehnsucht aus der Höhe nach der Tiefe, aus dem sonnigen Glanze der keuschesten Reine nach dem trauten Schatten der menschlichsten Liebesumarmung.‹ Aus gleicher wonnig öder Einsamkeit steigt Lohengrin herab, als er den Hilferuf des Weibes mitten aus der Menschheit da unten vernahm: er suchte das Weib, das an ihn glaubte, das nicht früge, wer er sei und woher er komme, sondern ihn liebte, wie er sei und weil er so sei, wie er ihm erschiene. ›Aber an ihm haftet unabstreitbar der verräterische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Gemeinheit, das Geifern des Neides, wirst seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes; Zweifel und Eifersucht bezeugen ihm, daß er nicht verstanden, sondern nur angebetet werde, und entreißen ihm das Geständnis seiner Göttlichkeit, mit dem er vernichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt.‹ So hatte sich der Künstler aus der einsamen Geisteshöhe des Genius mit dem gleichen Bedürfnis des ›Verstandenseins durch die Liebe‹ an seine Umgebung und Mitwelt gewandt; die Tragik seines ›Lohengrin‹ hatte sich an dem Schöpfer des Werkes ganz so wiederholt, wie sie an dessen Helden sich kundtat. Hatte die Kritik, aus dem Munde des nahestehenden Freundes (S. 144), sich unvermögend erwiesen, dieser inneren Erfahrung zum Trotz an dem Ausgange seines ›Lohengrin‹ etwas zu ändern, so war, durch diesen siegreichen Konflikt des notwendigen künstlerischen Gefühles mit dem modernen kritischen Bewußtsein, die Wärme seines Eifers für die vollständige Ausführung dieser Gestalt nur noch glühender angefacht worden. ›In dieser Ausführung, fühlte ich, lag die Beweisführung für die Richtigkeit meines Gefühles.‹ Vielleicht dürfen wir gerade dieser drängenden Empfindung auch die Erklärung des Antriebes entnehmen, sich sogleich an den entscheidenden dritten und letzten Akt zu machen und jedes fernere Mißverständnis, jeden Zweifel über die Möglichkeit einer anderweitigen Lösung durch jene höchste Deutlichkeit der Darstellung abzuschneiden, in der einzig ein umfassender, weithin beziehungsvoller Inhalt dem Gefühle verständlich sich kundgibt.

Unter den äußeren Vorgängen dieses Spätherbstes seien noch die auf den 12. November und 13. Dezember entfallenden Dresdener Erstaufführungen [196] von Laubes ›Karlsschülern‹ und Gutzkows ›Uriel Akosta‹ erwähnt. Zwischen beiden Dichtern war, seit Eduard Devrient, durch beständige Reibungen mit seinem Bruder Emil dazu veranlaßt, im Februar 1846 die Oberregie am Dresdener Schauspiel niedergelegt hatte, hinsichtlich der neuzubegründenden48 Stellung eines ›Dramaturgen‹ durch beiderseitige Bewerbung um diesen Posten eine Rivalität entstanden, aus welcher Gutzkow als Sieger hervorging. Der Erfolg seines ›Urbild des Tartüffe‹ (S. 111) war so nachhaltig gewesen, daß er Herrn von Lüttichau völlig für den Verfasser einnahm, und er ihn demgemäß in einem Vortrage an den König dringend empfahl. Er stehe, hieß es in diesem Vortrag, ›soeben mit 34 Jahren in der vollsten dichterischen Schöpfungskraft, und von seinem Einfluß auf das Ganze, wie auf die einzelnen Individuen, habe eine Bühne die besten Aussichten und Hoffnungen zu erwarten‹. Bekanntlich hat Gutzkow diese Erwartungen keineswegs erfüllt, und sich demgemäß, nachdem er durch seine Gereiztheit und Empfindlichkeit sich seine Stellung immer schwieriger gemacht, in wenigen Jahren wieder vom Theater zurückgezogen. Zu der Aufführung seiner ›Karlsschüler‹ war Laube persönlich von Leipzig herübergekommen, wie bereits das Jahr zuvor zur Dresdener Erstaufführung seines ›Struensee‹. Das geschickt auf theatralisch-rhetorische Wirkung gearbeitete Stück mit der raschen Aufeinanderfolge effektvoller Situationen erzielte einen lebhaften Beifall; nach dem zweiten und vierten Akte und am Schlusse mußte der Dichter vor dem Publikum erscheinen. Nach der Vorstellung veranstaltete Wagner dem alten Freunde in seiner Wohnung eine private ›Laube-Feier‹, zu welcher, wie es scheint, weniger die engeren, verständnisvolleren Freunde des Meisters, als vielmehr hauptsächlich ein Kreis von Laube-Enthusiasten, Dresdener und Leipziger Literaten, eingeladen waren, da es sich im wesentlichen darum handelte, dem durch Gutzkow Ausgestochenen am Abende seines Dresdener Erfolges eine freundschaftliche Ovation zu bereiten. Unter den Anwesenden befand sich u.a. der damals blutjunge Dr. Alfred Meißner, der als besonderer Freund Ferd. Hillers, wie auch durch die Beziehungen seines – als Kunstmäzen und -Kenner in Dresden wohlangesehenen – Onkels J. G. v. Quandt49 in gar mannigfachen Verkehr mit den Dresdener Künstlerkreisen geraten war und so bei dieser Gelegenheit auch in Wagners Hause Zutritt gefunden hatte. Der ausführliche Bericht, den er uns fast vierzig Jahre später von dieser Feier gibt, an der ihm teilzunehmen vergönnt war, mahnt uns leider durch mancherlei recht kleinlich gehässige Züge gar zu lebhaft [197] daran, daß der gutartige unbedeutende Mensch, der unter dem pomphaften Titel ›Geschichte meines Lebens‹ seine sonst harmlosen Anekdoten so hübsch aneinanderreiht, in späterer Zeit einmal von dem Meister – ganz wider dessen Willen! – in seiner ›Dichterwürde‹ tief gekränkt und ihm, seitdem auffällig böse geworden war.50 Einen annähernden Begriff von Wagners wirklicher Bedeutung hat ihn, ähnlich wie Laube selbst, seine ausschließliche Literatenbildung ohnehin zeitlebens nicht gewinnen lassen! ›Nach dem Theater versammelten wir uns‹, so erzählt er, ›etwa zwölf Personen, bei Richard Wagner.‹ Er nennt unter den Eingeladenen, die ›den gedeckten Tisch in Wagners bescheidener Wohnung umstanden‹, in erster Reihe ›den geistreichen Friedrich Pecht‹, ferner den – mit Laube aus Leipzig herübergekommenen – Novellisten Robert Heller und den Redakteur der ›Dresdener Abendzeitung‹ Robert Schmieder; daß auch der Bildhauer Julius Hähnel von der Gesellschaft war, entnehmen wir den Erinnerungen Pechts. Dann sei auch der Gefeierte erschienen, stramm und in bester Laune. ›Man nahm Platz, die Unterhaltung war zuerst sehr munter; man war der Ansicht, während die ersten Platten umhergingen, Laube habe da sein bestes Werk geliefert. ‹ Inzwischen hätte sich Wagner schon lange auf seinem Stuhle hin- und hergewiegt; dann habe er die Frage aufgeworfen, ob man nicht, um überhaupt einen Schiller zur Darstellung zu bringen, selbst etwas von Schillers Genius in sich haben müsse? Die Frage sei zunächst allgemein gestellt gewesen; man vermittelte, man widersprach. Dann sei Wagner entschiedener zur Kritik des aufgeführten Stückes übergegangen: es sei doch nur ein wohlkomponiertes Intriguenstück im Scribeschen Geiste mit einigen sehr pikanten Szenen, und löse keineswegs endgültig die Aufgabe, wie sie von einem Drama vorauszusetzen, dessen Held der idealste Dichter des deutschen Volkes sei. Erst beim Erscheinen des Eiskübels mit Champagner habe er eingelenkt: ein beglückwünschender Toast sollte alles wieder gut machen. ›Aber nichts wollte mehr verfangen, man leerte die Gläser und ging verstimmt auseinander.‹51 [198] Kürzer faßt sich Pecht in seiner Erinnerung an diesen Abend: ›Wagner gab Laube nach der Aufführung ein Fest, bei welchem er den Dichter sehr verständig und zutreffend, aber, wie uns Enthusiasten schien, bei weitem nicht genügend feierte und sich der eigenen Überlegenheit wohl bewußt blieb.‹52 Man sieht, auch er hatte die Empfindung, der Meister habe an jenem Abende über die Köpfe der Anwesenden hinweg gesprochen; die Gesellschaft habe ihm nicht folgen können, sondern von ihm, seiner Situation als Gastgeber gemäß, nichts anderes als jene, bei solchen Gelegenheiten gebräuchlichen, banalen Lobeserhebungen erwartet, mit denen man etwa in Leipzig, an der Tafel des Herrn Verlegers, unter auffahrenden Champagnerbatterien, untereinander nicht zu sparen pflegte. Wie weit war man darin von der Gesinnung Wagners entfernt: ›Eines steht über allem: die Freiheit! Was ist aber »Freiheit«? Etwa – wie unsere Politiker glauben –»Willkür«? Gewiß nicht! Die Freiheit ist: Wahrhaftigkeit. Wer wahrhaft, d.h. ganz seinem Wesen gemäß, vollkommen im Einklang mit seiner Natur ist, der ist frei; und wer, selbst unter dem Zwange, seine Wahrhaftigkeit sich wahrt, der wahrt sich auch seine Freiheit; wenigstens gewiß mehr als der, der einen Zwang (wie ihn unsere ganze Welt enthält) gar nicht mehr merkt, weil er sich mit seinem eigenen Wesen ihm ganz schon gefügt, sich ihm zu Liebe entstellt hat.53

Bereits wurde darauf hingedeutet, daß der Entstehungsgrund der auffallenden persönlichen Verbitterung Meißners, wie sie in seinem Bericht in recht abschreckender Weise vorherrscht, in Wahrheit einer weit späteren Zeit angehört. Insofern davon in der allgemeinen Stimmung der kleinen, zu Laubes Ehren versammelten Gesellschaft, in der Tat schon etwas bemerkbar gewesen sein sollte, ist doch gerade dieser Bericht leider nur zu sehr dazu geeignet, uns den Dichter des ›Lohengrin‹ inmitten einer solchen Dresdener [199] Literatenumgebung – ernstlich betrachtet – in einer tragischen Vereinsamung zu zeigen, die nur er selbst aus innerer Schaffenskraft zu ›seliger Einsamkeit‹ sich umwandeln konnte. Es wäre ihm demnach nicht möglich gewesen, aus diesem professionell ›geistreichen‹ Kreise zur herzlichen Begrüßung eines alten Freundes auch nur zwölf Personen zusammenzubringen, denen es nicht vor dem heiligen Geiste künstlerischer Wahrhaftigkeit unbehaglich geworden wäre und die diesen nicht, um ihm nicht standhalten zu müssen, am liebsten in die Fesseln einer bewußt unwahren Konventionalität geschlagen hätten! Denn daß Wagners offen ausgesprochenes Urteil an sich ›vielleicht in der Tatwahr‹ gewesen sei, gibt selbst Meißner zu. Nach seiner eigenen Erzählung war der junge österreichische Literat dem von ihm so wenig begriffenen Künstler zunächst im September 1846 begegnet, als er mit ihm und zahlreicher Gesellschaft, zu der auch Gutzkow gehörte, einen Spaziergang nach dem ›Waldschlößchen‹ gemacht. Mit seiner auffallend breiten, stark ausgearbeiteten Stirn, scharfgebogenen Nase und vorstehendem Kinn habe Wagner damals ›viel von einem Professor (!) an sich gehabt‹, wie er denn auch ›in einer Zeit der Bärte sich ganz rasiert zeigte‹. Auf diesem Spaziergange behauptet er viel mit dem Meister gesprochen zu haben, doch ausschließlich über Politik. ›Richard Wagner hielt die politischen Zustände für reif zur gründlichsten Änderung und sah einer in nächster Zeit stattzuhabenden (sic!) Umwälzung als etwas Unausbleiblichem entgegen. Die Umwandlung werde leicht und mit wenig Schlägen vor sich gehen, die staatlichen und gesellschaftlichen Formen hielten nur noch ganz äußerlich fest. Ich erinnere mich noch ganz genau der Worte: »die Revolution sei bereits in allen Köpfen vollzogen; das neue Deutschland sei fertig wie ein Erzguß, es bedürfe nur eines Hammerschlags auf die tönerne Hülle, daß es hervortrete«. Inzwischen hatte sich Gutzkow uns genähert; er opponierte, betonte die Kraft der Trägheit, die Macht des Alten und die Furcht vor Neuem, die Gewohnheit der Massen zu dienen und zu folgen, den Mangel an Charakter in der unendlichen Mehrzahl, und äußerte in seiner vorsichtigen Weise hunderterlei Bedenken. Wagner verlor die Selbstbeherrschung (?) und brach die Debatte mit starken, unmutig gesprochenen Worten ab.‹ Sein ganzes Verhältnis zu der damaligen freiheitlichen Bewegung der Geister ist in dieser Situation sehr deutlich gekennzeichnet: er traute ihr, die von Freiheit, Einheit, deutscher Größe so viele Worte machte, etwas von der Kraft und Tiefe zu, die er in sich selber fühlte; er überschätzte sie, wie er unwillkürlich soeben noch seine Laube-Gesellschaft überschätzt hatte, und deshalb mochten ihm wohl die vorsichtigen Bedenken Gutzkows ebenso egoistisch unsittlich vorkommen, als ihn die feurige Gesinnung des alten Spohr überraschte und erfreute.

Sonderbarerweise gestaltete sich die bald darauf unter ungeheurem Aufsehen vor sich gehende Aufführung des ›Uriel Akosta‹, trotzdem sie das [200] ganze literarische Dresden in Aufregung versetzte, eben durch dieses Aufsehen für den vorsichtig berechnenden und erwägenden Autor zur unerwarteten Niederlage. Es lag allzunahe, sich diese Typen des jüdischen Lebens ins Christliche zu übersetzen; ersichtlich war hier ein wesentlich politischer Stoff in poetischer Form vorgeführt. Nach Gutzkows Erzählung habe der König an Herrn von Lüttichau ein eigenhändiges Schreiben mit der Drohung erlassen, er werde ihm künftig einen Censor setzen lassen, wenn Stücke so aufregender Art, wie die ›Karlsschüler‹ und ›Uriel Akosta‹, wieder gegeben würden!54 Fast hätte sich die desinitive Anstellung Gutzkows, ohne die Vermittelung der Frau von Lüttichau beim Prinzen Johann, und durch diesen beim Monarchen, dadurch noch in letzter Stunde zerschlagen!

Im übrigen hatte sich der Mittelpunkt der literarischen Geselligkeit Dresdens mit dem letzten Winter einigermaßen verschoben: der frühere ›Engelklub‹ mit seinen nächtlichen Symposien bestand zwar als ›Künstlerkneipe‹ noch fort, hatte sich aber doch in seinem wesentlichen früheren Bestande in einen, wöchentlich wiederkehrenden, spezifisch Hillerschen Salon-Abend umgewandelt. Je weniger Hillers untergeordnetes Talent seinem Ehrgeiz eine nennenswerte Befriedigung zu verschaffen vermochte, desto mehr sah er es darauf ab, sich auf rein gesellschaftlichem Wege einen Anhang und eine täuschende Notabilitätsstellung zu verschaffen, und da seine Mittel ihm die Ausübung einer weitgehenden Gastlichkeit gestatteten, pflegte er jeden Mittwoch in seinem Salon Alles zu sehen, was die sächsische Residenz an einheimischen und durchreisenden Kunst- und Literaturgrößen aufwies. ›An manchen Abenden waren alle Räume gedrängt voll, und fast jeder der Anwesenden hatte auf irgend einem Felde einen bekannten Namen. Es war kein ausschließlich deutscher Salon; man hörte viel französisch reden; die Hausfrau Antolka, eine frühere Sängerin, die, um ihrem Gatten zu folgen, der Bühne Lebewohl gesagt hatte, war eine Polin, schön, jung, von halbslavischem Reize: drei oder vier glänzende Schönheiten gruppierten sich um sie, Verwandte, die längere oder kürzere Zeit in Dresden zubrachten.‹55 Bei Hiller als Gast wohnte Berthold Auerbach, der nach Pechts treffender Bemerkung damals ›die erste Auflage seiner Naivetät noch nicht verbraucht hatte‹. Der ehemalige Rabbinatskandidat, ein kleiner untersetzter, breitschultriger Mann mit funkelnden Augen und dunkelbraunem lockigen, die Schulter überwallenden Haar, hatte soeben, nachdem seine früheren Romane fast unbeachtet vorübergegangen waren, mit der [201] ersten Sammlung seiner Schwarzwälder Dorfgeschichten einen ungewöhnlichen Erfolg erlebt. Er war nach Pecht von einer ›so treuherzigen Eitelkeit, daß sie eben darum nie etwas Verletzendes hatte, selbst wenn er geneigt war, es als das Haupterfordernis höherer Bildung zu betrachten, daß man seine Dorfgeschichten gelesen hatte‹. Wagner bezeichnet ihn auf Grund ihres damaligen Verkehrs noch in späteren Jahren als ›offenbar sehr begabten, wirklich talent- und geistvollen Schriftsteller jüdischer Abkunft, welcher in das eigentümliche deutsche Volksleben wie eingewachsen erschien und mit dem er längere Zeit auch über den Punkt des Judentums mannigfach verkehrt habe‹,56 wenn er auch hinsichtlich des bleibenden Wertes jener ›Dorfgeschichten‹, in denen er ›der luxuriösen Unnatur unserer Modewelt die Naivität schwäbischer Dorfbauern mit keinen anderen Wirkungen als denen unzureichender Stimulanz von der leichtwechselnden Tagesmanier vorgeführt fand‹,57 dem überschwänglichen Tagesurteil sich nur mit einigem Rückhalt anschließen konnte. Hiller seinerseits tat sich nicht wenig auf sein fertiges Klavierspiel zugute, und da in der damaligen Mendelssohnschen Schule gerade Bach mit besonderer Vorliebe gepflegt wurde, erbat sich Wagner einmal von ihm den Vortrag des achten Präludiums mit Fuge aus dem ersten Teile des wohltemperierten Klaviers (Es moll), weil dieses Stück ihn stets so besonders magisch angezogen hatte. ›Ich muß gestehen, daß ich selten einen ähnlichen Schreck empfunden habe, als ihn mir die freundlichste Gewährung dieser meiner Bitte brachte. Da war denn allerdings von düsterer deutscher Gotik und all den Alfanzereien nicht mehr die Rede. Dagegen floß das Stück unter den Händen meines Freundes mit einer »griechischen Heiterkeit« über das Klavier hin, daß ich vor Harmlosigkeit nicht wußte wohin, und unwillkürlich in eine neu-hellenische Synagoge mich versetzt sah, aus deren musikalischem Kultus alles alttestamentarische Akzentuieren auf das manierlichste ausgemerzt war.‹58

Ausführliche Schilderungen der Hillerschen Salon-Abende, bei denen regelmäßig Wagner mit erwähnt wird,59 wiewohl er sie doch nur ausnahmsweise [202] besucht hat, nennen uns als die Hauptteilnehmer derselben außer den Dresdener Malern, Bildhauern, Architekten, Musikern, Literaten und Angehörigen des Hoftheaters, wie den feindlichen Brüdern Emil und Eduard Devrient, insbesondere auch eine ganze Schar junger österreichischer Poeten, die ›der zensurgeknebelten Heimat den Rücken gewandt‹, vorherrschend Stammesgenossen des Gastgebers. ›Auch Gutzkow‹, erzählt Fr. Pecht, ›habe ich hier zum ersten Male persönlich kennen gelernt, wenn stark abgestoßen werden kennen lernen heißt. Das Lauernde, Hinterhaltige dieser vom glühendsten Ehrgeiz verzehrten Natur war in hohem Grade antipathisch, obwohl er sehr unterhaltend sein konnte, wenn er gerade für sich einnehmen wollte. Er hatte ein Spitzmausprofil, das der Maler Ramberg‹ (ebenfalls einer der Besucher des Hillerschen Salons) ›köstlich zu karikieren verstand, und seine zugekniffenen Augen harmonierten nur zu sehr mit seinem, keinerlei Hingebung kennenden, schnüffelnden Wesen.‹60 ›Unter den Frauen glänzte die Schröder-Devrient, deren blonde Schönheit nur von ihrem Genie überboten ward, übermütig, verführerisch und ein wenig Polissone, gemeinschaftlich mit der Gräfin Hahn-Hahn, der viel weniger verführerischen, aber immer vornehmen und in guten Stunden doch keineswegs anmutlosen Dame‹, welche damals ›mit ihrem Gatten, dem Baron Bistram, einem sehr liebenswürdigen livländischen Edelmann, in wilder Ehe lebte, zum nicht geringen Herzeleid der Königin und vieler anderer hoher Damen, weil sie dieselbe deshalb nicht zu Hofe bitten konnte, was sie sonst sehr gerne getan hätte‹61 ... Einen Beleg für die anmutig unwiderstehliche ›Polissonnerie‹ der Schröder-Devrient bietet uns die Erzählung eines jener jungen österreichischen Poeten, J. Nordmann, dessen Verlangen, Wagner vorgestellt zu werden, sie befriedigte, indem sie ihm dabei jedoch zugleich die Verlegenheit bereitete, ihn dem Meister gegenüber für einen ›durchreisenden konzertierenden Flötenbläser‹ auszugeben. Der Lösung des komischen Quiproquo folgte dann ein ernstes Gespräch, über welches Nordmann später berichtet, ihm habe darin vor allem die tiefgegründete Bildung Wagners imponiert. ›Er sprach von den griechischen Dramatikern mit einem Verständnis, das man bei manchem Fachprofessor vergeblich suchen dürfte; es fiel mir aber schon damals auf, daß er sich mit Vorliebe über den deutschen Mythos erging. Als ob ich ein geistiges Opferfest begangen hätte, erschien mir die Stunde, die mich Wagner mit seinem anregenden Gespräche festhielt.‹62

Eine eigenartige literarische Zusendung empfing der Meister am Neujahrstage 1847 in Gestalt einer Folge von Nummern der ›Wiener Musikzeitung‹. [203] Sein junger Wiener Enthusiast, der Studiosus Hanslick, dessen juristische Beschäftigungen ihn in seinen musikalischen Passionen nicht beschränkten, hatte sich darin mit gebührender Umständlichkeit seiner vom ›Tannhäuser‹ empfangenen Eindrücke in Gestalt des Versuches einer eingehenden Analyse entledigt. ›Mit Erlaubnis Liszts‹, erzählt Letzterer selbst ›hatte ich die ihm gehörige Partitur des Tannhäuser, die er bei Mechetti deponiert, bei der Abfassung eines langen, mit vielen Notenbeispielen gespickten Aufsatzes benützen dürfen, der sich durch elf Nummern der Wiener Musikzeitung fortschleppte.‹ Die Schwächen der Arbeit ließen den guten Willen nicht verkennen, der ihrer Entstehung zugrunde lag. Immer wohlwollend und zur Aufmunterung und Belehrung jugendlich strebender Talente geneigt, nahm Wagner in einem ausführlichen Briefe vom 1. Januar 1847 von der empfangenen Sendung Notiz, wobei er zugleich bemüht war, die ihm aus dem Schriftstücke entgegengetretenen Grundirrtümer des Verfassers zu berichtigen. ›Schlagen Sie die Kraft der Reflexion nicht zu gering an‹, heißt es in diesem Schreiben. ›Das bewußtlos produzierte Kunstwerk gehört Perioden an, die von der unseren fern abliegen: das Kunstwerk der höchsten Bildungs-Periode kann nicht anders als im Bewußtsein produziert werden. Die christliche Dichtung des Mittelalters z.B. war diese unmittelbare, bewußtlose; das vollgültige Kunstwerk wurde aber damals nicht geschaffen, – das war Goethe in unserer Zeit der Objektivität vorbehalten. Daß nur die reichste menschliche Natur die wunderbare Vereinigung dieser Kraft des reflektierenden Geistes mit der Fülle der unmittelbaren Schöpferkraft ermöglichen kann, darin ist die Seltenheit der höchsten Erscheinungen bedingt, und wenn wir mit Recht bezweifeln müssen, daß für das von uns besprochene Kunstgebiet eine solche Begabtheit so bald sich zeigen werde, so ist doch die mehr oder weniger glückliche Mischung beider Geistesfähigkeiten schon jetzt in jedem der Kunst wirklich förderlich sein sollenden Künstler als auffindbar vorauszu setzen, – und die Getrenntheit dieser Gaben als zum höheren Zweck, genau genommen, unwirksam anzusehen.‹ Wichtiger, und, wie die Folgezeit lehrte, für immer entscheidend war ein anderer Irrtum des jungen Musikschriftstellers. Es war kein Zufall, daß er sogleich bei seiner ersten persönlichen Begegnung mit Wagner die Unterhaltung gerade auf Meyerbeer lenkte. Wir haben schon in anderem Zusammenhang63 darauf hingewiesen, mit wie erfinderischem Eifer obskure Zeitungsschreiber der von Meyerbeer besoldeten Presse sich ein Gewerbe daraus machten, namentlich in auswärtigen Blättern Wagners Dresdener Erfolge, soweit sie nicht einfach totzuschweigen waren, zugunsten des großen Beherrschers der Operntheater zu verwerten. Das hieß nichts anderes, als das positive Ringen des Künstlers nach [204] höchsten Zielen der Öffentlichkeit gegenüber mit einem irreleitenden Dunst und Nebel umgeben und es in seinen wahren Zügen vollends unkenntlich machen. Gewiß gehörte diese Wahrnehmung zu den traurigsten Erfahrungen von Wagners Dresdener Epoche. Wen es je gewundert hat, das offene Bekenntnis, in seinem gesamten künstlerischen Wollen gerade mit dem reklameberühmten Opernmusikkönige am allerwenigsten gemein zu haben, – wen es gewundert hat, dieses offene Bekenntnis in ›Oper und Drama‹ mit so explosiver Gewalt hervorbrechen zu sehen, der hat es sicherlich sich nicht vergegenwärtigt, wie lange es der Meister unter dem Zwange seiner Dresdener Stellung hat zurückhalten müssen, wie peinigend es ihm war, ohne eine Verletzung aller erdenklichen Rücksichten, von der rein persönlichen Bescheidenheit bis zur – ›Dankbarkeit‹ (!) für nie empfangene Dienste,64 sich nicht öffentlich ablehnend über eine derartig widerspruchsvolle, verwerfliche Zusammenstellung äußern zu können! Nur unter gleichzeitiger Kundgebung eines großen, bedeutungsvollsten Gedankenzusammenhanges, erst nachdem gewaltig erschütternde Vorgänge ihn dem ganzen falschen Lebensverhältnis seiner Dresdener ›Kapellmeister‹-Stellung entrückt hatten, konnte auch dieses Bekenntnis ohne fernere Scheu vor dem Vorwurf der Anmaßung öffentlich abgelegt werden. Einstweilen hinderte ihn nichts, es privatim da zum Ausdruck zu bringen, wo keine ähnliche Rücksicht ihn band,65 wo er im Gegenteil sich verpflichtet fühlte, eine aufdämmernde Erkenntnis mit teilnehmendem Wohlwollen dem Lichte einer helleren Einsicht zuzuführen.

›Was mich um eine Welt von Ihnen trennt‹, fährt daher der Neujahrsbrief von 1847 in seinem Wortlaute fort, ›ist Ihre Hochschätzung Meyerbeers.66 Ich sage das mit vollster Unbefangenheit; denn ich bin ihm [205] persönlich befreundet, und habe allen Grund, ihn als teilnehmenden, liebenswürdigen Menschen zu schätzen. Aber wenn ich Alles zusammenfasse, was mir als innere Zerfahrenheit und äußere Mühseligkeit im Opern-Musikmachen zuwider ist, so häufe ich das in den Begriff, Meyerbeer. zusammen. Und dies um so mehr, weil ich in der Meyerbeerschen Musik ein großes Geschick für äußerliche Wirksamkeit erkenne, die um so mehr die edle Reise der Kunst zurückhält, als sie mit aller Verleugnung der Innerlichkeit in jeder Farbe zu befriedigen sucht. Wer sich in das Triviale verirrt, der hat es an seiner edleren Natur zu büßen; wer es aber absichtlich aufsucht, der ist – glücklich, denn er hat es an nichts zu büßen.‹ Wir glauben bei diesen Worten jener Marienbader Unterredung vom Sommer 1845 (S. 121) nachträglich als Zeugen beizuwohnen, welche in der, zuvor näher beachteten schmählichen Entstellung, wenn nicht eben der Nachwelt, so doch einem zahlreichen Leserkreise der heutigen Mitwelt überliefert worden ist. Der so sehr beteiligte Gewährsmann hat bei ihrer Reproduktion offenbar nur den, von den persönlichen Beziehungen Beider handelnden Vordersatz Wagners, und zwar (um uns milde auszudrücken) ungenau wiedergegeben, den entscheidenden Nachsatz aber überhört oder – verschwiegen. Ersichtlich hat es sich schon damals um den gleichen Gegensatz beider Interlokutoren gehandelt, der in der nunmehrigen schriftlichen Erklärung endgültig zum Austrag kommt.

Endgültig, – denn Wagner erhielt keine Veranlassung mehr, auf diesen Gegenstand zurückzukommen, und hatte wohl schon in den nächsten Tagen seine briefliche Mitteilung und ihren Adressaten über den anderen Dingen vergessen, die seinen Tätigkeitstrieb in Anspruch nahmen und uns im folgenden Kapitel beschäftigen werden. Der junge Wiener Jurist und Musik-Literat hingegen, zum Schluß freundlichst dazu ermuntert ›bald wieder etwas von sich hören zu lassen‹, machte von dieser Erlaubnis keinen weiteren Gebrauch. Er schwieg zuvörderst ganz, um sodann nach einer Reihe von Jahren mit so veränderten Ansichten67 hervorzutreten, daß Wagner, nach seinen eigenen [206] Worten, über diese inzwischen erfolgte ›Umtaufe‹ ›völlig erschrocken war‹. Daß seine Ablehnung der von Jenem beliebten Zusammenstellung der leicht verletzlichen Schriftsteller-Eitelkeit des jungen Literaten in dem Lichte einer ›unberechtigten Verstimmung‹ (!) erschienen war, die wiederum ihn gegen den nichts ahnenden Meister ›verstimmte‹, würden wir nicht glauben, wenn nicht nach so langen Jahren – er selbst es uns versicherte!68

Fußnoten

1 Brieflich an Gottwald, 30. Dezember 1855.


2 Leider kam es nicht zu einer buchstäblichen Zurücksendung der Partitur; nach Anweisung des Komponisten sollte sie jemand aus Dresden abholen, dieser ›Jemand‹ blieb aus, und die Sache geriet in Vergessenheit. Daher spukt die Hellersche Oper noch bis in Wagners Züricher Periode hinein; vgl. die Briefe an W. Fischer vom 9. Nov. 1850 und den ihm folgenden, undatierten vom 26. April 1851 (Briefe an Uhlig, Fischer, Heine S. 283–84, 285). Vgl. auch Batka ›Richard Wagner in Prag‹ VII (Mus. Wochenblatt 1908, S. 370).


3 Briefe an Uhlig, S. 102.


4 An W. Fischer, Briefe an die Dresdener Freunde S. 286.


5 An Uhlig, ebenda S. 102. (Der Name ›Meser‹ ist daselbst nicht ausgedruckt.)


6 Vgl. ›Dresdener Anzeiger‹ 1846, Nr. 77 vom 18. März, S. 12. (Neu abgedruckt bei Dinger, S. 82.)


7 Siehe die eingehende Darlegung dieses Verhältnisses in den Briefen an Uhlig, S. 98.


8 Vgl. seine noch weiter gehende briefliche Äußerung gegen Löbmann vom 9. Dez. 1843: ›ich soll nun für Wien eine Oper schreiben und habe es abgeschlagen: ich hasse diese Stadt Donizettis‹.


9 Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt, Band I, S. 3/4.


10 Dem dritten Briefe Wagners an Liszt im ›Briefwechsel‹ I, S. 3–4.


11 An Uhlig, S. 181–82.


12 Vgl. Bülow, Briefe I, S. 121.


13 ›Kietz‹ mannigfache Erinnerungen an seinen Verkehr mit dem Meister wurden nachmals von seiner Tochter, Frau Prof. E. Geisberg, handschriftlich aufgezeichnet und dem Verfasser mit besonderer Güte zur Verfügung gestellt.


14 In der Tat war es nach R. Prölß nicht so sehr die Anmaßung der Künstler, als der Ehrgeiz der Theaterdirektoren, welcher damals die Gehalte so sehr in die Höhe schraubte. Die Schauspielerin Frl. Bayer konnte Lüttichau einen Berliner Brief zeigen, in welchem ihr geschrieben wurde, sie solle fordern, was sie nur wolle, sie dürfe auf Annahme rechnen, und Tichatschek behauptet in einem Briefe an Lüttichau v. J. 1849, daß ihm von Berlin aus nach achtjähriger Dienstzeit außer seinem inzwischen zu beziehenden Gehalte die Auszahlung einer Summe von 36000 Tlrn. zugesichert werde. Geschichte des Dresdener Hoftheaters, (S. 510.)


15 Noch komischer freilich nimmt es sich aus, wenn wiederum Gutzkow der biederen, ›wohlmeinenden, nüchtern praktischen‹ Exzellenz selbst einen ›unheimlichen‹, ›dämonischen‹ Charakterzug vindiziert. ›Das Dämonische in meinem Vorgesetzten‹, sagt er, ›ging bis zur Ähnlichkeit mit Don Philipp oder Alba (!!). Zuweilen war er gutherzig, dann plötzlich konnte er's bis ins Hämische treiben‹ usw. (Rückblicke, S. 307. Vgl. ebendaselbst ›das Zusammenziehen der schwarzen Augenbrauen‹ dieses ›Unheimlichen‹ auf den Theaterkonferenzen!)


16 Es war dies die bereits erwähnte Oper Spohrs ›die Kreuzfahrer‹ (S. 113), über deren Dresdener Schicksale wir in Spohrs ›Selbstbiographie‹ das Nähere erfahren. Herr von Lüttichau hatte die Partitur der Oper, die in Braunschweig, Berlin und Kassel mit nachhaltigem Erfolg zur Aufführung gelangt war, von Spohr erbeten; trotzdem wurde die Aufführung vierzehn Monate hindurch verzögert und schließlich die Partitur in ziemlich abgenutztem Zustande, ohne Honorar und ohne das, von Spohr mit vielen handschriftlichen Bemerkungen eingerichtete, Textbuch zurückgesandt. In dem Begleitschreiben Lüttichaus wurde als Grund zu diesem Schritte angeführt: das Werk habe den Reiz der Neuheit verloren, und der Inhalt könnte vom religiösen Standpunkt aus Anstoß erregen. Spohr machte in einem scharf gehaltenen, von berechtigtem Künstlerstolz diktierten Erwiderungsschreiben darauf aufmerksam, daß nicht durch seine Schuld die Angelegenheit so lange verschleppt worden sei, und daß der Text weder in Kassel, noch in Berlin, noch als Drama zuvor in ganz Deutschland, irgend welchen Anstoß erregt habe. ›Es bleibt mir daher die mir widerfahrene Kränkung völlig unerklärlich, und ich muß mich mit dem Gedanken trösten, daß es die einzige der Art in meinem langen Künstlerleben war, und mich freuen, nicht unter einer Intendanz zu stehen, die das Ehrgefühl der Künstler so wenig zu schonen versteht‹ (Louis Spohrs Selbstbiographie II, S. 303–305).


17 Brief an Gaillard vom 21. Mai 1846. Vom 31. Mai, ebenfalls aus Groß-Graupe datiert, existiert ein ausführlicher Brief an den Dresdener Freund Dr. Hermann Franck, ausschließlich von dem zwischen beiden diskutierten Lohengrin-Problem handelnd (vgl. S. 144 dieses vorliegenden Bandes). Er beginnt mit den Worten: ›Geehrtester Freund! Ich weiß nicht wo Sie sind, und kann dennoch dem Drange nicht widerstehen, mich mit Ihnen zu unterhalten. Eben habe ich viel mit Ihnen disputiert; das gilt immer noch dem Lohengrin; mit größter Frische habe ich mich wieder darüber hergemacht und bin nun mit mir im Reinen‹ usw. vollständig abgedruckt in der Briefsammlung: Richard Wagner an Freunde und Zeitgenossen, herausgegeben von Erich Kloss (Berlin 1909), S. 70/75.


18 Seit dem Sommer 1894 (27. Juli, dem Tage der ersten Bayreuther ›Lohengrin‹-Aufführung) ist das Haus in Groß-Graupe durch den Erzähler der obigen Episode und die Seinen, die vereinigten Familien Kietz-Geisberg, mit einer Marmortafel geschmückt. Ihre Inschrift lautet. ›In diesem Hause entwarf | Richard Wagner | im Sommer 1846 die Musik zum | Lohengrin. | Errichtet im Jahre der ersten | »Lohengrin«-Aufführung in Bayreuth 1894.‹ Außerdem ist es seit einigen Jahren, behufs besserer Konservierung, in eine Art ›Wagner-Museum‹ umgewandelt.


19 Als Dr. jur. H. M. Schuster bei Gelegenheit eines im Januar 1885 zu Wien veranstalteten Grimm-Kommerses sich in einer Festrede dahin aussprach, daß zu den größten Entdeckungen Grimms die ›Poesie im Rechte‹ gehöre, und daß diese von Nicht-Juristen am besten aus der ungeheuren Wirkung entnommen werden könne, zu welcher gerichtliche Handlungen, nämlich das Kampfordal und die Klage gegen den erschlagenen Missetäter, im ›Lohengrin‹ gesteigert erscheinen; als er weiter darauf hinwies, daß Grimms Forschungen es seien, welchen wir Richard Wagners Werke danken, wurde ihm dies von einem anwesenden berühmten Literarhistoriker sehr übel genommen (Vgl. ›Euphorion‹ III, S. 494). Zehn Jahre später hob ein anderer Rechtskenner, Dr. jur. Rudolf Hübner, in seiner Schrift ›Jakob Grimm und das deutsche Recht‹ (Göttingen 1895) mit gleicher Bestimmtheit den Einfluß des, der deutschen Rechtsgeschichte zugrundeliegenden Gefühles auch auf die nationale dramatische Musik hervor; auch sie wäre ohne die Forschungen Jakob Grimms nicht entstanden; auch an ihr hätten die ›Rechtsaltertümer‹ ihren Anteil. Wer sich darüber des Näheren unterrichten will, den können wir an dieser Stelle nur auf den klassischen Aufsatz Professor Golthers ›Der Lohengrin im Verhältnis zu den mittelalterlichen Kulturzuständen‹ in den ›Bayreuther Blättern‹ (Jahrgang 1886) verweisen; in betreff dessen nur beklagt werden kann, daß derselbe trotz seines dauernden Wertes seitdem – unseres Wissens – noch nicht in einem Neudruck erschienen ist.


20 Erst 1853, also sieben Jahre später, gelangte ›Tannhäuser‹ unter Spohrs Leitung zur ersten Aufführung in Kassel.


21 Louis Spohrs ›Selbstbiographie‹, Kassel und Göttingen, Georg H. Wigand (2 Bde. 1860–61), II, S. 305–307 (vgl. außerdem II, S. 271–73: über die Einstudierung und Aufführung des fliegenden Holländers, S. 303–306: persönliche Beziehungen zu Wagner).


22 Spohrs eigene politische Gesinnung bekundet sich am deutlichsten, in dem gleichen ›liberalen Sinne‹, durch die enthusiastische Bemerkung, die der bald Siebzigjährige seinem Sextett Op. 140 bei der Eintragung in das Verzeichnis seiner Kompositionen hinzufügt: ›Geschrieben im März und April 1848, zur Zeit der glorreichen Volksrevolution zur Wiedererweckung der Freiheit, Einheit und Größe Deutschlands.‹


23 Ges. Schr. X, S. 401.


24 Frau Dr. Livia Frege, geb. Gerhard, vgl. Band I, S. 178 Anm.


25 Nach Wagners Abreise veranstaltete Mendelssohn (25. Juni) Spohr zu Ehren noch eine besondere Gewandhaus-Soirée, auf welcher ausschließlich Spohrsche Kompositionen, von der Ouvertüre zu ›Faust‹ bis zur ›Weihe der Töne‹ zur Vorführung gelangten. Zum Schluß stieg der Gefeierte, der lieber nur zugehört hätte, auf Mendelssohns Bitten selbst aufs Orchesterpodium und dirigierte, um den Musikern seinen Beifall zu erkennen zu geben, mit allem Jugendfeuer die beiden letzten Sätze seiner Symphonie, die schon seit Jahren als ein Glanzpunkt der Leistungen des Leipziger Orchesters galt. (Dr. E. Kneschke, Geschichte der Leipziger Gewandhaus-Konzerte S. 87; vgl Spohrs Selbstbiographie II, S. 307–308.)


26 Diese kostbaren Blätter sind derzeit ein pietätvoll gehegter Besitz des Herrn Kommerzienrats A. v. Groß in Bayreuth. Eine autographisch getreue Nachbildung mehrerer Seiten daraus zierte vor einer Reihe von Jahren mit Erlaubnis des Besitzers die Spalten einer bekannten Kölnischen Musikzeitung.


27 Aus diesem ›Stammbuch‹ der Frau Lydia Steche (in Plagwitz bei Leipzig) hat später A. Naubert das liebliche Fragment unter der Aufschrift ›Ein bisher ungedrucktes Stückchen Lohengrin‹ (Allg. Musik-Zeitung 1893, Nr. 6, S. 72–73) veröffentlicht. Frau Lydia Steche, geb. Angermann, wirkte als jugendliche Sängerin zwei Winter hindurch in den Gewandhauskonzerten. Nach ihrer Verheiratung gründete sie in den vierziger Jahren in Leipzig einen Gesangverein, mit dem sie im Dezember 1853 den ›Lohengrin‹ – noch vor dessen entstellender Aufführung im Theater durch J. Rietz – erst in ihrem Hause, und sodann in der Loge ›Minerva‹ am Klavier, vor eingeladenem Publikum so vortrefflich aufführte, daß Richard Pohl in seiner Besprechung der Rietzschen Aufführung (Januar 1854) dieser die Stechesche Leistung als nachzuahmendes Muster vorhielt. Vgl. La Mara, Lisztbriefe I, 129. In den Briefen an Cäcilie Avenarius wird Frau Steche wiederholt erwähnt; über die Entstehung des obigen Albumblattes, kurz vor der Reise nach Italien 1853, vgl. Familienbriefe S. 206.


28 Später in Hamburg Wagner schrieb ihm, 20. Dezember 1854: ›Sie wissen, daß ich bei dieser Partie Ihre Stimme und Ihren frischen, kräftigen Vortrag im Sinne hatte.‹


29 Das Schriftstück ist an den Gemahl der Sängerin, den Schauspieler Hans Kriete (S. 36. 46 dieses vorliegenden Bandes) gerichtet und in der Tongerschen Musikzeitung 1887, S. 210 zum Abdruck gelangt (nur wird es daselbst in ganz willkürlicher und irrtümlicher Annahme auf ›Siegfrieds Tod‹ gedeutet!). ›Ihre gute Frau‹, heißt es darin, ›bitte ich besonders den zweiten Akt ins Auge zu fassen.‹


30 Auch das hierauf bezügliche Schreiben Wagners, an Frau Kriete direkt gerichtet, findet sich a.a. O. abgedruckt.


31 Bülow, Briefe I, S. 12; vgl. auch S. 165/166 dieses vorliegenden Bandes.


32 Hans von Bülow, Briefe 1. Band, S. 123.


33 Einen vollständigen Abdruck dieser Korrespondenz brachte i. J. 1907 die Berliner Zeitschrift ›Die Musik‹. Die betreffenden Arrangements für Militärmusik hatte der Musikdirektor Wilh. Friedrich Wieprecht (bekannt als Erfinder der Baßtuba und des Bathyphons, einer Art Baßklarinette) besorgt.


34 Band I des vorliegenden Werkes, S. 258.


35 Der schon einmal von uns angeführte deutsch-böhmische Komponist W. H. Veit, ein guter Beobachter, bezeichnet ihn als einen ›noch ziemlich jungen, aber misanthropischen, sauertöpfischen, einsilbigen Menschen, welcher auch vor einiger Zeit wegen der Musikdirektorstellung in Aachen in Unterhandlungen stand, aber nicht zum Ziele kommen konnte, – warum, weiß ich nicht‹ (Neue mus. Rundschau 1897, S. 244) Später, in den 60er Jahren, heiratete er (Banck) eine Amerikanerin und versuchte es daraufhin einmal in Amerika, kehrte aber, da er auch dort kein Glück hatte, resigniert wieder nach Dresden zurück.


36 Vgl. die darauf bezügliche Äußerung Dr. Dingers, S. 11 Anm. des gegenwärtigen Bandes.


37 ›Signale für die musikalische Welt‹, herausgegeben von Bartholf Senff, Jahrg. 1846, S. 268.


38 Ebendaselbst, 1846, S. 374.


39 Bekanntlich das gleiche Sujet in deutscher Bearbeitung, welches zuvor in Paris, mit Musik von Flotow und Pilati, am Renaissance-Theater zur Aufführung gelangt war (vgl. Band I, S. 348). Die Reißigersche Oper hatte selbst in Dresden einen sehr geringen Erfolg, sie brachte es alles in allem zu neun Aufführungen, um dann für immer der Vergessenheit anheimzufallen.


40 Im September 1896 beging dieser Männergesangverein das 50jährige Jubiläum seines Bestehens; ob derselbe zu Wagner und seinem Bayreuther Werke in irgend welche Fühlung und Berührung getreten ist, und auf wessen Anregung er seinen Namen annahm, ist uns gänzlich unbekannt geblieben.


41 Aufführungen des ›Tannhäuser‹ 1846/47: 4. u. 6. Sept., 7. Okt., 21. Nov., 7. Febr, (13. und letzte Aufführung mit dem ursprünglichen Schluß).


42 Bei diesem löblichen Bestreben, an unserem Teile der ›Unsterblichkeit‹ des berühmten Kritikers der ›N. fr. Presse‹ förderlich zu sein, halten wir uns vorherrschend an seinen letzten und ausführlichsten Bericht über diese, immer wieder von ihm erzählte, persönliche Begegnung mit Wagner, in der ›Deutschen Rundschau‹ 1893. Eine frühere Erzählung findet sich in der ›Gegenwart‹ 1876, Nr. 40, S. 219 f. Vgl. auch ›Die moderne Oper‹ S. 261–63.


43 ›Die mod. Oper‹, S. 261.


44 Das kann Schumann unmöglich gesagt haben, da Mendelssohn bereits am 26. August in Birmingham unter großem Aufsehen seinen ›Elias‹ dirigierte und die Aufführung des ›Tannhäuser‹, die nach den Angaben des Erzählers am Abend nach diesem seinem Besuche bei Schumann stattgefunden haben soll, doch nur die vom 4 oder 6. September gewesen sein kann.


45 Die Partitur des ›Tannhäuser‹ war nicht ›eben erschienen‹, sondern seit Jahr und Tag, und bereits seit dem Oktober 1845, als Geschenk des Autors in Schumanns Besitz (vgl. S. 114 und S. 138 des gegenw. Bandes).


46 Der letztere Passus ist aus dem älteren Hanslickschen Bericht (›Gegenwart‹, 1876, S. 219) entnommen. In der dritten, der Zeit nach mittleren Version (›Die mod. Oper‹, S. 262) heißt es, ganz ohne Erwähnung besonderer ›diplomatischer‹ Zurückhaltung Schumanns bei dieser Gelegenheit: ›Er verfolgte die Aufführung mit gespannter Aufmerksamkeit, fand zwar die Musik hin und wieder »gering«, lobte aber mit Wärme die Behandlung des Dramatischen.‹ Dies Urteil stimmt in dem Grade wörtlich zu den auf S. 138/39 angeführten brieflichen Aussprüchen, daß es geradeswegs nachträglich aus ihnen kompiliert erscheint. Übrigens fügen wir den dort gegebenen noch die verwandte briefliche Äußerung gegen Dorn vom 7. Jan. 1846 hinzu: ›Tannhäuser von Wagner wünscht‹ ich, daß Sie sähen. Er enthält Tiefes, Originelles, überhaupt hundertmal Besseres als seine früheren Opern, – freilich auch manches musikalisch Triviale. In Summa, er kann der Bühne von größter Bedeutung werden, und wie ich ihn kenne, hat er den Mut dazu. Das Technische, die Instrumentierung finde ich ausgezeichnet, ohne Vergleich meisterhafter gegen früher. Leider ist Schumanns Erkenntnis und Würdigung der Bedeutung Wagners, wie unsere frühere Zusammenstellung lehrt, nicht in der gleichen Richtung vorgeschritten, sondern von dem bereits erreichten Punkte im weiteren Verlauf der Dinge auffällig zurückgegangen.


47 ›Solche Spitzen erklimmt der Denker, um auf dieser Höhe sich frei »geläutert« von allem »Irdischen«, somit als höchste Summe der menschlichen Potenz zu wähnen: er vermag hier endlich sich selbst zu genießen, und bei diesem Selbstgenusse, unter der Einwirkung der kälteren Atmosphäre der Alpenhöhe, endlich zum monumentalen Eisgebilde zu erstarren, als welches er, als Philosoph und Kritiker, mit frostigem Selbstbehagen die warme Welt der lebendigen Erscheinungen unter sich betrachtet. Die Sehnsucht, die mich aber auf jene Höhe getrieben, war eine künstlerische, sinnlich menschliche gewesen; nicht der Wärme des Lebens wollte ich entfliehen, sondern der morastigen, brodelnden Schwüle der trivialen Sinnlichkeit eines bestimmten Lebens, des Lebens der modernen Gegenwart‹ (Ges. Schr. IV, 361).


48 Beziehungsweise – zu erneuernden Stellung, da ja in älterer Zeit bereits Ludwig Tieck unter gleichem Namen in gleicher Funktion gestanden hatte.


49 J. G. v. Quandt, selbst im Besitze einer stattlichen privaten Gemäldegalerie, hatte gemeinschaftlich mit Adolf Wagner in den Jahren 1830–33 eine deutsche Ausgabe von Luigi Lanzis ›Geschichte der Malerei in Italien‹ veranstaltet (Bd. I, S. 499).


50 Vgl. Wagner, Ges. Schr. X, S. 185–186.


51 Charakteristisch ist der Schluß der Meißnerschen Erzählung: ›Ich war mit Laube fortgegangen und irrte mit dem ganz unmutig Gewordenen noch lange in den stillen, schwarzen Gassen am Flusse umher. Am anderen Tage kam die Nachricht, daß die »Karlsschüler« am selben Tage in Mannheim und in München gegeben worden seien und auch dort einen vollen Erfolg gehabt hätten!‹ Es war für das Produkt des Tages doch gar zu natürlich, daß es sich den Beifall des Tages errang. Der Erzähler aber spielt diesen Erfolg offenbar noch vierzig Jahre später als Trumpf gegen Wagners damalige ›Kritik‹ aus. Nicht minder bezeichnend sind seine ersten, vom ›Tannhäuser‹ gewonnenen Eindrücke. Am 7. Oktober sei er dazu gekommen, den Tannhäuser zu hören (irrtümlicherweise gibt er das Datum des 6. Oktober an!), ›es war die dritte Aufführung‹ (nämlich seit der Wiederaufnahme im Herbst 1846; seinem etwas verworrenen Bericht ist jedoch nur zu entnehmen, diese Vorstellung sei überhaupt die dritte, also eine der allerersten Aufführungen gewesen, bei denen der Erfolg des Werkes noch zweifelhaft war!). ›Das Haus war anständig gefüllt und die Stimmung eine so gute, daß Wagner und seine Sänger nach jedem Akte gerufen wurden.‹ Da er ›von der Musik nichts verstand‹, habe er sich dafür an das ›Textbuch‹ gehalten; dieses sei ihm aber wie ›der bare mittelalterliche Katholizismus‹ vorgekommen. Nach der Aufführung habe er lange noch mit dem Professor Hähnel im Wirtshaus zusammen gesessen und ihm seine Bedenken gegen die Dichtung auseinandergesetzt; da habe ihm dieser lächelnd erwidert: ›wenn er die Oper einmal im Lichte der Tagesfragen betrachten wolle, so müßte Tannhäuser doch zum mindesten ein Deutschkatholik sein, da er sich ja vom Papste lossage‹ ...


52 Pecht, ›Aus meiner Zeit‹ I, S. 266. Vgl. S. 283. Allerdings knüpft sich nach Pechts Erinnerung die Laube-Feier Wagners nicht an die Aufführung der ›Karlsschüler‹, sondern des ›Struensee‹ (erste Dresdener Aufführung 2. Sept. 1845); doch läßt die Erwägung der näheren Umstände klar erkennen, daß es sich dabei um eine Verwechselung beider Gelegenheiten handele. Eine doppelte Laube-Feier (1845 und 1846) hat in Wagners Hause jedenfalls nicht stattgefunden!


53 Wagners Briefe an August Röckel, S. 24.


54 ›Allerdings werde jetzt Schiller so etwas wie den »Tell« nicht mehr schreiben dürfen‹, hatte Herr von Lüttichau zu Wagner gesagt (Ges. Schr. VIII, S. 120).


55 Meißner, Gesch. meines Lebens I, S. 165. ›Seit Mazarin hat vielleicht niemand so schöne Nichten gehabt, wie Ferdinand Hiller‹, fügt er der obigen Schilderung hinzu. ›Sie sind auch alle durch ihre Schönheit zu ungewöhnlichen Heiraten gelangt: die eine wurde eine Gräfin Kolowrat, die andere die Frau des französischen Schriftstellers Ernst Feydeau usw.‹


56 Ges. Schr. VIII, S. 321.


57 Ges. Schr. III, S. 73.


58 Ges. Schr. VIII, S. 388 f.: ›Noch prickelte mir dieser sonderbare Vortrag in den Ohren, als ich später einmal Liszt bat, mein musikalisches Gemüt von diesem peinlichen Eindrucke zu reinigen: er spielte mir das vierte Präludium mit Fuge (Cis moll). Nun hatte ich wohl gewußt, was mir von Liszt am Klaviere zu erwarten stand; was ich jetzt kennen lernte, hatte ich aber von Bach selbst nicht erwartet, so gut ich ihn auch studiert hatte. Aber hier ersah ich eben, was alles Studium ist gegen die Offenbarung; Liszt offenbarte mir durch den Vortrag dieser einzigen Fuge Bach, so daß ich nun untrüglich weiß, woran ich mit diesem bin, von hier aus in allen Teilen ihn ermesse, und jedes Irrewerden, jeden Zweifel an ihm kräftig gläubig mir zu lösen vermag. Ich weiß aber auch, daß jene (die Mendelssohnsche »Enthaltsamkeits-Schule«) von ihrem als Eigentum gehüteten Bach nichts wissen; und wer hieran zweifelt, dem sage ich: laßt ihn euch von ihnen vorspielen!‹


59 Vgl. Friedrich Pecht, A. Meißner, Johannes Nordmann u.a. (Letzterer in Kürschners ›Wagner-Jahrbuch‹ 1886).


60 Fr. Pecht, Aus meiner Zeit I, S. 291.


61 Ebenda. S. 281.


62 J. Nordmann in Kürschners ›Wagner-Jahrbuch‹ 1886, S. 77.


63 Band I des vorliegenden Werkes, S. 513/14.


64 Vergleiche dazu die gesamten bisherigen Schicksale seiner Werke in Berlin.


65 Vgl. z.B. seine briefliche Äußerung gegen R. Schumann: ›Das Eine hat mich (in Ihrer Beurteilung des »Rienzi« und des »fliegenden Holländers«) erschreckt und – ich gestehe es Ihnen – der Sache selbst wegen erbittert: daß Sie mir so in aller Ruhe hin sagen, manches schmecke oft nach – Meyerbeer. Vor allem weiß ich gar nicht, was überhaupt auf dieser weiten Welt, »Meyerbeerisch« sein sollte, außer vielleicht raffiniertes Streben nach seichter Popularität; etwas wirklich Gegebenes kann doch nicht, »Meyerbeerisch« sein, da in diesem Sinne Meyerbeer ja selbst nicht »Meyerbeerisch«, sondern »Rossini'sch«, »Bellini'sch«, »Auberisch«, »Spontini'sch« usw. usw. ist. Gäbe es etwas wirklich Vorhandenes, Konsistentes – was »Meyerbeerisch« zu nennen wäre, wie man etwas »Beethovenisch« oder meinetwegen »Rossini'sch« nennen kann, so, gestehe ich, mußte es ein wunderbares Spiel der Natur sein, wenn ich aus dem Quelle geschöpft hätte, dessen bloßer Geruch aus weiter Ferne mir zuwider ist. Es wäre dies ein Todesurteil über meine Produktionskraft: und daß Sie es aussprechen, zeigt mir deutlich, daß Sie über mich durchaus noch keine unbefangene Gesinnung haben‹ (Brieflich an Robert Schumann, 25. Februar 1843, enthalten in: ›Richard Wagner an Freunde und Zeitgenossen‹, herausgegeben von Erich Kloss, Berlin 1909, S. 29/30).


66 In der Abhandlung des jungen Wiener Schriftstellers findet sich u.a. der Passus: ›Wagners Tannhäuser gehört in geistvoller, charakteristischer und neuer Behandlung des Orchesters zu den eminentesten Leistungen, die wir hierin besitzen, und ist ebenbürtig den drei größten Werken: »Freischütz«, »Hugenotten« (!) und »Sommernachtstraum«(!).‹


67 Es genüge, hier ein Paar einzelner Sätze einander gegenüberzustellen Hanslick anno 1846. ›Die Musik des fliegenden Holländers ist eine der poesiereichsten und herzgewinnendsten Musiken der Neuzeit, und was denselben so felsenhoch aus dem Meere unserer Alltagsopern emporhebt, ist die echte hohe Poesie im Auffassen des Stoffes, der begeisterte Schwung im dramatischen Ausdruck.‹ Hanslick anno 1859: ›Wo die Oper (der fliegende Holländer) des schildernden Elementes sich begibt, wo sie aufhört Marine und anfängt Musik zu sein, da stehen Wagners Blößen im hellsten Licht: die Armut seiner Erfindung und das Dilettantische (!) seiner Methode; ein hölzernes Pathos kämpft mit den von allen Seiten hereinschlagenden Wogen der Trivialität.‹ Schon 1857 ist ihm die Tannhäuser-Ouvertüre ein ›auf den rohen Effekt gearbeitetes Potpourri‹. Was zwischen den beiden, einander so diametral entgegengesetzten Meinungsäußerungen desselben Mannes über ein und dasselbe Werk liegt, ist die nackte Tatsache des Erscheinens der Abhandlung über das ›Judentum‹ und der notgedrungene endliche Protest Wagners in ›Oper und Drama‹ gegen die fortgesetzte planmäßige Verwechselung seines Kunstideals mit der Meyerbeerschen Effektoper. Merkwürdigerweise hat es übrigens Hanslick bis zu seinem Lebensende für vorteilhaft gehalten, seine eigene jüdische Herkunft konsequent und nachdrücklich zu verleugnen. Siehe Anhang!


68 Siehe Hanslick ›Mein Leben‹.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 167-207.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klingemann, August

Die Nachtwachen des Bonaventura

Die Nachtwachen des Bonaventura

Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon